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„Wir haben das Fundament gelegt für eine erweiterte europäische Organisation” | APuZ 43/1954 | bpb.de

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APuZ 43/1954 „Wir haben das Fundament gelegt für eine erweiterte europäische Organisation” Mèndes-France und Deutschland Frankreich im Banne seiner Tradition. Die historischen Motive für das Scheitern der EVG

„Wir haben das Fundament gelegt für eine erweiterte europäische Organisation”

Pierre Mèndes-France

Rede des französischen Ministerpräsidenten vor der Nationalversammlung, Donnerstag, 7. Oktober, und Sonntag abend, 10. Oktober 1954.

Zu Beginn seiner Ausführungen erklärte Mendes-France, er }habe die Einberufung des Parlamentes veranlaßt, um sein unmittelbar vor den Ferien gegebenes Versprechen einzulösen, seine Unterschrift nicht eher zu geben, als er nicht der Nationalversammlung die nötigen Aufklärungen habe zuteil werden lassen und ehe er nicht von ihr die zur Fortführung seiner Aktion in London notwendige Billigung erhalten habe.

Er erinnerte an den negativen Verlauf der EVG-Abstimmung vom 30. August und gab als Hauptgrund dafür den übernationalen Charakter der EVG und das Fehlen Großbritanniens in ihr an. Diese beiden Punkte seien nun bei der Ausarbeitung seiner Vorschläge berücksichtigt worden.

Er kam dann auf das Problem der Abrüstung und der Abrüstungskontrolle zu sprechen und führte hierzu folgendes aus: „Die Beschränkung der Streitkräfte und ihrer Bewaffnung hätte überhaupt keinen Sinn, wenn nicht strenge Kontrollmaßnahmen vorgesehen würden. Eine im Rahmen des Brüsseler Paktes fungierende Kommission wird Produktion und Lager aller Teilnehmer überwachen. Damit die auf diesem Gebiet gefaßten Entscheidungen wirksam werden, wird mit Majorität abgestimmt. Außerdem wird der Kommission eine gewisse Wirkung in die Öffentlichkeit hinein gesichert: Und zwar wird sie jedes Jahr einem Spezialgremium, das sich aus den Vertretern der sieben dem Europarat angehörenden Länder zusammensetzt, einen Bericht vorlegen. Wenn andere Länder dem Brüsseler Pakt beitreten, werden sie natürlich dort auch mit vertreten sein und Sitz und Stimme erhalten.

In seiner neuen Gestalt stellt der Brüsseler Pakt keineswegs eine jeglicher Verantwortlichkeit entkleidete Staatenverbindung ohne jeglichen übernationalen Charakter dar. Es handelt sich vielmehr um einen Organismus mit reellen Machtbefugnissen auf sehr verschiedenen Gebieten, besonders aber dem militärischen. Die in London ins Leben gerufene internationale Institution wird auf dem Gebiet der Truppenstärke und Bewaffnung Entscheidungen fällen können, deren Ausführung sie durchzusetzen die Mittel haben wird.

Die Britische Verpflichtung

Pierre Mendes-France: Pierre Viansson-Ponte: (S. 562) Otto K. C. Gerlach: Frankreich im (S. 565) INHALT DIESER BEILAGE: und Deutschland Tradition für eine erweiterte Organisation“ Mendes-France „Wir haben das Fundament gelegt europäische Banne seiner

Die französische Regierung nun hielt es für unumgänglich, im Hinblick auf die Teilnahme der nichteuropäischen Staaten an der gemeinsamen Verteidigung gewisse Zusicherungen zu erhaT ten. So war es denn für sie eine Genugtuung zu vernehmen, daß der Vertreter der Vereinigten Staaten noch vor Beendigung der Konferenz ankündigte, er werde im Falle eines positiven Ausganges der Verhandlungen seiner Regierung empfehlen, ihre für die EVG vorgesehenen Verpflichtungen im Hinblick auf die in London geschaffene Organisation zu erneuern. Und der kanadische Außenminister gab eine ähnliche Erklärung ab. Aber das ganz entscheidende Moment war doch die Verpflichtung, die Großbritannien am gleichen Tage eingegangen ist. Wir hatten ja bisher trotz wiederholter Bitten von seiner Regierung keine Zusicherung auf Übernahme weitgehender Verantwortung in Europa erhalten können. Großbritannien hatte lediglich am Anfang dieses Jahres versprochen, der EVG, falls diese zustandekommen sollte, eine Division einzugliedern. Viele von uns hatten das für unzureichend gehalten.

So hatten wir von Anbeginn der Verhandlungen an Herrn Eden sehr dringend gebeten, seine Regierung möge weitgehendere Anstrengungen machen. Und in der Tat, die durch den britischen Außenminister angekündigte Entscheidung hat eine erhebliche Tragweite: Großbritannien stellt der Organisation von Brüssel vier Divisionen — davn drei Panzerdivisionen — zur Verfügung und außerdem taktische Luftwaffenverbände, die zu den stärksten der Welt zählen. Das wäre alles in allem mehr als die Hälfte seiner Streitkräfte.

Wichtiger jedoch als der militärische Aspekt dieser Entscheidung ist der politische. Die englische Regierung erklärt sich damit einverstanden, daß Bereitstellung, Einsatz und Zurücknahme dieser Streitkräfte von der internationalen Organisation der Sieben, die nach Mehrheitsbeschluß handelt, vorgenommen wird. Wenn man an jene insulare Tradition Großbritanniens denkt, an die immer und immer wieder durch seine Regierung bekundete Abneigung, weitere Verpflichtungen in Europa einzugehen, an jenes vor ein paar Monaten gegebene Versprechen, dann erscheint die von Herrn Eden angekündigte Entscheidung als außerordentlicher Fortschritt, dessen Gewicht Sie sicher alle ermessen werden. Es handelt sich da um eine echte Souveränitätsbeschränkung zu Gunsten der gemeinsamen Verteidigung, um die Bekundung einer Disziplin, die jeden Franzosen erfreuen müßte. Und ich glaube, dieses Hohe Haus dürfte den Entschluß der britischen Regierung zu einem so gewichtigen Beitrag im Interesse der Allgemeinheit begrüßen.“

Indem er dann aul die deutsche Bundesrepublik zu sprechen kommt, die ebenfalls . eine ganz besonders aktive Rolle'gespielt habe, wiederholt der Ministerpräsident das, was er bereits vor einem Monat gesagt hatte, nämlich daß man ein großes modernes Land nicht ewig unter Kuratel halten könne. Weiter fuhr er dann fort: „Die volle Souveränität wurde ja von den Sowjets bereits dem in ihrer Zone gebildeten Regime zuerkannt. Somit dürfte es nicht verwunderlich sein, daß Bundeskanzler Dr. Adenauer uns gebeten hat, eine politische Situation zu schaffen, die jener nicht nachsteht. Zunächst hatte man an eine Lösung durch die Ratifizierung der Bonner Verträge gedacht. Aber dann waren einige ihrer Punkte durch die Ablehnung des Pariser Vertragswerkes hinfällig geworden, andere wieder wurden von der einen oder anderen Regierung kritisiert. So beschloß man denn, die Verträge von Bonn, die Ihnen zur Vorlage bleiben, als Arbeitsgrundlage zu belassen, ihnen aber ein Zusatzprotokoll beizugeben, das sie in einer gewissen Anzahl von Punkten ergänzt.

Vertrag und Protokoll stellen, wie bekannt ist, eine gewisse Anzahl von Rechten und Prerogativen für die Bundesregierung wieder her. Überdies sind da noch die Erklärungen der amerikanischen, der englischen und der französischen Regierung, wonach die jeweiligen Hochkommissare ersucht werden, von den Rechten, auf die diese Regierungen zu verzichten bereit sind, nicht mehr Gebrauch zu machen, soweit dies nur irgend möglich ist. Aber ich habe klar und deutlich zum Ausdrude gebracht, daß ich in keiner Weise dem Willen des Parlamentes vorgreifen möchte, dem alle Entscheidungsfreiheit vorbehalten bleibt, sobald es dazu aufgerufen wird, über den Bonner Vertrag und das Zusatzprotokoll zu befinden.

Die Frage des Beitritts Deutschlands zur NATO wurde oft in diesem Hause erörtert. Man hat die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, daß ein solcher Beitritt Deutschland automatisch die Möglichkeit zu einer bedingungslosen, unbegrenzten und unkontrollierbaren Wiederaufrüstung in die Hand geben würde. In der Tat, würden wir ganz einfach unsere Zustimmung zum Beitritt Deutschlands zur NATO geben, so würden wir auch dahin kommen. Da ja nun aber das Risiko einer bedingungslosen, unbegrenzten und unkontrollierbaren Wiederaufrüstung Dank der Schaffung des Sicherheitssystems im Rahmen des Brüsseler Paktes völlig beseitigt ist, schien uns praktisch wirklich nichts mehr gegen die Aufnahme Deutschlands in die NATO zu sprechen. Darum haben wir so großes Gewicht darauf gelegt, daß sich die Gesamtheit der Londoner Beschlüsse dem Rahmen des Brüsseler Vertragswerkes und nicht dem der NATO einfüge.

Der Redner bezeichnet als weiteres Aktivum der Londoner Beschlüsse die Befugniserweiterung der NATO, das heißt also speziell des obersten Befehlshabers, die einen zusätzlichen Sicherungsfaktor gegenüber eventuellen Versuchen einer nationalen Armee in Richtung auf unabhängiges Handeln darstelll. Was die Integrierung der Streitkräfte anbetritft, so erinnert der Redner daran, daß Frankreich sie auf Divisionsebene gefordert hatte, während andere Länder sie vom Armee-korps ab wünschten. Mendes-France meint nun, daß das jetzt erzielte Resultat . nicht sehr verschieden sein wird von dem, was wir mit der EVG erreicht hätten'.

In den Bereich der Entscheidungen politischen Charakters gehört weiterhin die Verpflichtung Bonns, nie mehr um nationaler Ziele willen zur Gewalt zu greifen und die französisch-englisch-amerikanischeErklärung, die Beistandsgarantie und die sich aus dem Brüsseler Vertrag ergebenden Vorteile im Falle der Nichteinhaltung jener Verpflichtungen zurüdezuziehen.

Die Saarfrage

„Was die Saarfrage anbetrifft, so wurde diese in London nicht behandelt. Sie gehörte ja da auch garnicht hin. Sie hat Gegenstand zweiseitiger Verhandlungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik zu sein. Aber ich habe natürlich über die Haltung, die zu wiederholten Malen durch alle Regierungen der letzten Jahre und durch die Nationalversammlung unter den verschiedensten LImständen bekundet worden war, keinen Zweifel aufkommen lassen: Die Lösung der Saafrage wird spätestens zum selben Zeitpunkt wie die der gesamten anderen europäischen Probleme, die in London diskutiert werden, in Angriff genommen werden müssen. Somit müßten wir noch vor Eröffnung der Ratifizierungsdebatte mit der Bundesregierung zur Ausarbeitung von präzisen und befriedigenden Vorschlägen zur Saarlösung kommen. Diese werden Ihnen dann zusammen mit dem Komplex der anderen Texte unterbreitet werden, damit Sie in dem von allen französischen Regierungen vorgesehenen Rahmen Ihren Beshluß fassen können.

Dieser Abriß mag deutlih mähen, weihe Schwierigkeiten es für unsere Delegation zu bewältigen gibt. Es wäre niht nötig gewesen, ihre Position noh dadurch zu erschweren, daß man zum gleichen Zeitpunkt auf dem innenpoliti-shen Sektor eine Kampagne eröffnete, die diskriminierend für die Regierung war, die sogar bisweilen soweit ging, diese in den Verdaht des Verrates zu bringen. Es war nur ein Glüh — ih sage niht, für die Regierung, sondern für das Land —, daß sih zwei Tage vor Beendigung der Konferenz die Wahrheit doh noh Bahn brah, und zwar dank der zähen und mutigen Haltung unseres Innenministers, dem die Regierung gestern morgen ihre Verbundenheit und Solidarität bekundete. Wenn die Wahrheit diese Shlaht gegen die Zeit niht gewonnen hätte, welhes Vertrauen in unser Wort und in unsere Verpflihtungen hätten wir dann noch von denen erwarten dürfen, denen gegenüber wir die Sahe Frankreihs vertreten? Es ist ohnedies shon niht ganz leiht, unsere Auffassung in diesem oder jenem Punkt begreiflih zu mähen.

„Man darf die Wirklichkeit nicht aus dem Auge verlieren“

Ich weiß sehr wohl, daß jedwede Lösung, die eine Wiederbewaffnung Deutschlands, und mag diese auch begrenzt und überwacht sein, mit sich bringt, von einer ganzen Reihe von Ihnen als schlecht angesehen wird, und ich kann Ihnen das sehr gut nahfühlen. Aber dennoch darf man die Wirklichkeit nicht aus dem Auge verlieren: Die Zeit, wo man hier behaupten konnte, jegliche deutsche Wiederaufrüstung sei von vornherein völlig ausgeschlossen, ist fern. Auf lange Sicht kann man keiner Nation, weihe auch immer es sei, untersagen, etwas zu ihrer eigenen Verteidigung zu tun. Ih allein sage das niht. Es ist dies eine Stimme, die auh niht durh jene Partei zum Shweigen gebraht werden könnte, die sih hier mit allen Kräften gegen das Londoner Übereinkommen stemmt.

Es handelt sih um eine Wahrheit, die seit langem gerade durh jene erkannt wurde, die unter der unabwendbaren Entsheidung zutiefst leiden. Aber sie haben sih davon überzeugen müssen, daß unsere Verbündeten fest entschlos-sen sind, Deutshland sih niht länger jener Lasten entziehen zu lassen, die sie selber — und ih füge hinzu, die wir selber — ertragen müssen.

Können wir also noh weiter als einzige aus noh so verständlihen Empfindungen heraus auf einem unwiderruflichen „Non possumus“ beharren?

Es ist zwecklos darüber zu sprechen, ehe wir niht auf eine Vorfrage geantwortet haben:

Können wir überhaupt in der Praxis etwas gegen eine einstimmig ohne uns gefaßte Entsheidung ausrihten? Indem unser Zögern als Taktik ausgelegt wurde, haben unsere Verbündeten oft gemeint, wir bedienten uns nur einiger Finten und Listen. Sie hielten uns für sehr geschickt, zu ge-

schickt! Sie waren es satt. Man hat viel von einer Krise unter den Alliierten gesprochen. Nah derartig vielen Aufshüben stand sie tatsählih bevor.

Die deutsche Wiederaufrüstung war in jeder Beziehung unvermeidlih und der allernächst zu unternehmende Shritt geworden.

Und somit ergibt sih eine Problematik, die für uns den Charakter einer Gewissensfrage hat:

Dürfen wir uns in die Isolierung zurückziehen und damit der deutshen Wiederaufrüstung die Möglihkeit geben, sih grenzenlos zu entfalten?

Hier liegt die Wahl, die wir, die Sie zu vollzieben haben. Sie werden also entsheiden müssen, ob Frankreih abseits bleiben oder ob seine Beteiligung ihm solide, sihere Garantien einbringen soll, und ob es das Reht erhalten soll, selber mit anderen Staaten zusammen, unter diesen Großbritannien, die Einhaltung der Garantien zu überwahen.

Diese Garantien also bieten uns die Londoner Beshlüsse. Sie bedeuten Begrenzung und Kontrolle von Rüstung und Truppenstärke auf dem europäishen Kontinent — gerade das, was von allen Pazifisten zur Aufrehterhaltung des Friedens als das Mittel gepriesen wird —, sie bedeuten die Zusicherung der Vereinigten Staaten, die amerikaniscen Einheiten in Europa aufreht zu erhalten, sie bedeuten die von Großbritannien eingegangene Verpflichtung, die ihresglei-

hen in der englishen Geshihte bisher niht hat, vier Divisionen und Luftstreitkräfte auf dem Kontinent zu belassen und sie niht ohne Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaaten des Brüsseler Paktes wieder abzuziehen.

Es gibt dann noh einen anderen Einwand, dessen bin ih mir bewußt: Birgt niht die Ver-

wirklihung der Londoner Beshlüsse die Gefahr von Spannungen in unseren Beziehungen zu den Staaten des Ostens in sih, ja, wird niht die Gefahr eines Konfliktes durh sie vergrößert? Nun, wenn das meine Meinung wäre, dann hätte ih die Beshlüsse niht akzeptiert. Im Gegenteil, ih lege außerordentlihen Wert auf die Feststellung, daß der rein defensive Charakter des Lon-doner Abkommens in den Augen der Welt gerade durch die Zugehörigkeit Frankreichs garantiert ist, dieses Landes, das — keiner wird es bestreiten können — durch den Frieden alles gewinnen, durch den Krieg aber alles verlieren kann.

Ich halte die sowjetische Regierung für realistischer als diejenigen, welche ihre Absichten im voraus beurteilen zu können glauben. Sie weiß, daß eine gewisse Wiederbewaffnung Deutschlands unvermeidbar ist, und wenn sie sie hätte vermeiden wollen, so hätte sie dafür in der Ver-gangenheit genügend Möglichkeiten gehabt. Vor einigen Tagen hat sie bekanntgegeben, daß sie das vor einigen Monaten der Abrüstungskommission vorgelegte französisch-englische Projekt als Verhandlungsbasis annehmen könne. Ich für meinen Teil messe diesem Vorwärtsschritt die allergrößte Bedeutung zu. Und ich hoffe, daß diese Annäherung zu einem Einvernehmen führen wird, und daß auf diese Weise jene Gefahr gebannt . wird, in der die Welt im Atomzeitalter durch die Gegnerschaft zweier stark bewaffneter Gruppen schwebt.

„Wir sind bereitjeden sowjetischen Vorschlag zu prüfen"

Gestern hat Herr Molotow zum deutschen Problem Ausführungen gemacht, über die ich ; uf keinen Fall ein LIrteil abgeben werde, ehe ich sie nicht bis ins kleinste Detail in ungekürzter Fassung studiert habe. Diese Erklärungen werde ich mit dem ganzen Ernst, den dieses Thema erfordert, beurteilen.

Wir sind bereit, jeden Vorschlag, jede Anregung zu prüfen. Nichts, was nur irgendwie zum Frieden führen könnte, wird von uns vernachlässigt ode. unterlassen werden. Aber ist das denn etwa unvereinbar miteinander, die Ingangsetzung der Londoner Beschlüsse und diese Haltung der dauernden Bereitschaft zur Aussprache, zum Verhandeln? Nein, hier gibt es keine Widersprüche! Die beiden Aktionen können durchaus nebeneinander her laufen. Sie wissen, und die Sowjetunion weiß es auch sehr gut, daß es Zeit braucht, zwei, drei Jahre bestimmt, bis die Londoner Beschlüsse im Hinblick auf die Wieder-bewaffnung Deutschlands Wirksamkeit erlangen. Und es ist nicht zu optimistisch, die Hoffnung zu hegen, die Verhandlungen mögen in dieser Zeit weitere Fortschritte machen und womöglich in Bezug auf Abrüstung und andere große internationale Fragen zu einem Ziel gelangen.

Wenn man sich über die Abrüstung einigen würde, so müßte diese Einigung natürlich auf die deutschen Streitkräfte ebenso Anwendung finden wie auf die anderen. Wenn die Sowjetunion den ehrlichen Wunsch hat, zu diesem Ziel zu gelangen, so wird sie in Frankreich und, dessen bin ich sicher, in unseren Verbündeten, den festen Willen finden, die Voraussetzungen zu einer friedlichen, sich auf allgemeiner Abrüstung, auf gegenseitigem Verständnis und auf der Sorge um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gründenden Koexistenz zu schaffen. Unter diesen Bedingungen wüßte ich keinen Grund, weshalb wir die Zustimmung, um die ich Sie bitte, hinausschieben sollten, ebenso wie ich keinen Grund für die Regierung sehe, die Ratifizierungsdebatte, die Anfang November stattfinden müßte, hinauszuzögern.

Es wäre übrigens ein schwerer Fehler, die Londoner Beschlüsse nur unter dem militärischen Aspekt zu betrachten. Denn dieser ist in unseren Augen gar nicht mal der wichtigste. Ihr Ziel ist der Frieden, und in diesem Frieden die gemeinsame Arbeit für das Wohlergehen der Völker.

Wir haben das Fundament für eine erweiterte europäische Organisation gelegt, in der Großbritannien gemäß unseren Wünschen seinen Platz eingenommen hat, und in der es seine Verantwortung übernehmen wird. Diese Organisation hat im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich unbegrenzte Zuständigkeiten.

Die Vorkämpfer des europäischen Ideals werden doch wohl nicht die großen Möglichkeiten unbenutzt lassen, die sich hier zur schrittweisen Verwirklichung ihres Traumes anbieten.

Damit Frankreich aber sein ganzes Gewicht in dem Sinne, wie sie es sich wünschen, behalte, müssen Sie darauf bedacht sein, unserem Land seine Jugend und Tatkraft, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, wiederzugeben.

Die Freunde des Friedens und somit Sie alle, meine Damen und Herren, bitte ich, das zu billigen, was in mühsamer Arbeit aber ehrlich in London beschlossen wurde. Es ist dies ein Werk, das ich für nützlich und konstruktiv halte, und das morgen seinen ganzen Wert und Sinn unter Beweis stellen wird, ist doch sein Endzweck die Annäherung aller Völker, die guten Willens sind.

Denken Sie mal darüber nach, welches Drama sich für uns aus der Tatsache entwickeln kann, daß wir, der Westen, Deutschland nichts zu bieten haben. Alles, was es haben will, hat der Osten. Und wenn eines Tages erst der deutsche Generalstab die Oberhand über die Regierung seines Landes bekommt, wer weiß, wer dann die Macht in Deutschland hat! Aber Rußland braucht dieser Nation nur zu sagen: Ich werde dir die Einheit wiedergeben unter der einzigen Bedingung, daß du nicht im Lager meiner Feinde bleibst.“

Es folgte die Debatte. In der Abendsitzung (10.

Oktober 1954) ergriff Mendes-France wieder das Wort:

Die Teilnahme Großbritanniens

„Ich möchte zunächst einige Worte über die Teilnahme Großbritanniens an der Organisation von Brüssel und seinen militärischen Beitrag zur europäischen Sicherheit sagen. Ich war sehr erstaunt, als ich Herrn Paul Reynaud sagen hörte, es sei in dieser Hinsicht nicht viel Neues zu verzeichnen. Herr Paul Reynaud, dessen geringschätzige Ausführungen unseren britischen Freunden sicher Freude machen werden, meinte, diese englische Entscheidung sei doch ganz natürlich.

Ich möchte ihm aber ins Gedächtnis zurückrufen, daß Großbritannien, als es im letzten April tatsächlich einen angemessenen Beitrag zu leisten versprach, sich das Recht vorbehielt, zu jedem Augenblick über Umfang und Dauer dieses Beitrages ganz allein zu bestimmen. Es beabsichtigte, die Möglichkeit in der Hand zu behalten, jederzeit seine auf dem Kontinent stationierten Truppen abberufen zu können.

Heute sehen wir uns einer auf ein halbes Jahrhundert bemessenen Bindung Großbritanniens gegenüber, und im Gegensatz zu Herrn Paul Reynaud meine ich, daß dies für die Sicherheit Frankreichs ein Fortschritt ist. Auch andere Fortschritte sind zu verzeichnen, die alle diejenigen, die wie Herr Paul Reynaud von europäischem Geist beseelt sind, anerkennen dürften:

Die Einsetzung dieser Truppen wird nicht allein von der britischen Regierung sondern von dem internationalen, aus den sieben Ländern gebildeten und auf Mehrheitsbeschluß hin handelnden Organismus abhängen.

Da scheint mir die Beurteilung durch den Präsidenten Robert Schumann doch gerechter zu sein, der die britische Regierung dafür lobt, daß sie sich das erste Mal in ihrer Geschichte einer Majoritätsentscheidung 'fügt, und der den Wunsch zum Ausdruck bringt — der übrigens auch der meinige ist — daß es sich um einen Präzedenzfall handeln möge. Herr Spaak hat sich vor kurzem ähnlich ausgedrückt.

Einige Redner, unter anderen Herr Simonnet, haben behauptet, die Teilnahme Englands sei mit einem hohen Preis erkauft. Herr Bourgs-Mau-

noury und General Aumeran haben von einer Diskriminierung zu Gunsten Englands gesprochen.

Daß wir in einigen anderen Punkten seht viel geringere Konzessionen machen mußten, um Großbritanniens Einverständnis zu erhalten, nimmt die Herren dagegen nicht Wunder. Was übrigens die Festlegung der Territorien anbetrifft, die der Zuständigkeit des Ministerrates und der Waffenbehörde unterliegen, so haben wir es für ganz natürlich gefunden, diese auf das Festland zu beschränken. Die britischen Inseln also befinden sich außerhalb dieser Zuständigkeit, nicht dagegen die auf dem Kontinent stationierten englischen Truppen. Aber auch unsere überseeischen Gebiete liegen außerhalb.

Und so können wir denn nach Belieben dort und besonders in Nordafrika unsere Rüstungsindustrien ansiedeln. Daß es ein Fehler war, sie im Mutterland zu konzentrieren, hat ja die Vergangenheit bewiesen.

Herr Simonnet hat sich darüber beklagt, daß das Vereinigte Königreich die Rolle des Kontrolleurs hätte, ohne selbst unter Kontrolle zu stehen. Haben wir denn aber vergessen, daß wir bei der Ausarbeitung eines kollektiven Verteidigungssystems in erster Linie den aus einem Wiedererstarken der deutschen Militärmacht entstehenden Gefahren begegnen wollten? In dem Augenblick aber, wo wir jegliche Diskriminierung ausschließen wollen, müssen wir uns auch denselben Kontrollregeln unterwerfen, wie Deutschland. Ja, wir haben noch nicht einmal auch nur einen Augenblick daran gedacht, die britische Bewaffnung zu überwachen, käme doch kein Franzose auf die Idee, ihr gegenüber auch nur den geringsten Argwohn zu hegen!

Ganz im Gegenteil, es ist gar nicht mal schlecht, daß England in dem System als Kontrolleur auftritt. Denn die Kontrolle der Deutschen durch die Franzosen, der Franzosen durch Deutsche, so wie es im Rahmen der EVG vorgesehen war, hätte mit Sicherheit die Beziehungen zwischen den beiden Ländern vergiftet. Jetzt aber könnte Großbritannien im Notfälle die Rolle des Schiedsrichters übernehmen und zur Festigung der europäischen Zusammenarbeit beitragen. Ich bin überrascht, daß hier eben Protestrufe laut wurden. Ich hoffe ja nicht, daß erneute Zwischenfälle Frankreich und Deutschland gegeneinander führen, aber ich versichere Ihnen, daß die Gegenwart Englands ein Moment der Stabilisierung für die europäischen Beziehungen darstellen wird.

Einige Sprecher — Herr Bourges-Maunoury insbesondere — glauben nicht, daß Europa zu siebt politisch lebensfähig sei. Ich bin nicht dieser Meinung, Mit anderen Kollegen, wie Herrn Loustaunau-Lacau, bin ich mir in der Freude über die Teilnahme Englands an dem Bau Europas einig. Gewiß ist es möglich, daß England gewissen Traditionen itreubleibend mit sehr großer Vorsicht und Bedächtigkeit zu Werke gehen wird. Aber das Wichtigste ist doch, daß wir überhaupt vorwärtskommen, daß wir zu einer Zusammenarbeit zwischen den meisten Ländern Westeuropas gelangen, die immer vertrauensvoller wird!

Das Problem der Wiedervereinigung

Herr Loustaunau-Lacau fürchtet, daß die Bundesregierung in der Wiederherstellung ihrer Souveränität eine Ermunterung dazu erblicken könnte, nun auch die deutsche Einheit wieder herzustellen. Wer aber könnte denn Deutsch land daran hindern, nach Einheit zu streben? Ist diese Einheit nicht auch notwendig zur Stabilisierung Europas?

Ich wiederhole noch einmal: Nichts kann Deutschland jemals daran hindern, seine Einheit wiederzuerlangen, deren Wiederherstellung im übrigen einen jener Unruheherde beseitigen würde, unter denen Europa zur Zeit leidet.

Was das Problem der Wiedervereinigung anbetrifft, so wurden dazu ja sehr einleuchtende Erklärungen von Präsident Schuman und von Herrn Simonnet abgegeben. Der Paragraph 3 des Artikels 7 des Bonner Vertrages war Gegenstand heftiger Debatten geworden. Es schien mir daher wünschenswert, auf einen Text zu verzichten, der von Seiten hervorragender Persönlichkeiten derartig widerspruchsvolle Auslegungen erfährt. Als ich vor der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten von der Rückkehr zum gemeinsamen Recht sprach, wollte ich sagen, daß dieses Problem doch eigentlich Gegenstand des internationalen Rechtes und seiner ganz normalen Regeln und nicht eines Textes ist, dessen Auslegung zu den ernstesten Schwierigkeiten hätte führen können. Dann hatten in dem in Frage kommenden Artikel die drei westlichen Regierungen die schwerwiegende Verpflichtung übernommen, die der Bundesrepublik zugestandenen Vorteile auf das gesamte Deutschland auszudehnen. Es schien mir daher klüger, diese Bestimmung nicht weiter aufrecht zu erhalten. Der zweite Grund also, um diesen Artikel zu streichen.

Natürlich können wir nicht voraussehen, unter welchen Bedingungen sich eines Tages die Wiedervereinigung Deutschlands vollziehen wird. Auf politischer Ebene können die verschiedensten Situationen gegeben sein. Das vorauszubestimmen liegt nicht in unserer Möglichkeit. Wenn aber di: Bundesrepublik derjenige Teil ist, der den anderen einverleibt, dann wird sie sich von vielen internationalen Verpflichtungen nicht entbinden können. Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten mit Deutschland und unseren Verbündeten verhandelt werden, um zu den verschiedenen Möglichkeiten die entsprechenden gemeinsamen Vorkehrungen zu beschließen.

Die Frage des Generalstabes

Was nun die verschiedenen Arten der Wieder-bewaffnung angeht, so habe ich immer gesagt, daß die unangenehme Alternative entweder Europäische Verteidigungsgemeinschaft oder Wiederherstellung einer unabhängigen, unkontrollierten und unbegrenzten Wehrmacht nicht der Wirklichkeit entspricht. Lind in der Tat, nach Ablehnung der EVG wird man nun gegen Ende der Woche einen neuen Plan ausgearbeitet und den Parlamenten vorgelegt haben können, einen Plan, der nicht die unbegrenzte, unabhängige und unkontrollierte Wiederaufrüstung Deutschlands enthält.

Ich werde die Maßnahmen noch darlegen, die ins Auge gefaßt wurden, um jene Gefahren abzuwenden, vor denen sich jeder Franzose fürchtet. Herr Guy Mollet hatte da einige technische Fragen angeschnitten: Die Situation der Offiziere, der Kriegsschulen, die Integration der Einheiten. Er hat erklärt, daß seine Vorschläge, die ich durchaus gutheißen kann, im Rahmen -der Londoner Vereinbarungen zu realisieren seien.

Die endgültigen Entscheidungen hängen ja nun nicht nur von uns ab. Aber wir werden uns bemühen, die Garantien, die von Herrn Guy Mollet verlangt werden, zu bekommen, und besonders die, daß die Integrierung so weit wie möglich betrieben wird.

Ich möchte jetzt den Herren Paul Reynaud und Teitgen antworten. Herr Reynaud sagte, er sei im Hinblick auf die Wiederherstellung einer unabhängigen deutschen Nationalarmee und eines großen Generalstabes sehr beunruhigt.

Nun denn, in diesem Fall spricht man immer gerne vom „großen" Generalstab um der Polemik willen. Ich ziehe es vor, die Dinge realistisch zu sehen, denn eine Überzeugung läßt sich nicht durch Beiwörter bestimmen. Ich werde also die getroffenen Vorkehrungen erläutern. Was den deutschen Generalstab anbetrifft, so sind die Garantien derartig beschaffen, daß die Gefahren geringer sind, als bei der EVG. Denn im Rahmen der EVG beruhten die Garantien auf der Achtung vor einem Text, den man aber verdreht auslegen, gegen den man verstoßen kann. In dem neuen Projekt handelt es sich dagegen um materielle Garantien, die auf einer konkreten Organisation fußen. Im Rahmen der EVG bildeten deutsche Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere und Generale in deutschen auf deutschem Gebiet stationierten Einheiten die Basis. Die höchste regionale Befehlsgewalt oblag einem nationalen Delegierten, einem deutschen General. Dieser konnte sich mit Unterkommandanten umgeben, und somit stellte dieser Organismus, wie man ihn auch bezeichnen mag, einen Generalstab dar.

Das soll keine Kritik sein. Eine derartige Anordnung war nicht zu vermeiden. Denn gemäß der Artikel 75 und 78 a des Vertrages von Paris und des Paragraphen 6 vom Protokoll mußten die Rekrutierung, die Mobilisierung und die Aufstellung der Einheiten im Einvernehmen mit den betreffenden Regierungen vorgenommen werden. Hierfür waren entsprechende Organismen nötig, gleich wie man sie nun nennen mag.

In der neuen Organisation ist das nun ganz anders. Es gibt keinen nationalen Delegierten. Infolgedessen gibt es auch keinen Generalstab, der bei der anderen Fassung unvermeidbar war. Natürlich werden die Deutschen gewisse Aufgaben zu erledigen haben, die Generalstabsarbeit sind und mit ihnen werden Organe betraut, die man als Generalstab bezeichnen kann, denen man aber auch irgendeinen anderen Namen geben könnte. Immerhin, es sind Generalstäbe. Welches aber sind nun ihre Aufgabenbereiche, gemessen an den französischen Verhältnissen?

Das Erste Büro befaßte sich mit den Truppen-beständen, also mit Dingen, die unabhängig von der Gesamtkonzeption, sei es nun EVG, Brüsseler Vertrag oder NATO, erledigt werden müssen. Es ist eine strenge Kontrolle vorgesehen, Festlegung von Höchststärken, Inspektionen durch den obersten Befehlshaber, Abfassung regelmäßiger Berichte, die durch die Zentralstelle der Versammlung vorgelegt werden, die die Gesamtheit der Operationen zu überwachen hat. Alle Angehörigen der deutschen Armee unterstehen der NATO; für die französische Armee wird der Fall nicht genauso liegen. Die interalliierte Behörde wird eine genaue Kontrolle über die gesamte deutsche Armee ausüben. Geheimabkommen, wie dasjenige, das damals zwischen der alten Reichs-wehr und der Sowjetunion abgeschlossen wurde, auf Grund dessen deutsche Offiziere in diesem Lande ausgebildet werden konnten, werden in der neuen Organisation unmöglich sein. Es wird auch keine Täuschungsmanöver mehr geben können wie die, die wir zwischen den beiden Weltkriegen erleben mußten.

Die Aufgaben des zweiten Büros würden für Deutschland dieselben sein, wie wenn wir die EVG beibehalten hätten. Im übrigen hat Deutschland ja bereits seit langer Zeit einen sol-chen Dienst, wie es der Fall John unbestreitbar erwiesen hat.

Das dritte Büro widmet sich operativen Aufgaben. In der gegenwärtigen Organisation aber hängt keine der genannten Tätigkeiten von einem deutschen Generalstab ab. Sie unterliegen alle den interalliierten Behörden. Der Ober-befehlshaber und die ihm unterstellten alliierten Dienststellen sind allein ihnen gegenüber verantwortlich.

Das vierte Büro spielt eine besonders wichtige Rolle, da ihm fast das gesamte Aufgaben-gebiet der TruppenVersorgung obliegt. Die Nachschubmittel der verbündeten Armeen werden weitgehend integriert werden, und das Londoner Übereinkommen sieht in dieser Hinsicht für den interalliierten Chef sehr umfassende Vollmachten vor.

Teitgen: „Eine Militärbehörde ist wirksam durch das Geld, über das sie verfügt, durch die Fabriken, die sie anweist oder leitet, durch die Menschen, die in ihren Diensten stehen. Bei der EVG war es so, daß das Geld aus einer gemeinsamen vom eropäischen Kommissariat gebildeten Kasse kam. In dem augenblicklichen System kommt das für die deutsche Armee bestimmte Geld aus einem nationalen, von den deutschen Behörden gebildeten Fond. Bei der EVG wurden die Produktionsmittel durch das europäische Kommissariat gesteuert. In dem gegenwärtigen System hat Deutschland darüber zu bestimmen. Die EVG hatte vorgesehen, daß Ausbildung, Gruppierung, Ernennung und Beförderung durch das europäische Kommissariat vorgenommen werde. Bei dem jetzigen System aber ist es der deutsche Generalstab, der rekrutiert, ernennt und der seine Unteroffiziere, Offiziere und Generale bis zum höchsten Grad befördert. Ohne Zweifel überträgt dieses System der deutschen Militärbehörde viel größere Vollmachten, als die EVG.“

Mendes-France: „Sie behaupten da gewisse Dinge, die anzuschneiden im Augenblick verfrüht wäre. Wenn Sie zum Beispiel sagen, daß die Beförderung der deutschen Soldaten ausschließlich Sache der deutschen Militärbehörde sei, so sind Sie besser informiert als Herr Guy Mollet und ich. Ich bin außerstande, Ihnen an diesem Abend eine Beschreibung der Dinge zu geben, die sich aus künftigen Entscheidungen entwik-keln könnten. Ich kann Ihnen nur über das berichten, was in London beschlossen wurde, und ich kann Ihnen versichern, daß die Vorsichtsmaßnahmen, die wir gegen ein eventuelles Überhandnehmen des deutschen Militarismus vorgesehen haben, ebensogut sind, ja, wenn nicht noch besser, als die, die im EVG-Vertrag enthalten waren.

Der Gebrauch der deutschen Streitkräfte --das heißt also ihre Placierung und ihre Verlegungen — wird ausschließlich unter Aufsicht der internationalen Behörde vollzogen, ebenso wie alles, was mit Transport, mit Nachrichtenübertragung, mit Meteorologie, mit Radar, mit der Intendantur und den Treibstoffen zu tun hat. Der General Gruenther hat somit sagen können, daß unter diesen Umständen eine eigene Initiative der deutschen Armee undenkbar sei, denn in Ermangelung von Nachschubmitteln müßte diese Armee den Kampf nach wenigen Stunden bereits aufgeben. Im übrigen hängt die interalliierte Nachschuborganisation in weitem Maße vom französischen Territorium ab und entzieht sich somit jeglicher gefährlichen deutschen Initiative. Da also liegen die echten Garantien. Und die, die da klagen, die deutsche Armee werde eine zu große Unabhängigkeit haben, frage ich, was denn das wohl für eine Unabhängigkeit ist, wenn die Treibstoffversorgung dieser Armee ganz ausschließlich von der interalliierten Behörde aus geregelt wird.

Übrigens widerspricht sich Herr Teitgen. Er hatte sich doch darüber gewundert, daß man die Befehlsgewalt des Oberbefehlshabers erweitert hat, und hatte ursprünglich gegen diese Entscheidung protestiert. Wir aber haben allen Grund gehabt, sie zu erbitten und sind froh, sie erlangt zu haben, denn sie enthält eine sehr wichtige Garantie zu unseren Gunsten! Denn die Vollmacht der interalliierten Behörde, die deutschen Truppen wo sie will zu stationieren, und dies zu jedem ihr genehmen Zeitpunkt, ist der beste Schutz gegen eine gefährliche einseitige Initiative Deutschlands. Diese französische Regierung weiß sich übrigens eins mit ihren Vorgängerinnen, die seit langem eine derartige Entscheidung erbeten hatten.“

De Menthon (M. R. P.): „Der Artikel C, auf den Sie anspielen, enthält für den Aufmarsch der Streitkräfte einen Passus, und zwar heißt es da . nach Konsultierung und Einwilligung der interessierten nationalen Behörden'. Mir scheint, daß diese Klausel die Wirksamkeit der von Ihnen erwähnten Garantien abschwächt.“

Mendes-France: „Keineswegs! Die internationale Behörde, die die Positionen der nationalen Streitkräfte bestimmt, wird sie zwar nicht ohne Einwilligung der betreffenden Regierung verlegen können. Aber, und hier liegt ein bedeutsamer Punkt, die nationale Behörde, Regierung oder der nationale Generalstab wird sie aus eigener Machtvollkommenheit auch nicht verlegen können. Die nationale Behörde wird also die Streitkräfte weder an Punkten zusammenziehen können, wo ihre Anwesenheit Konflikte auslösen würde, noch wird sie sie in gefährliche Nähe dieser oder jener Grenze verbringen können. Sie hat also keine Vollmacht über ihre Truppen, und darin liegt eben eine wesentliche Garantie gegen die Gefahren, die wir befürchten müssen. Wir haben die Pflicht, soviel wie möglich derartige Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, und ich wünschte, die Integration der Nationalarmeen würde soweit es nur irgend geht vorangetrieben werden. Und wir werden weiterhin alle unsere Kräfte einsetzen, um unsere Partner von der Notwendigkeit derartiger Maßnahmen zu überzeugen und sie zu entsprechenden Schritten zu veranlassen.

Die Kontrolle kann eine konstruktive sein

Ich will jetzt die Frage der Bewaffnung untersuchen. Die Herren Soustelle, Bourges-Manoury und Guy Mollet hatten den Wunsch geäußert, die Rüstungsbehörde möge nicht nur mit Kontrollvollmachten versehen werden, sondern ihr solle auch die Verteilung der von Amerika zugestandenen Hilfe obliegen. Dies ist genau die Forderung, die wir in London vertreten haben. Trotz unserer Bemühungen haben wir aber bis jetzt die erwünschte Entscheidung nicht durchsetzen können. Aber ich bin gewillt, meine Anstrengungen fortzusetzen, wie einige Redner es erbeten haben, um eine Entscheidung herbeizuführen, die unseren gemeinsamen Wünschen näherkommt.

Ich bin auch sehr erfreut, daß mehrere unter Ihnen darauf bestanden haben, daß alles unternommen werde, um die technischen, die finanziellen und administrativen Kontrollen zu verstärken und wirksamer zu gestalten. Ich weiß sehr wohl, daß in Frankreich ein gewisser Skeptizismus im Hinblick auf die Wirksamkeit von Kontrollen herrscht. Man hat an unsere Enttäuschung zwischen den beiden Weltkriegen erinnert. Aber man sollte nicht übertreiben und den Glauben aufkommen lassen, diese Kontrollen seien völlig unwirksam gewesen. Im Gegenteil, sie haben sehr konkrete Resultate gezeitigt. Um es genau zu sagen, sie waren deshalb in Mißkredit geraten, weil sie einseitig waren. Wenn ein einzelnes Land einem Zwang unterworfen wird, revoltiert es und findet fast überall Zustimmung. Wenn aber eine Kontrolle allgemeinen Charakter trägt, wenn sie auf alle Länder eines Bündnissystems oder einer Föderation angewandt wird, anerkennt jeder ihre Berechtigung, was ihre Wirksamkeit unendlich hebt. Und dann noch etwas: Nach 1920 bemühte man sich in erster Linie, die geheimen Verbände aufzuspüren, die militärischen Tarnorganisationen, wie Frontkämpfer-und Sportverbände. Heute ist das anders geworden. Die Kontrolle erstreckt sich in erster Linie auf das Budget und die Rüstungsfabrikation. Rüstungskredite wirken sich nämlich in unseren Tagen derartig aus, daß es nur äußerst schwierig ist, sie zu verbergen.

Ebenso kann eine Fabrik, die in der Lage ist, Tanks oder Flugzeuge herzustellen, nicht unbekannt bleiben. Ich erinnere mich, General Gruenther einmal im Scherz sagen gehört zu haben, er mache sich stark, zu garantieren, daß keine Fabrik, die ferngelenkte Apparate baue, behaupten könne, sie fabriziere Kinderwagen.

Ein anderer Einwand wurde im Hinblick auf das Kontrollprinzip selber gemacht. Herr Robert Schuman sagte: Die Kontrolle ist der Ausdruck des Mißtrauens. Sie schafft nichts Konstruktives.

Meiner Meinung nach ist sie kein Ausdruck des Mißtrauens, sie ist eher ein Heilmittel dagegen.

In einer Welt, die von so vielen Konflikten zerrissen wurde, ist die Kontrolle zweifellos die Vorbedingung zur Wiederherstellung des Vertrauens.

Sie ist darum konstruktiv, weil sie das Fundament für ein Gebäude legt, das ohne sie Gefahr laufen würde, schon während des Baues zusammenzustürzen.

Aber es gibt da noch etwas sehr viel Wichtigeres als die Kontrollen post festum. Und das ist die in sich geschlossene Organisation der

Fussnoten

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