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Vom Stammbaum und Schicksal deutscher Farben | APuZ 1/1955 | bpb.de

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APuZ 1/1955 Vom Stammbaum und Schicksal deutscher Farben

Vom Stammbaum und Schicksal deutscher Farben

Paul Wentzcke

Als am 17. Juli 1954 der verstorbene Bundestagspräsident Dr. Ehlers Theodor Heuss zu seiner Wiederwahl feierlich beglückwünschte, betonte er nachdrücklich die Notwendigkeit einer echten Repräsentation des Staates. „Das deutsche Volk ist so arm an Symbolik geworden“, fügte er hinzu, „daß jedes echte Symbol unter uns gehütet und gepflegt werden muß. Das gilt für die schwarz-rot-goldene Fahne ebenso wie für die Nationalhymne“. —

Zu dieser Pflege, fügen wir hinzu, gehört das Zurückgehen auf eine reiche Vergangenheit, in der Volk und Staat sie aufnahmen, gehört das Verständnis für die geschichtliche Bedeutung solcher Sinnbilder und für die Wandlungen, die sie erfahren haben. In dieser Hinsicht überwuchert die Legende in mancherlei Formen die meist einfache, selbstverständliche Wahrheit. Für das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“, das Friedrich Ebert am Verfassungstag (11. August) des Jahres 1922 zum „festlichen Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle“ erhob, sind Vorgeschichte, Ursprung und Schicksal seit langem geklärt. In der Überlieferung des österreichischen Herrscherhauses und Staates, die sich im siebzehnten Jahrhundert in der Verteidigung des ganzen Vaterlandes gegen West und Ost bewährten, verfolgen wir Dauer und Wechsel von Wünschen und Forderungen des Volkes. In den Befreiungskriegen, die vor 140 Jahren zum letzten Male gemeinsame Erfolge aller deutschen Landschaften gegen äußere Feinde brachten, erstand ein neuer Inhalt, dem der in Schlesien und in Flandern gleichermaßen heimische Westfale Hoffmann von Fallersleben die letzte Prägung zu geben wußte. Als er 1841 auf dem damals britischen Helgoland seinen sangbaren Versen die herrliche Melodie des Burgenländers Josef Haydn unterlegte, schloß sich der Kreis der aus den wichtigsten Grenzmarken des alten Reichs einströmenden Anregungen. Wie lange es dann noch währte, bis sich das „Lied der Deutschen“ gegen die Fürstenhymnen der einzelnen Bundesstaaten sowie gegen die ebenfalls nach 1840 entstandenen Rheinlandgesänge durchzusetzen vermochte, zeigt eindeutig die Schwere, zugleich die Wichtigkeit solcher Entscheidung.

Standarte und Farben im alten Reich Mit der Geschichte „deutscher Farben“ ist es schlechter bestellt. Vier Mal hat sich innerhalb eines Jahrhunderts, zwischen 1819 und 1919, die „öffentliche Meinung“ in Deutschland mit ihr beschäftigt, ohne zu einem festen Ergebnis zu gelangen. Die Wissenschaft hielt sich zurück. Lediglich ein Seitenzweig der Historie, die Heraldik, glaubte ab und an, aus den im hohen Mittelalter festgelegten Grundregeln der Wappenkunde und der Heroldskunst farbige Symbole, die dem Volk lieb und teuer wurden, ableiten zu können. Ausdrucksformen ältester und älterer Zeit sollten die gleiche Sprache sprechen, gleiche Gedankenverbindungen auslösen, die der Gegenwart vertraut waren. An der Vielfalt solcher Erscheinungen scheiterte der Versuch. Als daher seit 1920 ein verhängnisvoller »Flaggenstreit“ die Anfänge der ersten deutschen Republik belastete, fehlten wesentliche Voraussetzungen, Stammbaum und Schicksal zu deuten, das neue und doch alte Schwarz-Rot-Gold von dem Schwarz-Weiß-Rot des Bismarckschen Kaiserreichs zu scheiden, ohne auch diesen Farben die schuldige Achtung zu versagen. Dann erst zeigte sich der Forschung ein weites, von Irrgängen und Sackgassen durchschnittenes Feld. Ohne Kultur-und Kunstübung, Kirchengeschichte, Rechtswesen und Geistesleben, Heeres-und Schiffahrtskunde auszuschließen, trat bei ernsthafter Prüfung zahlreicher Einzelzeugnisse das politische Schicksal des deutschen Volkes und seiner verschiedenen Staatsschöpfungen in den Mittelpunkt. Da man immer wieder geneigt war, Entstehung und Aus-deutung beider „Trikoloren“ in die großen Jahrhunderte des abendländischen Mittelalters zu verlegen, erschien es nötig, auch hier die kritische Sonde anzusetzen und eindringlich nach den dieser Zeit entsprechenden Symbolen zu fragen, vor allem dem Ursprung der damals zu Lande und zur See gültigen Flaggen nachzügehen.

Von Staat und Nation in unserem Sinne ist bei einem solchen Rückblick keine Rede. Lediglich der König und Kaiser tritt hervor. Was ihn über das Volk und selbst über die Fürsten gleicher Abkunft erhöht, hat derGöttingerHistoriker PercyErnstSchramminaufschlußreichen Studien hervorgehoben und damit die „Symbolik der Herrschaft“ als einen neuen Zweig der Wissenschaft begründet. In erstaunlicher Fülle bezeugen die von ihm ausgewählten schriftlichen und bildlichen Quellen sowie nicht zuletzt die in weltlichen und geistlichen Schatzkammern, in Kirchen und Gewölben ruhenden Einzelstücke die tiefe Deutung der Reichskleinodien. Geht man ihr nach, führt sie in ganz verschiedene Bereiche: „in den antiken Götterhimmel und in die germanische Magie, in das Zeremoniell des römisch-byzantinischen Kaiserhofes und in die christliche Allegorie, in die Region der Wehrhaftigkeit und die kirchliche Hierarchie“. Den Sinnbildern des weltlichen Regiments, Krone, Szepter, Reichsapfel und Schwert, Thronsitz und Herrschermantel, traten in der heiligen Lanze, in größeren und kleineren Tragekreuzen sowie Reliquienbehältern die Zeichen des Hohenpriestertums, das dem Herrscher nach der Aussage des Alten Testaments zukam, an die Seite. Von den Anfängen einer abendländischen Völkergemeinschaft bis ins fünfzehnte Jahrhundert, das als „Geburtsstunde“ des souveränen modernen Staates gelten darf, bildeten sich festere Regeln und Formen aus. Epochen der Ruhe folgten stürmische Bewegung und lebendiger Wechsel. In diesen äußeren Zeichen spiegelte sich zunächst „das pulsierende Leben des mittelalterlichen Reichs als eines tatsächlichen Machtfaktors“, in der späteren Starrheit der Zerfall eines Staates, für dessen Eigenart der Staatsphilosoph Samuel von Pufendorf keine ausreichende Erklärung zu finden wußte.

Zugleich beschränkten sich, wie es jüngst erst die englische Krönungsfeier zeigte, ihr Gebrauch und ihr Herausstellen immer mehr auf besondere Gelegenheiten; für den Alltag hatte bereits Karl der Große aus germanischer wie aus römischer Vorzeit den Adler zum Sinnbild kaiserlicher Macht und Größe erhoben. Bestimmte Farben sind nicht be-kannt. Die Führung der goldenen Metallfarbe blieb dem Oberhaupt des Staates vorbehalten. Sächsische, salische und staufische Herrscher, die die „Stämme“ der Franken und Sachsen, der Bayern, Schwaben und Lothringer zu einem „Reich“ zusammenfügten, hielten an Farbe und Bild fest. Vor allem gab die Entwicklung von „Wappen", die ganz wörtlich aus der Zeichnung auf den Waffen, auf Helm, Schild und Satteldecke des Reiters und Ritters hervorgingen, dem schwarz gefiederten König der Vögel eine Vorzugsstellung. Wiesen schon früher die Reichskleinodien sowie andere Herrschaftssymbole das Zeichen des Kreuzes auf, so trat dies spätestens im elften Jahrhundert, je stärker der deutsche König im Kampf mit dem Papsttum die von diesem bezweifelte eigene christliche Gesinnung hervorheben mußte, bedeutsam hervor. Für uns bestimmt seitdem das Kriegswesen jeden weiteren Fortschritt.

Die einzelnen Heeresabteilungen wurden größer. Statt eines Vorkampfes von Mann zu Mann stellten sich ganze Schlachthaufen dem Gegner. Zu den Reitern stieß das Fußvolk. Ein Wappen oder auch ein „Ständer“ mit kleinem Wimpel, wie er bis dahin den Standort des Führers bestimmte, erschien nicht genügend. Um gleichartig bewaffnete Feinde zu unterscheiden und die eigenen Leute zu sammeln, brauchte man ein weit sichtbares Zeichen. Neben und vor den Romfahrten deutscher Könige stellten die Kreuzzüge schöpferische Aufgaben. Verschiedene Farben gaben Kenntnis nicht allein von Rang und Stand des einzelnen Ritters, sondern vor allem von der völkischen Herkunft ganzer Abteilungen. Gliedern wir die Entwicklung neuer Symbole in die Vergangenheit ein, wurden sich damit um die Wende des elften auf zwölften Jahrhunderts die „Nationen“

ihrer besonderen Art, ihrer Sprache und Herkunft bewußt.

Ein neues Symbol Bis in alle Einzelheiten läßt sich die Entwicklung der farbigen Schild-zeichen auf den Fahrten ins Heilige Land verfolgen. Auf dem ersten dieser Züge hefteten sich alle Teilnehmer als Christen ein rotes Kreuz an ihr Wams. Knapp hundert Jahre später zeigten die Heere verschiedenfarbige Kreuze, die Engländer in Weiß, die Franzosen in Rot, die Flamen in Grün. Friedrich Barbarossa, dem vornehmsten Fürsten der abendländischen Welt, gibt das lebenswahre Bild einer vatikanischen Handschrift einen farblosen Schild mit goldenem Kreuz. In denselben Jahrzehnten erhoben die hervorragendsten Reichsfürsten ebenfalls Anspruch auf das Hoheitszeichen des Herrschers. Bis in unsere Tage hat sich der Adler in seiner schwarzen Natur-farbe auf goldgelbem Grund behauptet; vom Schild und Wimpel des Kaisers und Königs bis zur Standarte des Bundespräsdenten hielt die deutsche Überlieferung an dem gleichen Zeichen fest. Eine rote Zunge oder gar die unnatürlich roten „Waffen“ dürfen als spätere Zutaten gelten, die seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts das Bild des vornehmsten Vogels verfeinern; ihre Ausdeutung gehört in die Geschichte der Heroldskunst, nur nebenbei in die gemeinsame Vergangenheit von Volk, Herrscher und Staat. Früher schon, am Ende der Stauferzeit, trug man dem Aufgebot des Reiches ein zweites, von den „Herrschaftszeichen“ in Herkunft und Aussehen verschiedenes Sinnbild, eine Fahne, voran.

Auch in diesem Falle lassen sich Herkunft und Brauch in die Frühzeit der verschiedensten Völker verfolgen. Unter Heinrich L, der mit der Eingliederung des gesamten Rheingebietes die Einheit des deutschen Königstums begründete, berichten Chroniken und Annalen vom Gebrauch farbiger Tücher bei der Verteidigung gegen die östlichen Nachbarn. Wenig später zeigen Handschriften, wie König und Kaiser als oberste Heerführer und Richter ihren Lehensleuten mit einer roten, bildlosen Fahne den Blut-bann und die Pflicht zur Heerfolge verliehen. Da sich ein solches Zeichen besser als die Adlerstandarte zur Sammlung größerer Scharen eignete, setzte es sich in dieser neuen Eigenschaft durch. Heinrich VI., der um die Wende des zwölften auf dreizehnten Jahrhunderts das mitteleuropäische Reich von der Ostsee bis zur Südspitze Siziliens ausdehnte, werden neben und vor dem Adlerschild, das seine Person hervorhebt, Wimpel mit dem Kreuzzeichen vorangetragen: Sinnbilder des christlichen Kreuzzugsgedankens und des Gottesfriedens, verbunden mit dem Recht auf Leben und Tod.

Überraschend schnell setzte sich das neue Symbol, wenn man von einem solchen sehr vorsichtig sprechen darf, durch. ImThronstreit zwischen Welfen und Staufern, zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Österreich, zwischen Wittelsbachern, Luxemburgern und Habsburgern suchten beide Teile durch die Führung eines roten, mit weißem Kreuz geschmückten Banners ihr Recht auf die Herrschaft zu beweisen. In Notzeit und Kampf gab ihm ein volles Jahrhundert lebendige Kraft. Ob auch die „Reichssturmfahne“, deren Besitz im vierzehnten Jahrhundert zu einem der vielen „Erbämter" wurde, die gleichen Farben aufwies, wissen wir nicht; als wiederum einige Menschenalter später die mit dem Banner verbundenen Rechte zum Gegenstand diplomatischer Auseinandersetzungen und juristischer Entscheidungen wurden, wußten die eingereichten Schriftsätze weder über die Herkunft noch über das Aussehen des viel-umworbenen Feldzeichens zu berichten! In der Verfassungsgeschichte zeigte schon früher die Schilderung des Leichenbegängnisses, das man dem Luxemburger Karl IV. in Prag bereitete, eine scharfe Zensur. Bei dem Heimgang des Kaisers, der auf dem Reichstag zu Metz dem deutschen Staat in der Goldenen Bulle das erste gemeinsame Grundgesetz gegeben hatte, erwähnen unsere Quellen die rote, mit dem weißen Kreuz gezierte Blut-und Lehensfahne noch einmal an hervorragender Stelle. Unmittelbar vor dem Sarg folgte sie den Wappenwimpeln und Hoheitszeichen der böhmischen, schlesischen und brandenburgischen Landschaften, die die Hausmacht des Herrschers bildeten. Ist unsere Überlieferung richtig, ruhte das in einem späteren Verzeichnis (von 1387) besonders hervorgehobene Banner noch mit allen übrigen Kostbarkeiten in der Schatzkammer des Hradschin. Als Mitte des fünfzehnten Jahrhundert das deutsche Königtum im Hause der Habsburger erblich wurde, blieb der schwarze Adler im goldenen Schild das einzige farbige Symbol ihrer Herrschaft. Die alte Völkergemeinschaft war über diesem Wechsel der Dynastien endgültig zerschlagen. Um so stärker hielt man in den neuen, kleineren »Landesstaaten“ an Rot und Weiß in der verschiedensten Zusammensetzung fest. An dieser Stelle können nur wenige, ausgewählte Beispiele Umfang und Stärke einer solchen Überlieferung andeuten.

In Dänemark und in Savoyen, im Süden also und in der Nordmark Mitteleuropas behauptete sich seitdem das weiße Kreuz auf rotem Grund:

Im Danebrog, dem dänischen Reichsbanner, bis heute, im Herzstück des italienischen Wappens bis vor wenigen Jahren, als dem savoyischen Herrscherhaus die Republik folgte und dessen Farben entfernte. Im Kern des Reichs zeigten fast alle größeren Stände in irgendeiner Form und Fassung rot-weiße Farben: Erzbistümer, Bistümer und Abteien, Reichsstädte und Reichsdörfer, Straßburg und Köln ebenso wie Dortmund, Erfurt und Frankfurt, aber auch Wien und Reval. In der Schweiz ist der rote Schwenkei mit weißem Kreuz, den Rudolf von Habsburg der Schwyzer Talschaft als Zeichen ihrer reichsunmittelbaren Stellung verliehen hatte, zum Zeichen der Eidgenossenschaft geworden. In bewußt umgekehrter Farbengebung beherrscht seit mehr als hundert Jahren das rote Kreuz auf weißem Feld die internationalen Organisationen wechselseitiger Unterstützung und Hilfe, ohne daß man nach Herkunft und geschichtlicher Bedeutung fragt. Bis tief in die Nachbargebiete setzte sich diese Überlieferung fort. Den Niederlanden, die heute noch Rot und Weiß in ihrer Trikolore führen, gesellen sich Lothringen und Brabant, Hessen, Thüringen und Holstein, Pommern und Schlesien. Dem weißen Adler Polens, den das älteste englische Zeugnis von den Hoheitszeichen des Reichs ableitet, tritt in Tirol und in Brandenburg ein roter Adler in weißem Felde zur Seite, Für Österreich ist der rot-weiß-rote „Bindenschild", dessen Ableitung aus einer Herzog Leopold V. (um 1195) zugeschriebenen Heldentat sogar der Österreich-Film: 1. A p r i 1 2 0 0 0 übernahm, das volkstümliche Staatssymbol geblieben. Ähnliche Auswirkungen stellen wir in Böhmen und in den Alpenländern sowie donauabwärts in Ungarn und Kroatien fest. All diese Länder wurden durch deutschen Zuzug der abendländischen Kultur-, Wirtschafts-und Staatengemeinschaft erschlossen.

Die alte, vielfach bewährte Tatsache, daß der Annahme von Rechtsanschauungen die Weiterbildung ihrer Sprache und Sinnbilder folge, behält auch hier Geltung. Der jüngere Nachbar nutzt den Erfahrungsschatz des älteren, — ohne daß eine schriftliche Überlieferung oder gar der Dank für das Empfangene vorliegt!

Im Inneren des „Reichs“, das sich seinen Namen bis in die neueren Jahrhunderte bewahrte, bezeugen zwei Gruppen vordringlich die alte Bedeutung „deutscher Farben“. Als Vertreter der ersten gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen, die Deutschland in Übersee unterhielt, haben die drei nordischen Hansestädte, zu denen sich bis 1945 Danzig gesellte, an der Führung des weiß-roten Farbenpaars festgehalten: Hamburg mit der dreitürmigen weißen Burg, Bremen mit dem silbernen, schräg gestellten 11 Löv/en -2 Rösser -1 Panther -1 Bär Die Wappen und Farben der deutschen Bundesländer Unlängst hat sich da« neugeschaffene Land Baden-Württemberg sein Landeswappen gegeben. Dies bietet Veranlassung, einmal die Wappen und Farben der zehn Länder, welche die Deutsche Bundesrepublik bilden, einer Betrachtunq zu unterziehen. Sie sind im allgemeinen weniger bekannt als die Grenzen der Länder, ihre Hauptstädte und ihre Regierungschefs. Und doch verbirgt sich hinter ihnen meist viel Landesgeschichte und damit auch deutsche Stammesgeschichte.

Sechs Farben für zehn Länder übermäßig farbenfroh sind die deutschen Bundesländer nicht. Sie kommen für die zehn Flaggen mit insgesamt sechs Farben aus: mit schwarz, rot, gold, weiß blau, grün. Sieben von den zehn Ländern haben nur zwei Farben. Drei Länder haben weiß-rot als Landes-farbe, nämlich Berlin, Hamburg und Niedersachsen. Zwei Länder, Hessen und Bremen, führen die Farben rot-weiß. Die Farben von Bayern — weiß-blau — sind allgemein bekannt; als siebentes der zweifarbigen Länder führt das neue Land Baden-Württemberg die Farben schwarz gold.

Land ohne Fahne Das nördlichste der Bundesländer, Schleswig-Holstein, hat keine offiziellen Landesfarben, da die Landessatzung vom 13. 12. 1949 bewußt darauf verzichtet hat. Gebräuchlich sind die Farben der früheren Provinz Schleswig-Holstein: blau-weiß-rot. Die historischen Farben für Schleswig sind blau-gelb, die für Holstein: rot-weiß. Daraus entstanden die Farben der Provinz, die zum erstenmal 1844 beim Sängerfest in Schleswig gezeigt wurden und seitdem anerkannt sind. Auch das Land Rheinland-Pfalz hat keine eigenen Farben, sondern die der Bundesrepublik übernommen, führt aber in der schwarz-rot-goldenen Fahne als Gösch das Landeswappen. Das Land Nordrhein-Westfalen schließlich hat die Faren des Wappens übernommen: grün-weißt. Im einzelnen ergeben sich folgende Fahnen für die zehn Bundesländer:

Baden-Württemberg: schwarz-gelb Bayern: weiß-blau Berlin: weiß-rot Bremen: rot-weiß Hamburg: weiß-rotLiessen: rot-weiß Niedersachsen: weiß-rot Nordrhein-Westfalen: grün-weiß-rot Rheinland-Pfalz: schwarz-rot-gold Schleswig-Holstein: ohne Farben (gebräuchlich: blau-weiß-rot) Vier Bürgerkronen Alle zehn westdeutschen Länder griffen bei der Neuschöpfung der Wappen auf alle heraldische Vorbilder zurück. Schon die Weimarer Republik hatte alle monarchistischen Embleme wie Krone und Zepter aus den Wappen entfernt. Hitler beseitigte auch die letzten Reste der Eigenstaatlichkeit der Länder. Die Wappen und Farben mußten dem Hakenkreuz weichen. Die nach dem Kriege neu gebildeten Länder konnten durchweg auf alte Wappen zurückgreifen. In den zehn Wappen der jetzigen Bundesländer sind in Wirklichkeit die Wappen von insgesamt 20 alten deutschen Ländern zusammengefaßt. Die Königskronen von ehedem sind verschwunden, dafür haben vier der zehn Wappen Blatt-und Laub-oder, wie man sie allgemein nennt, Bürgerkronen. Es sind die Wappen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Warum hat Berlin den Bär?

Als Wappentiere erscheinen auf den zehn Wappen elf Löwen, zwei Rösser, ein Panther und ein Bär. Die Botanik ist nur mit Rose und Brennessel vertreten. Die Stadt-Länder haben die Stadt-Wappen übernommen: Bremen den silbernen Schlissel im roten Felde als Attribut des Apostels Petrus, des Schutzheiligen des Bremer Doms, Hamburg das aus dem 13. Jahrhundert stammende Wappen, ein Burgtor mit drei Türmen. Berlin schließlich hat den aus dem 13. Jahrhundert stammenden Bären Das älteste Siegel von Berlin ist der brandenburgische Adler, aber schon 1280 zeigte sich erstmals der Bär, der dann allmählich den Adler verdrängt und vom 17. Jahrhundert an allein das Wappentier ist. Berlin wählte den Bären, um ein „redendes" Wappen zu haben, weil Bar im Gleichklang der ersten Silbe von Ber -lin entspricht. Aus dem gleichen Grunde haben auch Bernau und Bernburg einen Bären im Wappen.

Vom staufischen Löwen zum Sachsenroß Das neue Land Baden-Württemberg hat nach langer Diskussion ein Wappen beschlossen, das auf goldenem Grunde drei schreitende staufische Löwen in schwarz mit roter Zunge zeigt. Bayern ist das einzige Land, das fünf Wappenfelder hat. Vom alten bayerischen Wappen wurden übernommen die 21 weiß-blauen Wecken, der dreizackige fränkische Reellen, die drei leopardierten Löwen als Symbol Schwabens und der pfälzische Löwe. Neu hinzugekommen ist auf dem fünften Feld der Panther als Symbols Altbayerns.

Hessen hat den alten hessischen Löwen übernommen, der jetzt zehnfach rot-weiß gestreift ist. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen führen das springende Roß im Wappen, Aus dem 13. Jahrhundert stammt das „Sachsenroß", das heute Niedersachsen als weißes Pferd in rotem Felde im Wappen führt. Nordrhein-Westfalen hat ein dreiteiliges Wappen: das silberne Westfalenroß auf rotem Grunde, als Symbol des Rheinlandes ein silbernes Wellenband auf grünem Grunde und schließlich die lippische rote Rose auf silbernem Feld.

Rheinland-Pfalz vereinigt die Symbole von drei Ländern in seinem Wappen: das rote Kreuz in weißem Feld für Kurtrier, das weiße Rad in rotem Feld für Kurmainz, den goldenen Löwen im schwarzen Feld für Kurpfalz.

Die holsteinische Brennessel Eine heraldisch ganz ungewöhnliche Pflanze führt Schleswig-Holstein im Wappen: die Nessel. Das zweigeteilte Wappen zeigt in der linken Hälfte zwei blaue Löwen auf goldenem Grund als Symbol Schleswigs und auf der anderen Hälfte eine silberne Nessel auf rotem Grund als Symbol Holsteins, über die Herkunft der Brennessel kündet eine alte Sage. Ein holsteinischer Herzog soll auf der Jagd bei Verrichtung eines dringenden Bedürfnisses statt Gras Brennessel gegriffen haben. Seit diesem Tag habe er die heimtückische Pflanze als Schildbelag gewählt, und von da kam sie ins Wappen.

Mit dem kleinen Spaziergang durch die heraldische Landschaft der Bundesrepublik ist zugleich ein großes Stück deutscher Geschichte abgeschritten.

A. M. hat, sondern er nat dies enenso aur uen ledu kommers der Katholischen Studentenverbindungen getan.

3. Der Bundesminister Strauß hat dabei sinngemäß folgendes ausgeführt:

Es ist keine Geste der Höflichkeit, wenn die Bundesregierung den Dritten Deutschen Studententag mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Bei’der feierlichen Eröffnung haben der Herr Bundespräsident und der Herr bayerische Ministerpräsident das Wort ergriffen. Bei der Schlußveranstaltung wird der Herr Bundesinnenminister die Bundesregierung vertreten und das Wort ergreifen. Steht doch der Dritte Deutsche Studententag unter dem Thema „Die Verantwortung des Studenten für Volk und Staat".

In diesem Sinne überbringe ich auf diesem die Feststellung, daß Bundesminister Strauß Waffenstudent oder Reaktionär sei.

(Heiterkeit und Beiiall bei den Regierungsparteien.) Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Schmidt eine Zusatzfrage!

Abg. Schmidt: Herr Bundesminister Strauß, Sie sagten soeben, daß die Bundesregierung auf diesem Studententag vermieden habe, zur Frage der studentischen Verbindungen und Korporationen Stellung zu nehmen. Ich glaube, das war Ihr Wortlaut. Was hat es dann zu bedeuten, daß Sie wörtlich ausgeführt haben, der engere Zusammenschluß aller Studentenschaften deutscher Zunge sei nunmehr wieder eine Notwendigkeit? ... kennen deutsche Verhältnisse nicht Dr. Greve (SPD):

Ist es richtig, daß der als Leiter des Dezernats 15 bei der Bundesbahndirektion Hannover tätige Bundesbahnrat Heinrich Schmücker in einer Beamtenversammlung in Alfeld geäußert hat: „Die Richter des Karlsruher Urteils kennen die deutschen Verhältnisse überhaupt nicht, da sie — ebenso wie die 1945er Spätlese — sich in London oder Moskau aufgehalten haben." Was hat die Bundesregierung getan, um den Sachverhalt zu ermitteln? Welche Schritte wird sie unternehmen, falls Bundesbahnrat Schmücker diese Äußerung getan hat?

Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:

Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß nach dem Bundesbahngesetz der oberste Dienstvorgesetzte der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Deutschen Bundesbahn nicht der Bundesminister für Verkehr, sondern der Vorstand der Deutschen Bundesbahn ist.

Der Bundesbahnrat Schmücker bestreitet, die ihm zur Last gelegte Äußerung über die Richter des Bundesverfassungsgerichts getan zu haben. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat auf Grund der Presseveröffentlichungen in der Zeitung „Welt der Arbeit" den Präsidenten der Bundesbahndirektion Hannover sofort veranlaßt, Vorermittlungen einzuleiten. Er hat sich aber dann genötigt gesehen, diese Vorermittlungen auf Grund des § 13 der Bundesdisziplinarordnung deswegen auszusetzen, weil der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts inzwischen Strafantrag wegen Vergehens gegen §§ 185 ff.des Strafgesetzbuches über den Herrn Staatssekretär des Landesjustizministeriums in Hannover gegen den Bundesbahnrat Schmücker gestellt hat. Wir werden die Angelegenheit auch weiterhin nach den Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung behandeln, die vorschreibt, daß zunächst das Strafverfahren zu entscheiden ist. Da es sich hierbei um zwei Verfahren handelt, die schweben, kann ich natürlich eine Meinung so lange nicht äußern, wie diese Verfahren nicht rechtskräftig entschieden sind.

Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Greve!

Abgeordneter Dr. Greve: Herr Minister, ist es demnach richtig, daß Sie die Strafanzeige, die der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts gegen den Herrn Bundesbahnrat Schmücker erstattet hat, für keine genügende Grundlage halten, Herrn Schmücker vom Dienst zu suspendieren?

Bundesminister Dr. Seebohm: Darüber hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn zu entscheiden.

Abg. Dr. Greve: Werden Sie den Vorstand der Deutschen Bundesbahn veranlassen, Herrn Bundesbahnrat Schmücker vom Dienst zu suspendieren? Bundesminister Dr. Seebohm: Ich kann den Vorstand der Deutschen Bundesbahn in diesem Falle nicht veranlassen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, weil mir das gesetzlich nicht zusteht. Ich kann ihn nur bitten, die Angelegenheit mit allem Ernst zu behandeln, und zwar mit dem Ernst, mit dem ich selber die Sache ansehe.

Kuizen AuenuaIt XIU emzemel __________ mir bei aller politischen Gewissenhaftigkeit nicht möglich war, (Heiterkeit)

die offiziellen Farben Schwarz-Rot-Gold gewesen sind. Sie können überzeugt sein, Kollege Schmidt: unter einer anderen offiziellen deutschen Fahne würde ich als Mitglied der Bundesregierung, aber auch als Mitglied des Bundestages nicht sprechen.

(Beiiall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Schmidt, bitte!

Abg. Schmidt: Herr Bundesminister, ich bin von dieser Ihrer letzten Erklärung außerordentlich befriedigt. Ich darf gleich hinzufügen, daß ich auch darüber sehr befriedigt war, daß Sie erklärt haben, daß sich auch der „Rheinische Merkur" irren könne.

(Heiterkeit.)

Autobahn-Bau kann beginnen Dr. Leiske (CDU):

Sind die technischen Vorarbeiten für die Planung derjenigen Autobahnen, deren Bau nach der Begründung zum Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes 1954 Abschnitt IV als vordringlich anzusehen ist, so weit gefördert und abgeschlossen, daß nach Verabschiedung des Verkehrsfinanzgesetzes der Bau dieser Bundesautobahnen unverzüglich begonnen und zügig durchgeführt werden kann?

Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:

Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Leiske mit Ja beantworten. Die schon vor längerer Zeit eingeleiteten Vorarbeiten sind se rechtzeitig abgeschlossen, daß der Bau ein ganzen Reihe von Autobahnteilstrecken na Freigabe der ersten Baumittel unverzüglich ginnen kann. Selbstverständlich gibt es r Strecken im Zuge des Gesamtprogramms, noch nicht bis ins letzte durchgearbeitet sin Wir sind aber der Meinung, daß wir mit diese Arbeiten, für die uns jetzt im Bundeshaushai ein Betrag von insgesamt 1, 23 Millionen DN bewilligt worden ist, so vorankommen, de die Durchführung der Bauten im Zuge dt Geldbewilligung ohne Schwierigkeiten erfc gen kann. Schlüssel im roten Feld, Lübeck mit einem Weiß und Rot quergeteilten Schild, neben dem der Reichsadler als besonderes Hoheitszeichen erscheint, Danzig mit zwei übereinander gestellten silbernen Kreuzen im roten Feld. Ähnlich betonten Schwaben und Franken, die Kernlande eines bis weit ins neunzehnte Jahrhundert gepflegten „Reichspatriotismus", ihre bevorzugte Stellung in der Gemeinschaft deutscher Länder und Staaten. Während das alte Herzogtum Schwaben drei schwarze Löwen auf Gold im Wappen trug, dessen Farben der neue Südwest-Staat Baden-Württemberg in seine Flagge und Standarte übernahm, führte der schwäbische, durch die Verfassungsreform Kaiser Maximilians I. anerkannte Kreis — wie die Schweizer Eidgenossenschaft — ein weißes Kreuz auf rotem Grund. Mit gleicher Deutlichkeit hielten die rot-weißen „Frankenfarben" die Erinnerung an die Jahrhunderte wach, in denen der deutsche König auf fränkischer Erde gewählt wurde und nach fränkischem Recht lebte.

Lediglich in kleineren Gemeinschaften aber konnte sich solch tief wurzelnde Überlieferung behaupten. Wie sich trotzdem in schwerster Notzeit dunkle Erinnerung emporrang, ein altes Symbol neue Anziehungskraft ausströmte, hat Heinrich von Srbik an einem einzelnen Beispiel nachgewiesen. Als nach Abschluß des dreißigjährigen Bruderkrieges die Türken-glocken von der Donau zum Rhein, vom Inn bis zur Mosel und Maas die Nation zum Gebet und zum Kampf aufriefen, sammelte sich 1683 hart vor den Mauern des belagerten Wien ein abendländisches Heer. „Deutsche und Romanen, Slaven und Magyaren, Katholiken und Prostetanten, Anhänger des imperialen Führerprinzips und der fürstlichen Libertät" retteten unter der Führung Herzog Karls V. von Lothingen, des Lehrmeisters eines Prinz Eugen und eines Marlborough, die Kaiserstadt. Das gemeinsame Feldzeichen aber war auf der Höhe des Kahlenberges eine rote Fahne mit dem weißen Kreuz, die keinem der Teilnehmer besonders, allen gemeinsam zugehörte. „Selbst wenn es den Kämpfenden nicht bewußt gewesen sein sollte, hat es nicht eine tiefere Bedeutung“, fragt der vor wenigen Jahren abgerufene Historiker Österreichs und der deutschen Einheit, „daß die Lehens-und Blutfahne des deutschen Königs, daß die Farben des Reichspaniers über diesen Truppen leuchtete?“

Herkunft und Deutung von Schwarz — Rot und Gold In Wahrheit wußte man damals schwerlich dieses Heerzeichen, das die weltlichen und religiösen Ansprüche und Verpflichtungen einer großen Tradition zum Ausdruck brachte, zu würdigen. Endgültig hatten die Landesherren die Nachfolge angetreten. Aus dem „Heiligen Reich deutscher Nation“ wuchsen mit Österreich und Preußen neue Großmächte heran; der Kurfürst von Sachsen bestieg den polnischen Thron, der bayerische Wittelsbacher wandte seinen nie gestillten Ehrgeiz der Kaiserkrone zu. Als daher 1801 das ganze linke Rheinufer an Frankreich abgetreten wurde, 1805 der von den beiden Anliegerstaaten abgeschlossene Rheinschiffahrtsvertrag für den Verkehr auf der nunmehr internationalen Wasserstraße eine Flagge in den Farben beider Partner (un pavillon miparti aux couleurs des deux empires) vorsah, konnte Frankreich seine neue, aus dem Blau-Rot der Stadt Paris und der weißen Fahne der Bourbonen zusammengesetzte Trikolore vorweisen; dem Reich stand kein entsprechendes Symbol zur Verfügung. Noch in den letzten Monaten staatsrechtlicher Wirksamkeit, die unmittelbar danach mit der Schaffung eines Rheinbundes und mit dem Rücktritt Kaiser Franz I. völlig zusammenbrach, blieb die Frage offen, ob die Standarte des Herrschers mit schwarzem Adler auf gelbem Grund oder das Rot und Weiß „deutscher Farben“ den Vorzug verdienten. Zu Lande und zur See, in Heer und Verwaltung ward beiden Zeichen Ansehen und Ehre, die die Geschichte der neueren Zeit den Sinnbildern eines Volkes und Staates zu geben vermag, versagt. Noch weniger ist an ihre bewußte Übernahme in das neuzehnte und zwanzigste Jahrhundert zu denken. So eifrig man bis in unsere Tage einen solchen Versuch wagte: es gibt keine Brücke, die Herrschaftszeichen und Staatssymbole des alten Reiches mit den schwarz-weiß-roten oder schwarz-rot-goldenen Farben verbindet, deren Aufstieg und Niedergang die jüngste Vergangenheit in tragischem Wechsel durchziehen. Ihre Herkunft zu verstehen, schlagen wir ein neues Blatt in der erregenden Chronik deutscher Vergangenheit um.

Mit den zwei folgereichsten Entscheidungen, die das Abendland bis zum ersten Weltkrieg kennt, mit der Erhebung der Vereinigten Staaten von Amerika und mit dem Souveränitätsanspruch einer Volksvertretung in Frankreich, hatte für den mitteleuropäischen Reichsbegriff die Stunde geschlagen. Zum erstenmal wurden neben und über den Zeichen der Fürsten, als den bislang einzigen Trägern der Staatsgewalt, Farben und Lieder zum Gemeingut eines Volkes. Von älteren Hymnen, die zu ihrer Aufnahme und Verbreitung bereits den bewußten Stolz von Ruhm und Größe einer Nation voraussetzen mußten, hatte vordem lediglich das „Rule Britannia“ Mitte des achtzehnten Jahrhunderts England als Herrscherin der Meere gefeiert. Jetzt folgte das Festland. Der in dem benachbarten Straßburg gedichteten Marseillaise, deren hinreißende Weise weit nach Süd-und Mitteldeutschland hineinwirkte, folgten 1797 das von Josef Haydn vertonte, dem letzten deutschen Kaiser gewidmete „Gott erhalte Franz den Kaiser“, das „Heil Dir im Siegerkranz“ und das „Preußenlied“ der zweiten deutschen Großmacht. Wiederum nach dem Vorgang der französischen Republik schufen sich in kleineren Staaten, die der Umbruch Europas in schneller Folge emporriß oder verwarf, zunächst die Fürsten ganz persönlich eigene Fahnen und Farben, ihre Bevölkerung nahm sie auf, ohne bei ihrer Entstehung mitzuwirken. Diese Entwicklung müssen wir festhalten, wollen wir den Ursprung neuer deutscher Farben nach seinem inneren Gehalt verstehen. Noch herrschte der Absolutismus. Auch er brauchte Zeugnisse und Symbole, die ihm die Gunst der Bürger und Bauern erwarben, deren Meinung aussprachen.

Jetzt erst schuf sich der im Frieden von Tilsit (1807) niedergeworfene und verstümmelte Staat Friedrichs des Großen eigene Farben. Wie wenig später die von Friedrich Schinkel entworfene Kriegsauszeichnung des Eisernen Kreuzes, wurden sie dem weißen, mit einem schwarzen Kreuz gezeichneten Mantel des Deutschen Ritterordens entnommen, der einst als einzige gesamt deutsche Körperschaft jenseit des Oder deutschen Bauern und Bürgern eine Heimat, dem Abendland eine sichere Schutz-wehr gegen den Ansturm des Ostens geboten hatte. Kurz zuvor waren die Farben des schwarzen Adlers auf gelbem Grund aus der Königsstandarte zum Sinnbild eines neuen österreichischen Gesamtstaates geworden. Die von dem Freiheitstaumel des Westens entfachte Sehnsucht des deutschen Volkes nach einer eigenen, inneren und äußeren Gemeinschaft steigerte solche Wünsche. Jahr für Jahr bewiesen Kriegsstürme und Verträge, daß die bisherigen Einzelstaaten keinen Frieden gewähren konnten, eine Koalition dem Eigennutz verfiel. Vergebens schlug der Freiherr vom Stein, dessen Gedanken in beharrendem und in revolutionärem Sinne bis heute fortleben, für einen deutschen Verteidigungsbeitrag die Vereinigung der schwarz-weißen Preußenfarben mit dem Schwarz-Gelb Österreichs vor. An der Uneinigkeit der dem gleichen Schicksal verfallenen Fürsten scheiterte der Vorschlag. Keiner wollte seine Selbständigkeit auch nur symbolisch aufgeben. Die Empfehlung, eine Farbe und e i n Feldzeichen einzuführen, „um die Macht eines Reichsoberhauptes zu begründen“, hatte einige Jahre danach (1814) den gleichen Mißerfolg. Um so lebhafter nahmen jetzt „Deutsche Gesellschaften“, deren Bedeutung der unlängst verstorbene Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft, Friedrich Meinecke, der Vergessenheit entriß, solche Auffassung mit veränderter Zielsetzung auf.

Für sie, die sich als Erben des „Reichspatriotismus“ in Schwaben und Franken sowie am Rhein fühlten, war nach den Erfahrungen der Befreiungskriege eine Einigung Deutschlands nur unter dem preußischen Königshaus zu erreichen. Wo immer in diesen Kreisen von einem sinnfälligen Abzeichen für das größere Vaterland gesprochen wurde, dachte man bis ins Jahr 1818 an das Schwarz-Weiß des Staates, in dem die Freunde eines Gneisenau, Niebuhr und Humboldt, eines Ernst Moritz Arndt und des Turnvaters Jahn den „Zwingherrn zur Deutschheit" erblickten. Ein Aufruf in dem von Josef Görres begründeten „Rheinischen Merkur“, eine „deutsche“ Freischar im neuen Kampf gegen Napoleon aufzustellen, fand bis in die mittel-und norddeutschen Hochschulen Anklang. Wie zahlreiche andere Entwicklungsreihen unserer Geschichte gewann der Gedanke 1817 auf dem Wartburgfest der akademischen Jugend Gestalt. Zum erstenmal führte ein gemeinsamer Wille Studenten vom Rhein und aus Ostpreußen, aus Kiel und Heidelberg im grünen Herzen Deutschlands zu festlicher Einkehr zusammen. Unmittelbar danach legten ältere Gönner in „Grundsätzen und Beschlüssen“ die Magna Charta einer neuen Zukunft nieder!

Mit der Forderung nach politischer, religiöser und wirtschaftlicher Einigung Deutschlands, nach Entwicklung seiner Wehrkraft, konstitutioneller Monarchie und Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, öffentlichem Gerichtsverfahren und Geschworenengerichten, nach einem gesamtdeutschen Gesetzbuch, Sicherheit des Eigentums, Abschaffung aller Geburtsvorrechte und insbesonders nach Rede-und Pressefreiheit, um nur einzelne vordringliche Fragen herauszuheben, eröffnete die politische Opposition den Kampf um Einheit und Freiheit, der dreißig Jahre danach zum ersten Sieg führen, über Ideale und Irrtümer der deutschen Revolution hinaus ein weiteres Jahrhundert fortwirken sollte. „E i n Deutschland ist, und e i n Deutschland soll sein und bleiben", hieß es:

„Je mehr die Deutschen durch verschiedene Staaten getrennt sind, desto heiliger ist die Pflicht jedes einzelnen, dahin zu streben, daß die Freiheit nicht verloren gehe, das Vaterland nicht verschwinde.“ Ein deutsches Nationallied, wie es in den gleichen Wochen der spätere Frankfurter Historiker Johann Friedrich Böhmer in jugendlichem Eifer vom Altmeister Goethe erhoffte, erschien den Professoren und Studenten Jenas nicht notwendig. Ihnen hatte Ernst Moritz Arndt mit der Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland“ bereits die Antwort gegeben. Als äußeres Symbol dagegen erschien eine „Nationalfarbe“ notwendig, und wiederum verlangte die Niederschrift das „Feldzeichen Blüchers“, des volkstümlichsten Heerführers Preußens, „die Farben des Ernstes und der Reinheit“. — Ein Erfolg, ja nur ein Abschluß fehlten diesem Aufruf. Wie im übrigen Mittel-und Süddeutschland wandte sich die öffentliche Meinung in Thüringen wenig später anderen Aufgaben zu. Als zunächst die kleinsten und kleineren Glieder des neuen Deutschen Bundes mit der Verleihung einer Verfassung ihre staatliche Unabhängigkeit stärker ausprägten und damit dem konstitutionellen Streben der Zeit entgegenkamen, traten die Verhandlungen der einzelnen Landtage in den Mittelpunkt der Aussprache. Aus völlig anderen Wurzel als bisher stieg eine neue „Farbe“ ans Licht.

Das Bild einer neuen Gemeinschaft Eine umwälzende Wandlung zeichnet sich ab. Bisher hatte das Volk Jahrhunderte hindurch in den Fürsten oder zum wenigsten in Persönlichkeiten, die durch Geburt und Stand zur Führung berufen waren, seine Vertreter anerkannt. Politik, die Beschäftigung mit den sozialen Gegebenheiten der Gegenwart und Zukunft, erschien „ein garstig Ding“. Kurz zuvor noch, im Jahre 1815, hatten die gegen Napoleon verbündeten Monarchen in Wien gemeinsam mit dem geschlagenen Frankreich Europa aufgeteilt, neue Staaten begründet, alte wiederhergestellt. Ein Widerspruch war kaum zu spüren. Jetzt entwarf die akademische Jugend auf dem Wartburgfest das Bild einer neuen Gemeinschaft. Unter dem Namen einer Burschenschaft, der in den kleineren ostdeutschen Hochschulen seit langem die ganze Studentenschaft umfaßte, erhob man zunächst in Jena, später an anderen Universitäten den Anspruch, für alle „ehrlichen und wehrlichen Burschen“ in Rechten und Pflichten einzustehen. In der Studentenschaft aber hatte bereits die „Aufklärung“ der letzten Jahrzehnte sowie nicht zuletzt der revolutionäre Umbruch der jüngsten Vergangenheit den Unterschied zwischen Ständen und Gesellschaften verwischt, an kleineren Plätzen, wie in Jena, vollkommen aufgehoben. Der Junker stand, wie der Sprößling des wohlhabenden Bürgers, neben dem Sohn des Arbeiters und des Handwerkers, der sich aus eigener Kraft mit Hilfe zahlreicher Stipendien hinaufarbeiten konnte. Nur die eigene Tüchtigkeit und der Einsatz in einer neuen Gemeinschaft besaßen Geltung. Aus ihr wurde das künftige Sinnbild von Freiheit und Einheit einer gesamtdeutschen Nation geboren.

In solcher Absicht forderte die sogenannte „Urburschenschaft“ in Jena in ihrer wortreichen Satzung, die uns die Demagogenverfolgung der nächsten Jahre in den Staatsarchiven erhalten hat, vorerst in einem geistigen Kampf Freiheit und Selbständigkeit des Vaterlandes zu erstreiten. „Eingedenk, daß bei den jugendlichen Freuden stets auch der Ernst .des Lebens zu bedenken sei“, bestimmte die Grüdungsurkunde vom 12. Juni 1815 „Rot und Schwarz zu den Farben ihres Paniers. Lim auch dafür zu wirken, daß eine deutsche Volkstracht, wie sie sich für deutsche Jünglinge geziemen möchte, eingeführt werde“, erwählte man zum „Feierkleide einen schwarzen Waffenrock mit Aufschlägen von rotem Samt, die mit Eichenblätter von Gold verziert sein können. . . . Die Schärpen, die bei feierlichen Aufzügen gebraucht werden, sind schwarz und rot, mit Gold durchwirkt.“ — Nach den verschiedensten Seiten hat man diese schlichten Sätze ausgedeutet; bald sollten sie an früheres Brauchtum studentischer „Landsmanschaften“ anknüpfen, bald legte man den Worten einen hohen symbolischen Sinn unter. In Wahrheit wurden lediglich die Farben, die die aus allen deutschen Gauen hervorgegangene Lützowsche Freischar in ihrer Uniform geführt hatte, in romantischer Form umschrieben!

Ihre Herkunft ist überraschend einfach. Als der Major von Lützow im Februar 1813 seinem König die Bildung einer solchen Hilfstruppe vorschlug, waren keine Uniformen vorhanden; man behalf sich damit, die Zivilröcke der bald in großer Zahl zuströmenden Freiwilligen einheitlich schwarz zu färben und sie mit roten Aufschlägen und roter Einfassung zu versehen, — in demselben Weinrot, das bis 1918 die preußischen und deutschen Uniformen zeigten. Eine Fahne durften die Freikorps nicht führen, da sie nicht dem Heere eingegliedert waren. Dagegen wiederholten die Lanzenfähnchen der Lützowschen Reiter diese schwarz-roten Uniformfarben, nicht anders wie auch die preußischen Ulanen damals nicht die schwarz-weißen Farben ihres Staates, sondern die der eigenen Regimentsuniform zeigten. Da die führenden Köpfe der Jenaer Burschenschaft aus der Freischar hervorgegangen waren und sich auch später zu ihr bekannten, erscheint die Übernahme durchaus verständlich. Wie die Satzung es vorschreibt zeigen die ersten Abbildungen die Fahne der jungen Burschenschaft in z w e i gleich breiten Bahnen, Rot und Schwarz, ohne jeglichen Zierat. Dann aber führten Zufall und Absicht zu einem wichtigen Wechsel.

Wie nach dem ersten Weltkrieg trugen die Studenten in der schweren Notzeit, die nach einem von wenigen Friedensjahren unterbrochenen zwanzigjährigen Ringen über Deutschland hereinbrach, nach ihrer Heimkehr aus dem Felde die alten Waffenröcke auf und trieben darin, wie vielfach nach 1918, „Wehrsport“. Daneben tummelten sich die Bürger Jenas in ähnlichen Waffenübungen, die sie als „L a n d s t u r m“ mit der „W ehrschaft" der jungen Akademiker zusammenführte. AIs im März 1816 der Friede endgültig gesichert schien, stickten die Frauen und Jungfrauen Jenas beiden Körperschaften Fahnen nach demselben Muster. Da beide Fahnen vor dem letzten Weltkrieg im Jenaer Stadt-museum nebeneinander zu vergleichen waren, ließ sich ihr Aussehen leicht nachprüfen. Die Fahne des Landsturms, die im März 1944 durch einen Luftangriff auf Jena vernichtet wurde, zeigte in drei gleichbreiten Bahnen die „sächsischen“ Farben Grün-Weiß-Grün mit einem silbernen Eichenzweig und silbernen Fransen; das Banner der Burschenschaft weist in zahlreichen, originalgetreuen Nachbildungen Rot-Schwarz-Rot, ebenfalls in gleichbreiten Bahnen, mit einem goldenen Eichen-zweig und goldenen Fransen auf, — wiederum ist das Rot dem Waffenrock der Lützower und der preußischen Uniform entnommen. Von einer politischen oder gar staatsrechtlichen Auslegung schweigen die Quellen, so wortreich die Sitzungsberichte der studentischen Gemeinschaft alle Einzelheiten festhalten. Lim so wichtiger erscheint der weitere Ablauf einer Entwicklung, die zunächst nur die Hochschulgeschichte angeht. Hatte schon das Wartburgfest von 1817 die Führung der gesamtdeutschen Studentenschaft durch die Jenaer „Urburschenschaft" bestätigt, sollte im nächsten Jahr eine allgemeine Verfassung die Grundzüge festlegen.

Am 17. Oktober 1818, am Vorabend einer großen Gedenkfeier der Leipziger Schlacht, sahen sich zum erstenmal alle deutschen Landschaften, von Königsberg bis Heidelberg, von Bonn bis Kiel, durch die Abgesandten der studentischen Jugend in Jena vertreten. Nach eifriger Aussprache wurde die „Allgemeine deutsche Burschenschaft“, wie es feierlich hieß, als „ein Bild ihres in Freiheit und Einheit erblühenden Vaterlandes“ begründet, zum gemeinsamen Abzeichen zunächst nur des neuen Vereins die „ehemalige deutsche Farbe“ gefordert, —ohne daß man diese im Lauf der Beratung festzustellen wußte. Später erst soll der mit der Nachforschung betraute Jenaer Student Schwarz, Rot und Gold als die früheren Reichsfarben bezeichnet haben, das gleiche Abzeichen, das seine eigene Jenaer Burschenschaft zum gemeinsamen Symbol für alle deutschen Hochschulen zu erheben hoffte! — So einfach und fast selbstverständlich hatte sich aus den Farben der Lützower Uniform der Dreiklang „Schwarz und Rot, mit Gold durchzogen“ entwickelt.

Nicht die Studenten, wohl aber ihre Widersacher wußten ihnen in den uns erhaltenen Zeugnissen bereits im nächsten Jahr eine andere Deutung zu geben. Reden und Schriften des Wartburgfestes betrachtete man in Wien, wo der Staatskanzler Metternich über das von ihm entworfene „System“ eines beruhigten Europas wachte, als „im höchsten und furchtbarsten Sinne revolutionär, weil auf die Idee der politischen Einheit Deutschlands begründet“. Als aus dem gleichen Kreise der Burschenschaft Gewaltstreiche, insbesondere auf den als russischen Spitzel bezeichneten Staatsrat von Kotzebue, die Sicherheit des Staates zu bedrohen schienen, wußte eine „aktenmäßige Übersicht der revolutionären Verbindungen und Umtriebe“ zu berichten, daß „früher auf einzelnen Universitäten die ehemalige Reichsfarbe Gelb und Schwarz als Vereinsfarbe“ galt, der die allgemeine Burschenschaft jetzt eine dritte, die rote, hinzufügte. Ein hoher Emissär Metternichs bezeugte von der Fahnenweihe der jungen Berliner Burschenschaft, wie gefährlich man „den Farben dieser Fahne, Gold und Schwarz, den Farben Deutschlands“, eine blutrote, breite Bordüre „als Symbol des Mittels, das neue Reich zu gründen“, beigesellt habe. In Wahrheit hatte sich höchst prosaisch die Sehnsucht nach Einheit und Freiheit eines größeren Vaterlandes mit Zweckmäßigkeitsgründen gepaart.

Aus den gleichen Motiven entwickelte sich Schritt für Schritt die neue „Trikolore“, die man durchaus zutreffend als ein „Dreifarb“ bezeichnete. Rein äußerlich forderte das zweifarbige Band, wie es die Studenten seit kurzem trugen, eine Einfassung von Gold-oder Silberdraht. Weitere Wegbereiter sind die „Farbenlieder“ geworden, die um des sangbaren Versmaßes Willen Schwarz, Rot und Gold gleichwertig aneinander-reihten. Nicht zuletzt lockte, vornehmlich in Süddeutschland und am Rhein, das Vorbild der französischen Farben, der „Fahne der Freiheit“, die die Nachfahren der großen Revolution in dem politisch geeinten Nachbarland zum Angriff gegen die europäische „Reaktion“ führten.

Als die zunächst einzigen, politisch und national, gesamtdeutsch und freiheitlich eingestellten Träger des Einheitsgedankens wanderten die Studenten im Schmuck von Schwarz-Rot-Gold von Universität zu Universität, von der Ostsee zum Rhein, von Bayern nach Schleswig-Holstein. Sie zuerst lernten das Volk in seiner Gesamtheit kennen, sahen sich in Beruf und Leben zu seiner Vertretung berufen. Nur der Student konnte ohne Rücksicht auf Herkunft und Geld Ehren und Ämter erwarten. Zugleich schloß er auf solchen Wanderfahrten Freundschaft mit den Handwerksgesellen, die ebenfalls über die Landesgrenzen hinweg Arbeit suchten, von den Akademikern die Zeichen von Einheit und Freiheit empfingen. Daß Österreich beiden Gruppen den Zutritt verwehrte und sich damit aus der neuen nationalen Bewegung ausschloß, hat wenige Jahrzehnte später die Auflösung Mitteleuropas in vorerst zwei selbständige Staaten nach sich gezogen. Lim so eindrucksvoller wurde Schwarz-Rot-Gold in den übrigen Gliedstaaten des Deutschen Bundes, der in seinem Umfang und in seiner Tradition das Erbe des alten „Reichs“ wachhielt, zum Symbol einer neuen, gemeinsamen Zukunft. Mit dem Übergang so vieler tausender von Akademikern in das bürgerliche Leben gewannen — nach der Aufzeichnung eines. Zeitgenossen — auch deren Farben Anerkennung: Die Begriffe von Einheit und Freiheit wurden auf das innigste mit ihnen verbunden. Zwei Wellenschläge trugen die Bewegung zum Gipfel.

Vom Hambacher Fest zur Paulskirche (1830— 1852)

Als im Juli 1830 eine zweite französische Revolution Europa aufrüttelte, Belgien in der „heraldisch richtigen“ Reihenfolge Schwarz-Gold-Rot eine Trikolore, die man bereits am Ende des achtzehnten Jahrhunderts aus dem Wappen des Herzogtums Brabant, einem goldenen Löwen mit rot ausgeschlagener Zunge auf schwarzem Schild, entwickelt hatte, zum Sinnbild staatlichen Eigenrechts erhob, ward 1832 das Hambacher Fest in der weinfrohen Pfalz der erste Halt auf diesem Wege. Hier zuerst erhielt Schwarz-Rot-Gold, in dem die Regierungen angstvoll „die neuerlich zum Vorschein gekommene sogenannte deutsche Nationalkokarde“ erkennen wollten, vor mehr als fünfundzwanzigtausend Teilnehmern seinen besonderen Auftrag. „Die vielen Farben sind Deutschlands Not“, hieß es in einem der zahlreichen Festlieder, „vereinigte Kraft nur zeigt Größe,

Drum weg mit der Farben buntem Tand, Nur eine Färb'und ein Vaterland!"

Nicht allein als „Geburtsstunde der deutschen Nationalität“ aber, auch als eine Kundgebung europäischer Gesamtfreiheit sollte der Tag mit goldenen Lettern in der Weltgeschichte glänzen.“ Neben dem Aufruf „vereinigter Freistaaten Deutschlands“ galt der am stärksten beachtete Trinkspruch „dem konföderierten republikanischen Europa." Während auf dem Wartburgfest die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang krächzte, wurde hier, wie Heinrich Heine aus seinem Pariser Zufluchtsort frohlockte, „von der modernen Zeit ein Sonnenaufganglied gesungen und mit der ganzen Menschheit Brüderschaft getrunken.“

Ein Erfolg blieb der Bewegung versagt. Waren schon vordem die schwarz-rot-goldenen Bänder der Studenten, ebenso wie die gleichfarbigen Schleifen der Handwerksgesellen als Zeichen des Hochverrats verfemt worden, büßten jetzt ihre Träger mit scharfer, strafrechtlicher Verfolgung. Die Erinnerungen Fritz Reuters aus seiner „Festungstid“ sind ein beredtes Zeugnis. Feierlich stellten die Regierungen fest, „daß Abzeichen der gedachten Art, wie die Erfahrung lehrt, ein sehr wirksames Mittel sind, fanatischen Eifer für die Sache, welcher sie gelten, zu wecken und zu nähren. Sie sind bestimmt, um als Erkennungszeichen für die Gleichgesinnten zu dienen, um ihr Zusammenwirken zu erleichtern. Es ist bekannt, daß die revolutionäre Faktion eine eigene Kokarde und Fahnen von gleichen Farben in Aufnahme gebracht hat, um als Symbol einer allgemeinen Verbrüderung, zur Befürwortung der sogenannten Einheit Deutschlands zu dienen.“ — Trotzdem — das ist für die innere Stärke dieser Träume und Sehnsüchte bezeichnend — ließ sich das äußere Symbol nicht unterdrücken. Auswandererschiffe, die Tausende von Landsleuten in das goldene Zukunftsland Amerika trugen, hißten Schwarz-Rot-Gold, sobald sie die deutschen Gewässer verließen. Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen der Heimat vertrieb die Mehrzahl dieser Emigranten. Wirtschaftlich ging es unter dem Schutz und Schirm des von Preußen gesteuerten Zollvereins aufwärts, und gerade dieser wachsende Wohlstand, die Möglichkeit, mit positiven Vorzeichen Außenhandel zu treiben, zwang die Regierungen, sich ebenfalls ernsthaft mit der Schaffung einer Einheitsflagge zu befassen, die deutsche Schiffe, deutsche Güter und deutsche Männer im Ausland decke, im Kriegsfall als gemeinsames Heer-zeichen diene. Die Volksbewegung war schneller als die Amtsstuben. Als, wiederum von Frankreich entzündet, im März 1848 die Flammen der Revolution über Mitteleuropa hereinbrachen, erschien Schwarz-Rot-Gold als einziges sichtbares Zeichen der schnell errungenen bürgerlichen Freiheit, als Symbol künftiger Einheit.

Sonderbar genug ging derselbe Bundestag, der bislang diesen Dreifarb verfolgen ließ, als erste Regierung am 9. März voran und erklärte „den alten Reichsadler und die Farben des ehemaligen Reichspaniers Schwarz-Rot-Gold“ zum Wappen und zu den Farben des Deutschen Bundes. Wien, Berlin und München sowie alle die anderen kleinen Bundesstaaten folgten und hoben ihrerseits jede Strafbestimmung auf. Am eindrucksvollsten gab einer der engsten Mitarbeiter des deutschen Kommunistenbundes, der Dichter Ferdinand Freiligrath, der Begeisterung über die Farben der Revolution Ausdruck:

In Kümmernis und Dunkelheit da mußten wir sie bergen!

Nun haben wir sie doch befreit, befreit aus ihren Särgen.

Das ist das alte Reichspanier, das sind die alten Farben!

Darunter hau'n und holen wir uns bald wohl junge Narben!

Denn erst der Anfang ist gemacht noch steht bevor die letzte Schlacht.

Mit dem aufreizenden Kehrreim:

Pulver ist schwarz, Blut ist rot, golden flackert die Flamme, der den sonst so verträumten Robert Schumann zu einer aufrüttelnden Revolutionsweise anregte, machten die Verse aus der von Karl Marx und Friedrich Engels geleiteten „Neuen Rheinischen Zeitung die Runde durch die deutschen Gaue.

Bescheiden nur fragte man zum ersten Male nach dem „Stammbaum der neuen Trikolore. Eine stichhaltige Erklärung blieb aus. Überlassen wir den Gelehrten die Entscheidung!, beschwichtigte die demokratische „Deutsche Volksleuchte“ alle Zweifel: „Für uns ist das schwarz-rot-goldene Banner das Symbol der Freiheit und Einheit Deutschlands, ein Palladium unserer Zukunft, das wir in unsere Herzen pflanzen wie auf die Zinnen unserer Städte und Burgen. Mögen die Wappenkundigen die Farben deuten wie sie wollen; wir wollen bei der eigenen, sinnigen Deutung beharren: Durch Nacht und Blut zum goldenen Lichte der Freiheit“.

Auch für unseren Rückblick war Schwarz-Rot-Gold spätestens mit dem Hambacher Fest zum Zeichen eines in sich untrennbaren Einheits-und Freiheitsstrebens geworden, ein Sinnbild des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, das sich der verstandesmäßigen Frage nach seinem Ursprung entzog. Vor allem gaben gewaltige schwarz-rot-goldene Banner der FrankfurterPaulskirche der ersten deutschen Nationalversammlung ein festliches Gepräge. Llnter ihrem Zeichen wiesen Reden und Redner aus Schleswig und Kärnten, aus dem Saargebiet und aus Böhmen, aus Ostpreußen, Altbayern und Südtirol immer wieder auf die Notwendigkeit hin, in freiwilliger Auseinandersetzung die deutsche Einheit zu erringen. Dem Feldmarschall Radetzky, der dem österreichischen Kaiserstaat in schwerem Kampf die Lombardei und Venedig bewahrte, erschien noch im Juni 1848 das Ansehen der neuen Farben bedeutsam genug, um mit ihnen die Verteidigungskräfte seines kleinen Heeres zu verstärken. Mit der Inschrift:

„Confine della confederatione Germanica“ sollten Grenzpfähle in Schwarz-Rot-Gold den welschen Gegner vom Einbruch nach Salurn und damit in das Bundesgebiet abhalten. Tiroler Standschützen legten die gleichen Abzeichen an.

Die Fahn‘ — elendiglich in Sturm und Wind zerstoben Unmittelbar danach ebbte die deutsche Bewegung ab und entzog ihrem Symbol die ursprüngliche Kraft. Bereits der erste Vorstoß, Schwarz-Rot-Gold in den Einzelstaaten zur Anerkennung zu bringen, mißlang. Vergebens ordnete der von dem neuen Reichsverweser, Erzherzog Johann, berufene Reichskriegsminister, der preußische General von Peucker, am 16. Juli für den 6. August die feierliche Vereidigung aller Bundestruppen unter den neuen Farben an. Am gleichen Tage, an dem 1806 der letzte römische Kaiser unter dem Druck verlorener Kriege das ehrwürdige Band des alten Reiches gelöst hatte, sollte diese Kundgebung die nie vergessene Schicksalsgemeinschaft sinnvoll erneuern. Da weder Österreich und Preußen noch die kleineren Länder bereit waren, ihren eigenen Abzeichen zu entsagen, blieb es in den meisten Fällen bei einer „symbolischen“ Handlung. Das gleiche Schicksal erfuhr die Kriegsflagge, mit deren Schöpfung sich die deutsche Nationalversammlung Ende Juli beschäftigte. Zur Begründung betonte der Reichshandelsminister, der Hamburger Duckwitz, daß nur sie „den deutschen Schiffen überall größere Achtung und besseren Schutz gewähren könne.“ Am 12. November 1848 trat eine entsprechende Verordnung in Kraft, die in der linken oberen Ecke der Trikolore das Reichswappen vorsah, aber schon verklang der revolutionäre Auftrieb. Gegen allen diplomatischen Brauch wagte es Erzherzog Johann nicht mehr, dem Ausland, insbesondere der Beherrscherin des deutschen Meeres, Großbritannien, das Gesetz amtlich zu übermitteln. Während man in Washington das Aufkommen einer neuen europäischen Seemacht absichtsvoll unterstützte, war diese Zurückhaltung den Staaten, die rings um Mitteleuropa einer solchen Entwicklung voller Bedenken entgegensahen, durchaus willkommen. Rechtlich blieben Wappen und Farben des neuen Deutschland im Ausland unbekannt und unwirksam. Im Innern z gewannen spätestens im Hochsommer die Landes färben ihr Ansehen zurück.

Die Halbheit, mit der Friedrich Wilhelm IV. die „Zeichen der Einheit“ erhöhte und verwarf, ist bezeichnend. Sein Umritt durch die Straßen Berlins in den Märztagen, bei dem dem Romantiker auf dem preußischen Thron eine mächtige Fahne vorangetragen wurde, während der Herrscher persönlich und seine Umgebung schwarz-rot-goldene Armbinden trugen, ist bekannt. „Ich habe die alten deutschen Farben angenommen und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt“, hieß es am gleichen 21. März in einer feierlichen Erklärung. Knapp eine Woche später erhielt das preußische Staatsministerium eine neue Deutung: Die Einheit Deutschlands solle unter diesem Zeichen gewahrt werden, damit sein Volk das ihm von der Vorsehung anvertraute Amt übe, „das Bollwerk Europas gegen Revolution und Despotismus, gegen den LImsturz der gesellschaftlichen Ordnung und jeder wahren gesetzlichen Freiheit zu sein.“ Ein Verzicht jedoch auf das bisherige Schwarz-Weiß sei damit nicht ausgesprochen: „Glorreichere Farben als die unsrigen haben nie ein Volk und ein Heer geschmückt. Ich spreche darum die zuversichtliche Hoffnung aus, daß auch in meiner Hauptstadt die Farben, unter welchen dieselbe zur größten Stadt des gemeinsamen Vaterlandes erhoben worden ist, in alter und gebührender Ehre erscheinen,“ Der Nachsatz: „Alles für Deutschland und durch Deutschland für das teure preußische Vaterland“ schwächte die frühere, viel umstrittene Verheißung, daß Preußen in Deutschland „aufgehen“ werde, in bedenklichem Maße ab.

Nicht allein Österreich, wo sich das Schwarz-Gelb des Herrscherhauses vor allem in den deutschen Kronländern behauptete, auch die führenden Mittelstaaten Bayern und Hannover wichen im gleichen Sinne der Aufforderung aus, ihre Bundeskontingente durch die Annalen schwarz-rot-goldener Kokarden unter die neue, vom Reichsverweser vertretene Zentralgewalt zu stellen. Als gar in den Septembertagen auf den Frankfurter Barrikaden sowie in Kundgebungen «am Niederrhein, im folgenden Frühjahr in Dresden und Düsseldorf eine bislang in dieser Auslegung unbekannte blutrote Fahne des Sozialismus die „deutschen“ Farben verdrängte, schwand deren Nimbus auch im Bürgertum dahin. Vergebens bemühte sich die äußerste Linke der deutschen Nationalversammlung um die Verteidigung von „roten Kokarden, roten Bändern und roten Federn an der Kopfbedeckung", die die berufenen Hüter von Ordnung und Sicherheit verboten; unter dem Beifall der Mehrheit stellte Heinrich von Gagern als Leiter des Ministeriums fest, daß in Deutschland nur noch e i n Abzeichen, nämlich das Schwarz-Rot-Gold, bestehe: wir haben kein anderes öffentliches Symbol“. Wenige Wochen später führte im Totentanz“, den Alfred Rethel mit den Versen des rheinischen Dichters Robert Reinick herausgab, der Sensenmann, mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne unter dem Zeichen der Republik das betörte Volk in die Vernichtung. Neben der Presse, neben Flugblättern und Versammlungen trugen die Parlamentsverhandlungen der Absage Rechnung.

Hatte bereits die Beratung eines Flaggengesetzes in der Paulskirche überraschend geringe Teilnahme gezeigt: in der Verfassung des Deutschen Reiches, die die erste deutsche Nationalversammlung am 18. März 1849 abschloß und mit vierhundert Unterschriften feierlich verkündete, wurden die vordem so teuren Farben nicht aufgeführt. Als wiederum ein Jahr danach (1850) ein zweites Parlament, diesmal in Erfurt, ein Notdach über die nun um Preußen gescharten nord-und mitteldeutschen Bundesstaaten zu zimmern suchte, konnte der junge Abgeordnete Otto von Bismarck bekennen, daß diese Trikolore seit zwei Jahren das Zeichen des Aufruhrs und der Barrikaden geworden sei, ohne ernsthaften Widerspruch zu finden. Dem letzten Vorstoß, den Österreich und Preußen als „Vormächte“ des Deutschen Bundes kurz zuvor unternommen hatten, um von den europäischen Nachbarstaaten die Anerkennung der schwarz-rot-goldenen Kriegsflagge zu erlangen und damit den immer noch gültigen Bundesbeschluß zur Geltung zu bringen, fehlte der Rückhalt der Nation. Erst am 15. August 18 52 aber nutzten konservative Vertreter des erneuerten Bundestages, nicht ohne Zutun des preußischen Bundestagsabgesandten Otto von Bismarck, die Sitzungsferien, um die auf dem Amtsgebäude der Großen Eschenheimer Gasse in Frankfurt gehißte Fahne einzuziehen. Wie in einem Satyrspiel begleiteten die Erklärungen dieser hohen Behörde, die für weiteste Kreise Reaktion und Absolutismus verkörperte, Anfang und Ende der deutschen» Revolution. Lediglich die Erinnerung blieb. „Zerrissen und zerfetzt“, so begleitete ein packendes Gedicht diesen traurigen Abgang.

„Und übrig noch der Schaft, ein Eisen dranzusetzen“.

Die Fahn'— elendiglich In Sturm und Wind zerstoben, Doch — eine andre Fahn', Wie bald ist die gewoben!

Die Erinnerung dagegen blieb. Nach kurzen sieben Jahren bewies sie aufs neue ihre lebendige Kraft. Mit den Schillerfeiern des Jahres 18 59 begann im Streben nach Einheit und Freiheit ein weiterer Abschnitt, der vorzugsweise Mittel-und Süddeutschland, aber auch Wien und die deutsch-österreichischen Bundesländer einschloß. Nicht nur die in der ersten Zeit der „Reaktion“ erlassenen Verbote von Schwarz-Rot-Gold fielen, neben den Mittelstaaten wetteiferten auch die beiden Großmächte des Deutschen Bundes, Österreich und Preußen, durch stillschweigende Duldung sowie durch amtliche Werbung um die Gunst der in Landtagen und Presse hervortretenden öffentlichen Meinung“. In der Bundesfestung Rastatt etwa trugen österreichische Truppen, auch wenn es Tschechen waren, nach dem Bundesbeschluß des Revolutionsjahres schwarz-rot-goldene Armbinden, „durch die man auf Süddeutschland Eindruck zu machen suchte“. Als Kaiser Franz Josef 1863 zu einem Fürstenkongreß in Frankfurt aufrief, hoffte er mit der Annahme „deutscher“ Farben weitere Kreise von der nationalen Bewegung in Preußen abzuziehen und für seine föderalistisch-großdeutschen Gedankengänge zu begeistern. Sein großer Gegenspieler wieder, der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck, war zeitweise bereit, „Österreich etwas Schwar-Rot-Gold unter die Nase zu reiben.“ Die Gefahr lag nahe, daß man auf beiden Seiten das ehrwürdige Banner zur Parteifahne herabwürdigen könne. Der schnelle Ablauf der neuen Entwicklung, die in der Paulskirche vorbereitet war, 1866 auf den Schlachtfeldern in Böhmen und Maintal abgeschlossen wurde, ließ diesen Versuch verblassen.

Die Farben des Bismarck’schen Reiches Auf anderer Grundlage, mit bislang unbekannten Farben, ging ein halbes Menschenalter danach mit der Preisgabe Österreichs, Böhmens und Mährens sowie des Großherzogtums Luxemburg, mit den ersten Verzichten auf die Außenwerke des Deutschen Bundes im Westen und Osten, der Einheits-und Freiheitstraum, den Studenten und Arbeiter in die Nation getragen hatten, in Erfüllung. Da mit dem Zusammenschluß zunächst nur Nord-und Mitteldeutschlands bis zum Main eine einheitliche Marine zu schaffen war, durfte eine Flagge, das Kennzeichen der Staats-zugehörigkeit zur See, nicht fehlen. Während die Referenten vor einer Entscheidung zurückscheuten, setzte der neue Bundeskanzler Ende 1866 ganz persönlich den einfachen Satz ein: „Die Kauffahrteischiffe führen dieselbe Flagge Schwarz-Weiß-Rot“ — auch dieser Entschluß ist ganz nüchtern mit negativen und positiven Vorzeichen zu deuten.

Wie wir wissen, war Schwarz-Rot-Gold Otto von Bismarck als Sinnbild der Rebellion gegen die Staatsgewalt, die für ihn in der preußischen Monarchie ruhte, verhaßt. Stärker und unnachgiebiger noch lehnte sein König Wilhelm I. jeden derartigen Gedanken ab. Zu der Erinnerung an die Berliner Märztage, die ihn als Thronfolger zur Flucht gezwungen hatten, kam das Erlebnis von 1849, als der Prinz von Preußen die Aufgabe hatte, den unter solchen Zeichen stehenden Aufstand in Baden niederzuwerfen, sowie die Tatsache, daß im letzten blutigen Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland süddeutsche Truppen nach der zu diesem Zweck erneuerten Anordnung von 1848 mit schwarz-rot-goldenen Armbinden dem preußischen Heer entgegengetreten waren. Daneben warnte eine sehr ernste, außenpolitische Erwägung vor der Übernahme eines Symbols, das nicht nur den bürgerlichen Freiheitsbegriff, in höherem Maße noch die Forderung nach Einigung aller deutschen Stämme und Landschaften deckte. In einem Augenblick, da der leitende Staatsmann des unfertigen Norddeutschen Bundes die Eifersucht der übrigen europäischen Mächte mit dem Hinweis auf die Mainlinie als äußerste Grenze des preußischen Ehrgeizes abzulenken wußte, den Verlust Luxemburgs hinnahm, um eine drohende, höchst aggressive Einkreisung zu vermeiden, erschien es unmöglich, den Deutschen in Süddeutschland, die sich am stärksten die Erinnerung an die gesamtdeutschen Farben bewahrt hatten, allzu deutlich den Weg in die Zukunft zu weisen. Aus diesen persönlichen und aus höchst beachtlichen staatsrechtlichen Gründen fiel Schwarz-Rot-Gold aus.

Das neue „Dreifarb“ dagegen sollte bewußt, wie wir späteren Reden und Gesprächen Bismarcks entnehmen, die schwarz-weißen Farben Preußens mit dem Rot -Weiß der Hansestädte verbinden, da damals beide Partner allein die Schiffahrt auf Nord-und Ostsee beherrschten. Für weiteste Kreise der außereuropäischen Welt war Deutschlands Wirtschaft und Ansehen vor allem durch die Flagge Hamburgs verkörpert. Darüber hinaus trug der Bundeskanzler, ohne es zu wissen, einer doppelten, gesamtdeutschen Tradition Rechnung, die sich der Deutsche Orden jenseits von Oder und Nogat mit der roten, mit dem weißen Kreuz gezierten Lehens-und Blutfahne der Vorzeit auf altem und ältesten Reichsboden bewahrt hatte. Auch jetzt jedoch, das sei nicht vergessen, mußten Jahrzehnte vergehen, bis die 1871 von einem neuen Reich übernommene Trikolore allgemein anerkannt, aus einem Amtszeichen zum Sinnbild der Nation wurde! Im Binnenland jedenfalls bezeugten die Farben der Bundesstaaten nach wie vor die Abhängigkeit des einzelnen von seinem kleineren Vaterlande. Der Zug ins Große wuchs überaus langsam heran. Um so bedeutsamer eroberten sich unter der neuen Flagge Handel und Industrie ihren Platz auf dem Erdball. Bereits nach Jahresfrist schwenkten nach dem Bekenntnis des durchaus nicht preußenfreundlichen Gustav Freytag, „über der ganzen bewohnten Erde die Männer deutscher Abstammung, harte, kühle Geschäftsleute, jauchzend die Hüte und umarmten einander mit tränenden Augen, weil diese Farben über ihren Häuptern aufgezogen wurden, um sie zu erlösen von der alten Unfreiheit, Vereinsamung, Schutzlosigkeit und ihnen in der Fremde eine gemeinsame Heimat zu geben und den höchsten und wertvollsten Männerstolz auf das entfernte deutsche Vaterland“.

Wie dem Amerikaner die Sterne und Streifen, dem Franzosen die Trikolore wurden den Deutschen im Ausland die vaterländischen Farben nach den Worten des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain zur „Vision von der Heimat und ihren sinnvollen Bildern“. Die schwarzweiß-rote Flagge ist eingebürgert unter allen Völkern der Erde, hieß es unmittelbar nach der Reichsgründung (1871), als man besonders in Süddeutschland an die Rückkehr von Schwarz-Rot-Gold dachte, „und es wäre unnütz, schädlich und frevelhaft, das Kapital von Achtung und Vaterlandsliebe, das sich um sie versammelt, zu vergeuden“. Im Heer jedoch, dem noch immer die Fahne das vornehmste Zeichen zur Sammlung und zum Angriff war, hat Schwarz-Weiß-Rot erst im Weltkrieg von 1914 — wie das Eiserne Kreuz — neben der Handels-und Kriegsmarine allgemeine Anerkennung gefunden. Hier bewahrten nicht allein die Farben und Orden, auch die „Nationalhymnen“ und Fürstenlieder der Einzelstaaten ihr altes, in der Zeit des Deutschen Bundes erworbenes Recht.

Schwarz-Rot-Gold verschwand nach und nach völlig. Seit 1910 die letzte politische Kampfschar süddeutscher Demokraten auf ihre alte Parteifahne verzichtete, Hermann Stegemann, der künftige Geschichtsschreiber des Krieges, den Farben der „Achtundvierziger“ die letzte Referenz erwiesen hatte, schienen diese den „deutschen Farben“ früherer Jahrhunderte in die Schatzkammer gemeinsamer Vergangenheit zu folgen, — bis ein weiterer schwerer Schicksalsschlag alles in Frage stellte, für die Anfänge einer sozialaufgeschlossenen, von den breitesten Volksmassen begründete Republik ein neues Sinnbild forderte. Als zum zweiten Male innerhalb eines Jahrhunderts, diesmal in Weimar, eine Nationalversammlung zusammentrat, einigte sich eine schwache Mehrheit in erbitterten parlamentarischen Kämpfen auf einen Ausgleich. Mit dem wichtigen vierten Artikel: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold, die Reichsflagge ist Schwarz-Weiß-Rot mit den Reichsfarben in der oberen Ecke“, trat am 11. August 1919 eine neue Verfassung in Kraft.

Die Reichsfarben der ersten deutschen Republik Wie jede politische Halbheit trug auch diese Forderung den Keim gefährlicher Auseinandersetzungen in sich. Die Ausführungsbestimmungen verstärkten die Zweifel. Nahezu zwölf Jahre hindurch wurden beide Fahnen zum Zeichen der Zwietracht, nicht der Einheit. Während im „Deutschlandlied“ Volk und Staat eine Nationalhymne und damit ein wichtiges, allgemein begeisterndes Sinnbild gemeinsamen Schicksals erhielten, versagte in diesem Falle die Mahnung beider Reichs-präsidenten, Friedrich Eberts und Hindenburgs, völlig. Vergebens suchte Gustav Stresemann, der bei den Kämpfen um die Verfassung mit ganzem Herzen für Schwarz-Weiß-Rot eingetreten war, als Kanzler und Außenminister dem Grundgesetz Achtung zu verschaffen. Sein ernster Appell, daß nur der wert sei, ein Deutscher zu sein, der im Ausland seine jetzige Flagge zeige, verhallte. Vergebens bemühte sich Hans Luther ebenfalls als Reichskanzler um eine Versöhnung. Statt die Kluft zu überbrücken oder gar zu schließen, drohte jede Aussprache sie zu vertiefen. So verschieden Ausgang und Ziel ihrer Kritik sind, — immer stärker bezeichnen neue Darstellungen dieser Zeit den „Flaggenstreit“ als das verhängnisvollste Wegzeichen zum Untergang der ersten deutschen Republik. In der Ausdeutung ihrer „Reichsfarben“ erhielt die von der Weimarer Nationalversammlung geschaffene Verfassung in solchem Bericht den „Charakter eines Intermezzos der deutschen Geschichte“: so stark hebt ein Rüde-blick die Bedeutung eines gemeinsamen äußeren Sinnbildes hervor — dies alles, trotzdem die deutschen Menschen wirtschaftlich und sozial eng und unauflöslich zusammengewachsen waren! Die Bahn erschien frei für einen neuen Akt dieser Tragödie.

Das letzte Zwischenspiel Von Amts wegen ward nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler zunächst Schwarz-Rot-Gold, dann Schwarz-Weiß-Rot von einer roten Fahne mit dem Hakenkreuz auf weißem Feld verdrängt. Dem Historiker ist es gestattet, leidenschaftslos auch die jüngste Vergangenheit zu streifen. Rot ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern ein Symbol der Bluts-gerichtsbarkeit und der höchsten Opfer gewesen, die Menschen für eine Seche bringen können. Die politische Sinngebung, die man durchzusetzen versuchte, daß das Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den arischen Menschen und zugleich mit ihm den Sieg der schaffenden Arbeit verkörpere, hält der wissenschaftlichen Forschung nicht stand. Das Hakenkreuz finden wir in Ostasien und Australien ebenso wie in Südamerika, in Afrika und in den nordischen Ländern, am wenigsten vielleicht in der germanischen Vorzeit Mitteleuropas. Ohne Wurzel und Halt im deutschen Mutterboden mußte das künstliche und gekünstelte Symbol, das ein Befehl, keine sinnvolle Überlegung geschaffen hatte, eine kurzfristige Schöpfung bleiben; ohne wesentliche, tief gefurchte Spuren zu hinterlassen, ist es der Selbstvernichtung des „dritten Reiches“ gefolgt. Mit dem einen, schlichten Satz seines zweiundzwanzigsten Artikels: Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold, lieh das Bonner Grundgesetz dem einzigartigen Höhepunkt der deutschen, von der ganzen Nation getragenen Einheitsbewegung eine gegenwartsnahe Bedeutung. Es sind die gleichen Farben, führte der Historiker des deutschen Parlamentarismus Ludwig Bergsträsser aus, „die zum ersten Male vor hundert Jahren durch das Frankfurter Parlament in die deutsche Gesetzgebung eingingen.“

Rückblick und Vorschau Nicht mehr als Heerzeichen freilich, wie in der Vorzeit, da weithin sichtbare Fahnen die alten Wappenbilder und Standarten ersetzten, erzwingt seit anderthalb Jahrhunderten ein gemeinsames Symbol Ehre und Achtung. Eine andere Auslegung ist wichtiger geworden. So forderte man schon in der ersten Tagung, die aus freiem Willen alle deutschen Landschaften zunächst aus der Studentenschaft, der einzigen freizügigen Berufs-und Lebensschicht der Zeit, beschickten, eine allgemeine deutsche Farbe, um dem hier entworfenen Bild ihres in F reihe it undEinheit erblühendee V o 1 k e, s ein verpflichtendes Zeichen zu geben. So hat die Aufnahme eines gemeinsamen Zeichens, des schon erwähnten weißen Kreuzes auf rotem Grund, das Schlimmste verhütet, als sich am Vorabend der ersten wahrhaft europäischen Revolution, 1847, die Schweizer Eidgenossenschaft unter dem Druck der Großmächte aufzuspalten drohte. Eine neue Epoche wurde eingeleitet. Die Mahnung, die vor mehr als hundert Jahren aufklang, ist unpolitisch genug, um sie auch auf die Gegenwart anzuwenden. „Es ist wichtiger als man glaub t“, hieß es, „nureineFahnezuhaben, weil dieFahne das Zeichen der Sammlung ist, das Bild des gemeinsamen Volkes. Wenn man die gleichen Farben trägt, unter dem gleichen Banner arbeitet und lebt, ist man bereitwilliger einander in der Gefahr zu unterstützen, man ist wahrhaftig ein Volk von Brüdern. Vor keinem Opfer darf man zurückschrecke n“, klingt für die deutsche Gegenwart dieser Aufruf des Obersten Dufour aus, „auch nicht vor dem Opfer ehrwürdiger Erinnerungen!“

Ist es wirklich ein Fehler, daß wir unser Schwarz-Rot-Gold nicht mehr auf einen uralten „Reichsschild“ zurückführen können, wie man es vor wenigen Jahren bei den Vorbesprechungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik zu deuten versuchte?

Ist es nicht weit großartiger, wenn man diese Farben aus dem Volk, nicht aus einer Standarte des Herrschers erwachsen läßt?

In ganz anderem, weit größerem Maße als in Frankreich oder Großbritannien, in den Niederlanden oder den Vereinigten Staaten besitzen unsere Hoheitszeichen und Symbole nicht allein eine Vergangenheit, auch eine Zukunft. Über beiden Teilen Rumpfdeutschlands, die in allen anderen staatsrechtlichen und sozialen, in wirtschaftlichen und politischen Fragen eine schwer überbrückbare Kluft trennt, verkörpern sie allein noch die Einheit, die wir alle in Freiheit erstreben.

Anmerkung Dr. Paul Wentzcke, geb. 4. September 1879 in Koblenz, 1904 Kaiserlicher Archivar in Straßburg, 1912 bis 1933 Archiv-und Museumsdirektor der Stadt Düsseldorf, dann Hon. Professor an den Universitäten Köln, Heidelberg sowie bis jetzt Frankfurt. Seine wissenschaftliche Arbeit beschäftigte sich neben Beiträgen zur mittelalterlichen Geschichte, Studien über die deutschen Parteien von 1848 und der Bismarckzeit sowie einem Handbuch der deutschen Archive vornehmlich mit dem Verhältnis der gesamten Rheinlande zum Reich und mit den Problemen der deutschen Einheit. Die vorliegende Über-sicht beruht auf den Ergebnissen seines soeben erschienenen Buches: Die deutschen Farben. Ihre Entwicklung und Deutung sowie ihre Stellung in der deutschen Geschichte. Mit Abbildungen und Farbtafeln. Heidelberg 1955, Univ. -Verlag C. Winter.

Fussnoten

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