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Frischer Wind in unserer Asienpolitik | APuZ 2/1955 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 2/1955 Frischer Wind in unserer Asienpolitik Freiheit zum Unglauben. Von den Voraussetzungen und Grenzen der christlichen Verwirklichung im politischen Raum

Frischer Wind in unserer Asienpolitik

Chester Bowles

Wir sind in Asien an einem Scheideweg angelangt und eine umfassende Überprüfung unserer dortigen Politik ist deshalb notwendig. Gerade der Teil Asiens, dem wir bisher die geringste Aufmerksamkeit geschenkt haben, dürfte nicht nur für unsere eigene Zukunft, sondern für die der ganzen demokratischen Welt von ausschlaggebender Bedeutung sein. In dem weiten, sichelförmigen Gebiet, das sich vom Mittelmeer über den Mittleren Osten und Indien nach Südostasien und der südchinesischen See erstreckt, lebt ein Drittel aller Menschen. Sie sind unruhig und schwanken zwischen den Fronten, voll Mißtrauen gegenüber den westlichen Demokratien, aber auch voll Abneigung, ihr Schicksal an Moskau oder Peking zu binden.

Lange Zeit waren die sowjetischen Politiker davon überzeugt, daß der Weg zur Weltherrschaft über Asien führe und Europa sicher fallen werde, wenn sie Asien besäßen. Infolgedessen schenkte Moskau in erster Linie den 700 Millionen freier Asiaten seine Aufmerksamkeit. Es war ein Glück für die freie Welt, daß die Geschick-lichkeit der sowjetischen Taktiker nicht mit dem schon frühzeitig entwickelten Weitblick der sowjetischen Geopolitiker Schritt hielt. Die im Jahre 1923 nach dem China Sun-Yat-sens geschickte Kominterndelegation enthüllte eine peinliche Unkenntnis über die inneren Triebkräfte asiatischer Revolutionen, und die ungeschickte Behandlung, die die Sowjets in den zwanMit Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir aus der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS“ (Oktober 1954) den folgenden Artikel von Chester Bowles: ziger und dreißiger Jahren den weiten, empfindlichen Kolonialgebieten Südasiens zuteil werden ließen, bewies, wie wenig sie bis dahin gelernt hatten.

Daß der Kommunismus gegenwärtig eine so starke Position in Asien hat, verdankt er nicht dem revolutionären Genius der Sowjets sondern der Chinesen. Der kommunistische Erfolg ist vor allem das Verdienst von Mao Tse-tung. Die Herrschaft über die revolutionären Kräfte Asiens ermöglichte es ihm, aus der Niederlage Japans und den Fehlern Chiangs Kapital zu schlagen und die chinesische Volksrepublik zu schaffen. Mao also verschaffte dem Weltkommunismus in Asien eine zweite Chance; doch hat auch die Sowjetunion jetzt das ganze Ausmaß der Möglichkeiten begriffen. Die kommunistischen Führer haben gelernt, daß Druck auf Europa die Einigkeit des Westens stärkt, daß aber Druck auf Asien sie zerfetzt, und Molotow und Tschu-En-lai haben es in erfolgreicher Zusammenarbeit fertig-gebracht, den Druck in ihrem Sinne zu steuern.

Bewußt oder unbewußt haben wir ihnen die Arbeit wesentlich erleichtert. Denn Amerika hat auf den vielfältigen kommunistischen Lockruf nur militärische Antworten zu geben gewußt. Wenn es sich um vorwiegend politische und wirtschaftliche Fragen handelte, haben wir meistens nur Kasernen zu bieten gehabt. Den vielen Mil-lionen verarmter und enttäuschter Menschen haben wir nur Gegenrevolutionen vorgeschlagen, die außer dem Gedanken eines bewaffneten Anti-Kommunismus überhaupt keinen politischen oder ideologischen Inhalt hatten. Die Folgen waren dann auch verheerend. Anstatt die „Initiative in der Zurückdrängung des Kommunismus“ in Asien zu übernehmen, wie wir uns noch vor einigen wenigen Monaten rühmten, hat der Kommunismus seine Position ständig verbessern können, während die amerikanische schlechter geworden ist.

Eine genaue Überprüfung unserer Asienpolitik ist daher sicher notwendig. Ein parteiisches Urteil aber, das nur die alte Politik der demokratischen oder republikanischen Regierung zu rechtfertigen versucht, würde uns nichts nützen. Nur wenn wir uns mit den großen wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Kräften auseinandersetzen, die die Entwicklung in Asien bestimmen, können wir uns überhaupt sinnvoll mit den Problemen beschäftigen. Ich bin für eine leidenschaftslose, wohlüberlegte Überprüfung, wobei ein Seitenblick auf die Monroe-Doktrin für uns nur lehrreich sein dürfte — die als einer der entscheidenden Entschlüsse der amerikanischen Politik gilt und gefaßt wurde, als wir, wie die freien Nationen Asiens, jung, „neutral“ und gefährdet waren.

Geopolitische Faktoren

Inhalt Dieser Beilage: Chester Bowles: Frischer Wind in unserer Asienpolitik Paul Bausch: Freiheit zum Unglauben (S. 15)

Eine kurze Übersicht über die geopolitischen Faktoren, die die Geschichte Südasiens und des Mittleren Ostens beeinflußt haben, dürfte uns den Einblick in die Lage erleichtern. Indien ist ein strategisches Zentrum zwischen zwei geographischen Schultern. Im Westen erstreckt sich der Mittlere Osten von Westpakistan über Persien, den Irak und Saudi-Arabien bis zur Türkei und dem Mittelmeer. Östlich schließen sich die süd-ostasiatischen Länder von Burma, Thailand und Indochina nach Malaya und Indonesien an. Während der letzten drei Jahrhunderte waren diese beiden Schultern meistens ein politisches Vakuum, das keine Kraft hatte, Eindringlinge abzuwehren. Die Geschichte chinesischer Angriffe auf Südostasien gerät oft in Vergessenheit. Das kaiserliche China hat jahrhundertelang Tribut vom heutigen Burma und Indochina bezogen, und rot-chinesische Landkarten schließen diese Gebiete in das „größere China“ ein. Der Rückgang der chinesischen Macht im 17., 18. und 19. Jahrhundert hat die reichen Gebiete Südostasiens politisch geschwächt, und die englischen, französi-sehen und niederländischen Kolonialmächte haben dann schrittweise in einer für alle Teile tragbaren und einträglichen Form von diesem Vakuum Besitz ergriffen.

Das im Mittleren Osten vorhandene Vakuum war jedoch ein ständiger Anlaß für Streitigkeiten zwischen den Westmächten. Am Ende des 18. Jahrhunderts gewann schließlich England das Rennen um die Reichtümer Indiens. Aber Englands Stellung in Indien stand fast immer unter dem Druck des zaristischen Rußlands, dessen Ziel es war, starke strategische Stützpunkte am Mittelmeer und im Persischen Golf — und vielleicht sogar in Indien selbst — zu bilden.

Heute gibt es keine Engländer in Indien mehr und damit auch nicht mehr die Kombination von Diplomatie, Entschlossenheit und starken, ständig einsatzbereiten Streitkräften, die in diesem historischen Vakuum zum Vorteil des englischen Empire lange Zeit für Stabilität gesorgt hatten.

Als Indien 1947 die Unabhängigkeit erhielt, wurde die indische Armee — das Rückgrat englischer Politik in Asien — neutralisiert, denn durch die Teilung Indiens wurde sie in zwei rivalisierende Armeen aufgespalten.

Der russische Druck auf den Mittleren Osten hat nicht aufgehört, und seit 1950 haben die Chinesen ihren Druck auf Südostasien außerordentlich verstärkt. Ohne den Rückhalt durch die indische Armee ist die englische Diplomatie nicht in der Lage gewesen, dieser Bedrohung entgegenzutreten, und daher sahen sich die Vereinigten Staaten gezwungen, eine stärkere Position zu beziehen.

Durch die Vereinten Nationen veranlaßten wir Rußland 1946 sich aus Persien zurückzuziehen. Auf Grund der Truman-Doktrin konnten wir Griechenland und der Türkei militärische und wirtschaftliche Hilfe leisten, auf die die Sowjets entsprechend zaristischem Vorbild einen starken Druck in Richtung auf das Mittelmeer ausübten. In den letzten Jahren haben wir einen weitgeschwungenen, von Japan bis Marokko reichenden Ring von Luftstützpunkten aufgebaut, haben in gewissem Umfang wirtschaftliche Hilfe gewährt, im Rahmen des Möglichen für die militärische Ausrüstung gesorgt — wie in Korea und Thailand —, haben Nationalarmeen ausgebildet, und die Franzosen in ihrem Kampfe um den Besitz Indochinas sehr stark mit Materiallieferungen unterstützt und versucht, eine Reihe antikommunistischer Bündnisse zustande zu bringen.

Unsere strategischen Luftstützpunkte haben unsere Ausgangsposition für einen dritten Weltkrieg gestärkt. Unsere Bemühungen um die Aufstellung und Ausbildung furchteinflößender antikommunistischer Eingeborenenarmeen waren in den äußersten Flanken des südasiatischen Halbmondes von Erfolg gekrönt — nämlich in der Türkei und in Formosa. Aber es sind nur geringe Fortschritte in der Bildung einer Verteidigungslinie in Südasien selbst erzielt worden, und unsere politische Stellung hat sich dort ständig verschlechtert. Abgesehen von bestimmten Vorteilen hat die Pakistan gewährte Militärhilfe unseren Beziehungen zu Indien ernsthaft geschadet und die Sowjets zu einem verstärkten Druck auf Afghanistan veranlaßt, das von jeher in diesem strategisch wichtigen Gebiet als Pufferstaat gedient hat. LInsere Luftstützpunkte haben weitgehend Mißtrauen und Verdruß gerade bei den Völkern geweckt, die wir dadurch schützen wollten. Die an die Franzosen in Indochina gewährte Militärhilfe in Höhe von fast 3 Milliarden Dollar hat nicht vermocht, eine der schmählichsten Niederlagen in der Geschichte zu verhindern.

An einem großen Teil der Schwierigkeiten ist die neutralistische Haltung Asiens schuld, die die Westmächte, denen die Ziele des Weltkommunismus schon seit langem völlig klar sind, verständlicherweise in Erstaunen versetzt hat. Dieser Neutralismus wird aus drei Quellen gespeist, die wir kennen müssen, wenn wir uns erfolgreich mit ihm auseinandersetzen wollen.

Erstens, die meisten nichtkommunistischen Asiaten sind der Überzeugung, daß für sie die größte Gefahr nicht eine offene Agression seitens Moskaus oder Pekings ist, sondern die kommunistische Unterwanderung, für die die schwache wirtschaftliche Struktur der asiatischen Länder der beste Nährboden ist. Dies erklärt die außerordentliche Konzentration asiatischer Staaten auf innerstaatliche Angelegenheiten.

Zweitens, die freien Asiaten haben eine lange und bittere Erfahrung mit dem westlichen Kolonialismus hinter sich, was ihre Beziehungen zu den westlichen Demokratien trübt und sie gegenüber westlicher Politik in Asien mißtrauisch macht. LInsere ganzen Anstrengungen, sic vor dem Kommunismus zu „retten“, haben da-her nur Verdruß über die sogenannten Befreier erregt.

Drittens, in Asien wie auch in Europa ist man fest davon überzeugt, daß Rotchina nicht von Moskau kontrolliert werden könne und vielleicht eine unabhängige Politik entwickeln würde, , wenn nur die Tür zur Welt offenbleibe".

Diese Ansichten können falsch sein, doch sind sie tief eingewurzelt und werden nicht ohne weiteres aufgegeben werden. Wenn wir zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem neuen freien Asien kommen wollen, müssen wir dem Rechnung tragen. Vor allem müssen wir tief durchdrungen sein von der Erkenntnis, daß wir nicht allmächtig und nicht Herr der Lage sind, wie wir geglaubt haben, und in vielen Teilen der Welt nichts weiter tun können als helfen, wenn es nicht um einen totalen Krieg geht.

Ein von Amerika inspiriertes, organisiertes und geleitetes Verteidigungsprogramm für Asien würde in eine politische Sackgasse führen. Wenn Südostasien und der Mittlere Osten in den nächsten zehn Jahren kein Opfer kommunistischer LInterwanderung oder Aggression werden, dann vor allem deshalb, weil die dort lebenden Völker die wahre Natur der kommunistischen Bedrohung erkannt und Schritte zu ihrer Bekämpfung unternommen haben. Wollen wir diese Entwicklung wirklich fördern, dann müßten wir zu tadeln aufhören und uns mit den Eingeborenen zusammensetzen, die in den nächsten Jahren die Geschichte dieses weiten, vielschichtigen Gebietes im Guten oder Schlechten schreiben werden.

Historische Vergleiche

Historische Vergleiche hinken oft. Doch drängt sich der Vergleich zwischen dem derzeitigen Standpunkt des „neutralistischen" Asien und den Ansichten auf, die im vergangenen Jahrhundert unserer eigenen Außenpolitik das Gesicht gegeben haben.

Die Vereinigten Staaten sind, wie die erst kürzlich unabhängig gewordenen Nationen Asiens, in einer Periode revolutionären Um-bruchs entstanden. 1789, also im gleichen Jahr als die französische Monarchie zusammenbrach, wurde unsere Verfassung in Kraft gesetzt. Während der Amtszeit der Präsidenten Washington, Adams, Jefferson und Madison waren die französische Revolution und die Napoleonischen Kriege in vollem Gange. Von Beginn der Revolutionsherrschaft im Jahre 1780 an bemühten sich gut bezahlte französische und englische Agenten unermüdlich darum, die neu entstandene nordamerikanische Nation fester auf die Seite einer der beiden großen Machtkomplexe zu ziehen. Gleich vielen Indern haben zu jener Zeit viele Amerikaner gegensätzliche Ansichten vertreten und einander beschuldigt, Werkzeuge fremder Mächte zu sein.

Vor diesem Hintergrund innerer und äußerer Unsicherheit hielt Präsident Washington am 19. September 1796 seine Abschiedsrede an das amerikanische Volk. Die von Washington empfohlene Politik amerikanischer Neutralität und dynamischer Unabhängigkeit ähnelt verblüffend den Forderungen, die heute Nehru für die indische Politik erhebt. „Seid redlich und gerecht zu allen Nationen“, sagte Washington. „Haltet Frieden und lebt in Harmonie mit allen .. . Eine übermäßige Zuneigung einer Nation für eine andere bringt nur mancherlei Unglück ... Es ist unsere Politik, uns von dauernden Bündnissen mit irgendeinem Teil der Welt fernzuhalten“. Eineinhalb Jahrhunderte später führen die Vertreter der neugebildeten Nationen Asiens in Neu-Delhi, Rangoon und Djakarta genau die gleiche Sprache. Und Amerikas erbitterte Reaktion im Jahre 1954 ähnelt auffallend derjenigen Englands, als es darum kämpfte, Napoleon an der Eroberung der halben Welt zu hindern.

Auch der Zeitraum von 1800 bis 1820 wies gewisse politische Tendenzen auf, die denen der vergangenen zwanzig Jahre weitgehend gleichen. In Europa waren die führenden Mächte geradeso wie in der Welt heute in zwei gegensätzliche Lager geteilt, und wechselnde Bündnisse wurden abgeschlossen. So taten sich England, Rußland und ihre Alliierten zusammen, um Napoleons Angriff zurückzuschlagen, so wie wir uns verbündeten, um Hitler zu besiegen. Analog sind auch die schnellen Veränderungen innerhalb der Machtblöcke nach Überwindung der Gefahr. Rußland, Englands wichtigster Verbündeter in den Napoleonischen Kriegen, übernahm nach Kriegsende die Führung der Heiligen Allianz-Koalition gegen England, genau so wie Rußland nach der Niederlage Hitlers mit seinen Satelliten und China eine Koalition gegen den Westen ins Leben rief.

Immer noch bestrebt, sich aus den „europäischen Streitigkeiten“ herauszuhalten, standen die amerikanischen Politiker im Jahre 1814 nach dem Zusammenbruch der Napoleonischen Armeen bei Waterloo neuen und ganz unerwarteten Problemen gegenüber. Die Bewohner Südamerikas hatten sich den europäischen Krieg zunutze gemacht, die Herrschaft der Kolonialmächte Spanien und Portugal abgeworfen und unabhängige Nationen gebildet. Die Vereinigten Staaten, die sich erst selbst vor gar nicht langer Zeit ihre Freiheit von englischer Herrschaft erkämpft hatten, haben diese Entwicklung begünstigt und direkte und indirekte Hilfe geleistet. Nach Abschluß des Friedens hatten die Spanier und Portugiesen die Absicht, die Kontrolle über die südamerikanischen Staaten wieder herzustellen, wobei sie der Unterstützung der Heiligen Allianz, Rußland, Preußen und Österreich, sicher waren. Die Engländer hingegen, die gerade einen ausgedehnten Handel mit südamerikanischen Häfen zu treiben angefangen hatten, der ihnen vorher von Portugal und Spanien untersagt gewesen war, widersetzten sich energisch diesen Plänen.

Zu dieser Zeit besassen die Vereinigten Staaten keine schlagkräftige Armee und nur eine unbedeutende Flotte. Aber ihr moralischer Einfluß in der ganzen Welt war genau so groß wie der Indiens heutzutage. Und genau so wie die beiden Machtblöcke heute um Indiens Freundschaft werben, so haben sich von 1 820 bis 1 823 die von Rußland geführte Heilige Allianz und die englische Regierung um die Zustimmung und Unterstützung Amerikas bemüht. Am 5. Juli 1820 berichtete Minister John Quincy Adams unserem Gesandten in St. Petersburg über das ihm kürzlich vom russischen Gesandten in Washington gemachte Angebot. Sein Brief verrät ein Dilemma, welches dem der gegenwärtigen süd-asiatischen Führer wie Nehru gleicht:

„Die Aufrechterhaltung einer standhaften und behutsam gehandhabten Unabhängigkeit ohne jegliche Verwicklung in die europäischen Angelegenheiten“, schrieb Adams, „ist vom Frieden im Jahre 1783 an bis auf den heutigen Tag ein wesentliches Anliegen unserer Politik unter jeder Regierung geworden . .. Doch wird es immer schwieriger, unseren Entschluß aufrechtzuerhalten und die Versuchungen, ihn aufzugeben, mehren sich . . . Der derzeitige russische Gesandte hat direkt, wenn auch inoffiziell, die Bitte vorgetragen, die Vereinigten Staaten sollten sich offiziell der Heiligen Allianz als Mitglied anschließen . . .".

1823 aber war die Regierung des Zaren den an die Demokratie glaubenden Amerikanern so widerwärtig wie heute ihre kommunistischen Nachfolger dem größten Teil des freien Asiens. Der Vorschlag der Heiligen Allianz wurde höflich aber bestimmt abgelehnt, so wie die freien Völker Asiens es bis heute abgelehnt haben — für westliche Begriffe zu höflich — sich mit dem Kommunismus zu verbinden.

Noch offener und unverblümter haben die Engländer die Vereinigten Staaten zu einer kräftigen Opposition gegen die Eingriffe der Heiligen Allianz in Südamerika aufgefordert. Am 20. August 1823 schrieb der englische Außenminister, George Canning, einen privaten und vertraulichen Brief an den amerikanischen Gesandten in London, Richard Rush. Darin sprach Canning den Verzicht Englands auf Einmischung in die neu gewonnene Unabhängigkeit der südamerikanischen Staaten aus. Dann fügte er hinzu: „Wir würden es nicht gleichmütig ertragen, wenn irgendeine Macht diese Unabhängigkeit antasten sollte. Wenn Ihre Regierung diese Ansicht teilt, warum sollten wir dann noch zögern, uns zu verständigen und sic öffentlich bekannt-zugeben?“ Cannings Vorschlag fand in Washington eine umgehende Antwort. Nach Beratung mit Minister Adams fragte Präsident Monroe alle seine noch lebenden Vorgänger auf dem Präsidentenstuhl um Rat. Thomas Jefferson, der kein Freund Englands war, erwiderte umgehend, daß ein Abkommen mit England nicht nur die günstigste Aussicht auf Verhinderung europäischer Angriffe auf Südamerika bieten, sondern auch dem Grundsatz der amerikanischen Außenpolitik dienen werde, sich aus europäischen Kriegen herauszuhalten. John Adams und James Madison stimmten zu.

Monroe und sein Minister entschlossen sich jedoch für eine einseitige amerikanische Erklärung. Das Tagebuch von John Quincy Adams sagt darüber folgendes: „Es bot sich die passende Gelegenheit, uns gegen die Heilige Allianz zu erklären und gleichzeitig Englands Angebot abzulehnen. Es ist aufrichtiger und würdiger, Rußland und Frankreich unsere Grundsätze deutlich klarzumachen als unser Ziel in einem „Beiboot im Kielwasser der englischen Kriegsschiffe" zu erreichen .. 1823 fühlten die Amerikaner die Wunden des englischen Kolonialismus noch so frisch wie die Inder heute, und sie hatten ein ähnlich starkes

Unterschiede und Ähnlichkeiten

Natürlich gibt cs viele in die Augen springende UInterschiede zwischen Indiens Stellung heute und der der Vereinigten Staaten im Jahre 1823. Doch nicht geringer sind die verblüffenden Ähnlichkeiten.

Südamerika um 1823 war, wie heute der Mittlere Osten und Südostasien, ein politisches Machtvakuum, das auf den Ehrgeiz der fremden Mächte wie ein Magnet wirkte. Indien und das freie Asien haben heute das gleiche brennende Problem wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823: Nämlich wie verhindert werden kann, daß der Streit zwischen den Mächten zu einem Weltkrieg wird, der auf der Schwelle des Landes ausbricht und unweigerlich zu kriegerischen Verwicklungen führen müßte.

Genau wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1 823 ist heute Indien der Ansicht, daß die Brennpunkte der Zwistigkeiten zu weit von seinen Grenzen entfernt sind, als daß cs aus seiner Reserve heraustreten müßte. Indien ist, genau Bewußtsein von Englands Stellung als führender Weltmacht. Adams wußte, daß unter diesen Umständen ein Bündnis zwischen Amerika und England ungeachtet der Zweckmäßigkeit in den ganzen Vereinigten Staaten eine politische Explosion verursachen würde. Obgleich Amerika niemals Kolonien in Südasien besessen hat, scheinen ihm seine engen Beziehungen zu seinen europäischen Verbündeten und die gegenwärtige Weltlage oft die Rolle des Erben westlicher Kolonialtradition aufzudrängen. Nehru weiß sehr wohl, daß ein indisch-amerikanisches politisches Bündnis in Indien heute auch zu einer Explosion führen würde.

Am 2. Dezember 1 823 schlug Monroe als Teil seiner siebenten Jahresbotschaft an den Kongreß seine berühmte Doktrin vor: „Das politische System der verbündeten Mächte ist wesentlich verschieden . . . von dem Amerikas... Es ist unmöglich, daß die alliierten Mächte ihr politisches System in irgendeiner Form auf den (amerikanischen) Kontinent ausdehnen könnten, ohne nicht unseren Frieden und unser Wohlbefinden zu gefährden. ... Es ist für uns daher ausgeschlossen, einem solchen Eingreifen mit Gleichmut zuzusehen“. Obgleich die Engländer mit ihrem Monroe unterbreiteten Vorschlag einer zweiseitigen politischen Erklärung über die Beziehungen zu den südamerikanischen Staaten keinen Erfolg gehabt hatten, wußten sic die Lage zu ihrem Vorteil zu nutzen, und Außenminister Canning beschränkte sich auf eine gelegentliche Bemerkung im Abgeordnetenhaus.

So haben sich die Vereinigten Staaten schon frühzeitig in ihrer Geschichte einen Elementar-grundsatz der Weltgeschichte zu eigen gemacht, den wir später oft außer acht gelassen haben: Daß nämlich Neutralität und Außerhalbstehen nicht von unseren Wünschen abhängen und daß oft ein geringes Maß von rechtzeitigen, konstruktiven und friedlichen Interesse eine spätere tragische und blutige Verwicklung zu verhindern imstande ist. wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823, viel zu sehr mit seinen eigenen schwierigen wirtschaftlichen Problemen, Entwicklungsmöglichkeiten und Zivilisationsfortshritten beschäftigt. Indien hegt, wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823, größtes Mißtrauen gegen den Kolonialismus und bemüht sich, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Nationen zu unterstützen, die sich von der kolonialen Herrschaft befreien wollen. Indien ist, wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823, davon überzeugt, daß seine besten Chancen für Frieden und wachsenden Wohlstand in der Aufrechterhaltung korrekter Beziehungen zu allen Mächten liegen und das indische Volk davor bewahrt werden muß, ideologisch in die derzeitigen Kämpfe verwickelt zu werden.

Wie weit läßt sich diese Parallele führen? Ist sich Indien, wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823, bewußt, daß eine unabhängige Position nur durch eine positive, ideenreiche Politik und die Übernahme von Verantwortung gehalten werden kann? Dies dürfte die entscheidende Frage sein, die auf politischem Felde innerhalb der nächsten zehn Jahre zu stellen und zu beantworten ist.

Monroe und Adams haben gewußt, daß sich die Engländer jedem Eingreifen der Russen und der Heiligen Allianz in Südamerika energisch widersetzen würden, was die Vereinigten Staaten gezwungen hätte, sich zu einer Partei zu bekennen. So lange das gegenwärtige Macht-vakuum im Mittleren Osten und Südostasien besteht, wird der Kommunismus versuchen, es zu füllen. Jede offene bewaffnete Aggression des Moskau-Peking-Blockes wird die Vereinigten Staaten selbst um den Preis eines dritten Weltkrieges sofort auf den Plan rufen. Ist sich Indien bewußt, daß es im Falle eines solchen Konflikts, der seine wichtigsten Seeverbindungen zerstören und sich dicht an seinen Grenzen abspielen würde, seine neutrale Haltung unmöglich aufrecht erhalten kann, die heute das Fundament seiner Außenpolitik ist?

Wenn der Neutralitätsgedanke in Indien wirklich tief verwurzelt ist, wie wir annehmen müssen, so wird Indien in den nächsten Jahren im Kalten Krieg nur dann neutral bleiben können, wenn es seinen Anteil an der Verantwortung im Mittleren Osten und Südostasien trägt, genau so wie die Vereinigten Staaten vor 130 Jahren in Südamerika die Verantwortung auf sich nahmen. Wenn Indien und die anderen freien Nationen Asiens in diesem Punkt versagen, dann hauptsächlich deshalb, weil das Erbe des Kolonialismus ihnen die Sicht trübt. Dies erhellt aus zwei Vorschlägen, die für eine auswärtige Bürgschaft der Politik der freien Asiaten ergangen sind — die beiden Bürgen sollen Rot-china oder die Vereinigten Staaten sein.

Ein wesentliches Ziel der derzeitigen Politik Chinas ist die Erklärung einer eigenen „MonroeDoktrin“, wodurch nicht nur bestehende Bindungen zwischen den westlichen Demokratien und den freien Nationen Süd-und Südostasiens zerrissen, sondern der Westen sogar in ganz Asien, Japan einbegriffen, ausgeschaltet würde.

Wenn erst Asien ganz dem westlichen Einfluß entzogen wäre, würde China seine Forderungen an die schwächeren Nachbarn steigern, seine politische und militärische Führung in ganz Asien fest verankern und schließlich von der arabischen See bis nach Alaska eine absolute Kontrolle ausüben können.

Tschu-En-lai hat in verführerischer Weise den ersten Schritt zu diesem Plan mit einer anti-kolonialen Haltung verbrämt, die selbst auf die meisten anti-kommunistischen Asiaten einen großen Eindruck zu machen pflegt. In seinen Diskussionen mit südostasiatischen Führern wie Nehru und II Nu ist von militärischer Aktion nicht die Rede gewesen. Er hat die Betonung mehr auf Koexistenz, Unabhängigkeit und „keine Aggression“ gelegt — Worte, die an die vertrauten asiatischen Begriffe von Gewaltlosigkeit und friedlichem Fortschritt erinnern.

Aber mit der Zeit dürfte Tschu's anti-kolonialer Lockruf an Wirkung einbüßen. In Asien ist der Kolonialismus im Absterben begriffen, und diese Tatsache kann auch von den erbittertsten Gegnern der Westmächte nicht übersehen werden. Die Katastrophe in Indochina hat den UIntergang des französischen Kolonialismus dort und in den kleinen französischen Stadtstaaten in Indien besiegelt. Auf Grund des Verhaltens der Engländer in Indien, Pakistan, Burma und Ceylon nach dem Kriege dürfen wir annehmen, daß sie sich aus Malaya zurückziehen werden, wenn sie erst die Guerillas in der Hand haben und ein neues konstitutionelles Rahmenwerk geschaffen worden ist. Vermutlich werden sie eines Tages in gleicher Weise auch in Sarawak und Britisch Nordborneo vorgehen.

Mit Ausnahme der englischen Stützpunkte in Singapore und Hongkong werden nur noch geringe Reste des europäischen Kolonialismus in Asien übrigbleiben: Die Portugiesen in Goa, Timor und Macao, und die Niederländer in Irian oder Niederländisch-Westneuguinea. Es ist anzunehmen, daß die Bedeutungslosigkeit dieser noch bestehenden kolonialen Außenposten die Überzeugungskraft einer von den Chinesen inspirierten und gegen die vermeintliche Drohung westlichen Kolonialismus gerichteten „MonroeDoktrin“ in den folgenden Jahren immer mehr beeinträchtigen wird. So lange die Führung Süd-asiens demokratisch bleibt, wird Tschu-En-lai bei seinen Bemühungen, Asien vom Westen zu trennen, beträchtliche Hindernisse zu überwinden haben.

Fünf Grundsätze

Es wäre sogar ein Fehler, die kürzlich in Neu-Delhi getroffenen indisch-chinesischen Abmachungen für einen glänzenden kommunistischen Sieg zu halten. Die im Juli von Tschu Enlai und Nehru zusammen abgegebene Erklärung schlägt vor, den kürzlich abgeschlossenen indisch-chinesischen Tibetvertrag als Modell für ganz Asien zu benutzen. In der Präambel dieses Vertrages stehen fünf Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen: Gegenseitige Respektierung der territorialen Integrität und Souveränität; keine gegenseitigen Angriffe; keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Landes; Gleichberechtigung und gegenseitige Förderung; und friedliche Koexistenz.

Es kann den Indern nicht verborgen geblieben sein, daß China alle diese Grundsätze verletzt hat, als es 1951 Tibet einsteckte. Daß Indien sich gegenüber China einer Verletzung schuldig gemacht hätte, hat aber bisher noch niemand behauptet. Die Bedeutung der Erklärung kann also nur in dem Versprechen Chinas liegen, von nun an entsprechend den Prinzipien zu leben, die es selbst vor gar nicht langer Zeit dreist verletzt hatte. Die Inder aber hegen offensichtlich die Hoffnung, der kommunistische Tiger werde sich nach Stillung seines Hungers nunmehr friedlich verhalten und mit den anderen Völkern in Harmonie leben, was auch wir im Westen in den ersten Nachkriegsjahren so vergeblich gehofft haben.

Argumente aus westlichem Munde, ganz gleich wie logisch sie sind, dürften die skeptischen Asiaten kaum davon überzeugen, daß sie das Unmögliche erhoffen. Erst wenn die Kommunisten ihre Versprechen brechen, könnten die bitteren Erfahrungen ihnen die Illusionen rauben.

Anstatt die chinesisch-indischen Beziehungen enger zu gestalten, könnte daher das zwischen Nehru und Tschu En-lai abgeschlossene Abkommen gerade das Gegenteil bewirken. Auf jeden Fall ist es ein Prüfstein für die chinesischen Absichten. Wenn die Chinesen dem Beispiel der Sowjetunion in den 1920er und 1930er Jahren folgen und den Druck zeitweise vermindern und die Errungenschaften ihrer Revolution ausbauen werden, würden Indien und die anderen freien asiatischen Nationen die so dringend notwendige Atempause erhalten, um ihre wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten zu ordnen. Wenn China seine neu eingegangenen Versprechen nicht hält, was wahrscheinlicher zu sein scheint, und sich direkt oder indirekt auf weitere Abenteuer einläßt, dann wird die wahre Natur des chinesischen Kommunismus vielen Asiaten zum ersten Mal klar werden.

Eine Entwicklung in dieser Richtung nach den von Tschu En-lai in Neu-Delhi und Rangoon eingegangenen Verpflichtungen würde dem freien Asien den gleichen psychologischen Schock versetzen wie der kommunistische Staatsstreich in der Tschechoslowakei und der Tod von Jan Masaryk dem Westen im Jahre 1948. Nehmen die Dinge diesen Lauf, dann würde sich die kommunistische Partnerschaft selbst in den Ruf einer neuen „unheiligen Allianz“ bringen, die nach Weltherrschaft und Sklaverei strebt.

LInter diesen Umständen dürfte die „Tschu En-lai-Doktrin" für die Asiaten kein großes und dauerndes Interesse haben und auch eine „Dulles-Doktrin“ würde für sie gleichermaßen ohne Reiz sein. In seiner am 24. April 1954 gehaltenen Ansprache an die Volkskammer in Neu-Delhi hat Nehru die amerikanische „Erklärung, die einer einseitigen Protektion oder einer Art Monroe-Doktrin für die südostasiatischen Länder gleichkäme“, gegeißelt. Jetzt müssen wir abwarten, was die Acht-Mächte-Konferenz in Manila bringt, die bei Abfassung dieses Artikels noch nicht beendet war. Ein Verteidigungssystem in Asien, das nicht von den Colombo-Staaten unterstützt wird, hat nur begrenzten militärischen Wert und dürfte politisch sehr labil sein.

Es besteht auch die Möglichkeit, daß sich Indien und seine nicht-kommunistischen Nachbarn für eine unabhängige Rolle entscheiden, um zur Füllung des Vakuums im Mittleren und Südöstlichen Asien beizutragen. Die Ende April stattgefundene Ceylon-Konferenz, an der die Ministerpräsidenten von Indien, Ceylon, Pakistan, Burma und Indonesien teilgenommen haben, ist vom Westen viel weniger beachtet worden als sie verdient hat, weil sich gerade damals die Indochinakrise auf dem Höhepunkt befand. Während der nächsten Jahre stehen diesen fünf „Colombo-Staaten“, in denen ein Viertel aller Menschen leben, theoretisch drei Wege offen:

Der eine extreme Fall wäre der, daß vier Staaten dem Beispiel des fünften, nämlich Pakistan folgen, ihre derzeitige Politik der Unabhängigkeit aufgeben und mit den westlichen Demokratien einen Verteidigungspakt abschließen, der offen von der militärischen Macht des Westens unterstützt wird.

Im anderen extremen Falle würden sie ein Bündnis mit Rotchina eingehen, um die von Tschu befürwortete „Asien den Asiaten“ -Koexistenz zu verwirklichen.

Und schließlich könnten sie sich noch zu einer Art eigener Monroe-Doktrin bekennen. Wenn sie auch den Beitritt zu einem vom Westen unterstützten Militärpakt ablehnten, könnten sie trotzdem den Entschluß fassen, sich jeder künftigen Aggression in Südasien energisch zu wider-setzen, egal wer dahintersteht, denn sie ahnen vielleicht einen chinesischen Bruch zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, den Mao Tse-tung bestimmen würde.

Es dürfte ein Wunschtraum sein zu glauben, daß der erste Weg in absehbarer Zukunft von praktischer Bedeutung ist. Ob wir es billigen oder nicht, Indien ist zum Beispiel jetzt nicht mehr bereit, als „Beiboot“ im Kielwasser der amerikanischen „Kriegsschiffe“ zu schwimmen, ebenso wenig wie die Vereinigten Staaten im Jahre 1823 sich in dieser Form an England binden wollten.

Wenn wir weiterhin uns nur auf militärische Maßnahmen in Asien konzentrieren und die für den Ablauf der Geschichte bestimmenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte weitgehend außeracht lassen, dann wird mit großer Wahrscheinlichkeit die zweite Alternative — für uns die unangenehmste — Wirklichkeit werden.

Doch ist auch die dritte Alternative, die in der augenblicklichen schwierigen Lage der Stabilität Asiens am dienlichsten wäre, noch durchaus im Spiel.

Indien hält den Schlüssel zur Lage in der Hand

Die Ceylon-Konferenz war ein guter Anfang. Nach den Zusammenkünften in Colombo und Kandy unterstrichen die fünf Ministerpräsidenten „ihren Glauben an die Demokratie und die demokratischen Institutionen“ und erklärten „ihren unerschütterlichen Entschluß, sich einer Einmischung in die Angelegenheiten ihrer Länder durch äußere kommunistische, anti-kommunistische oder sonstige Institutionen zu widersetzen“. Dies dürfte kaum dafür verbürgen, daß die Staaten unter allen Umständen eine kommunistische Aggression bekämpfen würden. Einige Amerikaner dürften sich auch über die Bemerkung der anti-kommunistischen Institutionen als einer potentiellen Einmischungsquelle ärgern, wobei sie ganz unsere eigene überempfindliche, kolonialbewußte Vergangenheit vergessen und auf „alles oder gar nichts" -Bündnissen bestehen. Sollte die Colombo-Kandy-Erklärung den Keim einer zukünftigen echten und eigenständigen Monroe-Doktrin enthalten, dann sollten wir uns an unsere eigene Geschichte erinnern und uns beruhigen.

Würde Indien mit seinen Nachbarn zusammen auch Thailand helfen? Würde es die Grenzen eines freien Laos und Kambodscha garantieren? Der indochinesische Waffenstillstand hat diese Fragen offengelassen. Wenn allerdings eine von Indien und seinen Nachbarn angenommene Monroe-Doktrin für Asien volles Gewicht besäße, würden sich die Zweifel erübrigen.

Indiens Stellung im Mittleren Osten ist noch ungeklärter. Vor zwei Jahren zeigte sich Indien von der Schwäche der persischen Regierung angesichts der sowjetischen, mit Hilfe der Tudeh-Partei angezettelten Intrigen inoffiziell sehr berührt. Auch über die wachsende sowjetische Aktivität in Afghanistan war Indien beunruhigt. Es dürfte von entscheidender Bedeutung sein, welche Position Indien in all diesen Problemen beziehen wird. Wenn es weiterhin nicht bereit ist, offiziell eine klare Stellung einzunehmen, dürfte die Gefahr weiterer kommunistischer Aggressionen wachsen.

Auf der Ceylon-Konferenz wurde eine weitere Sache klar. Während Monroe einen einseitigen Pakt proklamieren konnte, ohne auf die Gefühle seiner wankelmütigen Nachbarn in Südamerika besonders Rücksicht nehmen zu müssen, kann Nehru keine einseitige „Nehru-Doktrin“ verkünden, ohne nicht zu riskieren, seine stolzen Nachbarn in Südasien zu brüskieren. Eine nur für Asien gedachte Monroe-Doktrin müßte eine multilaterale Basis haben, was Anlaß zu neuen Problemen geben würde.

Den asiatischen Ländern fehlt es an Homogenität und gemeinsamer Grundlage für eine gemeinschaftliche Politik. Außerdem sind die schwierigen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan zu berücksichtigen. Wenn es den beiden Ländern nicht gelingt, wenigstens ihre Außenpolitik auf einen Nenner zu bringen, dürfte ein wirksames, rein südasiatisches Verteidigungs-Programm schwer zu verwirklichen sein.

Selbst wenn diese Hürde genommen werden sollte, zweifeln noch viele, die die Durchschlagskraft einer Nation nach der Stärke der Luftstreitkräfte und gepanzerten Divisionen beurteilen, daran, ob die militärischen und politischen Kräfte der südasiatischen Nationen ausreichen würden, um einen Angreifer abzuwehren. Weder Moskau noch Peking dürften das große militärische Menschenpotential, das Indien zur Verfügung steht, leicht nehmen. Es dürfte der kommunistischen Führung klar sein, daß im Falle eines aus kommunistischer Aggression in Asien geborenen Krieges eine von den freien Nationen Asiens vorgeschlagene Monroe-Doktrin die Unterstützung der westlichen Luft-und Seestreitkräfte finden würde, so wie unsere eigenen Politiker 1823 der unausgesprochenen Unterstützung durch die englische Flotte sicher waren.

Es wäre außerdem ein schwerer Fehler, das moralische Gewicht zu unterschätzen, das die neuen unabhängigen Nationen bei den Millionen, zwischen den Fronten schwankenden Bewohnern Asiens, Afrikas und Südamerikas genießen. Eine Erklärung Nehrus und seiner Ministerpräsidentenfreunde, daß eine neue bewaffnete Aggression in Asien allgemeinen Widerstand wecken würde, trüge zur Stärkung der demokratischen Kräfte in der ganzen Welt bei.

Indien hält natürlich den Schlüssel zur ganzen Lage in der Hand. Wie weit würde es in seinem Widerstand gegen ein offenes kommunistisches Vordringen in Asien gehen? Wie jetzt die Dinge stehen, wird niemand, nicht einmal die Inder selbst, es genau sagen können. Indien hat den Beweis für seinen Entschluß gebracht, eine innere kommunistische Unterwanderung zu unterbinden. Indien würde sich sicher verteidigen, wenn irgendein Feind, Kommunist oder nicht, es angreifen würde. Indien hat keine Zweifel daran gelassen, daß es auch seinen Nachbarn Nepal und die kleinen Himalaya-Fürstentümer Bhutan und Sikkim an der nördlichen Grenze verteidigen würde. Wenn die kommunistischen Chinesen Burma angreifen sollten, würde Indien sicherlich eine sofortige Gegenaktion der Vereinten Nationen unterstützen.

Nichts ist einfach und kurzfristig in Asien

Wir befinden uns in Asien in einer mißlichen Lage. Wir sind verschwenderisch mit Geld, militärischen Ausrüstungsgegenständen, mit Aufrichtigkeit und gutem Willem umgegangen. Aber es ist uns nicht geglückt, eine starke, von Amerika geleitete, anti-kommunistische Front aufzubauen, und wir hatten gerade in dem halbmondförmigen Südostasien und Mittleren Osten den geringsten Erfolg. Weil unser Ziel außerhalb des politisch Möglichen liegt, kommen wir zu keinen Ergebnissen. Daraus sollten wir die Lehre ziehen, daß die Asiaten weder undankbar noch pro-kommunistisch sind, sondern daß diesen Ländern gerade die amerikanische Führung der antikommunistischen Front nicht behagt. Weitere Bemühungen im alten Sinne sind zur Erfolglosigkeit verurteilt. Jede Niederlage wird unserer Stellung und unserem Prestige weiteren Abbruch tun und uns stärker in die Selbstisolierung treiben.

Einer eigenständigen Monroe-Doktrin für das freie Asien stellen sich zahlreiche schwere Hindernisse in den Weg. Es wäre unsinnig voraussagen zu wollen, wann und unter welchen Umständen sie in Angriff genommen werden wird. Doch wenn stabile Verhältnisse erreicht werden sollen, bieten sich auf die Dauer gar keine anderen Alternativen, und es bleibt zu hoffen, daß die Umstände selbst für rechtzeitige Beschlüsse sorgen. Wir wissen, daß dem Kopfe des Zeus kein fix und fertiges Programm entspringen wird. Wie alle tiefgreifenden politischen Veränderungen wird es sich aus vielen Faktoren zusammensetzen, und Standpunkt, Sympathie, Auswahl, Persönlichkeit und Macht werden Einfluß haben.

Daher würden die Amerikaner gut daran tun, einfache Lösungen nicht zu erwarten. Sie gibt es in Asien nicht. Der verhältnismäßig große Erfolg, den wir in Europa mit einer Reihe von Maßnahmen, wie der Truman Doktrin, dem Marshallplan und der NATO erzielt haben, hat die Einsicht in die anders gearteten Zustände Asiens getrübt. Viel von unserer gegenwärtigen Enttäuschung über Asien entstammt dem allgemein verbreiteten Glauben, unsere Staatsmänner seien weder patriotisch noch klug genug, um ähnliche fugenlose und umfassende Lösungen wie für Europa zu erreichen, und ihre Unfähigkeit sei für alle Schwierigkeiten verantwortlich zu machen.

Wir betrügen uns aber selbst, wenn wir glauben, daß die um vieles komplizierteren Probleme des freien Asien in ein vorgefaßtes, europäisch gefärbtes Schema zu pressen sind. Nichts ist einfach oder kurzfristig in Asien, und je eher wir dazu übergehen, in längeren Zeiträumen zu denken, desto größer wird unser Beitrag zu fried-liehen und stabilen Verhältnissen sein, um die wir uns so ernsthaft bemühen.

Es ist von elementarer Wichtigkeit, daß wir uns an das asiatische Denken und Fühlen anpassen und versuchen, in echte Beziehungen zu Asiaten zu treten, um miteinander zu einem fruchtbaren Gespräch zu kommen.

Das letzte Ziel muß die Bildung freier, zuversichtlicher und dynamischer neuer Nationen zwischen dem Mittelmeer und der südchinesischen See sein. Lingeachtet der Ansicht vieler asiatischer Führer bleibt die Frage offen, ob der kommunistische Zeitplan eine solche Entwicklung gestatten wird. So könnte die ruhige Entwicklung dieser Nationen von der richtigen Einschätzung der ihnen drohenden Gefahren und ihrem Willen abhängen, die ihnen von der Geschichte zugeteilten kritischen Rollen auch voll zu spielien -gleichgültig was sie über Amerika und den Westen denken. Die Vereinigten Staaten können weder in Asien noch sonstwo diese Bedingungen schaffen. Sie müssen wachsen — von selbst und durch sich selbst. Wir können nur das Wachstum durch freundliche und zurückhaltende Ermutigung und Unterstützung beschleunigen.

Neuorientierung der Asienpolitik

Die Erkenntnis dieser Tatsache verlangt eine weitreichende Neuorientierung unserer Asien-politik. Doch ist die Zeit für eine Neuorientierung günstig, weil die indochinesische Katastrophe die Sinnlosigkeit unserer bisherigen Politik vor aller Welt enthüllt hat. Wie würde eine neue Asienpolitik, die die Lehre aus der Vergangenheit gezogen hat, in groben Umrissen aussehen?

Wir sollten starke und anpassungsfähige Streitkräfte, die auch mit konventionellen Waffen ausgestattet sind, unterhalten und bereit sein, sie gegen eine offene Aggression einzusetzen. Gleichzeitig sollten wir das Säbelrasseln und die unbesonnenen öffentlichen Erklärungen unterlassen, die unsere tatsächlichen und zukünftigen Freunde erschrecken und auf unsere Feinde selten Eindruck machen.

Wir sollten uns weiterer kommunistischer tibergriffe auf Korea und Formosa energisch erwehren; aber gleichzeitig sollten wir uns bewußt sein, daß wir unsere Asienpolitik nicht auf zwei Nationen stützen können, deren Gesamtbevölkerung von 35 Millionen nicht einmal drei Prozent der ganzen Bevölkerungsziffer Asiens ausmacht. Syngman Rhee und Chiang Kai-shek haben den Kommunismus tapfer bekämpft, aber es fehlt ihnen fast jeder Kontakt zu den geistigen Strömungen des modernen Asien, und die meisten Asiaten und auch Europäer sind der Ansicht, daß es sie nach einem dritten Weltkrieg gelüstet.

Wir sollten eine klare, überzeugende und verantwortungsbewußte Haltung gegen jede Form des Kolonialismus einnehmen. Es ist ein schlechter Handel, unsere moralische Position zu Gunsten einer zweifelhaften Stärkung unserer Beziehungen zu den europäischen Verbündeten zu opfern.

Wir sollten entschieden mehr Wert auf die „Punkt-Vier-Hilfe“ legen, ohne sie an Verpflichtungen zu binden und den größten Anteil durch die Vereinten Nationen vergeben lassen. Ein ständiger wirtschaftlicher Fortschritt im freien Asien ist von Wichtigkeit.

Wir sollten Präsident Eisenhowers Atombankvorschläge durchsetzen und allen freien, freundlich gesinnten Nationen, ohne Rücksicht auf die russische Politik, Atomenergie anbieten als einer friedlichen Quelle zur Entwicklung ihrer Wirtschaft.

Wir sollten die zögernden Schritte asiatischer Regierungen in der Richtung gemeinsamer Gespräche und gemeinsamen Nutzens — wie z. B. die kürzlichen Besprechungen in Ceylon — eher ermutigen als uns über sie ärgern. Wenn aus diesen Gesprächen eines Tages eine eigenständige asiatische Monroe Doktrin hervorgeht, sollten wir so klug sein, sie zu begrüßen.

Wir sollten die Übernahme verantwortlicher Stellungen durch asiatische Länder in den Vereinten Nationen und in anderen wichtigen Konferenzen fördern und sie nicht jedesmal daran zu hindern scheinen. Auf die Dauer gesehen gewinnen wir an Achtung vielmehr als wir an Stimmen in einzelnen Fragen verlieren.

Wir sollten der Tatsache Rechnung tragen, daß ein dynamisches Japan bald einen neuen Platz in Asien finden muß und daß es sich nur darum handelt wo und wie. Abkommen in Asien, die die Existenz von 80 Millionen hart arbeitender und hoch industrialisierter Japaner nicht berücksichtigen, dürften wohl auf Sand gebaut sein. In Europa haben wir schon die entscheidende Wendung in unseren Beziehungen zu der Bundesrepublik vollzogen.

Wir sollten von vornherein eine eventuelle Rivalität zwischen der Sowjetunion und Rot-china in Rechnung stellen und ruhig einem innenpolitischen Druck widerstehen, der es uns unmöglich machen würde, daraus Nutzen zu ziehen.

Eine Behandlung der asiatischen Probleme in diesem Sinne erfordert mehr Takt und Bescheidenheit und weniger doktrinäre Behauptungen, als wir in den letzten Monaten aufgebracht haben. Dies wird uns leichter fallen, wenn wir begriffen haben, daß sich die demokratischen Fortschritte in Asien in den nächsten zehn Jahren nicht auf Grund dramatischer und sichtbarer Maßnahmen unsererseits vollziehen, sondern sich langsam und bodenständig entwickeln werden wie in den letzten Jahren in Indien und Burma.

Wenn wir erst im Erfolg dieser Länder den besten Weg zur Stabilität in Asien erblicken, wird sich vieles andere von alleine einstellen. Wir werden aufhören, jeden Zwischenfall am schwarzen Brett als ein Plus oder Minus im Kalten Krieg anzukreiden.

Lins wird nicht der Boden unter den Füßen schwanken, wenn Tschu einen Besuch in Neu Delhi macht und Nehru eine Reise nach Peking plant. Wir werden endlich positiv denken und handeln und nicht mehr nur hypnotisch auf die Maßnahmen der Kommunisten reagieren. Wir werden uns endlich wieder im Einklang befinden mit den Zielen aller freien Völker.

Fussnoten

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