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Bedingungen für den Frieden | APuZ 7/1955 | bpb.de

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APuZ 7/1955 Bedingungen für den Frieden Ungenügende Erziehung

Bedingungen für den Frieden

Richard Lowenthal

Der im folgenden veröffentlichte Artikel wurde mit Genehmigung des Verlages der englischen Zeitschrift bTHE TWENTIETH CENTURY" (November 1954) entnommen.

Dem „kalten Krieg“ und dem „richtigen Krieg“ ist gemeinsam, daß es schwieriger ist, sie zu beenden als sie anzufangen. Ein Krieg kann durch einen einfachen Willensakt begonnen werden; aber um ihn zu beenden ist — ausgenommen im Falle einer bedingungslosen Über-gabe — eine Lösung der wesentlichen Streitfragen im Verhandlungswege erforderlich. Das, was wir „kalter Krieg“ nennen, ist mehr als nur ein Propagandafeldzug zweier feindlicher „ideo-logischer" Lager. Er verdankt seine Entstehung dem Unvermögen, die zwischen den beiden Machtblöcken vorhandenen Streitfragen auf diplomatischem Weg zu lösen, und den unausgesetzten Versuchen beider Seiten, das Gleichgewicht der Kräfte auf jede Weise zu verschieben, zwar mit Ausnahme eines Weltkrieges — aber doch unter Einschluß von Rüstungswettlauf, militärischer Drohung und örtlich begrenzter Gewaltakte. Er wäre durchaus zu beenden und die uns drückende militärische und seelische Last könnte gewiß verringert werden, auch wenn der ideologische Streit fortdauern sollte. Aber zu diesem wünschenswerten Ergebnis kann es nur kommen, wenn die wichtigsten Streitfälle auf diplomatischem Wege beigelegt werden.

Anlaß zu diesen Bemerkungen geben die immer offensichtlicher zu Tage tretenden Änderungen in der sowjetischen Strategie — ihre Neigung, sich immer weniger des groben militärischen Drucks sondern in zunehmendem Maße der politischen Manöver zu bedienen. Diese Änderung könnte zum Beispiel bedeuten, daß die sowjetischen Führer den „kalten Krieg“ in dem oben erwähnten Sinne tatsächlich zu beenden wünschen, wenn sie nur wüßten, wie sie es anstellen sollen. Wenn sie wirklich diesen Wunsch hegen, würde es uns nur zum Vorteil gereichen, ihnen durch ein Angebot vernünfti-ger Bedingungen für die Regelung der wichtigsten Streitfragen entgegenzukommen, und es wäre für uns an der Zeit, ernsthaft über die Ausarbeitung dieser Bedingungen nachzudenken und dabei drei Ziele im Auge zu behalten, nämlich: herauszufinden, ob die jetzt ausgestreckten sowjetischen Fühler der Ausdruck einer echten Sinnesänderung sind, unser Angebot bejahendenfalls als einen notwendigen Beitrag zum Frieden zu betrachten, und es im negativen Falle für das beste Verteidigungsmittel zu halten, um von der sowjetischen Friedenspropaganda nicht ausmanövriert zu werden.

Wechsel in der sowjetischen Taktik

Abbildung 1

Die einzige wichtige und greifbare Änderung in der sowjetischen Außenpolitik im ersten Jahr nach Stalins Tod war der Entschluß, einen Waffenstillstand in Korea durch Annahme der vorher abgelehnten indischen Vorschläge zur Lösung des Kriegsgefangenenproblems zu schließen. Im gleichen Jahr veränderte sich die sowjetische Position noch durch zwei andere Ereignisse, die zweifellos Rückwirkungen auf die Außenpolitik haben werden: Die amtliche Feststellung der Agrarkrise im ganzen sowjetischen Reich und die Explosion der ersten sowjetischen H-Bombe. Die Agrarkrise hat zu einem starken Widerstand gegen ein weiteres gesteigertes Wettrüsten geführt, und die Explosion der H-Bombe hat das sowjetische Selbstvertrauen gestärkt und die Furcht des Kremls vor einem „Präventivkrieg“ verringert. Auch die tiefe Kluft zwischen den Worten und Taten der neu gewählten amerikanischen Regierung wird wohl in diesem Sinne gewirkt haben. Als Dulles den denkwürdigen Satz prägte, örtliche Angriffe würden durch eine „massive Vergeltung“ (massive retaliation) geahndet werden, da ließen sich die Russen schon nicht mehr täuschen.

In den vergangenen sechs Monaten ungefähr seit Beginn der Genfer Konferenz, hat die sowjetische Diplomatie auf dieser Basis eine viel größere Geschmeidigkeit entwickelt. Es war vielleicht nicht schwer, einem Kompromiß in Indochina zuzustimmen, der im wesentlichen einem kommunistischen Sieg gleichkommt; doch wäre zweifellos der Sieg noch größer und die französische Politik weiterhin zur Passivität in Europa verurtielt gewesen, wenn sich Rußland und China zu einer Fortsetzung des Kampfes entschlossen und das Risiko auf sich genommen hätten, die neutralen asiatischen Staaten vor den Kopf zu stoßen und die „Atmosphäre des Friedens“ zu zerstören, die sie mit so viel Geduld erst aufgebaut haben. Den Abschluß des militärischen Balkanpaktes haben die Sowjetunion und die Satelliten mit unaufhörlichen Bemühungen beantwortet, die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit ihren Nachbarn zu „normalisieren“. Bulgarien z. B. erkannte seine Reparationsschulden an Jugo-slawien und Griechenland an, die im Bürgerkrieg entführten griechischen Kinder sind repatriiert worden und der Anti-Tito-Sender in Moskau wurde stillgelegt. Im gleichen Zeitraum wurde die Genehmigung zur Erhöhung des Kontingents privater Reisen zwischen der Westund Ostzone Deutschlands erteilt, so daß allein im Monat August 300 000 Westdeutsche die Ostzone und 400 000 Ostdeutsche die Bundesrepublik besuchen konnten. Dieses ist im Kreise der geteilten Nationen das augenfälligste Beispiel für die allgemeine Tendenz, den „Eisernen Vorhang“ der letzten Jahre durch eine geschmeidigere Form der Kontrolle zu ersetzen.

Der einst unverrückbare Begriff von der militärischen Sicherung eines vorgeschobenen Gebietes hat der Erkenntnis von der politischen Zweckmäßigkeit eines Ost-West-Kontaktes Platz machen müssen. Selbst der Abschluß des Londoner Abkommens über eine neue Form der westdeutschen Wiederbewaffnung hat diese Politik nicht grundsätzlich zu ändern vermocht.

Molotow deutete im Gegenteil an, daß er eventuell bereit wäre, Vorschläge über freie gesamtdeutsche Wahlen zu diskutieren — die er auf der Berliner Konferenz im vergangenen Februar verworfen hatte — und Wyschinski bot an, über die englisch-französischen Abrüstungsvorschläge zu reden, die er noch im Juni abgelehnt hatte.

Nur im Fernen Osten, wo China und die Vereinigten Staaten noch keine diplomatischen Beziehungen miteinander ausgenommen haben, ist in der Methode sowjetischer Politik kein entsprechender Wechsel eingetreten. Seit der Genfer Konferenz hat Chou En-lai in steigendem Maße mehr Rücksicht auf die Meinung neutraler asiatischer Staaten genommen als je zuvor, wie seine Besuchsreisen zu Nehru und U Nu beweisen. Auf den Manila-Pakt jedoch hat er im klassischen Stil des kalten Krieges reagiert, denn er hat ganz offen die kommunistische Wühlarbeit in Siam und etwas weniger offen doch unbestreitbar die kommunistischen Guerillakämpfer im neutralen Burma weiterhin unterstützt. Außerdem hat die rotchinesische Regierung mit Bedacht den Entschluß gefaßt, Formosa zu einem neuen Gefahrenpunkt der Weltpolitik zu machen, indem sic ihre Absicht kundgab, die unter amerikanischer Protektion stehende Insel mit Gewalt zu „befreien“; und Moskau hat diesen neuen Feldzug wenigstens moralisch gutgeheißen.

Bei dem Versuch, die Bedeutung der neuen Tendenz zu ermessen, scheiden zwei extreme Interpretationen von vornherein aus. Um mit einem optimistischen Trugschluß zu beginnen: Seit Stalins Tod hat sich die Natur des sowjetischen Regimes in keiner Weise grundsätzlich gewandelt. Parallel mit den Änderungen in der Außenpolitik erfolgte im Gegenteil im Anschluß an die Krise um die Nachfolge Stalins eine bemerkenswerte Konsolidierung des Regimes. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Herrschaft der Partei im Abklingen ist oder daß sich die langfristigen Ziele geändert haben. Andererseits wäre es unsinnig, die Veränderungen als ein pures Spiel mit Worten, als eine Umkleidung unveränderter politischer Ziele mit freundlichen Redensarten zu bezeichnen. Die Tatsache, daß die Kämpfe in Korea und Indochina ein Ende gefunden haben, die Grenzkontrolle in Europa gemildert wurde und daß wenigstens in Rußlands Europapolitik Angebote auf Verhandlungen und auf verlockende Wirtschaftsbeziehungen die Drohungen mit Repressalien ersetzt haben, beweist eine Verschiebung innerhalb der Bewertung und zwar zu Gunsten politischer und nicht militärischer Mittel.

Wenn wir auch die extremen Auslegungen fallen lassen müssen, bleiben uns immer noch zwei Deutungen für die neue Politik. Wir dürfen wohl behaupten, daß der sowjetische Block noch immer versucht, die Offensive wiederaufzunehmen, die in Europa im Jahre 1948— 1949 zur Zeit der Berlin-Blockade, des griechischen Bürgerkrieges und des Bruches mit Tito aufgehalten wurde — aber daß er jetzt versucht, die Widersacher durch eine geschmeidige Taktik auseinanderzubringen, um sie später einer nach dem anderen zu vernichten, nachdem er gemerkt hat, daß seine Drohungen sie nur zusammengeschweißt haben.

Sein wohlabgewogenes Manöver im Formosagebiet, mit dem er die Amerikaner reizt, die in dieser Frage mit nur geringen Sympathien ihrer Verbündeten rechnen können, dürfte diese Ansicht unterstützen. Oder wir halten es für möglich, daß die neuen Führer sich tatsächlich mit dem Ende der Nachkriegsoffensive abgefunden haben, daß sie bereit sind, sich innerhalb ihrer neuen Grenzen für einen längeren Zeitraum einzurichten (bis die „unvermeidliche Krise" des Kapitalismus bessere Möglichkeiten für weitere Vorstöße bietet) und daß sie bis dahin ihre ganze Energie vor allem auf den inneren Ausbau verwenden. Nach der ersten These erleben wir nur einen Wechsel in der Taktik des kalten Krieges, wenn auch einen bedeutsamen; nach der zweiten These sehen wir uns einem Wechsel in der Strategie gegenüber, der in dem Wunsch gipfelt, den kalten Krieg zu beenden.

Der augenblickliche Stand der Dinge erlaubt uns noch nicht, einen endgültigen Schluß zu ziehen, noch dürfen wir annehmen, daß Moskau sich endgültig entschieden hat — egal wie dieser Entschluß aussieht. Abgesehen von eventueller Uneinigkeit innerhalb der neuen „kollektiven Führung“, von der wir gelegentlich hören, und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem russischen und chinesischen Standpunkt, dürfen wir nicht vergessen, daß das Ende des kalten Krieges nicht von einer Seite allein abhängt. Auch die Geschicklichkeit des Westens, trotz der neuen geschmeidigeren Taktik der Sowjetunion die einheitliche Front aufrechtzuerhalten, und seine Bereitschaft zu realistischen Friedens-bedingungen, dürften entscheidenden Einfluß auf den „neuen Kurs“ haben.

Die Abkommen allein genügen nicht

Es hat den Anschein, als ob die diplomatischen und militärischen Bindungen des Westens gegenwärtig so fest seien, daß der rechte Zeitpunkt zu einer Lösung des kalten Krieges gekommen wäre. Aber diese Bindung ist noch sehr empfindlich und kann sich leicht wieder lösen, wenn der Versuch nicht bald unternommen wird und den kommunistischen Mächten die Initiative für den Frieden allein überlassen bleibt. Die erste Ansicht dürfte ungewöhnlich optimistisch erscheinen, wenn man an die auf die Niederlage in Indochina und den Zusammenbruch des EVG-Gedankens hin entstandenen Spannungen innerhalb der westlichen Front denkt. In Indochina wurde eine schon seit langem unhaltbare Position afgegeben, ohne daß sich unmittelbare Rückwirkungen auf die benachbarten Staaten zeigten, wie Schwarzseher gefürchtet hatten. Lind wenn die Kommunisten sich anschicken sollten, in Südostasien weitere militärische Vorstöße zu unternehmen, so bietet der SEATO-Pakt eine genügende Sicherheit dagegen. Wenn auch die Abdankung der EVG in Europa zuerst ganz allgemein für einen großen kommunistischen Sieg gehalten wurde, so handelt es sich doch im Grunde um nichts anderes, als um die schon lange fällige Liquidation eines starren ideologischen Planes, der nur auf Selbsttäuschung beruhte. Um das der EVG inne-wohnende, einzig praktische Ziel zu retten, nämlich die Bewaffnung der Bundesrepublik mit französischer Zustimmung innerhalb eines westlichen Rahmens, wurde eine weit bessere Lösung — viel brauchbarer dank der englischen Beteiligung und viel geschmeidiger, weil alle föderalistischen Elemente entfallen sind — fast über Nacht gefunden, nachdem die westlichen Staatsmänner sich von der hypnotischen Formel, „es gibt keine Alternative“, freigemacht hatten.

Trotz aller Krisen sind die interalliierten und besonders die anglo-amerikanischen Beziehungen im Jahre 1954 viel stabiler geblieben als je zuvor. In England rief der Schock über den Zusammenbruch der EVG und das plötzliche Inne-werden der Gefahr, daß die Atlantische Verteidigungsorganisation auseinanderfallen könnte, vielen Leuten die vom Osten drohende Gefahr viel stärker ins Bewußtsein als je zuvor, und sie erkannten die Verantwortung, die England für den Schutz Europas gegen den Osten zu tragen hat. Die von England in Europa eingegangenen Verpflichtungen, die es aus Einsicht in die wirkliche Lage übernommen hat, hatten das Vertrauen Amerikas in den Wert des englischen Bündnisses erheblich vergrößert. Die in Genf erlittene Enttäuschung hat den Vereinigten Staaten nach einer Periode bitterer Vorwürfe zu einer klaren Einschätzung der Grenzen amerikanischen Einflusses in Asien verhelfen. Während dieser Zeit hat sich Dr. Syngman Rhee großes Verdienst erworben, indem er die hartnäckigen Widersacher jeder chinesischen Rege-lung mit der logischen Konsequenz ihrer Politik konfrontierte; denn als der Gedanke eines „Präventivkrieges“ zur Diskussion stand, wurde er entschieden und mit überwältigender Mehrheit vom Präsidenten und Kongreß gleichermaßen verworfen. Das schnelle Erlöschen des McCarthyismus und das Verstummen des Geredes über eine Bewaffnung Deutschlands ohne Zustimmung Frankreichs, das nach der Niederlage der EVG in der französischen Nationalversammlung aufkam, sind weitere Beweise dafür, daß die Vereinigten Staaten von der blinden antikommunistischen Hysterie langsam Abstand gewinnen — ein Ernüchterungsprozeß, der die öffentliche Meinung Amerikas zwar für den Augenblick in Teilnahmslosigkeit und Apathie versinken ließ, aber zu keinem besonderen Anwachsen isolationistischer Tendenzen geführt hat. Ihm ist es wohl zu danken, daß sich künftig die Regierung gegen politische Erpressung unempfindlicher erweisen und dementsprechend besser imstande sein wird, in Zusammenarbeit mit Amerikas Alliierten vernünftige Maßnahmen zu treffen.

Doch während das Londoner-und das Manila-Abkommen die wichtigsten Lücken im System der westlichen Militärbündnisse schließen, lassen sie zugleich die Grenze erkennen, jenseits der eine weitere gegen den Kommunismus gerichtete militärische Konzentration der Kräfte nur gegenteilige Wirkungen haben würde. Es hat sich als unmöglich herausgestellt, in Asien die bündnislosen Nationen für die SEATO zu gewinnen; die Stärke der Opposition in Europa — sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland — gegen die neuen Abkommen ist ein Bei-spiel dafür, wie schwierig es ist, in demokratischen Ländern die Zustimmung des Volkes für die Opfer und Anstrengungen zu erlangen, die nun einmal eine militärische Verteidigungsorganisation erfordert, wenn der Feind, gegen den sich alle Anstrengungen richten, seine drohende Haltung aufgibt. Die neuen Abkommen waren notwendig, weil wir organisiert sein müssen, um über den Frieden zu verhandeln und bereit, wenn die Verhandlungen ergebnislos ausgehen. Die Abkommen allein genügen nicht, denn bei dem Stand der Dinge müssen wir uns um Verhandlungen mit unseren Widersachern wirklich bemühen, um die einheitliche Front aufrechtzuerhalten. Auch dann noch auf einer von militärischen Erwägungen bestimmten Politik zu bestehen, wenn die Widersacher zum Gebrauch von vorwiegend politischen Waffen übergegangen sind, hieße einem illusorischen Plan der Stärke anhängen und eine neutralistische Haltung bei den Nationen fördern, die müde der Opfer und der Furcht vor dem kalten Krieg sind. In diesem Sinne schließen SEATO und BRUTO eine Phase der westlichen Politik ab, die gleich der Sowjetpolitik, die diese Phase erst heraufbeschworen hat, jetzt ihrem Ende zugeht. In der neuen Phase, in der wir uns jetzt befinden — gleichgültig ob sie uns wirklich eine Lösung oder nur die Fortsetzung des kalten Krieges mit feineren Mitteln bringt, — sind sie ein wertvoller Sicherheitsfaktor im Hintergrund, während auf der vorderen Bühne Organisationen wie der Colombo-Plan und die OEEC ihre Tätigkeit entfalten können, die durch ihre konstruktive Arbeit auch Länder einbeziehen können, die auf militärischem Gebiet eine neutrale Haltung vorziehen.

Ungelöste Fragen

Soweit man beurteilen kann, hat die Verschiebung der sowjetischen Politik vom militärischen aufs politische Gleis keine entsprechende Verminderung der vom kommunistischen Regime für die Rüstung ausgegebenen Mittel nach sich gezogen; noch haben wir eine ins Gewicht fallende Herabsetzung des Militärhaushaltes vorgenommen. Das ist ganz natürlich; die Freistellung von Mitteln für nicht-militärische Aufgaben wird in größerem Umfange erst dann möglich sein, wenn der kalte Krieg beendet ist — d. h. wenn die wichtigsten Probleme gelöst sind.

Zur Zeit gibt es zwischen den beiden Machtblöcken drei wichtige Gruppen ungelöster Fragen. Der asiatische Komplex umfaßt die Frage der Anerkennung Rotchinas und das damit verbundene Problem der Zukunft Formosas und die mannigfachen Bedrohungen der benachbarten Länder Chinas durch die chinesischen Streitkräfte — das Problem reicht von der Anwesenheit chinesischer Streitkräfte in Korea über das chinesische Training burmesischer und siamesischer Guerillakämpfer bis zu dem allgemeinen Problem der „Überseechinesen" in ganz Südostasien. Der europäische Komplex umfaßt die Bedingungen für eine deutsche Wiedervereinigung und die Möglichkeiten des Rückzuges russischer und amerikanischer Streitkräfte aus dem Herzen Europas und darin mit einbegriffen, als Sonderfall, der österreichische Friedensvertrag. Hm das Abrüstungsproblem zu lösen, muß eine Methode zur Beendigung des Wettrüstens sowohl für Atom-wie für konventionelle Waffen gefunden werden. Es genügt vollkommen, nur diese Probleme anzuführen, um zu begreifen, wie unendlich schwierig eine endgültige Regelung sein dürfte, selbst wenn man den ernsthaften Willen der Sowjetunion hierzu voraussetzt. Selbst im besten Falle würde die Liquidation des kalten Krieges sicherlich sehr lange dauern. Bei dem heutigen Stand der Dinge wird niemand mit fertigen Lösungen aufwarten können; doch dürfte es von Nutzen sein, einige Wege zu weisen, wie man an die Probleme herangehen könnte.

Asien ist das Gebiet, in dem es zur Zeit die geringsten Anzeichen für eine Verminderung der beiderseitigen Feindseligkeiten gibt. Dies mag sehr wohl daher rühren, daß Rotchina weniger als die Sowjetunion geneigt ist, auf eine gewaltsame Expansion oder auf die Androhung von Gewalt zu verzichten. Es gibt nur einen Weg, sich von der Richtigkeit dieser Hypothese zu überzeugen — wenn die Regierung der Vereinigten Staaten bereit wäre, entweder vor dem Forum der Vereinten Nationen oder durch Mittelsmänner oder auch auf andere Weise über die Bedingungen für die Anerkennung der rotchinesischen Regierung und ihrer Zulassung zu den Vereinten Nationen zu verhandeln. Es ist naiv, von den Vereinigten Staaten nach dem Koreakrieg und mitten im Formosakonflikt zu fordern, bedingungslos einer rotchinesischen Mitgliedschaft in der UN zuzustimmen. Es ist ebenso naiv, von einer kommunistischen Regierung zu erwarten, sich wie ein friedvolles Mitglied einer internationalen Gemeinschaft zu betragen, während ihr ein Platz in dieser Gesellschaft grundsätzlich verweigert wird. Wenn das Problem erst in dieser Form angepackt worden ist, — die Verhandlungen über die Anerkennungs-

und Zulassungsbedingungen — können Chinas

Nachbarn ihre Klagen in legitimer Form vorbringen. Würden die Vereinigten Staaten Verhandlungen ablehnen, dann würden sie von den asiatischen Nationen trotz ihrer Furcht vor Rotchina beschuldigt werden, eine Normalisierung der Verhältnisse verhindert zu haben. Es ist hier nicht der Platz in Details zu gehen. Es versteht sich, daß die Bedingungen für eine hypothetische Regelung den Rückzug Rotchinas aus Korea enthalten müssen, der in Abschnitten und parallel mit dem Rückzug der Truppen der Vereinten Nationen vor sich gehen könnte. Außerdem müßten die Rotchinesen auf die den Guerillakämpfern in den benachbarten Ländern gewährte Unterstützung verzichten. Die Anerkennung der Peking-Regierung würde natürlich nicht die Übergabe Formosas einschließen, obgleich Formosa nach internationalem Gesetz ein Teil Chinas ist. Niemand bestreitet Chinas Rechtsanspruch, wie er in der Kairoer Erklärung definiert worden ist. Die Trennung Formosas vom übrigen China ist das Ergebnis des gleichen Prozesses — nämlich des Bürgerkrieges —, der zur Machtergreifung der kommunistischen Regierung auf dem Festlande geführt hat. Wenn der Westen die Tatsache anerkennt, daß das chinesische Festland kommunistisch geworden ist und Tschiang Kai-scheks Exilregierung nicht mehr unterstützt, dann müssen die Kommunisten den Wunsch der 9 Millionen Formosaner und der 2 Millionen chinesischer Flüchtlinge auf dieser Insel respektieren, nicht einem kommunistischen Staate angehören zu wollen. Sie müssen zugeben, daß ihr Wunsch nach Selbstregierung das Recht auf internationale Sanktionierung hat, unter der Voraussetzung, daß das nationalchinesische Regime seine Angriffe gegen das Festland aufgibt.

Der ermutigendste Fortschritt wurde neuerdings in der Abrüstungsfrage erzielt. In gewisser Beziehung ist es die wichtigste Frage, denn sie schließt das Grundproblem des gegenseitigen Vertrauens ein. Kein Machtblock kann sich einen Abbau der entscheidenden Massenvernichtungswaffen leisten, weil es kein lückenlos funktionierendes Inspektions-und Kontrollsystem gibt, denn es ist mit der territorialen Souveränität unvereinbar. Die Aussichten für. ein Abkommen über die Ächtung von Atomwaffen sind daher weniger günstig als die Aussichten für die Erhaltung des Friedens. Die Konzentrierung der Bemühungen und Hoffnungen auf die Ächtung der Atomwaffen, die zwar die Phantasie beflügeln aber geringen Erfolg versprechen, ist typisch für die propagandistische Behandlung eines Problems.

Ganz anders ist die Lage hinsichtlich des Umfanges der Streitkräfte und der Produktion „konventioneller“ Waffen. Begreiflicherweise fühlen sich beide Machtblöcke, die ein tiefes gegenseitiges Gefühl des Mißtrauens trennt und immer trennen wird, gezwungen, die Bildung eines Vorrates von Atomwaffen so schnell wie möglich voranzutreiben und die Methoden ihrer Verwendung zu vervollkommnen. Wenn aber die Mächte in absehbarer Zeit weder einen Angriff planen noch fürchten, dürften sie eine Herabsetzung der Stärke ihrer Streitkräfte und der Höhe ihrer laufenden Produktion für ihre normale Ausrüstung jedenfalls für den gegenwärtigen Zeitpunkt befürworten. Ein entsprechendes Übereinkommen könnte selbst bei einem lückenhaften Überwachungssystem sinnvoll sein, weil keine so unwiderruflichen Ent-Scheidungen wie die Zerstörung von Atombombenvorräten notwendig wären und weil es viel schwieriger wäre, Divisionen und Flugplätze als Versuchslaboratorien und geheime Fabrikationsanlagen zu verheimlichen. Würde eine Seite das Abkommen verletzen, würde es die andere bestimmt bald erfahren und könnte Gegenmaßnahmen ergreifen, bevor sich das Gleichgewicht der Kräfte unwiderbringlich verschieben würde. Schon das Vorhandensein eines derartigen Abkommens würde das Risiko lokaler Konflikte weitgehend eindämmen und die Mächte veranlassen, auf die Anwendung örtlichen militärischen Druckes als Mittel politischer Expansion zu verzichten. Die feindlichen Mächte würden sozusagen das Interesse an territorialem Gewinn verlieren oder zumindest würde die Tendenz dahin gehen. Ein entsprechendes Übereinkommen wäre natürlich auch nur in harten und langwierigen Verhandlungen zu erreichen. Aber im Gegensatz zu den bisherigen, mit einem Verbot der Atomwaffen beginnenden Versuchen ist die Aufrollung des Abrüstungskomplexes vom anderen Ende her auf alle Fälle nicht hoffnungslos und sollte ernsthaft und geduldig erwogen werden.

Das Problem Deutschland

Eng mit dem ganzen Komplex verbunden ist das Problem des militärischen Rückzuges. Das trifft natürlich den Kern der ganzen europäischen Frage. Jeder sowjetische Vorschlag für die deutsche Einheit und die europäische Sicherheit fordert grundsätzlich den Rückzug der nichtdeutschen Streitkräfte aus Deutschland. Die Sowjets haben in den letzten Jahren unterschiedliche Erklärungen darüber abgegeben, ob ein geeintes Deutschland bewaffnet werden oder unbewaffnet bleiben, ob es sofort oder erst später vereint werden soll, ob ein europäischer Nichtangriffspakt mit der NATO vereinbar ist oder nicht.

Doch ist die Grundforderung, nämlich der Abzug aller Besatzungstruppen aus Deutschland, immer unverändert bestehen geblieben. Gegenwärtig herrscht im Westen die offizielle Ansicht vor, daß ein Abzug der Truppen nicht wünschenswert sei. Es wird behauptet, daß Westeuropa weder ohne vorgeschobene, sich sogar bis zur Elbe erstreckende Stützpunkte noch ohne die Anwesenheit amerikanischer Truppen verteidigt werden könne, daß die erforderlichen amerikanischen Streitkräfte nicht mit adäquatem Effekt außerhalb Deutschlands stationiert werden könnten und die Verteidigung des deutschen Gebietes, von dem die Sicherheit Europas abhängt, nicht einem wiederbewaffneten Deutschland allein anvertraut werden könne, weil Deutschland entweder einen Krieg zur Befriedigung seiner eigenen territorialen Forderungen beginnen oder zum Ostblock übergehen könnte. Das ist tatsächlich der innerste Beweggrund für die Haltung des Westens gegenüber der deutschen Aufrüstung und der deutschen Einheit. Auf die deutsche Aufrüstung wird nicht so sehr Wert gelegt, um zusätzliche Divisionen zu bekommen, sondern um das Bündnis zwischen Westdeutschland, das seine Souveränität und einen gleichberechtigten Status wieder-erhalten muß, und den Westmächten zu festigen. Im Grunde hält der Westen die deutsche Einheit nur dann für wünschenswert, wenn sie innerhalb dieses Bündnisses vollzogen wird, und die Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen wird nur als Mittel zu diesem Zweck betrachtet. Die Einstellung des Westens ist vollkommen logisch angesichts des von den Sowjets auf das Nachkriegseuropa ausgeübten militärischen Druckes. Solange sich die Lage nicht ändert, ist ein Kompromiß über die deutsche Einheit ausgeschlossen. Es wäre jedoch außerordentlich gefährlich für den Westen, nicht die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß sich die Lage ändern könnte, und für diesen Fall keine politischen Alternativen auszuarbeiten und anzubieten. Der Wechsel in der sowjetischen Taktik hat (nicht so sehr durch besondere Angebote, sondern durch eine allgemeine Zerstreuung der weitverbreiteten Furcht) eine ständig wachsende Unterströmung in der westdeutschen Meinung entstehen lassen, die gegen die gegenwärtigen Wiederbewaffnungspläne opponiert und neue Wiedervereinigungsverhandlungen mit den Russen befürwortet. Es dürfte in der Macht der Sowjetunion liegen, diese Unterströmung durch ein neues und attraktives Angebot von Bedingungen für die deutsche Wiedervereinigung und europäische Sicherheit — und auch parallele Bewegungen in Frankreich und England — zu stärken. Noch während ich den Artikel abfasse, wird wohl ein neues Angebot ergehen, bevor die Londoner Abmachungen ratifiziert werden.

Die Umstände, die bis dahin die westliche Politik in Deutschland bestimmt haben, würden eine grundsätzliche Änderung erfahren, wenn die Sowjets bereit wären, ihre Truppen aus Ostdeutschland zurückzuziehen, ohne eine kommunistische Regierung an ihre Stelle zu setzen, und wenn sie in der allgemeinen Politik auf Drohungen verzichten und freiwillig der Waffe der Furcht entsagen würden — besonders bei gleichzeitigen Fortschritten auf dem Gebiet der Abrüstung. In einer derartigen Situation würde die Notwendigkeit starker amerikanischer Landstreitkräfte auf dem europäischen Kontinent entfallen und deutsche und westeuropäische Landstreitkräfte (plus einem mehr symbolischen amerikanischen Kontingent und Luftschirm)

würden für die Verteidigung des Kontinents ausreichen. Wenn das Verhältnis der Mächte erst diesen Stand erreicht hat, bestände dann immer noch die zwingende Notwendigkeit, ein wiedergeeintes Deutschland auch formell mit dem Westen zu verbünden? Würde es nicht ausreichen (vorausgesetzt, daß das geeinte Deutschland tatsächlich demokratisch und unabhängig von Rußland ist), wenn Deutschland nur eine beschränkte, in einem Friedensvertrag festgelegte Armee zur Selbstverteidigung unterhielte und durch eine westliche Garantie gegen russische Angriffe geschützt würde, wie George Kennan kürzlich für die Bundesrepublik vorgeschlagen hat? Eine gleichzeitige sowjetische Garantie und ein gegenseitiges Nicht-Angriffsabkommen zwischen dem westlichen und östlichen Block wären sehr gut denkbar. Diese Art politischer Regelung schwebte immer vor, wenn von einer „Locarno“ -Lösung gesprochen wurde. Es wäre die einzig durchführbare Form eines neutralen oder „bündnisfreien“ Deutschland. Ein solches System würde aggressive Unternehmungen eines unabhängigen Deutschland viel besser verhindern als irgendwelche Kontrollen innerhalb eines westlichen Bündnisses. Eine deutsche Verständigungspolitik mit Rußland hingegen würde durch die noch allzu lebendigen Erinnerungen an die sowjetische Herrschaft und das außerordentliche Übergewicht der wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen mit dem Westen verhindert werden. (Es ist zu wenig bekannt, daß selbst zur Zeit des größten Handelsumfanges zwischen Deutschland und der Sowjetunion in den 20er Jahren Deutschlands östlicher Handel verglichen mit seinen westlichen Handelsbeziehungen unbedeutend wenn auch sehr gewinnbrigend für die beteiligten Handels-unternehmen war, und dasselbe würde noch heute gelten.)

All dies setzt natürlich ein aufrichtiges russisches Angebot voraus, das die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erlaubt — ein Angebot, das in dieser Form bis jetzt noch nicht ergangen ist. Bis solch ein Angebot gemacht wird, können und müssen wir die in London beschlossenen Pläne für die Bewaffnung der Bundesrepublik innerhalb der NATO und der westeuropäischen Union vorantreiben. Aber die neuen Verträge können ein geeintes, bisher noch gar nicht existierendes Deutschland nicht binden. Die Bewohner der Bundesrepublik, die auf Grund des neuen Vertragswerkes ihre Souveränität wiedererhalten, werden jedes Angebot auf Einheit in Freiheit annehmen müssen, wenn und wann es gemacht wird. Sollten die Russen wirklich den Wunsch hegen, den kalten Krieg in Europa zu beenden und ihn nicht nur mit feineren Mitteln fortsetzen, dann werden sie bestimmt ein entsprechendes Angebot früher oder später machen. Dies würde bedeuten, daß sie sich mit der Auflösung der ostdeutschen Regierung als Folge freier Wahlen einverstanden erklären würden. Vielleicht finden sie Mittel und Wege, den Schock zu mildern, indem sie sie selber umformen, aber sie können nicht umhin, diesen

Beklemmende Schatten

Der Weg zu einer Lösung für jede der großen ungeklärten Streitfragen ist mit unendlichen Schwierigkeiten gepflastert — aber jeder Fall bietet Möglichkeiten zur Erreichung des Friedens. In Asien führt der Weg über eine Diskussion der Bedingungen für die Anerkennung Rot-chinas; auf dem Gebiete der Abrüstung über einen schrittweisen Abbau der bewaffneten Streitkräfte und konventionellen Bewaffnung; in Europa über eine Locarno-Regelung für ein in Freiheit geeintes Deutschland. Aber alle künftige Regelungen betreffenden Überlegungen dürfen einen wichtigen Punkt nicht außer acht lassen: In welchem Maße sind die kommunistischen Mächte bereit, die Straße des Friedens zu beschreiten und eine der vorgeschlagenen Lösungen tatsächlich anzunehmen? Ist diese Hoffnung aber unbegründet, welchen Sinn hat es dann, falsche Hoffungen zu wecken und durch ihre Diskussion Verwirrung im westlichen Lager anzurichten?

Die Antwort muß lauten, daß bisher nichts auf die Bereitschaft der Kommunisten hindeutet, eine dieser Bedingungen annehmen zu wollen, obgleich es viele Merkmale gibt, die in zweifacher Weise gedeutet werden können — als geschicktes Manövrieren oder tastendes Herum-suchen nach einer Lösung. Nachdem man das Für und Wider erwogen hat, spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Führer des Sowjet-blockes gegenwärtig noch nicht bereit sind, wirkliche Lösungen anzustreben, sondern vielmehr versuchen, den kalten Krieg durch Anwen-Preistatsächlich zahlen zu müssen. Nur wenn sie ihn zahlen, können sie die Voraussetzungen für einen Rückzug aller ausländischen Truppen aus Deutschland und für ein „deutsches Locarno" schaffen. Wenn sie sich einmal zu diesem Schritt entschlossen haben, dann werden die westlichen Mächte auf die Dauer diese Lösung nicht abschlagen können. Die Position des Westens würde jedoch viel stärker sein, wenn er kühn die Initiative für eine Regelung ergreifen würde anstatt den Anschein zu erwecken, als ob er nur widerwillig dem Zwang folge. dung geschickterer Methoden fortzusetzen. Aber selbst bei Annahme dieses Sachverhaltes ist es keine müßige Spielerei oder gefährliche Selbsttäuschung, die Friedensbedingungen vom westlichen Standpunkt aus zu untersuchen; im Gegenteil, es ist die einzige Möglichkeit, die Initiative in der neuen Phase der politischen Auseinandersetzung zu behalten.

Nichts ist indessen gefährlicher für den Westen, als hypnotisch auf die militärischen Widerstandsmöglichkeiten gegen eine kommunistische Aggression zu starren, jeden Gedanken einer politischen Regelung von sich zu weisen und den Kommunisten das Monopol für Friedensgespräche zu überlassen. Diese Einstellung beschränkt sich gegenwärtig, nach Jahren bitterer Erfahrungen im kalten Kriege, keineswegs nur auf Berufsmilitärs. Die Gewohnheit des eingleisigen Denkens stammt aus einer Zeit, als man das kommunistische Friedensgerede nur mit der kommunistischen Aktivität zu konfrontieren brauchte, um es als Trick zu entlarven, bis es zu einer Art Zwangsvorstellung wurde, sich nicht durch „Friedenspropaganda“ in den Schlaf einlullen lassen zu dürfen. Angesichts der neuerdings von den Kommunisten angewandten geschmeidigen Methoden kann der Westen Einheit und Zusammenhalt nur erhalten, wenn seine Vertreter sich immer bewußt sind, daß die freie Welt vom Frieden am meisten zu gewinnen hat.

Von allen Seiten erheben sich warnende Stimmen, daß die kommunistischen Mächte nur eine Atempause erstreben, um ihrer internen Schwierigkeiten Herr zu werden, daß sie hoffen, das Ende des Rüstungswettlaufes werde die kapitalistische Welt in eine verzweiflungsvolle Wirtschaftskrise stürzen, und daß der Frieden ihre Geheimwaffe sei, um die Wachsamkeit ihrer Widersacher einzuschläfern und ihre Bündnisse zur Auflösung zu bringen. Es ist nur zu wahr, daß eine Friedensperiode gefährlich werden könnte, wenn wir die elementarsten Vorsichtsmaßnahmen auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung der Atomwaffen außer acht lassen und zugeben, daß die Einheit des Westens zerbricht, oder wenn wir versäumen, grundsätzliche Arbeitsfragen in den industriellen Ländern und das Problem der Industrialisierung der unterentwickelten Länder zu lösen. Wir sollten uns jedoch durch diese Aussichten nicht erschrecken lassen, sondern jede Chance ergreifen. Wir sollten uns auf die konstruktiven Aufgaben konzentrieren, die mit Recht den Hauptlebensinhalt jeder freien Gesellschaft bilden.

Von allen Lasten, die uns der auf die große Auseinandersetzung folgende kalte Krieg auferlegt, war keine schmerzlicher und lähmender als der dauernde Zwang, die äußere Verteidigung der inneren Entwicklung vorziehen zu müssen. Es handelt sich nicht um die Aufteilung der Mittel oder um die Wahl zwischen verschiedenen Bewaffnungsmöglichkeiten und sozialen Leistungen oder um die „Punkt Vier“ -Hilfe. Es handelt sich um die Unterdrückung der fruchtbaren Diskussion innerhalb jeder Nation, um das Gefühl, immer in Tuchfühlung mit dem gemeinsamen Feind bleiben zu müssen. Der Zustand währt schon so lange, daß viele von uns sich dessen gar nicht mehr bewußt sind. Totalitäre Staaten unterdrücken nicht nur ihre unmittelbaren Opfer --die von ihnen ausgehende Gefahr wirft ihre beklemmenden Schatten über die Grenzen hinaus und erstickt jede freie Diskussion, die der Atem der Demokratie ist. Wenn durch eine Regelung der wichtigsten Streitfragen des kalten Krieges die Schatten weichen würden, dann sollten wir unsere Energien endlich wieder auf die eigentlichen Anliegen der freien Menschheit konzentrieren können. Es lohnt sich, für dieses Ziel zu kämpfen.

Fussnoten

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