Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die deutsche Militäropposition im ersten Kriegsjahr | APuZ 9/1955 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1955 Die deutsche Militäropposition im ersten Kriegsjahr

Die deutsche Militäropposition im ersten Kriegsjahr

Kurt Sendtner

„Gehorsam ist Prinzip. Der Mann steht über dem Prinzip." Moltke

Standort und Methode der Untersuchung

Die Geschichte der deutschen Militäropposition gegen Adolf Hitler beginnt nicht erst mit dem zweiten Weltkrieg. Sie tritt nur mit ihm in das dramatische Stadium ein, in dem Handeln oder Unterlassen, Erfolg oder Mißerfolg zwar nicht über ihre Berechtigung, wohl aber über ihre Bewährung und damit über das deutsche Schicksal zu entscheiden hatten. Zu verstehen ist sie nur aus der Entwicklungsgeschichte des Hitlerstaates, die unter diesem besonderen Gesichtspunkt bereits an dieser Stelle 1) beleuchtet worden ist. Die folgende Darstellung behandelt die Militär-opposition im ersten Kriegsjahr. Sie bietet das Ergebnis zweieinhalbjähriger Untersuchungen. Dabei kann keine erschöpfende Darstellung der Rolle, welche die Militäropposition im Rahmen der Kriegsgeschehnisse gespielt hat, gegeben werden. Solange überlebende Zeugen, die aus eigenem Mithandeln oder aus unmittelbarem Mitwissen Wesentliches auszusagen hätten, nicht gre beleuchtet worden ist. Die folgende Darstellung behandelt die Militär-opposition im ersten Kriegsjahr. Sie bietet das Ergebnis zweieinhalbjähriger Untersuchungen. Dabei kann keine erschöpfende Darstellung der Rolle, welche die Militäropposition im Rahmen der Kriegsgeschehnisse gespielt hat, gegeben werden. Solange überlebende Zeugen, die aus eigenem Mithandeln oder aus unmittelbarem Mitwissen Wesentliches auszusagen hätten, nicht greifbar sind oder nicht aussagen wollen, solange wesentliche dokumentarische Unterlagen deutschen Historikern nicht zur Verfügung stehen, solange bleibt auch die gewissenhafteste Untersuchung und Bewertung des verfügbaren Materials nur Stückwerk. Indes konnte der berichtende Arbeitskreis der „EUROPÄISCHEN PUBLIKATION“ über den bisherigen Wissensstand hinaus vordringen. Es wurden Fakten festgestellt, die bisher nicht bekannt waren. Andere wurden aus dem Halbdunkel heraus ins Licht gerückt. Damit wurden Erkenntnisse stärker fundiert und neu gewonnen. Wenn ihre Zusammenfassung, die hier der Öffentlichkeit unterbreitet wird, Zeugen und Kritiker anspornt, bisher unbekannte Spuren und andere, die hier nicht bis ans Ende verfolgt werden konnten, aufzunehmen, verbleibende Lücken zu schließen und so in der Klärung der Geschehnisse weiter fortzuschreiten, dann hat sie bereits einen Hauptzweck erfüllt.

Es ist geboten, zunächst Standort und Arbeitsgrundsätze des berichtenden Arbeitskreises zu kennzeichnen. Selbstverständlich war er um strenge Objektivität nach wissenschaftlichem Maßstab bemüht. Aber Objektivität ist keine voraussetzungslose, absolute Größe. Sie ist keine Neutralität gegenüber Gut und Böse. Der Arbeitskreis hat hier keine Quadratur des Zirkels versucht, um es allen recht zu machen. Sein Standort war durch einen Leitsatz und durch eine Tatsache gegeben. Der Leitsatz ist die von Hitler zwar nicht erfundene, aber in „Mein Kampf“ sehr klar formulierte These, daß jedem Volk gegenüber einem Staatsregime, welches das Volk ins LInheil führt, das Recht auf Revolution, also auf die Perfektion des Widerstandes zusteht. Die unumstößliche Tatsache ist: Das totale Hitler-regime hat mit seinem totalen Krieg in einer in der Völkergeschichte fast beispiellosen, totalen Kapitulation geendet.

Erfahrungsgemäß suchen Staatsbankrotteure und ihre unbelehrbaren Anhänger nach solchen Zusammenbrüchen Sündenböcke, sei es in Saboteuren oder Verrätern, sei es in irgendwelchen nicht faßbaren „überstaatlichen Mächten“. Dieses ohnehin fragwürdige Verfahren ist dort nicht anwendbar, wo ein einzelner Diktator die Staatsallmacht verkörpert und tausendfach für sich allein Führung und Verantwortung beansprucht hat. Denn hier war alles, was man unter „Sabotage“ zusammenfassen mag, nur möglich, wenn der Selbstherrscher in der Besetzung von Schlüsselstellungen Fehlgriffe begangen hat. Daß solche Fehlgriffe tatsächlich vorlagen, hat kein anderer als Hitler selbst bestätigt; noch kurz vor seiner Selbstvernichtung hat er die zwei „Treuesten der Treuen“, Göring und Himmler, die er mit einer Überfülle von unkontrollierter Macht ausgestattet hatte, „ausgestoßen“. Solche Fehlgriffe können ein autoritäres System weder rechtfertigen noch seine Fehlspekulationen entschuldigen. Sie können es nur vollends ad absurdum führen.

Bei der Befassung mit den einzelnen Tatsachen in der Geschichte der Militäropposition sah sich der Arbeitskreis sehr rasch zu grundsätzlichen Untersuchungen über das Widerstandsrecht schlechthin und über die Widerstandspflicht gedrängt. Dieser sehr wesentliche Teil der Untersuchungen ist bereits der Öffentlichkeit unterbreitet worden 2). Hier müssen wir, zum Verständnis des folgenden zusammenfassen: Der Arbeitskreis hat redlich darum gerungen, zu klaren Positionen in der Begründung des Widerstandsrechts, aber auch in der Bezeichnung seiner Grenzen zu gelangen. Er bejaht das Widerstandsrecht und auch die Widerstandspflicht aller derjenigen, die nach bestimmten Normen erkennen, daß ein Staats-regime unheilvoll ist — für das eigene Volk und für die Gemeinschaft der Völker. Es kann aber nicht Jedem jegliches Recht auf jegliche Widerstands-handlung oder, was er dafür halten mag, zuerkannt werden. Der Arbeitskreis ist im besonderen weit entfernt davon, in jeder Desertion oder in jeder Preisgabe von Staatsgeheimnissen — auch wenn es sich um solche eines Linheilregimes handelt — eine echte, geschweige denn eine verdienstvolle Widerstandshandlung zu erblicken. Er anerkennt durchaus, daß es auch im und gegenüber dem Hitlerstaat sogenannte Widerstandshandlungen gegeben hat, die selbst in einem ungerechten Krieg nicht vertretbar sind und die nach Tatbestand und Motiven als unehrenhafte und als kriminelle Akte zu bewerten sind.

Damit ist schon gesagt, daß nicht nur Fakten, sondern auch Motive zu klären waren. Wohl konnte es in der Stellungnahme zum Widerstand an sich keine Neutralität geben nach dem Motto „Ich sage nicht ja und sage nicht nein“. Lim so strengere Objektivität mußte aber gegenüber den Fakten selbst und bei ihrer Ermittlung obwalten. Hier wurde keine Aussage und keine These ungeprüft hingenommen, ob sie nun in Erinnerungs-büchern oder in Geschichtsdarstellungen bereits vorliegen oder in unmittelbaren Bekundungen dein Arbeitskreis vorgetragen worden sind. Es wurde in voller Unbefangenheit, ohne Ansehen der Person, in Rechnung gestellt, daß subjektive Wahrheit und objektive Wahrheit nicht immer identisch sind. Es mußte mit den Methoden historisch-kritischer Prüfung versucht werden, Widersprüche in Äußerungen eines und desselben Zeugen oder verschiedener Zeugen zu klären. Es war bei solchen Widersprüchen namentlich zu prüfen, wann und vor wem eine Aussage gemacht worden ist. Es war zu beachten, daß z. B. Aussagen vor Spruchkammern, weil hier in Umkehrung rechtsstaatlicher Grundbegriffe die Beweislast nicht beim Ankläger, sondern beim „Betroffenen“ lag, nur bedingten Wert für die nüchterne Feststellung historischer Tatsachen haben. Manche Widersprüche erklärten sich einfach daraus, daß die Haltung des Betreffenden in dieser oder jener Einzelfrage geschwankt hat. Es wäre indes allzu „akademisch“, sich mit der Feststellung solcher Widersprüche zu begnügen und expressis verbis oder stillschweigend von der schwankenden Haltung auf einen schwankenden Charakter zu schließen. Denn solche Schwankungen können nur im Zusammenhang mit den Umständen gewürdigt werden. Auch der Arbeitskreis hatte sich vor Augen zu halten, daß es leicht ist, im verhältnismäßig langem Abstand vom „grünen Tisch" des Studier-und Beratungszimmers aus „das Urteil der Geschichte“

zu formulieren, daß es aber unendlich schwerer war, in jener außerordentlichen Situation und unter unvermeidlichen, oftmals tragischen inneren Konflikten zu handeln. Daher mußte neben das erste Gebot, die Wahrheit zu finden, das ehrliche Bemühen treten, den Handelnden gerecht zu werden. Kurz, es waren nicht nur Fakten festzustellen, sondern auch die tatsächlichen und psychologischen Umstände zu rekonstruieren. Das galt auch für die Ermittlung und Beurteilung jener Fakten, die im Grunde genommen nur — Unterlassungen und Versäumnisse waren.

Dem Arbeitskreis sind auch romanhaft anmutende Darstellungen unterbreitet worden; denn niemand sollte ungehört bleiben, der sich als Zeuge anbot. Auch solche Darstellungen oder Thesen wurden gründlich geprüft und gewürdigt; soweit sie nach dem gewissenhaften Urteil des Arbeitskreises nicht in den Bereich der Geschichte und ihrer Erforschung gehören, verzichtet dieser Bericht auf ihre Behandlung.

Die Wahrheit finden, ist oft schwer. Auch die Wahrheit aussprechen, kann schwer sein. Auch das muß nun ohne Ansehen der Person geschehen. Der berichtende Arbeitskreis legt natürlich Wert darauf, daß er den Leser von seiner Arbeitsmethode, von seinen Feststellungen und Wertungen überzeugt. Wenn ihm das nicht in allen einzelnen Punkten gelingen sollte, so wird sich der kritische Leser, der hier im besonderen angesprochen wird, doch mit ihnen auseinandersetzen müssen. Daß es daneben immer „terribles simplificateurs" gibt, die sich über die Dinge und ihre Problematik mit primitiven Schlagworten hinwegsetzen, wird allerdings nicht zu ändern sein.

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Standort und Methode der Untersuchung I. Die Situation im Herbst 1939 Das deutsche Volk beim Kriegsbeginn Die Militäropposition nach Kriegsbeginn Primäre Sorge: Die kämpfende Truppe Doppelgleisigkeit — Vertauschte Rollen II. Die Gruppe um Halder Terminkalender Generaloberst Halder Der degradierte Generalstab Halder zum Widerstandsrecht Zeit gewonnen . . .

Die „Arbeitsgruppe"

Frontreisen Stülpnagel Canaris Großcurth Denkschriften und Kommentare — Putschpläne Rede Hitlers und Reaktion der Generale Halder und Brauchitsch Halder und Fromm Erstes Fazit III. Die Gruppe Beck Generaloberst Beck Die Kernfrage der verantwortlichen Führung Abwehr — Canaris Hans Oster Aussage Heinz Aussage Schacht Aussage Frau v. Dohnanyi Resume: Beck als Zentralfigur In der nächsten Ausgabe der Beilage:

IV. Die römischen Friedensgespräche Vorbemerkung zur Quellenkritik Der Leitgedanke Josef Müller Der Papst vermittelt Müller und „Abwehr“

Aufträge und Berichterstattung Die römischen Gesprächspartner Der Zwischenfall von Venloo Eine andere „Panne“

Das Ergebnis der römischen Gespräche Der X-Bericht Die Bedeutung der „Friedensgrundlagen“

Die Parallelaktion Hassell V. Die Reaktion im Generalstab Mehrere Versionen Brauchitsch lehnt ab — ein hoffnungsloser Fall Halders Kritik am X-Bericht Kritik der Kritik Unbegreifliche Verzögerung Bilanz: Die Voraussetzungen wurden nicht erfüllt Halders Tragik Soldat des Widerstandes VI. Die abschließende Mission Dr. Müllers Nochmals: War Beck der Auftraggeber?

Müllers Darstellung:

Landesverrat?

Die entscheidende Frage: Wann wurde der Angriffstermin festgesetzt?

Tatsachen und „Angabe“

„Brauner Vogel“

Klares Fazit VII. Das Problem Oster Das Zusammenspiel Oster — Sas Am Abend des 9. Mai 1940 Bewertung des Tatbestandes Rechnung mit ungewissen Größen Wußte Beck?

Eine Gewissensentscheidung für Oster und — seine Beurteiler Maßgebendes Kriterium VIII. „Seelöwe“

IX. Ausländische Nachrichtendienste Cianos aufschlußreiche Tagebücher Ein polnischer Zeuge Dreieck Berlin—Oberschlesien—London Die kritischen Maitage und ihre Fachkritik Nachspiel in Holland Nutzanwendung Schlußbetrachtung

I. Die Situation im Herbst 1939

Das deutsche Volk beim Kriegsbeginn Die ersten Schüsse, die in der Morgenfrühe des 1. September 1939 an der deutsch-polnischen Grenze fielen, bildeten das Signal zum zweiten Weltkrieg. Die sofortige Ausweitung des Waffenganges war nur die erste von vielen Fehlrechnungen, die sich wie ein grimmiger Hohn auf die oft berufene, selbst im Krieg noch und sogar von hohen Wehrmachtsführern berufene „Intuition" oder „traumwandlerische Sicherheit" des Diktators ausnahmen. Damals wäre es kaum ratsam gewesen, auch nur die Erwartung auszusprechen, daß der zweite Weltkrieg noch länger dauern und noch sehr viel härter sein würde als der erste. Aber man hatte in Deutschland schon gelernt, Gedanken zu verbergen. Und das deutsche Volk war doch damals noch keineswegs so kritiklos, wie es vielen schien. Es hatte nicht völlig vergessen, was ein Weltkrieg war. Auch die Erinnerung an die nationale Hochstimmung im Kriegssommer 1914 war in der großen Masse des deutschen Volkes noch viel zu lebendig, als daß der krasse Unterschied im äußeren Bild und in der inneren Verfassung nicht aufgefallen und nicht sehr vielen klar zu Bewußtsein gekommen wäre.

Die soldatische Einsatzbereitschaft stand 1939 nicht hinter der von 1914 zurück. An „Frontgeist“ fehlte es nicht. Wer immer darauf rechnete, kannte das deutsche Volk nicht, kannte die Zustände im damaligen Deutschland nicht und wurde auch schon im Polenfeldzug kurz und bündig eines anderen belehrt. Dazu hätte es der nationalistischen Propaganda, die bereits seit Jahren fast pausenlos über die Nation niedergegangen war, nicht bedurft. Aber das deutsche Volk war trotz oder vielmehr wegen der überspannten Propaganda alles andere als hemmungslos kriegsbegeistert. Den Machthabern war das natürlich nicht entgangen. Sie sind daraüber hinweggegangen. Jedoch allen denen, die sich um ihr Volk und seine Zukunft Sorgen machten, die sich nicht damit bescheiden wollten, die Faust in der Tasche zu machen, — ihnen allen mußte der frappante Mangel an Kriegsbegeisterung zu denken geben.

Die Militäropposition nach Kriegsbeginn Dieser Mangel an Kriegsbegeisterung hat auch den Kreisen der Militäropposition zu denken gegeben. Diese Kreise waren, nicht organisatorisch, aber geistig durch eine Erkenntnis verbunden, die den Ausgangspunkt aller ihrer Überlegungen, ihrer Pläne und ihrer Handlungen bildete und die auch den Ausgangspunkt der historisch-kritischen Würdigung bilden muß: durch die Erkenntnis, daß der Staat unter dem nationalsozialistischen Regime in einen Entartungsprozeß hineingeraten war, daß von diesem Entartungsprozeß alle herkömmlichen Begriffe in ihrem Wesensgehalt erschüttert wurden, und daß der Diktator, nachgerade schon mehr ein Objekt als ein Beherrscher seines dämonischen Machtstrebens, das deutsche Volk hemmungslos in ein Kriegsexperiment hin-einstürzte. Sie waren sich darüber klar, daß zwar ein einzelner den Anfang eines großen Krieges bestimmen kann, daß aber nach allen geschichtlichen Erfahrungen das Kriegsende andere bestimmen. Sie waren einig in der Überzeugung, daß Hitler bei der Vertretung deutscher Interessen, sowohl völkischer wie wirtschaftlicher wie auch strategischer, immer maßloser wurde. Sie sahen voraus, daß diese Maßlosigkeit sich in einem Krieg nur noch weiter steigern werde, namentlich wenn sich die augenblickliche militärische Überlegenheit in großen Anfangserfolgen auswirken würde. Es war für die Widerstandskreise wesentlich, daß bei dieser Entwicklung das Recht keine ernste Rolle mehr spielte, daß nur noch „Macht“ gelten sollte und daß, was bisher schon in der Innenpolitik zum System entwickelt worden war, offenbar jetzt unverhüllt auf die Außenpolitik, auf die Beziehungen zur näheren und weiteren Umwelt übertragen werden sollte. Daraus entsprang die Befürchtung, daß selbst ein zeitbedingter Waffenerfolg, mit seiner stets berauschenden Wirkung auf die Masse, den Entartungsprozeß im Staat und schließlich im Volk nur noch weitertreiben werde. Wenn schon Soldaten sich die Frage stellen mußten, ob Schlachtensiege denn unter allen Umständen ein Glück für ein Volk und ein Reich sind, wenn dadurch sogar Gewissensnöte denkbar schärfster Art heraufbeschworen werden, dann konnte es nur aus einem sehr tief und sehr stark empfundenen Gefühl der Verantwortung vor Gott, vor dem eigenen Volk und vor allem, was Kulturwelt heißt, kommen. Diese Haltung erscheint uns bei Generalen zumal nur erklärlich, wenn sie die Rechtfertigung ihrer harten Berufsaufgabe, andere ins feindliche Feuer, in den Tod zu führen, nicht in der Erfüllung einer sturen Gehorsamspflicht, sondern in einer eigenen, im persönlichen Gewissen verhafteten Verantwortung erblickten. Zu alledem kam noch die militärische Erfahrung des ersten Weltkrieges, in dem Deutschland nach glänzenden und großartigen Waffenerfolgen schließlich der Übermacht vieler Gegner an Menschen und Material erlegen war.

Nicht umsonst hatte der alte Hindenburg über das Kapitel seiner Memoiren, das die Endphase des Krieges 1914— 18 behandelt, das Motto gesetzt: „Über unsere Kraft". Nachdem wir heute das furchtbare Ende des von Hitler begonenen zweiten Weltkrieges kennen, sollte man zumindest denen keinen Vorwurf machen, die schon am Anfang die Gefahr voraussahen, daß es zuerst ein Schrecken ohne Ende und dann ein Ende mit Schrecken werden würde. Das Vorausschauen ist zwar eine Kunst, die nur wenigen gegeben ist. Es ist oft sogar eine sehr unpopuläre Kunst. Aber es ist kein Fehler, schon gar nicht ein Charakterfehler.

Die Haltung des deutschen Volkes bei Kriegsbeginn bildete für die Militäropposition kein allzu dauerhaftes Fundament, keine unabänderliche Größe. Wohl aber konnten und mußten die Eindrücke der ersten Kriegstage jene Gruppe in der Hoffnung bestärken, daß sie mit ihren schweren Sorgen doch mitten im Volk standen und daß auch die daraus sich ergebenden Konsequenzen eben diesem Volk verständlich gemacht werden konnten, — wenn besonnen und richtig und in gemessener Frist gehandelt werden würde. Daraus ergab sich logisch, daß weniger denn je die Hände in den Schoß gelegt werden durften. Das Schweigen des Volkes war ein lauter und eindringlicher Appell, im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Damm“ zu sein.

Der Appell mochte verstärkt werden durch das Bewußtsein, daß die Militäropposition im entscheidenden Augenblick — Ende August 1939 — nicht auf der Höhe der selbstgestellten Aufgabe gewesen war. Die historische Kritik kann es nicht unterlassen, immer wieder festzustellen, daß im August 1939 nicht in gleicher Weise ernsthafte Vorbereitungen zur Aktion getroffen worden waren wie im September 1938. Diese Feststellung bleibt unberührt von der Frage, ob man deswegen gegen einzelne einen Vorwurf erheben will oder kann. Aber wenn schon ein folgenschweres Versäumnis vorlag und es auch damals als solches erkannt wurde, wenn schon Schlimmes, nämlich der Krieg, nicht verhütet worden war, so konnte doch noch Schlimmeres verhütet werden. Denn einstweilen noch bestand der Welt krieg mehr offiziell als effektiv. Es wurde im Westen noch lange nicht wirklich und mit vollem Einsatz gekämpft. Noch konnte die Katastrophe des de facto-Weltkrieges ausgeschaltet werden. Allerdings nach menschlichem Ermessen kaum mehr von Hitler, sondern nur von dem „anderen Deutschland“, das eben doch erlebt hatte, daß es durchaus keine unverstandene Gruppe von Außenseitern war.

Primäre Sorge: Die kämpfende Truppe Es darf andererseits nicht übersehen werden, daß mit dem Kriegsausbruch für die Opposition im allgemeinen und für die Militäropposition im besonderen die Erfüllung der Aufgabe vielfach erschwert war. Wir reden hier nicht von den Kriegsgesetzen; denn der sogenannte Belagerungszustand war ohnehin schon fast der Normalzustand im Dritten Reich und für alle, die diesem Regime kritisch gegenüber standen, war Vorsicht in Wort und Schrift längst das erste Gebot einfacher Selbsterhaltung. Man hatte schon gelernt, sich einem Zustand, der dem Parteiapparat, namentlich dem SD und der Gestapo eine fast unbegrenzte und unkontrollierte Machtstellung einräumte, anzupassen oder ihm vielmehr auszuweichen. Aber das ganze öffentliche Leben und Denken war nunmehr auf Krieg eingestellt. Nahezu jede Familie war durch Angehörige mit den Ereignissen an der Front verknüpft. Die Jugend der Nation bis hinauf zu den Vierzigjährigen stand im Kampf, bei dem es, nachdem er einmal ausgebrochen war, um alle und um alles ging. Die militärischen Führer mochten diesen Krieg für vermeidbar, sie mochten ihn für nicht •gerechtfertigt halten — es blieb ihnen die selbstverständliche Pflicht, nach bester soldatischer Überlieferung, nach allen Regeln der Kriegskunst die kämpfende Truppe so rasch wie möglich zum Sieg zu führen. Diese Aufgabe ist im Jahre 1939 erfüllt worden, obwohl die Truppe infolge der überstürzten Aufrüstung zum Teil in Ausbildung und Ausstattung unverkennbar noch unfertig war. Daß Hitler nachher in rüder Form den erfolgreichen Generalen am Zeug geflickt hat berührt dieTatsache der denkbar schnellen Beendigung des Polenfeldzuges nicht; es ist ein Kapitel für sich, auf das wir noch kommen müssen. Die kämpfende Truppe durfte nicht im geringsten darunter leiden, daß sie — nach Überzeugung der Opposition — von Anfang an mißbraucht wurde. Sie hat nicht darunter gelitten. Sie hatte gar keine Kenntnis, nicht einmal eine Ahnung davon, daß ein Teil der höchsten Führer im Banne der Sorge stand: „Ob Glück, ob Unglück aufgeht, lehrt das Ende“. Jedenfalls kann den im aktiven Führungsdienst stehenden Kräften der Militäropposition, an ihrer Spitze dem Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Halder, nicht abgestritten werden, daß es für sie in diesem ersten Stadium des Krieges, im regional begrenzten Polenfeldzug vor allem den Sieg galt.

Das konnte aber nicht lange darüber hinaus so bleiben. In der Folge waren keinem der „aktiven“ Opponenten in der Truppenführung Pflichten-und Gewissenskonflikte erspart. Aber auch in der Zukunft mußte die Sorge für die ihrem Kommando anvertraute Truppe die erste Sorge sein. Das Wort „Sabotage“ stand, um es gleich zu sagen, nicht in ihrem Lexikon. Es ist die Erfindung der falschen Propheten, die Sündenböcke für ihre eigenen Leichtfertigkeiten brauchten.

Doppelgleisigkeit — Vertauschte Rollen Schon hier wird sichtbar, daß mit Kriegsbeginn innerhalb der Kreise, die wir zur Militäropposition rechnen, die Positionen sich verschoben, sich auseinander geschoben haben. Wer außerhalb eigener Führungsverantwortung und überhaupt außerhalb des aktiven Dienstes stand — wie z. B. Generaloberst Beck —, konnte und mußte nun politisch, kriegs-politisch überlegen und handeln und, da er selbst kein Kommando zu führen hatte, auf die dazu Berufenen einwirken. Er durfte den Krieg nicht sich selbst und seinem technischen Ablauf überlassen. Er konnte nicht damit rechnen, daß sich in Polen der Krieg sozusagen von selbst beendigen würde. Damit war um so weniger zu rechnen, als schon in Bälde selbst denen, die noch daran gezweifelt hatte, klar wurde, daß Hitler im Westen angreifen werde, daß er also entschlossen war, den Weltkrieg effektiv zu machen. Gerade das aber galt es aus den dargelegten Gründen unter allen Umständen zu verhindern. Schon ab 27. September 1939 war es außerdem für die militärischen Führungsstellen kein Geheimnis, daß Hitler nicht nur gegenüber Belgien eine neue Neutralitätsverletzung begehen würde, sondern daß er den Neutralitätsbruch auch auf Holland ausdehnen werde. Wer sich noch daran erinnerte, wie schwer dem ganzen deutschen Volk der Einfall in Belgien 1914 angekreidet und nachgetragen worden war, der mußte sich darüber klar sein, daß im Wiederholungsfall die Welt nicht allzu sehr zwischen Hitler und Deutschland unterscheiden würde. Zudem hatte in der gesamten Militäropposition die Befürchtung eine große Rolle gespielt, daß der Angriff auf die Maginotlinie ein zweites Verdun werden, daß er mindestens enorme Blutopfer fordern würde. Diese Befürchtungen haben sich später zur Überraschung selbst hervorragender Heerführer nicht erfüllt. Trotzdem war dann das Endresultat nur optisch ein anderes als im Herbst 1914. Wenn man bedenkt, daß Deutschland zwar ganz Frankreich erobert hatte und jahrelang am Atlantik stand, daß es aber dann binnen sechs Monaten und unter ungeheuren Blutopfern alles wieder räumen mußte, dann haben schließlich doch die Schwarzseher von 1939 im Kern recht behalten. Sie hatten also auch vor der Geschichte Gründe, sogar militärische Gründe, um im Herbst 1939 ihre Geistes-und Willenskraft auf das eine Ziel zu konzentrieren: eben diesen effektiven Weltkrieg im Westen zu verhüten. Darüber wurden recht eigentlich die inaktiven Kreise, d. h. die nicht der militärischen Führung angehörenden Kreise der Militäropposition zu den „aktiven“, die vorwärts trieben oder sich darum bemühten, während die im aktiven Dienst stehenden Männer wo nicht inaktiv, doch in ihrer Aktivität stark gehemmt waren.

Das eben lag an ihrer anderen Position. Wer dem nationalsozialistischen Staat, seinem Führer und „Obersten Befehlshaber" kritiklos gegenüberstand, sei es aus Mangel an Urteilsfähigekit oder aus einer Lässigkeit des Herzens oder aber auch aus der soldatischen Überlieferung, wie er sie verstand, — für den gab es selbstverständlich keine Staatsopposition. Daraus kann keinem ein Vorwurf gemacht werden — es sei denn einigen wenigen, die in höchsten Schlüsselstellungen waren und die die Geschichte nicht so billig davon kommen lassen kann. Die anderen freilich, die mehr oder weniger stark von dem Verhängnis erfüllt, von der vielseitigen Schuld des Regimes, von der charakterlichen Entartung und militärischen Unzulänglichkeit des Diktators überzeugt waren, diese anderen hatten in verantwortlichen Ämtern nun die doppelte Aufgabe: jeden militärischen Vorteil für die kämpfende Truppe wahrzunehmen, jeden militärischen Nachteil von ihr abzuwenden und doch so gut und so schnell wie möglich diesen Krieg zu beenden. Dieses „Beenden“ aber bedeutete das Problem: Hitler auszuschalten und notfalls ihn zu beseitigen, ohne die kämpfende Truppe, ohne Deutschland dabei in noch größere Gefahren zu bringen. Nach dem katastrophalen Ausgang des Krieges sagte es sich leicht, die opponierenden Generale hätten eben nicht über „Zwirnsfäden“

stolpern dürfen. Aber diese retrospektive Betrachtung würde doch wohl der Zeit von 1939/40 nicht völlig gerecht werden. Man wird im Gegenteil den Aktiven, also vor allem Halder, zubilligen müssen, daß sie möglichst auf „Numero Sicher“ gehen wollten. Sie waren dabei sicher von nicht geringerer Sorge um das Volk und seine Zukunft erfüllt als ihre drängenden Mitspieler.

II. Die Gruppe um Halder

Damit wenden wir uns der Frage zu: Was hat Halder, was haben die zum militärischen Handeln befähigten Kreise der Opposition in der Zeit zwischen Polenfeldzug und Westkrieg getan oder unterlassen?

Terminkalender: Wir stellen im folgenden zunächst einige Termine aus der Zeit von Ende September 1939 bis Ende November 1939 zusammen und zwar sowohl Termine, die allgemein zur Beurteilung der Kriegslage und der weiteren Kriegsplanung Hitlers wichtig sind, wie Termine, die für die Widerstandshaltung der im aktiven Führungsdienst stehenden Männer der Militäropposition von Belang sind. Dabei werden Aktionen, die in den Bereich des Widerstandes einzureihen sind, durch Kursivschrift hervorgehoben

1. Sept.: Beginn des deutsch-polnischen Krieges 3. Sept* Kriegserklärung Englands und Frankreichs an das Deutsche Reich 17. Sept.: Einmarsch von Truppen der Sowjet-Union in Ostpolen;

Flucht der polnischen Regierung nach Rumänien 21. Sept.: Oberbefehlshaber des Heeres gibt „Abschluß der Operation in Polen“ bekannt Hitlers Weisung für die Umstellung des Heeres auf den „Abwehrkrieg“ im Westen (bis dahin kein Operationsplan für einen Westfeldzug ausgearbeitet!) 27. Sept.: Kapitulation von Warschau Hitler lehnt gegenüber Brauchitsch und Halder defensive Kriegführung im Westen ab und entwickelt seine Angriffs-pläne, die von einem Einmarsch (Neutralitätsverletzung) in Luxemburg, Belgien und Holland ausgehen 30. Sept.: Halder bietet Braucltitsch seinen Rücktritt an; Brauchitsch lehnt ab; beide vereinbaren, gemeinsam Hitlers Angriffsplan zu bekämpfen, nötigenfalls gemeinsam zurückzutreten 11. Okt.: Hitlers „Weisung Nr. 6 für die Kriegführung“;

Kriegsziel: „Vernichtung unserer westlichen Gegner“

11. Okt.: Denkschrift des Generalobersten von Leeb (Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C) an Brauchitsch gegen die Westoffensive 14. Okt.: Generalausspradte Brauchitsch—Halder zur Lage nach Hitlers „Weisung Nr. 6"; beide einig über weitere Bekämpfung des Offensivplans mit allen fachlichen Argumenten d. h. auf rein militärischer Ebene; aber Brauchitsch nicht bereit zu politischen Konsequenzen nach 14. Okt.: Hitler setzt Zeitpunkt des Angriffs im Westen auf 12. November an unter Vorbehalt endgültiger Entscheidung am 5. November (Tagebuch Jodls mit deutlicher Spitze gegen die Opposition von Brauchitsch—Halder: „Wir gewinnen diesen Krieg und wenn er hundertmal einer Generalstabs-doktrin widerspricht“) nach 14. Okt.: Halders Auftrag an Obstlt. i. G. Großcurth (Verbindungsoffizier des Amtes Ausland/Abwehr int OKW zum OKH) zur generalstabsmäßgen Staatsstreichplanung 18. Okt.: Vortrag des Generals Wagner (Generalquartiermeister) bei Halder über die Polengreuel (Material von Generaloberst Blaskowitz und Admiral Canaris)

25. Okt.: Generaloberst von Reichenau schlägt Hitler Verschiebung der Offensive vor 27. Okt.: Wiederholter Einspruch von Brauchitsch—Halder gegen Offensive Ende Okt. /Frontreise des Generals von Stülpnagel (OberquartierAnf. Nov.: meister I) im Auftrag Halders zwecks Sondierung der Heeresgruppen-und Armeeführer über ihre Bereitschaft zur militärischen Unterstützung des Staatsstreichplans Persönliche Sondierung Halders bei General Fromm, Befehlshaber des Ersatzheeres Denkschrift Etzdorf—Kordt (über Notwendigkeit der Beseitigung des NS-Regimes)

31. Okt.: Brief des Generalobersten von Leeb an Braudtitsch und Halder: abermalige Stellungnahme gegen Offensive; Leeb bereit, „jede gewünschte und notwendig werdende Folgerung zu ziehen“

31. Okt.: Denkschrift des Generalobersten von Rundstedt gegen Offensive 2. /3. Nov.: Frontreise Brauchitsch—Halder (zu Heeresgruppen-und Armeeführern)

4. Nov.: General Thomas (Chef des Wehrwirtschaftsamtes im OKW)

bei Halder; überreicht im Auftrag des Generalobersten a. D.

Beck Denkschrift (verfaßt von Oberst Oster, Dohnanyi und Gisevius) über die Notwendigkeit des Staatsstreichs Auftrag Halders an Oberst Oster (Leiter der Zentralabteilung im Amt Ausland/Abwehr des OKW, vertrauter Mitarbeiter Becks in der Militäropposition), die „Vorbereitungen von 1938“ (für den Staatsstreich) „auf den der heutigen Situation angemessenen Stand zu bringen“; Auftrag Halders an Obstlt.

i. G. Großcurth: Beck und Goerdeler zu „alarmieren“

Nov.: Brauchitsch bei Hitler; trägt erneut Bedenken gegen Offensive vor; Hitler bricht Gespräch brüsk ab, droht, „Geist von Zossen auszurotten“

Hitler gibt Angriffsbefehl für 12. November 5. Nov.: Halders Reaktion auf Gespräch Hitler—Brauchitsch:

a) Befehl zur Vernichtung der Akten (Widerstandsakten), b) Auftrag an Großcurth, Attentat auf Hitler mit Admiral Canaris zu besprechen (Canaris lehnt Mitwirkung an Attentat entschieden ab)

7. Nov.: Oberst Oster und Gisevius bei Generaloberst von Witzleben (Armeeoberbefehlshaber in der Heeresgruppe C)

7. Nov.: Vermittlungsangebot der Souveräne von Belgien und Holland; Hitler läßt Angriffsvorbereitungen für 12. November abstoppen 8. Nov.: Attentat im Münchner Bürgerbräukeller (außer Zusammenhang mit Militäropposition)

9. Nov.: Hitler verlegt Angriffstermin auf 19. November 10. Nov.: Zusammenkunft der drei Heeresgruppen-Oberbefehlshaber im Westen (Leeb, Rundstedt, Bocl?) bei Leeb; Übereinstimmung in der militärischen Beurteilung (Bedenken gegen Offensive);

keine Bereitschaft Bocks und Rundstedts zu politischen Konsequenzen, wie von Leeb angeregt 13. Nov.: Weitere Verschiebung des Angriffstermins: „nicht vor 22. November“

20. Nov.: Abermalige Verschiebung des Angriffstermins: „nicht vor 3. Dezember“

23. Nov.: Hitlers Rede vor der führenden Generalität 27. Nov.: Erneuter Vortrag des Generals Thomas bei Halder über die „Aktion“; anschließend Aussprache Brauchitsch—Halder;

Brauchitsch lehnt aktive Widerstandsaktion ab.

Anfang Januar 1940 erfolgte eine persönliche Aussprache Halders mit Generaloberst Beck; Halder bezeichnet die notwendigen Voraussetzungen für einen Staatsstreich als nicht gegeben.

Im Rahmen dieser Terminfolge sind jetzt Handlungen und Unterlassungen der im aktiven Führungsdienst stehenden Männer der Militär-opposition zu beleuchten.

Generaloberst Halder Der Persönlichkeit des Generalobersten Franz Halder kommt im Rahmen sowohl der Gesamtopposition wie im engeren Bereich der Militär-opposition besondere Bedeutung zu. Das lag schon an seinem Amt als Chef des Generalstabes des Heeres. Es lag noch mehr daran, daß er selbst auch im Widerstandssinne der Nachfolger des Generalobersten Ludwig Beck sein wollte. Nicht nur Beck sah — er hat es 1938 und später wiederholt betont — in Halder den Mann, der befähigt und willens war, das hohe Amt in seinem Geist weiterzuführen. Auch Halder hat gegenüber der Spruchkammer ausgesagt 5), daß er bei der Übernahme des Amtes entschlossen war, alle seine Möglichkeiten zum Kampf gegen Hitler, sein System und insbesondere seine Kriegspolitik auszunützen. Er hat darüber auch den Oberbefehlshaber des Heeres, General von Brauchitsch, nicht im Zweifel gelassen.

Generaloberst Halder hat der Arbeitsaufnahme des berichtenden Arbeitskreises und seiner Zielsetzung zugestimmt. Nun ist Halder einer der wenigen überlebenden Männer der Militäropposition. Bei der kleinen Zahl wirklich wertvoller und ernstzunehmender Zeugen aus jener Zeit lag für den Arbeitskreis nichts näher als der Wunsch, Halder selbst im Rahmen dieser Publikation zu Worte kommen zu lassen — durch eine Gesamtdarstellung, die seine Aussagen vor dem Nürnberger Militärgericht, vor den Spruchkammern, bei anderen Gelegenheiten zusammengefaßt und manche Unklarheiten, auch scheinbare oder wirkliche Widersprüche behoben hätte. Diesem Wunsch glabt sich Halder versagen zu müssen. Er hat dies eingehend begründet. Halder bezeichnete es als unmöglich, die psychologische Situation, in der sich die im Lager der Opposition Handelnden damals befanden, zu rekonstruieren. Er glaubt ferner, daß die Erörterung der Berechtigung zum Hochverrat und zum Bruch des militärischen Eides gerade im geistigen Ringen um ein neues deutsches Soldatentum nicht voraussehbare Wirkungen auslösen kann. Er kam daher zu der Überzeugung, daß eine Publikation über die Militär-opposition in der jetzigen Zeit mehr Gefahren als Vorteile mit sich bringt

Niemand weiß so gut wie der Arbeitskreis, welche Schwierigkeiten die historisch-kritische Prüfung und Bewertung des vorhandenen Materials bietet. Der Arbeitskreis hat die von Halder geäußerten Bedenken mit dem gebührenden Ernst gewürdigt. Er konnte sich aber seinem Standpunkt nicht anschließen. Eine historische Untersuchung wie die hier unternommene kann dem eigenen Volk, aus welchen Gründen immer, nicht vorenthalten werden. Der Arbeitskreis empfängt seine Legitimation erst aus seinen Feststellungen und aus der Darlegung, wie er diese Feststellung getroffen hat und wie er sie zu begründen vermag. Der Arbeitskreis ist außerdem überzeugt, daß für ein neues deutsches Soldatentum die Klärung der militärischen Widerstandstaten im Dritten Reich, die Klärung ihrer Motive und ihrer Berechtigung nicht nur nicht gefährlich, sondern vielmehr unerläßlich ist. Immer muß man davon ausgehen, daß für einen entarteten Staat ein anderer Maßstab gilt, als für einen Normalstaat, mag auch dieser wie jedes Menschenwerk mit Fehlern des Systems und mit Unzulänglichkeiten in der Führung behaftet sein. Wenn der neue Staat wiederum nach eindeutigen objektiven Merkmalen entarten sollte — er wäre dann freilich kein demokratischer Staat mehr —, dann wäre nicht zu befürchten, sondern sogar zu verlangen und zu erwarten, daß eine Militäropposition mit mehr Erfolg als beim letzten Male eine katastrophale Entwicklung verhindern würde. Welche Voraussetzungen in einem solchen Fall gegeben sein müssen — diese Frage ist in einer gesonderten Untersuchung des Arbeitskreises eingehend geprüft worden Hier kann indes gesagt werden, daß Generaloberst Halder unbeschadet der dargelegten Bedenken auf Fragen des Arbeitskreises über einzelne Vorgänge und Zusammenhänge bereitwillig und offen Auskunft erteilt hat. Seine Auskünfte waren ein dankenswerter Beitrag zur Wahrheitsfindung.

Daß Halder bemüht und entschlossen war, sein Amt auch im Widerstandsgeist Becks zu führen, war schon durch seine Haltung in der „Tschechenkrise“ 193 belegt. Das bedeutet allerdings nicht, daß Halder sich lediglich als Statthalter oder Platzhalter oder gar als Befehlsempfänger seines Vorgängers betrachtete. Er war eine selbständige Persönlichkeit und er hielt — woraus ihm kein Vorwurf gemacht werden darf — darauf, über seine Taten und Unterlassungen innerhalb der Militär-opposition in eigener Verantwortung zu entscheiden. Das bedingte gerade die schon gekennzeichnete Doppelgleisigkeit in der Militäropposition.

Und das erklärt ohne weiteres manches kritische Wort, das Halder in der Nachkriegszeit über den drängenden Beck und über dessen Pläne geäußert hat. Diese Pläne haben eben im Einzelfall Halder nicht immer überzeugt und insoweit hat er ihnen auch seine Unterstützung versagt.

Der degradierte Generalstab Es drängt sich fürs erste die Frage auf, welche Möglichkeiten im Dritten P. eich der Chef des Generalstabes des Heeres kraft Amtes überhaupt hatte, auf die Staatsführung einzuwirken. Für die hier zunächst interessierende Zeitspanne des Krieges 1939/40 sind dabei zwei Tatsachen von Belang: Die legalen Mittel der Einwirkung auf die Staatsführung hatten ersichtlich den Kriegsausbruch nicht verhindern können. Ein Rücktritt von Amt war, wie der Fall Beck gezeigt hatte, selbst als Demonstration völlig wirkungslos geblieben; gar nicht zu reden davon, daß in der Folgezeit ein selbständiger Rücktritt ausdrücklich verboten war.

Die Stellung des Generalstabschefs hatte sich in der Wehrmacht unter Hitler gegenüber der im Kaiserreich de jure und de facto völlig gewandelt. Bis 1918 trug „der Chef des Großen Generalstabs“ auch im Verhältnis zum Kaiser als dem Obersten Kriegsherrn nicht nur eine nominelle, sondern eine formelle und faktische Mitverantwortung•. Ebenso war es beim Chef des Generalstabes einer Kommandobehörde in seinem Verhältnis zum Oberbefehlshaber oder Kommandierenden General. Der Generalstabschef war nicht nur berechtigt, eine abweichende Auffassung zu vertreten, er hatte das Recht und die Pflicht, diese aktenkundig zu machen, wenn er damit nicht durchdrang. Im Dritten Reich war der Chef des Generalstabes zum reinen Berater degradiert, der wohl vor seinem eigenen Gewissen, nicht aber nach oben und nach außen eine eigene Verantwortung oder Mitverantwortung trug. Eine Befehls-oder Entscheidungsgewalt stand ihm überhaupt nicht zu. Aus eigener Machtvollkommenheit konnte er keinen Befehl an das Heer geben, konnte er nicht einmal eine Kompanie verlegen. Befehlsgewalt hatten allein der Ober-befehlshaber des Heeres und die ihm nachgeordneten Kommandeure.

Trotzdem wurde die Stellung des Generalstabschefs nicht nur im Volk, sondern vielfach auch in der Wehrmacht selbst noch nach den landläufigen Begriffen bewertet, also wesentlich überbewertet. Gerade deshalb genossen Amt und Persönlichkeit des Generalstabschefs in der Truppe und bei den Zivilbehörden noch den alten Nimbus und damit eine sehr hohe Autorität. Folglich war es einer kraftvollen aktiven Persönlichkeit nicht allzuschwer gemacht, sich innerhalb und außerhalb des militärischen Bereichs Geltung zu verschaffen. Es war für den Generalstabschef also keineswegs aussichtslos, in kritischen Situationen sich als Mann und Führer des Widerstandes über die beschränkten formalen Amtsbefugnisse hinaus durchzusetzen. Ob und wieweit dabei der Oberbefehlshaber des Heeres zu überspielen war, das war wieder eine Frage für sich.

Halder zum Widerstandsrecht Wie stand Halder zum Widerstandsrecht? Er hat das Recht des verantwortlich führenden Soldaten zum passiven Widerstand gegen das entartete Regime im allgemeinen, gegen seine Kriegspolitik, gegen eine ebenso dilettantische wie unter vielen Gesichtspunkten verhängnisvolle Kriegsführung des Obersten Befehlshabers durchaus anerkannt. Er hat dieses Recht — das darf als unbestritten gelten — vom Herbst 1938 bis zu seiner Entlassung im Sommer 1942 mit Beharrlichkeit, oft auch mit einer damals schon sehr rar gewordenen Zivilcourage gegenüber dem Diktator ausgeübt. Halder hat ebenso das Recht und gegebenenfalls« die Pflicht zum aktiven Widerstand — und das heißt in letzter Konsequenz: zum Staatsstreich unter Einsatz der bewaffneten Macht — bejaht. Er hat aber auch für den äußersten Notfall nicht jedes Mittel zum Zweck gut geheißen. Er hat mindestens grundsätzlich den politischen Mord abgelehnt — als Mensch, als Christ, als Soldat. Darin war er mit Beck zunächst völlig einig. Während aber Beck in den späteren Kriegesjahren und unter schweren inneren Kämpfen sich zu einer anderen Auffassung durchrang 8), will Halder in dieser Frage bis zuletzt an seiner ursprünglichen Auffassung festgehalten haben. Er sprach sich hierüber vor der Spruchkammer eingehend aus. Als dort die Möglichkeiten erörtert wurden, die einem militärischen Führer, der die Verwerflichkeit des Staatssystems erkannt hat, zu Gebote standen, sagte er:

„Zweierlei: resignieren -der Weg, den ein Bede gegangen ist — oder der Meuchelmord. Im Denken des deutschen Offiziers bestehen tiefe und ernste Hemmungen gegen den Gedanken, einen Wehrlosen niederzuschießen. Ich habe mit Stauffenberg, Tresckow und anderen stundenlang über diese Frage gesprochen, und ich weiß, diese Männer haben nur zu diesem Gedanken gegriffen in der letzten Verzweiflung unter Überwindung alles dessen, was sich in ihrem Denken dagegen aufbäumte. Das deutsche Heer ist nicht auf dem Balkan ausgewachsen, wo der Königs-mord in der Geschichte immer wiederkehrt. Revolutionäre vom Fach sind wir nicht. Dagegen spricht die konservative Grundeinstellung, in der wir ausgewachsen sind. Meine Kritiker, die heute noch sehr zahlreich sind, frage ich: Was hätte ich tun sollen d. h. was hätte ich hindern müssen? Einen aussichtslosen Putsch starten, für den die Zeit nicht reif war, oder zum Meuchelmörder werden als deutscher Offizier, als Spitzen-vertreter des deutschen Generalstabs, der nicht nur für seine Person, sondern als Vertreter der deutschen Tradition handelt? Das spreche ich ehrlich aus, dazu habe ich mich nicht geeignet, das habe ich nicht gelernt. Die Idee, worum es ging, war mir klar. Sie in den ersten Stadien mit dem politischen Mord zu belasten, dazu war ich als deutscher Offizier nicht fähig.“

Diese Aussage Halders, ohne jede Einschränkung abgegeben, führt zu dem Schluß, daß er selbst ein Attentat nicht durchgeführt hätte. Das schließt aber nicht aus, daß Halder in dieser Frage mit sich gerungen hat.

Denn auch er muß sich Gedanken darüber gemacht haben, daß Hitler schwerlich durch mehr oder minder sanfte Gewalt auszuschalten war. Der vom Arbeitskreis vernommene Zeuge, Oberstleutnant a. D. Heinz hat in sehr bestimmter Form unter Bezugnahme auf die Obersten Oster und Großcurth ausgesagt, daß im Herbst 1939 —vor der damals von Hitler für Mitte November angesetzten Westoffensive — im Kreise um Halder ganz offen von der Notwendigkeit der „Beseitigung Hitlers“ und zwar im Attentats-Sinn gesprochen worden ist. Es ist auch eine Tagebuchaufzeichnung des Obersten Großcurth (vom Februar 1940) erhalten geblieben, die diese Aussage bestätigt und sehr kräftig unterstreicht.

Audi Kosthorst, der sich immer wieder auf persönliche Aussagen Halders beruft, schreibt »• • und wenn gegen den lebenden Tyrannen eine umfassende Aktion nicht zustande gebracht werden konnte, mußte dann nicht ein Attentat gewagt werden? Obwohl Halder persönlich schwere Bedenken dagegen hatte — er betrachtete den politischen Mord als unheilvollen Beginn für eine neue politische Entwicklung —, wußte er im Drang dieser Stunden keinen anderen Weg und ließ durch Oberstleutnant Großcurth eine solche Möglichkeit mit der Abwehr besprechen. Canaris lehnte kategorisch ab, Oster schwieg unbegreiflicher-weise über den Attentatsplan von Erich Kordt, zu dem er den Sprengstoff besorgen wollte“ (aber nicht zu beschaffen vermochte).

Es ist danach als ausgeschlossen zu bezeichnen, daß Halder in der Attentatsfrage von Großcourth mißverstanden worden sei. Man hat ferner den Zeitpunkt zu beachten, zu dem der bewußte Auftrag an Großcurth erging. Er folgte unmittelbar dem Gespräch Brauchitsch mit Hitler vom 5. November, also der Drohung Hitlers, „den Geist von Zossen auszurotten“. Diese Drohung löste bei Halder zunächst die ernste Befürchtung aus, daß die Vorbereitungen zum Staatsstreich verraten worden sein könnten.

Man wird den Auftrag an Großcurth mit der oben wiedergegebenen späteren Erklärung Halders über seine grundsätzliche Einstellung zum Tyrannenmord nur so in Einklang bringen können: Halder teilte auch damals die Bedenken Becks-gegen eine „Belastung der so sauberen deutschen Geschichte durch einen Mord“ aber angesichts der massiven Drohung Hitlers und unter dem unmittelbaren Druck der Verratssorge konnte er sich der Konsequenz nicht entziehen, daß vielleicht doch zum äußersten und letzten Mittel gegriffen werden müsse. Sein Auftrag an Großcurth war im übrigen sicher kein Befehl zu einer Tat, der Halder für seine Person innerlich widerstrebte, aber er war mindestens eine Ermunterung für Männer, die eine solche Tat mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten. Und so ist der Auftrag auch von Großcurth und seinen Gesinnungsgenossen verstanden worden.

Halder hat weiter den Landesverrat als Mittel der Opposition abgelehnt. Nach Bor sagt er dazu folgendes:

„Anders der Landesverrat, der das bestehende Regime bekämpft, indem er den Feind mit heranzieht — er muß sich wesensmäßig gegen das Legitimste wenden, das der Mensch hat, gegen sein Volk selbst. Welch betrüblicher Zustand geistiger Verwirrung mußte herrschen, daß sich deutsche Männer in ihrem Haß gegen den Tyrannen einreden konnten, durch eine Verbindung mit dem Feinde, durch Verrat militärischer Geheimnisse dem Vaterland zu dienen! Sie übersahen in ihrem Eifer und ihrer Verblendung, daß der Feind sich den Verrat zu Nutze macht, den Verräter aber immer verachtet hat. Wie sollte die Verachtung nicht ungleich größer sein bei denen, die verraten wurden — bei den eigenen Landsleuten? . . . Die Übermittlung eines Angriffstermins z. B. an den Feind nutzt nichts, denn der Angriff wird planmäßig durchgeführt. Allerdings werden, wenn der Feind unterrichtet wurde, also vorbereitet ist, Tausende eigener Soldaten, die auf Befehl die Stellung verlassen und vorgehen, mit ihrem Leben für diese Gewissenlosigkeit zahlen. — Mein Oberbefehlshaber und. ich haben gegen Hitler gekämpft, wenn es darum ging, ihn von Entschlüssen abzuhalten, die nach unserer festen Überzeugung für Deutschland und das Heer nachteilig waren. Niemals aber ist etwas sabotiert, verhindert oder gar unterlassen worden, was die kämpfende Truppe zur Erfüllung ihrer harten und schweren Aufgabe brauchte. Es ist — bei uns — aus Gründen des Widerstandes gegen Hitler niemals etwas geschehen, was dem Mann an der Front irgendwie hätte schaden können.“

Zeit gewonnen ...

Einen Monat nach Kriegsbeginn war der Polenfeldzug beendet und die Teilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion vollzogen. Sehr schnell stand aber auch fest, daß diese vollzogene Tatsache von den beiden Westmächten nicht anerkannt wurde, daß also nicht der Krieg, sondern nur seine kurze Einleitung beendet war. Noch waren die Seiten des Kriegsbuches unbeschrieben. Aber Wenige wußten so schnell wie Halder, daß Hitler darauf brannte, sie zu beschreiben Hitler setzte Mitte Oktober den ersten Termin für den Generalangriff im Westen schon auf 12. November an. Es waren nicht nur politische, sondern auch rein militärische Erwägungen, die bereits ab Ende September der Widerstand von Halder auf den Plan riefen. Er hat zunächst im Einvernehmen mit Brauchitsch nachdrücklich versucht, aus diesen rein militärischen Gründen den Angriffstermin hinauszuschieben. Tatsächlich wurden die Angriffstermine auch immer wieder verschoben So wurde ein Zeitgewinn von mehr als einem halben Jahr erzielt. Das darf nicht unterschätzt werden. Aber der Zeitgewinn hatte natürlich nur einen Sinn, wenn er ausgenützt wurde. Das „Bremsen“ wie es Halder vor der Spruchkammer nannte, war im übrigen ein durchaus legaler Widerstandsakt. „Ich habe“, sagte Halder „mit meinem Oberbefehlshaber in mancher ernsten Stunde darüber gesprochen, daß Bremsen, Entgegenstemmen, Verzögern und Aufhalten letzten Endes nur Ausdruck einer negativen Haltung ist“. Halder war sich also klar darüber, daß mit dieser negativen Haltung nichts Entscheidendes erreicht und auf die Dauer auch nichts verhindert wird. Er und Brauchitsch hofften, daß ihnen „allmählich politische Bewegungen die Mittel an die Hand geben würden, die uns zu Erfolg versprechendem Handeln befähigt hätten“ 17); diese politischen Bewegungen waren nach seiner Ansicht im Winter 1939— 40 „noch nicht genügend reif“.

Es bildet eine Kernfrage, ob diese Behauptung überhaupt zutrifft, noch mehr, ob hier nicht Voraussetzungen gefordert werden, die erst eine Folgewirkung des militärischen Handelns sein konnten. Halders retrospektive Bemerkung besagt zunächst nur, daß er alles, was ihm an Berichten und Plänen aus dem eigenen Kreis oder aus dem Kreis um Bede und Goerdeler zugegangen ist, nicht als Erfüllung der wünschbaren Voraussetzungen angesehen hat.

Die „Arbeitsgruppe“

Es ist aber auch nicht so, daß Halder nur „gebremst“ und im übrigen nur gewartet hätte. Da bildete sich unter der Leitung Halders im Generalstab eine, wie er sagt feste Gruppe, die sich die Verhinderung der Kriegsausweitung zum Ziel setzte und die dazu nötige „Aktion“ nach der technischen Seite hin bearbeitete. Zu dieser Gruppe gehörten die Generale Heinrich v. Stülpnagel, Fellgiebel (Chef des Heeresnachrichtenwesens im OKH), Wagner (Generalquartiermeister = Chef des Nachschubwesens im OKH), Oberst v. Tresckow (la in der Operationsabteilung des Generalstabs des Heeres, später im Generalstab einer Armee) und der Legationsrat v. Etzdorf, der vom Auswärtigen Amt als Verbindungsorgan zum OKH abgestellt war. Von dieser Gruppe lebt nur noch Etzdorf. Zeitweilig gehörte zu ihr auch Oberst i. G. Großcurth.

Die stärkste motorische Kraft in diesem Arbeitskreis um Halder war zweifellos Heinrich v. Stüipnagel. Er war damals Oberquartiermeister I und damit dienstlicher Vertreter des Chefs des Generalstabs. Dieser energische und temperamentvolle Mann war ein leidenschaftlicher Gegner Hitlers, zutiefst überzeugt, daß Hitlers Kriegspolitik unheilvoll war. Mit seiner ganzen Impulsivität drängte er Halder ständig zum Handeln. „Zitternd vor Erregung" forderte er, daß notfalls der Oberbefehlshaber, also Brauchitsch, wenn er nicht mitgehe, einzusperren sei — ein Verlangen, das Halder übrigens ablehnte. Die menschliche Verbundenheit mit seinem Oberbefehlshaber stellt dem Kameraden Halder sicher ein gutes Zeugnis aus. Es wird noch zu prüfen sein, inwieweit sie den Widerstandsmann Halder bewußt oder unbewußt gehemmt hat.

Frontreisen Stüipnagel Eben jenen General v. Stüipnagel entsandte Halder zu den Kommando-stäben der im Westen aufmarschierten Armeen, um die Stimmung zu erkunden und die Oberbefehlshaber für einen Staatsstreich zu gewinnen. „Stüipnagel, dieser prächtige Soldat und preußische Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, mit dem weiten Kreis seiner Beziehungen, dessen Name über seine Kreise hinaus in der ganzen Armee bekannt war, ist wochenlang an die Front gefahren, von Kommando zu Kommando, von Division zu Division. 19) Was kam dabei heraus: Stüipnagel kehrte resigniert zurück und faßte das Ergebnis seiner Gespräche nach Halder in die Worte: „Du siehst richtig, es geht nicht! Die Kommandeure und die Truppen würden Deinem Ruf nicht folgen.“ Man ersieht daraus, daß Halder schon zu Beginn der Mission Stüipnagel offenbar nicht sehr stark an die Voraussetzungen geglaubt hat, die für ein aktives Handeln erforderlich waren. War das negative Ergebnis eine (unbewußt) ganz genehme Begründung für den Verzicht auf Taten, die doch so problematisch waren? Man wird indes nicht bestreiten können, daß das Fazit der Mission Stüipnagel mindestens nicht gerade ermunternd für Halder war.

Leider war zu diesem Zeitpunkt der Generaloberst Frhr. von Hammerstein, der ehemalige Chef der Heeresleitung (bis 1934), nicht mehr einer der Oberbefehlshaber im Westen. Er war nämlich — nach der Darstellung Schlabrendorffs — entschlossen gewesen, Hitler bei einem Besuch seiner Armee festzunehmen. Aber Hitler sagte die an ihn ergangene Einladung ab. Und versetzte Hammerstein kurz darauf wieder in den Ruhestand. So fiel dieser „Mann ohne Nerven“, wie ihn Brüning beurteilt hat, gerade dort aus, wo Halder tatbereite Gesinnungsgenossen suchte und brauchte. Dagegen stand an der Westfront als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C der Generaloberst Wilhelm Ritter von Leeb. Dieser hatte bereits mit einer Denkschrift vom 11. Oktober und noch deutlicher mit einem persönlichen Brief an Brauchitsch vom 31. Oktober zu erkennen gegeben, daß er die Westoffensive nicht bloß aus militärischen Gründen ablehnte, daß er vor allem auch die Tragweite der Neutralitätsverletzung gegenüber Holland, Belgien und Luxemburg richtig beurteilte und daß er zur Verhinderung dieses Kriegsplans zu „jeder gewünschten und notwendig werdenden Folgerung“ bereit war. Es ist richtig, daß die beiden anderen Heeresgruppenführer im Westen, die Generalobersten v. Bock und v. Rundstedt, mit Leeb in der militärischen Ablehnung der Offensive einig, aber nicht bereit waren, Leeb auf dem Wege zu politischen Konsequenzen zu folgen Es trifft zu, daß Leeb in der eigenen Heeresgruppe nur in geringem Umfang über jene schnell beweglichen Truppen verfügte, die für die Sicherung des raschen Erfolges eines Staatsstreichs erforderlich erschienen. Aber die Einstellung Leebs kann unmöglich im Reisebericht Stülpnagels übergegangen worden sein und durfte auch bei der summarischen Aussage Halders über das negative Ergebnis dieser Reise nicht übergegangen werden. Wenn Leeb in der Folgezeit seinerseits nicht mehr aktiv im Sinne des Widerstandes geworden ist, dann muß es nicht allein auf die Absage von Bock und Rundstedt, sondern auch auf den Mangel jeder Ermunterung von oben d. h. von Halder zurückgeführt werden.

Man kann in diesem Zusammenhang auch nicht daran vorübergehen, daß nach Kosthorst Leeb „erst im OKW-Prozeß durch den Mund Halders von eigentlichen Widerstandsgruppen hörte und vorher nie etwas von diplomatischen Verbindungen zur Gegenseite gehört hat“. Aber das ist nicht nur, wie Kosthorst meint, kennzeichnend „für die in jeder Untergrundbewegung notwendige Taktik der abgestuften und begrenzten Einweihung“, und auch nicht nur für eine „noch nicht bis zu letzten Entschlüssen ausgereifte Planung“. Es ist auch kennzeichnend dafür, daß selbst höchste und hervorragende Frontbefehlshaber wie Leeb, der doch recht deutlich das Stichwort für die persönliche und verantwortliche Teilnahme an der Militäropposition gegeben hatte, sich selbst überlassen und in entscheidenden Wochen nicht herangezogen worden sind.

Dem Institut für Zeitgeschichte liegt aus den Akten des Amerikanischen Militärgerichtshofs V in Nürnberg umfangreiches Material über den Generalfeldmarschall v. Küchler vor Aus ihm ergibt sich, daß der damalige Generaloberst v. Küchler als Oberbefehlshaber der 3. Armee während des Polenfeldzuges auf die ersten Nachrichten von Polengreueln der Gestapo und der SS hin sofort schärfste Gegenmaßnahmen getroffen und kriegsgerichtliche Verfahren eingeleitet, daß er diese Maßnahmen auch gegen geharnischte Proteste Himmlers und der Partei aufrechterhalten und auch sonst in zahlreichen vertraulichen Gesprächen seine entschieden ablehnende Haltung gegenüber dem Regime und seinen Methoden bekundet hatte. Küchler stand im Winter 19 39/40 als Führer einer Armee im Westen. Sollte auch bei ihm Stülpnagel nur Mangel an jener Entschlossenheit gefunden haben, die Küchler eben erst in Polen mit beträchtlicher Zivilcourage an den Tag gelegt hatte? Man kann es kaum glauben.

Von dem späteren Generalfeldmarschall v. Witzleben, damals Ober-befehlshaber der 1. Armee im Westen, — einem Mann, dessen oppositionelle Einstellung und Tatbereitschaft sich schon in der Herbstkrise 1938 den Wissenden eindeutig geoffenbart hatte —, wird in diesem Zusammenhang noch besonders zu sprechen sein.

Canaris

Auf der gleichen Linie wie Stülpnagels Frontfühler lagen zur gleichen Zeit, wenn auch vielleicht ganz unabhängig davon unternommen, die Frontfahrten des Admiral Canaris, des Chefs des Amtes Ausland-Abwehr im OKW Hierüber gab Generalmajor a. D. Erwin Lahousen, damals Abteilungschef bei Canaris und häufig sein Reisebegleiter, eine Erklärung ab, der wir folgendes entnehmen: „In der Zeitspanne zwischen dem Polenfeldzug 1939 und dem Beginn der Operationen gegen Frankreich am 10. Mai 1940 besuchte Admiral Canaris zu wiederholten Malen die Oberbefehlshaber der im Westen eingesetzten Armeen und Heeresgruppen. Diese Frontbesuche erfolgten aus zweierlei Gründen: Einerseits waren sie erforderlich, um die sachliche Zusammenarbeit zwischen dem Amt Ausland-Abwehr und den Heeresgruppen bzw. Armeen, denen Sonderverbände der Abwehr (wie z. B.des Bataillon z. b. V. 100), sowie Abwehrkommandos und Abwehrtrupps unterstellt waren, zu gewährleisten. Gleichzeitig benützte Canaris diese Reisen jedoch, um die Ober-befehlshaber über die Entwicklung der außen-und innenpolitischen Lage zu orientieren.

Einen breiten Raum in den Darlegungen des Abwehrchefs nahmen damals (im zeitigen Frühjahr 1940) die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten völkerrechtswidrigen Handlungen und Atrozitäten gegen die polnische Zivilbevölkerung ein, sowie die Behandlung der Juden und das Verhalten der von Hitler im Generalgouvernement Polen eingesetzten höheren SS-und SD-Führer.

In diesem Zusammenhang erscheint die Feststellung von Bedeutung, daß Canaris als Chef des Amtes Ausland-Abwehr nicht nur über ein reichhaltiges und überzeugendes Dokumentenmaterial verfügte, sondern auch über die Kenntnis der Reaktion des feindlichen und neutralen oder nicht kriegführenden Auslandes auf die Vorgänge in dem von Deutschland besetzten Polen“.

Lahousen selbst wohnte einigen Besprechungen des Admirals Canaris mit den Heerführern bei, darunter denen mit den späteren Feldmarschällen v. Rundstedt (Datum hier: 1. April 1940), v. Witzleben, v. Reichenau (diese beiden damals Armeeführer) und Paulus (Generalstabschef Reichenaus). Lahousen berichtet, daß die besuchten Generale ernste Sorge im Hinblick auf die bevorstehenden vermeintlich schweren Kämpfe um die Maginotlinie und Grenzbefestigungen hatten. Rundstedt und Reichenau haben, so führt er weiter aus, die Berichte des Admirals über die Vorgänge in Polen mit Entrüstung und Abscheu zur Kenntnis genommen Rundstedt hat dabei „mit kaum zu überbietender Offenheit und Eindeutigkeit seine wahren Gefühle gegenüber Hitler und seinem System ausgedrückt.“ Er machte auf Lahousen den Eindruck „eines zu allem entschlossenen Generals altpreußisch-deutscher Soldatentradition“, — eine Auffassung, die allerdings der tiefer blickende Canaris nicht teilte. Reichenau äußerte sich etwas vorsichtiger. Aber beide späteren Feldmarschälle bekundeten keinerlei Bereitschaft, aus ihrer Kritik die Konsequenz im Sinne einer aktiven Beteiligung an den Bestrebungen der Militäropposition zu ziehen. Paulus bezeichnete sogar die von Hitler in Polen angeordneten Maßnahmen als notwendig und zog sich auf seinen rein militärischen Aufgabenbereich zurück. Insoweit stimmten die Wahrnehmungen von Canaris mit denen von Stülpnagel überein.

Immerhin gab es eine sehr wichtige Ausnahme: Bei dem späteren Feldmarschall von Witzleben fand Canaris nach Lahousen die volle Bereitschaft, sich für einen Versuch zur Rettung Deutschlands vor dem Verderben zur Verfügung zu stellen Man kann jedenfalls nicht annehmen, daß Stülpnagel bei Witzleben etwas anderes gehört hat als Canaris. Er drängt sich daher wieder die Frage auf, ob die Aktion Stülpnagel so restlos negativ verlaufen ist, wie es Halder in seiner Darstellung vor der Spruchkammer behauptet. „Wer sucht, der findet , ist ein alter, vielleicht etwas billiger Spruch. Aber da doch Witzleben nicht als einziger Frontgeneral ein tatbereiter Mann des Widerstandes war — siehe oben die Denkschrift Leebs —, dürfte einstweilen die Frage noch nicht restlos geklärt sein, ob hier mit dem nötigen Nachdruck und mit der nötigen Findigkeit „gesucht“ worden ist. Großcurth Diese Frage legt insbesondere eine Erklärung des Legationsrats v. Etzdorf nahe. Aus ihr ist zu entnehmen, daß „Frontreisen“ wie von Stülpnagel zur gleichen Zeit auch von dem damaligen Major i. G. Großcurth unternommen worden sind. Großcurth, der später in Gefangenschaft nach Stalingrad gestorben ist, war vorher Abteilungschef im Amt Ausland-Abwehr unter Admiral Canaris gewesen und war als dessen Vertrauensmann ins OKH — in der Stellung eines Chefs der Abteilung z. b. V. — „eingebaut“ worden. -Auch in dieser Stellung behielt er die enge Verbindung mit Canaris und insbesondere mit Oberst Oster (Chef der Zentralabteilung im Amt Ausland-Abwehr) bei, den wir noch als unmittelbaren Mitarbeiter des Generalobersten Beck kennen lernen werden. Welche Bewandtnis es mit dem Einbau von Großcurth ins OKH (Generalstab) hatte, ist aus der Erklärung von Etzdorf gut zu ersehen. Es heißt da: „Herr Großcurth war ein kompromißloser Gegner des Nationalsozialismus und seines Regimes ... Er war von dem Gedanken und Willen besessen, Mittel und Wege zu finden, um mit Hitler Schluß zu machen. Im OKH war er die Seele des Widerstandes. Unermüdlich ging er von Dienststelle zu Dienststelle, um die Offiziere in seinem Sinne zu beeinflussen; er sammelte, wo er nur konnte, Material, das geeignet war, die Empfindungen des Soldaten und namentlich des Generalstäblers gegen Hitler und die SS aufzuwiegeln; er unterließ es niemals, beim Vortrag vor Herrn v. Brauchitsch, vor Herrn Halder oder den anderen Generälen zum Widerstand offen zu reden oder wenigstens dafür Stimmung zu machen. An Putschplänen im Oktober-November 1939, für die sich militärisch namentlich der General Hoepner, politisch die Gruppe Goerdeler-Beck zur Verfügung gestellt hatte war er führend beteiligt. Mit Generaloberst Beck stand er in laufendem Verkehr; er war der Über-mittler jener Denkschriften zur militärischen Lage, die Herr Beck damals in regelmäßigen Abständen dem Generalstab zugehen ließ und in denen er mit militärischen Argumenten die unabwendbare Katastrophe vor-zeichnete. Auch von sich aus trat Herr Großcurth, teilweise in Zusammenarbeit mit mir, mit Denkschriften hervor, die sich an die Generäle des Hauptquartiers und der Front wandten und die alle in der Forderung nach sofortigem Handeln gegen das Regime einmündeten.

Lim die Stimmung der Truppen zu erkunden und in unserem Sinne aufzurütteln, gleichzeitig auch um eine Konspiration aufzubauen, reiste Herr Großcurth damals verschiedentlich zur Front und zu den Stäben, zumal zum damaligen General v. Witzleben, dem er auch persönlich nahestand. Diese Fahrten geschahen anfänglich im Einverständnis des Oberbefehlshabers und Generalstabschefs, solange diese nämlich selber mit dem Gedanken eines Putsches spielten. Später besann man sich anders und verbot Herrn Großcurth, auf Reisen zu gehen. Großcurth setzte trotzdem seine Besuche fort. Er wurde daher strafweise aus dem Generalstab entlassen und zur Truppe versetzt. Erst eineinhalb Jahre später kam er in eine Generalstabsstelle zurück.

Erwähnen möchte ich schließlich, daß bei den Attentatsplänen, die mein Freund Erich Kordt und ich im Herbst 1939 betrieben und die aus hier nicht zu erörternden Gründen stecken blieben, Herr Großcurth uns von vornherein unter vollem Einsatz seiner Person zur Seite stand“

Denkschriften und Kommentare — Putschpläne Diese Erklärung Etzdorfs enthält einige Hinweise, die sogleich kurz kommentiert werden müssen. Etzdorf wählt für die Planungen, die im Oktober 1939 den Kreis um Halder beschäftigten, den konkreten Ausdruck „Putschpläne". Er spricht von Denkschriften des Generalobersten Beck, die regelmäßig dem Generalstab, also Halder zugingen, und im besonderen von eigenen Denkschriften Etzdorfs. Endlich stellt er fest, daß Großcurth wegen der trotz Verbotes fortgesetzten Frontreisen aus dem Generalstab (Hauptquartier) d. h. aus einer für die Widerstandsbewegung wichtigen Schlüsselstellung entfernt worden ist.

Was nun die „Putschpläne" betrifft, so liegen bis heute keine Zeugnisse dafür vor, daß sie bereits so konkrete Gestalt gewonnen hatten wie die Staatsstreichpläne vom September 1938 Wohl mögen die Absichten der Treibenden erheblich weiter gegangen sein als die Entschlüsse der Männer an der Spitze. Immerhin war es so weit gediehen, daß Halder am 4. November 1939 — nach dem Vortrag von General Thomas — Oster den Auftrag zukommen ließ, die Staatsstreichpläne vom Herbst 1938 (Tschechenkrise) zu „rekonstruieren" und auf den zeitgemäßen Stand zu bringen. Am gleichen Tag ließ Halder durch Beck auch Schacht und Goerdeler „alarmieren“. Dieser 4. November bezeichnet wohl den Höhepunkt in der Entschlossenheit Halders zum aktiven Handeln. Nach seinen späteren Bekundungen (siehe oben) taucht nun auch die Frage auf, ob er an diesem 4. November von dem „negativen“ Ergebnis der Frontreise Stülpnagels bereits Kenntnis haben konnte oder haben mußte.

Aber auf den 4. November folgte sofort der 5. November mit dem Vortrag Brauchitschs bei Hitler — jener Vortrag, der den bekannten dramatischen Abschluß fand: Hitlers Drohung, daß er „den Geist von Zossen ausrotten“ werde. Zeller urteilt über die Reaktion Brauchitschs folgendermaßen „Er wurde durch einen orkanartigen Ausbruch Hitlers niedergeworfen und in eine Art inneren Niemandslandes verschlagen, aus dem er nur schwer einen Rückweg fand“. Dieses Urteil Zellers dürfte mit einem Satz sehr Treffendes, vielleicht das Wesentliche über den damaligen Oberbefehlshaber des Heeres aussagen.

Anschließend berichtet Zeller folgenden eigenartigen Vorfall: „Aus dem Berghof wird vom 5. November außerdem folgender Auftritt berichtet: Ein General, der zu den Teilnehmern am geplanten Putsch gehört — der Name ist nicht genannt —, hat seinen Vortrag beendet und will gehen. Mit einer ihn überraschenden Wendung fragt ihn Hitler: „Was haben Sie sonst noch vor?" Der andere wiederholt einiges vom Besprochenen. Hitler beharrt weiter: Nein, er meine das nicht, er sehe ihm doch an, daß ihn noch etwas anderes bewege. Der andere, unsicher geworden, bleibt beim Verneinen und wahrt mit Mühe die Haltung, bis ihn Hitler entläßt. Er ist überzeugt, daß das Unternehmen verraten ist, und meldet dies nach Berlin. Dort geht man daran, Papiere zu vernichten und Spuren des Planes zu verwischen. Am Abend des 6. November wird bekannt, daß Hitler nichts weiß; am 7. und 8. werden neue Anläufe unternommen, am Abend des 8. geschieht das Attentat, nac n dem man einen Gegenschlag wie nach der Röhm-Revolte erwartet" Bei dem Attentat, von dem hier die Rede ist, handelt es sich um den Bombenanschlag im Münchner Bürgerbräukeller, mit dem die Militäropposition nichts zu tun hatte.

An dieser Darstellung Zellers ist mindestens die Ortsangabe falsch. Hitler befand sich am 5. November nicht auf dem Berghof (Berchtesgaden), sondern in Berlin und dort hat in der Reichskanzlei auch der Vortrag Brauchitschs stattgefunden. Es erscheint ferner merkwürdig, daß es nicht mehr gelingen soll, den bei Zeller erwähnten General, der am gleichen Tag wie Brauchitsch bei Hitler gewesen sei, namentlich festzustellen. Welchen Wahrheitsgehalt die Schilderung bei Zeller auch haben mag, — sie scheint drastisch die außerordentliche psychische Hochspannung wiederzuspiegeln, die im OKH nach der Rückkehr Brauchitschs aus der Reichskanzlei herrschte. Sie liegt namentlich auf der Linie der Alarmierung durch die Verratssorge, die insbesondere auch Halder sofort erfüllte und beherrschte. Jedenfalls hat Halder in dieser Hochspannung einerseits die Vernichtung aller Widerstandsakten gefordert, womit die von ihm vorher angeordnete „generalstabsmäßige Staatsstreich-planung" erledigt sein mußte, andererseits Großcurth den Auftrag erteilt, die Attentatslösung mit Canaris zu besprechen.

Bereits wenige Tage nach dem 5. November trat wieder Beruhigung im Widerstandskreis des OKH ein. Denn Hitler hatte unmittelbar nichts veranlaßt, um seine Drohung — „Ausrottung des Geistes von Zossen" — wahrzumachen. Es konnte also kaum etwas von den Staatsstreich-vorbereitungen verraten worden sein. Aber als Nachwirkung blieb doch die starke Sorge, daß durch Unvorsichtigkeit etwas bis zu Hitler durchsickern könnte. Kam hinzu, daß Oster damals — am 7. November bei Witzleben — ein kompromittierendes Widerstandsdokument liegen ließ. Das braucht kein Versehen gewesen zu sein und konnte trotzdem dazu beitragen, Halders Verratssorgen zu verstärken. Jedenfalls datiert von jenen Tagen zu Anfang November her sowohl die geflissentliche Distanzierung Halders von Oster wie auch die einige Zeit darauf erfolgte Entfernung von Großcurth aus dem OKH.

Die „regelmäßigen Denkschriften Becks“, über die Etzdorf berichtet, waren nicht erbeten und haben, vielleicht gerade durch ihre Häufung, nicht eine Auflockerung des Bodens für die „Aktion“ bewirkt, sondern eher das Gegenteil Es gehört zu den allgemeinen menschlichen Erfahrungen, daß ein Amtsleiter laufende Ratschläge Außenstehender für die Führung seines Amtes nicht gern entgegennimmt, am wenigstens aber von seinem Amtsvorgänger. Diese Menschlichkeiten dürften gerade damals die Beziehungen zwischen Beck und Halder belastet haben. Beck hat vielleicht nicht bedacht, daß auch beim Treiben und Drängen manchmal weniger — mehr ist.

Von den Denkschriften Etzdorfs ist eine, die in Zusammenarbeit mit Erich Kordt verfaßt worden ist, in den Hauptteilen erhalten geblieben Sie ist gegliedert in vier Abschnitte: Das drohende Unheil, das Gebot der Stunde, keine Bedenken, die neue Reichsgewalt; an der Spitze des vierten Abschnitts steht „Ehrenhafter Friede“. In dieser Gliederung und in ihrer knappen, klaren Gestaltung ist sie ersichtlich auf die Mentalität der Militärs, speziell der verantwortlichen Generale abgestellt. Hier interessiert vor allem der Hinweis,, daß man nicht darauf warten könne, bis der Staatsstreich „populär" werde; denn dann käme er zu spät und könnte das LInheil nicht mehr verhindern. „Die relative Un-popularität des Unternehmens muß daher mit dem nötigen Maß an Zivilcourage hingenommen werden. Sobald dem Publikum erst die Augen darüber geöffnet sind, was Deutschland aus der Hand eines Besessenen bevorstand, wird sich eine bessere Erkenntnis bald durchsetzen. Im übrigen verschafft die nach anfänglichem Friedensoptimismus sich zunehmend verbreitende dumpfe Ungewißheit über den Ausgang des Krieges schon jetzt eine unseren Plänen entgegenkommende Stimmungslage und man soll last not least auch mitberechnen, wie sehr der Sturz des Hitler

Regiments „an sich“ von vielen und nicht den schlechtesten Deutschen herbeigesehnt wird.“

In unserem Zusammenhang hat die schon erwähnte Strafversetzung von Großcurth oder, wie immer man seine Abschiebung aus der Zentrale des Generalstabs nennen mag, besonderes Gewicht. Man geht kaum fehl, wenn man ausspricht, daß dem Generalobersten Halder Heißsporne wie Großcurth zu impulsiv waren oder geworden sind. Hier war einmal der latente Gegensatz zwischen der Bedachtsamkeit, mit der der verantwortliche Generalstabschef den schweren Entschluß erwog und erwägen mußte, und dem Temperament der Männer mit weitaus geringerer Verantwortlichkeit, die zum Entschluß drängten, akut. Halder wollte sich nicht überfahren und überspielen lassen. Er befürchtete wohl auch — im Interesse der Sache —, daß durch die zuweilen sehr offenen, also unvorsichtigen und gefährlichen Äußerungen Großcurths (und Osters) das ganze Unternehmen Großcurths mehr gefährdet als gefördert würde und daß vorzeitig alle Beteiligten kompromittiert werden könnten. Kam hinzu, daß Großcurth bei seinen „Frontreisen" nicht nur Gesinnungsgenossen ansprach und daß von dort her bereits manche besorgte und besorgniserregende Warnung eingegangen sein mochte. Daß Großcurth zugleich als Vertrauensmann Becks gelten konnte, hat vielleicht aus den oben dargelegten Gründen weitere Spannungen und —Hemmungen erzeugt. Andererseits bleibt die Frage: wie sollte es zur Aktion kommen, wenn Männer, die ihr mit ganzer Seele ergeben waren, ausgeschaltet wurden? Man kann die Frage auch anders stellen: Ist die Aktion gerade deshalb nicht zustande gekommen, weil solche Motoren wie Großcurth abgestellt wurden? Wegen der Abberufung von Großcurth kam es übrigens, wie aus dem schon oben erwähnten Tagebucheintrag Großcurths hervorgeht, im Februar 1940 zu einer offenbar etwas harten Aussprache zwischen Halder und Canaris, wobei letzterer Großcurth (und andere, wie den Abteilungschef I der „Abwehr", Oberst i. G. Piekenbrock) sehr energisch gedeckt hat.

Wir kehren noch einmal zu der vor dem Arbeitskreis abgegebenen Erklärung des Generals Lahousen zurück. Aus ihr ergibt sich weiter, daß neben Keitel und Brauchitsch auch Halder laufend durch Canaris „in sehr bestimmter und eindeutiger Absicht" über die völkerrechtswidrigen Handlungen Hitlers in Polen unterrichtet wurde. Canaris hat sogar — schon am 12. September 1939 (!) — im sogenannten Führerzug Keitel auseinandergesetzt daß für die Verbrechen in Polen „die Welt letzten Endes auch die Wehrmacht verantwortlich machen würde, unter deren Augen solche Dinge geschehen sind.“ Das erinnert an Worte, die Beck am 16. Juli 1938 zu Brauchitsch gesagt hat „Die Geschichte würd sie (die höchsten Führer in der Wehrmacht) mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten“.

Rede Hitlers und Reaktion der Generale

Auf Halder sind also nicht nur Entmutigungen, sondern auch Ermunterungen zugekommen. Die stärkste kam, wenn wir richtig sehen, von keinem anderen als Hitler. Wir meinen hier nicht nur sein Drängen zum Angriff im Westen, obgleich mit diesem Drängen die latente Gefahr doch schon recht akut geworden war. Wir meinen jetzt jene Rede, die Hitler am 23. November 19 39 in der Reichskanzlei vor hohen Befehlshabern und Generalstabsoffizieren gehalten hat Fassen wir zunächst die Darstellung bei Zeller zusammen: „Am 23. November 1939 sprach Hitler vor den Oberbefehlshabern vom bevorstehenden Eroberungskrieg und wetterte gegen die rückgewandten Generale, die überfällige Oberschicht", die schon 1914 versagt habe, und gegen den „Geist von Zossen“, ohne jedoch Namen zu nennen. , Ich werde vor nichts zurückschrecken und jeden vernichten, der gegen mich ist

Generalmajor a. D. Hermann v. Witzleben, selbst Teilnehmer an der Generalsversammlung bei Hitler, gab hierzu dem Arbeitskreis nachstehende Ausführungen zu Protokoll: „Auf mich machte die Ansprache vom 23. November den Eindruck, daß hier ein Mann sprach, der hinter starken und brutalen Worten seine eigene Ausweglosigkeit verbarg. Es war nicht die Rede eines nervenstarken Mannes, sondern die eines in die Irre gegangenen Parteiführers, der schon damals die Nerven verloren hatte. Es war indessen nicht so, daß die Zuhörer kleinlaut geworden waren, denn es war kurz nach der Rede zu beobachten, daß die Aufspaltung des Offizierskorps in zwei Lager sich deutlich erwies. Es herrschte ebenso viel Empörung, wie nahezu begeisterte Zustimmung;

selbst ein so überzeugter Anhänger des Regimes wie der damalige Kdr. General des VII. A. K. v. Schobert, hielt die Absicht Hitlers, im Westen anzugreifen, für verrückt. (Äußerung zu seinem damaligen Chef.) Der damalige Oberst i. G. Köhler (im Stabe Olbricht) sprach kurz nach dieser Rede vom Zweiten punischen Kriege, den wir ebenso verlieren würden, wie s. Zt die Karthager."

Bei Erich Kordt ist über diese denkwürdige Versammlung folgendes zu lesen: „Am 23. November 1939 hat Hitler vor den obersten Befehlshabern der Armee jene an Brutalität, Zynismus und Hemmungslosigkeit wohl unübertroffene Rede gehalten, deren Text heute im Wortlaut vorliegt, von der ich damals nur einzelne Bruchstücke erfuhr. Wer diese Rede gehört hat. kann sich kaum darauf berufen, daß ihn das, was nachher geschah, überraschte. Welchen Eindruck mußte das Bekenntnis zur reinen Gewalt, die offen erklärt, daß er, Hitler, nie etwas anderes als einen rücksichtslosen Eroberungskrieg vom ersten Tage seiner Usurpation im Sinne hatte, bei den Versammelten hinterlassen haben! Aber die Reaktion, die man hätte erwarten dürfen, ist ausgeblieben! Hitlers Spott über die ängstlichen Propheten, die bei allen kühnen Entschlüssen, die er gefaßt, nur Unheil vorausgesehen und sich immer getäuscht hatten, mag die Zuhörer schon kleinlaut gemacht haben. Dann aber kamen offene Angriffe auf die Armeeleitung. Aufs tiefste sei er gekränkt, hatte Hitler gesagt, mit deutlicher Anspielung auf den Vortrag von Brauchitsch vom 5. November, über das LIrteil, daß die deutsche Armee wertmäßig nicht genüge, daß die Infanterie in Polen nicht das geleistet habe, was man erwarten mußte. Die kleine Marine, die Luftwaffe ernteten besonderes Lob, ebenso der deutsche Soldat des Landheeres." „Wenn aber, wie 1914, Oberbefehlshaber schon Nervenzusammenbrüche haben, was soll man dann vom einfachen Musketier verlangen? Ich werde vor nichts zurückschrecken und jeden vernichten, der gegen midi ist . . . Ich will den Feind vernichten ... Ich werde in diesem Kampfe stehen oder fallen. Ich werde die Niederlage meines Volkes nicht überleben. Nach außen keine Kapitulation, nach innen keine Revolution“, hatte Hitler am Schluß ausgerufen.“

Er kannte die Schwächen derer, mit denen er es zu tun hatte. Oberst Oster, der nächste Mitarbeiter des Admirals Canaris, faßte laut Kordt sein Urteil über die Reaktion der anwesenden Generale auf die Rede Hitlers in die Worte: „Der Vorwurf der Feigheit hat die Mutigen wieder feige gemacht."

Guderian, der spätere Generalstabschef, der nicht der militärischen Militäropposition zuzuzählen ist, gelangte offenbar zu einem ähnlichen Urteil. In den „Erinnerungen eines Soldaten" legt er dar, er sei aus der Reichskanzlei mit dem doch wohl nur selbstverständlichen Bewußtsein geschieden, daß sich die Generalität diese Äußerungen nicht gefallen lassen dürfe. Er sprach darüber zunächst mit dem späteren Feldmarschall v. Manstein, damals Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Rundstedt in Koblenz. Manstein berichtete ihm, daß er schon mit seinem Ober-befehlshaber gesprochen habe, daß dieser aber keine Neigung bekunde, etwas zu unternehmen. Guderian ging dann selbst zu Rundstedt, der aber auch ihm gegenüber zu keiner aktiven Reaktion bereit war. Dann sprach Guderian den späteren Feldmarschall v. Reichenau, der ebenfalls empört war, aber ebenfalls nichts unternehmen wollte, mit der Begründung, daß er, Reichenau, ohnehin bei Hitler nicht mehr persona grata sei. Er hat Guderian den einfachen Rat gegeben, doch selber zu Hitler zu gehen. Und Guderian ging zu Hitler. Er hat ihm — nach seiner Darstellung — vorgehalten, daß die Generalität mit Erstaunen und Unwillen vom Mißtrauen Hitlers — nach dem siegreichen Polenfeldzug — Kenntnis genommen habe. „Sie sollen später nicht sagen können, ich habe die Generale des Heeres meines Mißtrauens versichert, und sie haben sich das gefallen lassen. Keiner hat dagegen protestiert.“ Hitler habe dann Guderian offen zugegeben, daß sich sein Mißtrauen gegen Brauchitsch richte, und er habe von Guderian Vorschläge für die Nachfolge verlangt. Aber alle Namen, die Guderian nannte waren Hitler nicht genehm, oder, wohl richtiger gesagt, nicht bequem. „Hitler bedankte sich für meine Offenheit — und die Aussprache war ergebnislos beendet.“

Lind nun Halder zum Thema. Vor der Spruchkammer sagte er über die Hitlerrede: „Diese Besprechung bestand darin, daß uns Hitler in eineinhalbstündigen Ausführungen Dinge sagte, die wir nicht zu hören erwartet hatten. Er fing damit an, darzulegen, daß die Führerschicht des Heeres das Überbleibsel einer fauligen Oberschicht sei, daß wir immer noch in den alten überlieferten Begriffen von Ritterlichkeit lebten und daß wir einfach nicht den Mut zu einer angriffsweisen Austragung des Konfliktes im Westen aufbrächten. Hitler versuchte in langatmigen Ausführungen uns zu überzeugen, daß die jetzige politische Situation sehr günstig sei und daß Holland und Belgien tatsächlich Feindesland wären. Er hob hervor, welche Fortschritte die Rüstung gemacht habe, um uns zu zeigen, daß wir keine Angst zu haben bräuchten, und er schloß seine Ausführungen damit, daß er den Krieg im Westen angriffsweise durchführen werde. Wer ihm widerspreche, werde von ihm vernichtet werden. Als das Wort Revolution in die Diskussion geworfen wurde, sagte er, daß hinter ihm das deutsche Volk stehe. Die anderen Kreise gegen ihn und die Partei, die eventuell Revolution treiben würden, würden sich täuschen, wenn sie glaubten, daß er sich dies gefallen lassen würde.“

Aus dem vorstehend auszugsweise wiedergegebenen Protokoll der Aussage Halders könnte der Schluß gezogen werden, daß es am 23. November 1939 in der Reichskanzlei zu einer „Diskussion“ der Generale mit Hitler gekommen und daß dabei sogar das (drohende?) Stichwort „Revolution" gefallen sei. Eine „Diskussion“ ist von keiner anderen Seite bestätigt. Es widerspricht völlig den Geflogenheiten bei solchen „Generals-Appellen“, lind wenn es sich so verhalten hätte, dann wäre es doch wohl einigermaßen dramatisch hergegangen und Halder sowie andere Beteiligte, wie Guderian, hätten sich darüber bestimmt nicht aus-geschwiegen. So bleibt nur die Annahme, daß in diesem Punkt Halders Aussage nicht wörtlich zu nehmen oder im Protokoll nicht wörtlich wiedergegeben ist.

Den weiteren Ausführungen Halders an gleicher Stelle ist zu entnehmen, daß Hitler schon kurz nach dieser Philippika Brauchitsch zu sich rufen ließ. Dabei habe er wiederholt, daß er den „Geist von Zossen“ ausrotten werde, habe aber den angebotenen Rücktritt Brauchitschs abgelehnt. Brauchitsch sei dann viele Wochen nicht mehr von Hitler empfangen worden. Daß Brauchitsch die fast pöbelhaften Beleidigungen Hitlers hingenommen hat, dürfte für jeden Soldaten unverständlich bleiben. Selbst dann, wenn man unterstellt, daß Brauchitsch sich aus sehr persönlichen Gründen nicht mehr frei gegenüber Hitler fühlte, daß er im Grunde in der Hand Hitlers war ist es unbegreiflich, daß ein in alter soldatischer Tradition, in hochgespannten Ehrbegriffen, in dem vielberufenen Soldatenethos ausgewachsener hoher Offiziere darauf, man kann es nicht anders sagen, so kläglich reagiert hat. Halder sagt nur, daß Brauchitsch „tief beeindruckt“ war. In diesem Fall erscheint uns auch bei Halder, der durch die Beleidigung Brauchitschs zweifellos mitgetroffen war, die Reaktion auffällig schwach.

Halder und Brauchitsch Die Rede Hitlers hat, daran ist nicht zu rütteln, die Entschlossenheit der im aktiven Führungsdienst stehenden Männer der Militäropposition nicht verstärkt oder neubelebt. Auch Erich Kosthorst verzeichnet daß nun „auf dem Weg zum Staatsstreich der Kulminationspunkt überschritten war“. Halder hat indes unter dem Eindruck eines nochmaligen eindringlichen Appells, den General Thomas am 27. November an ihn richtete, die tiefe Depression Brauchitschs dazu benützt, um seinem Oberbefehlshaber einmal mehr klar zu machen, daß ohne aktives Handeln eine Wendung nicht herbeizuführen sein werde. Brauchitsch hatte immerhin — nach Gisevius — noch am 6. November, also unmittelbar nach der Schockwirkung des 5. November, zu Halder gesagt: „Ich tue nichts, aber ich werde mich auch nicht dagegen wehren, wenn ein anderer es tut". Aber jetzt war Brauchitsch offenbar erst recht nicht mehr zu aktivieren. Er berief sich darauf, daß der Arbeiter, daß weite Kreise des Volkes nicht mitgehen würden, daß man nicht „eine Gewaltherrschaft der Bajonette“ errichten dürfe usw. Merkwürdigerweise gibt Halder nachträglich Brauchitsch recht. Aber er geht hier heute ebenso wie Brauchitsch damals an der entscheidenden Frage vorbei. Es wäre ja alles kaum ein Problem gewesen, wenn das Volk laut und deutlich nach dem Retter gerufen hätte. Das deutsche Volk konnte nicht rufen, es konnte nicht einmal laut denken. Daß in diesem Volk Oppositionskräfte steckten, das hatte ja gerade das schon geschilderte Echo auf den Kriegsausbruch dargetan. Es ging also um den Entschluß, das Volk vor den schwersten Gefahren und Verlusten zu bewahren und diese Rettung so durchzuführen, daß sie materiell und psychologisch einschlug.

Es wäre wohl zu viel gesagt, daß Brauchitsch nach dem 23. November in eine Art fatalistischer Lethargie verfallen wäre. Nach Halder hat er sich auch in den folgenden Jahren „ehrlich mit dem OKW und Hitler herumgeschlagen“ — aber immer auf der Ebene, die ihm gegeben schien, also in rein ressortmäßigem Widerstand, den Hitler entweder sofort oder doch nach kurzer Zeit einfach überfuhr. Halder hat, wie wir hörten, es abgelehnt, im Ernstfall über Brauchitsch einfach zur Tagesordnung überzugehen, d. h. ihn festzunehmen. Vielleicht hoffte Halder, ihn in letzter Stunde doch noch mitreißen zu können.

Halder und Fromm Zur Klärung der persönlichen und initiativen Mitarbeit Halders an der militärischen Vorbereitung zum Staatsstreich kann der Arbeitskreis eine besonders bemerkenswerte tatsächliche Feststellung treffen. Es handelt sich hier um den Versuch des Generalobersten, den General Fromm, der als Befehlshaber des Ersatzheeres eine Schlüsselstellung innehatte, für die Militäropposition zu gewinnen. Der Zeitpunkt ist leider auch in diesem Falle nicht mehr zu fixieren. Aber im Rahmen der bereits geschilderten Entwicklung kann nur angenommen werden, daß dieser Versuch keinesfalls nach dem 23. November, nach der Überschreitung des „Kulminationspunktes“, anzusetzen ist, daß er vielmehr Ende Oktober /Anfang November — sinngemäß in zeitlicher Koordinierung mit der Frontreise Stülpnagels — erfolgt sein muß Generalmajor a. D. Kurt Haseloff, damals Chef des Stabes bei Fromm, sagte als Zeuge hierüber vor dem Arbeitskreis aus:

„In jener Zeit — Winter 1939/40 — befanden sich der Oberbefehlshaber des Heeres und die Dienststellen des Generalstabes des Heeres im Lager Zossen. Vorträge des Befehlshabers des Ersatzheeres, General Fromm, beim Oberbefehlshaber des Heeres nahm dieser damals im allgemeinen alle 10 bis 14 Tage in Zossen entgegen. Fast stets begleitete ich als Chef des Stabes Fromm hierbei und nahm auch an den Vorträgen selbst und den bei dieser Gelegenheit stattfindenden Besuchen und Besprechungen teil. Fromm hatte es sich hierbei zur Gewohnheit gemacht, auch stets bei Halder vorzusprechen, dem er formell zwar gleichgeordnet war, den er aber durchaus als primum inter pares anerkannte. Fromm pflegte dann Halder kurz über das zu unterrichten, was letzteren aus dem Gebiet des Ersatzheeres interessierte, und nach Halders etwaigen Wünschen zu fragen. Diese Besuche vollzogen sich immer in sehr höflicher und konzilianter Form, obwohl beide Persönlichkeiten ja gewisse Gegensätze waren.

Bei einer solchen Gelegenheit — das genaue Datum ist mir nicht mehr erinnerlich — bei der nur Halder, Fromm und ich zugegen waren, brachte Halder ohne besonderen ersichtlichen Anlaß das Gespräch auf die Hitlersche Kriegspolitik, die er als verwerflich und für das Reich verhängnisvoll ansehe, und legte dar, daß ein Angriff im Westen unbedingt verhindert werden müsse. Er dächte sich das so, daß mit Hilfe einiger zuverlässiger Divisionen, die er entsprechend heranziehen und bereitstellen könne, Hitler und die Reichsregierung unmittelbar vor Angriffsbeginn festzusetzen und auszuschalten seien, um dann zu einer friedlichen Regelung zu gelangen.

Fromm nahm zu dieser Erklärung nicht sofort Stellung und verabschiedete sich von Halder. Auf dem Wege zum Wagen fragte Fromm mich, ob ich etwas gemerkt habe und wofür ich die Darlegungen Halders halte. Ich antwortete etwa wörtlich: „Der General Halder hat sich augenscheinlich zum Entschluß zum Staatsstreich durchgerungen. Das ist glatter Hochverrat“. Fromm nickte zustimmend und gab mir nach der Rückkehr nach Berlin den Befehl: „Machen Sie das, was wir beim Chef des Generalstabes gehört haben, in Ihrem Diensttagebuch aktenkundig.“

Am nächsten Tage fragte mich Fromm, ob das geschehen sei. Ich bejahte und fragte meinerseits, was nun werden solle. Fromm gebot mir, über die ganze Angelegenheit völliges Stillschweigen zu bewahren, er selbst werde sie dem Oberbefehlshaber des Heeres melden, der als sein und Halders gemeinsamer Vorgesetzter zu entscheiden habe. Etwa vier bis fünf Tage später war Brauchitsch in Berlin und nahm in seinen Amtsräumen in der Bendlerstraße einen Vortrag Fromms entgegen, zu dem Fromm, seiner sonstigen Gewohnheit zuwider, ohne meine Begleitung ging. Als er von diesem Vortrag zurückkehrte, sagte Fromm zu mir: „Die Angelegenheit Halder habe ich dem Oberbefehlshaber des Heeres gemeldet, sie ist für mich damit erledigt.“

Soweit die Aussage des Generals Haseloff. Halder erklärt dazu bestätigend Fromm habe ihn wissen lassen, daß er nicht bereit sei, mitzumachen. Gleichzeitig stellte Halder fest, daß Brauchitsch mit keinem Wort ihm, Halder gegenüber je die Meldung Fromms erwähnt habe

Für Halder war damit der Versuch, sich des Befehlshabers des Ersatzheeres zu versichern, gescheitert. Nimmt man hinzu, daß die Mission Stülpnagel bei den Befehlshabern an der Westfront in den Augen Halders ebenfalls gescheitert war, dann bleibt die Frage: Woher sollte Halder die Truppen nehmen, die zu einem Staatsstreich nötig waren? Man setzt bei der Würdigung der Militäropposition immer voraus, daß die im aktiven Truppenführungsdienst stehenden Männer, an ihrer Spitze Halder, kraft Amtes auch die zum aktiven Handeln Befähigten und daher Brufenen gewesen sind. Aber war diese „Aktivlegitimation“ nicht eine Irrealität?

Erstes Fazit Die Frage, ob es möglich war, für den Staatsstreich ein erforderliches Mindestkontingent zuverlässiger Truppen unter zuverlässig entschlossener Führung bereitzustellen, diese Frage ist nach dem bisherigen Fazit noch nicht zu verneinen, sie ist aber auch nicht ohne weiteres zu bejahen.

Denn das bisherige Fazit besagt nur: Halder hat im Winter 1939/40 der von Hitler befohlenen Westoffensive auf rein militärischer Ebene d. h. mit rein fachlichen Gegenargumenten einen beharrlichen, zunächst auch nicht erfolglosen Widerstand entgegengesetzt, ohne die technische Vorbereitung dieser Offensive zu Ungunsten der Truppe zu vernachlässigen. 'Halder und seine Gesinnungsgenossen und vertrautesten Mitarbeiter im OKH haben in der Zeit von Mitte Oktober bis zum 5. November militärische Vorbereitungen für den Sturz des Tyrannen getroffen. Diese Vorbereitungen zur „Aktion“ sind unter dem Druck der massiven Drohungen Hitlers vom 5. November und 23. November, vor allem unter dem Druck der am 5. November ausgebrochenen Verratssorge abgestoppt worden. Dabei hatte Halder sogar einige — zwei bis drei — Panzerdivisionen ostwärts der Elbe zu dem Zweck zurückbehalten, sie für den Staatsstreich einzusetzen. Man muß aber den 5. November 1939 als den Zeitpunkt der Wende bezeichnen. Die grundsätzlich oppositionelle Einstellung Halders blieb unverändert. Aber von diesem Tage an war Halders Haltung durch wachsende Zweifel an der Tat-und Schlagkraft der militärischen Widerstandsgruppe und durch Niedergeschlagenheit, vielleicht sogar durch (unbewußte) Resignation bestimmt.

Der Zeitgewinn, der durch die erreichte Verschiebung der Westoffensive tatsächlich erreicht wurde, ließ die entscheidende und unerläßliche Aktion gegen Hitler und sein Regime nicht mehr als unmittelbar aktuell erscheinen; es war — scheinbar — noch immer Zeit genug für die letzten und äußersten Entschlüsse gegeben. Es war in der Tat noch ein halbes Jahr Frist gegeben. Aber am 10. Mai 1940 war die Frist abgelaufen, ohne daß die „Aktion“ durchgeführt worden wäre. So blieb und bleibt die geschichtliche Tatsache: Die effektive Ausweitung des Krieges zum Welt-krieg ist nicht verhindert worden. Das Versagen liegt vor allem bei denen, die wohl die Entartung des Staates und das nationale Verhängnis der Kriegspolitik Hitlers einigermaßen erkannten und erkennen mußten, aber sich zu keiner aktiven Opposition aufraffen konnten. Es liegt ganz besonders bei denen, die — nach der schon zitierten Äußerung von Oberst Oster — der Vorwurf der Feigheit erst recht „feig“ gemacht hat. Aber selbst wer die Versuche Halders in ihrer praktischen Bedeutung und als Zeichen eines aktiven Willens nicht überschätzen will, darf nicht außer acht lassen, daß das Ringen um die Seelen und die Entschlußkraft von Gleichgesinnten oder solchen, die es werden sollten, ebensoviel Nervenkraft wie diplomatisches Geschick erforderte. Hier war nicht zu befehlen, sondern zu überzeugen. Wenn man nicht bestreiten kann, daß Halder in diesem Sinne gerungen hat, wenn man feststellen muß, daß ihm dabei kein Erfolg beschieden war, dann wird man vielleicht sein nachträgliches Urteil, wo nicht teilen, so doch verstehen, daß die Menschen, und die Dinge damals noch nicht reif waren für die rettende Tat.

Schon das Gesagte bringt zum Bewußtsein, daß ein Erfolg der Opposition nur möglich war, wenn hinter ihr ein unbeugsamer Wille stand, die außerordentlichen Hemmnisse zu überwinden. Zur Klärung dieser Frage ist ein weiteres, wichtiges Kapitel in der Tragödie des Winters 1939/40 bedeutungsvoll. Es ist die Reaktion der dienstlich aktiven Gruppe (Halder) auf die Unternehmungen des anderen Sektors der Militäropposition. Wir kommen damit zu einem ausschlaggebenden Kriterium. Aber vorher müssen wir erst einmal von dieser „anderen Militäropposition“ sprechen.

III. Die Gruppe Beck

Generaloberst Beck Die Zentralfigur der „anderen“ Militäropposition war der Generaloberst a. D. Ludwig Beck. Er war schon durch seinen demonstrativen Rücktritt vom Amt des Generalstabschefs im Sommer 193 8 profiliert und als echter Widerstandschef prädestiniert. Er steht vor der Geschichte als der Mann, der am 20. Juli 1944 bereit war, an die Spitze des Reiches zu treten und die Liquidation Hitler-Deutschlands nach außen und nach innen durchzuführen. Er steht vor der Geschichte als der Mann, der unter dem Zwang der Umstände am Abend des 20. Juli 1944 seinem Leben ein Ende setzte, als das Scheitern des Attentats auf Hitler und des Umsturzversuchs offenkundig geworden war. So wenig Beck aus den Geschehnissen des 20. Juli eliminiert werden kann, so wenig kann er aus der Komplexität des militärischen Widerstands „ausgeklammert“ werden. Solche Versuche mögen dem gutgemeinten Bestreben entspringen, diesen verehrungswürdigen Mann und Soldaten aus der Parteien Streit um Einzelfragen des Widerstandes herauszuhalten, gewissermaßen sein Andenken für alle Seiten zu retten. Der berichtende Arbeitskreis hält derartige Rücksichten oder Absichten für nicht vereinbar mit der Aufgabe, die Tatsachen und Zusammenhänge in strenger Objektivität festzustellen und vor der Öffentlichkeit zu beurteilen. Er ist ferner der Ansicht, daß Versuche, Becks Widerstandsrolle im Halbdunkel zu lassen, schon der Persönlichkeit Becks nicht gerecht werden würden. Von ihm stammt die Devise, daß außerordentliche Umstände auch außerordentliche Maßnahmen verlangen

Beck hatte den Mut zur eigenen Konsequenz. Wenn man davon etwas abstreicht, wird sein Charakterbild nur verzerrt. Das hat er nicht verdient.

Die Kernfrage der verantwortlichen Führung Umso intensiver hatte sich der Arbeitskreis mit der anderen Frage zu befassen: inwieweit Beck für die in seinem Namen unternommenen und geforderten Maßnahmen die volle Verantwortung oder mindestens ein hoher Grad von Mitverantwortung trifft. Es wurden zunächst die Unternehmungen der Militäropposition im Winter 1939/40 untersucht. Die gestellte Frage beantwortet sich nun weitgehend danach, ob Beck von seiner Oppositionsgruppe als der führende Mann mit voller Autorität angesehen und anerkannt worden ist. Den klarsten Beweis für die Verantwortlichkeit Becks würden Aufzeichnungen von seiner eigenen Hand und Aussagen überlebender Zeugen liefern. Diese einfache Art der Beweisführung stand dem Arbeitskreis nicht zu Gebote. Beck hat keine Aufzeichnungen über seine Haltung im fraglichen Zeitabschnitt hinterlassen. Jedenfalls sind solche Aufzeichnungen bis jetzt nicht entdeckt worden. Die wenigen Vertrauten, mit denen er die Aktion beraten und vorbereitet hat, leben nicht mehr. Es gehörte doch wohl zu den elementarsten Vorsichtsmaßnahmen einer solchen Widerstandsgruppe, keine Aufzeichnungen zu führen, durch die bei einer jederzeit möglichen Haus-durchsuchung sofort alles zerschlagen und auch noch der ganze Mitarbeiterkreis kompromittiert werden konnte. Diese Vorsicht ist zwar nicht von allen Beteiligten restlos eingehalten worden. Beck, der auch in solchen Dingen streng dachte, hat sich daran gehalten. Lind was den Kreis der Vertrauten betrifft, so hat zwar Beck aus seiner gesamten Einstellung gegenüber dem Regime und gegenüber der Kriegspolitik kein Hehl gemacht. Aber über Aktionen, die zu unternehmen waren, hat er nur mit denen gesprochen, die dabei eine Funktion auszuüben hatten, und andere hat er nicht mit einer Mitwisserschaft belastet. Das darf ohne weiteres unterstellt werden; das Gegenteil müßte erst erwiesen werden. Wenn nun die gewiß wünschenswerten unmittelbaren Beweise und Belege für die verantwortliche Führerschaft Becks nicht vorliegen, so beweist ihr Fehlen auch wieder nichts gegen eine solche verantwortliche Führerschaft. Wenn man mit der Klärung weiterkommen will, bleibt nur übrig, indirekte Beweise, insbesondere Zeugnisse überlebender Mitwisser zu sammeln und zu versuchen, aus ihnen ein folgerichtiges Urteil zu gewinnen.

Der Arbeitskreis stimmt dem Biographen Becks, Professor Wolfgang Foerster darin zu, „daß vieles von dem, was bisher über Becks Tätigkeit in der Widerstandsbewegung bekannt oder der Forschung zugänglich geworden ist, doch nur sehr bedingten Anspruch auf Wertung als einwandfreies Quellenmaterial hat. Es ist spärlich, ungenau, vielfach widerspruchsvoll.“ Der Folgerung Foersters, daß es „jedenfalls nicht ausreichend für eine zuverlässige Schilderung“ sei und daß deshalb von einem Versuch der Auswertung abgesehen werden sollte, glaubte allerdings der Arbeitskreis nicht zustimmen zu sollen. Das verfügbare Material ist reichhaltiger als für manche Abschnitte der alten, der älteren und sogar der neueren Geschichte. Ein ernster Versuch, es für die Geschichtsschreibung nutzbar zu machen, durfte und mußte gewagt werden. Der Arbeitskreis konnte dieses Material in beachtlichem Umfang durchleuchten und ergänzen. Er ist bei der Sammlung und Bewertung älterer und neuer Zeugenaussagen mit jener gewissenhaften Kritik vorgegangen, die sowohl die Sache wie die Persönlichkeit erforderten. Er darf von sich sagen, daß er, je mehr sich die Erkenntnis von der absolut maßgebenden und ausschlaggebenden Position Becks gefestigt hat, umso kritischer das vorhandene Material immer wieder überprüft hat. Auch davon möge die nachfolgende Darstellung den Leser überzeugen.

Abwehr — Canaris Es versteht sich von selbst, daß Beck im Geheimen keine Organisationszentrale schaffen, ja nicht einmal ein richtiges „Büro“ des Widerstandes einrichten konnte. Es versteht sich von selbst, daß er nicht laufend einen größeren Kreis von Vertrauten „zum Vortrag empfangen“ konnte. Dazu war er auch in seiner Privatwohnung in Lichterfelde viel zu bekannt und wurde viel zu aufmerksam beobachtet. Andererseits bedurfte ein Mann, der eine Widerstandsaktion verantwortlich steuern wollte, einer gewissen Organisation, um überall dort, wo zu handeln oder zu unterlassen war, seinen Willen zur Geltung zu bringen und um auch die unerläßlichen Unterlagen für seine Entschlüsse hereinzubekommen. Diese Organisation bot sich Beck in der Zentrale des Amtes Ausland-Abwehr unter Admiral Canaris an, dessen Einstellung bereits durch den wiedergegebenen Bericht seines Abteilungsleiters, des Generals Lahousen, gekennzeichnet worden ist. Man darf dabei gewiß nicht an den Gesamt-apparat der „Abwehr“ mit seinen zahlreichen Dienststellen und Außenstellen denken, der von Kriegsbeginn an sich ins fast Riesenhafte vergrößerte. In diesem Apparat war es nicht anders wie sonst in der Wehrmacht. Es gab da Gegner des Regimes, sowohl stille und vorsichtige, wie tatbereite; letztere wurden von Canaris besonders ins Vertrauen gezogen, ohne daß sie mehr, als ihnen der Chef sagen wollte, herausbekommen und ihn jemals völlig durchschaut hätten. Es gab andererseits auch in diesem Apparat sehr entschiedene Anhänger des Regimes. Das wußte niemand so gut wie Canaris. Als organisatorisch-büromäßige Zentrale der Militär-opposition kam daher nur eine kleine Gruppe in Betracht. Das war die Zentralabteilung unter Leitung des Obersten und späteren Generalmajors Hans Oster. Die Zentralabteilung hatte an sich auch nur organisatorischverwaltungsmäßige Funktionen. Sie hatte mit der Beschaffung, Bewertung und Weitergabe von geheimen Nachrichten nichts zu tun, sie hatte insbesondere auf diesem Gebiet keine Weisungen zu geben. Das war ausschließlich Sache der drei Abteilungsleiter I, II, III, der damaligen Obersten i. G. Piekenbrock, Lahousen, Bentivegni. Aber Oster hatte die Möglichkeit und war der Mann, aus dem kleinen Büro seiner Zentral-abteilung das zu machen, was er und was Beck für die Zwecke der Militär-opposition brauchten. Das wiederum war nur mit Genehmigung des Amtschefs möglich. Admiral Canaris hat durch diese stille wissende Duldung der Militäropposition einen außerordentlich wichtigen, in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden Dienst erwiesen. Aber — das muß vorweg gesagt werden — Canaris war nicht selbst der Spiritus rector dieses Widerstandsbüros. Er hat nicht einmal von allen Einzelheiten der Dinge, die da angekurbelt wurden, Kenntnis gehabt und haben wollen; er war wohl auch großzügig genug, seinem Mitarbeiter Oster einen weiten Spielraum zu lassen. Er gab den Schatten, in dem sich die Tätigkeit der Opposition abspielen mußte, ohne von den Argusaugen der Gegenseite — insbesondere Gestapo — erkannt und durchleuchtet zu werden. Er gab die Deckung mit den Mitteln, die ihm durch sein Amt zur Verfügung standen. Man muß bedenken: Bis ins Jahr 1943 waren Mitarbeiter und Vertrauensleute der „Abwehr“ für die Gestapo noch unantastbar. Also:

Die Tarnung und das Mitwissen, nicht das unmittelbare Mitwirken waren die Leistung von Canaris in der Militäropposition. Das und nichts anderes ist ihm schließlich zum Verhängnis geworden.

Hans Oster Oberst Oster war, im Schutze von Canaris, der wirkliche Leiter des Zentralbüros der Militäropposition. Er war, nicht lange vor Hitlers „Machtergreifung“, aus dem aktiven Dienst der Reichswehr ausgeschieden und zwar wegen einer rein persönlichen Angelegenheit. Aber schon wenige Jahre später kehrte er in den aktiven Dienst zurück, diesmal als sogenannter E-Offizier wie zahllose andere ehemalige Berufs-und Reserveoffiziere, denen die rapid fortschreitende Vergrößerung der Wehrmacht ein Unterkommen bot — nicht selten von Männern benützt, die auf diese Weise vor der allgemeinen radikalen Gleichschaltung in den verschiedensten Berufen gewissermaßen unter den Schutzmantel der Wehrmacht flüchteten. Oster hatte früher dem Generalstab angehört und zunächst wohl auch den Wunsch, wieder dorthin zurückzukehren. Generalleutnant a. D, Hossbach, damals Leiter der Zentralabteilung des Generalstabs, hat ein solches, ihm durch Canaris unterbreitetes Ersuchen „pflichtgemäß abgelehnt“, wie er in einem Brief schreibt. Zweifellos erfolgte die Ablehnung im Hinblick auf die vorausgegangene persönliche Affäre. Beck, der damals noch im Amte war, hat nach Hossbach diesem gegenüber niemals Bemerkungen über Gespräche mit Oster gemacht und namentlich niemals zu erkennen gegeben, daß er auch nur im geringsten an der Person und Laufbahn Osters interessiert sei. Nun würde es für unseren Zeitabschnitt — Winter 1939/40 — keine wesentliche Rolle spielen, ob Oster bereits im Jahre 193 8 in sehr engen Beziehungen zu Beck stand. Es läßt sich dem Zeugnis Hossbachs daher nur entnehmen, daß Beck die Rückkehr Osters in den Generalstab nicht gefördert hat. Es ist trotzdem durchaus möglich, daß Beck die bewußte Affäre Osters menschlich anders beurteilt hat, als er es dienstlich tun mußte.

Es kann auch für Beck verhältnismäßig belanglos gewesen sein, ob der Mann seines politischen Vertrauens nun formell dem Generalstab angehörte oder nicht. Für die Folgezeit erklärt General Hossbach in dem schon erwähnten Brief wörtlich: „Ob und wann ein unmittelbarer Kontakt zwischen Beck und Oster in späteren Jahren zustandegekommen ist und welcher Art er war, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch habe ich bei mehreren Gesprächen mit Beck im Herbst 1939 und im Herbst 1940 nicht den Eindruck gewonnen, daß in Becks sorgenvollen Überlegungen über die Entwicklung des Krieges die Aufnahme von Beziehungen zum Auslande eine Rolle gespielt hätte.“ Das letztere bezieht sich bereits auf die speziellen Unternehmungen der Gruppe Beck-Oster, von denen nachher zu berichten ist.

Der Bekundung Hossbachs steht indes folgende Äußerung des Generalobersten Halder gegenüber:

„Damit kommen wir zu Ihrer ersten Frage, wie die Verbindung zwischen Oster und Beck gewesen ist. Dazu kann ich sagen, daß ich in den elf Monaten, in denen ich vor Übernahme der Chefstelle als Oberquartiermeister unter Beck im OKH in Berlin Dienst getan habe, feststellen konnte, daß Oster, der gar nicht zum OKH, sondern zum OKW (Abwehr) gehörte, ein ständiger Gast im Amtszimmer Becks war. Die Unterredungen unter vier Augen dauerten oft stundenlang, so daß auf eine sehr enge Zusammenarbeit geschlossen werden darf. Oster, den ich wenige Jahre vorher als Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos VI in Münster/Westfalen längere Zeit unter mir gehabt hatte und der meine gegnerische Einstellung zu Hitler kannte, sprach sich mir gegenüber oft aus. Wiederholt hat er dabei die für seine Begriffe mangelhafte Entschlußkraft Becks beklagt, durch die er sich stark gehemmt fühlte. Ich habe mindestens damals den Eindruck gehabt, daß er nichts Entscheidendes ohne Becks Einverständnis zu unternehmen wagte. Den gleichen Eindruck hatte ich kurz nach meiner Amtsübernahme, als er mir Anfang September 1938 den Vorschlag machte, einen Vertrauensmann nach England zu schicken und dort vor weiterem Entgegenkommen gegen Hitlers gefährliche Angriffspolitik zu warnen Oster berief sich damals mit diesem Vorschlag ausdrücklich auf Beck.

Wie sich in der folgenden Zeit und besonders im Winter 1939/40 das Verhältnis Beck-Oster gestaltet hat, kann ich aus eigenen Beobachtungen nicht angeben, weil ich Beck nur selten selbst sah und mir Oster ausdrücklich vom Leibe hielt. Ich konnte nur feststellen, daß Oster in diesem Winter auffallend viele „Dienst" -reisen bei den Fronttruppen des Westens machte, die der Aussprache mit oppositionellen Offizierskreisen dienten und bei denen der Name Beck, wie mir von Frontstäben berichtet wurde, bei Oster immer wieder Erwähnung fand. Das ist an sich noch kein schlüssiger Beweis dafür, daß er im Auftrage Becks handelte (ich weiß aus eigener Erfahrung, wie oft der Name führender Persönlichkeiten mißbraucht wurde, um irgendeiner Sache Nachdruck zu verleihen); ich weiß aber durch den als Verbindungsmann zwischen Beck und mir fungierenden damaligen Oberst v. Zichlberg (auf Befehl Hitlers — nach dem 20. 7. 44 — erschossen), daß Beck über die „Dienst“ -reisen Osters und über die von ihm gewonnenen Eindrücke aufs genaueste unterrichtet war. Daß zwischen Beck und Oster im damaligen Winter nicht nur enge, sondern engste Verbindung bestand, steht für mich persönlich außer Zweifel. Von dem oft unverantwortlichen Benehmen Osters im Bereich der Front und seinen leichtfertigen Redensarten hatte aber Beck sicher keine Ahnung.“

Offensichtlich hat Halder über die Beziehungen Beck-Oster mehr gesehen und mehr gehört als Hossbach. Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß Halder sich — nach dem 5. November 1939 — „Oster ausdrücklich vom Leibe hielt“, wobei man offen lassen kann, ob Halder es tat, weil oder trotzdem Oster für Halder ersichtlich ein Vertrauensmann Becks gewesen ist. Zugleich enthält Halders Äußerung die für Oster durchaus charakteristische Wahrnehmung, daß er sein Herz, wenn schon nicht auf der Zunge trug, so doch auch nicht zu einer Mördergrube machte. Es wäre durchaus verständlich, wenn der amtierende Generalstabschef sich nicht gern mit einem Mann einließ, bei dem er temperamentvolle, unter Umständen folgenschwere Entgleisungen befürchten zu müssen glaubte. (Siehe das oben über Oberst Großcurth Gesagte! Mit Großcurth stand Oster — nach dem Zeugnis von Etzdorf — in täglicher Verbindung!)

Hossbach kann in einem weiteren Punkte durchaus recht haben, wenn er nämlich den Ursprung der engen Beziehungen zwischen Oster einerseits, Beck und zum Teil auch Halder andererseits in der Unterrichtung des Generalstabs über die Einzelheiten des Fritsch-Prozesses (im Jahie 1938!) erblickt. Daß Canaris, der Vorgesetzte Osters, ein Interesse daran hatte, die Gemüter des Generalstabs nicht über den Fall Fritsch einschlafen zu lassen, paßt durchaus ins Bild. Und es würde sich ebenso gut einfügen, daß über diesen Ansatzpunkt Beck und Oster in das besondere Vertrauensverhältnis gekommen sind. Aussage Heinz Ein weiteres Zeugnis für dieses Vertrauensverhältnis bot die Aussage des Oberstleutnants a. D. Heinz der ab 1936 Mitarbeiter Osters im Amt Ausland-Abwehr — zunächst in der Gruppe IIIc — gewesen ist. Beide (Oster und Heinz) kamen, wie Heinz berichtet, rasch in ein menschliches und politisches Gespräch und darüber zu einer kameradschaftlichen Freundschaft. Wir zitieren zunächst wörtlich aus der Aussage Heinz:

„Unser Werdegang war ja so, daß wir beide, Oster und ich, einmal ausgeschieden waren, ich 1920 — ich war in der alten königlich-preußischen Armee Leutnant —, er 1932/33. Beide sind wir wieder eingestellt worden und beide stellten wir fest, daß wir eigentlich nur wieder Soldat geworden sind, um das einzige Instrument, das dem Nationalsozialismus Hitlerscher Art Einhalt tun konnte, die Armee, nutzbar zu machen. Aus diesem Meinungsaustausch über die Ablehnung des Nationalsozialismus, wie er etwa von 1934 (von der Rhöm-Meuterei und -Metzelei) an geworden war, stellten wir fest, daß im Nationalsozialismus oder besser in der Person Hitlers Tendenzen liegen, die nicht mehr aufzuhalten sind durch Einflußnahme, durch den Rat von Ratgebern, sondern daß hier eine verhänignisvolle Dynamik wirkt, die, wenn ihr nicht mit allen Mitteln Einhalt geboten wird., eines Tages zum Krieg und zum Verlust des Reiches führen muß. In dieser Hinsicht waren wir uns von Anfang an klar, daß das Heer als letzte Macht, in der noch echte gewachsene Werte vertreten waren, etwas tun mußte, um diesem Wirken Hitlers rechtzeitig Einhalt zu tun. Am Anfang hatten wir selbstverständlich keine Möglichkeit, praktisch irgendwelche Maßnahmen durchzuführen oder auch nur in größerem Kreise Mitverschworene zu finden. Nun kamen aber die verschiedenen Gewaltaktionen und es kam der Februar 1938.

Damals erfolgte der Sturz des Oberbefehlshabers des Heeres und hier hat der damalige Oberstleutnant oder Oberst Oster zum ersten Male mich persönlich etwas eingeschaltet. Im Anschluß an die Entlassung des Generalobersten v. Fritsch rief mich Oster an und bat mich, sofort mit dem Wagen zu ihm zu kommen, wo er mich über den Vorgang im rohen unterrichtete. Ich fuhr dann weiter in die Bendlerstraße und traf dort den Adjutanten des vor etwa drei Stunden zurückgekehrten Generalobersten Fritsch, den Hauptmann v. Booth, der einige Wochen später dann beim Rennen stürzte. Booth stellte mich dem Generalobersten vor und der Sinn dieses Unternehmens war: Oster befürchtete, daß der Generaloberst v. Fritsch sich unter Umständen etwas antut. Wir saßen bei ihm und ich fand einen wirklich in seiner Substanz gebrochenen Mann vor — einen Offizier, der das Ausmaß von Niedertracht, das über ihn hereingebrochen war, noch nicht begriffen hatte. Er selber sagte: „Ich denke bestimmt nicht so wie Adolf Hitler, aber irgendwie habe ich an ihn geglaubt und er war der Führer, dem ich gehorcht habe. Und die Fragen, die mir jetzt in seinem Namen gestellt worden sind, und besonders die Fragen, die. von irgendeinem Chef der Geheimen Staatspolizei gestellt worden sind, sind ebenso ungeheuerlich, daß ich mich noch nicht zurecht kriege damit.“ Wir blieben die Nacht dort in der Bendlerstraße und ich fuhr am nächsten Tage in meine Dienststelle und meldete Oster und sagte ihm auch: „Ja, eigentlich hätte es hier nur eines gegeben, aber ich konnte es nicht vorschlagen. Der Generaloberst hätte etwas tun müssen. Die Gelegenheit war zweifellos günstig. So durfte er sich eigentlich nicht behandeln lassen.“ Diese Nacht in der Bendlerstraße und das unmittelbare Bekanntwerden mit den ganzen Hintergründen der ja sehr planvollen Hitlerschen Aktion, die anständigen Führer des Heeres loszuwerden, führte Oster und mich noch erheblich enger zusammen. So kam dann der Sommer 19 38, der recht turbulent war und unter dem Eindruck und beinahe der Gewißheit stand, daß Hitler entschlossen war, im Herbst die Waffenentscheidung zu suchen. Ich habe damals den Generalobersten Beck noch nicht persönlich kennengelernt.

Ich wußte aber, daß Oster damals die Beziehungen zu Beck ausgenommen hatte." 62

Der kritische Leser wird bereits erkannt haben, warum wir die Aussage Heinz ausführlicher wiedergeben, als es im Hinblick auf den Zeitraum 1939/40 erforderlich wäre. Das Tun und Lassen der Militäropposition 1939/40 ist eben nur zu verstehen, wenn man darüber unterrichtet ist, wie und warum der einzelne zur Militäropposition gekommen ist.

Heinz berichtete dann über die Vorbereitung des Staatsstreichs im Herbst 1938, im besonderen über eine Unterredung in Osters Wohnung, an der zwar nicht Beck, wohl aber der damalige Befehlshaber des Wehr-kreises III, General von Witzleben, teilnahm. „Es ging ganz klar aus den Besprechungen zwischen General v. Witzleben und Oster hervor, daß eine Führung des Unternehmens vorhanden sei, daß an der Spitze dieser Führung in stillschweigender Übereinkunft und selbstverständlicher Anerkennung der zurückgetretene Chef des Generalstabes stehe“. Heinz bestätigte in diesem Zusammenhang, daß damals noch — 19 38 — Beck ein Attentat auf Hitler ablehnte. Für die Folgezeit teilte er mit, daß dem Kreis Oster-Beck sich auch Männer wie Gisevius und Graf Helldorf, der Berliner Polizeipräsident, anschlossen. Ganz präzis faßte er zusammen: „Für alle war es selbstverständlich, daß Generaloberst Beck das Oberhaupt war. Wie er entschied, so wurde gehandelt. Hätte er entschieden, im letzten Augenblick , es wird nicht geschossen', so wäre nicht geschossen worden. Wir waren noch gute Soldaten.“

Heinz verbreitete sich schließlich eingehend über die zahlreichen Besprechungen, die im Kreise Osters im Winter 1939/40 geführt wurden. Hier interessiert namentlich eine Bekundung, daß Oster etwa in der Zeit zwischen September und November 1939 mehrfach zusammen mit Major Großcurth (Vertreter des Amtes Ausland-Abwehr beim OKH) die Notwendigkeit einer Aktion erörtert hat. Auch er entnahm übrigens dem Bericht Osters, daß Halder zu diesem Zeitpunkt nicht nur nichts gegen eine „Beseitigung“ Hitlers eingewendet, sondern sogar die Männer der Abwehr dazu ermuntert habe; nach den von Heinz berichteten Eindrücken war in diese „Beseitigung“ notfalls auch das Attentat einbezogen. Die fast täglichen Besprechungen dieser Oppositionsgruppe fanden in den Wohnungen von Oster und von Heinz, zum Teil auch in der Berliner Wohnung des Reichsgerichtsrats v. Dohnanyi, der seit Kriegsbeginn zum Mitarbeiterstab Osters gehörte, und auch in der Wohnung des Grafen Yorck statt, der um diese Zeit der Militäropposition nähertrat. Bemerkenswert erscheint, daß der Berliner Polizeipräsident Graf Helldorf den Kreis um Oster laufend — durch Übermittlung von SD-Berichten — über die Polengreuel informiert hat. Der Ausgangspunkt aller Gespräche im Winter 1939/40 war die Frage: „Gibt es eine Grenze für die Aktion, um einen Mörder, einen Verbrecher zu beseitigen? Welches Mittel ist erlaubt und welches Mittel ist nicht erlaubt? Und immer enger kreist sich das Zentralproblem ein in die Erkenntnis: Wenn durch einen Überfall nach Westen, aus heiterem Himmel heraus, eine Situation geschaffen wird, die in England und in der Folge auch in Amerika die absolut unversöhnliche und dann auch zur Vernichtung Deutschlands entschlossene Richtung hervorbringt, wird der Krieg Jahre dauern und mit der Vernichtung Deutschlands enden. Folgerung aus dieser Erkenntnis: Es muß alles geschehen, um eine Ausweitung des Krieges durch einen Überfall auf neutrale Staaten zu verhindern. Diese Aktionen reißen eine so tiefe, nie wieder übersteigbare Kluft, daß nun ein Friedensgespräch nicht mehr möglich ist. Darüber waren Oster und ich uns auch einig, daß dann wahrscheinlich eine spätere Widerstandsaktion gegen Hitler zu spät kommen würde. Ob das, was wir hier planten und was Oster auch durchgeführt hat, Landesverrat war oder sein würde oder nicht, spielte überhaupt keine Rolle. Er sah nur einen toll gewordenen Verbrecher, der im Begriff war, alles, was uns jemals heilig war, als Offizier, als Mensch, als Christ, als Deutscher für immer zu vernichten. Am Ende stand das, was wir ja 1945 erlebt haben. Und das zeichnete sich so klar ab, daß die Führung des Staates in der Hand eines Narren und Verbrechers ist, daß alles geschändet wird und daß alles getan werden muß, um das zu verhindern. Es ist eine einmalige Lage, die es in der ganzen Geschichte noch nicht gegeben hat. Hier können wir kein Schema anlegen, das ist ohne Beispiel, ohne Vorgang. Hier muß aus dem Gewissen ganz allein entschieden werden. Es gibt hier nichts, weder das Militärstrafgesetzbuch noch das Bürgerliche Gesetzbuch, sondern hier ist das Gewissen ganz allein vor sich gestellt, wie alle paar hundert Jahre einmal in der Geschichte. Und so ist aus diesem Ringen in Erkenntnis der Gefahr und aus dem Bekenntnis zur Ehre des Offiziers und zu dem Gewissen des Christen-menschen der Entschluß Osters geboren worden, alles zu tun, um den Überfall nach Westen zu verhindern. Als erstes war es eine Gewissens-entscheidung. Daß nebenher sachliche Gesichtspunkte mitspielten, kommt in zweiter Linie.“

An dieser Stelle der Anhörung des Zeugen stellte der Vorsitzende die Zwischenfrage: „Sie sprechen von einem Entschluß Osters, dagegen haben Sie vorhin gesagt, daß die Zentralfigur Beck war.“ Heinz erwiderte, daß Oster der Mann war, der es ausführte, und daß Oster im Winter 19 39/40 bis zur Maioffensive unzählige Male bei Beck in Lichterfelde gewesen ist: „Ich habe ihn ja meistens hingefahren. Ich habe einen mit rotem Punkt versehenen IA-Wagen mit einer Privatnummer gehabt und ich habe manchmal stundenlang auf ihn gewartet dort oder er kam zu mir — ich wohnte in der Beselerstraße und Beck in der Goethestraße, es war mit dem Wagen nur drei Minuten zu fahren — und dann saß Oster bei mir und unterrichtete mich ungefähr, was besprochen worden war.“ Heinz betonte ausdrücklich, daß er selbst den Besprechungen mit Beck nicht beigewohnt hat, und daß er aus eigenem Anhören die Zustimmung Becks zu dieser oder jener Einzelmaßnahme nicht bezeugen kann. Andererseits erklärte er, daß nach der Aussage Osters, der sich, wie gesagt, jeweils ausführlich über die bei Beck gewonnenen Eindrücke mit Heinz unterhielt, „Beck alles gebilligt hat — ausgenommen das Attentat, gegen das er sich zum damaligen Zeitpunkt noch sträubte.“ Im einzelnen erwähnte Heinz: „Militärisch vertrat ja Generaloberst Beck den Standpunkt damals, eine Offensive gegen Frankreich werde sich nach etwa 400 000 Toten festlaufen. Er billigte dem französischen Heer viel stärkere Kräfte zu. Lind die Besprechungen Beck-Oster gingen davon aus, daß eine solche Offensive erstens die Verständigungsmöglichkeiten für immer zerschlagen würde und daß am Ende der Diktatfriede, die bedingungslose Kapitulation stehe und daß zweitens sich eine solche Offensive nach schwersten Verlusten festlaufen würde, ohne daß das mindeste dabei erreicht sei.“

Zur Begründung der engen Beziehungen Beck-Oster führte Heinz auch häufig Besprechungen in der Wohnung des Finanzministers Popitz an, an denen Heinz selbst teilnahm. Er sagte: „Popitz war im allgemeinen von uns gar nicht mehr zu unterrichten, sondern er war immer schon von Beck unterrichtet worden. Er wußte meistens mehr als wir wußten, konnte es nur von Beck haben und Beck konnte es nur von Oster haben.“

Soweit zunächst die Aussage des Oberstleutnants a. D. Heinz. Er selbst hat offen ausgesprochen, was er im strengsten Sinn des Wortes „beweisen“ und was er nur „bezeugen“ kann. Es bleibt festzuhalten, daß Heinz nicht unmittelbarer Augen-und Ohrenzeuge und persönlicher Partner der Gespräche Beck-Oster gewesen ist. Dennoch hat seine Aussage — sie ist, wir wiederholen es, in besonders klarer und bestimmter Form erfolgt — schon im Hinblick auf seine denkbar engen Beziehungen zu Oster Beweiskraft, sie kann keinesfalls unbeachtet bleiben. Aber sie war nicht die einzige Aussage, die das Gremium bei Prüfung der Frage heranziehen konnte: War Beck tatsächlich der (im wörtlichen Sinn) maßgebende und daher vor der Geschichte verantwortliche Leiter dieser Gruppe der Militäropposition?

Aussage Schacht Dazu äußerte sich vor Mitgliedern des Arbeitskreises auch der ehemalige Reichsminister und Reichsbankpräsident Dr. Schacht. Er berief sich auf wiederholte Gespräche, die er in der fraglichen Zeit mit Beck teils in Anwesenheit von Oster, teils ohne diesen gehabt hat. Schacht sagte dazu: „Es ist für mich ganz ausgeschlossen, daß Oster in irgendeiner Weise gegen oder ohne Beck gehandelt hat. Wenn Oster einen Auftrag an Dritte gegeben hat, die irgendwie politisch etwas erreichen sollten, dann hat er das zweifellos immer nur im Auftrag oder in Fühlung mit Beck getan. Ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Oster in dieser ganzen Frage eine eigene Politik neben Beck betrieben hat. Das ist für mich völlig ausgeschlossen.“ 64

Aussage Frau von Dohnanyi Wir erwähnten schon als weiteren Mitarbeiter Osters den Reichsgerichtsrat Hans v. Dohnanyi. Diesen hatte vor allem die Fritsch-Affäre zur Opposition geführt Er hatte im Frühjahr 1938, als er noch dem Reichsjustizministerium angehörte, von Minister Gürtner den Auftrag erhalten, die Prozeßakten durchzusehen. Bei dieser Gelegenheit kam er in Berührung mit Oster und mit Canaris, die, wie wir sahen, diesem Prozeß ihre besondere Aufmerksamkeit schenkten. Die beiden Männer erkannten in Dohnanyi nicht nur den politischen Gesinnungsgenossen, sondern auch den hervorragenden Juristen, der ihnen als solcher für eine vertrauliche Zusammenarbeit besonders wertvoll erschien. Dohnanyi wurde im Herbst 1938 als Reichsgerichtsrat nach Leipzig berufen. Er hielt aber auch in der Folgezeit regelmäßig Vorträge in Berlin, die ihm die Möglichkeit boten, seine laufenden Besprechungen mit Oster fortzuführen. Auch diese Feststellung entnehmen wir einer Aussage der Witwe des 1945 noch kurz vor Kriegsende hingerichteten Dohnanyi. Frau v. Dohnanyi versicherte, daß sie über diese Gespräche und ihren Inhalt nicht etwa nur in Andeutungen, sondern fortlaufend und sehr genau unterrichtet worden ist. Sie begründet das überzeugend damit, daß für ihren Mann, der „kein Abenteurer und kein Revolutionär“ war, dieser „Sprung ins Illegale“ ein schweres Problem bildete und daß er schon damals die Gewissensgründe für und wider eingehend mit seiner Frau zu erörtern pflegte. In der hier interessierenden Hauptfrage der Beziehungen zwischen Beck und Oster, lautete das Resum aller einzelnen Erklärungen der Zeugin v. Dohnanyi immer wieder: „Es wurde alles zu Beck getragen. Es mußte alles mit Beck besprochen werden ... Beck war der Souverän. Der wurde ausgesucht, der wurde gefragt, der hatte zu befehlen und er war der einzige, dem sich alle unterordneten.“

Resume: Beck als Zentralfigur Die Erforschung der Geschichte des militärischen Widerstandes wird an so bestimmten Aussagen nicht vorübergehen können. Der Zweifler kann trotzdem noch immer die Frage offen lassen, ob Beck nun tatsächlich für die einzelnen Aktionen, namentlich für die Aktionen Osters mitverantwortlich zu machen ist, deutlicher gesagt, ob a 11 e diese Aktionen tatsächlich die vorherige Zustimmung, mindestens aber die nachträgliche Billigung Becks gefunden haben. Nun darf sicher angenommen werden, daß Oster auch dann, wenn er sich Beck unterordnete, sich doch nicht bloß als Befehlseinholer und Befehlsübermittler angesehen hat, sondern daß er — temperamentvoll und impulsiv wie er war — auch einmal etwas auf seine eigene Kappe genommen hat, sofern es nur im Rahmen der allgemeinen Richtlinien lag. Dieser Vorbehalt kann nicht einfach ausgeschlossen werden. Das wird besonders zu prüfen sein im Hinblick auf das Verhalten Osters unmittelbar vor dem Norwegen-Angriff und vor der Westoffensive. Aber dieser Vorbehalt kann kaum gemacht werden für die Aktion, die unter dem Titel „Römische Gespräche“ lief und der wir uns nun zuwenden wollen. Denn hier handelt es sich um ein für die politische Entscheidung und für die Gewissensentscheidung der Widerstandsmänner äußerst gewichtiges, ja grundlegendes Unternehmen, das nicht ohne Unterrichtung, nicht ohne Billigung und infolgedessen auch nicht ohne die Verantwortung des letztentscheidenden Chefs der Militäropposition eingeleitet und durchgeführt werden konnte. (W; rd in der nächsten Ausgabe der Beilage fortgesetzt)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Helmut Krausnick: „ Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler" in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ B XXXXV 1154.

  2. Rede vom 23. November 1939.

  3. Belege für die Tenninangaben finden sich besonders in der sehr gründlichen Ausarbeitung von Dr. Erich Kosthorst „Die deutsche Opposition gegen Hitler zwischen Polen-und Frankreich-Feldzug" in „Aus Politik und Zeitgeschichte"

  4. Aussage vom 15. 9. 1948 vor der Spruchkammer München.

  5. Das schloß nicht aus, daß Halder die schon erwähnte Publikation von Erich Kost-horst zum Thema: „Die deutsche Opposition gegen Hitler zwischen Polen-und Frankreich-Feldzug“ durch Überlasung seines Tagesbuches und zahlreiche Erläuterungen gefördert hat. Die Arbeit von Kosthorst ist weitgehend gerade auf Halders Aussagen gestützt.

  6. Siehe Fußnote 2

  7. Siehe Aussage des Oberstleutnants a. D. Heinz (Abschnitt III)

  8. Aussage vor der Spruchkammer München am 20. 7. 1948

  9. Siehe Aussage Heinz

  10. Erich Kosthorst, a. a. O., S. 3 56.

  11. Aussage des Oberstleutnants a. D. Heinz vor dem Arbeitskreis am 11. 8. 1952

  12. Bor, „Gespräche mit Halder" (Wiesbaden, 1950), S. 131

  13. Spätestens nach dem kategorisch negativen Echo der englischen Regierung auf Hitlers Reichstagsrede vom 7. Okt. 1939, die in geschickter Form ein verschleiertes Friedensangebot an England enthalten hatte.

  14. Siehe „Terminkalender“: zu Brauchitsch und Halder am 27. September 1939 Hitler

  15. Siehe „Terminkalender“ unterm 7., 9., 13., 20. Nov. 1939

  16. Aussage vom 20. 7. 1948

  17. Aussage vor der Spruchkammer vom 20. 7. 1948

  18. Aussage Halders vor der Spruchkammer München am 20. 7. 1948. Die Frontreisen Stülpnagels sind auf Ende Oktober'Anfang November 1939 anzusetzen. Darauf deutet auch ein von Kosthorst (a. a. O.) zitierter Vermerk in Halders Tagebuch vom 29. Oktober „Vormerkung OB: OQu l Frontreise“ hin. Es paßt ganz in die Situation von Ende Oktober. Ob die Frontreisen Stülpnagels „wochenlang" gedauert haben, muß bezweifelt werden. Die eigene Frontreise Halders am 2. /3. November 1939 — zusammen mit Brauchitsch unternommen — dürfte eine reine „Fachreise“ gewesen sein und die gleichzeitige Spezialmission Stülpnagels nicht berührt haben. Andernfalls hätte sich Halder nachher nicht bloß auf das (nach seiner Darstellung negative) Ergebnis der Reise Stülpnagels, sondern auf gleichzeitige eigene Feststellungen an der Front berufen.

  19. Kosthorst formuliert (a. a. O. SB 45) wohlabgewogen, „daß der Boden unter den bereits angelaufenen Staatsstreichvorbereitungen sehr schwankend war .

  20. Fabian v. Schlabrendorff „Offiziere gegen Hitler (Zürich, 1946) S. 33.

  21. Rudolf Pechei „Deutscher Widerstand“ (Erlenbach-Zürich, 1947) S. 153.

  22. Beide im Worlaut veröffentlicht bei Kosthorst, a. a. O. S. 369 ff.

  23. Siehe „Terminkalender" unterm 10. November 1939.

  24. Kosthorst, a. a. O. S. 341.

  25. „Dokumentenbuch 1 für Georg v. Küchler“.

  26. Bei Würdigung der Haltung Halders im Spätherbst 1939 ist zu beachten, daß die Frontreisen von Canaris sich über den ganzen hier in Frage stehenden Zeitraum von September 1939 bis Mai 1940 erstreckten.

  27. Schriftliche Erklärung Lahousens an den Arbeitskreis vom 30. Januar 195 3.

  28. Hier ist an die Vorstellungen des Generalobersten Blaskowitz bei Hitler zu erinnern.

  29. Bernd Gisevius verzeichnet in seinem Buch „Bis zum bitteren Ende , Zürich 1946 (Bd. II. S. 141/42) einen Besuch, den er Anfang November 1939 -es war der 7. November — gemeinsam mit Oberst Oster dem Generalobersten von Witzleben in dessen Hauptquartier gemacht hat. Er habe dabei, schreibt er, Witzleben sehr skeptisch angetroffen. Es fügt sich schlecht in das Bild dieses Generals ein, daß er gerade in den Wochen, in denen es das Handeln galt, nicht handlungsbereit gewesen sein soll. Natürlich ist denkbar — und es würde nur für Witzleben sprechen —, daß er die technische Vorbereitung des Staatsstreichs mangelhaft befunden und daher skeptisch beurteilt hat. Erst recht muß die weitere Angabe von Gisevius bezweifelt werden, daß Witzleben auf das Drängen seiner Besucher hin sich nur widerstrebend bereit erklärt habe, persönlich nach Zossen (Hauptquartier des OKH) zu fahren, und daß obendrein beim Generalstabschef des Generalobersten v. Leeb, General v. Sodenstern, der Reiseplan mit der angedeuteten Begründung (Staatsstreich) nur „Entsetzen" hervorgerufen habe. General v. Sodenstern hat zur gleichen Zeit — Mitte November 1939 — dem General Hermann v. Witzleben, Vorsitzenden des Arbeitskreises (damals Chef des Generalstabes des VII. Armee-Korps), wörtlich gesagt: „Die braune Pest muß weg!"

  30. Die Erklärung wurde am 14. 11. 1947 schriftlich liegt in Photocopie und dem Institut für Zeitgeschichte vor.

  31. Siehe unten.

  32. Siehe Erich Kordt, „Nicht aus den Akten“ (Stuttgart 1950) S. 369 ff.

  33. Der Publizist Michael Heinze Mansfeld stellte dem Arbeitskreis eine Aktennotiz über eine Unterredung mit Halder am 22. April 1952 zur Verfügung. Wir entnehmen ihr folgende Charakterisierung Großcurths durch Halder: „Hochanständiger Mann, Fanatiker, deshalb unvorsichtig, darum auch Versetzung zur Front“.

  34. Siehe „Terminkalender“, nach 14. Okt. 1939: Auftrag Halders an Großcurth zur generalstabsmäßigen Staatsstreichplanung. — Aus jener Zeit stammen nach Bekundung Dr. Josef Müllers (gegenüber dem Arbeitskreis) Skizzen des Obersten Oster, die eine Art Programm für die beim Staatsstreich durchzuführenden Maßnahmen darstellten. Es kann aber nicht gesagt werden und es ist nicht einmal wahrscheinlich, daß sie ein festes Aktionsprogramm mit Stundenkalender usw. bildeten.

  35. Eberhard Zeller, „Geist der Freiheit" (München), S. 315 f.

  36. Zeller zitiert diese Darstellung „nach der unveröffentlichten Niederschrift eines Beteiligten“. Allen W. Dulles bezeichnet in „Verschwörung in Deutschland“ (Zürich 1948, S. 79 F) als Quelle einer sinngemäß gleichen Darstellung das (später ausgezeichnete) Tagebuch des Legationsrats Albrecht v. Kessel.

  37. Das gilt nach Halders Aussagen in besonderem Maß auch für die am 4. November durch Thomas im Auftrag Becks überreichte Denkschrift (Verfasser: Oster, Dohnanyi, Gisevius).

  38. Liegt dem Institut für Zeitgeschichte vor. Siehe Veröffentlichung bei Kosthorst (a. a. O. S. 347).

  39. Siehe Dokument 3047 PS, IMT Nürnberg

  40. Siehe Wolfgang Foerster „Generaloberst Ludwig Beck“ (München 1953), S. 122

  41. Ungesicherter Wortlaut siehe Nürnberg XII, 84 und XXVI, 327— 336

  42. Eberhard Zeiler a. a. O. S. 316

  43. Erich Kordt, a. a. O. S. 376

  44. Wie vorher S. 377

  45. Heinz Guderian, „Erinnerungen eines Soldaten" (Heidelberg 1950). S. 76

  46. Aussage vor der Spruchkammer München am 16. 9. 1948.

  47. Siehe Hermann Foertsch. „Schuld und Verhängnis" (Stuttgart 1951), S. 203

  48. Kosthorst, a. a. O. S. 35 8

  49. Gisevius, a. a. O. Bd. II, S. 136

  50. Fortsetzung der Aussage Halder vor der Spruchkammer am 16. 9. 1948; siehe hierzu auch Zeller, a. a. O. S. 316

  51. Aussage vor der Spruchkammer am 16. 9. 1948

  52. Kosthorst setzt den Termin — ohne Angaben über den Inhalt des Gespräches Halder-Fromm — ebenfalls auf Anfang November an (a. a. O. S. 343).

  53. Brief Halders an den Vorsitzenden des Arbeitskreises vom 4. 6. 1953

  54. Botschafter a. D. Ulrich v. Hassell berichtet („Vom anderen Deutschland“ [Zürich 1946]. S. 150) über eine „lange Unterhaltung“ mit Fromm am 25. April 1940: „Er (Fromm) galt eigentlich immer als vernünftig und klarsehend, scheint aber jetzt auch ganz vom . wilden Kriegsknecht’ gebissen zu sein: Durch Holland und Belgien würden wir in einem Sprung durchstoßen, dann in vierzehn Tagen Frankreich erledigen; die Franzosen würden so laufen wie die Polen. Frankreich würde dann Frieden machen, England allein noch etwas weiter fechten und schließlich auch erledigt werden. Dann aber würde der Führer einen ganz maßvollen, staatsmännischen Frieden machen/Ich sagte, über die militärischen Chancen könne ich nichts sagen, aber über die Hitlerschen Friedenspläne sei ich anderer Ansicht. Diese Angaben passen nicht nur sehr gut zur oben dargestellten Absage Fromms, sie zeigen, daß mindestens damals bei Fromm die elementarsten Voraussetzungen für eine aktive Rolle im Widerstand fehlten.

  55. Es wird auf das ausgezeichnete, für die Beurteilung Becks unentbehrliche Charakterbild verwiesen: „Generaloberst Ludwig Beck. Sein Kampf gegen den Krieg. Aus nachgelassenen Papieren des Generalstabschefs“. Von Professor Wolfgang Foerster (München 195 3).

  56. Siehe Wolfgang Foerster, a. a. O. S. 122

  57. Wolfgang Foerster, a. a. O. Vorwort

  58. an Proffesor Wolfgang Foester vom 17.9.1953

  59. Aus einem Brief vom 6. 9. 1952 an den Vorsitzenden des Arbeitskreises.

  60. Aktion Böhm-Tettelbach.

  61. Heinz gehörte von 1950 bis 195 3 der Dienststelle Blank (Bundesregierung) an. Die Umstände seines Ausscheidens sind in der Presse vielfach erörtert und gedeutet worden. Sie standen so wenig wie die Tätigkeit von H. vor 1939 und nach 1945 und im besonderen die Vorgänge, die am 18. Nov. 1954 zu einer Verurteilung durch die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden geführt haben, zur Diskussion des Arbeitskreises. An dieser Stelle geht es nur um die Zeit 1939/40. Die Aussagen von H. über diesen Zeitraum wurden vom Arbeitskreis genau so kritisch gewürdigt wie alle anderen Aussagen. Es wurde ihre Übereinstimmung mit anderen Zeugenaussagen aus dem Kreis Oster-Beck festgestellt.

  62. Aussage H. vor dem Arbeitskreis erfolgte am 11. 8. 1952.

  63. Das Gespräch bezog sich auf die römischen Friedensgespräche, siehe Abschnitt IV.

  64. Diese und folgende Angaben beruhen auf Aussagen der Witwe von Dohnanyi, ergänzt durch Aussagen von Dr. Josef Müller.

  65. In diesem Zusammenhang hat auch Hassells Darstellung (a. a. O.) mannigfach dokumentarischen Wert.

Weitere Inhalte