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Grenzen der Sowjetmacht | APuZ 14/1955 | bpb.de

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APuZ 14/1955 Grenzen der Sowjetmacht

Grenzen der Sowjetmacht

Wilhelm Starlinger

Abgedruckt aus „Grenzen der Sowjetmacht" (1., 4. und 5. Kapitel) von Prof. Dr. med. Wilhelm Starlinger, erschienen als Beiheft IX zum Jahrbuch der Albertus-Universität Königsberg/Pr., herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis im H o 1 z n e r -V e r 1 a g , Würzburg.

Standort und Quellen der Beobachtung

Kritik an der Kritik

Der Berichterstatter möchte vorweg klarmachen, daß seine Ausführungen nicht von Gefühlen irgendwelcher Verbitterung oder gar Abneigung getragen werden. Er fühlt sich im Gegenteil den Völkern des benachbarten Ostraumes, nicht zuletzt dem großrussischen Volk selbst durchaus zugeneigt und nicht wenigen ihrer Menschen nahe-stehend verbunden. Er ist sich aber in langjährigem engem Zusammenleben nicht nur des Verbindenden, sondern auch des Trennenden so bewußt geworden, daß er über beides nicht schweigen kann. Er meint, daß eine künftige Gestaltung des — wie er überzeugt ist — zuletzt doch gemeinsamen Schicksals (vielleicht schon in näherer Zeit als heute erscheinen möchte) vom gleichzeitigen Wissen sowohl des Gemeinsamen wie auch des Fremden abhängig sein wird und daß diese Kenntnis um so nötiger ist, je mehr für später nicht nur ein erträgliches Nebeneinander, sondern ein fruchtbares Miteinander erstrebt wird. Denn man kann Sentiment und Ressentiment, gerade wenn sie in der Gegenwart aus bitterster Vergangenheit für beide Teile noch s o begründet sind, nur überwinden, wenn man für die Zukunft weder träumerischen Wunschgedanken einer naiven Vertrauensseligkeit noch drückenden Alpträumen einer unabänderlich feindseligen Wechsel-gefährdung nachhängt oder gar nachgibt. Man muß vielmehr wissen, mit wem man es zu tun hat, nicht nur, was man selbst zu erreichen gewillt ist und erreichen kann, sondern auch, was der andere von uns erwartet und geneigt ist, zu geben oder zu tun.

Der Berichterstatter fühlt sich vor allem als s o 1 c h e r und sieht demgemäß seine Aufgabe darin, auf Persönliches so wenig als möglich und nur insoweit einzugehen, als ihm eine gewisse Allgemeingültigkeit zukommt, die zur Darlegung von Erfahrungen und Urteilen überpersönlicher Art führt. Er möchte versuchen, Erfahrungen darzustellen, die sich ihm aus der Berührung mit dem Menschentum des Ostens ergaben, einer Berührung, die mit dem Einbruch der feindlichen Heere in die eigene ostpreußische Heimat begann und mit der Entlassung aus einem jahrelangen Gewahrsam östlicher Regimegestaltung vorläufig endete. Er möchte nicht zuletzt ein Bild vermitteln, welches sich ihm nahegekommene kluge und kritische Menschen dieses Ostens von sich selbst und ihrer eigenen Zukunft machen. Denn er meint, daß sich daraus nicht unbedeutende Schlußfolgerungen auch für unsere Zukunft und unser Wirken um ihre Gestaltung ergeben.

Der Berichterstatter fühlt sich hierzu um so mehr bestimmt, ja beinahe verpflichtet, weil er meint, daß die Gelegenheit einer echten West-Ostberührung trotz der Begegnung in Krieg und Nachkrieg nicht allzu häufig gegeben war. Wohl haben deutsche Heere jahrelang tief im Osten gestanden und stehen noch heute fremde Heere tief im deutschen Raum, aber das Verhältnis des kämpfenden wie besetzenden Soldaten zum bekriegten wie unterworfenen Volk ist zu sehr belastet, als daß es zu einer wechselseitigen Aufgeschlossenheit gerade derer kommen könnte, die sie zu einer echten Fruchtbarkeit gestalten könnten. — Wohl haben Millionen deutscher Soldaten als Kriegsgefangene lange Jahre im Osten gelebt und wertvolles Erlebnisgut bei ihrer Heimkehr mitgebracht, aber sie lebten in ihrer Masse unter sich und ihre Begegnung mit der fremden Welt geschah nur durch die Vermittlung der Beauftragten eines Systems, welches sie entweder für sich gewinnen oder wenigstens schwankend machen wollte — oder, wenn beides nicht gelang, zureichend einschüchtern oder sogar zerbrechen sollte, um auf jeden Fall eine künftige Gegnerschaft zu verhindern. Wo aber eine echte Begegnung versucht wurde, geschah sie im wesentlichen in der Auseinandersetzung mit einer Ideologie, der als solcher kaum mehr ein lebendiger Gegenwarts-, geschweige denn Zukunftswert zugesprochen werden kann, wie noch zu begründen sein wird. Ein Beispiel solcher Art gibt das bekannte Buch Gollwitzers, welches die Geschichte eines fast liebenden Bemühens um das Verstehen einer fremden Systemlehre darstellt, bis sich dann doch zeigt, daß eine integrierende Synthese solcher Zielsetzung nicht gelingen kann, weil sie am Entscheidenden, der Berührung mit dem fremden Volks-und Menschentum selbst vorbeigeht und vorbeigehen muß, da der hierzu nötige reale Kontakt in zureichendem Maße überhaupt nicht zustande kommt. — Was schließlich die Begegnung des Diplomaten und Kaufmanns, geschweige des Journalisten oder Vergnügungsreisenden anlangt, so braucht kaum begründet zu werden, daß eine solche, gleichviel aus welcher Einstellung heraus und wie sie geschieht, unter den gegebenen Bedingungen in jedem Falle von der Gegenseite her manipuliert, das heißt aus bestimmter Ursache zu bestimmtem Zwecke gelenkt wird und eine echte Berührung kaum jemals zustande bringen kann.

Hätte der Berichterstatter seine Begegnung mit dem Osten in Königsberg abgeschlossen, als die Masse der damals noch Lebenden bei der abschließenden Evakuierung Ende 1947, Anfang 1948 die Heimat verließ, hätte auch er ein falsches, wenigstens sehr einseitiges Bild gewonnen, welches ihn zu keinerlei Urteil berechtigt hätte. Trotzdem war auch die erste Begegnung wichtig, weil zur bewußten Gewinnung einer lebendigen Zukunft auch das konkrete Wissen um einen Vorgang nötig ist, der einmal die Preußische Passion genannt werden wird. Nur wenn dieser Vorgang der Vergangenheit völlig bewußt begriffen und überwunden wird, kann er zur tröstenden Erleuchtung der Zukunft dienen und wie jeder Opfergang seinen tiefsten Sinn erst in kommender Zeit erweisen.

Die entscheidende Berührung des Berichterstatters und seinesgleichen geschah aber weder bei der kriegerischen Eroberung und Niederwerfung der Heimat und des Vaterlandes noch in den ersten Nachkriegsjahren des Kampfes der Überlebenden um ihr nacktes Dasein und die rettende Einkehr nach Deutschland, auch nicht in der Zeit der folgenden Gefängnisse, sondern in den späteren Jahren engen Zusammenlebens mit Schicksalsgenossen eben der anderen Seite selbst — im Sichzusammenleben hinter den Palisaden, das zu einer schier unversiegbaren Quelle wurde für Erkenntnisse von Zusammenhängen und Gegebenheiten auch außerhalb des Sperrkreises der Palisaden im ganzen weiten Raum der Länder, die sich heute noch SSSR nennen.

Der Berichterstatter versteht, daß ein derartiger Anspruch auf Widerspruch treffen; j a fast paradox erscheinen muß. Denn es muß unverständlich erscheinen, gerade in den Regimelagern eines totalitären Macht-systems die Möglichkeit nicht nur eines ergiebigen Gedankenaustausches mit gebildeten und verständigen Männern der andern Seite zu finden, sondern sogar hinter Palisaden Wichtiges über die Verhältnisse außer halb derselben in Erfahrung bringen zu können. Und doch war dieses in einem Umfange möglich, den der Berichterstatter selbst von vornherein niemals für gegeben erachtet hätte, bevor er es selbst erlebte.

Um so mehr ist er verpflichtet, diese Quellen seiner Erfahrungen und Urteile aufzuzeigen. Man muß sich zunächst klarmachen, daß diese Regimelager des MGB (Staatssicherheitsministerium) im Verwaltungsbereiche des (ihm real unterstellten) MWD (Innenministerium) bis 1953 ein Staat im Staate waren, der einerseits jeder Wißbegierde von außen her entzogen war, anderseits seine Insassen niemals wieder in die Gemeinschaft des Volkes, geschweige der Familie oder Stammesheimat zurück-entließ, auch dann nicht, wenn die Haftfrist („Isolation") juristisch beendet war. Denn in diesem Falle, der bis dahin nur bei kurzfristigen Haftfristen bis zu 10 Jahren eintreten konnte, geschah die Entlassung aus dem Lager nur mit nachfolgender bestimmter und überwachter Aussiedelung-Ansiedelung in menschenleeren Gebieten, z. B.des Krasnojarskyi kray, dessen zugewiesener Wohnplatz dann bis zum Ende des Lebens nicht mehr verlassen werden durfte. Das Regime brauchte also bis 1953 in keinem Falle damit zu rechnen, daß Erfahrungen, die hinter den Palisaden gemacht wurden, jemals wieder zu einer allgemeinen Kenntnis kommen konnten. Der zum Regimelager Verurteilte war als Mitglied der Gesellschaft wie Gemeinschaft für immer abgeschrieben, denn er war in jedem Falle nach irgendeinem Punkte des § 58 des sowjetischen Strafgesetzes verurteilt, jenes Paragraphen, der alle staats-und gesellschaftsgefährdenden oder gar zerstörenden Verbrechen zusammenfaßt, er war also als staats-und gesellschaftsggefährdender Schädling gebrandmarkt und damit für immer von jeder Beteiligung am Aufbau dieses Staates und seiner Gesellschaft ausgeschlossen.

Der Paragraph 5 8 hat viele Punkte, er beginnt mit la und 1b (militärischer und ziviler Landesverrat) und führt über konterrevolutionäre Gesinnung und Haltung (Punkt 4), Spionage (Punkt 6), über Propaganda, Sabotage, Banditismus bis zum Terror und politischen Mord (16). Es ist wichtig zu wissen, daß der gewöhnliche, also nicht politische Gewaltverbrecher vom sowjetischen Gesetz und seiner Handhabung nicht abgeschrieben, sondern als „Sozial Nahestehender" (der nur durch die Folge kapitalistischer Späteinflüsse zum umweltbedingten Verbrecher wurde) als durchaus besserungsfähig und umerziehbar angesehen wird. Der Kriminalverbrecher ist seit 1949 vom politischen Verbrecher streng isoliert, er befindet sich nicht in Regimelagern, sondern in sogenannten öffentlichen Lagern, er wird nicht nur jeder Betreuung für wert gehalten, sondern auch nach Lebensführung und Lebensart wesentlich milder behandelt. Er allein war auch das Objekt der großen Amnestie von 195 3, ebenso wie es ein offenes Geheimnis ist, daß er während des letzten Krieges auf dem Höhepunkte der Not in Massen der Armee zugeführt wurde und dabei seine Angriffslust und allgemeine Härte besonders bewährt haben soll.

Im Gegensatz zum „sozial nahestehenden" nicht politischen Kriminalverbrecher wurde der politische Verbrecher als unbekehrbar wie unbelehrbar aufgefaßt und aus diesem Grunde nicht nur keinem Versuche einer unmittelbaren Umschulung unterworfen, sondern nicht einmal einer mittelbaren Propaganda ausgesetzt, die über das gewöhnliche Maß der allgemeinen Staatsräson hinausging. Es war daher dem Regime gleichgültig, was der einzelne hinter der Palisade dachte, weil es wußte, daß er außerhalb der Palisade niemals mehr das Gedachte verwerten könnte, und es war ihm daher auch gleichgültig, worüber die Eingeschlossenen miteinander sprachen, sofern von solchen Gesprächen nicht das Regime gestört oder gar gefährdet werden konnte. Wohl konnte man in Anbetracht des durchgebildeten geheimen Aufsichtssystems annehmen, daß fast jedes Gespräch dem jeweiligen politischen Lagerbeauftragten bekannt wurde und ihm auch zum Zwecke der Personalkenntnis wichtig war, aber es wurde nicht nur nicht unterbunden (sofern es sich im kleinsten Kreise bewegte, der aber personell durchaus auswechselbar war), sondern vielleicht sogar stillschweigend gerne gesehen (unter Umständen sogar proviziert), eben weil man auf diese Weise einen inneren Kontakt behielt, der zum Zwecke der Übersicht durchaus wünschenswert erscheinen mußte. Man konnte also im praktischen Leben des Regime-lagers philosophische, historische, literarische Gespräche auf intellektueller Ebene (unter strenger Vermeidung aller organisatorischen Gruppenbildung) durchaus führen und hat sie geführt. Auf diese Weise hatte jeder daran Interessierte die Möglichkeit zur Erkundung von Menschen, die, zu allen vorausgehenden Jahren verhaftet, zum Teile schon vor Jahrzehnten, zum Teile erst vor Monaten ihre ursprüngliche Gemeinschaft verlassen hatten: So ergab sich dann ein fast lückenloser Querschnitt der Strömungen und Strebungen außerhalb der Palisaden von Jahr zu Jahr bis in die jüngste Gegenwart.

Nur ein kleiner Teil der Menschen, die man in solchen Regimelagern trifft, sind Primitive vom Typus des Kriminalverbrechers, der durch eine Verkettung für ihn unglücklicher Umstände zum politischen Verbrecher gestempelt wurde. Die zu dieser Gruppe Gehörigen treten in den Regimelagern so zurück, daß sie nicht einmal die Möglichkeit haben, ihre in den allgemeinen Lagern geübten Terrormethoden gegenüber den Mitgefangenen (Diebstahl, Raub, selbst Mord) anzuwenden. Die zweite ungleichmäßig größere Gruppe setzt sich aus Bauern zusammen, die zwar alle als Kulaken gelten, es aber nur zum geringen Bruchteil wirklich waren. Während die erste Gruppe dem interessierten Beobachter kaum etwas bieten kann, was wirklichen Interesses wert wäre, kann die zweite Gruppe bereits wichtige Angaben über die dramatische Problematik des Kampfes um die Kolchose machen, vor allem aber Aufschlüsse über die Seelenhaltung des friedlos gemachten Menschentums wervoller bäuerlicher Prägung vermitteln. Die interessanteste Gruppe aber ist die dritte: sie rekrutiert sich aus einer relativen Elite der sogenannten sowjetischen Intelligenz, die in irgendeiner Weise früher selbst zum machttragenden System gehörte, dann aber zu ihm in Opposition geriet oder wenigstens einer solchen verdächtig wurde. Es sind dies nicht nur Professoren und Studenten aller Fakultäten, Juristen, Ärzte und Ingenieure, Wirtschaftsführer und Journalisten, sondern auch Parteifunktionäre bis hinein in den Apparat des Zentralkomitees, Staatsbeamte bis zum Rang von Ministerialen und Stabsoffiziere bis zur Generalität. Es handelt sich dabei nicht um Personen des höchsten Führungskreises, die im Falle ihres Sturzes, sofern sie ihn überleben, offenbar nicht in gewöhnliche Regime-lager gelangen, jedenfalls dort nicht angetroffen werden, immerhin aber um Personen, die in jähre-und jahrzehntelanger verantwortlicher Arbeit Einblickbin das Partei-, Staats-und Wirtschaftsgefüge tun konnten, die weit über das hinausgehen, was der gewöhnliche Sowjetbürger, geschweige denn der Ausländer je in Erfahrung bringen kann. Lind es handelt sich um Leute, die ein Leben lang geschwiegen haben und nun — hinter den Palisaden — zum erstenmal in ihrem Leben sprechen können, in einer Offenheit, die nur eintritt, wenn alle Brücken abgebrochen sind. Es ist natürlich nicht so, daß jeder Neuangekommene nun sofort sein Herz öffnet, aber er tut es mit der Zeit und um so mehr, je mehr er Vertrauen faßt, nicht zuletzt gegenüber dem Arzt, dem er sich dankbar verbunden fühlt.

Dazu kommt, daß die einzelnen Großlagerbereiche nicht voneinander abgetrennt sind, es gehen die Transporte und Verlagerungen nicht nur einzelner, sondern großer und größter Gruppen alljährlich mehrmals hin und her, von einem Ende des Riesenraumes der Linien zum andern, vom Austausch zwischen den oft zahlreichen Lagern eines und desselber Großbereiches ganz abgesehen — und jeder neue Transport ist Überbringer und Vermittler von Nachrichten zugleich. Auch hier könnte man fragen, warum ein System, welches seinen politischen Gegner für immer isolieren will, eine solche Kommunikation der Nachrichten zuläßt. Die Antwort entspricht zunächst der schon gegebenen, das Regime sah die Isolierung gegenüber der Welt außerhalb der Palisaden durch eine Kommunikation innerhalb derselben nicht für gefährdet an, es wollte vielleicht auch dem Isolierten zu verstehen geben, daß das System zwar weltweit, aber überall das gleiche sei, es brauchte die Verlagerungen auch deshalb, um das interne Überwachungssystem aufrechtzuerhalten, denn jeder Spitzel nützt sich ab und muß nach einiger Zeit ausgetauscht werden. Vor allem aber war der Regimelagerstaat der größte Bau-und Fabrikherr der Union, und dieses allein erforderte den ständigen Menschenaustausch größten Stils zum Zwecke der Arbeitslenkung und Verwertung. — Dank dieser unionsweiten Kommunikation also geschah es, daß der Regimeisolierte trotz aller technischen Isolierung von der Außenwelt, manchmal zwar mit Verspätung, trotzdem aber früher oder später alles in Erfahrung brachte, was innerhalb wie außerhalb der Lager sich an Wesentlichem ereignete.

Wenn diese Austauschbegegnung im Gespräch auch die wichtigste Erfahrungsquelle darstellte, war sie doch nicht die einzige. Sie wurde ergänzt durch den Strom der Briefe. Wohl konnte der isolierte Ausländer niemals schreiben und niemals Post empfangen, die Inländer aber hatten die Möglichkeit, zweimal im Jahre alternierend zu korrespondieren. Wohl wurde die ab-wie zugehende Post zensiert, aber diese Zensur hatte Lücken, deren Ergiebigkeit für den Postempfänger vielfach von der zeitlichen Arbeitsfreude des Zensors abhing. Jedenfalls war es immer wieder erstaunlich, wie viele wichtige Nachrichten insbesondere vom flachen Lande durchkamen. Der primitiv gehaltene und geschriebene Brief des Kolchosniks wurde offensichtlich wesentlich oberflächlicher zensiert als der Brief aus der Stadt.

Es fügten sich an die Beobachtungen, die sich unmittelbar aus dem Lagerleben selbst ergaben: die Reaktionen des Regimes, seine Befehls-artwie Sicherheit, seine Kursänderungen, die Form und der Inhalt seiner lancierten Lagerpropaganda — ferner die Organisation der Lagerarbeit, ihre Moral wie ihr Ergebnis, die Materialanlieferung, die Produktionsabnahme —, nicht zuletzt der aufmerksame und laufende Vergleich der großen Zentralzeitungen mit den ebenfalls (und nicht spärlich) aufliegenden Provinzzeitungen und der sich dabei ergebende Unterschied in der Haltung wie Färbung der Nachrichtenübermittlung, in der gleitenden Tendenz der aktuellen Propaganda, in der Auswahl der Illustrationen, in der Bewertung der Statistik usw.

Der jahrelang Eingeschlossene gewinnt für alles dieses ein geschärftes Auge und ein verfeinertes Ohr, er vergleicht, kombiniert und schließt, er hat immer wieder die Möglichkeit, im nachhinein Beobachtung, Kombination und Urteil am Gange der Tatsachen zu kontrollieren. Es mag daher — wiewohl überspitzt formuliert — das alte Lagerwort eines tieferen Sinnes nicht entbehren: daß nämlich in der SSSR, abgesehen von den höchsten Führungskreisen, nur zweierlei Menschengruppen einigermaßen Bescheid wissen, einerseits das Offizierskorps des MGB, anderseits die Elite der nach Paragraph 5 8 Verurteilten innerhalb der Regimelager.

Regimelager

Im Februar 1948 wurde der Berichterstatter aus dem Gefängnis in sein erstes Straflager überstellt. Es war dieses noch kein Regimelager, sondern ein allgemeines Lager, dessen Hauptkontingent nicht die politischen, sondern die „sozial näherstehenden“ Kriminalverbrecher ausmachten. Das Lager gehörte einem Kombinat an, welches die ehemalige Bernsteinmanufaktur in Palmnicken weiterzuführen suchte. Der Berichterstatter hatte Gelegenheit zum Studium des Verhaltens der asozialen Primitiven bis zum Berufsverbrecher mit ihrem eigenartigen Ehrenkodex, der an das Bagno erinnert. Im Herbst 1948 kam ein strenger zentraler Befehl zur Auswirkung, der den Abtransport aller aus politischen Gründen Verurteilten und ihre Zusammenfassung in eigenen Lagern zur Folge hatte. Die Haupttransporte gingen in großen Sonderzügen aus Güterwagen nach dem Eismeer. Der Berichterstatter ging erst im März 1949 „auf Einzeletappe“ über Wilma und Moskau in den Großlagerbereich Potma Regimelagerbereiche liegen in vielen Gebieten der Union, ihre Lage ist bekannt und braucht hier nicht aufgezählt zu werden. Abgesehen von der Verschiedenheit des Klimas und der Arbeitsbedingungen ähneln sie sich in der allgemeinen Führung und Haltung wie ein Ei dem andern und unterstehen sämtlich dem MGB, der sich in der Durchführung der Organe des MWD bedient. Der Großlagerbereich Potma (Dubrowlag — Eichenlager) liegt halbwegs zwischen Moskau und Kuibyschew in einem moorigen Bruchwaldgebiet und darf hinsichtlich Klima und Arbeitsleistung als bevorzugt gelten, aus welchem Grunde es eine Reihe von Invalidenlagern enthält.

Da seit 195 3 eine entscheidende Umorganisation dieser Lager in Gang kam, welche zur Zeit der Freigabe des Berichterstatters im Dez.'Jan.

195 3/54 im Anlaufen war, scheint es angebracht, den bis dahin gültigen allgemeinen Charakter dieser Lager kurz zu schildern. Die Lager liegen zu beiden Seiten einer Stichbahn mitten im Bruchwald, sie sind umzäunt mit einer etwa 4 m hohen Doppelpalisade, innerhalb deren des Nachts und an kritischen Tagen Hunde kreisen. Innerhalb der Palisade ist in etwa 20 m Tiefe ein lockerer Stacheldrahtverhau als „Verbotzone“

angelegt. Wer in sie eintritt, wird ohne Anruf von den Wachtürmen aus erschossen. In diesem Zusammenhang ist es merkwürdig, daß diese einfache Möglichkeit zum Freitod praktisch nie ausgenützt wird, obwohl es zur Psychologie nicht weniger Strafhäftlinge gehört, sich in periodischen Abständen mit Freitodplänen zu beschäftigen. Der B. hat selbst in all den Jahren keinen einzigen derartigen Fall erlebt. Der Lager-wall wird von Kadertruppen des MGB gesichert, welche auch die Begleitung von Arbeitstrupps außerhalb des Lagers stellen. Sie sind bewaffnet und haben strengste Anweisungen, im Falle auch nur des Verdachts auf Flucht sofort zu schießen. Die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Lager dagegen wird von Organen des MWD, also der Miliz (Ordnungspolizei), besorgt. Sie sind nicht bewaffnet, wie überhaupt die Mitbringung von Waffen in das Lager hinein streng verboten ist. Auch Offiziere tragen keine sichtbaren Waffen. Die Gefangenen werden nicht gefesselt, auch nicht auf dem Gange zu auswärtigen Ar-beitsvorhaben. Nur unter besonderen Bedingungen, insbesondere bei Katorgasträflingen, kann ausnahmsweise Fesselung angeordnet werden, wenn Fluchtverdacht vorliegt. Das innere Regime ruht auf der absoluten Autorität des Systems, solange diese intakt ist. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung genügt unter normalen Bedingungen die Furcht vor der Versetzung in eine Strafbrigade (mit erschwerter Arbeit, Einschließung außerhalb der Arbeitszeit, Ausschluß von Kino, Lektüre usw.), bzw. vor der zeitlichen Einsperrung im „Isolator“ (einer in jedem Lager befindlichen Sonderstrafbaracke), der mit verschiedenen Verschärfungen durch Hunger und Kälte recht eindrucksvoll werden kann. Tätliche Gewalt von Seiten der Lagerorgane kommt (im Gegensatz zur Praxis der Gefängnisse) im Lager kaum vor und ist streng verboten-Auch die Brutalisierung durch Beschimpfung und über das Regime hinausgehende Demütigung ist verboten und hat sich in den letzten Jahren fortlaufend gemildert. Der Eingeschlossene hat Beschwerderecht gegen Unrechttun der Aufsichtsorgane und kann sich auch, wenn er energisch genug und völlig im Recht ist, mit Erfolg durchsetzen. Interessant und nicht selten geradezu grotesk ist die Wirksamkeit und Erfolgsmöglichkeit des Hungerstreiks, der recht häufig zur Anwendung gebracht wird, insbesondere im „Isolator“. Jeder derartige Fall setzt die ganze Lagerbehörde in Aufruhr, vom Chef der Sanitätsabteilung angefangen über die politischen Beauftragten bis zum Chef des Lagers. Spätestens am dritten Tag erscheint von auswärts der zuständige Prokuror (Staatsanwalt), Vernehmungen häufen sich, Akten türmen sich, vom Wachtmeister des Isolators angefangen bis zum Prokuror redet alles dem Streikenden gütlich-väterlich zu, er möge doch Vernunft annehmen. Lind das Ende ist regelmäßig ein gütlicher Vergleich und wenigstens ein halber Erfolg des Widerständlers. Der B. hat nie erlebt, daß es zur Zwangsernährung oder zur Brechung des Widerstandes mit Gewalt kam, aber er hat sich immer wieder gewundert, wie behutsam jeder derartige Vorfall von den Lager-verantwortlichen gehandhabt wird, die sonst gar nicht allzu wählerisch in ihren Mitteln sind. Der B. hat trotz aller Bemühungen keine andere Erklärung dafür gefunden als die Annahme, daß offenbar in jedem Falle von fortgesetztem Hungerstreik eine große Aktenbewegung nach oben nötig wird, welcher die örtliche Obrigkeit lieber aus dem Wege geht.

Die Arbeitsdauer beträgt offiziell 10 Stunden, wird einerseits oft bei Arbeitsspitzen überschritten, fällt andererseits bei Arbeitsmangel und Kurzbeschäftigung auch über Tage hin ganz aus. Ihre Schwere wechselt naturgemäß nach Klima und Art der Beschäftigung. Der B. kann hier nur über die Verhältnisse in Potma berichten, wo zu seiner Zeit eine große Möbelfabrik, Kleiderfabrik, Ziegelei usw. arbeiteten. Zahlreiche Brigaden arbeiten im Wald, in der Landwirtschaft, im Torf, beim Häuser-und Wegebau. Die Normen, die vor einigen Jahre noch erträglich waren, wurden ständig erhöht und waren in der letzten Zeit nur mehr von Rekordisten erfüllbar. Vor Einführung der Bezahlung (Sommer 1952) erfolgte der Arbeitsentgelt einerseits durch Besserstellung in der Ernährung (ein Erfolgarbeiter konnte zusätzlich zur Verpflegungsnorm bis dienen), andererseits durch Besserstellung der Wohnung und Bevorzugung in Bekleidung und Beschuhung. Ein Rekordist mit 300 Prozent konnte an der Maschine bis zu 30 Rubel täglich verdienen, jedoch sind solche Spitzenleistungen nur von ausgewählten Arbeitserfahrenen und nur tagweise erfüllbar. Im Durchschnitt konnte ein guter Arbeiter in der Fabrik mit einem monatlichen Reinverdienst um 100 Rubel rechnen, wofür er im Lagermagazin Brot, Margarine, Konfekt, Tabak, ausnahmsweise auch Wurst, Käse, Obst kaufen konnte. Wesentlich schlechter gestellt waren die nicht in der Fabrik beschäftigten Außenbrigaden, obwohl ihre Arbeit in jeder Hinsicht schwerer war. Ihr Verdienst überschritt selten 10 bis 20 Rubel im Monat und reichte kaum zum zureichenden Kauf zusätzlichen Schwarzbrotes und des unabdingbaren Machorka. Die Invalidenbrigaden besorgten den Innendienst im Lager, sie erhielten ihre Normration und sonst nichts, standen sich aber in den letzten Jahren dadurch besser, daß viele Fabrikarbeiter oder solche, die Pakete empfingen (was für Inländer möglich war), ihr Normbrot nicht aufaßen und den Invaliden überließen. Grober Hunger, der bis 1950 noch an der Tagesordnung war, kam in den letzten Jahren kaum mehr vor. Es kann kein Zweifel sein, daß die durchschnittliche Verpflegung eines im Lager arbeitenden Häftlings wesentlich besser war als die eines freien Kolchosniks, der nicht das Glück hatte, einer Musterkolchose anzugehören. Es geschah auch nicht selten, daß das niedere Aufsichtspersonal des MWD (mit einem Anfangsgehalt von etwa 500 Rubel) bei Vorhandensein einer größeren Familie mit Neid auf die „viel zu gute“ Versorgung mancher Häftlinge blickte. — Vom Bruttoeinkommen des arbeitenden und bezahlten Häftlings wurden für die Normerhöhung, Bekleidung, Wohnung und Bewachung (!) pro Tag 6 bis 8 Rubel abgezogen. Wenn der Bruttoverdienst das so errechnete „Kostgeld“ unterschritt, hörte der objektive Verdienst auf. Fehlarbeit wurde auf Verlust angerechnet und abgezogen, unter Umständen zusätzlich bestraft.

Die Verpflegungsnorm wurde in den letzten Jahren laufend verbessert und betrug zuletzt pro Tag 700 g (wasserreiches) Schwarzbrot, 13 g Fett, 20 g Zucker, etwa 100 g Salzfisch, gelegentlich etwas Fleisch, etwa 120 g Graupen, etwa 600 g Gemüse; sie wurde verringert — namentlich in den Invalidenlagern — durch den ausgebreiteten korruptiven Diebstahl (angefangen vom Empfang der Grundstoffe bis zur Verwässerung des Essens), der nicht nur unter Billigung der Obrigkeit zugunsten der Lageraristokratie (also der Häftlinge, die sich in Spitzenstellungen befinden) erfolgte, sondern auch von der Obrigkeit selbst teils zu eigenen Gunsten, teils zur Bezahlung besonderer Dienste (nicht zuletzt des Spitzelapparates) vorgenommen wurde. In den ausgesprochenen Arbeitslagern trat diese Korruption weniger in Erscheinung.

Die Häftlinge waren in großen Holzbaracken untergebracht, die wenigstens seit 19 50 ungezieferfrei und im ganzen als reinlich gelten konnten. Die diesbezügliche Aufsicht durch die Sanitätsinspektion und laufende Kommission ist sehr streng. Die Baracken waren früher immer überbelegt und auch in der letzten Zeit noch nicht mit ausreichendem Bettenplatz versorgt. Der Invalide, der früher zu viert auf 120 cm Pritschenbreite unterkommen mußte, lag zuletzt im allgemeinen noch zu dritt. Erst in der allerletzten Zeit, als die großen Verschiebungen begannen, kam es zu allgemeinen Erleichterungen der Unterbringung. Es ist klar, daß der Luftraum unter solcher Belegung in doppeletagiger Pritsche ganz ungenügend war. Auf der anderen Seite war die Lager-aristokratie und die Rekordarbeiterschaft demonstrativ bevorzugt, ihre Wohnsektionen waren schwach belegt. Jeder einzelne hatte seinen privaten Platz (60 cm), nicht wenige sogar ein richtiges Bett (Standardbett) mit Matratze, Kissen, reiner Decke und sogar einem Laken zur Verfügung. Die Beheizung war ausreichend. Der äußere Lagereindruck wurde demonstrativ von Jahr zu Jahr verbessert, jedes Lager hatte eine Schar von weißen Tauben, die munter zwischen den Palisaden herum-flogen und sie nur selten verließen, im Sommer war jeder freie Platz ein Blumenbeet, für deren Besorgung eigene Blumenbrigaden aus Invaliden verantwortlich waren.

Die Bekleidung wurde von Jahr zu Jahr verbessert, der erfolgreiche Arbeiter hatte alljährlich Anspruch auf eine Sommergarnitur (Baumwollrock und Hose) und eine Winterausstattung (Wattehose, Watterock), auf jeweils zwei Garnituren Wäsche und (in jedem zweiten bis dritten Jahr) auf ein Paar Schuhe. Die Ausstattung erfolgte neuwertig, während der schlechte Arbeiter und der Invalide sich mit den abgelegten und naturgemäß nicht immer ausreichenden Bekleidungsstücken der früheren Jahre begnügen mußte. Mütze, Rock und Hose waren numeriert. Die Wäsche wurde regelmäßig gewaschen, die persönliche Körperreinigung einschließlich Seife war ausreichend möglich.

Die Baracken waren elektrisch beleuchtet (Aggregatstrom) und seit 1952 mit Lautsprechern ausgestattet, die von morgens bis zum Schlafen-gehen ohne Unterbrechung dröhnten. Ein bis zweimal im Monat gab es Wanderkino, deren Haßpropaganda gegen Deutschland etwa ab 1952 fühlbar abnahm. Die Lagerbüchereien, ausschließlich in russischer Sprache, waren reichlich ausgestattet mit etwa 1500 bis 2000 Bänden auf ebenso viele Häftlinge; sie enthielten neben guter klassischer (teilweise redigierter) vorwiegend neuere Propagandaliteratur romanhafter Prägung, auch belehrende Werke. Die großen Zentralzeitungen lagen auf, wurden allerdings nicht regelmäßig ausgefolgt, daneben reichlich Provinzzeitungen, auch in den Landessprachen, niemals ausländische Presse-erzeugnisse, auch nicht solche der Satellitenstaaten. Viel und gut wurde Schach gespielt, Turniere regelmäßig organisiert. Gelegentlich gab es Liebhaberaufführungen. Kartenspiel war streng verboten.

Die ärztliche Versorgung war für sowjetische Verhältnisse ausgesprochen gut, weil eben gerade in den Regimelagern mit ihrem hohen Gehalt an Intelligenz ein reichliches Ärzteangebot besteht (während der Ärztemangel in den Allgemeinlagern geradezu bedrohlich scheint). Wenn der Chef der jeweiligen Sanitätsabteilung den ärztlichien Dienst nicht behinderte (was nur ausnahmsweise vorkam), wenn zwischen den (gefangenen) Ärzten selbst, insbesondere zwischen dem Ambulanzarzt und dem Krankenhausarzt, ein gutes Einvernehmen bestand, konnten jedenfalls entscheidende Gesundheitsgefährdungen der Belegschaft fast immer vermieden werden. Tragische Einzelfälle infolge Einmischung von Regimeorganen, die sich über die Anordnung der Sanitätsabteilung hinwegsetzten, kamen natürlich vor. Immerhin wurde die vor 1949 riesige Todesziffer ab diesem Zeitpunkt entscheidend gesenkt. Der Berichterstatter hat seit 1949 in allen Lagerkrankenhäusern, in denen er tätig war, bei einem Lagerkontingent um 1500 im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 20 bis 25 Sterbefälle erleben müssen, und sie alle starben eines natürlichen Todes. Bedenkt man, daß in den ersten Nachkriegsjahren die Sterblichkeit (wie auch in den ostpreußischen Lagern) 60 Prozent der Belegschaft erreichte (und im Norden auch überschritt), so ermißt man den seither erzielten Fortschritt. Die Verhältnisse in den Lagerkrankenhäusern waren auf strenge Anweisung von oben hinsichtlich Unterbringung, Ernährung, Sauberkeit, Pflege, insbesondere ärztlicher und medikamentöser Versorgung vom eindeutigen Bemühen getragen, vermeidbare Opfer zu vermeiden. Es bestand Krankenblattzwang, die ärztliche Sektion im Todesfall wurde gefördert und im Bereiche des Berichterstatters fast regelmäßig vollzogen. Die Toten wurden mindestens seit 19 50 mit einfacher Wäsche bekleidet im Tannensarg bestattet, ohne Zeremonie, ohne Begleitung der Kameraden, aber mit Numerierung und Registrierung jedes einzelnen Grabes in den immer außerhalb des Lagers gelegen Friedhöfen.

Der ärztliche Totenschein mußte in siebenfacher Ausfertigung erfolgen, der Verteilerschlüssel ging bis Moskau, es kann daher kein Zweifel sein, daß das Gulag (Zentrale Verwaltung der MGB-Regimelager) mindestens seit 1949 über jeden einzelnen Toten orientiert wurde und i s t.

Religiöse Übungen (Predigt, Gemeinschaftsbildung) waren streng verboten und praktisch unmöglich, jedoch religiöse Gespräche in kleinstem Kreise ebenso möglich wie andere „auf intellektueller Basis“. Religiöse Bücher, Bilder (selbst wenn es einmal gelingt, sie einzuschmuggeln) verfielen wie jedes andere nicht approbierte Druckerzeugnis der periodischen Durchsuchung („Schmon"), ihr Besitz wurde bestraft. Selbst bescheidene Festerinnerungen an Weihnachten, Ostern waren streng verboten, der kleinste grüne Zweig, von auswärts etwa zur Weihnachtszeit in die Baracke mitgebracht, wurde sofort beim nächsten Durchgang des Wachpersonals abgerissen. Andererseits wurden religiöse Einzel-handlungen (z. B. Beten mit der Palisade zugekehrtem Gesicht einschließlich Kreuzschlagen) im allgemeinen geduldet, je nach Laune verhöhnt, auch mal unterbrochen, aber nicht bestraft.

Das allgemeine und besondere Regime war bis zu Stalins Tod unverändert streng und ruhte, wie gesagt, auf der unangefochtenen, geschweige antastbaren Autorität der Obrigkeit, die praktisch im Besitze der unkontrollierten Allmacht war. Die Schranken zwischen dieser Obrigkeit und den Gefangenen waren nach außen hin unübersteiglich, von Seiten der Offiziere durch eisige Distanz, von Seiten der Wachorgane durch mehr oder minder gehässige Brutalität, von Seiten beider durch die Furcht vor Bestrafung im Falle geringster Vertraulichkeit gegenüber den Objekten des Systems gesichert, doch wurden sie unter gegebenen Verhältnissen unter vier Augen immer wieder durchbrochen. Es kam dabei, namentlich unter der lösenden Wirkung des Alkohols, nicht selten zu stimmungsmäßigen Ausbrüchen auch von Seiten höherer Offiziere, die sie im Falle der Anzeige im Augenblick selbst in Gefangene verwandelt hätten. Allerdings wäre es für den durch Vertraulichkeit ausgezeichneten Gefangenen, sofern er etwa Anzeige hätte erstatten wollen, nicht ungefährlich gewesen, dies zu tun, denn wie hätte er die unter vier Augen erhaltenen Erklärungen beweisen oder gar die sicher zu erwartende nachträgliche Behauptung einer lancierten Provokation widerlegen können?

Die Lage änderte sich, als der politische Bergrutsch nach Stalins Tod zunächst mit der Inhibierung des Ärzteprozesses, dann mit dem Sturze Berias, die bis dahin absolute Autorität des Regimes wie der örtlichen Obrigkeit zutiefst erschütterte und nicht nur bei den Gefangenen, sondern auch bei der Obrigkeit eine Unsicherheit erzeugte, die vordem nicht denkbar gewesen wäre. Dazu kam die nicht nur formale Auflösung des MGB-Staates, die mit den früheren „Wachablösungen“ von Tscheka über GPU zur NKWD und schließlich zum MGB nicht verglichen werden darf. Auch seine wirtschaftliche Basis wurde angeschlagen, fremde Ministerien stießen in seinen Machtbereich hinein. (Als der B. Potma verließ, waren Umorganisationen tiefgreifendster Art im Gange.) Das Regime wurde weich, die Arbeitsmoral sank erschreckend, die wirtschaftliche Desorganisation in Materialzufuhr und Produktionsausstoß griff reißend um sich, die Konflikte der nun ineinandergreifenden ministeriellen Kompetenzen wurden vor den Augen der Häftlinge ausgetragen, ohne daß die Zentrale eingriff.. — Auf alles dies wird später noch zurückzukommen sein. Bemerkt sei nur, daß sich gleiches um die gleiche Zeit in allen Regimelagerbereichen der ganzen Union (und auch außerhalb der Palisaden!) abspielte.

Die Einzellager in Potma hatten eine durchschnittliche Belegschaft zwischen 1500— 2000. Seit Herbst 195 3 erfolgte eine rasche Verminderung. Ganze Lager wurden aufgelöst, Großtransporte gingen nach Osten, mit großer Wahrscheinlichkeit unter gleichzeitiger Entlassung aus dem Regime-in Allgemeinlager, angeblich nach Orten dringender Arbeitsvorhaben östlich des Urals, jedenfalls ohne Rücksicht auf den Menschen-bedarf der örtlichen Werke in Potma. Lim diese Zeit wären diese Werke bereits dem Industrieministeriim in Saransk unterstellt, während die Belegschaft, wie bisheraus (den noch übriggebliebenen) Sträflingen formiert, dem Lagerchef zugehörte, der seinerseits, früher MGB, nun MWD-Mann, dem JübtiziriiinisterTum untergeordnet werden'sollte. Zwischen dem Fabrik-und Lagerchef herrschte Dauerfehde, ohne jede Verhüllung vor den Lagerinsassen (ein früher unerhörter Vorgang), beide Chefs fuhren abwechselnd mit schweren Beschuldigungen gegeneinander nach Moskau, ohne daß von dort ein schlichtender Befehl erging (ein früher undenkbarer Vorgang!).

In den Lagern, meist Männer-, aber auch einigen Frauenlagern, befanden sich alle inländischen Nationen: neben Großrussen und Weiß-russen vor allem LIkrainer, viele Balten, aber auch Kaukasier, Uralier, Sibiriaken, Kasaken, Turkmenen usw., auffallend viele Juden (der B. hat in einem Invalidenlager einmal rund 10 Prozent berechnet), gegen die vor der Inhibierung des Ärzteprozesses, als zur Zeit des Abbruches, der Beziehungen mit Israel eine antisemitische Welle die ganze Linien erfaßte und eifrig von oben gepflegt wurde, auch im Lager eine gehässige Stimmung entstand und von der Obrigkeit mehr als geduldet wurde. Es fielen damals von Seiten niederer Wachorgane jene bekannten antijüdischen Schimpfwörter unter johlendem Gelächter, für welche ein einfacher Bürger noch wenige Jahre vorher sofort verhaftet und verurteilt worden wäre. Erfahrene jüdische Intellektuelle sagten damals dem Berichterstatter wiederholt, daß sie im Falle weiterer Entwickelung dieser Welle mit Pogromen rechnen müßten. — Die Ausländer bildeten eine kleine Insel im sowjetischen Meer, am stärksten vertreten waren Deutsche und Ungarn. Nach dem Abtransport aller in den Lagern befindlichen verurteilten Kriegsgefangenen (mit Beendigung der Aktion etwa im Februar 1952) und anschließend der Österreicher verblieben nur kleine Häuflein von Deutschen. Ihre Zahl betrug z. B. im letzten Lager des Berichterstatters im Sommer 195 3 zwei Dutzend, davon ging die Hälfte im Juni 1953 „auf Etappe“ (wie sich später herausstellte nach Tapiau in Ostpreußen und im Spätherbst 195 3) nach Deutschland. AIs der Berichterstatter am 11. Dezember 195 3 sein letzter Lager verließ, blieben noch 11 Kameraden zurück.

Die Haltung der deutschen Kameraden, mit denen der Berichterstatter im Laufe der Jahre zusammentraf, war mit wenigen Ausnahmen standhaft, tapfer, treu und hilfsbereit, ihre Stimmung ernst, in früheren Jahren schier hoffnungslos, aber ohne seelischen Bruch, seit Sommer 1953 hoffnungsvoller, aber natürlich durch die Verzettelung der Freigabe gedrückt und belastet. Das Verhältnis der Deutschen war naturgemäß am besten zu den Ungarn und Balten, aber auch durch keine Schwierigkeit gegenüber den anderen Nationen gestört. Fast jeder Deutsche, gleichgültig auf welchem Platz, galt als hervorragender Arbeiter und war es auch gemessen an seiner Umgebung. Selbst das Regime hatte es (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) mit den Deutschen leicht und erkannte dies auch an.

Am 10. Dezember 19 53 wurde der B. mit drei Kameraden aus seinem Lager nach der Kopfschleusenstation des Großlagerbereiches (Station Potma) in Marsch gesetzt, dort am Abend mit neuem Wattezeug (ohne Nummern) ausgerüstet und am nächsten frühen Morgen mit wenigen Kameraden aus anderen Lagern vor das Lager geführt. Ein junger Offizier trat liebenswürdig lächelnd vor und erklärte: „Sie gehen nun in ein Sammellager und von dort weiterhin nach Deutschland!“ — Kein Wort mehr, keine juridische Erklärung, keine Straffreigabe, keine andere Unterschrift als die, daß „keine weiteren Prätensionen an den Lager-bereich Potma bestünden“. (Wenn Gefangene nach normaler Beendigung ihrer Haftzeit das Lager verlassen, gleichgültig wohin, müssen sie unterschreiben und sich feierlich verpflichten, nach dem Verlassen des Lagers über nichts dort Gesehenes oder Gehörtes irgendwem zu berichten.) — Der Zug traf ein und wurde bestiegen, aber — zwar mit Konvoi — aber nicht im Stolypin-Stalinwagen, sondern im normalen Pullmannwagen mitten unter allen Reisenden, die uns ebenso fassungslos anstarrten wie wir sie, uns aber unter einem Wink der Begleitung Platz machten. Die Begleitung hatte nur den Zweck, Berührungen zwischen uns und den sowjetischen Passagieren zu verhindern, und das Ziel, uns diese vorletzte Fahrt — so angenehm wie möglich zu machen. — Nach wenigen Tagen war das Sammellager im Donbas bei Woroschilowgrad erreicht, wo sich nun langsam und in kleinsten Häuflein aus allen Ecken und Enden der Union kommend bis Mitte Januar 1954 rund 400 bisherige Regime-häftlinge vereinigten. Zweierlei scheint dem B. aus dieser Zeit mitteilungswert: 1. die offenbare Absicht, aus allen im Westen bekannt gewordenen Regimebereichen ein wenn auch noch so kleines Häuflein zu entsenden, gewissermaßen, um seine Visitenkarte zu bekräftigen und darzutun, daß Schweigelager nicht existieren, und 2. die gleichgültige, um nicht zu sagen rücksichtslose Art unserer Behandlung durch die örtliche Obrigkeit. Es wurde nicht nur auf jede auch nur angedeutete Propaganda (im Sinne eines letzten guten Eindruckes etwa) geradezu demonstrativ verzichtet, sondern es wurde unverhüllt gezeigt, seht zu, daß ihr wegkommt, wir haben euch (als Deutsche) abgeschrieben. Und seit Jahren haben wir nicht so gehungert und gefroren wie in diesen letzten 4 Wochen in Krasnopol, nicht, weil weniger angeliefert wurde (die Anlieferung ist in allen Lagern die gleiche), aber weil um so ausgiebiger gestohlen und verschoben wurde. Wäre damals nicht in unsern Transport der Zivilregimegefangenen zwischen Weihnachten und Neujahr ein Transport heimkehrender Kriegsgefangener eingeschoben worden (die bereits längere Zeit Paketempfänger waren und uns reichlich mit seit vielen Jahren nicht mehr gesehenen Köstlichkeiten beschenkten), wäre es uns in diesen Wochen übel ergangen. — Vor der Abreise am 15. Januar mit Ankunft in Fürstenwalde am 21. Januar 1954 wurde lediglich festgestellt, wer der Freigegebenen in die Sowjetische Zone Deutschlands und wer in die Bundesrepublik entlassen werden wolle. Eine Begründung wurde nicht verlangt, jeder Erklärung wurde statfgegeben. — Am 22. Januar trafen die für die Bundesrepublik Bestimmten in Friedland ein, die für Mitteldeutschland Bestimmten waren bereits in Fürstenwalde abgetrennt worden.

Erfahrungen, Meinungen und Gedanken (1945-54) in der und über die Sowjetunion

Der Berichterstatter will nun versuchen, ein Bild der Begegnungen und Berührungen zu formen, die sich ihm in neun Jahren anboten. Ob dieses Bild, das sich vor allem in zahllosen Gesprächen mit klugen, gebildeten und erfahrenen Männern der anderen Seite langsam, aber immer klarer formte, richtig ist, wird die Zukunft lehren. Der Berichterstatter kann es nur schildern, wie es sich ihm darstellte und wie er es sehen lernte.

Das Menschentum Der Berichterstatter bekennt sich zur Überzeugung, daß allein das Menschentum am Anfang wie Ende jedes geschichtlichen Geschehens steht. Es formt aus einem Volk in seiner gegebenen Umwelt eine Nation. Die Nation macht dann Kultur und Zivilisation, Wissenschaft und Kunst, Politik und Wirtschaft, sie kämpft, siegt, unterliegt, aber sie unterliegt erst dann, wenn das Menschentum, das sie trägt, abstirbt. Solange es lebt, lebt es nach dem Gesetz, nach dem es angetreten ist, und hört auf den Erbruf seiner Seele, der es in all seinen Trieben und Strebungen führt. Wer dieses Gesetz der Seele als Idee hinter der Erscheinung nicht kennt und seine biologische Substanz nicht begreift, kann auch den Rahmen, innerhalb dessen eine Nation sich entfaltet und immer wieder handeln wird, nicht erkennen.

Im sowjetischen Raum lebt heute nach amtlichen Sprachgebrauch der sowjetische Mensch. Dieser sowjetische Mensch ist das offizielle Subjekt wie Objekt des amtlich so benannten und manipulierten sowjetischen Patriotismus. Dieser wird gekennzeichnet als ein Produkt aus nationaler Kultur im Geiste des proletarischen Internationalismus. Diese Definition ist ein Musterbeispiel der Logik des dialektischen Materialismus.

Nun, dieser sowjetische Mensch existiert nicht. Er existiert ebenso-wenig wie der sowjetische Patriotismus. Was existiert, ist eine Unzahl von Völkern, Völkerschaften, Volkssplittern und eine kleinste Zahl erst in Ausprägung befindlicher Nationen, aber nur eine einzige wirkliche, ihrer selbst völlig bewußt gewordene und geformte Groß-nation — das Großrussentum. Sein biologisches, militärisches, kulturelles, wirtschaftliches und nicht zuletzt geopolitisches Übergewicht ist s o groß, daß ihm die absolute Führung nicht nur als proklamierter Anspruch, sondern als unabdingbare Wirklichkeit zukommt. Und dieses wird so bleiben, solange der in zunehmender Integration befindliche Riesenraum nicht von außen her in Frage gestellt wird. Von innen her wird eine Gefährdung dieses Primats trotz aller immer wieder aufkommenden partikularen Emotionen und Diversionen niemals geschehen. Daran werden weder ukrainische Wildheit noch grusinische List, weder baltischer Trotz noch turkmenische Geduld etwas ändern. Daran werden auch innerpolitische Systemstörungen oder wirtschaftliche Bedrohungen nichts ändern. Selbst eine von außen kommende und erfolgreiche militärische Intervention könnte nur eine vorübergehende Änderung bewirken und würde eine Episode bleiben. Denn nach dem Abzug der okkupierenden Macht wird das Großrussentum früher oder später den ihm zugehörigen geopolitischen Großraum wieder unter seiner Führung vereinen. Jede Politik, die diesen Lebensgrundsatz des nachbarlichen Riesenraumes nicht begreift, wird daran scheitern.

Zur Zeit unterwandert und überwandert dieses Großrussentum den ganzen Raum der Union in vielfältiger, aber systematischer, halb unbewußter, halb bewußter Weise. Es allein formt und führt alle derzeitigen Handlungsinstrumente der Macht: Partei, Armee, Staat. Jede andere Nation kann auf den politischen, wirtschaftlichen und selbst kulturellen Gesamtvorgang der Entwicklung nur insofern Einfluß nehmen, als sie — nach großrussischer Auswahl! — Einzelpersonen abstellt, die aber — gewollt oder ungewollt — wieder nur in großrussischer Prägung und Tendierung ihrerseits Einfluß gewinnen können. Diesem Vorgang konnte sich selbst Stalin nicht entziehen, als die größte Not der Bedrohung zur Integration aller Kräfte zwang. Dieser Vorgang wurde und wird nur äußerlich zu maskieren versucht, wenn in den unionalen und regionalen Körperschaften, insbesondere ihren sichtbaren Spitzen mit entsprechender Sorgfalt und Auswahl Männer im periodischen Turnus herausgestellt werden, die typische nichtrussisch-nationale Namen tragen, typische und stereotype nationale Kulturreden halten, aber beim leisesten Versuch einer echten nichtrussisch-nationalen Sprache oder gar Betätigung sofort und für immer verschwinden.

Man kann zusammenfassen: Aller sogenannte Sowjetpatriotismus ist letzthin großrussischer Patriotismus, sein Träger ist das großrussische Menschentum, am Ende steht, wenn die Union des Vielvölkerstaates nicht entscheidend von außen her in Frage gestellt wird, der russisch nicht nur sprechende, sondern auch fühlende, denkende, handelnde einheitliche imperiale Großraum, nach dessen zureichender Ausformung dann wohl eine neue Geschichtsepoche beginnen mag, gemessen an welcher die ganze bisherige russische Geschichte nur Vorgeschichte darstellt, vielleicht zeitlich zu vergleichen dem, was im Abendland dem Verhältnis der Zeit vor zu der nach dem großen Karl entspricht. Es ist daher, solange dieser integrative Vorgang nicht von außen her unterbrochen oder gar in Frage gestellt wird (sofern dieses überhaupt möglich ist), politisch und geschichtlich gleichgültig, wie ein Ukrainer oder Weißrusse, ein Balte oder Grusinier, ein Turkmene oder Kirgise als solcher fühlt, denkt und handelt, bzw. handeln würde, wenn er es nach seinem Gesetze könnte, sondern wichtig ist allein, wer ist, wie fühlt, denkt und wird vermutlich handeln der Großraummensch groß-russischer Prägung, der bei aller Nuancierung schon heute erstaunlich einheitlich ist, und nicht nur dem Fremden, sondern auch sich selbst so erscheint.

Dieses Menschentum hat, im Schnitt betrachtet, also unter verstehender Einkalkulierung der individuellen Plus-Minusvariation, typische und immer wieder aufscheinende Eigenschaften, die unabhängig vom Grade des jeweils vorhandenen, mehr oder minder geschulten, aber durchaus hohen Intellekts von seinem eigensten Seelentum geprägt erscheinen, jedenfalls von ihm nicht abgetrennt werden können und auf sein Handeln in jedem Falle bestimmend einwirken. Es sind dies Eigenschaften, die auf der einen Seite unter bestimmten integrierenden Bedingungen außerordentliche Leistungen bewerkstelligen können (man kann sie die positivierenden nennen), auf der andern Seite ebenfalls nur unter integrierenden Bedingungen in ihrer schädlichen Auswirkung überwunden oder wenigstens neutralisiert werden können (man kann sie die negativierenden nennen).

Die ersteren positivierenden Eigenschaften heißen: Tapferkeit bis zum leicht erzeugbaren Elan, Bedürfnislosigkeit und Leidensfähigkeit bis zur Sturheit, das Sichabfindenkönnen mit allem, was unabänderlich erscheint, die Gutmütigkeit und leichte Lenkbarkeit im nicht entflammten Zustande, das schnelle Vergessen erlittener Unbill, die leichte Entflammbarkeit für neue, vor allem das Herz ansprechende Ideen, nicht zuletzt die große Fähigkeit, zu improvisieren und sich auf eine neue Lage mit Erfolg einstellen zu können. Es ist klar, in welchem Maße diese Eigenschaften bei geschickter Ausnützung durch eine wissenschaftlich hierfür geschulte und kalt rechnende Führungsschicht im Kollektiv zu höchster Wirkung geführt werden können.

Die letzteren negativierenden Eigenschaften heißen: Unberechenbare Unbeständigkeit in allem und jedem, im Fühlen, Denken und Handeln, periodische Initiativlosigkeit und Faulheit bis zum totalen Extrem, die immer wieder aufbrechende, wie ungewollte, selbst kaum empfundene LInwahrhaftigkeit und Untreue gegenüber sich selbst wie gegen den andern, aus allem folgend ein unüberwindlicher Hang zur Plan-wie Disziplinlosigkeit, der durch Papierplanung und Befehlsgebärde zu maskieren versucht wird. Es ist wiederum klar, daß diese Eigenschaften die Entfaltung des individuellen russischen Menschen zu tiefer und weiter Wirksamkeit sehr erschweren, wenn sie nicht durch eine unbedingte Befehlsgewalt und ein zusammenfassendes Kollektiv, wenn schon nicht überwunden, so doch wenigstens einigermaßen neutralisiert werden kön nen. Diese Eigenschaften sind dafür verantwortlich, daß der russische Mensch, wenn er allein auf sich gestellt, also in Freiheit und um der Sache selbst willen etwas tun oder gar leisten soll, so selten das erreicht, was er im gelenkten Kollektiv ohne Schwierigkeit vollbringt — dadurch vollbringt, daß die Aufhebung der persönlichen Freiheit und Verantwortung gelungen ist. Und dieses geschah und geschieht durch die Einführung des totalen individuellen wie kollektiven Terrors als des entscheidenden Handlungsinstrumentes, mittels dessen der absolute Machtstaat, der Gossudar, gestern in petrinischer, heute in bolschewikischer Form, seine unabdingbare integrierende Funktion ausübt.

Wenn es dem Gossudar solcherweise gelingt, die positivierenden Eigenschaften seiner Untertanen zusammenzufassen und zusätzlich zu stärken, die negativierenden aber wenigstens zu paralysieren, wenn er es überdies zuwege bringt, diese Aufgabe zunehmend milder in der Form, wenn auch ohne Schwäche in der Sache, zu erfüllen — dann hat er ein Menschentum zur Verfügung, mit dem er noch viel mehr erreichen kann, als er bisher erreichen konnte, zumal wenn es einer hochgezüchteten Führung gelingt, sich stabil, permanent und zunehmend legitim zu verankern. Zum Glück für die Nachbarn ist dieses Streben bisher noch nie zur vollen Wirksamkeit gediehen, aber es wurde von jedem seiner selbst sicheren Gossudar neu ausgenommen und vorangetrieben. Was auch immer Großes in Rußland geschah — allerdings immer unter welchen Opfern an Blut und Tränen —, gleichgültig ob durch den grausamen Iwan oder den großen Peter, durch die große Katharina oder den ersten Nikolai, durch Lenin oder Stalin — immer haben sie, die Machthaber im Mantel des Gossudars, mit gleichem Führungsanspruch und gleichen Mitteln gleiche Ziele am gleichen Menschentum angestrebt, und immer war der zeitliche Erfolg um so größer, je härter der Vollzug des Terrors und je vollkommener die Aufhebung der Freiheit gelang.

Darum wird einerseits der östliche Koloß einem biologisch noch nicht erstorbenen und seiner Seele noch bewußten Abendland immer nur vorübergehend und beschränkt gefährlich werden können, darum wird anderseits ein russisch geprägter imperialer Großraum niemals in Freiheit errichtet und erhalten werden können.

Darum auch tritt dieser Großraum immer wieder und sofort in eine entscheidende Gefährdung seines Bestandes, wenn eine von innen her kommende Bedrohung der integrierenden und neutralisierenden Führungsmacht des Gossudars mit einem von außen her kommenden Druck zusammenfällt, wie es zur Zeit geschieht und noch für einige Jahre Geltung haben wird.

Spricht man vom russischen Menschentum, seiner seelischen Beeigenschaftung und vitalrassischen Qualifikation, dann darf man an drängenden Bevölkerungsproblemen nicht vorbeigehen, die schon jetzt den Gegenstand . zunehmender, . Sorge, und Abwehr von Seiten derStaatsführung bilden.

Die heutige Sowjetunion ist ein Raum ohne Volk, auf mehr als 20 Millionen Quadratkilometern-wohnten vor dem Kriege (nach glaubwürdiger Schätzung) nicht mehr als 180— 190 Millionen Menschen, sollen jetzt mehr als 220 Millionen wohnen. Die Kriegsverluste werden amtlich mit etwa 18 Millionen angegeben. Nach dem Kriege hat man eine Volkszählung durchgeführt, das Ergebnis soll so unerwartet gewesen sein, daß man jedenfalls seine Veröffentlichung zunächst nicht wagte, den Leiter der Wahlaktion (im ministerialen Rang) der Sabotage zieh und erschoß. Der derzeitige Geburtenzuschuß soll nach Malenkow im Jahr 3 Millionen betragen, über die Sterblichkeit wurde nicht gesprochen, es blieb unklar, ob die angezogenen Millionen als Geburtlichkeit oder Geburtenüberschuß aufzufassen sind. Setzt man die gebrachten Zahlen zueinander in Beziehung, kommt man auf eine heutige Gesamtbevölkerung, die wesentlich unter 220 Millionen liegen muß.

In diesem Zusammenhang möchte der Berichterstatter zitieren, was ihm erfahrene Gewährsmänner, frühere Mitarbeiter im Apparat des ZK und alte Parteigenossen, immer wieder sagten: „Glauben Sie keiner Zahl, die publiziert wird, es ist jede falsch oder richtig, wie es der jeweils nötigen Manipulation entspricht.“ Lind andere Gesprächspartner — Chefkonstrukteure und Werksführer, Wirtschaftsdirektoren und Nationalökonomen haben dasselbe LIrteil bei jeder Gelegenheit wiederholt und mit unzähligen Beispielen bekräftigt. Sie sagten: „Grundsätzlich ist bei uns alles, was Zahlen angeht, eine einzige Manipulation zum Zwecke der Mystifikation, deren Handhabung eine Wissenschaft für sich bildet.“ Und dasselbe hat jeder Arbeiter wie Buchhalter innerhalb wie außerhalb des Lagers täglich erlebt und, soweit möglich, selbst praktiziert, gleichgültig ob es um die Normerfüllung der Arbeitsbrigade, des Werkbetriebs oder des Staatsplans ging. Geistreich-verbitterte Köpfe haben dem Berichterstatter gesagt: „Hätten wir nicht die Korrumpierung und Manipulierung jeden Planes, im kleinen wie im großen, zur höchsten Kunst und Wissenschaft ausgebildet, hätten wir keinen Plan auch nur einigermaßen durchgeführt, nur die organisierende Kraft unserer Korruption und Manipulation ermöglicht einigermaßen die Ueberwindung der plan-haften Desorganisierung." — Der Berichterstatter hat diese Zitate in diesem Zusammenhang auch deshalb gebracht, um die Möglichkeit einer Lieberwindung der legalen Desorganisation durch die illegale Improvisation als im Weltbild des russischen Menschentums nicht nur berechtigt, sondern notwendig hinzustellen.

Diese Gefahr der drohenden Stagnation der Bevölkerung in einem relativen Vakuum des zugehörigen Raumes ist tödlich, nicht gegenüber dem Westen, aber gegenüber dem Osten und seinem ungeheuren, von Jahr zu Jahr zunehmenden biologischen Druck. Daher entstand und wird von Jahr zu Jahr verstärkt die propagandistische Aufrüstung des gesamten Partei-und Staatsapparates im Kampf gegen die abnehmende biologische Sicherung: die Wiederherstellung und zunehmende Betonung der Familien-und Ehemoral, die Herausstellung des Kinderreichtums als leuchtenden Beispieles der tätigen Vaterlandsliebe, die zunehmende Erschwerung der Ehescheidung, der ausnehmende Mutterschutz, die Prämiierung und Ordensehrung der kinderreichen Mutter, die „Heldenmutter“, nicht zuletzt das Verbot und die strenge Bestrafung der künstlichen Abtreibune

Aber diese Maßnahmen der Propaganda und Gesetzregelung werden zu spät kommen, selbst wenn es ihnen gelänge, die Nachwirkung der früheren entgegengesetzten Propaganda und Gesetzgebung (von der systematischen Zerstörung der Ehe und Familie bis zur staatlichen Abtreibungsklinik) zu neutralisieren. Denn inzwischen haben sich soziologische Umschichtungen und Entwicklungen angebahnt, welche in ihrer zunehmenden Auswirkung von keiner Propaganda und Gesetzgebung aufgehalten werden können und in ihrer Gesamtwirkung den jetzt noch bestehenden Geburtenüberschuß rasch verkleinern müssen.

Die wichtigsten dieser Einflüsse sind folgende: 1. Die rasende Verstädterung in den Nachkriegsjahren, auf die Malenkow bereits mit Besorgnis hinwies, obwohl das rasche Anwachsen der Riesenstädte (mit Wolkenkratzern ohne Raumnot) noch vor wenigen Jahren geradezu als Symbol der progressiven Zivilisation galt, welche Amerika überholen müsse. Moskau hat heute amtlich etwa 6— 7 Millionen Einwohner, in Wirklichkeit wesentlich mehr, doch kennt niemand die wirkliche Zahl. Daneben wachsen-Dutzende von Städten hoch, die die Millionengrenze schon überschritten haben oder bald erreichen werden. Diese Massen-ansammlung in den Großstädten, bei völlig unzureichendem Wohnraum, dessen Durchschnittselend immer größer wird, gefährdet aber nicht nur die Ehe und Familie und macht kinderreiche Familien praktisch unmöglich, sondern sie ist zudem vergesellschaftet mit einer Dissoziation der Geschlechter (nicht so sehr infolge der jahrelangen Unterbringung der jüngeren Generation in „Allgemeinwohnstätten“) als infolge einer zahlenmäßig bei weitem überwiegenden Landflucht gerade des Mannes und seiner komplementären Massierung in den Großstädten.

Man kann dies gut eikennen, wenn man die Bildaufnahmen der täglichen Meetings aller Sparten in den Zeitungen der großen Städte, der Provinz und des Landes miteinander vergleicht. Man kann auf diesen Massenbildern mehrere hundert Menschen gut ausmachen. In den Großstädten dominiert der Mann, vor allem der jüngeren Generation, in den mittleren und vor allem kleineren Städten tritt der Mann zunehmend zurück, in den Kolchosen wird der Mann bereits einzeln zählbar, man kann ohne Liebertreibung sagen, daß auf vielen Bildern einem Mann mehr als 100 Frauen zahlenmäßig entsprechen. — Den gleichen Eindruck vermittelt die seltene Korrespondenz der Kolchosenfrauen an ihre Männer ins Lager: „Nun haben wir fast nur mehr Alte, Kranke und Kinder, wir Frauen müssen alles alleine schaffen.“ Wie viele solche und ähnliche Aussprüche hat der Berichterstatter in den letzten Jahren gehört und gelesen.

An zweiter Stelle steht der zerstörende Verschleiß der Frau als Frau durch totalen Arbeitseinsatz bei gleicher Normanforderung. Und 3. die Kinder vieler Millionen Soldaten fallen für Jahre, die von Millionen Verurteilter für viele Jahre oder für immer aus. — Nicht zuletzt muß auch die zwar verbotene und bestrafte, aber immer weitere Kreise erfassende Abtreibung in Betracht gezogen werden.

Die geistige Grundhaltung des großrussisch geprägten heutigen Sowjetmenschen

Will man über diese Frage sprechen, muß man zunächst klarmachen, von wem man spricht. Ohne zu sehr zu schematisieren, wird man drei große Gruppen unterscheiden dürfen: 1. die sogenannte schaffende Intelligenz — und man kann ihr zurechnen überdies den mittleren und höheren Funktionär der Partei und des Staates, den Offizier der Wehrmacht und der Tscheka (MGB, MWD), den qualifizierten Facharbeiter und den leitenden Funktionär der Kolchosen und insbesondere MTS (Maschinen-Traktorenstationen). 2. Das frühere Bauerntum, soweit es noch nicht endgültig kolchosiert-fellachisiert wurde. 3. Die graue Masse des hin und her geschobenen Termitentums.

Es ist verständlich, daß man beim letzteren eine lebendige, bewegende seelisch-geistige Grundhaltung überhaupt nicht feststellen kann. Wohl kann erwartet werden, daß mit einer langsam fortschreitenden Hebung seines Lebensstandards auch bei ihm Lebenswünsche erwachen, die über das Primitive hinausgehen, zunächst aber und wohl für eine geraume Zeit wird dieses Menschentum allein beherrscht vom einfachen Kampf ums nackte Dasein und den daraus ableitbaren Forderungen. Diese betreffen die tägliche Sicherung eines einigermaßen ausreichenden Quantums an Kartoffeln und Kohl, wenn möglich Brot und Machorka, im Idealfall Wodka, dazu eine ebenfalls nur einigermaßen ausreichende Sicherung vor Kälte in Kleidung und primitivster Wohnunterkunft. Mehr kann dieses Menschentum zur Zeit weder erwarten noch erreichen, ja kaum wünschen, für Politik interessiert es sich nicht, weil es niemandem mehr glaubt'. Religiöse Bedürfnisse (und nur mehr unter den Älteren) beschränken sich auf gelegentliche dunkle Emotionen und äußerliche Formalien. Gefühlsbewegungen echter Prägung scheinen nur in bezug auf Familie und nächste Freundschaft auf. — Wird aber dieses Menschentum richtig psychologisch angefaßt, seiner Lethargie (und sei es nur für Stunden oder Tage) entrissen, durch Aussicht auf individuellen Zusatz-lohn angereizt (und hierfür genügen Wodka und — Lob’), dann wird auch dieses Menschentum im Ernstfälle der Gefährdung des von ihm gehaßten Systems sich nicht gegen dieses wenden, sondern bei richtiger Emotionierung in jedem Falle „richtig funktionieren“, d. h. noch mehr arbeiten, noch mehr leiden, gegebenenfalls auch tapfer kämpfen. Niemals wird es sich daher dem System gefährlich erweisen, solange es in dessen intakter Lenkung bleibt, und immer wird es einer von außen kommenden Propaganda mißtrauisch gegenüberstehen, solange die eigene autoritativ unangefochten ist.

Die zweite Gruppe, die trotz des ungeheuren Kulakenmordes auch heute noch — namentlich im Süden und Osten — nicht gering ist, kennt nur eine Grundhaltung, nur eine Sehnsucht: aus dem Kolchos herauszukommen und wieder eigenes Land zu haben — selbst auf die Gefahr einer vorübergehenden ökonomischen Minderung ihrer individuellen Existenz. Dieses bäuerliche Menschentum ist wahrscheinlich auch das einzige, in welchem christlich-nationale Traditionen pravoslaver Prägung wenigstens beschränkt und bei der älteren Generation noch wirksam sind. Allerdings erscheint auch ihr Restchristentum mehr traditional und formal geprägt, . eine Einheit von Glauben und Leben, die man dem alten Kulakentum offenbar mit Recht zubilligte, läßt sich kaum je erweisen, einen echten seelisch-religiösen, geschweige missionarischen Aufschwung kann man wohl nur bei den Sekten finden, die im Lager echte Märtyrer herauszustellen auch heute noch imstande sind. Im ganzen scheint es, daß der furchtbare Kulakenmord, der in den dreißiger Jahren begann und sich bis in den Nachkrieg hinein fortsetzte, das alte russische Bauerntum biologisch bis ins Mark getroffen hat. Wieweit davon noch eine Erholung möglich ist, d. h. wieweit der Verlust eines übergroßen Anteils wertvollster biologischer Erbketten überhaupt verwunden werden kann, darüber kann ein Llrteil wohl noch lange nicht gegeben werden. Zunächst jedenfalls muß das seiner selbst noch bewußte russische Bauerntum wie ausgeschlackt erscheinen.

Daraus ergibt sich, daß ein Aufschluß über die derzeitigen seelisch-geistigen Spannungen und Strömungen nur bei der ersten Gruppe gesucht und — soweit es sich überhaupt um einflußnehmende Zukunftsträchtigkeit handelt — gefunden werden kann. Denn diese Gruppe hält nicht nur die Nation zusammen und steht ihr führungsmäßig vor, sondern gibt ihr auch konventionell und gesellschaftlich das Gepräge. Sie scheint sich von der überschmalen obersten Führungsschicht in Wort-und Begriffsbildung formal noch kaum zu unterscheiden, hat aber unter der Oberfläche einen bereits sichtbar werdenden Aufbruch begonnen, der aus der offiziellen Staats-wie Gesellschaftslehre zunehmend herausführt, sich im wirklichen Leben zu ihnen in Gegensatz stellt und auf alten Wegen neuen, im Umriß bereits gut erkennbaren Zielen zustrebt.

Will man diesen Aufbruch schildern, muß man mit zwei negativen Feststellungen beginnen:

1. Ein echtes Angerührtsein von Problemen christlichen Bewußtseinsinhaltes, sei es vergangener, sei es künftiger Prägung, ist in diesen Kreisen nicht festzustellen, und es muß daher sehr fraglich erscheinen, ob diese Problematik in absehbarer Zukunft eine wesentliche Wirksamkeit entfalten wird.

2. Man lasse sich in diesem Zusammenhänge nicht täuschen von den Besuchsreisen und -empfängen der heutigen orthodoxen Restkirche, die in Wirklichkeit einerseits ein manipuliertes Instrument in der Hand des Systems, anderseits ein Haupt ohne Glieder, d. h. ein synodaler Episkopat ohne pastoralen Unterbau ist, und noch weniger von den rührenden Berichten journalistischer Reporter über die zu allen Tageszeiten übervollen Kirchen. Dieser Besuch betrifft nur bestimmte und sehr, sehr wenige Kirchen, seine Relation zur wirklichen Bevölkerungszahl ist nicht ausdrückbar gering, seine Beweggründe sind zum großen Teil traditionell-formalistisch, zudem ist er auch im ganzen streng gelenkt und manipuliert.

Entscheidend ist nicht, daß das System und seine dialektisch-materialistische Grundlegung jeden religiösen, wie insbesondere christlichen Führungs-und Geltungsanspruch nicht nur wie je ablehnt und ohne Duldsamkeit bekämpft, wo es auch nur eine erste Regung davon verspürt, sondern daß auch die Menschen, die sich vom System abgewandt haben und dafür bewußt in den Tod oder wenigstens in den Kerker gingen und gehen, dieses nicht unter dem inneren Zwange irgendeiner christlichen Berufung taten und tun, sondern — sofern die Beweggründe der Gegnerschaft echt und innerlich sind und nicht von zufälligen äußeren Faktoren abhängig waren — aus einem Glaubensinhalt heraus, der noch zu kennzeichnen sein wird. Es scheint allerdings möglich, daß dieser Glaubensinhalt später einen engeren Anschluß an alt-neue christliche Heilslehren etwa Dostojewskijscher Prägung suchen und finden wird. '

Auf der andern Seite kann man folgendes feststellen: so sehr die offizielle Wort-und Begriffsbildung von der Terminologie des dialektischen Materialismus geprägt wird und sich wie unwillkürlich auch auf die konventionelle Gesprächsformung überträgt — und dieses geht so weit, daß jüngere, gebildete, kritische Russen streng antisowjetischer Gesinnung im persönlichen Gespräch konterrevolutionärster Zielsetzung immer wieder in diese ihnen geläufige, wiewohl abgelehnte Symbol-sprache verfallen —, so sehr schließlich jeder einzelne im öffentlichen Gespräch überhaupt nur im offiziellen Jargon sprechen und antworten kann, so total ist die Trennung von Glauben und Leben, die Spaltung von Lehre und Werk. Über den Marxismus-Leninismus als solchen diskutiert man nicht mehr, er ist Totem und Tabu zugleich, seine Worte zitiert man zwar täglich dogmatisch und zelebriert sie in den Gebärden der Parteiliturgie, aber planen und handeln muß man im wirklichen, im täglichen Leben, als ob das alles nicht bestünde. Ein innerliches Ringen um diese Dinge, um ihren seelischen Inhalt, um eine Einheit von Dogma und Wirklichkeit, geschweige von Glauben und Leben wird gar nicht mehr versucht. Der Marxismus-Leninismus als Erweckung und Bewegung, als religiöse Pseudomorphose, was er einmal wenigstens in Ansätzen war und im ganzen sein wollte, wofür man kämpfte und notfalls starb, worüber es eine ausgebreitete Helden-und Heiligenlegende gibt, ist h e u t e tot, und aus aller Legende kann man eine lebendige Wirklichkeit nicht mehr entzünden.

Als Stalin diese Entwicklung in ihren Anfängen erkannte — und dieses geschah zweifellos schon vor dem „Großen Vaterländischen Krieg , wenn auch schon in seiner Voraussicht und Vorsorge —, mag er sich wohl zunächst nur im Sinne eines zeitbedingten Vorganges dafür entschieden haben, diese Ansätze zu einer Integration auf neuer Ebene auszunützen, um die allzu gefährliche, weil in jedem Russen schlummernde und immer wieder jäh aufbrechende national-religiöse Emotion in s e i n e Bahnen zu leiten, wenn möglich zu beherrschen, auf jeden Fall unter Kontrolle zu behalten.

Dieser emotionelle fanatische und fanatisierende Nationalismus des Russentums kann/nicht gleichgesetzt werden irgendeinem nationalen Chauvinismus abendländischer Art, er muß ebenfalls aufgefaßt werden als eine religiöse Pseudomorphose besonderer Art, in der er in der Vergangenheit wiederholt deutlich geworden ist und künftighin immer wieder wirksam werden wird. Man kann ihn vielleicht am besten veranschaulichen, wenn man sich Dostojewskijs erinnert: Ja, wir wollen den Frieden für alle Menschen, wir wollen das Heil der ganzen Welt, aber zuerst muß diese Welt russisch werden, jawohl, radikal russisch! — Dieses Sendungsbewußtsein muß durchaus messianisch-eschatologisch aufgefaßt werden, es hat für den heutigen, namentlich jungen Russen, der nach neuen seelisch-geistigen Wegen und Werten sucht, die gleiche Bedeutung und Faszination wie zur Zeit, als Dostojewskij ihm seine Worte lieh — und hatte wahrscheinlich lange vor Dostojewskij keine andere, wiewohl mehr gefühlte und gehandelte als gedachte Bedeutung für einen grausamen Iwan oder großen Peter.

Es war wohl so, daß Stalin und sein engerer Kreis zunächst nur dachten, die national-religiöse Erweckung als politisches Instrument auf Zeit zu aktivieren und nach Bedarf, jedenfalls nach Erfüllung des Zweckes wieder zu inaktivieren. Es kann auch nicht bezweifelt werden, daß Stalin ursprünglich ein überzeugter dogmatischer Bolschewik war oder jedenfalls glaubte, es zu sein. In dem Maße aber, als ihm die Schaffung eines Großchanats im Mantel des Gossudars als politische Notwendigkeit zur totalen Integration der Macht notwendig erschien — und es ist kein Zweifel, daß diese Zielsetzung im Ausgange seines Wirkens jede sonstige Bestrebung überschattete —, mußte ihm, dem Grusinier, die national-russische Fundamentierung seiner Allmacht immer unabdinglicher erscheinen. Denn aus der Dogmatik der „Partia" war der Anspruch des Prinzipats (zusammengesetzt aus Consulat/Premier des Minister-rats, Tribunat/1. Sekretär der Partei und imperatorischer Gewalt/Oberster Befehlshaber aller Streitmächte, „Generalissimus“) nicht ableitbar und noch weniger die durchaus real angestrebte Stellung als „Lehrer und Vater aller Völker der Welt“ (entsprechend der des Divus der spät-römischen Cäsaren, aber auch der jedes echten Großchans), wohl aber fand jede derartige Strebung alle Hilfe in jeder Tradition des russischen Gossudars. Es mochte also dieser gewordene Prinzeps und werdende Divus in seiner letzten Wirksamkeit den „neuen Kurs“ selbst schon nicht mehr als Zweckmittel der politischen Taktik, sondern als entscheidendes Instrument seiner „kaiserlichen“ Strategie angesehen haben. Jedenfalls, wie es auch sein mag, es kann nicht daran gezweifelt werden, daß Stalin, selbst wenn er es gewollt hätte, die Geister, die er gerufen, niemals mehr hätte bannen, im besten Falle sich selbst dienstbar machen können. So wurde und wird auch diese Entwickelung der jüngsten Zeit zur Demonstration der uralten Menschheitsgeschichte, daß jede dogmatische abstrakte Ideologie, welche den Gesetzen des sie tragenden Menschentums widerspricht, zwar unter Mißbrauch und Entstellung ihrer selbst wie der betrogenen Masse die Macht vorübergehend erringen kann, sie aber nur festzuhalten vermag, wenn sie die eingangs geleugneten und zum eigenen Schaden verletzten Gesetze von Natur und Schicksal auf Umwegen (die immer wieder die gleichen sind) anerkennt und in Kraft setzt. Die abstrakte Dogmatik kann dabei noch lange Zeit formal anerkannt bleiben, aber sie wird ausgehöhlt, neu ausgelegt, angepaßt und schließlich umgewertet. In Rußland ist dieser Vorgang heute in vollem Gange und sein Wegbereiter war Stalin selbst. Auch der Stalinismus und was auf ihn folgte und noch folgen wird, präsentiert sich als Pseudomorphose, nicht religiöser, aber politischer Prägung.

Nach Stalins Tod hat sich diese Entwicklung nicht abgeschwächt, sondern eher verstärkt. Wohl ist die monumental-dämonische Gestalt des Gossudars mit dem Tode der Persönlichkeit verblaßt und sein Kultus demonstrativ zurückgedrängt worden. Dieses mußte geschehen, weil nur so den Diadochen Gelegenheit geboten war, wenigstens zu versuchen, die Erinnerung an Blut und Tränen allein dem großen Toten aufzulasten, und weil Diadochen zunächst immer ins Kollektiv zurück-flüchten, um den Kampf um die neue Einzehnacht und ihren Kult wenigstens zu Anfang im Schutze der Anonymität führen zu können. Die großrussisch-national-messianische Grundfärbung aller massen-wie individualpsychologischen Einwirkung aber wurde dadurch nicht berührt. Die Propaganda und Verherrlichung, solcher Art ging und geht unvermindert weiter, sie erfaßt alle Sparten des privaten und öffentlichen Lebens, Meeting, Theater und Kino, Zeitung und Buch, Illustration und Malerei, Skulptur und Architektur, Technik und Wissenschaft. Auch die Umschreibung der wissenschaftlichen wie technischen Autoren und ihrer Priorität, die den abendländischen Leser und Zuhörer irgendwie grotesk anmutet, gehört hierher. Das Entscheidende ist aber nicht, daß solche offenbar wissentlichen Fälschungen lanciert werden, sondern daß man sie annimmt, nicht nur von Seiten primitiver, sondern auch durchaus kluger und gebildeter Menschen, die sonst stolz darauf sind, kritisch denken zu können — eben weil man nicht nur annehmen, sondern glauben will.

Der Berichterstatter hat mehrmals erlebt, daß Personen der letzteren Art, die wenige Jahre zuvor sich noch selbst über die LImschreibung der Entdeckergeschichte lustig gemacht hatten, nun völlig ernsthaft diese LImschreibung nicht nur angenommen hatten, sondern durchaus bereit waren, sie zu verteidigen. Auf die Frage, wie sie denn zu einer solchen Sinnesänderung gekommen wären, sagten sie: Wir haben unsere Meinung an Hand neuer Argumente ändern müssen — und entscheidend ist: sie waren davon nunmehr fest überzeugt. -

In welchem Maße schließlich der Mythos der Armee und des Sports als Sinnbildern der nationalen Steigerung „über Europa und Amerika hinaus“ gepflegt und zu eigen gemacht wird, ist bekannt, wird in seiner Wirkungstiefe aber wahrscheinlich im Abendland unterschätzt. Bei den letzten „echten“ Bolschewiken mag diese „Nationalisierung“ des Bolschewismus vielleicht auch heute noch den Sinn haben, ein trojanisches Pferd zur Gewinnung des eigenen wie fremden Menschentums für den Bolschewismus aufzuzäumen, in Wirklichkeit ist aber dieser Bolschewismus selbst in seinen Kadern bereits derart „nationalisiert“, daß keine Macht der Welt diese von innen her kommende Umprägung als „echte Umprägung" aufhalten, geschweige denn rückgängig machen könnte. Der Bolschewismus hat sich solcherweise nicht nur pathetisch maskiert, sondern er ist im Begriffe, dieses Pathos nicht nur andern glaubhaft machen zu wollen, sondern es selbst glaubend anzunehmen und sich selbst darin glaubhaft zu erscheinen. Lind in der Tat — es hat ja auch dieser russische Bolschewismus die von ihm im eigenen Lande erkämpfte Führung zu einer imperialen Integration solchen Ausmaßes benützt, daß jeder fühlende und denkende Russe in ihm den Verwirklichet von Zielen sehen muß, die niemand seinesgleichen noch vor kurzem auch nur zu träumen gewagt hätte (zu träumen aus seiner Seele!), während andererseits, wie er wohl versteht, jede von außen kommende Störung oder gar Zer Störung dieser Führung und ihres Apparates auch das von diesem geführte Volk — sein Volk — und dessen träumend-erträumtes Weltreich gefährden müßte.

Darum muß man sich darüber klar sein, daß das echte Russentum in jeder Auseinandersetzung zwischen einem äußeren Feind und seiner augenblicklichen Führung, gegen die er in Opposition stehen mag, aber die in Moskau residiert und herrscht, wie e i n Mann zur Verteidigung eben dieses heiligen Moskau aufstehen wird. Denn in Moskau wird dann nicht nur der Bolschewismus, sondern noch mehr Rußland verteidigt.

Was im Falle einer derartigen äußeren Gefährdung die Randvölker tun würden, kann von niemandem prophezeit werden, doch hat der Berichterstatter immer wieder den Eindruck gewonnen, daß mit wirksamen nationalen Partisanerien (die sich dann gleichzeitig gegen Bolschewismus und Russentum richten müßten) wahrscheinlich nur in der Westukraine, in Litauen, vielleicht auch in Abschnitten der kaukasichen und Turkovölker gerechnet werden könnte. Doch würde eine westukrainische Erhebung mehr als paralysiert werden durch die in diesem Falle sicher gegensätzliche Einstellung der Ostukraine und Weißrußlands, wenn man von der bereits sehr starken russischen Unterwanderung gerade in diesen Gebieten absehen will. Eine Erhebung der kaukasischen und Turkovölker aber würde immer an ihrer inneren Zersplitterung und ebenfalls bereits an der sehr starken russischen Unterwanderung scheitern. — Man darf nie vergessen: Wohl ist die heutige Union ein großer Schmelztiegel, aber, während der aus-und umgesiedelte oder freiwillig in der Zerstreuung lebende Nichtrusse früher oder später so gut wie immer als Russe assimiliert wird, bleibt der Großrusse unter fremden Völkern immer russisch und assimiliert sich nicht. Während sich so der äußerlich noch geformt erscheinende Bolschewismus von innen her neu gestaltet, indem er unter einstweiliger Beibehaltung seiner Terminologie auf die Verwirklichung seiner Ideologie im eigenen Lande verzichtet, eben weil er in Seelenhaltung, Kulturgefühl, Wirtschaftsformung und politischer Zielsetzung dem tiefen Zwang seines ihn tragenden Menschentums zunehmend unterliegt — vollzieht sich parallel hierzu ein zwar oberflächlicherer, aber nicht weniger bedeutungsvoller Vorgang, der das materiell-individuelle Lebensideal neu prägt. Denn die breite, insbesondere städtische Masse will nicht mehr hinter dem Westen zurückstehen, dessen Lebenshaltung und -führung sie im sterbenden Deutschland noch mit Staunen und Neid gesehen und erlebt hatte. Aber es ist nicht nur der allgemeine Anspruch auf eine Lebensart höheren Stiles, der sich immer auffälliger bemerkbar macht, so auffällig, daß die Diadochen von Anfang an mit ihm rechnen mußten, sondern es wird darüber hinaus das dringende Verlangen deutlich, die private Wunschbefriedigung von der politischen Beaufsichtigung und Einflußnahme abzulösen, die bis nun im Sinne des totalen Anspruches auf Einheit von Lehre und Leben auch die persönliche Sphäre bis ins kleinste kontrollierte. Dieses neue Wunschideal zeigt sich vorerst am stärksten im Vergnügungssektor, wird in Kino und Theater bereits deutlich, greift auf Zeitung und Buchgestaltung über und wirft erste Schatten voraus auf Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Man kann auch hier spüren, wie das national-emotionelle Neue mit der Abgedroschenheit der Doktrin erfolgreich rivalisiert, vielleicht morgen schon an erster Stelle steht. — Im ganzen kann man sagen, daß alles dies immer symptomatischer auf die Unmöglichkeit hinweist, die bisherige Erstarrung in der bereits toten ideologisch-politischen Formel aufrechtzuerhalten — insbesondere seitdem der totale Terror als Stabilisator des totalen Anspruches der Doktrin eine entscheidende Erschütterung erfahren hat.

Auf der andern Seite ist klar, daß ein erfolgreicher Fortgang dieser beiden großen Strebungen: der aus der Tiefe aufbrechenden nationalimperial-messianischen Hoffnung und der zunächst oberflächlich erscheinenden zivilisatorischen Erwartung für die Stabilisierung des Führungsapparates im Sinne einer volksverankerten, zunehmend als legitim empfundenen, echten Führung von größter Bedeutung werden könnte, wenn es dem heutigen, am Scheidewege stehenden Systemapparat gelingt, die ihn zutiefst bedrohende Führungskrise zu überwinden und einen neuen Gossudar zu gebären, der den . gonnenen Aufbruch anerkennt, zusammenfaßt, ausrichtet und vorantreibt.

Die innerpolitische Führungskrise

Ob den Diadochen die Ueberwindung der Führungskrise des Systems, die zutiefst ihre eigene menschliche Krise ist, im oben angedeuteten Sinne gelingen wird, hängt nicht zuletzt vom zeitlichen Verlaufe der im letzten Jahre begonnenen Kämpfe um die Gestalt der neuen Alleinherrschaft ab. Man kann vielleicht nicht mit Unrecht von einem Wettlauf mit der Zeit sprechen, denn die das System von innen und außen her bedrängende Problematik ist so drängend geworden, daß die sie lösenden Entscheidungen nicht mehr allzulange hinausgeschoben werden können.

Die unmittelbare Systemkrise begann äußerlich im Anschluß an Stalins Tod, war aber wie bei. jedem nicht legitim verankerten Prinzipat schon vorher in personeller wie materieller Hinsicht vorgezeichnet. Der politische Verfall vollzog sich äußerlich vor allem in zwei Vorgängen, deren jeder schon für sich allein einer politischen Katastrophe gleichkam.

Der erste Vorgang war die nach Form und Sache geradezu einzigartige Diffamierung des von Stalin kurz vor seinem Tode großpolitisch aufgezogenen Ärzteprozesses durch Beria, der bis dahin als des Gossudars Vollstreckungshand galt und sich selbst in dieser Rolle darstellte. Diese Diffamierung des Prozesses und damit der gesamten Justiz des toten Alleinherrsches geschah offensichtlich aus zwei Gründen: einmal, um die eigene Person und den kommenden neuen Kurs von der Vergangenheit und ihrem großen Träger so eindeutig wie möglich zu distanzieren und damit von Blut und Tränen zu reinigen, sodann, um dadurch die Möglichkeit zu gewinnen, auf schnellstem Wege den Staatssicherheitsapparat und sein entscheidendes Terrorsystem personell von allen eventuell widerstrebenden Elementen zu befreien und völlig in die eigene Hand zu bringen. Hinter allem aber sollte sich schon der neue Herr abzeichnen, der Freiheit und Frieden bringt. Dieser Vorgang war der Beginn eines Staatsstreiches und vereinigte in Berias Hand eine Macht, die automatisch die Gegnerschaft aller auf sich vereinigen mußte. Hätte Beria damals den Schlußakt der totalen Machtübernahme angeschlossen, bevor sich seine Gegnerschaft sammeln und gemeinsam gegen ihn erheben konnte — vielleicht wäre ihm die Vollendung dieses Staatsstreiches gelungen, vielleicht, wenn er selbst ein Russe gewesen wäre.

Der Eindruck dieses Vorganges sowohl auf die breite Masse wie auf den Führungsapparat von Partei, Staat und Armee war ungeheuer. Alle bisher aufgebaute, wohl gehaßte, aber kaum mehr angefochtene, weil scheinbar endgültig stabilisierte Autorität von Partei und Staat war zutiefst erschüttert. Dieses wirkte sich nach unten bis in die letzte Verzweigung aus. Jeder, der gestern noch als großer oder kleiner Natschalnik irgendeines Amtes, einer Behörde, eines Unternehmens nichts weiter zu tun hatte, als ruhend in der Befehlsgewalt seines Amtes das weiter zu befehlen, was ihm selbst vorher in kleinster Detaillierung anbefohlen worden war, und im übrigen nur das nachzusagen brauchte, was der allmorgendlich im Radio vorgelesene Leitartikel der Prawda als Motiv des Tages (und Glaubensbekenntnis) vorgesagt hatte, wußte nun mit einem Schlage nicht mehr, was er tun, ja nicht einmal, was er sagen sollte. Denn nach der Diffamierung des „Großen Stalin“ und seiner Justiz wußte er nun nicht mehr, ob sein heutiger Befehlsgeber auch morgen noch Befehlender sein würde, ob die heutige Generallinie der Prawda nicht morgen schon ins Gegenteil umgeschlagen sein könnte. Die beiden letzten großen Bücher Stalins über die Entstehung der Sprachen (deren Darstellung im übrigen als völlige Abwendung vom dialektischen Materialismus aufgefaßt werden kann!) und über die ökonomischen Probleme der Sowjetunion (kurz vor der 19. Parteiversammlung zu Anfang 19 5 3 erschienen) verschwanden wie spurlos aus Rundfunk und Presse. Gestern waren beide Bücher noch täglich, meistens mehrmals täglich in Zeitung wie Rundfunk in jeder nur möglichen Abwandlung breitgetreten und als letzte Eingebung des menschlichen Genius nicht gepriesen, sondern als Glaubensverpflichtung auferlegt worden. In zahllosen, bis in das kleine Dorf hineinreichenden, ad hoc eingerichteten Zirkeln hatte man noch bis gestern diese Bücher diskutiert, ausgelegt, exzerpiert und auswendig gelernt. Nun über Nacht waren die Zirkel tot, sie wurden nicht aufgelöst, sie hatten nie bestanden. Das Wort vom „Großen Stalin“", bis dahin im Rundfunk an manchen Tagen bis zu 20mal pro Stunde ausgesprochen (vom Berichterstatter wiederholt gezählt), verklang, erschien selten, wandelte sich in die Bezeichnung des Schülers und Fortsetzers des „Genius der Menschheit", Lenins.

Alles sprach nur mehr vom neuen Kodex des Justizministeriums (der längst fertiggestellt in seiner Verkündigung nur durch Stalin selbst immer wieder zurückgestellt worden wäre), von der großen Amnestie (die lange geplant, aber nun endlich herauskommen könnte), von der totalen Umgruppierung der Ministerien, von der Ausschaltung des eben noch auf der 19. Parteiversammlung von Stalin neu gebildeten und groß hcrausgestellten „persönlichen Führungskreises“, vom „Neuen Kurs“, von Frieden und Freiheit, von der Auflösung der Lager, von der Möglichkeit geduldeter Opposition. Die allgemeine Llnsicherheit, juristisch, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich (und wahrscheinlich auch militärisch) griff rasend um sich. Die Amnestie erfolgte, nicht so groß als man erwartete, aber groß genug, um zahllose Banditen aus den allgemeinen Lagern frei zu machen, mit denen niemand etwas anfangen konnte, die sich in den Städten breitzumachen begannen und allgemeine LInsicherheiten verbreiteten. In Moskau und anderen Städten, aber auch in der Provinz leerten sich die Magazine, im Brotvertrieb (der Lebens-ader des russischen Lebens) entstanden Stockungen, Transportprobleme (eine permanente Quelle russischer Schwierigkeiten auch in ruhigen Tagen) wurden brennend. Die Gerüchte jagten sich in Stadt und Land, innerhalb der Palisaden war es ruhiger als außerhalb derselben.

Man hat später versucht, von amtlicher Stelle für all dieses Beria verantwortlich zu machen, er allein stabe alle Schwierigkeiten absichtlich inszeniert, um in der von ihm erzeugten Einordnung und Unsicher-heit die Macht zu ergreifen. Daß der Ärzteprozeß ein offenbarer Scheinprozeß war (der durchaus dem früheren, der um das Sterben Gorkis abgerollt war, an die Seite gesetzt werden kann), wurde nicht mehr betont, die ausgesprochene Freilassung und Rehabilitierung der als systematische Mörder bezichtigten Ärzte allerdings auch nicht widerrufen, trotzdem sie von Beria ausgesprochen und durchgeführt worden war. Aber im übrigen gab es nichts, dessen er nach seinem Sturze nicht beschuldigt worden wäre: er habe einen Staatsstreich mit westlicher Hilfe gewollt, wäre überhaupt Zeit seines Lebens (!) ein westlicher Agent gewesen, hätte danach gestrebt, den fremden Kapitalismus in das „sowjetische Vaterland“ zurückzuführen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen (sprich des russischen durch den fremden Menschen) wiederherzustellen, hätte sogar die Bildung von „kapitalistischen Nationalstaaten“ auf dem „heiligen Boden des gemeinsamen Vaterlandes“ (sprich des russischen Vaterlandes) geplant!

Der Prozeß, der dann die Liquidation aussprach, war nicht öffentlich, kritische Beurteiler glaubten nicht, daß Beria damals noch lebte. Die Scheu vor diesem Manne war zu tief verwurzelt, als daß man annehmen könnte, selbst die ihn Verhaftenden hätten sich davon freigemacht. Jeder von ihnen m u ß t e schnell handeln, wenn er nicht zu spät handeln wollte.

Alles dieses haben wir erst später, teilweise erst nach Monaten, allerdings recht genau erfahren. Wie es auch geschehen sein mag — jedenfalls, als am Morgen im Lagerrundfunk die vorher durch nichts vorbereitete lakonische Meldung durchkam, daß Beria als Verräter aus der Parte: ausgestoßen, aller Ämter entkleidet, als Staatsverbrecher verhaftet sei und demnächst zur Aburteilung käme — da hielt jeder den Atem an, und gleiches geschah überall im ganzen Reich auch außerhalb der Palisaden. Alles hätte man für möglich gehalten, nur dieses niemals, zu sehr galt dieser Mann, seit Jahrzehnten Herr der Tscheka und Justiz, als unabsetzbar, zu sehr schien gerade er das Gesetz des Handelns an sich zu gerissen zu haben. — Dieser Sturz Berias war die zweite politische Katastrophe, aber auch sie hat noch nichts entschieden.

Die unmittelbare Auswirkung in den Lagern glich einem Blitzschlag auf Autorität und Regime, welche sich moralisch fallen ließen und in der ersten Zeit alle Haltung verloren. — Der Berichterstatter möchte ausnahmsweise eine Anekdote von symptomatischer Bedeutung erzählen. Die Anekdote scheint nur eine solche, in Wirklichkeit schildert sie eine Begebenheit, die sich um die gleiche Zeit nicht nur in unserm Lager, sondern in allen andern Lagern und darüber hinaus in jeder Amtsstube und Parteistube des ganzen Reiches in gleicher Weise abgespielt haben mag.

Wenige Minuten nach der Durchgabe der Funkmeldung über Berias Sturz stürmten der Chef des Lagers und der politischen Abteilung die Lagerstraße hoch (obwohl das Ereignis um 6 LIhr, also 3 Stunden vor dem Dienstbeginn der Offziere geschah). Sie stürmten weiter in die Verwaltungsbaracke, wo selbstverständlich auch einige Bilder Berias (als obersten Chefs der Tscheka) hingen. Unmittelbar danach erschienen sie wieder, mit roten, erregten, aber befriedigten Gesichtern, in der Faust noch den Hammer, der die Bilder des gestern noch Allmächtigen eben zerschlug, unter dem Arm die „Trophäen“ — die zerschlagenen Bilder als demonstrativen Beweis der vollzogenen Loyalität. — Lind alles vor den Augen der Gefangenen!

Kurze Zeit vorher, ebenfalls nach der Morgenmeldung über die Diffamierung des Ärzteprozesses, saßen der Berichterstatter und einige Russen der Lageraristokratie zusammen. Einer von ihnen (vor seiner Verhaftung höheren Führungskreisen der Partei angehörig, später verhaftet, weil er im engsten Kreis Zweifel an der von höchster Stelle als sicher hingestellten baldigen Atlantikoffensive [1944 geäußert hatte), war naturgemäß zutiefst beeindruckt und fragte einen unmittelbar danach zukommenden Offizier (MWD), der von der Nachricht noch nichts wußte, weil er sich während der Rundfunkmeldung auf dem Gang ins Lager befunden hatte, was dieser denn nun dazu sage, man müsse dann ja wohl alle andern Prozesse, z. B.den seinen auch wieder aufrollen. Der Offizier, der unter anderen Bedingungen überhaupt nicht geantwortet hätte, stockte, sein Gesicht wurde abwechselnd blaß und rot, nach längerer Zeit würgte er stockend heraus: „Ich weiß nur eines, die Regierung hat immer recht“, und entschwand.

Wenn es damals, nach Berias Sturz, nicht in vielen andern Lagern ähnlich wie in Workuta zuerst zum Streik und dann zum offenen Aufstand kam, so nur deshalb, weil die Mehrzahl der politischen Häftlinge sich sagte, die Krise sei bereits so tief, daß es nicht mehr nötig sei, ein persönliches Risiko zu tragen. Zumal alle, inner-wie außerhalb der Palisaden, im Hinblick auf die große Rede des Präsidenten der USA vom Frühjahr 195 3 (die als einzige Rede wörtlich in den Zentralzeitungen, nicht in den Provinzzeitungen erschienen war) damals mit einem harten Druck von Westen her urmittelbar rechneten — der damals wohl viel hätte bewirken können, aber ausblieb.

Zunächst wußte niemand, wer den Schlag gegen Beria geführt hatte. Kritische und erfahrene Gewährsmänner aber urteilten von Anfang an, daß hierzu nur eine Macht fähig gewesen wäre, die der Armee, wenn sie sich zu einer solchen, seit Tuchatschewski nicht mehr denkbaren Willensbildung ermannt hätte. Sie urteilten, daß es letztlich ein Zweikampf zweier Nachrichtenapparate hätte sein müssen, bei dem sich offenbar der der Armee als zuverlässiger und schneller bewährt hätte. Sie waren aber sicher, daß keine Führungsgruppe der Armee eine solche Tat ohne die wenigstens stille Billigung einer einflußreichen Gruppierung auch im Zentralkomitee hätte wagen können. Es sprach vieles dafür, daß der Synchronisator (nicht Inspirator) der Aktion und der Mann, der die letzte Entscheidung traf, Woroschilow war, dem als wahrscheinlich einzigem Manne in der ganzen Llnion, gleicherweise in Partei, Armee und im Volk selbst zureichende Autorität und Popularität zugesprochen wurde.

In der Partei ist er d e r Heid des Bürgerkrieges, dessen überragende Verdienste selbst Stalin nicht außer acht lassen konnte, so daß er ihn zuletzt zwar völlig entmachtete (ihm angeblich nur die Inspektion der Theater beließ), aber es niemals wagen konnte, ihn aus dem öffentlichen Blick ganz verschwinden zu lassen, geschweige zu liquidieren — in der Armee war er der einzige, der in der großen Führungskrise um und nach Tuchatschewski den Schild über viele höhere und niedere Offiziere hielt, außerdem die Kolchosierung verzögerte, deren massives Anlaufen seinerzeit die Armee in so hohem Maße beunruhigte, daß W. persönlich bei St. intervenierte und tatsächlich zeitliche Milderungen erreichte, was ihm weder Stalin vergaß noch die Armee, am wenigsten aber das Volk, innerhalb dessen er bereits zur Legende wurde. — Nach Stalins Tod und der danach folgenden Neuformung des Machtapparates übernahm er das Amt des Vorsitzenden des Obersten Sowjets und damit den Rang des offiziellen Staatsoberhauptes.

Es sprach vieles dafür, daß Woroschilow eine unwiderrufliche Krise des Systems und Staates, vor allem aber der Armee, der er sich wahrscheinlich am engsten verbunden fühlt, mit allen Mitteln verhindern wollte oder wenigstens hinauszuzögern sich verpflichtet fühlte. Darum bot er wohl seine Hand, um den Sieg des Machtputsches durch Beria zu vereiteln, in dem er eine Wiederholung der Alleinherrschaft Stalin-seher Prägung gefürchtet haben mochte, darum tat er auch seither offensichtlich alles, um einerseits die Stellung der Armee durch die Besetzung auch örtlicher politischer Schlüsselstellungen mit höchsten Offizieren (Wehrkreisbefehlshaber!) unangreifbarer zu machen, anderseits aber auch die Armee nicht in eine von der Partei unabhängige Stellung geraten zu lassen. Nach allem schien es, daß Woroschilow sowohl von Seiten maßgebendster Armeekreise wie auch einflußreicher Kreise im Zentralkomitee als loyal angesehen wurde. Aber W. ist alt und, wie man sagt, recht krank, er kann einmal plötzlich sterben, auch aus natürlichen Gründen, und sein Tod wird kaum ohne Folgen bleiben.

Man darf aber den sich abzeichnenden Kampf nicht zu einfach sehen. Wohl wird man annehmen dürfen, daß die allerletzte Entscheidung einmal zwischen den höchsten Autoritäten der Partei und der Armee fallen wird, aber zunächst scheint es eine solche höchste Autorität weder in der einen noch der andern zu geben. Solange Woroschilow lebt, wird seine Autorität innerhalb der Armee vermutlich stark genug sein, um eine Spaltung der militärischen Linie zu verhindern, aber solche gegensätzlichen Strömungen bestehen ohne Zweifel schon heute und nicht nur zwischen den beiden Marschällen Schukow und Wassilewski, von denen der erste die weitgehende Souveränität der Armee stabilisieren möchte, während der zweite schon durch seine enge Bindung an Stalin seine Deckung in der Partei sucht. Zwischen beiden mag der dritte Schlüssel-marschall Bulganin stehen, obwohl auch er in der Vergangenheit eng an Stalin gebunden war. Aber, wie man an Beria sehen konnte, alle derartigen Bindungen der Vergangenheit besagen im Kampf um die Macht der Zukunft nichts. Manche große Persönlichkeit mag noch ihr Profil ändern oder hat es schon geändert, ohne daß es bereits offenkundig wurde. Und niemand kann heute sagen, ob hinter den heute im Vordergründe stehenden alten Marschällen, nicht längst Gruppen höchst-gebildeter, energischer und ehrgeiziger Generalstäbler jüngerer Jahrgänge stehen, die sich recht bewußte Gedanken um die weitere Zukunft ihres russischen Vaterlandes machen und auf ihre Stunde warten.

Und was von der Armee gilt, gilt in erhöhtem Maße für die Partei, deren innere Geschlossenheit um so gefährlicher erscheinen muß, je mehr sie ihre „monolithische Einigkeit und Geschlossenheit“ proklamiert.

Es wurde bald nach Stalins Begräbnis, dessen eigentliches pomphaftes Ereignis die Proklamation des Neuen Triumvirats: Malenkow — Beria — Molotow zu sein schien, immer offenkundiger, daß sich hinter der Kulisse des Triumvirats Machtkämpfe von entscheidender Bedeutung abspielten. Wie diese vor sich gingen und heute weitergehen mögen, ließ und läßt sich nur vermuten. Immerhin gab es große und kleine Zeichen, welche erfahrenen und personalkundigen Beobachtern, wie es die Gewährsmänner des Berichterstatters waren, Schlüsse von nicht geringen Wahrscheinlichkeiten ermöglichten.

Da war zunächst Malenkow. Seine Stellung war bereits zu Beginn der Machtübernahme undurchsichtig, ja zweideutig. Er galt mindestens seit dem Herbst 1949, als er die große Novemberrede unter dem Leitspruch „Befehl ist Befehl, und zwar für all e“ hielt, als der erklärte Kronprinz des höchsten Hetrn und stellte sich selbst als bedingungslosen und zutiefst ergebenen Schüler und Gefolgsmann bei jeder Gelegenheit heraus. Auf der Tribüne des Leninmausoleums stand er bei der Abnahme der großen Partei-Armee-Staatsaufmärsche zr Linken Stalins, und dieses bedeutete den ersten Platz in der offiziellen Rangliste. Als aber Stalin starb, war er es, der in der programmatischen Grabrede den Ruhm des großen Toten sehr gedämpft sang, aber in den Vordergrund die Notwendigkeit einer kollektiven Führung gegenüber der nicht partei-gerechtfertigten persönlichen Herrschaft und ihres Kults stellte. Lind im gleicher Tone sprach Beria, während Molotow von einer tiefen (glauhaften) Rührung erfaßt schien und sich fast nur mit der Person des zu Grabe zu tragenden in menschlich herzlichster Weise beschäftigte.

Dann kam die Diffamierung und Inhibierung des Ärzteprozesses, und dieses war die Diffamierung der Rechtsgrundlage des vergangenen Prinzipats. Es muß als unmöglich angesehen werden, daß dieses, wenn auch von Beria initiiert, ohne Billigung Malenkows geschah, der damals immerhin schon Vorsitzender des Ministerrates und noch Sekretär des Zentralkomitees war. Als dann Beria gestürzt war, wurde amtlich herausgestellt, daß die „in letzter Stunde von dem Vorsitzenden des Ministerrates im Zentralkomitee gemachten Ausführungen'die Aufdeckung und Unschädlichmachung der verbrecherischen Verschwörung ermöglicht hatten“. Um diese Zeit war Beria offenbar längst verhaftet oder schon tot. Von Krustschew war damals noch keine Rede. Wohl war er, der „Zar der Ukraine“, noch zu Lebzeiten Stalins nach Moskau in das Politbüro berufen worden, wohl wurde seine Bedeutug offenbar immer größer, er hielt sich sowohl bei der großen Umgruppierung auf der 19. Parteiversammlung vor wie bei der kurz darauf erfolgten zweiten großen Umgruppierung nach Stalins Tod in der Spitzenführung der Partei, aber in der ersten Zeit des Triumvirats bis zu Berias Sturz war oder hielt er sich im Hintergrund. Dann aber schied Malenkow aus dem Sekretariat der Partei aus, die „Trennung der Gewalten zwischen Partei und Staat“ wurde proklamiert, und Krustschew übernahm (praktisch allein) das Sekretariat des Zentralkomitees und damit die gleiche Ausgangsbasis des Machtkampfes, von der aus Stalin seinen Weg zur Alleinherrschaft begonnen hatte. Ueber das anschließende immer offenkundigere Auseinanderklaffen der Ansichten über die Gestaltung des „Neuen Kurses“ zwischen M. und K. und über die immer massiver werdenden, öffentlichen Angriffe des letzteren gegen den ersteren wird noch zu sprechen sein. Wichtig ist, daß um diese Zeit der Einbau von Wehrkreisbefehlshabern in örtliche Gebietssekretariate begann, worauf bereits hingewiesen wurde.

Nach sorgfältiger Abwägung dieser und anderer Indizien hielten es meine Gewährsmänner für möglich, daß Malenkow dem geplanten Staatsstreich Berias näherstand, als er nachher wahrhaben wollte. Vielleicht hatte er sogar Grund, zu erwarten, daß, wenn nicht d i e Armee, so doch entscheidende Teile ihrer Führung mit Beria gemeinsame Sache machen würden, um das absolute Regiment „der Partei“ zu stürzen.

Wenn Malenkow um diese Zeit schon Grund hatte, zu fürchten, daß Krustschew in der Partei auf die Dauer der Stärkere sein würde, diese ihm also als „Hausmacht“ keinesfalls länger zur Verfügung stünde (wie er zu Stalins Lebzeiten noch mit Sicherheit erwarten durfte), dann könnte es gewesen sein, daß er den in der Partei, d. h. im Zentralkomitee bereits drohenden Verlust der Führung durch die Rückendekkung bei Beria u n d der Armee wettmachen wollte. AIs sich dann aber herausstellte, daß ein Zusammenhang zwischen den letzteren nicht möglich war, blieb ihm nur mehr die Preisgabe Berias und die „Flucht in die Armee und zu Woroschilow. Die Armee anderseits (verstanden als die Vertreter der militärischen Souveränität) mußte auf jeden Fall gegen den persönlichen Putsch Berias und gegen die Allmacht des Zentral-komitees stehen und brauchte ihrerseits eine Stütze im ZK und im Staat. Beides vermochte Malenkow zu bieten, denn um diese Zeit stand sicher noch eine starke Gruppierung im ZK hinter ihm und den Staat beherrschte er als Vorsitzender des Ministerrates, solange er nicht von der Partei abberufen wurde. Dazu aber War damals seine Stellung in der Partei noch zu stark und die Krustschews noch nicht stark genug.

So spricht vieles dafür, daß die Stellung Malenkows nicht annähernd so entscheidend ist, wie sie außerhalb der Union angesehen wird; vor allem in keiner Weise mit der Stellung Stalins verglichen werden darf. Vielleicht kann man ihn am ehesten als einen Platzhalter der Macht betrachten, der so lange bleiben wird, bis die letzten entscheidenden Machtkämpfe ausgetragen werden, die sich wahrscheinlich doch zwischen einem durch Krustschew „wieder integrierten ZK“ und den dann einflußreichsten militärischen Machtträgern abspielen werden. Man darf allerdings nicht vergessen, daß Krustschew heute wesentlich älter ist, als es Stalin zu Beginn seines Aufstieges zur Macht war, und — daß Malenkow um fast 10 Jahre jünger ist. Auch aus diesem Grunde wird viel davon abhängen, wie lange Woroschilow noch lebt. — Aber nochmals sei betont, daß die Lösung der Staatskrise um so schwieriger werden muß, je länger die Lösung der Führungskrise hinausgeschoben wird.

Was schließlich die zum Machtkampf parallele Entwicklung im Staatssicherheitsapparat selbst angeht, war es naturgemäß nur möglich, allgemeine Anhaltspunkte der Beurteilung zu gewinnen. Sicher schien, daß die bisher (trotz aller periodischen Umgruppierungen) lückenlose Tradition von der ursprünglichen Tscheka über GPU und NKWD zum MGB einen entscheidenden Bruch erfuhr und die bisherige Allmacht dieses in sich hermetisch abgeschlossenen, nur dem höchsten Machtträger unterworfenen und ihm allein dienenden Systems in ihren Grundlagen erschüttert wurde. Dieses LIrteil ergab sich schon daraus, daß mit dem Sturze des Mannes, der seit vielen Jahren dieses System völlig beherrschen und sich — wenn auch äußerlich allein im Dienste des höchsten Herrn — im personellen Aufbau völlig unterwerfen konnte, der nach dem Tode des Gossudars in Vorbereitung des eigenen Staatsstreiches sicher auch die letzten personellen Mängel beseitigt hatte, . eben aus diesen Gründen der gesamte Aufbau und seine Zielsetzung eine grundlegende Änderung im Sinne des neuen Kurses erhalten mußte, wenn die Träger dieses Kurses nicht von vornherein auf einem Pulverfaß sitzen bleiben wollten. Offiziell wurde das MGB noch von Beria selbst aufgelöst und mit dem MWD vereinigt (offensichtlich zum Zwecke sowohl der letzten personellen Reinigung im eigenen Sinn wie auch der Förderung kommender Popularität), nach Berias Sturz aber (allerdings erst nach einem monatelangen Interregnum) wieder selbständig gemacht und vom MWD neuerdings getrennt. Die nunmehrigen Leiter dieser Instrumente konnten aber mit der Machtfülle der früheren Chefs nicht mehr konkurrieren, sie konnten nun mehr als hochgestellte Vollzugs-organe aufgefaßt werden, denn keine der seither rivalisierenden Machtgruppen konnte dulden, daß das Instrument des Terrors in andere als die eigenen Hände käme, und alle zusammen mußten verhindern, daß sich etwa ein neues Terrorsystem im Stile Stalins oder Berias aufbaute und wieder verselbständigte.

Nach unten hin wurde diese Umgruppierung, wie bereits ausgeführt, zunächst deutlich in der Unsicherheit des Regimes, in der öffentlichen Austragung der Koinpetenzkonflikte unter Wegfall der bis dahin allmächtigen Synchronisation durch den jeweiligen Beauftragten des MGB (des eigentlichee Lagerchefs), in der beginnenden Auflösung der Regimelagerorganisation, in der Abtrennung der angeschlossenen Betriebe und ihre Unterstellung unter „fremde Fachministerien" usw., sie wurde aber auch gerade demonstrativ vor Augen geführt durch die wirt-schaftliche Schlechterstellung des bis dahin in jeder Weise bevorzugten Offizierskorps. Dieses hatte bis nun nicht nur erhebliche Prämien (bei Normerfüllung insbesondere Übernormleistung der unterstellten Betriebe), sondern auch doppeltes Gehalt bezogen, einmal entsprechend dem jeweiligen Offiziersrang, sodann entsprechend dem im Lager bekleideten Amt (z. B. als Lagerchef oder Abteilungschef). Nun fielen die Prämien weg und der jeweils Betroffene mußte sich für eines der bisherigen Gehälter entscheiden. Die dadurch ausgelöste moralische wie materielle Depression war groß, offensichtlich und wurde nicht nur von den Gefangenen, sondern auch vom niederen Wachpersonal mit unverhohlener Genugtuung ausgenommen.

Obwohl auf die Problematik und Perspektive der sowjetischen Außenpolitik erst im übernächsten und letzten Abschnitt eingegangen werden soll, scheint es nicht überflüssig, schon jetzt auf eine Frage hinzuweisen, deren Verständnis nicht nur für die Außenpolitik, sondern im oben dargelegten Zusammenhang auch für die Innenpolitik wichtig ist — es handelt sich um die Beweggründe der sogenannten Friedensbewegung.

Es soll jetzt nicht davon gesprochen werden, aus wie vielen und wie gearteten Gründen diese Propagandaoffensive unter dem Motto: Friede in der ganzen Welt für die ganze Welt! gestartet wurde, sondern nur davon, daß diese Frage und ihre Lösung auch für die letzten kommenden inneren Machtkämpfe eine große Bedeutung haben werden. Denn das ganze Volk — wie jedes Volk — will w i r k li c h den Frieden, es ersehnt ihn aus ganzem Herzen und wird bereitwillig d e m als kommenden Sieger folgen, der ihm den wirklichen Frieden mit Ruhe, Sicherheit und wachsender Freiheit bringt. Hier begegnen sich der heiße Wunsch der Massen und der kalt rechnende Wille der rivalisierenden Machtgruppen. Denn auch diese, sowohl innerhalb der Partei wie innerhalb der Armee, wünschen einen langen, garantierten Frieden, weil sie ihn brauchen, wie noch zu zeigen sein wird. Anderseits will jede dieser Machtgruppen selbst der Friedensbringer gegenüber den Massen sein, und zwar der alleinige, ohne-diesen großen Anspruch und seine hilfreiche Nutzung mit jemand anderem zu teilen. Um diesen kommenden Frieden in einem neuem Konzert der großen Mächte zu erlangen, d. h. mit einem hierzu bereiten Amerika und von diesem geführten Europa einmal zu akkordieren und eben dadurch den bedrohten Osten zu sichern, muß man Pfänder geben. Das weiß jeder denkende Russe, das weiß um so mehr die Partei und nicht weniger die Armee, und alle sind hierzu willens, wenn sie auch heute noch so streng und hart das Gegenteil beteuern. Sie müssen dieses tun, weil keine Machtgruppe heute Pfänder abgeben will, deren Abgabe ihr nicht allein zugute kommt, die sie selbst und allein morgen zu nützen hofft, um über den von ihr manipulierten Ausgleich den eigenen Führungsanspruch in den eigenen Massen legitim zu verankern. — Auch dieses war ein Grund, warum Berlin scheitern mußte, bevor es noch begonnen hatte, und ist ein Grund für den Westen, mit allen Annäherungen gegenüber Moskau zu warten, bis die Zeit reif geworden ist, weil Moskau hierfür erst reif werden muß.

So also stellte sich die innere Situation der LInion um die vergangene Jahreswende kritischen Urteilern dar, und es scheint dem Berichterstatter, daß die seitherige Entwicklung dieser Beurteilung nicht widersprach, sie allerdings auch nicht wesentlich überholte. Dieses aber bedeutet, daß die mühsam getarnte Führungskrise des Systems zunächst weitergeht und jedes entscheidende außenpolitische Neuengagement der Union verhindern wird, bis die Frage des inneren Führungsanspruches geklärt ist.

Die Wirtschaftskrise und ihre Problematik

Die wirtschaftliche Situation der LInion entsprach und entspricht dem Typus eines manipulierten überzüchteten Staatskapitalismus. Diese Feststellung ist nicht neu, aber das Neue ist, daß die nur politisch verankerte und dank autoritativem Terror bisher einigermaßen funktionierende Manipulierung in ihrer Grundlegung gefährdet ist, seitdem das Instrument des Terrors entscheidend geschwächt und in seiner Tatkraft unsicher wurde bzw. noch nicht wiederaufgebaut werden konnte. — Man kann die grundsätzliche Lage, wie sie sich gegen Ende des vergangenen Jahres darstellte, ohne zu groben Schematismus etwa folgendermaßen schildern.

Das ökonomische System des bisherigen sowjetischen Staatsorganismus, der ideologisch auf der These ruht, daß in seinem Bereiche die kapitalistische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen endgültig aus der Welt geschafft wurde, beruhte und beruht letzten Endes auf der ungeheuerlichsten Ausbeutung des fellachisierten Bauern. Diese Ausbeutung, gemessen an dem, was der Kolchosnik für seine Arbeit und ihr Erzeugnis bekommt, im Verhältnis zu dem, was er sich dafür kaufen muß, beträgt im Schnitt bis zu 1000 Prozent. Die Lebenshaltung des Durchschnittsbauern ist deshalb auch heute noch unvorstellbar gering, trotzdem man in den letzten Jahren versuchte, durch zahlenmäßige Verkleinerung und räumliche Ausweitung der Kolchosen, deren Zahl heute kaum mehr 300 000 erreicht, im großen zu rationalisieren und damit ohne Zweifel gewisse, wenn auch beschränkte Erfolge erzielte. Aber alle Rationalisierung kann nur ungenügende Erfolge bringen, solange die Landflucht, insbesondere des Mannes anhält, und das an sich wenig aktive Menschentum keinen zureichenden Anreiz durch Verbesserung seiner Lebenshaltung gewinnt. Die ganze Not der durchschnittlichen Kolchose hat sich bisher nur selten in Ausbrüche der Verzweiflung verwandelt, weil der autoritative Terror ebenso total wie absolut war, und der einfache Fellache, trotzdem er durchaus weiß, daß er im Falle seiner Inhaftierung im MGB-Lager wenigstens seit 19 50 nicht schlechter, sondern vielleicht sogar im Schnitt besser leben kann als in der heimatlichen Kolchose, doch den freiwillig provozierten Lageraufenthal+ (auch dieses kommt vor!) nur ausnahmsweise vorzieht. Denn er will sein letztes Gut, das Band der Familie, nicht zerreißen, weil er weiß, daß (wenigstens bisher) die einmal eingetretene-Trennung eine solche für immer bedeutet.

Auf dieser ungeheuerlichen Ausbeutung des Bauern beruht der Staatshaushalt der LInion. Ohne sie könnte er niemals balancieren. Ohne sie wäre es aber auch unmöglich gewesen, die unzweifelhaften Fortschritte der Schwerindustrie zu erzielen, die ihrerseits wieder die Grundlagen für allen übrigen Aufbau u n d für die Rüstung abgaben und geben. Es ist kein Zweifel, daß diese riesige Staatsindustrie auch heute nur zum Teil auf echter Rentabilität beruht. Fielen die (vom Bauern bezahlten) Staatszuschüsse weg, wäre die Schwergütergewinnung in der heutigen Form nicht aufrechtzuerhalten. Daß der Aufbau dieser Schwerindustrie im überschnellen Tempo (das seit dem Kriegsende noch gesteigert wurde) auf der andern Seite den Aufbau und die Ausgestaltung einer nur einigermaßen zureichenden Leicht-und Konsumgüterindustrie nicht erlaubte, weil für beide Aufgaben eben Potential wie Kapazität nicht ausreichten, versteht sich von selbst und ist allgemein bekannt. Lind so steht die weitere Entwicklung vor einem mindestens dreifachen Engpaß, der nicht überwunden werden kann, wenn es nicht in Kürze gelingt, entweder den absoluten wie totalen Massenterror neu zu aktivieren oder ganz neue Wege einzuschlagen. Und eben darum kreist die Problematik des neuen Kurses, oder besser gesagt, der neuen Kurse, denn es gibt nicht nur eine Planung und nicht nur e i n Ziel.

Das zutiefst unzufriedene, teilweise schier verzweifelnde, aber bisher dumpf resignierende Bauerntum wittert Morgenluft. Es wünscht noch nicht Land, eigenes Land, dazu reicht der Mut noch nicht, wiewohl dies das Ziel aller Sehnsucht ist und bleiben wird — aber es wünscht immer dringender eine wirtschaftliche Besserstellung (nicht zuletzt unter Hinweis auf den großen LInterschied zwischen Stadt und Land), und zwar einerseits durch Abstumpfung der bisher nur zu seinen Ungunsten wirkenden Preisschere, anderseits durch vermehrte Möglichkeiten einer Leicht-und Konsumgüterbefriedigung. Es wünscht eine wesentliche Verbesserung der funktionellen Motorisierung nicht so sehr durch materielle Vermehrung der Maschinen, als durch eine bessere bedienungsmäßige Ausnützung derselben. Dieses aber verlangt nicht nur, der männlichen (von der Schwerindustrie und Rüstung abgesaugten) Landflucht Einhalt zu gebieten, sondern sogar eine Rückführung von Traktoristen, Mechanikern und Technikern in ausreichender Zahl zu bewirken.

Partei, Staat — und Armee — sehen diese Demoralisierung des Bauerntums, messen den sinkenden Arbeitswert und fühlen die Minderung sprach: „Wir können und werden binnen zwei Jahren unsern Konsumgütermangel voll befriedigen" — dieses mußte auch Krustschew verlangen, wenn er dem Kolchos unter Verminderung der Preisschere bei erhöhter Produktion und so erhöhter Kaufkraft eine vermehrte Befriedigung seiner Bedürfnisse vermitteln will. — Woher aber sollte der Ausbau der Konsumgüterindustrie 1. qualifizierte Arbeiter nehmen, wenn nicht aus der Schwerindustrie, die ihrerseits ihren Mangel schon nicht befriedigen konnte und zudem zur Abgabe eines Kontingents an das Land gezwungen wurde, 2. die Rohstoffdecke gewinnen, die schon bisher für die Schwerindustrie zu kurz war?

Aus dieser kurzen Darlegung ergaben sich drei klare Engpässe: 1. In der Landwirtschaft, die zu Lasten der Schwerindustrie gestärkt und zu Lasten der Leichtindustrie besser versorgt werden sollte, 2. in der Schwerindustrie, die zugunsten der Landwirtschaft personell und zugunsten der Leichtindustrie personell und materiell geschwächt werden mußte, 3. in der Leichtindustrie, die zugunsten des Allgemeinbedarfs, vor allem zugunsten der Landwirtschaft, aber auf Kosten der Schwerindustrie mit aller Kraft gefördert werden sollte und mußte! — Politisch mußte die Über-windung dieser Engpässe zudem noch dadurch erschwert erscheinen, daß an ihrer Überwindung die großen rivalisierenden Machtgruppen nicht nur in verschiedenem Maße, sondern sogar gegensätzlich interessiert waren. Sicher schien es jedenfalls den Gewährsmännern des Berichterstatters, daß eine grundsätzliche Überwindung aller Engpässe auf einem Wege wenigstens vorübergehend möglich, auf einem zweiten Wege aber vielleicht endgültig erreichbar wäre. Ihre Formulierung war die folgende:

1. Wenn es gelänge (und beabsichtigt wäre), den absoluten und totalen Terror neuerdings aufzubauen, könnte man mit einem Schlage wieder Kirchhofsruhe herstellen, alle Wünsche nach Verbesserung der Lebens-haltung in Land und Stadt zum Schweigen bringen, jede gewünschte Menschenverschiebung zum Zwecke ihrer Arbeitsnutzung ohne Widerstand durchführen, selbst das Tempo der Ernährungsverbesserung verzögern und das der Konsumgüterproduktion ermäßigen, um auf keinen Fall die Schwerindustrie und Rüstung zu gefährden und die „Chinahilfe" zu schwächen. Dem aber stünde, abgesehen von größten massenpsychologischen Schwierigkeiten, die (bereits ausgeführte) ganz einfache Tatsache gegenüber, daß eine wieder vollfunktionierende Tscheka Stalinscher Prägung nicht aufgebaut werden könnte, solange der Machtkampf zwischen den großen Rivalen nicht entschieden wäre. Bis zu dieser Entscheidung aber könnten noch Jahre vergehen, namentlich wenn Woroschilow noch länger lebte und mit ihm zusammen die übrige „alte Garde“ (Molotow, Kaganowitsch, Mikojan) noch eine Weile im Vermittelnden, hinauszögernden Sinne „funktionierte". Da aber die dargestellte Problematik zu drängend wäre, um ihre Lösung hinauszuschieben, wären alle Rivalen wahrscheinlich gezwungen, den zweiten, echten Weg der Engpaßüberwindung wenigstens zu versuchen. — Dieser zweite Weg wäre doppelgleisig und müßte zum miteinander gekoppelten Ziele haben, einerseits auf Jahre hinaus eine sichere auswärtige Friedensgarantie zu erhalten (die es gleichzeitig erlaubte, die weitere Verstärkung der Rüstung zu vermeiden und die Chinahilfe ohne Gefahr zu drosseln), um mit ermäßigtem Tempo den Ausgleich zwischen Landwirtschaft, Leicht-und Schwerindustrie zu finden, andererseits den auswärtigen Handel mit aller Macht zu aktivieren, um Konsumgüter hereinzubekommen (und gleichzeitig „Friedenspartnerschaften“ zu kaufen). Da es klar wäre, daß diese Aktivierung der Handelsbeziehungen im Sinne eines echten Güter-austausches nur beschränkt möglich sein könnte, sei es an der Zeit, auf den Goldhort aus Kolima zurückzugreifen.

Wie groß dieser Goldhort ist, weiß niemand, daß er aber sehr groß sein muß, vielleicht nur mehr wenig hinter dem des Fort Knox hintansteht, kann kaum bezweifelt werden. Denn einmal kann die Linien zum mindesten potentiell als größter Goldproduzent der Welt angesehen werden — und die Goldsuche wird nicht nur in Kolima mit allen Mitteln unterhalten und vorangetrieben — und zum andern ist Rußland bisher mit seinen Goldausgaben sehr zurückhaltend gewesen. Man wird daher wohl annehmen dürfen, daß diese Zurückhaltung aufgegeben wird, wenn es sich wirklich lohnt, dann aber unter vollem Einsatz aller Möglichkeiten in das Gegenteil umschlagen könnte.

Daß die Union ihren Goldschatz einsetzen muß, wenn sie ihren Waren-hunger wirklich befriedigen will, ergibt sich schon daraus, daß dieser Warenhunger viel größer ist, als sie im Warenaustausch ihrerseits liefern könnte, zumal sie die handelsfähige Produktion (Holz, Öl, Korn, Baumwolle) im eigenen Land selbst so nötig braucht.

Sollte sich aber in der Zukunft erweisen, daß der Goldhort weiterhin in Reserve gehalten wird, dann allerdings müßte man annehmen, daß sein Einsatz für den letzten Ernstfall aufgespart wird, könnte dann aber auch schließen, daß alle „Neuen Kurse“ grundsätzlich ausgegeben sind und der Kampf um die Macht wenigstens hinter der Fassade so oder so mit dem Aufbau eines neuen totalen und absoluten Terrorsystems seinen Abschluß gefunden hat.

Der Berichterstatter hat bisher nur von den grundsätzlichen Schwierigkeiten gesprochen, welche die ökonomische Struktur des Sowjetsystems in ihrem Kern bedrohen. Sie bestanden alle potentiell schon zu Stalins Zeiten, konnten aber hinhaltend behandelt werden, solange die absolute Autorität dieses dämonischen Mannes alles überschattete. Wie sehr er selbst die drohenden Gefahren sah, kann man dem entnehmen, daß er sein letztes Buch „Über die ökonomischen Probleme in der Sowjetunion“ (das kurz vor der 19. Parteiversammlung, also auch kurz vor seinem Tode erschien) diesen Fragen widmete und ihre Popularisierung (in seinem Sinne) mit aller Macht gewissermaßen im letzten Zeitraum des eigenen Lebens erzwang oder wenigstens erzwingen wollte. Daß die Popularisierung gerade dieses Buches sofort nach seinem Tode ihr Ende fand, mag er nicht vorausgesehen haben. Das letzte Wort auf der 19. Parteiversammlung, von allen mit größter Spannung erwartet und atemlos angehört (zumal im ganzen Verlaufe des Parteitages kein einziges Wort von ihm selbst bis dahin gesprochen worden war) und zugleich sein letztes öffentliches Wort überhaupt, lautete: „Trotz allem, was wir erreichten, vergessen Sie nie, daß wir nicht allein in der Welt stehen können, daß wir auf die andern immer angewiesen bleiben, insbesondere auf die brüderliche Hilfe der Genossen in aller Welt." Diese Beschwörung (die selbst im Rundfunk außerordentlich eindrucksvoll klang und mit offensichtlich echter Bewegung von der Versammlung ausgenommen wurde), war natürlich in erster Linie politisch gemeint, aber sie wurde auch wirtschaftlich verstanden — und nicht zuletzt in diesem Sinne kommentiert.

Inzwischen ist der Gossudar gestorben, seine Autorität ist dahin, die drohenden Engpässe aber haben sich nicht erweitert, sondern sind noch schmäler geworden. Denn nicht nur, daß den vorläufigen Nachfolgern der Aufbau einer neuen endgültigen Autorität noch nicht gelungen ist, sie haben vieles getan, was im Bereiche der Planung und Lenkung sofortige neue, schier unübersehbare Schwierigkeiten zusätzlich schuf. Sie haben in den ersten Wochen und Monaten nach Stalins Tod Dutzende von Planungs-, Wirtschafts-, Industrieministerien aufgelöst, zusammengeworfen, neugebildet, wieder aufgelöst und abermals neu formiert, so daß in Kürze innerhalb der neubesetzten, zerrissenen, umgebildeten, verschmolzenen Befehlsstellen niemand mehr wußte, wer nun eigentlich der wirkliche Befehlsgebende sei, welche Linie noch oder schon nicht mehr Geltung besäße, wer alles Durcheinanderstrebende miteinander wieder in Einklang setzen würde. Diese Umbesetzungen und Neuformierungen waren wohl im Rahmen des personellen Machtkampfes unumgänglich, mußten sich aber im Rahmen eines total zentralisierten und auf Jahre abgestellten Wirtschaftsplanes verhängnisvoll auswirken, zumal der Machtkampf selbst schon mit genügend menschlich-emotionellen Kompetenzkonflikten innerhalb der Ämter wie zwischen ihnen behaftet war — in einem Lande, in dem, überspitzt ausgedrückt, „kein Nagel eingeschlagen werden soll, der nicht im Staatsplan vorgesehen ist“, in dem aber auf der andern Seite die zeitliche wie mengenmäßige Versorgung des einzelnen Produktionszweiges bis herab zur kleinsten Fabrik nur gelingt, wenn die Mängel der Planung und ihrer gelenkten Durchführung gemildert werden durch die illegale, aber „menschliche“ Verbindung der leitenden Männer nach dem Grundsätze: Ich gebe, Du gibst!

Meine Gewährsmänner pflegten zu sagen: „Nehmen sie aus dem Planungs-und Vollzugsapparat bis hinein in die letzten Verzweigungen alle „menschlichen“ Verbindungen und Beziehungen weg (die zwar korrupt sein mögen, bei uns aber lebensnötig sind, weil sie allein die unendlichen Kompetenzkonflikte sowie allen Unsinn theoretischer Planung wie zentralisierter Schwerfälligkeit mildern können), dann bricht unser ganzes Wirtschaftsgefüge in sich zusammen.“

Sie sagten: „Glauben Sie nicht, daß das, was Sie hier in unsern kleinen Lagerfabriken vor Augen haben — dieses Durcheinander der Arbeitsgänge, diese Belieferungsstockungen, abwechselnd mit Arbeitshetze und Lieferung von Ausschußware (die nur abgenommen wird, weil sie abgenommen werden m u ß), den Wechsel von Übernorm und Arbeitsausfall, — etwa nur hierim Lager die Regel ist. Genau dasselbe, nur in viel größerem Maßstabe, spielt sich zur gleichen Zeit in unzähligen Fabriken außerhalb der Palisaden ab. Hätten wir nicht den totalen Arbeitsterror mit Normenakkord, Brigadepsklaverei und diktiertem sozialistischem Wettbewerb, hätten wir nicht das ganze System, das im Namen Stachanows ausgedrückt wird, hätten wir nicht auf der andern Seite s o viel potentiellen Reichtum, den wir nur anzu kratzen brauchen, damit etwas herauskommt, wir hätten längst den totalen Bankerott unseres Systems, wie unseres Landes erklären müssen!"

Alles dieses wurde bitter und verbittert gesagt, es mag im einzelnen auch überspitzt erscheinen, aber es wurde mittiefem Ernste vop Männern vorgetragen, die ihr Vaterland über alles liebten, und von dem System, zu dem sie dann in Gegensatz gerieten, al 1 e s für dieses Vaterland erwartet hatten, -3 -n 5x . ib -. .

Man kann, zusammenfassen: Alle ak tue lieh Schwierigkeiten, bedingt durch die Desorganisation von oben bei gleichzeitiger Unsicherheit in der Befehlserwartung von unten, überschattet vom Wegfall der großen integrierenden Autorität trotz Weiterbestehens der theoretisch noch totalen, praktisch aber in Auflösung begriffenen Zentralisierung, mußten die schon vor Stalins Tod potentiell vorhandenen Engpässe immer mehr verengen und ihre Überwindung immer mehr erschweren. Es kann daher nicht bezweifelt werden, daß im ersten Jahre nach Stalins Tod die Plan-produktion ganz allgemein nicht erfüllt wurde.

Im Lager jedenfalls rang die Buchhalterei buchstäblich die Hände und sagte dem Sinne nach: „Wie werden wir in diesem Jahre trotz aller Kunst und Wissenschaft unseres Zahlenapparates eine Bilanz aufstellen, bei einem Produktionsergebnis, das so weit unter der Norm liegt, daß keine Papiermanipulation dies mehr verschleiern kann." Und die Fabrik dieses Lagers hatte im vorausgehenden Jahre trotz aller Mängel immerhin eine Produktion von rund 6 Millionen Rubel zustande gebracht.

Die „Neuen Kurse" der neuen Herren haben also, um es noch einmal herauszüstellen, folgende Aufgaben in kurzer Frist, nach dem amtlichen Versprechen innerhalb von nur zwei Jahren, und „endgültig" zu lösen: sie müssen die Landwirtschaft sanieren, die Leichtindustrie erweitern, die Schwerindustrie aber nicht nur erhalten, sondern ebenfalls verstärken, sie müssen die Armee (einschließlich der Atomrüstung) noch besser versorgen, zugleich aber den Konsumgüterbedarf voll befriedigen, sie müssen Chinas und Nordkoreas wirtschaftliche Forderungen erfüllen, aber auch den Handel mit dem Westen steigern, sie wollen auch nicht auf die Fortführung der großen Kanalprojekte verzichten, aber trotzdem deren arbeitsmäßige Sicherung (durch den Masseneinsatz der verurteilten Zwangsarbeiter) durch Milderung des Massenterrors gefährden — und sie wollen gleichzeitig den inneren Machtkampf der Diadochen ohne Störung von außen her austragen und zum Abschluß bringen.

Erst die Zukunft kann zeigen, ob die Erfüllung aller dieser Vorhaben, die sich in Durchführung wie Zielsetzung kaum vereinen lassen, überhaupt und — im günstigsten Falle — noch rechtzeitig möglich ist.

Die weltpolitischen Perspektiven

Es wurde versucht, darzutun, daß die Sowjetunion ihre innen-und wirtschaftspolitische Krise nur meistern kann, wenn der außenpolitische Druck ermäßigt wird und eine langfristige garantierte Friedens-periode unter gleichzeitiger Forcierung des Außenhandels, nötigenfalls unter Zuhilfenahme des Goldhortes zu erreichen ist. Schon aus diesem Grunde wäre es falsch, die schon zu Stalins Zeit begonnene „Friedensbewegung in der ganzen Welt für die ganze Welt“ n u r als Deklamation und maskierte Propaganda aufzufassen und demgemäß zu werten, wenngleich die politische Ausnützung der Theorie des trojanischen Pferdes selbstverständlich ein mitentscheidender Beweggrund dieser Aktion war und zweifellos bleiben wird, solange entsprechende Möglichkeiten in der unsicheren innerpolitischen Struktur gewisser westlicher Länder solchem Ziele sich geradezu anbieten. Man wird auch kaum annehmen dürfen, daß die Sowjetunion ihren großimperialen Traum („vom Pazifik bis zum Atlantik"), sei es unter der Flagge der Weltrevolution, sei es im Zeichen des erwachenden großrussischen Messianismus, aufgegeben hat, ja überhaupt im Grundsatz je aufgeben könnte. Sie wird — wenn es möglich ist — immer wieder diesen Traum zu verwirklichen suchen, den zuträumen sie gar nicht aufhören kann. Denn dann darf man nicht vergessen, daß die Geschichte dieses interkontinentalen Riesen-raumes erst in ihrem Beginne steht!

A b e r , ein Traum ist eines und seine Verwirklichung ist ein anderes. Es spricht vieles dafür, daß die heutige Sowjetunion noch zu Stalins Herrschaft in der kritischen Periode zwischen 1949 („Luftbrücke Berlin ) und dem ersten Mißerfolg in Korea (vor Chinas Eintritt in den Krieg) ihre gesamte militärische Lage überprüfte und (nicht nur im Hinblick auf die damals erst anlaufende eigene Atomrüstung) fand, daß sie weder militärisch noch wirtschaftlich imstande wäre, einem unter militärischer und politischer Führung Amerikas geeintem Westen im E n d ergebnis, ungeachtet aller örtlicher Anfangserfolge, erfolgreich zu widerstehen, geschweige ihn niederzuringen. In allen Gesprächen der damaligen Zeit inner-wie außerhalb des Lagers war man sich bewußt, daß, unabhängig von allen waffendiktierten Überlegungen, auch. im Falle der echten Erfüllbarkeit des laufenden Fünfjahresplanes an seinem Ende immer nur bestenfalls 50 Millionen Tonnen Stahl, 60 Millionen Tonnen Öl und 500 Millionen Tonnen Kohle stehen würden — eine Potenz, über deren „Unrealität" gegenüber der vereinten Macht der westlichen Welt kein Zweifel bestehen konnte. Es war in dieser Zeit sehr interessant, namentlich in der Provinzpresse unmittelbar neben irgendeinem säbelrasselnden Artikel einen scheinbar unabsichtlichen (aber unübersehbaren) Hinweis auf die Notwendigkeit der genügenden, zur Zeit noch nicht genügenden wirtschaftlichen Ebenbürtigkeit gegenüber dem Westen immer wieder zu finden. Diese auf die breite Masse berechnete Dämpfung und Anstachelung zugleich wurde vielleicht nicht von dieser genügend verstanden, von der „Intelligenz“ aber sehr wohl beachtet und entsprechend kommentiert. Als „Testobjekte“ wurden allgemein einerseits die Situation um Berlin, anderseits der koreanische Krieg angesehen. In beiden Fällen handelte es sich um eine höchst bewußte Provokation der Entschluß-wie Handlungsfähigkeit der beiden großen angelsächsischen Mächte. Hätte Amerika vor allem im Falle Korea nur etwas gezaudert, wäre England nicht mitgegangen, hätte man nicht nur Korea in wenigen Wochen überrollt (ohne hierzu Chinas Hilfe zu benötigen!), sondern wahrscheinlich unter gleichen Voraussetzungen wenige Zeit später den „Test Berlin“ wiederholt und im gelungenen Falle bald darauf dasselbe am Kieler Kanal und vielleicht sogar an den Dardanellen versucht. Auf den allgemeinen Krieg hätte man es im Falle eines unerwartet starken Widerstandes ja nicht ankommen lassen müssen, denn das damalige Manövriervermögen des Stalinschen Apparates war groß genug, um augenblicklich vor der Drohung zur allgemeinen Kriegsausweitung zurückweichen zu können. Im erfolgreichen Falle aber hätte man ohne Krieg durch die Einbeziehung der Ostsee und des Schwarzen Meeres nicht nur eine entscheidende Sicherung des militärischen Vorfeldes (einschließlich der Flankendeckung der Industriegebiete von Leningrad und des Donbas), sondern auch kaum überschätzbare politische Einflußnahmen auf den skandinavischen und Nahostraum erreicht. All diese „Theorien“ standen damals im Überschwange der Diskussion der Lager, und es mag außerhalb der Palisaden nicht anders gewesen sein, wie es ja dann von später Zukommenden auch bestätigt wurde. Die „Aggression Amerikas“ in Korea wurde von keinem Denkenden ernst genommen, sondern als „selbstverständlicher Akt der geistigen Kriegsführung“ aufgefaßt — aber auch akzeptiert.

Daß Amerika blitzschnell handelte und England mitriß, hat damals das Abendland vor unabsehbaren Folgen, vielleicht sogar die „Freie Welt überhaupt gerettet, in Rußland aber tiefsten Eindruck erzielt. Denn nach dem Siege in China und dem scheinbaren Zurückweichen Amerikas in Ostasien hatte man ohne Zweifel mit einer solchen Entschlußkraft des Westens nicht mehr gerechnet, war sich aber nun klargeworden, daß die Träume auch im Westen zur Zeit noch nicht reif zur V erwirklichung wären. Man war damals wohl auch des Glaubens, daß noch genügend Zeit wäre, später einmal „das kleine Europa" einzuheimsen, wenn nur erst das Pulverfaß Deutschland zur Explosion reif wäre. Denn mit einer zunächst wirtschaftlichen und hernach sogar politischen Wiedergeburt des deutschen Restraumes hatte damals noch niemand in Rußland gerechnet, sondern jeder mit Sicherheit erwartet, daß die unvermeidliche

wirtschaftliche

Verelendung der Massen Westdeutschland reif für den Umsturz machen würde, in den rechtzeitig einzugreifen dann wohl Möglichkeiten genug bestünden. Zu diesem Zwecke wurde damals das Glacis von der Elbe über die Donau bis zum Schwarzen Meer als potentielle Offensiv basis aufgebaut, die es auch heute noch zu sein scheint, aber wahrlich nicht mehr i s t.

Denn inzwischen haben sich umwälzende Geschehnisse im Fernen Osten vollzogen, welche die ganze militärische Position der Sowjetunior gegenüber dem Westen früher oder später verändern müssen. Es soll zuerst nur von den weniger wichtigen, wenn auch augenscheinlicheren aktuellen Ereignissen gesprochen werden. Sicher ist, daß China in seinem „Großen Vaterländischen“ Krieg besser gekämpft und schneller gesiegt hatte als es die Sowjets selbst erwarten konnten (sowie daß dieser fast elementare Ablauf ihnen weniger lieb war als sie im öffentlichen Überschwang des „weltverwandelnden Sieges“ zugaben). Man kann ruhig sagen — und konnte es im Lager immer wieder verfolgen, wie kluge und erfahrene Kritiker diesen in seiner Art damals fast atemraubenden Siegeszug mit Beklemmung verfolgten, zumal es immer bekannter wurde, daß die „Bruderhilfe“ wesentlich weniger ausschlaggebend und die Selbständigkeit des „Befreiten“ ein gut Stück größer war, als „man“ es zunächst geglaubt hatte. Offenkundig wurde dann die Veränderung des Schwergewichts im Koreakrieg. Man kann heute ohne Schematisierung sagen, daß dieser Krieg wohl von der Sowjetunion (besser von „Rußland“) begonnen, aber von China beendet wurde. Und an diesem Ende stand zwar ein Remis zwischen Rußland und Amerika, aber ein klarer Sieg Chinas, über beide, eines Chinas, das nicht nur in die Reihe der erwiesenen souveränen Weltmächte eintrat, sondern sich Nordkorea und Tibet integrierte und damit auch die Wiedereinverleibung der Mandschurei endgültig sicherte! Wohl soll 1950 ein geheimer Beschluß Maos und seines Kreises die Kolchosierung auch in China festgelegt haben, aber davon wurde erst nach Jahren gesprochen und zunächst'nichts in diesem Sinne getan. Wenn China die Kolchosierung später noch durchführen sollte, wird das andere Gründe haben, von denen noch zu sprechen sein wird. Bisher aber ruhte Maos Macht auf dem von ihm befreiten Bauerntum (und der wenigstens proklamierten Befriedigung seines an sich unstillbaren Landhungers). Man bedenke, daß um der gleichen Frage willen der Bruch mit Tito vollzogen wurde, der gleiche Bruch gegenüber China aber nicht einmal gedacht werden konnte. Wohl kann kein Zweifel sein, daß Mao (und ein Teil seines Führungskreises) dem dogmatischen Marxismus genau so anhing wie ursprünglich Stalin, vielleicht auch heute noch anhängt, in der Wirklichkeit aber steht er vor seinem Volk im Lichte einer dreifachen Sendung: als Befreier des Vaterlandes von den Fremden, als Befreier des Volkes von der Korruption der Kuomintang und als Befreier des Bauerntums von der bis dahin realen Leibeigenfron der feudalen Latifundien.

Wohl ist „die Partia“ allmächtig, aber diese Partei hat das Vaterland erobert, vereint und mit längst verloren gegebenen Randgebieten gemehrt, sie hat das Vaterland in wenigen Jahren aus einem halbkolonialen Gebiet fremder Interessensphären zu einer der großen Mächte in der Welt gemacht und sie ist im Begriffe, das innere Gefüge lebensfähig zu gestalten. Ist es da nicht klar, daß jeder fühlende und denkende, insbesondere j u n g e Chinese an einer solchen Aufgabe mitarbeiten will, auch wenn er den dogmatischen Kommunismus ablehnt, oder vielleicht gerade, weil er ihn ablehnt. Ist es nicht erstaunlich, daß die Hörerschaft der von Amerika gebauten, wunderbar ausgestatteten Universitäten (die bereits zwei Generationen „erzogen“ hatten, denen aber Tausende älterer und junger Chinesen alles verdankten), zum Teil schon vor, in ihrer Masse aber „wie ein Mann" während des Großen Vaterländischen Krieges zu Mao übergingen? Niemand kann heute sagen, wie die Entwickelung in China im ganzen weitergehen wird, zwei Voraussagen wird aber man wagen dürfen: 1. Diese Entwicklung wird im Innern wie nach außen eine zunehmend selbständige wie eigenständige werden. 2. Niemals wird es eine Restauration der alten Kuomintang geben.

Trotzdem steht China vor ungeheuren Schwierigkeiten, und diese Schwierigkeiten begründen die vorläufige Sicherheit der Sowjetunion. Denn China muß rüsten und m u ß seinen Massen Brot geben (welches das Bauerntum allein nicht ausreichend geben kann), und dazu m u ß es industrialisieren, aber es ist — vorläufig — dazu trotz seines potentiellen Reichtums aus eigenem zu schwach und zu unentwickelt. Darum braucht es heute noch die Hilfe der Sowjets sowohl materiell wie personell, solange es auf sie a 11 e i n angewiesen ist. Dieses wissen die Sowjets und darum ist ihre „Bruderhilfe“ gerade so groß, daß China erste Schritte zum Industrieland machen kann, aber nicht groß genug, um es wirklich auf die Beine zu bringen — ganz abgesehen davon, daß die Sowjetunion, selbst wenn sie es wollte, wirklich ausreichende Hilfe weder materiell noch personell gewähren kann. Hierzu ist nur eine einzige Macht imstande, Amerika im Verein mit dem freien Westen. Aber Amerika sperrt sich, vielleicht nicht zuletzt aus emotionellen Gründen der Massen-meinungsbildung, und solange es sich sperrt, bleiben die Sowjets in China unentbehrlich, kann sich das chinesische Eigengewicht nicht frei durchsetzen, behält die Sowjetunion den freien Rücken in Fernost und die abwartende Entschlußfreiheit gegenüber dem Westen. — Wenn China noch längere Zeit auf die Sowjetunion angewiesen bleibt und keine Aussicht erhält, mit Amerika zu akkordieren, wird es gezwungen sein, „sich alleine großzuhungern“, d. h. es wird auf dem Rücken der Bauern industrialisieren müssen, und dieses bedeutet: kolchosieren a u c h in China. In diesem Sinne wird man den alten Beschluß von 1950 auffassen, aber auch trotz allen Aufschubs mit seiner nachträglichen Vollziehung rechnen müssen. Kommt es zu diesem Vollzug, so wird man schließen müssen, daß das neue China auf einen Akkord mit Amerika in absehbarer Zeit nicht mehr hoffen kann und daraus ernste Folgerungen zu ziehen gewillt ist.

Dieser äußere Vorgang des chinesischen Aufstiegs, der einem elementaren Phänomen ähnelt, obwohl er erst begonnen hat, wäre aber noch nicht von entscheidendem Einfluß und brauchte das außenpolitische Weltbild der Sowjetunion noch nicht grundlegend zu ändern, wenn sich nicht heute schon ein biologischer Vorgang abzeichnete, der für den weitblickenden Beobachter, der geschichtlich zu denken gelernt hat, alles überschattet. was in den nächsten Jahrzehnten geschehen kann, der daher schon heute auch dem denkenden Russen große Sorge bereitet und von der sowjetischen Staatsführung bereits wohl berücksichtigt wird.

Der -Berichterstatter möchte mit einer kleinen Anekdote beginnen, deren Vorgang im Herbst 1949 von ihm miterlebt wurde. Es war die Zeit des Überschwanges nach dem triumphalen Endsieg Maos über Tschiang. In einem kleineren Kreise gebildeter und kritischer Lagerhäftlinge wurden die Ereignisse diskutiert und kommentiert, im Endergebnis als bisher größter Sieg Rußlands gewertet und dementsprechend auch vom Gefühl her begrüßt. In der Runde befand sich ein alter General, der sich aus vielen Gründen allgemeiner Wertschätzung erfreute und dessen Urteil als richtunggebend galt, obwohl er damit am liebsten zurückhielt. Auch diesmal schwieg er unentwegt. Als er sich schließlich wiederholtem Drängen, doch seine Meinung über den Triumph in China zu sagen, nicht mehr verschließen konnte, geschah folgendes: er stand auf und sagte: „Ja, ja, eine halbe Milliarde Menschen und bald mehr — aber was kommt danach?" und ging hinaus. Allgemeines Schweigen folgte, das Gespräch kam nicht mehr in Gang. — Der General hat viele Jahre im Fernen Osten gestanden.

Dieses ungeheure biologische Elementarphänomen, welches sich schon in den nächsten Jahrzehnten zunehmend auswirken muß und bald seine Schatten voraus werfen w i r d , ist durch folgende Tatsachen gekennzeichnet: 1. Das integrierte China zählt heute schon mehr als eine halbe Milliarde Menschen. 2. Es besteht in seiner überwältigenden Masse aus Bauern, deren Familie eine der kinderreichsten der Welt ist. 3. Trotzdem dieser Kinderreichtum heute noch durch übergroße Kindersterblichkeit, durch Elend, Hunger, Krieg und Seuchen immer wieder begrenzt wird, schätzt man schon jetzt den jährlichen Geburtenüberschuß auf sicher mehr als 12, wahrscheinlich nicht viel weniger als 15 Millionen. 4. Wenn in einigen Jahren der allgemeine, wenigstens äußere Ordnungsstaat endgültig durchgesetzt sein wird und die mörderischen Auswirkungen einer mehr als dreißigjährigen kriegerischen Revolution zunehmend paralysiert werden können — was im ganzen nicht bezweifelt werden kann —. dann mag dieser Geburtenüberschuß in absehbarer Zeit 20 Millionen erreichen u n d überschreiten. Das aber bedeutet, daß die jährliche Volkszunahme dem Ausmaß einer mittleren Nation entspricht! 5. Der chinesische Raum, so groß er ist, reicht in seinen heutigen Grnnzen schon nicht mehr aus, um den alles beherrschenden Landhunger des Bauerntums zu stillen, er wird von Jahr zu Jahr weniger reichen — und was soll werden, wenn in wenigen Jahren ein Volk von 700 Millionen unter Raumdruck steht? Wie sehr auch Mao seine Industrialisierung vorantreiben mag, niemals kann er mit ihrer Hilfe allein den Volkszuwachs auffangen. 6. Wohl versucht das chinesische Menschentum seit langem, nach Süden auszuweichen, und es wird diesen Weg ohne Zweifel auch in Zukunft zu gehen derverhandlung mit Moskau ohne Amerika ablehnen und jeden Anschein einer schaukelnden, unsicheren, weichen Politik vermeiden muß, so unnachgiebig Deutschland bei jeder kommenden echten Verhandlung mit Moskau die gerechte Regelung der deutschen Ostfrage an der Seite Amerikas und Europas nicht nur für sich selbst, sondern auch für Amerika und Europa zugleich durchsetzen muß — ebenso unbedingt muß Deutschland sich darüber klar sein: 1. daß Rußland i m m e r sein größter, mächtigster und nächstgelegener Nachbar bleiben wird, 2. daß zwischen einem kommenden Rußlands, welches Deutschland nicht nur freigibt und es leben läßt, sondern es zur eigenen Rückendeckung einmal brauchen wird, nicht nur kein einziger tiefer Gegensatz zu bleiben braucht, sondern eine sichere und gute Gemeinschaft . erstehen kann.

Was im Kriege und Nachkrieg geschah, was immer auch beide Völker sich an Schwerem und Schwerstem wechselseitig zufügten, es muß und kann vergessen werden, wenn es um die gemeinsame Zukunft und ihren Aufbau geht. Denn es könnte sein, daß einmal auch Rußland auf der westlichen Seite der Barrikade steht, wenn in vielleicht nicht zu ferner Zukunft die großen, alles beherrschenden, weil biologischen Potential-kämpfe im nordasiatischen Raum und im Pazifik zunehmend drohen oder gar zum Austrag kommen. Deutschland mit Europa wird dann gegenüber Rußland und Amerika vielleicht zunächst das Glück der zweiten Linie haben, aber es wird sich auch in dieser bewähren müssen, und auf jeden Fall wird sein Wert für b e i d e großen Partner schon vorher im Aufnehmen sein. So könnte es wohl dahin kommen, daß Deutschland (mit Europa) zwar an der Seite Amerikas bleibt, aber vielleicht früher auch an der Seite Rußlands stehen wird, als beide es heute schon für möglich halten.

Aber hierzu ist nicht nur die aktuell-politische Bereinigung der Pfänder nötig, sondern die Herstellung eines Vertrauens, welches vor allem andern von einer Voraussetzung abhängt: Daß Deutschland gegenüber Rußland glaubhaft machen kann und selbst als eigene unwandelbare Überzeugung in seinem Herzen verankert, daß es niemals mehr gegen fremdes Ostland reiten wird — und daß Rußland diesen Glauben sich zu eigen macht und ihm vertraut. Dieses Vertrauen einmal herzustellen wird sehr schwer sein, um so unzweideutiger und überzeugender müssen seine Voraussetzungen geschaffen werden. Heute steht dieser „Ritt gegen Ostland“ noch mit aller Schärfe und Wirkung im Zentrum jeder östlichen Propaganda gegen Deutschland und wird wachgehalten durch die bittere Erinnerung der damit verbundenen „Gefährdung des russischen Vaterlandes“ und „Diffamierung des russischen Menschen“. Diese Propaganda, die sich auf vergangene Tatsachen stützen kann, ist heute nicht weniger wirksam denn je, man kann sagen, das Ansprechen auf sie liegt dem Russen im Blut, aber die Wurzel dieses Mißtrauens (dessen Rechtfertigung für jeden Russen der letzte Krieg und seine Führung endgültig erbracht zu haben scheint) geht zurück auf den Berliner Kongreß Bismarcks. Immer wieder kann der Deutsche von russischen Freunden hören: „Wir haben Euch und vor allem Bismarck vertraut, wir sind immer zu Preußen gestanden, und doch haben Preußen und Bismarck uns preisgegeben und verraten!“ — Sie sagten: „Wenn der Nationalsozialismus gegen die Sowjetunion angetreten wäre, um das kommunistische System zu brechen und Rußland wiederherzustellen, er hätte den Widerhall im ganzen Volk gefunden und hätte gesiegt, aber — er wollte dieses nur zum Schein, er wollte ja unser Land nehmen und uns verknechten!" — Der Berichterstatter ist der Überzeugung, daß auch heute noch alle Russen an die „ewig deutsche Gefahr“ glauben und ihr Wiederkommen fürchten.

Der Berichterstatter kann nicht verhehlen, daß es ihm schwer fiel, solche Meinungen durch eine Diskussion der Vergangenheit und ihrer andern Möglichkeiten zu überwinden. Er hat auch darauf verzichtet, etwa eine Gegenrechnung darüber aufzumachen, was umgekehrt Ruß-land Deutschland und Preußen gegenüber getan und verschuldet hat. Aber er hat versucht, seinen Partnern im Gespräch als seine Über-zeugungfolgendes klarzumachen und ist dabei auf Verständnis gestoßen. Er sagte: Fest steht als Gesetz der geschichtlichen Biologie wie biologischen Geschichte, daß eine militante Eroberung militärisch nicht gehalten werden kann, wenn sie gegen ein biologisches Volkstumsgefälle geschieht und sich trotzdem auf Dauer durchsetzen will. Denn selbst im Falle eines totalen militärischen Sieges hat der das Land besetzende und raubende Sieger nur eine dreifache politisch-biologische Wahl: 1. Er kann ein militär-politisches „Herrentum“ einsetzen und damit auf kurze Zeit eine dünne Überwanderung des beherrschten Raumes einleiten. 2. Er kann auf die Einsetzung einer solchen blutsmäßig abgegrenzten Herrenschicht verzichten und eine breite Verschmelzung mit dem unterworfenen Volkstum eingehen. Dasselbe aber mit den biologisch weit überlegenen Völkern des heutigen russischen Ostraumes zu versuchen, würde allenfalls ein Großreußentum erstehen lassen. Dieses aber wäre niemals ein Ziel, welches ein Volk verlocken könne, selbst wenn es sein Gesetz nur auf Macht und nicht auf Recht stellen wollte.

3. Eine „echte und dauerhaften Landnahme“ läßt sich nur auf dem Wege der Ausrottung des unterworfenen Volkes herstellen. Wo immer solches geschah, bleibt der Ausgleich für später offen und wird einmal vollzogen. Niemals wird Deutschland einen solchen Gang gehen wollen und darum auch niemals wieder die Voraussetzungen eines solchen schaffen. — Der Berichterstatter fügte hinzu, daß der Nationalsozialismus deshalb stürzte und stürzen mußte, weil er das eigene Gesetz, nach dem er ursprünglich angetreten war, nicht erfüllte, das Gesetz: das gleiche Maß von Freiheit, Recht und Ehre, das man für das eigene Volk verlangen und um jeden Preis erkämpfen muß, auch jedem andern, nicht nur dem russischen Volk zu geben! Weil er das Gesetz in sein Gegenteil verkehrte, darum mußte er fallen und hätte dem russischen Volk auch ohne Landnahme und im Falle seines militärischen Sieges die Freiheit nicht gebracht. Obwohl das deutsche Volk an dieser Verzerrung und Stürzung des Gesetzes, an dessen Wahrheit und Erfüllung es ursprünglich glauben durfte, nur mittelbar Schuld trägt, hat es durch den schwersten Opfergang der Geschichte gebüßt, was gebüßt werden kann, und wird seinen Fehlgang niemals wiederholen. — Lind darum darf und kann Rußland glauben, daß niemals mehr ein Ritt nach Ostland geschehen wird.

Was der Berichterstatter mit dieser Parenthese zeigen wollte, ist nur dieses, daß man mit allen Mitteln versuchen muß, russischen Menschen klarzumachen, daß Deutschland gegen Rußland nie mehr kämpfen wird, wenn es dieses nicht zur eigenen Verteidigung muß, daß es niemals mehr im Osten Land begehren wird, weil es weiß, daß jeder derartige Versuch sich in sein Gegenteil verkehren würde, und daß es dieser Überzeugung mit dem Herzen wie dem Verstand ohne Vorbehalt treu bleiben will. Daß es aber auch niemals verzichten kann auf sein eigenes Recht und seine eigene Freiheit und ihre Wiederherstellung in einer echten Grenze gegen Osten, die dann wirklich eine „Friedensgrenze“ sein und bleiben soll.

Man kann natürlich gegen alle diese Überlegungen einwenden, daß sie „in zu weitem Felde“ lägen, und daß es Deutschlands Aufgabe sei, taktische Aktualpolitik und nicht politische Strategie auf lange Sicht zu treiben. Man kann aber auch der Auffassung sein, daß ein Großvolk solcher in der Geschichte bewiesener Potenz und Leistung wie das Deutsche auf eine Planung in Jahrzehnten nicht verzichten kann, wenn es sich nicht damit abfinden will, endgültig ein Objekt der Geschichte zu werden. Man kann wohl der Überzeugung sein, daß Deutschland trotz seiner Katastrophe und augenblicklichen Schwäche keinen Grund hat, zu resignieren, es sei denn den Willen zum Verzicht darauf, einmal wieder das Subjekt seiner Geschichte zu sein. Der Berichterstatter bekennt sich zum Glauben, daß Deutschland dieses Ziel noch einmal gewinnen kann, wenn es hart bleibt und seine Zukunft nicht an die Gegenwart verkauft, und daß sein Menschentum noch nicht alt genug ist, um seinen Auftrag für erfüllt halten zu dürfen.

Fussnoten

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