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Die Sowjetspionage. Die Vereinigten Staaten | APuZ 50/1955 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50/1955 Die Sowjetspionage. Die Vereinigten Staaten

Die Sowjetspionage. Die Vereinigten Staaten

David J. Dallin

David 1. Dallin behandelt auf Grund umfangreichen Aktenstudiums in seinem neuen Werk die verzweigte und intensive Tätigkeit des geheimen sowjetischen Nachrichtenapparates. Da Buch von David I. Dallin wird unter dem Titel „DIE SOWJETSPIONAGE''demnächst im „Verlag für Politik und Wirtschaft", Köln, erscheinen. Mit reundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir in den Beilagen folgende Kapitel: Kapitel 3: „Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg"; Kapitel 6: „Die Rote Kapelle in Deutschland"; Kapitel 9: „Die Vereinigten Staaten“. Sie lasen zuletzt Kapitel 3: „Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg", Kapitel 6: „Die rote Kapelle in Deutschland", es folgt in dieser Ausgabe Kapitel 9: „Die Vereinigten Staaten".

1. Erste Schritte

In den Vereinigten Staaten richtete sich der sowjetische Nachrichtendienst später als in allen anderen Operationsgebieten ein. Der Apparat, der erst Ende der zwanziger Jahre aufgezogen wurde, war noch fast ausschließlich mit Personal aus Moskau besetzt und wurde direkt von Moskau gesteuert. Bis dahin hatte es nur vereinzelte, unzusammenhängende Versuche gegeben, Geheiminformationen über Amerika durch Komintern-Funktionäre, die die Vereinigten Staaten besuchten, durch einzelne eifrige Mitglieder der amerikanischen KP, „Delegierte“ zu Konferenzen in Europa usw. zu beschaffen. Diese Bemühungen ließen sich in keiner Weise mit der Größe und Leistungsfähigkeit der sowjetischen Apparate vergleichen, die um diese Zeit bereits in Frankreich, Deutschland, Polen und anderen europäischen Staaten operierten.

Für diese Situation lassen sich eine Reihe politischer Gründe aufzählen. Die Vereinigten Staaten waren der Kriege und der endlosen Streitereien Europas müde geworden und zogen sich von dem politischen Schauplatz der Alten Welt zurück. Die „Russische Frage“, Teil des europäischen Geschehens in den zwanziger Jahren, war noch immer eine vordringlich militärische Frage. Was immer in den Kanzleien und den Vor-zimmern der Außenminister europäischer Mächte an antisowjetischen Projekten entwickelt wurde, war für Amerika ohne Interesse, eine Tatsache, von der Moskau äußerst befriedigt war und die ND-Operationen in den Vereinigten Staaten weniger dringend erscheinen ließ als anderswo.

Zudem unterschied sich die kommunistische Bewegung in den Vereinigten Staaten sehr weitgehend von den kommunistischen Bewegungen anderer Länder und die KP der Vereinigten Staaten konnte sich an Größe und Bedeutung niemals mit ihren Schwesterparteien messen. In den ersten Phasen ihrer politischen Arbeit, in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, fand die KP in den Vereinigten Staaten Unterstützung hauptsächlich bei Einwanderern des vorrevolutionären Rußlands und ihren Familien — Balten, Polen, Juden, Ukrainern und, in geringerem Maß den „Großrussen“. Sie war eine „Arbeiterbewegung" sehr geringen LImfangs und absonderlichen Ursprungs.

Diese Parteigänger kamen aus einem Gebiet, das eine starke revolutionäre Tradition besaß. Sie waren noch immer nicht frei von den politischen Sentiments des Rußlands aus der vorrevolutionären Zeit, sie verfügten über Idealismus und die Bereitschaft zu opfern und geopfert zu werden. Konspirative Arbeit lag ihnen im Blut. Vom Standpunkt der Sowjets waren sie den neuen „Untergrundarbeitern" in Deutschland, Frankreich und anderen Staaten des Westens überlegen, weil sie längst alles über Geheimtreffs, geheime Waffenlager, Flucht aus Gefängnissen, Gebrauch unsichtbarer Tinte, Herstellung falscher Pässe und Koffer mit doppeltem Boden wußten. Sie hatten von diesen Dingen gehört und gelesen, noch bevor ihre späteren Genossen in der amerikanischen Partei daran gingen, das ABC des Leninismus zu studieren. Der sowjetische ND konnte sich in den frühen Anfängen fast ausschließlich auf diese Gruppe von Freunden in Amerika verlassen, mit denen er seine ersten Stützpunkte in den Vereinigten Staaten aufbaute.

In den Jahren der Großen Depression stießen neue Gruppen von Amerikanern, vornehmlich Intellektuelle, zur kommunistischen Bewegung und wurden schließlich ihre Hauptstütze. Sie ließen sich durch den „Antifaschismus“ und die hohen antikapitalistischen Schlagworte der Kommunisten anziehen. Diese Intellektuellen gaben dem amerikanischen Kommunismus ein bestimmtes Gepräge, und die amerikanische KP entwickelte sich in der Folgezeit noch sehr-viel weniger zu einer „echten Arbeiterbewegung“ als die anderen Parteien der Komintern.

Die offizielle KP der Vereinigten Staaten richtete ihre Beziehungen zum sowjetischen ND-Apparat nach dem üblichen Schema aus. Es war die Pflicht der amerikanischen Parteiführung, den sowjetischen Apparat in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen, ihm neue Agenten zuzuführen, gelieferte Informationen zu überprüfen und technische Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel diente der gebürtige Schweizer Max Bedacht, Mitglied des Politbüros der amerikanischen KP, geraume Zeit als Hauptverbindungsmann und Werber. Dieser recht bescheidene -Mann wurde später durch Earl Browder ersetzt, dessen Parteilaufbahn ungefähr 1930 einen ersten wirklichen Aufschwung nahm.

Entsprechend dem international gültigen Schema wurde auch in den Vereinigten Staaten ein Untergrundnetz — ein illegaler Apparat der KP — aufgezogen, dessen Operationen oft parallel zu den Unternehmen der sowjetischen Apparate liefen, besonders hinsichtlich der Paßfälschung, des Aufbaus geheimer Nachrichtenlinien, der Einrichtung von jawkas und anderen technischen Arbeiten. Wichtige Figuren des amerikanischen Untergrund (J. Peters, Stewe Nelson, Jacob Golos und andere, die im weiteren Verlauf der Untersuchung erwähnt werden) fungierten oft als Verbindungsmänner zwischen dem amerikanischen Apparat und dem sowjetischen ND in den Vereinigten Staaten. In einem wichtigen Punkt unterschied sich dieses Bild der Beziehungen zwischen dem sowjetischen ND und der amerikanischen KP jedoch von dem allgemein üblichen Schema. Seit den späten zwanziger Jahren wurde eine nicht unbeträchtliche Fraktion in der KP der Vereinigten Staaten von Moskau mit gro-ßem Argwohn betrachtet, das in dieser Zeit mit Nachdruck versuchte, alle wichtigen Außenposten mit loyalen Stalinisten zu besetzen. Moskau war mit gewissen führenden Persönlichkeiten der amerikanischen KP, die von Stalin als „Rechte“ betrachtet wurden, höchst unzufrieden. Die Kluft wurde immer weiter und im Jahre L 929 wurde schließlich der Generalsekretär der KP der Vereinigten Staaten, Jay Lovestone, aus der Komintern ausgestoßen. Lovestone wurde der Führer der kommunistischen Opposition, einer Gruppe, die unter verschiedenen Bezeichnungen bis 1940 bestand und sich im Laufe dieser Jahre allmählich zu einer antikommunistischen Gruppe entwickelte.

Obgleich die Lovestone-Gruppe außerhalb der Reihen der offiziellen KP stand, blieb sie noch geraume Zeit dem kommunistischen Programm treu, hielt Rußland für die Wiege des Sozialismus und war bereit, dem sowjetischen Vaterland auf jede erdenkliche Weise zu helfen, einschließlich durch Leistung von „Sonderdiensten“. Selbst nach dem Ausschluß ihrer Führer aus der Komintern, glaubten die Lovestone-Anhänger noch immer, die Kluft sei nicht allzu weit und der Bruch nicht endgültig. Bis 193 8 griffen sie Stalin niemals in der Öffentlichkeit an. Der sowjetische ND auf der anderen Seite, der selbst mit Oppositionellen aller Arten durchsetzt war, zögerte nicht, aus der Mitte dieser Abweichler Geheim-agenten anzuwerben, die ja überdies den Vorteil boten, in den Augen der amerikanischen Abwehrstellen weniger verdächtig zu sein. Einer dieser Abweichler war Dr. Valentin G. Burtan, der 193 3 in eine größere, später noch zu schildernde Falschmünzeraffäre verwickelt wurde. In einem anderen Falle machten sich sowjetische ND-Offiziere an einen Lovestone-Anhänger heran, der am New Yorker Roosevelt-Flughafen beschäftigt war und versuchten, ihn für den sowjetischen Apparat zu gewinnen, obgleich sie wußten, daß er der von Moskau verurteilten Oppositionsgruppe angehörte. Auch im Falle des John L. Sherman, der als angeblicher „Lovestone-Mann“ einer Säuberung im Daily Worker zum Opfer gefallen war. stießen sich die Offiziere des militärischen ND der Sowjets nicht an diesem inneren Parteihader Sherman ließ sich anwerben und wurde mit wichtigen Geheimaufträgen in den Vereinigten Staaten und im Fernen Osten betraut. Die Aufzählung dieser Fälle ließe sich fortsetzen. Selbst Kommunisten, die der offiziellen KP als Mitglied angehörten, von denen man aber wußte, daß sie mit dem ausgestoßenen Lovestone sympathisierten, wurden in den sowjetischen ND-Apparat eingebaut, hinter ihnen ist der bekannteste Whittaker Chambers, der bis 193 8 für den militärischen ND der Sowjets arbeitete.

Mehrere hundert Männer und Frauen sind in den drei Jahrzehnten, die die GRLl und GB in den Vereinigten Staaten operierten, in die verschiedenen ND-Unternehmen verwickelt worden. Diese drei Jahrzehnte sind gekennzeichnet durch einen ständigen Wechsel von Erfolg und Fehlschlägen, einen harten Kampf gegen die amerikanische Abwehr, durch Desertion und Verrat, Säuberungen und Hinrichtungen, die in Moskau stattfanden, und durch Todesfälle in Amerika, die sich nicht alle auf natürliche Art erklären ließen. Eine vollständige Beschreibung dieser Phase der amerikanischen Geschichte würde einen eigenen Band füllen. In dieser Untersuchung können nur die entscheidenden Figuren und die wichtigsten Entwicklungen dieses Abschnittes erwähnt werden.

Die GB war der erste der beiden großen Zweige des sowjetischen ND-Systems, der sich in den Vereinigten Staaten fest einrichtete. Der Aufbau ihrer ersten Stützpunkte stand in enger Verbindung mit der Einrichtung des ersten größeren sowjetischen Handelsunternehmens in den Vereinigten Staaten. Im Jahre 1924 wurden zwei sowjetische Handelsfirmen zur „Amtorg Trading Corporation“ (Amtorg Handelsgesellschaft) verschmolzen, einem sehr aktiven und legitimen Unternehmen, das einerseits von der GB gesichtet und überwacht wurde, andererseits aber auch de: GB als Tarnung für illegale Unternehmen diente. Das Personal der Amtorg, das zum großen Teil aus amerikanischen Staatsangehörigen bestand, mußte genauestens überwacht werden, da sich unter diesen Amerikanern zahlreiche Nichtkommunisten befanden. Zu den Pflichten der GB gehörte außerdem die Beobachtung nichtkommunistischer russischer Emigrantengruppen, über die laufend Bericht erstattet werden mußte. Später kam zu diesen Aufgaben noch die Bloßstellung von Trotz-kisten und anderen Abweichlern.

Bis 1927-28 waren die Operationen der GB in den Vereinigten Staaten recht bescheiden und wurden fast nur mit örtlichem amerikanischem Personal durchgeführt. Der erste Resident war ein Agent namens Tschatzki, der über die Haltung Washingtons gegenüber der Sowjetunion Bericht zu erstatten hatte und darüber hinaus versuchen sollte, die Bestrebungen zur Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu unterstützen. Tschatzki war als Angestellter der Amtorg getarnt und konnte sich seiner Aufträge mit einigem Erfolg entledigen, obgleich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch einige Jahre auf sich warten ließ. Er ging 1928 nach Rußland zurück und wurde wegen seiner „großartigen Arbeit" belobigt. Nach Tschatzki's Abgang war es Moskau geraume Zeit nicht möglich, einen anderen Residenten nach Nordamerika abzustellen

Spionage im engeren Sinne war Aufgabe der GRU, die hauptsächlich an der amerikanischen Luftfahrt, an Flottenproblemen. Waffenkonstruktionen und Industriepatenten interessiert war. Zu den Begründern des militärischen ND-Apparates der Sowjets in den Vereinigten Staaten gehörten Alfred Tilton *), ein litauisch-russischer Kommunist, und Lydia Stahl. Beide hatten als GRU-Agenten in Frankreich gearbeitet, wo sie einer Verhaftung knapp entgehen konnten. Tilton richtete in der Verwaltung einer New Yorker Reederei ein getarntes Büro ein und organisierte mit Hilfe’ kommunistischer Seeleute und der Gewerkschaft Schiffahrt den Kurierdienst. Er richtete außerdem für Lydia Stahl ein großes, gut ausgestattetes Photo-labor ein, in dem die erfahrene Photographin stets genügend Arbeit durch Kopieren vertraulicher Dokumente fand. Unter diesen Dokumenten befanden sich zum Beispiel die Pläne des britischen Kriegsschiffes Royal Oak, die über Washington aus Kanada eingetroffen waren, für eine Nacht entwendet und nach der Anfertigung von Photokopien zurückgestellt wurden. Der Diebstahl wurde nicht entdeckt.

Tilton wurde 1930 nach dreijährigem Einsatz im ND-Apparat in den Vereinigten Staaten nach Moskau zurückgerufen. Lydia Stahl wurde 193 2 wieder als Agentin des militärischen ND nach Frankreich beordert.

Tiltons Nachfolger war ein gewisser Nicholas Dozenberg ”). ebenfalls ein litauischer Einwanderer und ehemaliges Mitglied des Litauischen Arbeiterklubs der Sozialistischen Partei in New York. Als die KP in den Vereinigten Staaten gegründet wurde, war er bereits an die vierzig Jahre alt. Er trat der KP bei und bearbeitete in den zwanziger Jahren in ihrem Zentralkomitee bestimmte technische Aufgaben. Dozenberg war weder ein guter Schriftsteller noch ein Theoretiker oder gar ein politischer Führer, galt aber als loyaler und verläßlicher Parteiarbeiter. 1927 -wurde Dozenberg für den militärischen ND der Sowjets angeworben, worauf er sofort seine Verbindungen zur Partei abbrach. Er führte zunächst nur unbedeutende Aufträge aus, wurde aber 1929 nach Moskau gerufen, wo er von Jan Bersin, Chef des militärischen ND, empfangen wurde. Er wurde kurz danach mit Aufträgen in Länder geschickt, die nicht zur westlichen Hemisphäre gehören. Anfang der dreißiger Jahre operierte er hauptsächlich in Rumänien, das wie Polen zu den Schlüssel-gebieten des sowjetischen ND zählte. Die rumänische Polizei war dauernd mit der Bekämpfung der sowjetischen Spionage beschäftigt. Für die Arbeit in Rumänien sollte eine neue Tarnorganisation aufgezogen werden, und zwar eine „Amerikanisch-Rumänische Filmgesellschaft“ die Dozenberg in den Vereinigten Staaten zu gründen hatte und die aus Gründen größeren Ansehens, eine Zweigstelle in Bukarest haben sollte. Die einzige Schwierigkeit des Planes lag darin, daß man zur Gründung der Filmgesellschaft 100 000 Dollar benötigte. Aber gerade in diesen Jahren (1930-32) waren Moskaus Devisenvorräte auf einem kritischen Tiefstand angelagt, so daß nur Unternehmen höchster Dringlichkeitsstufe mit den nötig•en Geldmitteln versehen werden konnten Um den Plan mit der Filmgesellschaft jedoch nicht fallen lassen zu müssen, ließ sich der sowjetische ND in eines der riskantesten unklugen Abenteuer seiner Geschichte ein, nämlich Fälschung amerikanischen Geldes. LInter den vielen Geschichten, die über Falschgeldoperationen der Sowjets in Umlauf sind und die zum großen Teil als übertrieben und sogar erfunden gelten müssen, ist die Dozenberg-Affäre dokumentarisch nachweisbar. In dem Falschmünzerprozeß, mit dem die Affäre schließlich endete, gab eine Reihe von Zeugen detaillierte Aussagen zu Protokoll, die ein Jahrzehnt später von Dozenberg selbst bestätigt wurden. ’) alias „Joseph Pacquet“, „Martin". •) alTas „Dallant“, „Nicholas“. Daß eine revolutionäre Regierung sich bei ihren Aktionen nicht durch moralische und rechtliche Überlegungen oder einfache Bedenken der Anständigkeit bestimmen lassen darf, ist ein Kardinalsatz eines Regimes, dessen Führer selbst einst um der Sadie „der Partei“ willen Bankeinbrüche verübt hatten. Die sowjetische Regierung mußte erst durch bittere Erfahrung lernen, daß es sich nicht lohnt, Geld zu fälschen, ganz abgesehen von rechtlichen Überlegungen und Bedenken der Anständigkeit.

Falsch-ünzerei lohnt sich für eine Regierung erst dann, wenn sie in ganz großem Maßstab betrieben wird, wenn Milliarden Dollar, Mark oder Jen auf den Markt geworfen werden. Aber ein solches Unternehmen muß unweigerlich von der Polizei aufgedeckt werden und kann der betreffenden Regierung durch den internationalen Skandal, der sich nicht vermeiden lassen wird, unermeßlichen politischen Schaden zufügen. Andererseits sollte Falschmünzerei in kleinem Umfang für die Regierung eines großen Landes ohne Interesse sein.

Anders liegen die Dinge natürlich im Kriege, wenn einer Regierung nicht daran gelegen sein muß, Verärgerung anderer Staaten zu vermeiden. Die deutsche Regierung druckte zum Beispiel während des zweiten Weltkrieges erhebliche Mengen britischen und amerikanischen Geldes für Spionagezwecke. In der Öffentlichkeit ist der „Fall Cicero“ bekannt, da man den spionierenden Kammerdiener der britischen Botschaft in Ankara füi den systematischen Diebstahl geheimer Dokumente mit Falschgeld entlohnte. „Cicero“ erhielt von der deutschen Regierung insgesamt £300 000, die sich später als geschickt gefälschte Noten herausstellten Nach der Darstellung eines deutschen Autors, Eberhard Frowein, hat die Gestapo in einer Spezialwerkstatt, die in einem Konzentrationslager in der Nähe von Berlin eingerichtet worden war, während der Kriegsjahre E 140 000 000 drucken lassen, geriet aber in Schwierigkeiten, als sie diese Beträge in Umlauf setzen wollte

Dozenberg, der um amerikanisches Geld verlegen war, erhielt Anweisung, für den sowjetischen ND die Werkgeheimnisse der amerikanischen Münzen zu beschaffen. Bald darauf lief die Herstellung falscher amerikanischer Banknoten an. Die ersten Hundert-Dollar-Noten wurden von der Dozenberg-Gruppe nach Kuba und in südamerikanische Länder gebracht, wo sie gegen echtes Wechselgeld eingetauscht wurden. In den Vereinigten Staaten wurden nur wenige Noten in LImlauf gesetzt

Schließlich wurde Dozenberg mitgeteilt, daß man bald 100 000 Dollar in gefälschten Noten nach New York transportieren werde; er möge dafür Sorge tragen, daß sie in Umlauf gesetzt würden. Die KP der Vereinigten Staaten dürfe jedoch nicht das geringste mit der Affäre zu tun haben

Dozenberg wandte sich an seinen» Freund Valentin G. Burtan, einen gebürtigen Russen. Dr. Burtan, ein hilfsbereiter und umgänglicher Mann mit einem ausgeprägten Hang zum Abenteuer und zum gefährlichen Einsatz, unterhielt eine einträgliche Arztpraxis in New York. Burtan gehörte der abweichlerischen kommunistischen Opposition an, die ihm jedoch nicht völlig traute und ihn verdächtigte, ein von den Stalinisten eingebauter Spitzel zu sein. Selbst die Tatsache, daß Burtan mit dem Kommunistenführer Jade Stachel eng befreundet war, konnte das Mißtrauen seiner Genossen nicht zerstreuen. Dozenberg ernannte diesen Burtan zum Vizepräsidenten seiner „Amerikanisch-Rumänischen Filmgesellschaft“.

Zu Dr. Burtans nichtkommunistischem Patientenkreis gehörte ein deutscher Abenteurer mit dem bekannten Namen von Bülow. Dieser E. Dachow von Bülow, ein ehemaliger deutscher Offizier ohne feste Arbeit, war an illegalen Waffengeschäften mit südamerikanischen Staaten beteiligt. Er liebäugelte mit dem Nationalsozialismus, was ihn aber damals, im Jahr 1932, noch nicht allzu anrüchig machte. Burtan hatte Bülow-oft aus finanziellen Schwierigkeiten geholfen und konnte ihn nun überreden, sich an dem Falschgeldunternehmen zu beteiligen, wofür er, falls das Unternehmen zur Zufriedenheit ablaufe, gut entlohnt werden sollte. Von Bülow schlug sofort eine sehr einfache Lösung vor: der Finanzminister von Guatemala sei sein guter Freund und werde nur allzu bereit sein, allerdings gegen Beteiligung, den Herren zu helfen. Nach Angaben von Bülows verfügte die Bank von Guatemala ständig über erhebliche Beträge amerikanisher-Dollars. Der Minister brauche nur die frisch gedruckten falschen Dollarnoten gegen echte amerikanische Noten auszutauschen. Die ganze Affäre würde bestimmt vergessen sein, wenn das Schatzamt von Guatemala — vielleicht erst viele, viele Jahre später — diese gefälschten Noten in Umlauf setze.

Zwischen New York und Guatemala wurde eine Reihe Telegramme gewechselt. Aber plötzlich brachen die Verhandlungen ab, die Guatemala-Lösung fiel aus. Burtan und von Bülow versuchten es auf anderem Wege. Ein Privatdetektiv irr Chicago namens Smiley, ein Bekannter des von Bülow und ein recht zweifelhafter Charakter, versprach seine Hilfe und engagierte eine Reihe seiner Bekannten aus der Unterwelt von Chicago, denen er jeweils eine Anzahl falscher Noten übergab mit der Bitte, sie möchten sie doch in LImlauf setzen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis einer der „Helfer" von der Polizei von Chicago gefaßt wurde und die Namen anderer Beteiligter aufdeckte. Während der Ermittlungen unterstützte von Bülow bereitwillig die Staatsanwaltschaft und trat beim Prozeß, der im Mai 1934 in Chicago stattfand, gegen seinen Freund als Zeuge auf. Dr. Burtan stand jedoch loyal zu Pozenberg und der Stelle, von der der Auftrag gekommen war und verweigerte jede Aussage über die Herkunft der Noten und über die Absichten, die hinter dem ganzen Unternehmen gestanden hatten. Der politische Hintergrund der Affäre blieb somit verborgen. Burtan wurde am 25. Mai 1934 zu fünfzehn Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 10 000 Dollar verurteilt. Seine ärztliche Approbation wurde ihm entzogen. Er saß zehn Jahre seiner Strafe ab.

Dozenberg, der überhaupt nicht belastet worden war, war bereits frühzeitig nach Deutschland und Rumänien zurückgegangen, wo Anfang der dreißiger Jahre der Untergrundkampf zwischen Spionage und Abwehr einen Höhepunkt erreicht hatte. Er wurde später im Auftrage des militärischen ND der Sowjets nach Tientsien in China geschickt. Er kehrte dann über Moskau in die Vereinigten Staaten zurück, wo er 1939 wegen falscher Angaben auf einem Paßantrag belangt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Er war um diese Zeit bereits ein enttäuschter und desillusionierter Kommunist. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis legte er sich einen anderen Namen zu, blieb in den Vereinigten Staaten, und zog sich gänzlich von der LIntergrundarbeit zurück

2. General „Kleber” und die Amtorg-Ara

Die sowjetische Spionage in den Vereinigten Staaten gewann erst Anfang der dreißiger Jahre, als die GB und der militärische ND ihre eigentlichen Apparate aufbauten, wirkliches Gewicht. Lim die gleiche Zeit wurden eine Reihe von Kominternagenten eingesetzt. Falsche Pässe und Tarnorganisationen standen in genügender Menge zur Verfügung. Von den amerikanischen Kommunisten waren nicht wenige bereit, in den Dienst der ehrfürchtig bewunderten Apparate des russischen Kommunismus zu treten. Unter den Residenten des militärischen ND, die in die Vereinigten Staaten abgestellt wurden, waren zu dieser Zeit allerdings nur wenige wirklich hervorragende Persönlichkeiten. Die fähigsten Agenten, die es nie in sehr großer Zahl gibt, wurden für Einsätze an wichtigeren Stellen gebraucht. Einer der russischen Residenten in den Vereinigten Staaten in den Jahren 1930/31 war der ehemalige Panzer-offizier der Roten Armee „Herbert“, ein engstirniger Bürokrat. Von den anderen ist noch Alexander Ulanow („Walter"), ein ehemaliger Sozial-revolutionär, zu nennen, der aber auch nicht durch besondere Leistungen auffiel.

Der Residenturleiter Anfang der dreißiger Jahre war Mark Zilbert *) > einer der wenigen hervorragenden Chefs des militärischen ND in den Vereinigten Staaten, der später während des spanischen Bürgerkrieges weltbekannt wurde. In Spanien nahm er den Namen des napoleonischen Generals Jean Baptiste Kleber an und führte eine loyalistische Armee an der spanischen Front. Im April 1937, als in Moskau der Terror der Großen Säuberung herrschte, wurde Zilbert nach Moskau zurückbeordet, verhaftet und mit einer Reihe anderer Kommandeure der Roten Armee hingerichtet. Trotz seiner Intelligenz und seiner Fähigkeiten konnte Zil-") alias „Molsche Stern", „Mr. Herb", „Kotasky“, „General Emilio Kleber . Lawyer“ weist Waldman auf das charakteristische Verhalten der kommunistischen Kreise hin, die in die Osman-Affäre verwickelt waren Sie weigerten sich nicht nur, Osman irgendwelche Unterstützung angedeihen zu lassen, sondern bestritten sogar in privaten Unterredungen mit dem Rechtsanwalt, ihn zu kennen oder mit ihm Verbindung gehabt zu haben. Weder Herman Meyers, dessen Adresse in New York für Osmans Briefsendungen benutzt worden war, noch ein gewisser Dr. Stenbuck, dessen Adresse in ähnlicher Weise benutzt worden war, kamen in dem Prozeß Osman zu Hilfe. AIs Osmans Freundin, Frema Karry, ihn verließ und verschwand, versuchte Waldman bei dem Chefredakteur des kommunistischen Organs „Freiheit“ in New York, M. J. Olgin, Hilfe und Unterstützung zu finden. Olgin verhielt sich genau so, wie es die Regeln der konspiratia verlangen: „Weder meine Zeitung noch die Kommunistische Partei wollen irgendetwas mit dem Fall Osman zu tun haben. Wir denken nicht daran, Ihnen zu helfen, wenn Sie jene Miß Karry finden wollen . . . wer immer sie sein mag .

Osman wurde auf freien Fuß gesetzt und ging nach New York zurück, wo er sich von Parteien und Politik fernhielt. Sein Freund Robert Switz war inzwischen in Frankreich im Zusammenhang mit der Spionageaffäre von 193 3 verhaftet worden.

Er wurde zusammen mit seiner Frau 193 5 auf freien Fuß gesetzt. Beide hatten allen Grund, wegen ihrer Unterstützung der An-Zilbert-„Herb“ erklärte dem Disch, er komme im Auftrage einer privaten Industriegruppe und brauche die Informationen aus Konkurrenz-gründen. Für Entwürfe und schriftliche Unterlagen versprach er gute Bezahlung. Der amerikanische Ingenieur, der sechs Monate lang regelmäßig mit „Mr. Herb" zusammenkam, lieferte vertrauliches Material aus. Disch hatte allerdings vor seinem zweiten Treff mit „M. Herb“ seinen Vorgesetzten in der Finna von dem Kontakt erzählt, worauf der Präsident des Unternehmens die Abwehrstellen der amerikanischen Flotte informierte, die ihrerseits Disch anhielten, den Kontakt mit Zilbert nicht abreißen zu lassen. Sie gaben ihm genaue Instruktionen, welches Material (veraltetes oder gefälschtes Material) er aushändigen dürfe. Agenten der amerikanischen Abwehr beschatteten Disch bei seinen Treffs mit dem sowjetischen Residenten, die in einem Großrestaurant auf dem Broadway stattfanden. Disch übergab das mitgebrachte Material niemals direkt an Zilbert, sondern legte einen Umschlag mit den schriftlichen Unterlagen auf den Tisch, den Zilbert erst beim Verlassen des Restaurants an sich nahm, Disch erhielt jedesmal eine Bezahlung von 100 bis 200 Dollar. bert in seiner Stellung als Leiter der sowjetischen Spionage in den Vereinigten Staaten keine allzu großen Erfolge aufweisen. Einer seiner zahlreichen russisch-amerikanischen Gehilfen war der Kommunist Solomon Kantor, der als technischer Zeichner bei der Arma Engineering Corporation angestellt gewesen war, die geheime Aufträge der amerikanischen Flotte ausführte, und deren Angestellte zu strikter Geheimhaltung verpflichtet wurden. Kantor hatte kurz zuvor die Arma-Gesellschaft verlassen und wandte sich nun zur Beschaffung von Informationen an einen alten Freund William Disch, der immer noch im Zeichenbüro der Arina arbeitete. Kantor stellte den Kontakt zwischen Disch und Zilbert her. Bei seinen Treffs mit Disch erschien Zilbert unter dem Decknamen „Mr. Herb“, der dem Deutsch-Amerikaner Disch heimatlich klingen mußte und gewisse Vermutungen zuließ, Herb könne Sympathien für die Rechtsströmungen in der deutschen Politik haben. (Die Technik, Agenten als Rechtsradikale auszuspielen, wurde ebenfalls in Finnland und Frankreich angewandt. Man glaubte, beim Aufplatzen einer Spionage-Affäre durch diese Vorsichtsmaßnahme den Verdacht von Moskau auf Berlin ablenken zu können.)

Nach mehrwöchiger Beschattung und Beobachtung übergab die Flottcn-Abwehr den „Fall Herb“ dem FBI. Disch mußte nun vor seinen Treffs mit Zilbert zur FBI-Stelle in der Lexington-Avenue kommen, wo er durchsucht wurde. Eine zweite Untersuchung wurde unmittelbar nach dem Treff vorgenommen, damit genau festgestellt werden konnte, wieviel Geld und was für Noten der sowjetische Agent dem Disch ausgehändigt hatte. Das Geld verblieb jeweils beim FBI. Dem FBI stellte sich jetzt die Frage, für wen dieser „Mr. Herb“ arbeitete. Bei einem der folgenden Treffs hatte Disch dem sowjetischen Agenten zu erklären, daß die Dokumente, die er ihm heute übergebe, noch am gleichen Abend zurückgegeben werden müßten; Zilbert sollte sie doch sofort photographieren lassen. Zilbert ging auf den Vorschlag ein und die FBI-Leute, die ihn beschatteten, sahen ihn das Dienstgebäude der Amtorg betreten.

Monate vergingen, in denen alles ohne Stockung und Schwierigkeiten zu laufen schien. Die von Disch gelieferten Unterlagen gingen an General Bersins Dienststelle in Moskau, wo sie von sowjetischen Flotten-experten ausgewertet wurden. Allerdings muß den sowjetischen Experten nach einiger Zeit ein gewisser Zweifel an dem Wert des Materials gekommen sein. Zilbert wurde argwöhnisch. Eines Tages erschien er nicht mehr zu einem vereinbarten Treff, tauchte seitdem nicht wieder auf, wurde aber auch nicht verhaftet.

Bei anderen Unternehmen war Zilbert erfolgreicher als in dem anderthalbjährigen Untergrundkampf mit der amerikanischen Abwehr, der um die Schiffsgeschütze geführt wurde.

Ein anderes Mitglied desZilbert-Apparates war Robert Gordon Switz ) *.

Switz wurde zunächst als Photograph ausgebildet, um Lydia Stahl ersetzen zu können, machte dann sein Pilotenexamen und übernahm schließlich die Erkundung amerikanischer Einrichtungen und Truppen-einheiten in Panama. Die Beschaffung von Geheimdokumenten über die Kanalzone war die Aufgabe einer kommunistischen Zelle in Panama, der amerikanisches Militär-und Zivilpersonal angehörte, das in dieser Zone stationiert war. Aufgabe des „Fliegers“ war es, die Übermittlung des entwendeten Materials nach New York sicherzustellen. °) alias Harry Duryea", „Aviator" (Flieger).

Ein russisches Mädchen namens Frema Karry, die als Agentin für Switz arbeitete, führte ihn bei einem ihrer Freunde namens Robert Osman ein ') • Osman, „ein hochgewachsener, schlaksiger junger Mann von ungesundem Aussehen und mit ungewöhnlich melancholischen Augen“ war der Sohn eines arbeitslosen Schusters, der aus Rußland eingewandert war. Osman gehörte dem Kommunistischen Jugendverband an. AIs er mit Switz zusammentraf, war er als Unteroffizier der amerikanischen Artillerie in Panama stationiert und arbeitete auf einer Schreibstube, wo er Durchschläge verschiedenster Schriftstücke, darunter einige, die als „Vertraulich“ gekennzeichnet waren, anfertigen mußte. Disziplin und Sicherheitsmaßnahmen wurden in dieser Schreibstube offenbar nicht sehr ernst genommen, denn eine Anzahl geheimer Unterlagen einschließlich der Pläne des Fort Sherman und der Kanalbefestigungen gingen über den Kontakt Osman-Switz an Zilbert in New York. Bei seinen kurzen Besuchen in der Kanalzone befaßte sich Zilbert vor allem mit den organisatorischen Einzelheiten des Unternehmens.

Ein Brief, der in Panama aufgegeben wurde, an einen „Herman Meyers" in New York adressiert war und militärische Unterlagen enthielt, konnte aus irgendwelchen Gründen nicht zugestellt werden und ging deshalb nach Panama zurück, wo er auf dem Postamt geöffnet wurde. Die Entdeckung der Geheimdokumente führte zu Ermittlungen, bei denen sich herausstellte, daß die Schriftstücke auf Osmans Schreibmaschine geschrieben worden waren. Man konnte außerdem noch feststellen, daß Osman aus New York Geldüberweisungen von insgesamt 400 Dollar erhalten hatte. Gegen Osman wurde ein Verfahren eingeleitet. Man stellte ihn vor ein Kriegsgericht und verurteilte ihn im August 1933 zu zwanzig Jahren Zuchthaus, einer Geldstrafe von 10 000 Dollar und Ausstoß aus der Armee.

Das LIrteil wurde jedoc nicht vollstreckt. Im März 19, 34 wurde auf Veranlassung des nichtkommunistischen Rechtsanwalts Louis Waldman der Prozeß laut Anordnung des Präsidenten der Vereinigten Staaten wieder ausgenommen. In dem neuen Prozeß, der im Mai 1934 stattfand, konnte nachgewiesen werden, daß jemand anderes als Osman die Geheimdokumente nach New York geschickt haben mußte. Robert Switz, der wirkliche Leiter der ND-Gruppe in Panama, wurde überhaupt nicht erwähnt, noch konnte man feststellen, wer nun eigentlich die Dokumente in Panama auf die Post gegeben hatte. Osman, ein typischer „Durchschnittsunfall“ der sowjetischen Spionage, wurde freigesprochen.

Das LIrteil der Berufungsinstanz war ein Erfolg für den fähigen Rechtsanwalt Waldman, zugleich aber auch Beweis, wie wenig die amerikanische Spionageabwehr und die amerikanische Öffentlichkeit auf die Abwehr von Agenten und Spionen vorbereitet waren, die wenige Jahre später von größter Bedeutung werden sollte. In seinem Buch „Labor •) die Switz-Osman-Affäre wird in Louis Waldmans Buch Labor Lawyer beschrieben (New York, Dutton 1944, S. 221— 57); vgl. außerdem Waldmans Erklärung in D-Akte AM 37bd und New York Times, 29. — 31. August und 26. Oktober 1933, 12. und 24. Mai 1934. * klagevertretung und ihrer Enthüllungen über den sowjetischen ND-Apparat um ihre Sicherheit besorgt zu sein. Sie wurden aus Frankreich ausgewiesen, lebten einige Jahre in Salzburg, und kehrten 19 38, als die Affäre schon halb vergessen war, in die Vereinigten Staaten zurück. Die amerikanischen Behörden waren nur zu gern bereit, die Tätigkeit der beiden desillusionierten Sowjetagenten auf sich beruhen zu lassen. Switz starb im Jahre 1951

Die Aittt.org Trading Corporation in New York war in Struktur und Bedeutung der Arcos in London und der Handelsvertretung in Berlin vergleichbar. Ihr Anfangskapital von 100 000 Dollar, das später erhöht wurde, war von der Moskauer Außenhandelsbank zur Verfügung gestellt worden, die auch die Amtorg-Anteile besaß. Wie ihre beiden Schwestergesellschaften war auch die Amtorg ein echtes Handelsunternehmen, das erst in zweiter Linie als Tarnorganisation für ND-Unternehmen benutzt wurde. Ihre Handelsgeschäfte, deren Wert sich innerhalb einiger Jahre bereits auf mehrere hundert Millionen Dollar belief, machten ihre Stärke und ihren Einfluß aus. Nicht wenige amerikanische Industrie-, Finanz-und Handelsinteressen hingen von der Stabilität und Prosperität dieser sowjetischen Stelle ab Aber eben die Tatsache, daß die Amtorg zunächst ein wirkliches Handelsunternehmen war, machte sie so wertvoll als Tarnung für das Personal und die Unternehmen des sowjetischen ND, da Spionagefäden, die zu Amtorg liefen, bei einer möglichen Aufdeckung als geringfügige Kleinigkeiten im Vergleich zu den riesigen Handelsgeschäften, die über die Amtorg liefen, abgetan werden würden.

Der sowjetische ND nutzte die Möglichkeit, seine Agenten in legalen Anstellungen bei der Amtorg unterzubringen. Die Amtorg konnte ihre Leute ohne weiteres in diese oder jene Stadt oder Fabrik schicken. Photographie-Photokopieranlagen waren vorhanden, Chiffren konnten benutzt werden. Die sowjetische Industriespionage in den Vereinigten Staaten, die ebenfalls seit Ende der zwanziger Jahre angelaufen war, machte weitgehend Gebrauch von den weitverzweigten Beziehungen der Amtorg. Die häufig aus Rußland eintreffenden Handelsmissionen boten die Möglichkeit ständiger Erkundung der amerikanischen Industrieproduktion. Ein ehemaliger Angestellter der Amtorg namens Robert Pitcoff, der 1934 aus der KP austrat, sagte später aus: „Es gab Kommissionen, die die Glasfertigung studierten; es gab Kommissionen, die die Luftfahrt studierten; es kam eine Kommission, die die chemische Industrie und andere Industriezweige wie die Papierherstellung und dergleichen studieren sollten. Fast jeder Industriezweig wurde von diesen Kommissionen studiert“

Natürlich boten sich der sowjetischen Erkundung vor allem in Industrien, die als strategisch wichtig galten, von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten. In solchen Fällen griff man auf die KP zurück, die Ansatzpunkte für die Arbeit zu finden hatte, und dabei sehr oft Erfolge aufweisen konnte. Die Amtorg konnte zum Beispiel eine geraume Zeit keinen Zugang zur Chemischen Industrie gewinnen. Man setzte die KP ein, die zwei bis drei Jahre lang die Vorarbeiten erledigte, schließlich einige ansprechende Personen aufspürte und Kontakte herstellen konnte.

Eine der fünfzehn Abteilungen der Amtorg war ausschließlich mit Fragen der Luftfahrt und der Flugzeugindustrie beschäftigt. An ihrer Spitze stand immer ein Vertreter des militärischen ND, gewissermaßen ein inoffizieller russischer Luftwaffenattache in den Vereinigten Staaten, der ständig auf der Jagd nach militärischen Geheimnissen war.

Im großen und ganzen war die Amtorg jedoch eine Domäne der GB, hinter der die GRLI zurücktreten mußte. Die GB überwachte den riesigen Menschenapparat der Amtorg, beschattete und entließ Angestellte und machte die Amtorg zum Mittelpunkt ihrer ausgedehnten Operationen in den Vereinigten Staaten.

Die Amtorg beschäftigte Anfang der dreißiger Jahre 700 bis 800 Angestellte, von denen 200 bis 300 als Mitglieder bei der KP der Vereinigten Staaten eingeschrieben waren. Einige dieser KP-Mitglieder, die in späteren Jahren mit der Partei brachen, haben ein recht aufschlußreiches Bild dieser Organisation, einschließlich ihrer Ausnutzung durch den sowjetischen ND, gezeichnet Daß die Angestellten, einschließlich der leitenden Angestellten, überwacht wurden, geht deutlich aus diesen Berichten hervor. Die „Geheimarbeiter“ waren als Angestellte der niedrigsten Kategorien getarnt. Selbst der GB-Chef, der häufig zwischen Moskau, New York, England und Kanada hin und her reiste, war nur Angestellter in einer unbedeutenden Position ").

Von Zeit zu Zeit wurde die Amtorg von Spionageskandalen erschüttert, bei denen die politischen und polizeilichen Funktionen der GB in den Vereinigten Staaten deutlich zutage traten. Im Juli 1930 trat ein Vizepräsident der Amtorg namens Basil W. Delgass zurück und gab eine Reihe von Erklärungen über die Arbeitsmethoden der Amtorg ab, die für die Sowjets äußerst peinlich waren. Delgass beschuldigte die Amtorg, sie betreibe Militärspionage in den Vereinigten Staaten und sagte: „Ich selbst habe Informationsmaterial über die Heeres-und Flottenverteidigung der Vereinigten Staaten gesehen, das von Amtorg-Agenten beschafft und an Rußland weitergeleitet wurde

Im Juli 1930 wurde der Amtorg-Beamte Wladimir Asaturow mit zwei anderen Männern des Schmuggels angeklagt, da er illegal LIhrwerke aus der Schweiz in die Vereinigten Staaten eingeführt hatte. Dieser Zwischenfall beleuchtete die Methoden, die die GB in jenen Jahren für ihre Finanz-transaktionen anwandte. Die Anklage gegen Asaturow wurde noch erweitert, da man auch noch Geburtsurkunden und Taufscheine bei ihm fand, die für die Ausstellung eines amerikanischen Passes benötigt werden. Die New Yorker Polizei wußte, daß Asaturow der GB-Leiter in New York war Lim die gleiche Zeit fahndete die Polizei vergeblich nach dem Amtorg-Beamten Semijon Filin, der in Wirklichkeit ein wichiitger GB-Beamter war, und seinem Gehilfen Im Januar 1931 wurde ein Amtorg-Direktor namens Fjodor Sjawkin als ein ehemaliger GB-Chef einer russischen Provinzstadt bloßgestellt .

Diese Spionagezwischenfälle, deren man noch eine ganze Reihe aufzählen könnte, machten allerdings keinen tiefen oder nachhaltigen Eindruck auf die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten. Die Presse und die Intellektuellen-Kreise glaubten dem Augenschein nicht, verhielten sich skeptisch und weigerten sich, hinter all diesen Fällen einen inneren Zusammenhang zu sehen.

3. Die GRU und die Gß in den Dreißiger Jahren

Als im Januar 1933 Präsident Franklin D. Roosevelt sein Amt antrat, schien eine Wendung in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen bevorzustehen. Das Problem der diplomatischen Anerkennung der Sowjetunion, dessen Bedeutung in beiden Ländern weit übertrieben wurde, kam allmählich einer Lösung näher. Alle Welt glaubte, daß durch die offizielle Anerkennung einer Regierung, die bereits sechzehn Jahre bestanden und funktioniert hatte, ein wesentlicher Fortschritt erreicht werde. Moskau legte tatsächlich sehr viel mehr Wert auf den Akt der offiziellen Anerkennung, als sich aus Äußerungen der sowjetischen Presse und offiziellen Erklärungen entnehmen ließ, wobei allerdings Prestigegründe entscheidend waren.

Fast hätte man glauben können, das Schicksal habe sich gegen den Kreml gewandt, denn gerade um diese Zeit erlebten die Vereinigten Staaten jene Skandale, von denen jeder einzelne schwerwiegend genug war, um starke antisowjetische Gefühle wachrufen zu können. Die Falschmünzeraffäre wurde kurze Zeit nach den Präsidentschaftswahlen aufgedeckt und führte im Januar 193 3 zur Verhaftung des Dr. Burtan. Kurz darauf wurde Robert Osman in Panama als Spion verhaftet. •) Zu den Pilichten der „Geheimarbeiter''der Amtorg gehörte die Anwerbung neuer Agenten. Robert Pitcoii hot berichtet, wie er angegangen und entlassen wurde, als er sich weigerte, Agentendienste zu tun. „Ein Partet genösse, der dem gleichen Komitee wie ich angehorte, fragte mich, ob ich Interesse hätte, Geheimagent für die sowjetische Regierung in aer Flotte eines fremden Staates zu werden.. Ich sagte ihm, ich glaubte nicht, daß ich für eine solche Arbeit geeignet sei, da ich sie nicht kenne, worauf er sagte, dafür werde schon gesorgt werden. Man würde mich zu einer zweijährigen Schulung nach Rußland schicken . . . Ich erbat mir Bedenkzeit, lehnte aber nacfj einiger Überlegung das Angebot ab. Später erzählte mir ein anderes Mitglied der KP, ihm sei von dem gleichen Mann ein gleiches Angebot gemacht worden . . . Verschiedentlich wurde ich vom Bezirkskomitee vor-geladen, das mir nahelegte, ich solle aus der Amtorg ausscheiden.

Rober Pittcoff, House Committee on Un-American Activities, Investigation of Communist Propaganda Activities, Hearings of October 14, 1939, 9, 58121939, 9, 5812 13. Die Amtorg-Skandale waren noch nicht aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwunden. Trotz dieser Entwicklung entschied Präsident Roosevelt, -nicht von dem politischen Programm abzugehen, das zur Anerkennung Sowjetrußlands führen sollte und lud Maxim Litwinow nach Washington ein.

Moskau konnte sich in diesen Monaten des Jahres 1933 nicht recht schlüssig werden. Sollte man in einem solch entscheidenden Augenblick die Spionageoperationen weiterlaufen lassen? Sollte man hinnehmen, daß die Erreichung des langgehegten Zieles einer diplomatischen Anerkennung durch die Vereinigten Staaten durch die Unfähigkeit einiger sowjetischer Agenten gefährdet würde? Sollte man überhaupt in diesem Augenblick, da die letzten Spionageaffären gerade abklangen, das Risiko auf sich nehmen, das mit dem Aufbau eines neuen Apparates in •den Vereinigten Staaten verbunden war? Valentin Markin *), ein leitender Beamter der GB, zugleich ein fähiger und ergebener Kommunist, nahm es auf sich, Molotow persönlich über die Fehlschläge der GRU in den Vereinigten Staaten Bericht zu erstatten. Markin blieb in diesem Kampf zwischen GB und GRU um das Einsatzgebiet Nordamerika der Sieger Der militärische ND wurde angewiesen, seinen Apparat in den Vereinigten Staaten bis auf weiteres stillzulegen. Die Führer der sowjetischen Sicherheitsstellen dachten jedoch nicht daran, ihre ND-Stützpunkte in den Vereinigten Staaten ganz abzuschalten — „Wer weiß, vielleicht brauchen wir sie bald wieder.“ Die Nachrichtenlinien offenzuhalten und mit den Quellen in Kontakt zu bleiben, sie aber nicht aktiv werden zu lassen, schien die beste Lösung.

Leitstelle und Apparat des militärischen ND der Sowjets in den Vereinigten Staaten wurden somit für geraume Zeit stillgelegt. Eine Reihe der prominentesten Agenten wurde in andere Länder abgestellt! Arvid Jacobson ging nach Finnland, John Sherman wurde nach Japan beordert, Whittaker Chambers stand vor der Abreise nach England, Nicholas Dozenberg kehrte von Moskau nicht in die Vereinigten Staaten zurück, sondern wurde zunächst nach China geschickt, die Switzes waren bereits in Frankreich eingetroffen, wo der sowjetische ND-Apparat beschleunigt ausgeweitet wurde.

Von 193 3 bis 1935 schickte-die Moskauer Zentrale keine besonders wichtigen Agenten zur Führung ihrer militärischen ND-Leitstelle in den Vereinigten Staaten. Zwar traf um diese Zeit ein Offizier der Roten Armee unter dem Decknamen „Bill“ aus Rußland ein, der aber nur den Auftrag hatte, von den Vereinigten Staaten aus einen neuen ND-Apparat in England aufzuziehen. Diese nachrichtendienstliche „Politik der Nichteinmischung“ wurde so strikt durchgeführt, daß der sowjetische Agent Whittacker Chambers, der einige von Harry Dexter White aus dem US-Schatzamt beschaffte Dokumente photographiert hatte, sie nicht bei „Bill" absetzen konnte. Er „war nicht an ihnen interessiert und wollte nicht, daß ich diese Arbeit fortsetzte“ Etwas später konnte Henry Julian Wadleigh schriftliche LInterlagen aus dem US-Außenministerium (State Department) beschaffen, die Chambers zusammen mit einigem Material, das der V-Mann Abel Groß aus dem Bureau of Standards (Staatliches Eichamt) besorgt hatte, photokopierte und erneut jenem „Bill“ anbot. Chambers wurde wieder abgewiesen, Daß einem russischen ND-Offizier ein solcher Bescheid schwergefallen sein muß, braucht kaum erwähnt zu werden.'

Der „Stillhaltebefehl“ galt allerdings nur für die GRU, nicht aber für die GB, die ihrerseits ihre Apparate weiter vorschob und ihre Unternehmen erweiterte. Seitdem in Washington eine neue sowjetische Botschaft eingerichtet worden war, brauchte man sich nicht mehr allein auf die Amtorg als getarnten GB-Stützpunkt zu verlassen. Außerdem arbeiteten jetzt getrennt von diesen Stützpunkten einige GB-Residenten in Amerika zur Überwachung der amerikanischen V-Männer und Kuriere.

Daß nach 1933 die wesentlichsten ND-Operationen in den Vereinigten Staaten jahrelang allein von der GB durchgeführt werden konnten, hatte die GB nur Markin und seinem internen Sieg von 193 3 zu verdanken, den er jedoch nicht sehr lange in Ruhe genießen konnte. 1934 wurde er eines Tages mit einer häßlichen Kopfwunde an einer Toreinfahrt in der 52. Straße in New York aufgefunden. Er starb am nächsten *) alias „Walter", „Herman'’, „Oscar".

Tag. Der Leiter der Ausländsabteilung der GB in Moskau, Slutzky, erklärte später, Markin sei von der GB „liquidiert" worden

Seit 1934-3 5 fiel somit der GB die führende Rolle im nordamerikanischen Operationsgebiet zu. Die Gründe für die Erfolge der GB in diesen Jahren müssen aber vor allem in dem „antifaschistischen" Klima dieser Jahregesucht werden und dürften sich kaum auf die Fähigkeiten der GB-Beamten zurückführen lassen, die im allgemeinen mittelmäßige Leute von nur geringer Intelligenz waren. Zum Nachfolger Markins wurde 1934 ein gewisser Walter Grinke bestellt, der ebenfalls unter dem Decknamen „Bill“ bekannt war. Dieser damals ungefähr vierzigjährige Grinke ist uns von Hede Masing beschrieben worden: . . eine niedrige Stirn und dichtes, glattes Haar von fahlem Rotblond. Er hatte aufgeworfene Lippen, die sich beim Sprechen mit Speichel bedeckten, er hatte schrägstehende Augen, die ständig entzündet waren — die kleinen, häßlichen Augen eines engstirnigen, furchtsamen Mannes. Er war klein und schmal mit hängenden Schultern, und seine Gesichtsfarbe ließ darauf schließen, daß er nie in seinem Leben genug zu essen gehabt hatte“ Ein weiterer GB-Resident war Boris Basarow („Fred"), ein ehemaliger Offizier der Roten Armee, der bereits als GB-Mann in Berlin eingesetzt gewesen war, aber nicht als besonders guter „Operativer“ gelten konnte. Zumindest aber warer persönlich weniger abstoßend als Grinke. Er traf im Mai 1935 ein und blieb bis zum Ende des Jahres 1937, als er nach Moskau zurückkehrte, wo er der Großen Säuberung zum Opfer fiel. Unter Grinke und Basarow arbeitete eine Reihe von Kurieren, V-Männern, Ermittlern und Photographen, zu denen die bereits erwähnte Hede Masing gehörte, die später das Buch This Deception schrieb, einen aufschlußreichen Bericht über sowjetische ND-Tätigkeit in den Vereinigten Staaten. Andere erwähnenswerte Agenten dieser Periode waren „Anton“ und „Bill Berman“, beides Russen (von Bill Berman schreibt Hede Masing: „Was in seinem Gehirn vorging, wenn er überhaupt eines hatte, wollte ich immer gern herausfinden. Ich habe es nie geschafft.“), der Tscheche „Victor“ und eine junge Deutsche namens Gerda Frankfurter

Vor allem aber muß ein leitender GB-Beamter, der den amerikanisch klingenden Decknamen „Gaik Badalowitsch Owakimian“ trug, wegen der ungewöhnlichen Dauer seines Einsatzes in den Vereinigten Staaten erwähnt werden. „Owakimian“ war 1932 gekommen und blieb fast ein Jahrzehnt als GB-Resident in den Vereinigten Staaten. Während dieser Jahre beschäftigte „Owakimian“ eine große Anzahl von Stützpunktleitern, V-Männern und Kurieren, zu denen zum Beispiel Robert Haberman gehörte, der in Mexiko und in den Vereinigten Staaten eingesetzt wurde, dann Eda Wallanze und Fred Rose, die in Kanada operierten, ferner das Paar Aaron Markowitsch und Adolph Stark, die für die Paßbeschaffung verantwortlich waren, Simon Rosenberg, der von 1932 bis 1938 in der Industriespionage eingesetzt wurde. Jacob Golos und ein Sachbearbeiter im LIS-JustiZministerium (Department of Justice), der in den Jahren 1937. bis 1938 Informationen aus den Akten des FBI beschaffte

Im großen und ganzen konnte „Owakimian“ etwas mehr Erfolge als seine Vorgänger aufweisen. Er wurde im Frühjahr 1941 verhaftet. Seine Art der Verteidigung vor Gericht und die ihm gewährte Erlaubnis nach Rußland zurückkehren zu dürfen, werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschrieben.

Ein weiterer leitender GB-Beamter in den Vereinigten Staaten war Wassilij Subilin ) *, der sich von Beginn der dreißiger bis Mitte der vierziger Jahre mit längeren * Unterbrechungen in den Vereinigten Staaten aufhielt. Er galt bei der GB als Experte für Amerika-Fragen. Seine Frau Elisawetha („Helen“) stand ebenfalls seit längerem im Dienst der GB. Ihre ersten GB-Einsätze fielen in das Jahr 1929, als sie versuchte, bei einer der ersten „trotzkistischen Affären" aus Jacob Blumkin ein Geständnis herauszulocken, wobei sie mit ihren weiblichen Reizen nicht sparte Während in den Jahren 1936 bis 1938 die Mehrzahl aller sowjetischen ND-Offiziere von ihren Außenposten nach *) alias „Sarubin“, „Lutschenko", „Peter", „Cooper". Moskau zurückbeordert wurden, auf die sie dann nie mehr zurückkehrten, konnten die beiden Subilins der Katastrophe entgehen. Sie leiteten als aktive GB-Beamte die auf amerikanischem Gebiet, notwendig werdenden Untersuchungen über den „Verrat“ des Ignaz Reiss und spürten im sowjetischen Untergrund in den Vereinigten Staaten diejenigen auf, die mit Reiss sympathisiert hatten. Im Januar 1942 erhielt Wassilij Subilin zur Belohnung seine erste „diplomatische“ Stellung als Dritter Sekretär der sowjetischen Botschaft in Washington. Er rückte verhältnismäßig schnell zum Zweiten Sekretär auf und leitete in dieser Stellung, geschützt durch die diplomatische Immunität, die ND-Operationen während der ersten Phasen der Atomspionage.

Zwei andere hochgestellte GB-Beamte waren als Beauftragte des Russischen Roten Kreuzes in den Vereinigten Staaten getarnt, da die GB offenbar glaubte, die Behörden würden hinter der humanitären Organisation des Roten Kreuzes zu allerletzt ND-Stützpunkte vermuten. Diese Kalkulation der GB erwies sich jedoch als falsch — ihre unter der Tarnung des Roten Kreuzes geführten Operationen wurden in fast allen Einzelheiten enthüllt.

An der Spitze des Russischen Roten Kreuzes hatte seit 1921.der russische Arzt David H. Dubrowsky gestanden *) • Er war aus Rußland in die Vereinigten Staaten eingewandert, wo er sich zunächst der Sozialistischen Partei, später aber den Kommunisten anschloß. Seit 192 5 hatte er dann nicht mehr aktiv an der Parteiarbeit teilgenommen. Im Jahre 193 3 wurde ein gewisser Jacob Sterngluss, der bis dahin GB-Residenturleiter in Afghanistan gewesen war, als „Gehilfe“ des Dubrowsky in die Vereinigten Staaten versetzt. Sterngluss nutzte diese Stellung natürlich nur zu Tarnzwecken und widmete seine ganze Zeit und Arbeitskraft nur den GB-Unternehmen in Amerika. Seine Spezialität war die Organisierung von Postdiebstählen aus den Briefkästen verschiedener Personen. Er baute eine Gruppe von Spezialagenten auf, die nichts anderes zu tun hatten, als die Häuser, in den die für Sterngluss interessante Post geliefert werden sollte, ständig zu überwachen, die Postzustellung abzuwarten und unmittelbar nach dem Weggang des Briefträgers die Postsendungen aus den jeweiligen Briefkästen zu entwenden. Er verschaffte sich Kontakte mit kleineren Angestellten der Western Union, Covnmercial Cables und der Radio Corporation of America, um durch sie in den Besitz von Telegrammen und Funksprüchen zu gelangen, an denen ihm gelegen war Dr. Dubrowsky erfuhr von der Tätigkeit seines „Gehilfen“ und fuhr, da er um das Ansehen des Russischen Roten Kreuzes besorgt war, im Sommer 1934 nach Moskau, wo er das Problem erörtern wollte. Später unterbreitete er Dr. Boris Skwirsky von der sowjetischen Botschaft in Washington verschiedene Dokumente über die „frevelhafte Tätigkeit“ des Sterngluss und regte an, die Botschaft möge sich einmal um Sterngluss Bankkonto kümmern und seine Ausgaben überprüfen, die mit seinem bescheidenen Gehalt von monatlich 170 Dollar keineswegs in Einklang gebracht werden könnten. „Es ist völlig überflüssig festzustellen“, erklärte Dr. Dubrowsky später vor dem Un-American Activities Committee (Untersuchungsausschuß gegen unamerikanische Umtriebe), „daß weder die russische Botschaft noch das Generalkonsulat irgendetwas in dieser Frage unternommen haben. Die Bevollmächtigten der sowjetischen Regierung haben nicht die Macht, in die „Spezial“ tätigkeit eines GRU-Agenten einzugreifen“

193 5 brach Dr. Dubrowsky mit der sowjetischen Regierung und trat von der Leitung des Russischen Roten Kreuzes zurück. Im September 1939 sagte er vor einem Ausschuß des Kongresses aus. Er starb im Juni 19 50.

Wichtiger aber als deiser Sterngluss war Dr. Gregor Rabinowitsch *), * ebenfalls Arzt und nach außen als Beauftragter des Roten Kreuzes in New York getarnt. Er wurde nach Amerika beordert, als in Moskau die Große Säuberung ihrem Höhepunkt zustrebte, und war beauftragt, die trotzkistischen Umtriebe zu untersuchen und die „Liquidierung" Trotzkys zu organisieren. Louis Budenz von der Redaktion des Daily Worker wurde von der KP der Vereinigten Staaten dem Dr. Rabinowitsch als Gehilfe zugeteilt. Budenz hat später die Operationen der Gruppe Rabinowitsch weitgehend enthüllt. Aus seiner Darstellung wird ersichtlich, wie sehr *) alias „Iwanow".

") alias „Roberts", „John Rich“. die trotzkistischen Richtungen in den Vereinigten Staaten mit kommunistischen agents provocateurs durchsetzt waren, wieviel Geld für antitrotzkistische Unternehmen ausgegeben wurde und wie erbarmungslos Stalin die Vernichtung seines gehaßten Gegenspielers betrieb. In Budenz’ Bericht, der in dem Buch This ls My Story (Meine " Geschichte) niedergelegt ist, und in den Aussagen, die er am 11. November 1950 vor dem Committee on Un-American Activities machte, wird eines der dunkelsten und besonders tragischen Kapitel der Geschichte der GB lebendig. Der Fall Trotzky gehört jedoch nicht mehr in den Bereich dieser Untersuchung.

In den dreißiger Jahren war unter dieser Gruppe sowjetischer Residenten in den Vereinigten Staaten eine große Zahl amerikanischer Staatsangehöriger in verschiedenen eng umgrenzten Funktionen in der Beschaffung der GB und der GRU tätig. Sie unterlagen strikter Disziplin. Die meisten von ihnen wußten-nicht einmal, für welche Stelle sie eigentlich arbeiteten und kannten von dem jeweiligen Unternehmen selten mehr als den kleinen Sektor, auf dem sie gerade tätig waren. Einige halfen bei der Beschattung Leo Trotzky’s, ohne zu ahnen, daß sie in Wirklichkeit bei der Vorbereitung des Attentates tätig waren; andere beschafften Bruchteile von Werkgeheimnissen verschiedener Industrielaboratorien, ohne zu wissen, daß sie in Wirklichkeit für einen Spionagering tätig waren.

Aus dieser Gruppe amerikanischer Agenten ragen wegen ihrer Intelligenz, Energie, Ergebenheit und Rücksichtslosigkeit drei Namen hervor: George Mink, Jacob Golos und J. Peters. Alle drei stiegen in den Vorkriegsjahren zu wichtigen Posten in den sowjetischen ND-Apparaten auf.

Für diese Schicht erfolgreicher GB-Agenten kann George Mink * als besonders kennzeichnendes Beispiel gelten. Von Erziehung und Bildung war bei Mink nichts zu finden, aber er war dennoch eine auffallende Persönlichkeit und bemerkenswert wegen seiner ruhelosen Aktivität, noch mehr aber wegen seiner Arroganz, die er auf die Spitze trieb, seiner Rücksichtslosigkeit und Prahlerei.

Der gebürtige Russe Mink, von Beruf Taxichauffeur in Philadelphia, wurde eines Tages auf Anweisung Moskaus und mit Hilfe der KP der Vereinigten Staaten zum Vorsitzenden der MWIU (Marine Workers'Industrial Union — Seemanns Gewerkschaft) gemacht, obgleich er nie etwas mit Schiffahrtsfragen zu tun gehabt hatte. Zu dieser Zeit, Mitte der zwanziger Jahre, richtete die Komintern ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Seemanns-Gewerkschaften in Europa, Amerika und dem Fernen Osten. In Friedenszeiten konnten die Mitglieder dieser Gewerkschaften als Kuriere eingesetzt werden. Ihre Hilfe war unerläßlich, wenn nach einem Menschenraub das Opfer nach Rußland verschleppt werden mußte oder ein sowjetischer Agent bei der Flucht aus einem fremden Staat Hilfe brauchte. In Kriegszeiten konnte eine Gruppe ergebener Kommunisten unter den Seeleuten Truppen-und Materialtransporte der gegen die Sowjetunion kriegführenden Mächte sabotieren.

Mink wurde von einem nahen Verwandten namens Solomon Losowsky, derzeitiger Chef der Profintern (Kommunistisch gesteuerte Internationale Gewerkschaftsorganisation) für den Posten in der MWIU ausgewählt. Mink’s Anweisungen, die direkt aus Moskau kamen, machten ihn von der Führung der KP der Vereinigten Staaten unabhängig. Seine enge persönliche Zusammenarbeit mit der GB in einer Reihe wichtiger Untergrundoperationen befriedigten sein fast pathologisches Bedürfnis nach einer maßgeblichen Stellung.

Von 1928 biß/1932 koppelte Mink seine Gewerkschaftsarbeit mit seinen Diensten für die GB. Eine seiner wichtigeren Missionen war die Ermordung eines gewissen Hans Wissinger in Hamburg, der als Kommunist einen GB-Befehl, nach Moskau zu kommen, verweigert hatte.

Am Abend dieses Tages [so berichtet Jan Valtin] fand ich George Mink beim Internationalen Seemannskongreß, der damals gerade in Hamburg stattfand. Er saß in einem Restaurant, das zum Konferenzgebäude gehörte, war betrunken und grölte irgendwelche Lieder. Um ihn herum saßen mehrere Stenographinnen der Partei. Ich fragte ihn geradeheraus: „Hast du Wissinger gekannt? „Was soll mit dem sein?“ wollte er wissen. „Vielleicht war er unschuldig , sagte ich. „Vielleicht hast du einen Fehler gemacht.“ Mink antwortete, wie ein ") alias „Sormenti“, „George Hirsh". GPU-Mann in solchen Fällen zu antworten pflegt: „Wir machen keine Fehler! Wir nehmen uns nie einen Unschuldigen vor!"

Die GB erkannte sehr bald, daß dieser ungewöhnliche Revolverheld durch nichts gebremst werden konnte, und bereit war, jedes Verbrechen zu begehen. Mink wurde aus der WMIU herausgenommen und zu einem leitenden GB-Beamten im Auslandsdienst gemacht. Er war viel auf Reisen und fuhr häufig zur Berichterstattung nach Moskau.

Als die GB, deren Apparat in Deutschland von der nationalsozialistischen Regierung zerschlagen worden war, die Reste ihres deutschen Apparates und das Westeuropäische Büro der Komintern (WEB) 1934 nach Dänemark verlegte, wurde Mink nach Kopenhagen beordert. 193 5 wurde er in seinem Hotel wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens verhaftet. In seinem Besitz fand die Polizei Kodes, Adressen und gefälschte Pässe. Mink verbüßte eine anderthalbjährige Gefängnisstrafe und ging nach seiner Entlassung aus der Haft nach Moskau.

In Moskau mußte er sich für sein Abenteuer, das den sowjetischen Auslandsdiensten beträchtlichen Schaden zugefügt hatte, verantworten, verstand es aber, sich das Vertrauen seiner Vorgesetzten erneut zu sichern Er erklärte, er habe den Fehler begangen, sich mit einer Gestapoagentin einzulassen, die den gesamten Ring den dänischen und deutschen Behörden ausgeliefert hätte. Mink nahm alle Schuld auf sich, worauf man ihm alles nachsah Eine Reihe jener, die mit ihm in die Affäre verstrickt waren, verfielen sofort der Säuberung. 1936 schickte die GB diesen Mink, natürlich mit gefälschten Papieren, in die Vereinigten Staaten zurück, wo er jetzt weitreichende Terror-Unternehmen aufzog. Nicht nur Rußlandjitt unter der Säuberung, auch auf den Außenposten mußten sich eine Reihe „Abweichler“ vor den Parteigremien verantworten. Mink’s Hauptbeschäftigung in den Ver'einigten Staaten war die Entführung solcher „Abweichler". 1937 wurde er nach Spanien beordert (während des Bürgerkrieges war es eine wesentliche Aufgabe sowjetischer Stellen, auf straffe Disziplin zu sehen), wo er die Brigade Lincoln zu überwachen hatte. Der ehemalige kommunistische Redakteur Liston Oak gibt folgende Beschreibung der Tätigkeit des Mink: „Ich traf mit George Mink zusammen, der mit großsprecherischen Worten von seinem Anteil beim Aufbau der spanischen GPLI sprach und mir gleichzeitig eine Arbeit anbot — ich sollte mich um die . unzuverlässigen’ Freiwilligen kümmern die zum Kampf gegen den Faschismus nach Spanien kamen, zum Beispiel um Mitglieder der Unabhängigen Britischen Arbeiterpartei [British Independent Labour Party/ und der Amerikanischen Sozialistischen Partei

William McCuistion bis zum Jahre 19 36 ein enger Freund des Mink, sagte später aus, er sei zugegen gewesen, wie zwei GB-Agenten, George Mink und Tony DelMaio, zwei Mitglieder der Brigade erschossen hätten. McCuistion konnte bei seiner Aussage nicht angeben, ob die Betreffenden versucht hatten, aus Spanien zu fliehen, oder ob sie dieser oder jener Art von „Abweichung" schuldig geworden waren..

Kurz darauf tauchte Mink in Mexiko auf. Vielleicht ist es auf seine Prahlerei und Großsprecherei zurückzuführen, daß um diese Zeit Gerüchte, man bereite ein Attentat auf Leo Trotzky vor, aufkamen. Über Mink’s Tätigkeit in Mexiko sagt ein anderer ehemaliger Kommunist namens Maurice L. Malkin folgendes aus: „Ein mexikanischer Trotzkist erkannte ihn. Worauf er verschwand. Was genau geschah, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß viele amerikanische Loyalisten zurückkamen [aus Spanien] und nur zu gerne mit George Mink abgerechnet hätten. Er war dafür verantwortlich, daß drüben viele Amerikaner hinterrücks erschossen wurden“

Seit Ende der dreißiger Jahre ist Mink verschwunden. Irgendwelche Spuren haben sich seither nicht feststellen lassen. Starb er eines natürlichen Todes? Fiel er im Kriege? Wahrscheinlich ist, daß sich die GB selbst dieses Gangsters entledigte, der im Namen der „höchsten Ideale der Menschheit" gearbeitet hatte.

Während George Mink hauptsächlich als Leiter von Exekutionskommandos der GB tätig war, arbeitete ein anderer hervorragender Agent der Sowjets, der aus den Reihen der amerikanischen Kommunisten hervorgegangen war, nämlich Jacob Golos ) *. in der Nachrichtenbeschaffung. Golos war klein, wenig anziehend, hatte ein sommersprossiges Gesicht und farblose Augen, die einen niemals gerade ansehen konnten. Golos, der der KP kurz nach ihrer Gründung beigetreten war. hatte nichts von einem politischen Führer an sich. Innerhalb der Partei gehörte er zu jener einflußreichen Gruppe führender Funktionäre, die sich in allen kommunistischen Parteien um die ZPKK (Zentrale Parteikontrollkommission) sammeln, jene Parteidienststelle, die innerparte liehe Polizeifunktionen ausübt und bei der Überprüfung, Beschattung Beobachtung und Bestrafung von Parteimitgliedern jeweils mit der sowjetischen GB zusammenarbeitet. Die Machtbefugnisse dieser Zentralen Parteikontrollkommissionen waren bereits bei Einrichtung dieser Institution beträchtlich groß, und sind seitdem ständig erweitert worden Eine Aufforderung, vor der ZPKK zu erscheinen, bereitet selbst einem führenden Parteimitglied schlaflose Nächte.

Golos war der Vertraute der GB in den Vereinigten Staaten. Dieser gebürtige Russe, der die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatte, aber dennoch der russischen Denkweise und der russischen Sprache völlig verhaftet blieb, der in Rußland Gefängnisstrafen abgesessen hatte, galt sowohl bei der GB wie bei der KP der Vereinigten Staaten als „einer von uns (swoij). In den dreißiger Jahren leitete er die Firma World Tourists, Reisebüro und Schiffsagentur, die von der GB als Tarnung zu verschiedenen Zwecken benutzt wurde. Später gründete er ein anderes Tarnunt^rnehmen, die United States Service and Shipping Corporation, eine Firma, die Pakete mit Lebensrnitteln und anderen Notwendigkeiten im Auftrage amerikanischer Staatsangehöriger an ihre Verwandten in Rußland verschickte, wobei enorme Einfuhrzölle der Sowjets, die bis zu hundert und hundertfünfzig. Prozent betrugen, erhebliche Gewinne für Golos’ Unternehmen einbrachten. Spionage gehörte zu den eigentlichen Aufgaben dieses Unternehmens. Seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre hatte Golos unter dem russischen Residenten „Owakimian“ gearbeitet, für den er Berichte aus Regierungsstellen in Washington beschaffte. „Owakimian“ wurde im Frühjahr 1941 verhaftet, aber Golos führte dfe Arbeit fort. Er war ebenfalls an den Vorbereitungen für das Attentat auf Leo Trotzky in Mexiko beteiligt. Zu seinen Kontakten und Schülern gehörten Julius Rosenberg, der später eine Gruppe von Atomspionen führte, und Abe Brothman ”), der später ebenfalls der Spionage überführt wurde.

Leben und Einsätze des Jacob Golos, der 1943 starb, hat Elizabeth Bentley, die während seiner letzten Jahre eng mit ihm befreundet wat, in ihrem Buch Out of Bandage beschrieben. Trotz kleinerer Ungenauigkeiten und einer gewissen Naivität der Verfasserin gibt dieses Buch eine sehr anschauliche Schilderung der allmählichen Entwicklung eines sowjetischen Geheimagenten — in diesem Fall Elizabeth Bentley selbst — von den Schultagen bis zum LIntergrundeinsatz, und schließlich die Desillusion, den Absprung und die sensationelle Publicity. Das Buch macht deutlich, wie eine aufrechte junge „ Antifaschistin" allmählich in die kommunistische Partei gedrängt wird, wie sie ihre ersten Ermittlungsaufträge gegen die profaschistische Italienische Bibliothek (Italien Library of Information) erhält und wie sie schließlich mit dem miltärisehen ND der Sowjets in Kontakt gebracht wird. 1937 wird Elizabeth Bentley zum ersten Mal von einer Agentin der GRLI, Juliette Stuart Poyntz, getestet. Es dauert nicht lange, bis sich Joseph Eckhardt, ebenfalls von der GRU, mit ihr in Verbindung setzt. Aber noch immer erhält sie keine Aufträge. Dann kommt „Marcel“, ein alterfahrener Untergrundmann der Sowjets, überprüft sie noch einmal — und noch immer geschieht nichts. Schließlich aber taucht Jacob Golos auf, übernimmt sie und führt sie plötzlich in die Spionagearbeit ein. , Miss Bentley wurde ein Kurier von Bedeutung. Sie reiste regelmäßig nach Washington, wo sie von den Quellen Berichte und Photokopien von Dokumenten entgegennahm, die sie dem Golos brachte, der seinerseits für die Weiterleitung nach Moskau sorgte. AIs Golos 194 3 starb, übernahm Miss Bentley einige seiner Funktionen im sowjetischen ND-Apparat. Sie erhielt für ihre Verdienste um die Sache der Sowjets den Orden „Roter Stern", der ihr verliehen wurde, als Anatolij Gromow („Al"), der neue Erste Sekretär der sowjetischen Botschaft in Washington, die Leitung der sowjetischen Spionage in den Vereinigten Staaten an sich nahm. x ') Er hieß in Wirklichkeit Jacob Rasin. ”) alias „Pinguin". Institute of Pacific Relations (IPR) zu den wichtigsten Quellen des sowjetischen ND. Das IPR galt als unparteiische, unabhängige Institution, das in objektiver Arbeit die fernöstliche Verhältnisse unter. suchte. Es wurde von großen amerikanischen Stiftungen und gewissen Regierungen des pazifischen Raumes mit erheblichen Geldmitteln unterstützt und zählte eine Reihe politisch führender Köpfe und bekannter Schriftsteller zu seinen Mitarbeitern, die alle eine scharfe antijapanische Tendenz vertraten. Zu dieser Zeit bot der Brückenschlag von der antijapanischen Tendenz zur prosowjetischen Haltung keine Schwierigkeiten.

„Überparteiliche“ wie Edward C. Carter, William L. Holland und Owen Lattimore dienten als Fassade für das IPR, zu dessen leitenden Köpfen nur ein einziger hochgestellter kommunistischer Funktionär gehörte, Frederic Vanderbilt Field. Das IPR übte beträchtlichen Einfluß auf die Meinung asiatische Öffentliche in den Vereinigten Staaten aus, die über Probleme nur schlecht und recht informiert war. Wesentlich bedeutsamer aber war die Tatsache, daß das Institut enge Beziehungen zur FernostAbteilung des US-Außenministeriums unterhielt, das auf offiziellen Wegen eine Vielzahl von Informationen an die Leiter und Mitarbeiter des IPR gehen ließ, von wo aus sie dann in die Hände des sowjetischen ND gelangten. Die Dritte Sektion der GRLI in der Moskauer Zentrale machte weitgehend Gebrauch von den Nachrichtenverbindungen und Informationen des IPR *) • Aber selbst die großen Lobsprüche der sowjetischen Vorgesetzten konnten nicht verhindern, daß in Miss Bentley die Enttäuschung über den sowjetischen Apparat und die Führung der amerikanischen Kommunisten ständig wuchs. Nach längerem inneren Kampf wandte sie sich an die FBI-Stelle in New Haven, Connecticut. Sie faßte diesen Entschluß im August 1945, wenige Tage vor dem Waffenstillstand im Pazifik und kurz vor dem Aufplatzen der kanadischen Spionageaffäre. Sie arbeitete ein jähr lang insgeheim für den FBI, dem sie bei der Enttarnung des sowjetischen Untergrund in den Vereinigten Staaten half. Erst im Juli 1948 erfuhr die Öffentlichkeit von der Geschichte der Miss Bentley.

Der dritte sowjetisch-amerikanische GB-Agent von Bedeutung war der unermüdliche J. Peters ) *. eine hervorragende Führerpersönlichkeit, ein Mann der Dutzend Dedenamen, der eine Vielzahl geheimer Aufträge ausführte und von 193 3 bis 1941 auf seinem Posten in Amerika blieb. Die Ära Peters war eine Ära der großen Unternehmen.

Der gebürtige Ungar Peters lebte nach außen den bürgerlichen Beruf eines Zeitungsredakteurs und Schriftstellers. Zugleich spielte dieser Mann, der unerschütterlich an die russische Führung glaubte, eine entscheidende Rolle im amerikanischen Kommunismus. Er arbeitete als rechte Hand des Komintern-Residenten Gerhard Eisler und war der aktivste, energischste, erfindungsreichste Kopf in jenem dunklen Bereich des Untergrund, wo der amerikanische Kommunismus und die sowjetische Spionage sich überschnitten. Wenn man Leute brauchte, Peters beschaffte sie; wurden falsche Pässe benötigt, wandte man sich an Peters, denn Paßfälschung war eines seiner Steckenpferde; geriet man in Finanz-Schwierigkeiten, konnte man sich darauf verlassen, daß Peters einen Geldgeber fand. Als die Atomspionage anlief, ließ sich Peters in riskante Unternehmen ein, um Informationen zu beschaffen. Obgleich er der Chef des kommunistischen Untergrund war und nicht eigentlich zum militärischen ND-Apparat der Sowjets gehörte, waren seine Dienste manchmal von größerer Bedeutung für den sowjetischen ND als die Leistungen eines Dutzend durchschnittlicher Agenten. Sein Bruder Emmerich war ebenfalls bei sowjetischen Dienststellen in den Vereinigten Staaten (der Amtorg und der Einkaufskommission) angestellt.

In seiner Eigenschaft als Chef des kommunistischen Untergrund war Peters ebenfalls für die „Studienzirkel“ verantwortlich, die unter den Regierungsbeamten und -angestellten in Washington bestanden. Damals begann das „Rote Jahrzehnt“, als unter den amerikanischen Intellek-tuellen die Überzeugung Wurzel schlug, gegen den Faschismus und Nationalsozialismus gebe es nur ein wirksames Gegenmittel, nämlich den Kommunismus sowjetischer Prägung. Die betreffenden Regierungsbeamten standen häufig unter Geheimhaltungspflicht und obgleich dies das Amerika unter Präsident Roosevelt war und nicht Rußland zur Zeit der Zaren, breiteten sich in der Hauptstadt geheime „Zirkel“ und „Ringe“ aus. Sie verhielten sich ganz nach dem Vorbild anderer kommunistischer „Zirkel“, in denen Vorträge über Marx, Rußland, den Kapitalismus gehalten und Mitgliedsbeiträge gezahlt werden. Was diese Zirkel so wertvoll macht, ist das Anknüpfen persönlicher Beziehungen. Rußland war das leuchtende Vorbild, auf das die Mitglieder dieser „Studienzirkel“ mit Bewunderung und Ergebenheit blickten, eine geistige Haltung, die die Betreffenden gleich zu Beginn zu potentiellen Quellen und freiwilligen V-Leuten werden ließ. Keine „Disziplin“, kein Befehl war nötig, denn die Mitglieder dieser Kreise waren von sich aus willens und bereit, sich für Sowjetrußland einzusetzen. Ein Wort von J. Peters genügte und viele waren bereit, schriftliche Unterlagen zu entwenden, das Photokopieren geheimer Dokumente aus ihrem Arbeitsbereich zuzulassen oder ein photographisches Atelier in ihrer Wohnung einzurichten. Einige wollten sicher gehen, daß sie wirklich für Moskau arbeiteten und nicht nur für eine kleine amerikanische Imitation der Sowjets, andere, die sich gegen den üblen Beigeschmack des Landes-verrats wehrten, waren zufrieden, wenn sie erfuhren, daß die amerikanische KP ihre Dienste benötigte. Alle diese Personen waren in der Lage, den sowjetischen ND mit umfangreichem, dokumentarischem Material über jede Frage der internationalen und der inneren Politik zu beliefern und belieferten ihn auch. Zu den Objekten der Erkundung gehörte nicht zuletzt jene Dienststelle, deren Aufgabe es war, Spione und Agenten im eigenen Lande aufzuspüren.

Whittaker Chambers schätzt — und bei dieser Schätzung zieht er nur jene in Betracht, von denen er persönlich genauere Kenntnis hatte — die Zahl der Regierungsbeamten, die in die sowjetische Spionage verwickelt waren, auf insgesamt fünfundsiebzig in den Jahren 1936 bis 1938. Die wichtigsten und bekanntesten Namen unter diesen amerikanischen Regierungsbeamten sind: Alger Hiss, Harry Dexter White, Lauchlin Currie, Frank Coe, Laurence Duggan, Harold Ware und Nathan Gregory Silvermaster. Für den sowjetischen Apparat von besonderem Interesse war darüber hinaus Abraham Glasser, in den Jahren 1937 bis 1939 Sonder-anwalt des US-Justizministeriums

4. Neue Vorstöße nnd die Große Säuberung

So paradox es klingen mag: unmittelbar nach dem VII. Weltkongreß der Komintern im August 1935, auf dem die Politik der „Einheitsfront“ mit dem demokratischen Westen proklamiert wurde, erhielt die in den Jahren 1933 und 1934 zurückgeschraubte Spionage der Sowjets in den Vereinigten Staaten neuen Auftrieb. Mehr als das, sie wurde in bisher ungekanntem Maß hochgetrieben. Moskau feiert viele politische Heiraten, aber die politischen Flitterwochen sind häufig nur sehr kurz bemessen. Das zusehends mächtiger werdende Amerika mit seinen militärisch-industriellen Leistungen und seinen Erfolgen auf dem Gebiet der Luftfahrt war ein Objekt, an dem der sowjetische ND nicht länger vorbeigehen konnte.

Nach der Anerkennung der LldSSR durch Washington wurde dem sowjetischen ND im Operationsgebiet Vereinigte Staaten eine vierfache Aufgabe gestellt:

Erstens, Erkundung der industriellen Produktion und Kapazität der Vereinigten Staaten (Industriespionage) — in den Vereinigten Staaten seit jeher Arbeitsgebiet einer Vielzahl von Geheimagenten fremder Mächte.

Zweitens, Anwerbung amerikanischer Kommunisten für ND-Einsätze der Sowjets im nichtamerikanischen Ausland. -

Drittens, laufende Beschaffung von Informationen aus den amerikanischen Regierungsstellen.

Viertens, Ausbau der nachrichtendienstlichen Erkundung der Vorgänge im Fernen Osten von den Vereinigten Staaten aus, die wegen ihrer besonderen Interessen im chinesisch-japanischen Großraum als besonders günstige Beobachterbasis galten. Die Bedeutung dieser Teilaufgabe stieg --------------« •) Weitere Decknamen: „Alexander Stevens", „Goldberger", „Silver", „Isidore Boorstein", „Steve j^apin“, „Steve Miller". in dem Maße, wie sich die sowjetisch-japanischen Beziehungen verhärteten und die Kette der „Grenzzwischenfälle" die Form eines Kreges ohne Kriegserklärung annahm. In dieser Hinsicht zählte das amerikanische •) Aussage des Ismail Ege vom 28. Oktober 1953 vor dem Internal Security Subcommittee oi the Senate Gommittee on the Judiciary, Interlocking Subversion in Government Departments, S. 1017. Der offizielle Leiter des militärischen ND der Sowjets in den Vereinigten Staaten, der sowjetische Militärattache, und seine Gehilfen waren die Hauptglieder der offiziellen Maschinerie für die militärische Informationsbeschaffung. Der militärische ND der Sowjets in den Vereinigten Staaten, mit den rechtlichen und technischen Möglichkeiten der Botschaft versehen und von einem weitverzweigten Untergrund unterstützt, hätte schon zu dieser Zeit bedeutende Leistungen vollbringen können, wäre nicht in diesen Monaten des Jahres 1936 im russischen Heimatgebiet die Große Säuberung angelaufen, der bald die Mehrzahl der russischen ND-Offiziere und ihrer amerikanischen Gehilfen zum Opfer fallen sollten. (Nach Angaben des US-Außenministeriums war das Büro des sowjetischen Militärattaches in Washington von 19 34 bis 1936 mit vier offiziell akkredierten Offizieren besetzt. Diese Zahl sank 1937 auf drei, 1938 auf zwei und in der ersten Hälfte des Jahres 1939 auf einen Offizier ab. In der zweiten Hälfte des Jahres 19 39 blieb das Büro vollkommen unbesetzt.)

Ab 1936 trafen neue „illegale“ ND-Führer (gewöhnlich Offiziere der Roten Armee mit nachrichtendienstlicher Ausbildung) aus Rußland ein, um den Apparat in den Vereinigten Staaten auszubauen. Sie hielten regelmäßigen Kontakt mit dem sowjetischen Militärattache in Washington. Im Herbst des Jahres 1936 kam als Vertreter dieser Gruppe der sowjetische Hauptmann Boris Bykow („Peter“) und blieb ungefähr zwei Jahre im amerikanischen Operationsgebiet. Bykow, ein sehr mittelmäßiger und feiger ND-Führer, war von kurzem und gedrungenem Wuchs, hatte rotes Haar, -rötlichbraune Augen und rote Wimpern Sein Benehmen und seine intellektuellen Fähigkeiten waren ausgesprochen dürftig. Er sprach Deutsch, aber kein Englisch, wußte kaum etwas von den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten und wähnte amerikanische „Geheimpolitik“ hinter allem und vor allem hinter jedem seiner Fehlschläge Mrkwürdig, daß dieser unbedeutende kleine Mann die amerikanischen Kommunisten und Mitläufer so tief beeindruckte — eine Tatsache, die sich wohl nur dadurch erklären läßt, daß seine amerikanischen Mitarbeiter und Untergebenen in ihm den mächtigen Vertreter des mächtigen Stalin sahen. „Ich habe in diesen Jahren gelernt,“ schreibt Hede Masing, „daß es garnicht darauf ankommt, wie dumm ein russischer Beamter ist, sondern nur daraus, als wessen Vertreter er dasteht.

Die bloße Tatsache, daß er eine russische Institution vertrat, gab ihm die Möglichkeit, nach Belieben auf die Gruppe freiwilliger Helfer zurückzugreifen. Dumm oder gerissen, berechnend oder geradeheraus, der russische Beamte erzielte Resultate, trotz des Leerlaufs und der Verschwendung von Mitteln und Möglichkeiten, die mich so aufbrachten“

Eine der wichtigsten Neuerwerbungen, die der militärische ND der Sowjets in jenen Jahren machen konnte, war Juliette Stuart Poyntz, die in der kommunistischen Bewegung einen größeren Namen hatte als die meisten anderen Agenten amerikanischer Staatsahgehörigkeit. Ihre unmittelbaren Dienste für den sowjetischen ND — eine Tätigkeit, in der sie nicht ganz so erfolgreich war wie in der offenen Parteiarbeit — dauerten fast drei Jahre. Juliette Poyntz war eine hochgewachsene, kräftige, ein wenig männliche Frau, dennoch in gewisser Weise gut-aussehend und vor allem sehr umgänglich. Sie hatte seit Mitte der zwanziger Jahre der KP der Vereinigten Staaten angehört. Die 1934 siebenundvierzigjährige Poyntz hatte auf dem Barnard College eine gute Erziehung genossen und hatte sich mit ihren bedeutenden Fähigkeiten in die leitenden Funktionärskader der amerikanischen KP empörgearbeitet und war von der Partei als Kandidat bei Stadtverordnetenwahlen aufgestellt worden. 19 34 wurde sie aufgefordert, dem militärischen ND der Sowjets beizutreten, worauf sie, dem üblichen Verfahren treu, aus der Partei „austrat“ und sich zur Schulung nach Moskau begab. Bei ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten richtete sie sich eine komfortable Wohnung in New York ein. Sie wurde zunächst als „Forscher für die Anwerbung neuer Agenten eingesetzt. Sie traf mit führenden ND-Offizieren aus Moskau zusammen, schlug potentielle Agenten vor und stellte Kontakte her. Treffs der verschiedensten Art, Luncheons und Diners in eleganten Restaurants zu arrangieren — diese so aufregend scheinende, auf die Dauer aber tödlich langweilige Arbeit -war ihre Hauptbeschäftigung nach ihrer Rückkehr aus Sowjetrußland.

Es dauerte nicht lange, bis auch der Glaube der Juliette Poyntz, die inzwischen genügend Erfahrungen im eigenen Lande und in Rußland hatte sammeln können, zu wanken begann. Ihre inneren Zweifel verschärften sich, als aus Moskau immer neue Nachrichten über „Abweichungen" dieser oder jener Art und Schauprozesse gegen „Verräter“ bekannt wurden. Gegen Ende des Jahres 1936 verlor sie die letzten Reste der Illusion. Sie begann ihre Erinnerungen niederzuschreiben, was jedoch ihren Freunden, Genossen und Vorgesetzten nicht verborgen blieb.

Im Frühjahr 1937 verließ Juliette Poyntz ohne Hut und Mantel ihre Wohnung. Sie wurde nie wieder gesehen. Weder ihre Freunde noch die amerikanischen Untersuchungsbehörden konnten die Umstände ihres Verschwindens aufklären. Sie wurde entweder entführt und nach Rußland verschleppt oder aber ermordet und insgeheim beerdigt. Einige verdächtigen George Mink, andere den kommunistischen Redakteur, GB-Agenten und ehemaligen engen Freund der Juliette Poyntz, Shatschno Epstein, an der Affäre beteiligt gewesen zu sein. Alle Theorien sind jedoch reine Vermutung. Möglich ist, daß eine „Einsatzbrigade“ (Rollkommando) in die Vereinigten Staaten geschickt wurde, die die „Hinrichtung“ der Juliette Poyntz vorzunehmen und dann das Land wieder zu verlassen hatte, eine Technik, für die bei der GB bestimmte Vorschriften herrschten *).

Juliette Poyntz war nicht das einzige Opfer der Großen Säuberung.

Andere Agenten von Bedeutung wie zum Beispiel Bykow, Eckardt und Marcel wurden nach Rußland zurückbeordert. Einige von ihnen wagten den Absprung.

1938 erlitt der sowjetische Apparat in den Vereinigten Staaten einen schweren Verlust durch die Desertion des Whittaker Chambers, der bereits lange vorher ideologisch von der Generallinie des Kommunismus abgewichen war. Chambers hat während seiner Jahre als Agent des sowjetischen ND in den Vereinigten Staaten zahlreiche Aufträge ausgeführt. Er hatte zum Beispiel in Zusammenarbeit mit John Sherman und Maxim Lieber das American Feature Writers'Syndicate (Amerikanischer Artikeldienst) gegründet, das nichts anderes als ein Tarnunternehmen des militärischen ND der Sowjets war und den verschiedenen „Verfassern“ als Tarnung dienen sollte. Das Unternehmen wurde zwar gegründet und in das Handelsregister eingetragen, hat aber nie wirklich als ND-Unternehmen fungiert.

Wichtiger als diese Gründung eines Tarnunternehmens waren die Aufträge, die Chambers unter der Führung von Boris Bykow in Washington ausführte. Er organisierte dort Gruppen von V-Leuten unter den Regierungsbeamten und -Angestellten und übernahm das von diesen Quellen beschaffte Material. Als er nach sechsjähriger ND-Tätigkeit mit den Sowjets brach, besaß er ausgedehnte Kenntnis der Geheimnisse sowjetischer ND-Arbeit in den Vereinigten Staaten. Je größer die Kenntnis, um so größer die Gefahr, wenn der betreffende Agent abspringt.

Bricht ein Agent seine Beziehungen zum sowjetischen ND ab, beginnt für beide, für die GB wie für den „Verräter“ das Rätselraten: wie wird die andere Seite reagieren? Die GB muß sich dabei folgende Frage stellen: Wird er „auspacken“ oder hat er Angst? Wird er versuchen, durch Schwergen Nachsicht zu erkaufen? Wenn er „auspackt“, wieviel wird er preisgeben? Wird er alles enthüllen, was er weiß?

Der abgesprungene Agent fragt sich, welche besonderen Schritte die GB in seinem besonderen Fall unternehmen wird. Er kennt natürlich das Kardinalprinzip, daß ein Deserteur seines Lebens nicht sicher ist Er kann nicht vergessen, daß Ignaz Reiss, Juliette Stuart Poyntz und andere von der GB „liquidiert“ wurden. Dagegen steht die Liste jener anderem die ihr Leben retten konnten. Jeder muß für sich selbst die Entscheidung treffen. Viele haben es vorgezogen, zu schweigen, aber Schweigen war selten die beste Lösung des Problems. Als Ignaz Reiss im September 1937 von der GB auf Schweizer Boden ermordet worden war, schrieb Leo Trotzky einen Artikel unter der Überschrift „Eine Tragische Warnung“, in dem er gewisse Schlußfolgerungen aufstellte:

Die einzige wirkliche Sicherheit . gegen Stalins gemietete Mörder bietet die volle’ Publizität. . . Noch am Tage des Bruchs hatte eine politische Erklärung an die Presse herausgehen müssen. Solch eine Er-•) Alexander Orlow erklärt: „Die Entscheidung, ob. e‘ne-Hlrn. r, ^hrt^m‘^ Ausland vorgenommen werden sollte, immerhin ein riskantes Unternehmen, war Stalin persönlich vorbehalten. Wenn er seine Genehmigung erteiter wurde eine sogenannte . Einsatzbrigade'zur Vollstreckung ins Ausland g -schickt. Das Unternehmen mit Hilfe örtlicher Agenten durchzuführendie später selbst zu „Abweichlern'werden und Enthüllungen machen konnten, war zu gefährlich." D-Akte, b 923— 4. klärung, mit seinem [Reiss'] Namen unterzeichnet, würde sofort die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf ihn gelenkt und Stalin's Henker gehindert haben. Außerdem hätte sich Reiss, und zwar im Interesse der Selbsterhaltung, der französischen oder schweizerischen Polizei stellen und ihnen alles berichten sollen . . . Eine schwere Strafe brauchte er nicht zu erwarten, aber er hätte jedenfalls sein Leben retten können. Sein mutiger Bruch mit der GPU hätte ihm die Unterstützung weiter Kreise eingetragen. Das politische Ziel wäre erreicht und seine persönliche Sicherheit garantiert worden, soweit das unter den augenblicklichen Umständen möglich ist 30).

Chambers versuchte es mit dem Schweigen. Unentschlossen und hin-und hergerissen kam er eines Tages zu Jay Lovestone, der inzwischen zum Antikommunisten geworden war, um sich bei ihm Rat zu holen. Lovestone glaubte, eine Flucht in die Öffentlichkeit biete größere Chancen als eine Flucht in das Dünkel des Schweigens und schlug Chambers vor, er wolle für ihn eine Pressekonferenz in seinem Büro einberufen, auf der der abgesprungene Sowjetagent über die sowjetische Spionage in den Vereinigten Staaten sprechen könne. Außerdem bot er Chambers an, eine Vortragsreise durch die gesamten Vereinigten Staaten zu organisieren. Die beiden verabredeten einen geheimen Treff, der wenige Abende darauf im New Yorker Pennsylvania-Bahnhof stattfinden sollte. Lovestone und einer seiner Freunde, der sich etwas im Hintergrund hielt, waren pünktlich zur Stelle, nur Whittaker Chambers kam nicht.

Chambers hat ein ganzes Jahrzehnt unter dieser Unentschlossenheit gelitten. Später hat er erzählt, daß er sich ein ganzes Jahr versteckt hielt. „Ich schlief bei Tage und hielt die ganze Nacht Wache, wobei immer ein Gewehr oder ein Revolver bereit lag ... Ich hatte guten Grund zu glauben, daß die Kommunisten midi umbringen wollten“

Er hielt es im Grunde für seine Pflicht, sich der Öffentlichkeit zu stellen und seine Geschichte zu erzählen, aber er hatte Angst um seine Familie und sich selbst. Dann verfiel er auf einen Kompromiß: er beschloß, einen Teil seiner Geschichte aufzudecken, jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Die Konsequenzen dieser Entscheidung beweisen, daß in solchen Fällen Kompromiß nicht die beste Lösung sein kann.

Mehr als ein Jahr nach seinem Absprung vom sowjetischen ND wandte sich Chambers an Adolf A. Berle jr., stellvertretender Außenminister (Assistant Secretary of State). Chambers kam mit dem Vorsatz nach Washington, seine Geschichte Präsident Roosevelt selbst vorzutragen, aber der Sekretär des Präsidenten, Marvin McIntyre, verwies ihn an Berle, der für Sicherheitsfragen zuständig war. Berle gegenüber war Chambers zurückhaltend. Chambers erklärte, daß gewisse Regierungsbeamte Beziehungen zu den Kommunisten unterhielten und mit ihnen sympathisierten, erwähnte aber mit keinem Wort die eigentliche sowjetische Spionage (auch nicht die vor wenigen Jahren unternommenen Versuche der Sowjets, die Konstruktionszeichnungen von Schlachtschiffen und militärische Pläne in ihre Hand zu bekommen). Auf der Namensliste, die Berle von Chambers erhielt, fehlten zwei der wichtigsten und aktivsten V-Männer — Harry Dexter White und Abraham Georg Silverman. Chambers bat außerdem darum, man mögenden Fall nicht dem FBI überweisen. Chambers gab nur „Tips", während die Namen der Beamten, die er als Kommunisten und kommunistische Mitläufer darstellte, in der Regierung einen guten Klang hatten.

Berle berichtete dem Präsidenten nicht unmittelbar über die Unterredung mit Chambers, sondern erörterte die Frage mit McIntyre, der seinerseits den Präsidenten verständigte. Aber weder Berle noch Roosevelt nahmen die Affäre besonders ernst, so daß keinerlei Schritte unternommen wurden. Berle unterließ es sogar, das FBI und die Sicherheitsbeamten des US-Außenministeriums zu unterrichten. Und dabei blieb es für geraume Zeit.

Heute würde man eine solche Haltung leitender Regierungsbeamter für unverständlich halten. Aber es ist zwecklos, jetzt, da die Ereignisse in der historischen Perspektive auf den ihnen gemäßen Platz rücken, die Schuld der Vergangenheit auf diesen oder jenen schieben zu wollen. Geschichte muß verstanden, nicht beurteilt werden. Man kann verstehen, daß Chambers, der in der Furcht vor sowjetischen Liquidationskommandos lebte, ängstlich zögerte und äußerst vorsichtig war. Man kann verstehen, daß Beamte des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums zwei Tage nach dem deutschen Einmarsch in Polen einer Bedrohung von sowjetischer Seite kein allzu großes Gewicht beimaßen und die Bedeutung des kommunistischen Untergrunds unterschätzten. Das waren Fehler, natürlich. Aber schließlich ist der größte Teil der Weltgeschichte eine Kette von Fehlern, begangen von Regierungen und Völkern.

Weitere zwei Jahre vergingen, bis Chambers sich mit einem Teil seiner Geschichte an das FBI wandte. Die Kommunisten in den Regierungsstellen blieben auf ihren Posten. Einige wurden befördert, alle lieferten ohne Unterbrechung die gewünschten Informationen. Erst nach Ende des Krieges, als sich die Lage grundlegend geändert hatte, leiteten die amerikanischen Sicherheitsstellen genaue Untersuchungen ein.

Bereits vor Chambers'Bruch mit dem sowjetischen ND war John Sherman, Nummer Zwei in dem Untergrundtrio Chambers-Sherman-Lieber.der sich abgestoßen fühlte und Angst hatte, mit Hilfe Chambers'aus dem Untergrund ausgeschieden. Er ging nach Kalifornien, wo er als „offenes“ legales Mitglied der KP der Vereinigten Staaten wieder auftauchte. Der sowjetische Apparat ließ Sherman's eigenwillige Handlung hingehen. Wieder hatte eine vielversprechende ND-Laufbahn ihr Ende gefunden.

Maxim Lieber, Nummer Drei des Trio, blieb auch nach der Ära der Säuberungen seinen sowjetischen Chefs treu ergeben. Er hatte als literary agent berufsmäßig die Interessen einer Reihe bekannter Schriftsteller, darunter Eskine Caldwell, zu vertreten. Leo Trotzky gehörte ebenfalls zu seinen Klienten — eine Ironie, daß zu der Zeit, da Stalin die Anhänger Trotzkys ins Gefängnis warf und vernichtete, einer von Stalins Agenten damit beschäftigt war, Trotzkys Artikel in den größten amerikanischen Zeitschriften unterzubringen und für seine Bücher die besten amerikanischen Verleger zu finden. Offensichtlich konnte Lieber diese Tätigkeit nur mit Zustimmung seiner vorgesetzten Moskauer Dienststelle ausüben, die ohne Zweifel darauf'spekulierte, daß eine derartige Tätigkeit ihrem Agenten Lieber das beste Alibi bieten würde. Als die Säuberung jedoch ihren Höhepunkt erreichte -und Liebers Chefs selbst um ihr Leben zitterten, erhielt er Befehl, die geschäftlichen Beziehungen zu seinem prominenten Klienten abzubrechen.

Lieber, der ja keinen plausiblen Grund für den Abbruch der Beziehungen aufzuweisen hatte, fand es nicht leicht, sich elegant aus der Affäre zu ziehen. Er ging auf höchst umständliche Weise daran, die Arbeiten Trotzky's zu sabotieren. Am 3. Februar 1937 schrieb Trotzky an einen Freund in New York:

Zu Lieber's Haltung kann ich nur sagen, daß er sich in letzter Zeit nicht wie ein literary agent, sondern wie ein Gegenagent aufgeführt hat: so wenigstens hat er in Bezug auf Doran gehandelt, dem er mein Buch „Die Verratene Revolution“ nicht anbieten wollte Ich habe den Brief gesehen, den die [New York] Times wegen meines Lenin-buches an Lieber geschrieben hat. Die Times will die Serienrechte haben. Lieber antwortet: die ganze Sache ist ungeklärt; vor wenigen Jahren war ich tatsächlich Trotzkys agent, aber . . . Auf ein Telegramm [an Lieber], in dem ich vorschlug, ich würde meine Artikel per Telegramm schicken, erhielt ich per Kabel die Antwort: „Lieber für eine Woche abwesend.“ Er ist ein Feigling, spielt Versteck und sabotiert meine literarische Arbeit in den Vereinigten Staaten. Auf Grund seiner Antwort an die Times hinsichtlich meines Leninbuchs dürfte ich doch wohl zu der Forderung berechtigt sein, daß er die Vertretung meiner geschäftlichen Interessen abtritt. Ich wollte ihm heute schon eine diesbezügliche Antwort schicken, entschloß mich aber, erst noch Ihren Rat abzuwarten.

Trotzky entzog Lieber alle Vertretungsrechte. Im April des gleichen Jahres bat das Committee for the Defense of Loon Trotzky (Komitee für die Verteidigung Leo Trotzkys), das Unterlagen für den eventuellen Gegenprozeß des kommunistischen Rebellen vorbereitete, im Auftrag Trotzkys den Maxim Lieber um Einsicht in den geschäftlichen Briefwechsel mit dem Autor. Lieber teilte dem Komitee mit, er habe die Korrespondenz „vernichtet“. Wir wissen heute, daß er sie dem sowjetischen ND übergeben hatte ) *• *) „In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß ich selbst ein einziges Mal mit Lieber zdsammentrai. Kurz nach meiner Ankunft in den Vereinigten Staaten im Herbst 1940 begann ich mit den Arbeiten an einem Buch über die sowjetische Außenpolitik. Bei der Suche nach einem Verleger bat ich einige Freunde um die Nennung eines nichtstalinistischen literary agent. Irgend jemand erwähnte Maxim Lieber als einen fähigen Mann, der als Agent Trotzkys über allen Verdacht erhaben sei. Im Dezember 1940 oder Januar 1941 suchte ich Lieber in seinem Büro in der Fifth Avenue auf. Auf seine Frage nach dem Thema meines Buches schilderte ich die Arbeit und meine Ansichten in Umrissen, die natürlich antikommunistisch waren. Lieber ließ sich weder auf eine Diskussion ein noch äußerte er ein kritisches Wort. Er erklärte mir in einer Art, die sehr offen und geradeheraus schien: „Mr. Dallin, das amerikanische Publikum wird siclr kaum für ein solches Buch interessieren und der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann, ist der, es überhaupt nicht zu schreiben."

Obgleich Lieber's Worte mich entmutigt hatten, setzte ich die Arbeit an dem Buch fort. Schließlich brachte mich Professor Philip Moseley mit der Yale University Press in Verbindung. Das Buch erschien 1942 und blieb nicht ganz ohne Erfolg. Meine Unterredung mit Lieber dürfte ohne Zweifel in einem Bericht an die GB festgehalten worden sein - wohl kaum der erste Bericht, der über mich in die Akten der GB gelangte. Fast zur gleichen Zeit platzte eine andere Affäre auf, die für die sowjetische Seite höchst unangenehm war — die Verhaftung des sowjetrussischen Staatsangehörigen Michail Gorin, eines Agenten des militärischen ND, der zunächst bei der Amtorg in New York beschäftigt gewesen war, 1936 aber als Leiter des russischen Reisebüros Intourist nach Los Angeles versetzt worden war. Gorin stand nicht unter dem Schutz diplomatischer Immunität. Wie sicher ein sowjetischer ND-Resident dennoch um diese Zeit in den Vereinigten Staaten leben konnte, läßt sich am Fall Gorin ablesen.

In Los Angeles hatte Gorin mit einem Offizier der amerikanischen Marineabwehrstelle namens Hafis Salich Verbindung ausgenommen der auf Grund seiner Dienststellung Zugang zu Geheiminformationen über Japan hatte. Gorin hatte sich mit einem Empfehlungsschreiben des sowjetischen Vizekonsuls bei Salich eingeführt und ihn um „Mitarbeit“ ersucht, was Salich ablehnte. Gorin wußte jedoch, daß Salich Verwandte in Rußland hatte, und ließ einige Hinweise fallen, die ihren Zweck nicht verfehlten. Salich beschaffte für Gorin Geheimdokumente, von denen die meisten Aufschluß über die japanische Spionage und die japanische Flotte gaben. Insgesamt händigte er zweiundsechzig amerikanische Abwehrdokumente aus, wofür er 1 700 Dollar erhielt.

Die Zusammenarbeit der beiden hätte wahrscheinlich unbegrenzt weitergehen können, wäre dem Gorin nicht ein Fehler unterlaufen, für den es bei einem sowjetischen Agenten keine Entschuldigung gibt und der Gorin bei seiner Rückkehr nach Sowjetrußland drei Jahre nach der Enttarnung in Los Angeles teuer zu stehen gekommen sein muß. Im Dezember 1938 fand der Bote einer Reinigung in einem Anzug, den er von Gorins Wohnung abholte, einige Papiere, die offenbar aus den Akten der Marineabwehrstelle stammten. Gorin und Salich wurden verhaftet, worauf die sowjetische Botschaft in Washington aufgeregt wurde: war dies vielleicht ein „absichtlicher“ Fehler des Gorin? Spielte Gorin mit dem Gedanken, die Amerikaner über bestimmte Dinge aufzuklären? Der Fall Gorin wurde der GB überwiesen. Das Klügste war, Gorin so schnell wie möglich aus dem Gefängnis freizubekommen, ihm jegliche Unterstützung und Hilfe zu geben und ihn nach Rußland zu bringen. Bis dahin konnte man mit den Strafmaßnahmen warten.

Der Untersuchungshäftling Gorin verlangte Erlaubnis, telefonisch mit der sowjetischen Botschaft in Washington zu sprechen, was ihm auch gestattet wurde. Als die Verbindung mit dem damaligen Geschäftsträger Konstantin LImansky hergestellt war, bat Gorin um „Instruktionen" — ein zweiter schwerer Verstoß gegen die Regeln der koHspinUsia. die es einem auf frischer Tat ertappten Agenten strengstens untersagen, eine sowjetische Botschaft um Weisungen zu bitten. LImansky schickte sofort den sowjetischen Vizekonsul Michail Iwanushkin, der in Wirklichkeit ein GB-Beamter war, mit dem Flugzeug von New York nach Los Angeles. LImansky selbst ließ sich in Washington bei dem damaligen geschäftsführenden amerikanischen Außenminister Sumner Welles melden, bei dem er scharf gegen die Verhaftung protestierte Dieses Vorgehen entsprach ganz der üblichen Taktik, nach der die sowjetischen Behörden jedesmal zur Offensive übergehen, wenn ein Vertreter sowjetischer Stellen bei der Spionage gefaßt wird. Er verlangte eine Erklärung, warum Gorin gehalten worden war, seine telefonische Unterhaltung mit dem sowjetischen Botschafter in Englisch zu führen. In seinem Protest hieß es allgemein, „das Department or Justice hat in einer selbstherrlichen und nicht ganz korrekten Weise gehandelt.

Umansky wandte sich dann an Loy Henderson in der Europa-Abteilung des US-Außenministeriums und ersuchte ihn, einem Vertreter der sowjetischen Botschaft eine Unterredung mit dem Häftling Gorin zu gestatten. Diese Forderung ist interessant, weil es auf Grund eines Notenwechsels, der im November 1933 zwischen Präsident Roosevelt und Maxim Litwinow stattgefunden hatte, den Vertretern der amerikanischen Botschaft in Moskau nicht gestattet war, einen in Rußland verhafteten amerikanischen Staatsangehörigen „innerhalb der drei auf die Verhaftung folgenden Tage“ zu sprechen. Dem Ersuchen wurde stattgegeben.

Iwanushkin traf in Los Angeles ein. Er hatte offenbar Angst, das Gorin vor den amerikanischen Untersuchungsbehörden „auspacken“ würde. Er ließ alle Vorsicht beiseite und teilte Gorin in Anwesenheit eines FBI-Vertreters mit, wie er sich sein Verhalten angesichts der Beschuldigung der Spionage vorstelle. „Wir werden nichts zugeben“, sagte Iwanushkin. „Im Zusammenhang mit den Papieren, die in dem Anzug gefunden wurden, werden wir nicht die geringste Aussage machen.“

Während der Ermittlungen wurde LImansky zusehends nervöser und legte weitere Proteste beim LIS-Außenministerium ein, das es jedoch ablehnte, im Falle einer Person, die keine diplomatischen Vorrechte genoß, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Am 10. März 1939 erörterte Umansky die Gorin-Affäre erneut mit Loy Henderson. Er konnte Henderson jedoch nicht davon überzeugen, daß sich die amerikanischen Behörden unkorrekt verhielten, worauf er sich „erhob und in einem sehr förmlichen Ton sagte: , Mr. Henderson, ich glaube, ich muß Sie davon unterrichten, daß es zu einer höchst unangenehmen Lage kommen kann, falls nicht der Bundesanwalt in Los Angeles das Verfahren vor Abschluß des Prozesses niederschlägt’33).

Nun sah es bereits so aus, als solle sich die Regierung der Vereinigten Staaten bei der sowjetischen Botschaft für den Fall Gorin entschuldigen. Umansky übersandte dem LIS-Außenministerium am gleichen Tage eine formelle diplomatische Note, die im Zusammenhang mit dem Fall Gorin Vorwürfe und Beschuldigungen enthielt.

Das Außenministerium enthielt sich jeder Einmischung und der Prozeß nahm seinen Verlauf. Gorin wurde zu sechs, Salich zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Auf Grund eingelegter Berufungen war der Fall noch für zwei Jahre bei höheren Gerichten anhängig. Im Januar 1941 bestätigte das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten das Urteil der ersten Instanz.

Wenige Tage später ersuchte Umansky das US-Außenministerium, den Häftling Gorin auf freien Fuß zu setzen und ihm die Rückkehr nach Rußland zu gestatten. Man kam schließlich zu einer Einigung, worauf im März 1941 das LIS-Außenministerium und der Bundesanwalt dem Gericht in Los Angeles „empfahlen“, die Urteilsvollstreckung auszusetzen. Man hatte sich offenbar aus Gründen der Staatsräson zu diesem Schritt entschlossen, ein Schritt, der sehr bald bei der Aufdeckung sowjetischer Spionagefälle in den Vereinigten Staaten zur Regel werden sollte.

Wenige Wochen nach der Bereinigung der Gorin-Affäre wurde eine noch wichtigere Figur des sowjetischen Apparates, nämlich „Gaik Owakimian", Angestellter der Amtorg und GB-Veteran in den Vereinigten Staaten, zum Mittelpunkt einer ähnlichen Affäre. Er war im Mai 1941 verhaftet worden und sollte vor Gericht gestellt werden, falls nachgewiesen werden konnte, daß er unter die Gesetze bezüglich Agenten fremder Mächte fiel. Der Untersuchungshäftling „Owakimian" behauptete, er genieße „diplomatische Immunität", und protestierte, er sei „Aufkäufer von Rüstungsmaterialien“, habe aber aus politischen Gründen bis jetzt noch keine größeren Geschäfte, abschließen können. Die sowjetische Botschaft stellte die Kaution von 25 000 Dollar, woraufhin „Owakimian“ auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Verhandlungen über seine Rückführung nach Rußland dauerten nicht sehr lange. Moskau erklärte sich einverstanden, sechs in Rußland gefangen gehaltene amerikanische Staatsbürger — drei Personen, die in der Sowjetunion verhaftet worden waren, und drei Personen, die keine Ausreiseerlaubnis aus der Sowjetunion erhielten — gegen „Owakimian auszutauschen. Der Handel wurde abgeschlossen und „Owakimian schiffte sich gegen Ende Juli 1941 nach Rußland ein.

Von den sechs Amerikanern trafen drei nie in den Vereinigten Staaten ein. Die für die Repatriierung verantwortliche GB ließ sich sehr viel Zeit und bevor die sechs Amerikaner abreisen konnten, brach der deutsch-sowjetische Krieg aus. Zwei fielen in deutsche Hand, ein dritter wurde trotz des Übereinkommens weiter von der GB in Haft gehalten. Die drei anderen landeten schließlich in den Vereinigten Staaten, wo zwei von ihnen prompt einen prosowjetischen Propagandafeldzug er-öffneten. Nur einer, Dr. Michael Devenis, „schien wirklich ein amerikanischer Geisel in sowjetischer Hand gewesen zu sein"

Die amerikanische Haltung gegenüber sowjetischen ND-Residenten in den Vereinigten Staaten war jedenfalls erheblich gemäßigter und nachsichtiger als die Haltung sowjetischer Behörden gegenüber amerikanischen Staatsbürgern, die zu Recht oder Unrecht der Spionage gegen Rußland angeklagt waren.

Spionage nahm in diesen letzten Vorkriegsjahren sehr stark zu, wobei deutsche und japanische ND-Agenten in den Vereinigten Staaten besonders aktiv waren. Der Leiter des FBI, J. Edgar Hoover, erklärte am 20. Juni 1939, seine Dienststelle habe in den fünf Jahren von 1933 bis 1937 durchschnittlich je Spionagefälle jährlich untersucht. In dem am 6. Juni 1939 endenden Berichtsjahr stieg die Zahl auf 250. Im Amtsjahr 1939 wurden insgesamt 1 651 Fälle gezählt. Attorney General (Justizminister) Murphy erklärte am 1. September 1939 anläßlich der Eröffnung eines Antispionage-Feldzuges in den Vereinigten Staaten: „Wir werden keine Wiederholung der Lage des Jahres 1917 zulassen, als die Demokratie nicht auf die Abwehr eines Spionageprogramms vorbereitet war. In unseren Bemühungen wird es kein Nachlassen geben“ 35).

Die Regierung hielt ihr Versprechen, soweit die Spionage der Achsenmächte betroffen war. Gegenüber der sowjetischen Spionage nahm die Regierung eine andere Haltung ein, besonders seit Juni 1941. Seit diesem Zeitpunkt nahm die sowjetische ND-Arbeit einen bisher ungekannten Aufschwung.

Die sowjetischen ND-Apparate in den Vereinigten Staaten, die durch die Auswirkungen der» Großen Säuberung fast zerschlagen worden waren, wurden 19 39— 40 wieder aufgebaut. Als Sowjetrußland und die Vereinigten Staaten ihr Kriegsbündnis schlossen, waren sie schon wieder zu ihrer ehemaligen Größe angewachsen. Das Offizierspersonal im Büro des sowjetischen Militärattaches-4n Washington, das in den letzten Jahren von vier auf null gesunken war, wurde jetzt erneuert: 1942 war das Büro mit sechs, 1943 mit'sieben und 1944 mit neun Offizieren besetzt. Im April 1941 wurde General Ilja M. Ssarajew zum Militärattache in Washington ernannt. Er sollte von nun an eine führende Rolle in der sowjetischen ND-Arbeit in den Vereinigten Staaten spielen.

5. Die Große Zeit der Kriegsjahre

Die Allianz mit den Vereinigten Staaten war für die sowjetische Staatsführung nie eine Frage der inneren Überzeugung, des Vertrauens und der Aufrichtigkeit. Auf keine sowjetische Dienststelle trifft diese Feststellung mehr zu als auf den sowjetischen ND. Die verbesserten Beziehungen, die Fülle der amerikanischen Materiallieferungen an Ruß-land und die ausgedehnten Handelsgeschäfte, die die Sowjetunion mit Amerika betrieb, öffneten neue Möglichkeiten, während das Zögern der amerikanischen Regierung, die 'sowjetische Untergrundaktivität während eines Krieges, in dem man an der Seite der Sowjetunion stand, zu einer Streitfrage zu machen, ein so günstiger Umstand war, daß er einfach genutzt werden mußte. Außerdem blieb nicht viel Zeit. Den Sowjets war klar, daß mit dem Krieg auch die Zeit der guten Beziehungen zu Ende gehen würde. Die wenigen Jahre des guten Einvernehmens waren für die Beschaffung aller möglichen Informationen aus den industriellen, politischen und militärisch-technischen Sektoren ein wahres Himmelsgeschenk.

Zweifellos aber erwartete niemand im sowjetischen ND, daß die Tore Amerikas so weit offen stehen, und die amerikanischen Sicherheitsstellen so umgänglich sein würden, wie es nach Ausbruch des deutsch-russischen Krieges tatsächlich der Fall war. Für die sowjetischen Apparate in den Vereinigten Staaten brachen goldene Tage an. Mit jedem Monat, der ins Land zog, erweiterten die Apparatleiter in den Vereinigten Staaten und die Chefs in den Moskauer Zentralen der verschiedenen Dienstzweige die Aufgaben und das Personal.

Während des Krieges wurden die Vereinigten Staaten das Schlüssel-gebiet im Operationsplan des sowjetischen ND. Europa stand im Kriege und die sowjetischen Apparate und die Einzelgänger unter den Agenten Moskaus, die in diesem Teil der Erde arbeiteten, mußten sich auf örtliche Fragen und Probleme rein militärischen Charakters beschränken.

Ihre Nachrichtenlinien nach Moskau wurden zudem häufig unterbrochen.

In Japan war der Sorge-Ring im Herbst 1941 zusammengebrochen. Seit 1942— 4 3 richteten sich alle Augen auf Washington. Hunderte von sowjetischen Beamten trafen zur Verstärkung des Personals der Botschaft in Washington ein, wurden auf die Konsulate in den Vereinigten Staaten und Kanada verteilt und zu Einkaufskommissionen zusammengefaßt.

Mit jeder Gruppe sowjetischer Beamter trafen ein paar Sonderagenten der sowjetischen Nachrichtendienste ein.

Ende 194 3 wurde eine Militärmission der Vereinigten Staaten unter Leitung von General John R. Deane nach Rußland geschickt, die unter anderem versuchen sollte, die militärische Arbeit und den Austausch von Informationen zu koordinieren. Die Mission hatte den Auftrag, einen Austausch geheimen Nachrichtenmaterials zwischen dem militärischen ND der Sowjets und seinem Gegenstück, dem American Office of Strategie Services (OSS), in die Wege zu leiten. Nach der Darstellung von General Deane lauteten seine Instruktionen, jegliche Informationsbeschaffung über russische Verhältnisse zu vermeiden. Sein Chef, General Marshall, war überzeugt, daß ein Ansuchen um solche Infor'mationen nicht nur unnütz sei, sondern die Russen nur reizen und militärische Zusammenarbeit unmöglich machen müsse . . . Wir sahen also geflissentlich davon ab, Informationen über sowjetische Ausrüstung, Waffen und taktische Methoden ausfindig zu machen, außer wenn wir ganz besondere Gründe hatten und beweisen konnten, daß die Informationen im Kampf gegen Deutschland von Nutzen sein würden . . .

Im Gegensatz zur russischen Verschlossenheit stand die amerikanische Offenheit. Wir hatten Tausende von Sowjetvertretern in den Vereinigten Staaten, die unsere Fabrikanlagen und Schulen besuchen, unseren Versuchen im Flugwesen beiwohnen und unsere Ausrüstungsgegenstände begutachten konnten. In Italien und später in Frankreich und Deutschland waren russische Repräsentanten in den Hauptquartieren an der Front willkommen, wo sie von unseren militärischen Operationen sehen konnten, soviel sie wollten. Wir pflegten alle unsere neuen Erfindungen, sei es nun auf dem Gebiet der Elektronenwissenschaft oder anderswo, auch den Russen zugänglich zu machen, sobald wir sie selbst in Gebrauch genommen, das Überraschungsmoment ausgenützt und die Überzeugung gewonnen hatten, sie seien dem Feind zur Kenntnis gelangt, indem sie ihm in die Hände gefallen waren. Jeden Monat bekam ich eine revidierte Liste geheimer amerikanischer Ausrüstungsgegenstände, von denen die Russen informiert werden sollten, in der Hoffnung, daß dieses Material an der russischen Front Verwendung finden könnte, falls es zu beschaffen sein würde. Wir ließen niemals eine Gelegenheit vorübergehen, die Russen über Waffenausrüstung oder Nachrichten zu informieren, von denen wir annahmen, daß sie unseren gemeinsamen Kriegsanstrengungen nützlich sein könnten. Diese Großmut, oder sagen wir diese Einstellung, wurde von den Russen nie spontan, sondern immer erst nach endlosen Auseinandersetzungen, Verhandlungen und Verschleppungen erwidert.

Im Dezember 194 3 traf der Chef des OSS, Generalmajor William J. Donavan, in Moskau ein, wo er einen etwas naiven Plan für eine engere Verbindung und Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten der beiden Staaten erörtern sollte. In einer Konferenz mit General P. M. Fittin und General A. P. Opisow von der GRLI erläuterte General Donavan die amerikanische Methode der Einschleusung von Agenten in feindliches Gebiet, den Ausbildungsweg und die Ausstattungen solcher Agenten. Er beschrieb im einzelnen die neuen Koffersendegeräte, Explosivstoffe usw. Man kam überein, daß Oberst A. G. Grauer nach Washington gehen solle, um dort der GRU zu vertreten, falls man sich über die Annahme des gesamten Projektes einige.

In Washington tauchten dann allerdings einige Zweifel auf, ob es richtig sei, eine quasi legale Spionagestelle der Sowjets auf amerikanischem Gebiet zuzulassen. Im März 1944 schlug Präsident Roosevelt den Plan nieder.

Während die Verhandlungen noch liefen, erhielt Moskau authentische Informationen über dieses Projekt aus einer ganz anderen Quelle (identische Geheiminformationen aus zwei von einander unabhängigen Quellen zu erhalten, ist für jede Regierung äußerst zufriedenstellend). Duncan Lee, Mitglied der Silvermaster-Gruppe in Washington, berichtete über den Apparat an Moskau, auf einer Konferenz der politischen Spitzen der amerikanischen Regierung sei über einen Austausch von Missionen zwischen dem NKWD und dem OSS gesprochen worden ) *.

Alle Anwesenden mit Ausnahme von Admiral William D. Leahy stimmten, wie Lee berichtete, dem Vorschlag Donavan’s zu. Selbst FBI-Chef J. Edgar Hoover erhob keine Einwände. Nach Elizabeth Bentley herrschte damals in Washington die Auffassung, das NKWD sei sowieso seit Jahren in den Vereinigten Staaten tätig gewesen: „Für uns würde die ganze Sadie wahrscheinlich viel leichter sein, wenn sie gleich mit der korrekten Bezeichnung hier ankämen"

Aus dem Plan, eine sowjetische ND-Vertretung in Washington zuzulassen, wurde nichts, weil sich das Weiße Haus der Idee verschloß. Diese Entscheidung fiel zu Beginn des Wahljahres 1944. Man glaubte, die Entscheidung auf Zulassung einer „NKWD-Kommission“ in den Vereinigten Staaten, könnte den Präsidenten und die Regierung in Verlegenheit bringen, da die Presse mit Sicherheit gegen den Beschluß angehen würde. Ende März 1944 unterrichtete der Präsident die amerikanische Botschaft in Moskau in einem Telegramm von der Ablehnung des Planes, wobei er erklärte, daß bei dieser Entscheidung „die innenpolitische Überlegung ausschlaggebend war"

Die Zusammenarbeit zwischen der amerikanischen Militärmission in Moskau und der GRLl wurde weitergeführt, wenngleich in beschränktem Rahmen. General Fittin versorgte die Amerikaner gelegentlich mit kleineren Informationen, zum Beispiel über unzuverlässige Kontakte in der Schweiz und auf dem Balkan, über das. Schicksal amerikanischer Agenten in der Tschechoslowakei und Subversionstechniken in Deutschland. Die Dienste, die die Amerikaner den Russen leisteten, waren dagegen sehr viel wichtiger:

Donavans Organisation vermittelte Fittin fortlaufende Berichte. Diese schlossen Studien der Auswertungsabteilung des OSS ein sowie auch Nachrichten, die durch operative Arbeit gewonnen worden waren. Die vielleicht wichtigste Information Donavans an die Russen bestand in der Mitteilung, daß es den Deutschen gelungen sei, gewisse russische Geheimschriften zu dechiffrieren

General Deane kommt zu der Schlußfolgerung: „Wie immer gaben wir den Russen auf dem Gebiet des Geheimdienstes bedeutend mehr Informationen, als sie uns.“

Den Grund hierfür glaubt Deane in der Überlegenheit des OSS zu finden'. Diese Erklärung ist anfechtbar: daß^ein so junger Dienst wie das OSS leistungsfähiger als die riesigen, erfahrenen Dienste GB und GRU gewesen sein soll, könnte einigem Zweifel unterliegen. Die Diskrepanz, die sich in Moskau zeigte, dürfte sich vielmehr auf die völlig verschiedenartigen Auffassungen der beiden Regierungen über Sinn, Zweck und Ausmaß der alliierten Zusammenarbeit zurückführen lassen.

Der Wendepunkt in der sowjetischen ND-Arbeit in den Vereinigten Staaten trat im Stalingradwinter von 1942-43 ein. Von nun an wurden die Operationen systematisch koordiniert und in großem Maßstab durchgeführt. Die Operationen unter dem Pacht-Leih-Vertrag waren angelaufen und hatten zu Beginn der zweiten Hälfte des Krieges bereits riesige Ausmaße erreicht. Den sowjetischen Missionen in den Vereinigten Staaten, die ständig erweitert und von dem herzlichen Empfang ermutigt wurden, fiel es nicht schwer, Kontakte mit Managern der Industrie, Wissenschaftlern und Technikern herzustellen. Neue Erfindungen wurden mit den sowjetischen Vertretern freimütig erörtert. Ganze Industrieanlagen mit den modernsten Ausrüstungen wurden nach Rußland transportiert.

Die neuerrichtete sowjetische Einkaufskommission in Washington diente sowohl für die Abwicklung des Pacht-Leih-Vertrages wie für die Durchführung von ND-Operationen. Sie hatte eine Belegschaft von über tausend Angestellten, unterhielt Geschäftsbeziehungen mit praktisch jedem wichtigen Industriezweig in den Vereinigten Staaten und bot •) In seinen Aussagen vor dem Committee on Vn-American Activities am 10. August 1948 bestritt Duncan Lee, jemals Kommunist gewesen zu sein, Mitgliedsbeiträge bezahlt und Staatsgeheimnisse, insbesondere OSS-Geheimnisse, an Miss Bentley weitergegeben zu haben. In der gleichen Sitzung bestand Miss Bentley, die ebenfalls vereidigt worden war, auf ihren Erklärungen, Lee habe ihr in ihrer Eigenschaft als Agentin der Sowjets zahlreiche wichtige Geheimnisse des OSS verraten. somit die besten Voraussetzungen für die Tarnung der Industriespionage. Aus Rußland trafen Experten für Fragen der Luftfahrt, der Artillerie und des U-Boot-Wesens ein, darunter bekannte Wissenschaftler und Offiziere mit technischer Spezialausbildung. Manchmal legte man Wert darauf, daß den amerikanischen Stellen und der amerikanischen Industrie nicht bekannt wurde, welch leitende Stellen diese Experten in Rußland bekleideten. Man wollte auf alle Fälle vermeiden, daß die amerikanische Industrie Verdacht schöpfe. Man ging so weit, einige dieser führenden Experten für kurze Zeit als einfache Arbeiter in amerikanischen Werken unterzubringen *) •

Das „Politbüro der Einkaufskommission“ hatte seine Büros im 7. Stock des Hauses 33 5 5 in der 16. Straße in Washington. Diese Kopfgruppe bestand aus dem Vorsitzenden der Kommission, General Leonid Rudenko (einem Parteigeneral), dem stellvertretenden Vorsitzenden, Michail V. Sserow (in Wirklichkeit Vertreter des ZK der KPdSLI), dem Amtorg-Chef Gusew, der beträchtliche Erfahrungen in der Einrichtung von Tarnunternehmen für sowjetische Agenten hatte, und einigen Leitern von Spezial-abteilungen. Geheime Anweisungen aus Rußland liefen ausschließlich über das „Politbüro“, das seinerseits einige Agenten und Spitzel in jeder Sektion der Kommission hatte. Eine „Sonderabteilung“ stand unter der Leitung einer gewissen Frau Arutunian, Schwiegertochter eines hohen Moskauer Funktionärs, durch deren Hände alle Geheimdokumente gingen. Victor Krawtschenko sagte später vor einem Kongreßausschuß aus: „Wir alle wußten von den Funktionen der Sonderabteilung, aber wir haben niemals erfahren, wen die sowjetische Geheimpolizei als ihren Vertreter in die sowjetische Aufkaufskommission eingebaut hatte

Ende 1943 oder Anfang 1944 wurden eines Tages alle Angestellten der Einkaufskommission, die Mitglieder der KPdSLI waren, zu einer Sitzung beordert, die hinter verschlossenen Türen stattfand. Auf dieser Sitzung verlas Michail Sserow einige durch Telegramme übermittelte Befehle von Anastas Mikojan, Mitglied des Politbüros in Moskau und Volkskommissar für den Außenhandel, dem die Einkaufskommission unterstand. Diese Befehle verpflichteten jeden Kommunisten, der in der Kommission arbeitete, zur Beschaffung von Informationen über die industrielle Entwicklung in den Vereinigten Staaten, insbesondere über Produktion und Kapazität der Rüstungsindustrie. Nach Verlesung des Telegramms hatte jedes Mitglied der Parteizelle schriftlich zu bestätigen, daß er von dem Befehl in Kenntnis gesetzt worden sei und sich bemühen werde, ihm nachzukommen.

Eine Orgie der Informationsbeschaffung begann. Unter dem Nachrichtenmaterial, das jetzt in der Kommission zusammenlief, befanden sich Zeichnungen von ganzen Fabrikanlagen und von Einzelmaschinen bis hinunter zu Einzelstücken und Ersatzteilen, Photographien und Beschreibungen von Werkstücken und Fertigungsprozessen in Flugzeug-, Waffen-, Treibstoffwerken, U-Boot-Werften und anderen Industriebetrieben, Kopien langfristiger Pläne für die Entwicklung ganzer Industriekomplexe, Hunderte von Karten der Vereinigten Staaten, der einzelnen Staaten, von Industriebezirken und Brücken, technische Beschreibungen von Bahn-anlagen, Berichte über den Bau von Städten und Fernverkehrsstraßen jede Rußland nun mit usw. Was Dienststelle in Hilfe halb-legaler Methoden zu beschaffen suchte, konnte man um diese Zeit sehr einfach in Erfahrung bringen — man brauchte nur eine offene Frage zu stellen.

„Super-Pacht-Leih“ nannte die sowjetische Einkaufkommission dieses LInternehmen nicht ohne einen gewissen Humor. Die Menge des Nachrichtenmaterials wuchs von Monat zu Monat und bald trat ein Zustand ein, der später von Krawtschenko folgendermaßen beschrieben wurde: „Wir schickten nicht nur dieses eine Paket in die Sowjetunion; wir schickten . . . Dutzende Tonnen von Material. Nicht nur mit dem Flugzeug. Wir benutzten auch Schiffe, die über den Pacht-Leih-Vertrag kamen und der Sowjetunion zur Verfügung gestellt wurden . . . 41)

Die bei der Beschaffung von Industrie-und Werksgeheimnissen benutzten Methoden sind von Jack Roberts beschrieben worden, einem •) Als Beispiel daiür kann Semijon Wassiienko, ein persönlicher Freund Victor Krawtschenko's, gelten, der in der ukrainischen Sowjetregierung einen Ministerposten bekleidet hatte. Unter den in Amerika eintreffenden sowjetischen Beamten befand sich nicht ein einziger Kommunist sie alle waren „Nichtparteigebunden". amerikanischen Staatsangehörigen, der als Dolmetscher für eine Gruppe russischer Ingenieure in der Abteilung Eisenmetalle der sowjetischen Einkaufskommission angestellt war "). Zu seiner Ingenieursgruppe gehörte ein gewisser „Naryshkin, ein großer, gewandter, blonder Mann mit einem echarfen Blick“, der in Wirklichkeit kein Ingenieur war, von dem man aber mit großer Sicherheit sagen kann, daß er im Dienst der GB stand. Naryshkin sprach fließend Englisch. Geleitet wurde die kleine „Ingenieursbrigade“ von einem gewissen Wesselkow, der in jedem Werk, das die Gruppe besuchte, eine Routineansprache hielt, die immer wieder auf die eine Feststellung hinauslief-„Zwischen uns gibt es ja keine Konkurrenz — ihr könnt uns alles zeigen“. Worauf dann regelmäßig ein paar Anspielungen auf mögliche große Aufträge gemacht wurden.

Allmählich drangen dann die Fragen tiefer in die jeweilige Materie ein. Unauffällig wurden die Notizbücher gezückt, darunter ständig das kleine schwarze Buch des Wesselkow. Vor allem waren sie an neuen Maschinen und Fertigungsprozessen, an Laboratoriumseinrichtungen und Spezialgeräten für die Prüfung der Metallqualitäten interessiert.

Lind hier verstanden sie es, durch Rufe des Staunens und der Bewunderung die Amerikaner zu längeren Erklärungen zu verleiten ... Sie [die Fragen) wurden zunächst ganz nebensächlich hingeworfen; blieben sie ohne Antwort, dann wurden sie immer wieder und jedesmal in abgewandelter Form vorgebracht. Die Russen baten dann um Erzmuster, Abschriften von Arbeitsplänen und Daten chemischer Analysen. Sie versuchten, Einzelheiten der Wasser-und Kraftversorgung des Werkes zu erfahren. Angaben über das Transportnetz, an das das jeweilige Werk angeschlossen war . . . Diese russischen Ingenieure waren emsig wie die Biber. Sie büffelten Tag und Nacht, um von dem Werk, das sie besuchen wollten, eine genaue Vorstellung zu bekommen. Bei der Ankunft machten sie in Verbrüderung und Waffenfreundschaft, spielten die Dummen und gingen erst allmählich dazu über, ganz unauffällig, aber geschickt und unermüdlich, jede kleinste Information über neue Fertigungsprozesse herauszupressen. Nach Washington zurückgekehrt, brachten sie wieder Tage und Nächte damit zu, genaue Zeichnungen und Berichte anzufertigen, die dann mehrfach photokopiert und nach Rußland geschickt wurden.

Ein anderer Ingenieur dieser Gruppe namens Talalajew war ein erstklassiger sowjetischer Wissenschaftler, ein Fachmann für Verschlüsse von Kokerei-Öfen. Er kannte kaum etwas anderes als seine Leidenschaft für dieses enge Spezialgebiet und hatte nur den einen Wunsch, ein Konstruktionsmodell des Wilputte zu sehen, seiner Ansicht nach der beste Verschluß für Kokerei-Öfen. Bei einem Besuch in der entsprechenden Abteilung der Allied Chemical and Dye Corporation in New York gelang es den Vertretern der sowjetischen Kommission mit Hilfe von Versprechungen über größere Aufträge, das Modell zu Gesicht zu bekommen, das bis dahin noch niemandem gezeigt worden war.

Er [Talalajew] nahm das Modell auseinander, setzte es zusammen, nahm es wieder auseinander.

Seine träge Gleichgültigkeit war jetzt verflogen. Seit unseren gemeinsamen Reisen kannte ich ihn gut. Ich sah, wie erregt er war.

Seine Hände zitterten nicht, aber sein Gesicht zeigte Spuren einer Konzentration, die ich nie an ihm gesehen hatte. Mehrmals schloß er die Augen für ein paar Sekunden, als wolle er sich einprägen, was er gerade gesehen hatte.

Als Mr. Wilputte sich schließlich von Naryshkin’s Konservation losmachen konnte und zum Tisch herüber kam, war Talalajew nichts mehr anzumerken. Er war so lässig und gleichgültig wie zuvor.

Als Roberts von Talalajew's bevorstehender Rückkehr nach Rußland erfuhr, meinte er beiläufig, es sei doch schade, daß er wieder gehen müsse — „wir hatten doch eine interessante Zeit zusammen, nicht wahr?" „Zweifellos hoch interessant", antwortete Talalajew grinsend. „Meine Augen [berichtet Roberts weiter] wanderten für einen Moment zu seinem Schreibtisch hinüber. Zwischen Patentschriften und Photokopien sah ich exakte Zeichnungen von etwas, was mir bekannt vor-kam — Aufriß, Grundriß, Schrägansichten. Es war der automatische Wilputte-Verschluß.“

Mehrere Jahre später gab der amerikanische Kommunist Thad Mason aus Wallington, New Jersey, ein gebürtiger Pole, vor einem Senatsausschuß zu Protokoll, er sei seit 1936 in der Industriespionage tätig ") Saturday Evening Post, 1, und 8. Oktober 1Q 49. Nach mehrmonatiger Tätigkeit bei der Kommission meldete Roberts seine Beobachtungen dem FBI. Er setzte seine Arbeit bei der sowjetischen Stelle fort, blieb aber in ständigem Kontakt mit dem FBI. gewesen. Den Höhepunkt habe seine Arbeit während des Krieges erreicht. Mason entwendete nahezu hundert Konstruktionszeichnungen von Dieselmotoren für Landungsfahrzeuge, die bei General Motors in Cleveland hergestellt wurden. Er gab die Zeichnungen an den sowjetischen Apparat weiter. Er besaß Schlüssel für den Aktenschrank, in dem die Konstruktionszeichnungen aufbewahrt wurden. Der in der Werkskantine beschäftigte Koch und der zweite Geschirrwäscher waren seine Helfershelfer. Jeden Morgen reichte Mason dem Koch eine Zeitung, zwischen deren Blätter er jeweils mehrere Zeichnungen versteckt hatte.

Liber Tag wurden die Zeichnungen vom Geschirrwäscher photokopiert.

Mason legte sie dann in die Aktenschränke zurück.

Mason sagte ferner aus, er sei von 1950 bis 1952 in Polen gewesen, wo er kommunistischen Freunden von der Geschichte mit den Konstruktionszeichnungen erzählt habe. Ein paar zufällig anwesende französische Kommunisten lachten über seine Erzählung und erklärten ihm auf seine verwunderten Fragen, sie hätten ein ganzes amerikanisches Landungsfahrzeug gestohlen und dem sowjetischen ND übergeben

Die Ubermittlung dieser Berge von Berichten und schriftlichen Unterlagen nach Rußland war ein Problem für sich. Insgesamt lassen sich vier Methoden nachweisen, die bei der Übermittlung des geheimen und vertraulichen Materials, einschließlich der Materialproben und Konstruktionszeichnungen, benutzt wurden.

Erstens, die Ubermittlung im plombierten Kuriergepäck des diplomatischen Dienstes. Diese Methode war aber wegen des begrenzten Fassungsvermögens der Kuriertaschen nur beschränkt anwendbar.

Zweitens, die Übermittlung durch Besitzer von „Diplomatenpässen".

Die weitverbreitete Auffassung, nur Diplomaten reisten mit Diplomaten-pässen, ist nicht zutreffend. Jede Regierung gibt von Zeit zu Zeit Diplomatenpässe an nichtdiplomatisches Personal aus, was einer indirekten Bitte an die Behörden fremder Staaten um einen besonderen Akt der Freundlichkeit gleichkommt, da jeder Inhaber eines Diplomatenpasses von Zollinspektionen und Überprüfungen durch die Grenzbehörden verschont bleibt. Die sowjetische Regierung machte von dieser Möglichkeit vor und während des Krieges reichlichen Gebrauch. Eine große Zahl der in den Vereinigten Staaten stationierten sowjetischen Beamten, die nichts mit dem diplomatischen Dienst zu tun hatten, reisten mit Diplomatenpässen und waren somit in der Lage, Gegenstände und Schriftstücke von höchster Bedeutung aus dem Land zu schaffen, ohne sie einer kontrollierenden Behörde vorweisen zu müssen. General Bclaijew von der Einkaufskommission brachte auf diese Weise ganze Bände mit Plänen von Flugzeugwerken, Konstruktionszeichnungen von Maschinen und anderes Material nach Rußland. Semijon Wassilenko nahm auf dem Heimflug mehrere Pakete mit sich, die wichtiges Informationsmaterial über die amerikanische Industrie enthielten. Bekannt ist der Fall des sowjetischen Oberstleutnants Motinow, Gehilfe des sowjetischen Militärattache in Kanada, der mit einer Uranprobe, die Allan Nunn May geliefert hatte, das Flugzeug nach Moskau bestieg.

Drittens, der Transport auf dem Schiffswege, unter den damaligen Verhältnissen für die Übermittlung geheimen Material gut geeignet.

Sowjetische Matrosen, die in amerikanischen Häfen auf Landurlaub gingen, hatten keine Schwierigkeiten, bei der Rückkehr an Bord Pakete mitzunehmen. Außerdem erhielten die sowjetischen Stellen in Washington oder New York sofort eine Ausfuhrgenehmigung für Waren, die für Rußland bestimmt waren. Diese Genehmigungen wurden einfach jenen Waren beigegeben, die die Sowjets unkontrolliert durch den Zoll bringen wollten. Unter diesen Bedingungen war nichts einfacher, als be— stimmte Warenstücke unter falscher Deklarierung an Bord der Schiffe zu bringen, zum Beispiel ein Radargerät, das als Kraftwagenmotor deklariert wurde. Jakow Lomakin, sowjetischer Generalkonsul in New York, wurde niemals angehalten und gefragt, wenn er seine Pakete an Bord brachte. Interessant war unter anderem die Technik, geheimes Material zwischen Packen unverfänglicher Bücher, Zeitschriften oder Warenkataloge zu verstecken ) *. •) Man wird dabei an die Technik erinnert, die Whittaker Chambers „KisteniüJlen" (iilling the box) genannt hat.

„Häufig brachte Charlie eine große leere Kiste in die Wohnung, die Maria, Charlie und ich dann mit Flunderten dünner Folien in weißen Papier-hülsen füllten. Diese Folien waren einfaches gepreßtes Material, das jeder für ein paar Pfennige beim US-Palenlamt kaufen keinnte. Immer mehr Folien wurden zugepackt, bis die Kiste schwer genug war.

Dann kamen ein paar völlig legale Druckschriften hinein — das Infantry Journal, das Cavalry Journal, Iron Age. Wenn die Kiste ganz gefüllt und gepackt war, trugen Charlie und ich sie auf die Straße, wo wir sie auf dem Gepäckhclter von Charlie's Wagen festbanden . . .

Eines Tages achteten Charlie und Maria genau darauf, daß inmitten der Folien ein gewisser Raum ausgespart wurde. Charlie holte dann aus seinem Wagen verschiedene flaschenartige Gefäße mit weiten Öffnungen, die mit einer Masse gefüllt waren, die mif so aussah wie ungekochte gelbgraue oder braungelbe Makkaroni. Ich konnte meine Neugierde nicht unterdrücken und fragte, was das sei. Mana zögerte einen Augenblick, entschloß sich dann ober doch zu sprechen. „Blitzloses Pulver", sagte sie. Witness, S. 305.

") Ein Teil des von Major Jordan gegebenen Berichtes schien dem Ausschuß (Committee on Un-American Activities) anfechtbar zu sein, der bei der Bewertung seiner Aussagen keine Einstimmigkeit erzielen konnte. Besonders starke Zweifel hatte man an der Darstellung, die Jordan von der Rolle Harry Hopkins'gab, der zu der fraglichen Zeit Berater des Präsidenten Roosevelt und eigentlicher Chef des Pacht-Leih-Programm war. In dem Jordan-Bericht wird Hopkins zum allzu willigen Werkzeug der sowjetischen Einkaufskommission. In allen anderen Punkten scheint Jordan's Bericht jedoch zuverlässig zu sein, zumal er von anderen Aussagen wie auch von offiziellen Berichten bestätigt wird. Er sollte, mit der erwähnten Einschränkung, als historisches Referenzmaterial betrachtet und auch benutzt werden.

Viertens, die Übermittlung auf dem Flugweg. Anfang 1942 wurde die neue Alaska-Flugroute von Great Falls, Montana, nach Fairbanks, Alaska, eingerichtet, wo der amerikanische Abschnitt der Route endete und sowjetische Besatzungen die Fracht-und Passagiermaschinen übernahmen, die sie dann nach Stützpunkten in Ostsibirien und von da nach Moskau flogen. Das Great Falls-Flugfeld wurde während des Krieges zum wichtigen Frachthafen.

Auf diesem in aller Eile eingerichteten Flughafen gab es keine amerikanischen Behörden mit Inspektionsbefugnissen. Der einzige Beamte des US-Schatzamtes und der Zollbehörden war ein über siebzigjähriger Mann namens Randolph Hardy, dessen Büro fast sieben Kilometer vom Flughafen entfernt war. Die amerikanische Armee hatte einen besonderen Verbindungsoffizier nach Great Falls abgestellt, der angewiesen war, der sowjetischen Mission in jeder Weise behilflich zu sein. Von 1942 bis 1944 hatte Major George R. Jordan diese Stelle inne. Jordan machte später Aussagen vor einem Untersuchungsausschuß des amerikanischen Kongresses und veröffentlichte ein Buch unter dem Titel Front

Major Jordans Diaries ").

Die Abwicklung der Grenzformalitäten war auf sowjetischer Seite einem wichtigen GB-Beamten namens Alexej Anissimow übertragen, der in Fairbanks, Alaska, stationiert war, wo ihm mehrere hundert sowjetische Piloten unterstanden. Sein Vertreter in Great Falls war Sergeant Andrej Winogradsky. Hauptaufgabe dieser GB-Einheit war die Sorge für eine sichere und schnelle Abfertigung und Übernahme der Rußlandfrachten. Darüber hinaus aber lautete ihr Sonderauftrag, jede Inspektion und Kontrolle der Frachten durch amerikanische Stellen zu verhindern.

Sergeant Winogradsky, Anissimows Vertreter in Great Falls, war ein Mann ohne Bildung und Erziehung, sprach kaum Englisch und konnte sich nur durch Zeichensprache oder mit Hilfe von Dolmetschern verständlich machen. Zu seinen Sonderaufträgen gehörte die Überwachung seines militärischen Vorgesetzten, Oberst Kotikow. Er unternahm mysteriöse Reisen in den Vereinigten Staaten. Häufig meldete er sich beim sowjetischen Vizekonsul in San Francisco, Grigorij Cheifets, der der sowjetische ND-Leiter im Gebiet der Westküste war.

In Great Falls trafen regelmäßig Flugzeuge aus Moskau mit Russen an Bord ein, die Major Jordan nicht identifizieren konnte. „Ich sah, wie sie aus den Maschinen sprangen, über Zäune kletterten und nach dem nächsten Taxi rannten. Sie wußten offenbar schon vorher ganz genau, wo sie hinwollten und wie sie dorthin kommen würden. Es war ein idealer Platz, Spione in die Vereinigten Staaten einzuschleusen — Leute mit falscher Identität, für Einsätze während des Krieges und später.“

Anfang 1943 begann in Great Falls der Transport der „schwarzen Koffer“, die aus billigstem Material hergestellt, mit Gardinenkordel ververschnürt und mit rotem Wachs versiegelt waren. Sie wurden in großen Mengen von Great Falls nach Rußland geflogen. Der Transport der „Schwarzen Koffer“ ging bis Ende des Krieges ununterbrochen weiter.

Jordan schildert eine kleine Festlichkeit, die Oberst Kotikow im März 1943 für ihn arrangiert hatte, und auf der er mit Wodka und anderen Getränken traktiert wurde, um ihn von seiner Aufsichtspflicht auf dem Rollfeld abzulenken. Er konnte sich aber vor Ende der Festlichkeit davon machen und untersuchte auf eigene Faust eine Ladung Koffer, die zum Abtransport bereitstanden.

Da waren gruppenweise gebündelte Dokumente, die dem Papier nach zu urteilen aus den Akten des Außenministeriums des Landwirtschaftsministeriums und des Handelsministeriums stammten. Alle Papiere waren bis hart an den Text beschnitten worden, jeglicher weiße Rand war abgeschnitten. Ich erklärte mir das mit der Annahme, man habe auf diese Weise Gewicht sparen wollen oder aber versucht, Stempelaufdrucke wie „Geheim“, „Vertraulich“, „Begrenzter Umlauf“ zu entfernen. Vielleicht auch beides . . .

Verwirrend war, um es gelinde auszudrücken, die Entdeckung, daß sich unter diesen Papieren umfangreiche Exemplare von Berichten befanden, die amerikanische Botschaftsattaches in Moskau dem Diplomatengepäck nach Washington anvertraut hatten. Ich fragte mich, was diese Beamten wohl sagen würden, wüßten sie, daß ihre geheimsten Bereiche jetzt wieder in die sowjetische Hauptstadt zurückgingen . . .

Zum erstenmal in meinem Leben stieß ich auf das Wort „Uran“. Die genaue Bezeichnung lautete „Uran 92“. Aus einem Lexikon ersah ich hinterher, daß Uran das 92. Element nach dem • Atomgewicht ist

Es liegt ein Bericht vor, der vom 28. März 1944 datiert ist und von einem Spezialagenten der amerikanischen Abwehr (CIC — CovttrterlutelligenceCorps) nach einer Untersuchung der Verhältnisse in Great Falls aufgesetzt wurde. Danach wurde „eine unglaubliche Menge diplomatischer Post über Great Falls nach Rußland geschickt."

Der Transport der „Diplomatischen“ Fracht nahm solche Ausmaße an, daß die Regierung der Vereinigten Staaten, wenn auch Unter Zögern, beschloß, sich der Sache anzunehme\ n. Im Außenministerium fand am 6. Juli 1944 eine Konferenz statt, auf der das FBI, die Oberste Zensur-behörde, der Militärische Nachrichtendienst und verschiedene andere Dienststellen vertreten waren. Aus den Konferenzprotokollen wird ersichtlich, daß einige der beteiligten Behörden (Außenministerium, Zoll-dienst, Einwanderungsbehörden) die Ansicht vertraten, die Armee sei für die Überwachung von Passagierfahrten und Frachttransporten verantwortlich. Die Armee lehnte jedoch die Verantwortung ab und hielt es sogar für unerwünscht, „zu diesem Zeitpunkt" irgendwelche Schritte zu unternehmen. „Es erwies sich ebenfalls, daß die wesentlich interessierten Behörden, wie der Zolldienst, die Einwanderungsbehörde, das Außenministerium und die Oberste Zensurbehörde überhaupt nicht wußten, was an den beiden erwähnten Stellen vor sich ging, soweit es sich um ihre Zuständigkeit handelte. Sie kamen überein, sich über die Verhältnisse zu informieren, die dazu nötigen Schritte zu unternehmen und sich dann, wenn nötig, mit anderen betroffenen Dienststellen in Verbindung zu setzen

Am 28. Juli 1944 überreichte das US-Außenministerium der sowjetischen Botschaft schließlich ein Memorandum, in dem darauf hingewiesen wurde, daß nur die in der Obhut eines diplomatischen Kuriers befindlichen und an das Narkomindel (Narodnij Kotnisariat IiMostratruycli Djel — Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten) adressierten Gepäckstücke von der Inspektion ausgenommen seien. Die sowjetischen Behörden oder, genauer, die sowjetischen Nachrichtendienste dachten nicht daran, ihr Verhalten zu ändern Die Lage änderte sich erst grundlegend geraume Zeit nach Kriegsende. Die Ära, in der man die Spionage im Großmaßstab tolerierte, endete erst mit den Pacht-Leih-Lieferungen (August—September 194 5) und zu jener Zeit, als die ersten großen Spionageaffären der Nachkriegszeit aufgedeckt wurden.

Fortsetzung dieses Kapitels in der folgenden Ausgabe.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Chambers Wittness, S. 252, 281

  2. „oGpu suchte nach einem Nachfolger für Tschatzky als Residenten in Amerika, hatte aber zur Zeit meiner Abfahrt (Oktober 1929) noch, keinen gefunden.

  3. L. C. Moyzisch. Operation Cicero (New York, Coward-McCann, 1950), S. 166.

  4. Eberhard Frowein. Wunderwaffe Falschgeld (Kreuzlingen, 1954).

  5. Aussage von Ben Gitlow, Hearings of Sept. 9, 1939, House Committee on Un-American Activities, Investigation of Un-American Propaganda Activities (Washington, 1939), 7, 4684.

  6. D-Akten, AM 4c-f.

  7. The Shameful Years, House Committee on Un-American Activities, S. 10.

  8. Louis Waldman, Labor Lawyer (New York, Dutton 1944), S. 233.

  9. Mrs. Genevieve Switz, D-Akten, b 893— 906.

  10. House Committee on Un-American Activities, Investigation of Un-American Propaganda Activities, Hearings of Oct. 14, 1939, 9, 5 810— 14.

  11. Special Committee to Investigate Communist Activities in the United States, Vol. 4, Sept. 26— 27, 1930.

  12. New York Times. 27. Juli 1930.

  13. a. a. O., 31. Juli 1930.

  14. a. a. O., 25. Juli 1930.

  15. Hede Masing, This Deception (New York, Duell, Sloan . and Pearce, 1951),

  16. Chambers, Witness, S. 370.

  17. W. G. Krivitsky, Ich war in Stalins Dienst (Amsterdam, Allert de Lange Verlag, 1940), S. 191.

  18. Masing, This Deception, S. 163.

  19. D-Akten, Da 16, Db 36— 37a, Dc 8; Masing, This Deception, S. 143-4, 166, 182-4, 254.

  20. The Shameful Years, House Committee on Un-American Activities, S. 13— 15.

  21. Alexander Orlow berichtet die Geschichte der Elizaweta Subilin in seinem Buch The Secret History of Stalin’s Crimes (New York, Random House, 1953), S. 192-3; sie wird dort als „Liza G." bezeichnet.

  22. House Committee on Un-American Activities, 8, 5220-1.

  23. a. a. O., S. 5225.

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  33. New York Times 21. Juni und 1. Sept. 1919

  34. John R. Deane, Ein seltsames Bündnis (Neue Welt, Wien, 1948), S. 46— 58, bes. S. 49— 50.

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  38. House Committee on Un-American Activities, Hearings . . . Regarding Shipment of Atomic Material to the Soviet Union during World War 11, 7. März 1950 Washington 1950), S. 1182.

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