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Heinrich Heine als Jude und Christ | APuZ 5/1956 | bpb.de

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APuZ 5/1956 Heinrich Heine heute Heinrich Heine als Jude und Christ Ein junger Mann aus unserer Zeit. Michel Mourre und sein Buch: „Gott ist tot?"

Heinrich Heine als Jude und Christ

HANS LAMM

Diese Überschrift ist nicht paradoxer als das Leben und Denken Heinrich Heines, auf den es in ganz besonderem Maße zutraf, daß er „ein Mensch mit seinem Widerspruch“ gewesen ist. Ja, er war Jude — nicht nur der Herkunft nach — und er war Christ, denn er trat 1825 der Kirche bei, ohne sie je wieder zu verlassen. Und dennoch könnte man auch einen überzeugenden Beweis dafür antreten, daß er tatsächlich weder Jude noch Christ gewesen sei. Ihn aber als Atheisten im Sinne des phantasielosen Materialismus des 19. Jahrhunderts zu zeichnen, würde noch weit mehr der historischen Wahrheit und der komplizierten Psyche eines zutiefst „zerrissenen“ Dichters Gewalt antun. Die Frage, wohin er gehört, zu den Besitzenden oder den Proletariern, zu den Deutschen oder den Franzosen, zu den Juden oder den Christen, hat ihn in den langen Jahren des Reifens geplagt, und wenn er je darüber etwas Endgültiges gesagt hat, dann mag es ein Wort sein, das er im Sommer 1850 zu Beginn seines Leidens an Alfred Meißner richtete: „... ich gehe in keiner Partei auf, mögen es Republikaner oder Patrioten, Christen oder Juden sein. Dieses habe ich mit allen Artisten gemein, welche nicht für enthusiastische Momente schreiben, sondern für Jahrhunderte, nicht für ein Land nur, sondern für die Welt, nicht für einen Stamm, sondern für die Menschheit.“

In jeder Betrachtung des Dichters müssen wir, um ihm auch nur annähernd gerecht zu werden, dieser Mahnung eingedenk bleiben und uns abgewöhnen, ihn mit den Maßstäben und Kategorien zu messen, die für mehr bürgerliche Naturen und gewöhnliche Sterbliche angebracht sein mögen.

Kein Mangel an Anteilnahme Freilich, man sollte dieses Über-den-Parteien-Stehen nicht mit einem Mangel an Anteilnahme gleichsetzen, ein Fehler, in den selbst Heinrich Laube verfallen zu sein scheint, als er 1839 beobachtete: „Über seine bürgerliche Beziehung zu Juden-oder Christentum hat Heine nie zu mir gesprochen. Auch nicht in vertrautestem Gespräche. Er liebte dafür einen romantischen Schleier. So hat er mir nie erzählt, daß er sich in Langensalza habe taufen lassen. Und dabei sprach er doch hundertmal über Eigentümlichkeiten der Juden und Christen. Das tat er immer wie ein Neutraler, als ob es ihn persönlich gar nicht anginge. Er pries plötzlich einen Vorzug des jüdischen Wesens, und er verspottete ebenso plötzlich einen Fehler desselben. Ebenso lobte und verspottete er nach verschiedenen Seiten das Wesen des Christentums. Man konnte allenfalls daraus entnehmen, daß er weder dem Judentum, noch dem Christentum angehören wollte ...

Das war wohl hauptsächlich eine Fassade, hinter der eine über-sensitive Seele glaubte sich verbergen zu müssen. Sicher beschäftigte sich der leichtherzige Studiosus mit den Fragen des Woher und Wohin nicht mit jener letzten Hingabe, die ihm das scheinbar nimmerendenwollende Leiden in der „Matratzengruft“ (1849— 1856) aufzwang. Aber in dem oben zitierten Gespräch mit Meißner bewies er auch, wie sehr ihm die Tragödie des jüdischen Volkes in einer oft recht unchristlichen Umwelt naheging: „Wenn Israel sich von Zeit zu Zeit durch kleine Gaunereien an seinen Bütteln rächt, — es nimmt zur Entschädigung damit nur den millionsten Teil der Buße, die ihm gebührte! Seltsames Volk, das seit Jahrhunderten immer geschlagen wird, immer weint, immer duldet, fortwährend von seinem Gott vergessen wird und doch so zäh und treu an ihm hängt, wie kein anderes unter der Sonne. O, wenn Märtyrertum adelt und Geduld und Treue, Ausdauer im Unglück, so ist dieses Volk adlig vor vielen anderen. Lesen wir doch die Geschichte des Mittelalters, dieser klassischen Zeit des verbündeten Pfaffen-und Rittertums, es gibt kein Jahr darin, das für die Juden nicht bezeichnet wäre durch Foltern, Scheiterhaufen, Enthauptungen, Brandschatzungen und Massakres! Und zwar leiden die Juden unter den Anhängern Christi, den durch ihre Religion gebildeten, immer mehr als unter den rohesten und wildesten Völkern, Polen und Ungarn, Beduinen, Chazygen und Mongolen! O, es ist doch ein schönes Ding um die Religion der Liebe! ..

Geistiger Entwicklungsgang Seine zwiespältige Haltung, seine Haßliebe fürs Judentum und auch das Christentum wird vielleicht etwas klarer, wenn wir uns kurz seinen geistigen Entwicklungsgang vergegenwärtigen: Sein Elternhaus hatte sich von dem Glauben der Väter noch nicht vollkommen abgewandt; ja, zahlreiche Anzeichen deuten darauf hin, daß der junge Harry im Geiste der Tradition heranwuchs. Es genüge, daran zu erinnern, wie die Geschwister Harry und Charlotte aufgefordert wurden, am Sabbat beim Löschen eines Brandes mitzuhelfen und er mit Bestimmtheit erwiderte: „Ich darf's nicht, und ich tu's nicht, denn wir haben heute Schabbes!" Während die Mutter freigeistige Neigungen zeigte, blieb der Vater Samson Vorsteher der „Gesellschaft menschenfreundlicher Handlungen und zum Rezitieren der Psalmen“ der jüdischen Gemeinde zu Düsseldorf, und ehrfurchtsvoll schildert der Sohn das Werk des Frommen: „Von diesen Sitzungen meines Vaters als Armenpflegcr blieben mir nur diejenigen im Gedächtnis, welche im Winter stattfanden, in der Frühe des Morgens, wenn's noch dunkel war. Mein Vater saß dann an einem großen Tische, der mit Geldtüten jeder Größe bedeckt war; statt der silbernen Leuchter mit Wachskerzen, deren sich mein Vater gewöhnlich bediente, und womit er, dessen Herz soviel Takt besaß, vor der Armut nicht prunken wollte, standen jetzt auf dem Tische zwei kupferne Leuchter mit Talglichtern, die mit der roten Flamme des dicken, schwarzgebrannten Dochtes gar traurig die anwesende Gesellschaft beleuchteten.

Das waren arme Leute jeden Alters, die bis in den Vorsaal Queue machten. Einer nach dem anderen kam, seine Tüte in Empfang zu nehmen und mancher erhielt zwei; die größte Tüte enthielt das Privatalmosen meines Vaters, die kleine das Geld der Armenkasse.

Ich saß auf einem hohen Stuhle neben meinem Vater und reichte ihm die Tüten. Mein Vater wollte nämlich, ich sollte lernen, wie man gibt, und in diesem Fache konnte man bei meinem Vater etwas Tüchtiges lernen.“ Als Zwanzigjähriger war er dann in dem Verein für die Kultur und Wissenschaft der Juden in Berlin tätig, wo er den großen Gelehrten Leopold Zunz, Moses Moser, Ludwig Marcus und andere, die ihn stark beeindruckten, kennen und schätzen lernte. Damals begann auch die Konzeption des „Rabbi von Bacheradi“, ein vom Wissen um jüdische Geschichte und religiöses Brauchtum erfülltes Werk. Und dennoch — hier beginnt die Kette faszinierender Widersprüche! — schritt er um jene Zeit, am 28. Juni 1825 zu Heiligenstadt, zur Taufe. Durch das bittere Bon-mot „Der Taufzettel ist das Entreebillet zur europäischen Kultur!" suchte er einen Schritt, den er in Heimlichkeit getan hatte und dessen er nie froh geworden war, wenn nicht zu rechtfertigen, so doch zu klären. Zwei Jahre vorher hatte er in Bezug auf die Taufe geschrieben: „Keiner von meiner Familie ist dagegen außer ich. Und dieses Ich ist sehr eigensinniger Natur. Aus meiner Denkungsart kannst Du es Dir wohl abstrahieren, daß mir die Taufe ein gleichgültiger Akt ist, daß ich ihn auch symbolisch nicht wichtig achte, und daß er in den Verhältnissen und auf die Weise, wie er bei mir vollzogen werden würde, auch für andere keine Bedeutung hätte. Für mich hätte er vielleicht die Bedeutung, daß ich mich der Verfechtung der Rechte meiner unglücklichen Stammesgenossen mehr weihen würde. Aber dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend, wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe ..

Und ein halbes Jahr nachdem er der evangelischen Kirche beigetreten war, schrieb er wieder dem vertrauten Freund Moser: „Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhaßt. Ich bereue sehr, daß ich mich getauft hab'; ich seh'noch gar nicht ein, daß es mir seitdem besser gegangen sei, im Gegenteil, ich habe seitdem nichts als Unglück ..."

Auch in späteren Jahren konnte er sich selbst als registriertes Kirchen-mitglied nicht allzu ernst nehmen:

Ich bin ein Christ — wie es im Kirchenbuche Bescheinigt steht — deshalb, bevor ich sterbe, Will ich Euch fromm und brüderlich verzeihen.

Es wird mir sauer — ach! mit einem Fluche Möcht'ich weit lieber euch vermaledeien: Daß euch der Herr verdamme und verderbe!

Resigniert scherzt er noch ein paar Wochen vor seinem Tode mit seinem Bruder: „Es ist alles nicht wahr! Übrigens wird man dies auch von meinen andern künftigen Biographen sagen können, denn an wievielen verschiedenen Tagen haben mich die Zeitungen schon taufen lassen, und trotz den vielen Taufen behaupten dennoch die Leute, ich sei kein guter Christ."

In den Jahren, die zwischen seiner ihn mehr mit schlechtem Gewissen, denn innerer Befriedigung erfüllenden Taufe und denen des läuternden Leidens lagen, wird uns manch scharfes Wort zugetragen. So z. B. im Oktober 1831 von Börne: „Christentum, Religion überhaupt ist ihm nicht bloß ein Greuel, es ist ihm ein Ekel ..." und vielleicht beschrieb ihn Laube 1839 nicht unzutreffend: „... So steht er mir in Erinnerung, halb Jude, halb Heide zur Zeit Cäsars, als keine Religion mehr Stich hielt und man sich doch sehnte nach dem geheimnisvollen Reize irgendeines Kultus..."

So wenig er sein Christentum allzu tragisch nahm, so wenig scheint er seine jüdische Abstammung hinausposaunt zu haben. Der erstaunte Meißner berichtet uns im Februar 1849, daß seine katholische Frau Mathilde ihn für einen Protestanten von Geburt her hielt und ob seiner Verehrung für Luther verspottete: ».. Sie werden vielleicht gar behaupten wollen, daß Kohn ein Jude sei? Aber Kohn ist verwandt mit Henri und Henri ist ja Protestant. Kohn ist keinesfalls ein Jude, und doch hat er die scharfe Zunge der übrigen Deutschen! Er wird wohl auch ein Protestant sein, wie Henri — denn Henri — ha, ha, ha, Henri ist Protestant, glaubt an Lütheer! Wenn ich ihm sage, daß Lütheer ein abscheulicher Ketzer war, wird er ordentlich böse und behauptet, er sei ein großer Mann gewesen, der größte Deutsche, der je gelebt, der Lütheer! O, wie man doch in vielen Dingen gescheit sein und damit doch so dumm reden kann!"

Wertschätzung des Protestantismus Für Luther und die Reformation hatte Heine großen intellektuellen Respekt. Dies sei mit den folgenden zwei Zitaten aus „Religion und Philosophie in Deutschland“ illustriert: „Indem Luther den Satz aussprach, daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit. Das Denken ward ein Recht, und die Befugnisse der Vernunft wurden legitim. Die Fürsten, welche die Reformation annehmen, haben diese Denkfreiheit legitimiert, und eine wichtige, welt-wichtige Blüte derselben ist die deutsche Philosophie.“ „... Indessen, wenn bei uns in Deutschland, durch den Protestantimus, mit den alten Mirakeln auch sehr viel andere Poesie verloren-ging, so gewannen wir doch mannigfaltigen Ersatz. Die Menschen wurden tugendhafter und edler. Der Protestantismus hatte den günstigsten Einfluß auf jene Reinheit der Sitten und jene Strenge in der Ausübung der Pflichten, welche wir gewöhnlich Moral nennen ..

Diese Wertschätzung des Protestantismus bedeutete jedoch für Heine keine antikatholische Haltung, wie ein weiteres Zitat aus dem gleichen Werk beweist: „Mehr noch als die Gesinnung des Teufels verkannte Martin Luther die Gesinnung des Papstes und der katholischen Kirche. Bei meiner strengen Unparteilichkeit muß ich beide, ebenso wie den Teufel, gegen den allzu eifrigen Mann in Schutz nehmen. Ja, wenn man mich aufs Gewissen fragte, würde ich eingestehen, daß der Papst, Leo X., eigentlich weit vernünftiger war als Luther, und daß dieser die letzten Gründe der katholischen Kirche gar nicht begriffen hat. Denn Luther hatte nicht begriffen, daß die Idee des Christentums, die Vernichtung der Sinnlichkeit, gar zu sehr in Widerspruch war mit der menschlichen Natur, als daß sie jemals im Leben ganz ausführbar sei, er hatte nicht begriffen, daß der Katholizismus gleichsam ein Konkordat war zwischen Gott und dem Teufel, d. h. zwischen dem Geiste und der Materie, wodurch die Alleinherrschaft des Geistes in der Theorie ausgesprochen wird, aber die Materie in den Stand gesetzt wird, alle ihre annullierten Rechte in der Praxis auszuüben ...“

Sicher zu Unrecht hat man Heine oft als Feind des Katholizismus hingestellt. Aus politischen Überzeugungen bekämpfte er Kreise, die er als „ultramontan" betrachtete; aber hätte ein mit anti-katholischen Vorurteilen Behafteter je Worte solch schönen Verständnisses finden können: „Es ist so, wie Sie sagen, das Christentum hat seine welthistorische Bedeutung allerdings gehabt, und in dem krassen Materialismus jener Zeit, wo es entstand, wäre ich gewiß ein guter Christ geworden. Ich habe eigentlich immer eine Vorliebe für den Katholizismus gehabt, die aus meiner Jugend herstammt und mir durch die Liebenswürdigkeit katholischer Geistlicher eingeflößt ist. Einer von diesen war ein Freund meines Vaters und Lehrer der Philosophie an unserer Schule. Er machte es durch allerhand kleine Kunstgriffe möglich, daß ich schon mit 14 Jahren seine philosophischen Stunden mitbesuchte, und ich verstand auch all seine Sachen ganz gut. Er war wirklich freisinnig; trotzdem las er doch, wenn er tags zuvor die freiesten Dinge gelehrt hatte, am Tage darauf im Ornate Messe wie die anderen. Und weil ich so von Jugend auf gewohnt war, Freisinnigkeit und Katholizismus vereint zu sehen, sind mir die katholischen Riten immer nur als etwas Schönes, als eine liebliche Jugenderinnerung entgegengetreten und niemals als etwas erschienen, was dem Gedanken der Menschheitsentwicklung schädlich sei . .

Heines Beziehung zur Bibel Wann hat Heine von der wohlwollend-neutralen Betrachtung des Judentums und des aus ihm hervorgegangenen katholischen und protestantischen Christentums je den Weg zu positiver Religion zurückgefunden? Im Februar 1849 meldete Felix Bamberg noch an Hebbel: „Heine ist furchtbar krank. . .. Sein Geist ist frisch, er ist Deist geworden.“

Das war am Beginn der Periode unsagbarer Pein, die erst sieben Jahre später enden sollte. Die Frage, ob auch ohne die Verdammnis der „Matratzengruft“ Heine wieder zu Gott zurückgefunden hätte, erscheint müßig. Schon im Jahre 18 50 erklärt er sich klipp und klar Ludwig Kalisch gegenüber: . . . „Ja“, sagte ich, (berichtet Kalisch), „man spricht fast täglich von Ihrer Rückkehr zu Jehova Zebaoth. Ich habe bei meinem ersten Besuche absichtlich vermieden, mit Ihnen über diesen Punkt zu sprechen." „Warum das?", rief er. „Ich mache kein Hehl aus meinem Juden-turne, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin, da ich es niemals verlassen hatte. Ich habe mich nicht taufen lassen aus Haß gegen das Judentum. Mit meinem Atheismus ist es mir niemals ernst gewesen. Meine früheren Freunde, die Hegelianer, haben sich als Lumpen erwiesen. Das Elend der Menschen ist zu groß. Man muß glauben.“

Idi fragte ihn, ob er bei den Alten, von denen er doch in seinen Schriften mit soviel Begeisterung dem Nazarenertum gegenüber spreche, keine Befriedigung fände? „Ich bin nicht Nazarener geworden“, erwiderte er; „aber das Griechentum, so schön und heiter es auch ist, genügt mir nicht mehr, seitdem ich selbst-nicht mehr schön und heiter bin. Ich bin in Passy gelegen, als meine böse Krankheit anfing. Während ich mich krampfhaft auf dem Lager wälzte, wurde draußen der entsetzliche Junikampf gekämpft. Der Kanonendonner zerriß mein Ohr. Ich hörte das Geschrei der Sterbenden; ich sah den Tod mit seiner unbarmherzigen Sense die Pariser Jugend hinmähen. In solchen gräßlichen Augenblicken reicht der Pantheismus nicht aus; da muß man an einen persönlichen Gott, an eine Fortdauer jenseits des Grabes glauben. Ich bin kein Mucker geworden. Ich habe den Weg zum lieben Gott weder durch die Kirche, noch durch die Synagoge genommen. Es hat mich kein Priester, es hat mich kein Rabbiner ihm vorgestellt. Ich habe mich selbst bei ihm eingeführt, und er hat mich gut ausgenommen. Er hat meine Seele geheilt; möge es ihm gelingen, auch meinen Körper zu heilen! Ich würde ihm wahrscheinlich dafür sehr dankbar sein.“

Gleichzeitig beansprucht er nicht, positiver Christ geworden zu sein: „. . . alles dieses," fuhr er fort, indem ein Lächeln über seine schmerzerfüllten Züge glitt, „alles dieses muß ich nun ertragen, ohne den Beistand unseres Herrn Jesus Christus! Aber ich habe auch meinen Glauben. Denken Sie nur nicht, daß ich ohne Religion bin . . . Sehen Sie, da habe ich die Bibel, ich lese viel darin, d. h., ich lasse mir vorlesen. Es ist doch ein ganz wunderbares Buch, dieses Buch der Bücher! . , . Wenn ich meine Feinde nicht totschlagen kann, überlasse ich sie der Vorsehung, wenn ich meine Angelegenheiten nicht mehr besorgen kann, übergebe ich sie dem lieben Gott. ..“

Seine Beziehung zur Bibel war eine so innige, daß er immer wieder darauf zurückkam. Um so seltener äußerte er sich über Jesus. Da ist die eine hymnische Äußerung des jungen Mannes (1829): . . (Christus) ist der Gott, den ich am meisten liebe, nicht weil er so ein legitimer Gott ist, dessen Vater schon Gott war und seit undenklicher Zeit die Welt beherrschte, sondern weil er, obgleich ein geborener Dauphin des Himmels, dennoch, demokratisch gesinnt, keinen höfischen Zeremonialprunk liebt, weil er kein Gott einer Aristokratie von geschorenen Schriftgelehrten und galonierten Lanzen-knechten, und weil er ein bescheidener Gott des Volkes ist. ein Bürger-Gott, un bon dieu citoyen. Wahrlich, wenn Christus auch kein Gott wäre, so würde ich ihn dazu wählen, und viel lieber als einem aufgezwungenen, absoluten Gotte, würde ich ihm gehorchen, ihm, dem Wahlgotte, dem Gotte meiner Wahl . . .“

Dann folgt ein langes Schweigen bis zu der seltsamen, kurzen Bemerkung über ein Bildnis, das ein Künstler vom kranken Heine fertigte (1851): „Ja, ja, das ist das wahre Bild unseres Herrn — er war ja auch ein Jude", eine Äußerung, die fast blasphemisch erscheinen könnte, wenn nicht Camilla Selden, die „Mouche", ein paar Wochen vor seinem Tode ein ähnliches Wort ausgestoßen hätte: „Auf einem ziemlich niedrigen Lager . . . ruhte ein kranker, halb blinder Mann, der bedeutend jünger aussah, als er es in Wirklichkeit war und dessen Züge von einem eigentümlich fesselnden Interesse waren: ich glaubte, einen Christuskopf vor mir zu sehen, über dessen Gesicht Mephistos Lächeln glitt.“

Dieser Heine empfand schon lange keinen „Ekel“ mehr gegenüber irgend einer Religion. Im August 1851 vertraute er sich seinem Bruder Gustav an: „Soviel kann ich Dir sagen, ich bin jetzt einer der treuesten Anhänger Gottes, ich bin für Gott quand meme. Ich habe Frieden mit Gott gemacht wie mit den Menschen, und ersterem die Bestrafung aller LInbillen überlassen, die ich von letzteren erlitten habe. Ich bemerkte sogar, daß mich der liebe Gott an manchen Menschen ärger gerächt hat. als es mir lieb ist. In meinen Nachtgebeten bitte ich ihn im wirklichsten Ernste, daß auch er manchen meiner Feinde verzeihe. Alles, was nur einen Anstrich von Atheismus hatte, habe ich sorgfältig aus meinen Papieren vertilgt; denn ich bereue aufrichtig, daß ich manchen gläubigen Seelen Anstoß gegeben habe“ . . .

Diese LImkehr hatte schon früher begonnen. So schrieb er 1 8 50 an Julius Campe: „Ich bin kein Frömmler geworden, aber ich will darum doch nicht mit dem lieben Gott spielen; wie gegen die Menschen, will ich auch gegen Gott ehrlich verfahren, und alles, was aus der früheren blasphematorischen Periode noch vorhanden war, die schönsten Gift-blumen, hab'ich mit entschlossener Hand ausgerissen und bei meiner physischen Blindheit vielleicht zugleich manches unschuldige Nachbar-gewächs in den Kamin geworfen . . . . . . Die religiöse Umwälzung, die in mir sich ereignete, ist eine bloß geistige, mehr ein Akt meines Denkens als des seligen Empfindeins, und das Krankenbett hat durchaus wenig Anteil daran, wie ich mir fest bewußt bin . . .“

Immer wieder erklärte er aufs Neue, daß es weder Krankheit noch Menschen gewesen seien, die ihm den Weg zurück wiesen: „Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den Hegelitanern die Schweine gehütet. War es die Misere, die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder miserabler Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich fort durch Wälder und durch Schluchten, über die schwindligsten Bergpfade der Dialektik . . .“ „. , . In der Tat, weder eine Vision, noch eine seraphische Verzükkung, noch eine Stimme vom Himmel, auch kein merkwürdiger Traum oder sonst ein Wunderspuk brachte mich auf den Weg des Hils, und ich verdanke meine Erleuchtung ganz einfach der Lektüre eines Buches — eines Buches? Ja, und es ist ein altes, schlichtes Buch, bescheiden wie die Natur, auch natürlich wie dies, ein Buch, das werkeltägig und anspruchslos aussieht wie die Sonne, die uns wärmt, wie das Brot, das uns nährt; ein Buch, das so traulich, so segnend gütig uns anblickt wie eine alte Großmutter, die auch täglich in dem Buche liest, mit den lieben, bebenden Lippen und mit der Brille auf auf der Nase — und dieses Buch heißt auch ganz kurzweg das Buch, die BibelI" . Die Wiedererweckung meines religiösen Gefühls verdanke ich jenem heiligen Buche, und dasselbe ward für mich ebensosehr eine Quelle des Heils als ein Gegenstand der frömmigsten Bewunderung. Sonderbar.'Nachdem ich mein ganzes Leben hindurch mich auf allen Tanzböden der Philosophie herumgetrieben, allen Orgien des Geistes mich hingegeben, mit allen möglichen Systemen gebuhlt, ohne befriedigt worden zu sein, wie Messaline nach einer liederlichen Nacht — jetzt befinde ich mich plötzlich auf demselben Standpunkt, worauf auch der Onkel Tom steht, auf dem der Bibel, und ich kniee neben dem schwarzen Betbruder nieder in derselben Andacht . . .“

Der Tiefe seines Wandels wurde sich Heine wohl bewußt: „Ich bin kein göttlicher Bipede mehr: ich bin nicht mehr der „Freieste Deutsche nach Goethe", wie mich Runge in gesünderen Tagen genannt hat; ich bin nicht mehr der große Heide Nr. II, den man mit dem weinlaubumkränzten Dionysus verglich, während man meinem Kollegen Nr. I den Titel eines großherzoglich weimarschen Jupiters erteilte; ich bin kein lebensfreudiger, etwas wohlbeleibter Hellene mehr, der auf trübsinnige Nazarener herablächelte — ich bin jetzt nur ein armer, todkranker Jude, ein abgezehrtes Bild des Jammers, ein unglücklicher Mensch!“ und tief erkannte er auch: „. .. Die Juden sollten sich leicht trösten, daß sie Jerusalem und den Tempel und die Bundeslade und die goldene Geräte und Kleinodien Salomonis eingebüßt haben . . . solcher Verlust ist doch nur geringfügig im Vergleich mit der Bibel, dem unzerstörbaren Schatze, den sie gerettet. Wenn ich nicht irre, war es Mahomet, welcher die Juden „das Volk des Buches“ nannte, ein Name, der ihnen bis zum heutigen Tage im Oriente verblieben und tiefsinnig bezeichnend ist. Ein Buch ist ihr Vaterland, ihr Besitz, ihr Herrscher, ihr Glück und ihr Unglück. Sie leben in den umfriedeten Marken dieses Buches, hier üben sie ihr unveräußerliches Bürgerrecht, hier kann man sie nicht verjagen, nicht verachten, hier sind sie stark und bewunderungswürdig. Versenkt in die Lektüre dieses Buches, merkten sie wenig von den Veränderungen, die um sie her in der wirklichen Welt vorfielen; Völker erhuben sich und schwanden, Staaten blühten empor und erloschen, Revolutionen stürmten über den Erdboden... sie aber, die Juden, lagen gebeugt über ihrem Buche und merkten nichts von der wilden Jagd der Zeit, die über ihren Häuptern dahinzog.'“ „Ich hatte Moses früher nicht sonderlich geliebt, wahrscheinlich, weil der hellenische Geist in mir vorwaltend war und ich dem Gesetzgeber der Juden seinen Haß gegen alle Bildlichkeit, gegen die Plastik, nicht verzeihte. Ich sah nicht, daß Moses trotz seiner Befeindung der Kunst dennoch selber ein großer Künstler war und den wahren Künstlergeist besaß. Nur war dieser Künstlergeist bei ihm wie bei seinen ägyptischen Landsleuten nur auf das Kolossale und Unverwüstliche gerichtet. Aber nicht wie die Ägypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Granit, sondern er baute Menschen-pyramiden, er meißelte Menschenobelisken, er nahm einen armen Hirtenstamm und schuf daraus ein Volk, das ebenfalls den Jahrhunderten trotzen sollte, ein großes, ewiges, heiliges Volk, ein Volk Gottes, das allen anderen Völkern als Muster, ja der ganzen Menschheit als Prototyp dienen konnte: er schuf Israel! Mit größerem Rechte als der römische Dichter darf jener Künstler, der Sohn Amram und der Hebamme Jochebet, sich rühmen, ein Monument errichtet zu haben, das alle Bildungen aus Erz überdauern wird!

Wie über den Werkmeister, hab'ich auch über-das Werk, die Juden, nie mit hinlänglicher Ehrfurcht gesprochen und zwar gewiß wieder meines hellenischen Naturells wegen, dem der judäische Asketismus zuwider war. Meine Vorliebe für Hellas hat seitdem abgenommen. Ich sehe jetzt, die Griechen waren nur schöne Jünglinge, die Juden aber waren immer Männer, gewaltige, unbeugsame Männer, nicht bloß ehemals, sondern bis auf den heutigen Tag, trotz achtzehn Jahrhunderten der Verfolgung und des Elends. Ich habe sie seitdem besser würdigen gelernt, und wenn nicht jeder Geburtsstolz bei den Kämpen der Revolution und ihrer demokratischen Prinzipien ein närrischer Widerspruch wäre, so könnte der Schreiber dieser Blätter stolz darauf sein, das seine Ahnen dem edlen Hause Israel angehörten, daß er ein Abkömmling jener Märtyrer, die der Welt einen Gott und eine Moral gegeben und auf allen Schlachtfeldern des Gedankens gekämpft und gelitten haben . . .“ Über die Juden, die er als junger Mann oft mit harter Arroganz abgeurteilt hatte, sagte er nun: „Ich liebe sie persönlich“ und verständnisvoll:

„Hinter dem Schmutze der gemeinsten Schacherjuden aber ist sehr oft Edelsinn und Großmut verborgen. Sie verstecken diese Glanz-seite oft absichtlich — wie sie in den Zeiten des Druckes ihren Reichtum hinter dem Scheine der Dürftigkeit vor den Augen der Habsucht zu sichern wußten . . .“ und gleichermaßen hatte er schon lange wieder zum Gott der Väter zurückgefunden (1849): „Denn daß es einen Himmel gibt, liebster Max, das ist jetzt ganz gewiß, seit ich diesen so sehr nötig habe bei meinen großen Erden-schmerzen. — Leb wohl, mein teurer Bruder, der Gott unserer Väter erhalte Dich. Unsere Väter waren wackere Leute: sie demütigten sich vor Gott und waren deshalb so störrisch und trotzig den Menschen, den irdischen Mächten gegenüber; ich dagegen, ich bot dem Himmel frech die Stirne und war demütig und kriechend vor den Menschen — und deswegen liege ich jetzt am Boden wie ein zertretener Wurm. Ruhm und Ehre dem Gott in der Höhe!“ und kurz darauf:

„Kennst Du jenes schauerliche, peinigende Gefühl, welches ich die Verzweiflung des Leibes nennen möchte? Daran laboriere ich eben heute. Gottlob, daß ich jetzt wieder einen Gott habe, da kann ich mir doch im Übermaß des Schmerzes einige fluchende Gotteslästerungen erlauben, dem Atheisten ist solche Labung nicht vergönnt.“ „Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen ..

Reicht diese unvollständige Auswahl aus, um zu zeigen, daß die Sage des mangelnden Verhältnisses Heines zu der judäo-christlichen Tradition des Westens nicht mehr ist als eine Fabel?

In der Tat, es war mehr als eine sentimentale oder nur literarische Bindung, die ihn erfüllte. Die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden erschien ihm historisch unvermeidbar: „Ja, die Emanzipation wird früh oder spät bewilligt werden müssen, aus Gerechtigkeitsgefühl, aus Klugheit, aus Notwendigkeit. . .“

Aber selbst diese Befreiung der Juden von den Fesseln des Ghettos war für Heine nicht Endzweck: „. . . Was ist aber die große Aufgabe unserer Zeit? Es ist die Emanzipation. Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrückten Völker, sondern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, das mündig geworden ist, und das sich jetzt losreißt von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie . .

Der Dichter, der pessimistisch vorausgesagt hatte:

Keine Messe wird man singen, Keinen Kadosch wird man sagen, Nichts gesagt und nichts gesungen Wird an meinen Sterbetagen, hegte den Ehrgeiz, daß man ihn zwar nicht als Partei-oder Kirchen-mann feiere, sondern vielmehr als einen, der die folgende Hoffnung als Testament für uns hinterließ:

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich es verdiene, daß man mir einst mit einem Lorbeerkranze den Sarg verziere. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte, war immer nur heiliges Spielzeug oder geweihtes Mittel für himmlische Zwecke ... Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.“

Am Vorabend seines 100. Todestages grüßen wir ihn nicht nur als Vorkämpfer der Freiheit und der Rechte der Unterdrückten, als Juden und als Christen, sondern vor allem als einen widerspruchsvollen und doch warmherzigen Mitmenschen, dessen Bild Alfred Meißner 1847 so lebensnah zeichnete: „Ja, es sei gesagt: sein Herz war gut. Doch dieses Herz gehörte nur seinen Freunden, der Haß war für die Feinde Dieses gute Element, das in ihm waltete, ergoß sich sogar auf gleichgültige, ihm ganz fremde Menschen. Es genügte diesen, um sein Interesse zu wecken, notdürftig, arm oder unglücklich zu sein. Zahllose Flüchtlinge haben seine wohltätige Hand empfunden, ohne daß er gefragt hätte, welcher Partei sie angehörten, wenn sie sogar aus einem Lager kamen, dessen Fahnen er verspottete und in dessen Reihen ihm feindliche Kämpfer nisteten; zu jeder Geldsammlung für irgendein edles oder unverschuldetes Unglück steuerte er mit bei, beinahe mehr, als seine Mittel gestatteten und sagte dabei lächelnd und wie zur Entschuldigung: , Ich liebe von Zeit zu Zeit, meine Visitenkarte bei dem lieben Herrgott abzugeben“.

Fussnoten

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