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Tapfere Seelsorge | APuZ 29/1956 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 29/1956 Tapfere Seelsorge

Tapfere Seelsorge

Vorabdruck aus dem voraussichtlich noch Ende des Jahres erscheinenden Bildband „DAS GEWISSEN ENTSCHEIDET“.

Das Kapitel läßt die überaus mühselige Arbeit, der sich die Herausgeber Annelore Leber, Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher im Zusammentragen oft nur schwer feststellbarer Einzelheiten unterzogen haben, erkennen. Das Kapitel deutet aber auch darauf hin, daß dieser kommende Band, als Folgeband zu dem Buch „DAS GEWISSEN STEHT AUF". Eigenwert erwarten läßt, weil er — was bisher noch nicht geschehen ist — auf die sozialen und politischen Gruppierungen, die als demokratische Gesinnungsgemeinschaften dem Nationalsozialismus gegenüber geistigen Rückhalt leisten mußten, eingeht.

Die Frage aber bleibt aktuell, in wieweit und zu welchem Zeitpunkt die Wechselbeziehungen zwischen dem Individuum und der Gesinnungsgemeinde auf menschliche Entscheidungen Einfluß nimmt.

Im Vorwort dieses kommenden Buches schreibt Annelore Leber:

„Das Gewissen jedes Deutschen entscheidet, ob die Tragik unserer jüngsten Geschichtsperiode zur fruchtbaren Erkenntnis für Gegenwart und Zukunft werden kann, oder ob wir vor dieser Vergangenheit flüchten und sie verdrängen. Damit stellt sich zugleich die Frage: Wollen wir Gedanken und Haltung der Menschen, deren Rechtsgefühl durch die Gewalt nicht zu erschüttern war, im Bewußtsein unseres Volkes lebendig erhalten oder sollen ihre Zeugnisse in Archiven verstauben?“

Einführung

In der ersten Reichtagssitzung nach der Machtergreifung, am 23. März 1933, gab Hitler in seiner neuen Funktion als Reichskanzler die feierliche Versicherung ab: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstunis . . . Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden.“ Seine wirkliche Einstellung zu den Kirchen enthüllte Hitler zwei Wochen später vor seinen engsten Gefolgsleuten in der Reichskanzlei:

„Mit den Konfessionen, ob nun diese oder jene, das ist alles gleich, das hat keine Zukunft mehr. Für die Deutschen jedenfalls nicht. Der Faschismus mag in Gottes Namen seinen Frieden mit der Kirche machen. Ich werde das auch tun. Warum nicht! Das wird mich nicht abhalten, mit Stumpf und Stiel, mit allen seinen Wurzeln das Christentum aus Deutschland auszurotten. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein.“

Hitler war überzeugt, die Evangelische Kirche ohne Schwierigkeiten gleichschalten zu können. Sein Vertrauensmann, der Wehrkreispfarrer und spätere Reichsbischof Ludwig Müller sollte als „Bevollmächtigter für die Angelegenheiten der Evangelischen Kirche" Hitlers Pläne verwirklichen, gestützt auf die „Glaubensbewegung Deutsche Christen", die seit 1932 innerhalb der Evangelischen Kirche nationalsozialistische Prinzipien vertrat und sich rühmte, „SA Christi“ zu sein. Einer ihrer ausdrücklichen Programmpunkte war eine zentralistisch geleitete Reichskirche als Vorbereitung für die Gleichschaltung von Staat und Kirche.

Um dem gefährlichen Wirken der Deutschen Christen vorzubeugen, hatte der Präsident des Evangelischen Kirchenbundes, Dr. Hermann Kapier, gemeinsam mit Landesbischof D. August Marahrens, Hannover, und Pfarrer Hermann Hesse, Elberfeld, im Auftrag der evangelischen Landeskirchen eine Verfassung für die geforderte Reichskirche ausgearbeitet. In dem ersten Artikel war als Voraussetzung „Die formuliert:

unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die Vollmachten, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf, bestimmt und begrenzt." Diese vom Kapler-Ausschuß entworfene Kirchenverfassung wurde nach dem persönlichen Eingreifen Hindenburgs schließlich von Hitler genehmigt.

Eine umfassende Propaganda, verbunden mit der offenen Bedrohung andersdenkender Kirchengruppen, Einheitswahllisten in zahlreichen kirchlichen Wahlbezirken und nicht zuletzt eine Radioansprache Hitlers zu Gunsten der Deutschen Christen brachten diesen bei den Kirchen-wahlen im Juli 1933 in vielen Provinzen eine überwältigende Mehrheit. Llnter dem Übergewicht der Deutschen Christen nahm einige Wochen später die neugewählte preußische Generalsynode den Arierparagraphen für Geistliche an.

Unmittelbare Folge dieses Beschlusses war der weiten Widerhall findende Aufruf Martin Niemöllers zum Pfarrernotbund am 21. September 1933: „Gegenüber den Deutschen Christen haben kirchliche Führer und Behörden versagt. . . Wir rufen daher auf zu einem Notbund von Pfarrern, die sich verpflichten, sich nur an die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Reformation zu binden und gegen jede Verletzung des Bekenntnisses zu protestieren mit rücksichtslosem Einsatz. Ich bezeuge, das! solche Verletzung mit der Anwendung des Arierparagraphen im Raum der Kirche geschaffen ist.“

Als am 13. November 1933 die Deutschen Christen bei einer Propaganda-Aktion im Berliner Sportpalast unter Zustimmung der anwesenden Pfarrer und Kirchenführer die Befreiung von allem „Undeutschen“ in der Evangelischen Kirche, Rückkehr zum heldischen Jesus und die Entfernung aller Menschen jüdischen Blutes aus der Kirche forderten, protestierte der Pfarrernotbund gegen die Glaubensbewegung, die sich als Gefahr für Leben und Lehre der Kirche erwiesen habe.

Da die Glaubensbewegung Deutsche Christen durch ihr unvorsichtiges Auftreten die Öffentlichkeit beunruhigt hatte, kehrte Hitler sich äußerlich von ihr ab und beauftragte im Januar 1934 Alfred Rosenberg mit der gesamten weltanschaulichen Schulung der NSDAP und ihrer zahlreichen angegliederten Verbände. Das war der Auftakt für eine umfassende ideologische Propaganda und die systematische Verdrängung christlichen Geistes in den folgenden Jahren unter dem Schlagwort der „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“.

Daneben wurde der Kampf innerhalb der Evangelischen Kirche weitergeführt. Trotz gegenteiliger Versicherungen gegenüber den Landes-bischöfen befahl Hitler dem Reichsbischof und „Schirmherrn der Deutschen Christen“, Ludwig Müller, ausdrücklich, sein Amt weiterzuführen, und die Kirchenleitungen blieben weiterhin in starkem Maße von Deutschen Christen besetzt.

Indessen hatten sich um die Pfarrer des Notbundes Gemeinden geschart, mit ihnen zusammen freie Synoden und Kirchentage beschickt und erste Protesterklärungen abgefaßt. Gemeinsam mit den Kirchen-leitungen von Bayern und Württemberg nahmen sie auf der Bekenntnis-synode von Barmen im März 1934 das Wort des damals in Bonn wirkenden Theologen Karl Barth vom offenen Notstand der Kirche auf, und bestritten in den 6 Sätzen ihrer „Theologischen Erklärung“ jegliches Recht der Lehre und Bewegung der Deutschen Christen auf Leitung und Gestaltung der Evangelischen Kirche. Damit schufen sie die Voraussetzungen für den Zusammenschluß bekenntnistreuer Gemeinden zur Bekennenden Kirche: „Ungehorsam gegen ein Kirchenregiwent, das wider Gottes Wort regiert, ist Gehorsam gegen Gott. — Die Kirche ist dieselbe in Botschaft und Gestalt in den verschiedenen Zeiten, Rassen, Völkern, Staaten und Kulturen."

Gemeinden und Körperschaften der Bekennenden Kirche — Bruder-räte und Synoden — erkannten das staatlich geförderte Kirchenregiment nicht an, widersetzten sich seinen geistlichen Führungsansprüchen, riefen auf der Synode von Berlin-Dahlem im Oktober 1934 das kirchliche Notrecht aus und bildeten in der „Vorläufigen Leitung“ der Bekennenden Kirche ein rechtmäßiges Kirchenregiment unter dem Vorsitz des Landesbischofs Marahrens und seit 1936 unter dem Vorsitz von Pfarrer Fritz Müller, Dahlem.

In verschiedenen Prozessen und Gutachten wurde dem Reichsbischof Ludwig Müller, den Hitler gegen den rechtmäßig gewählten Pastor Friedrich von Bodelschwingh durchgesetzt hatte, die fehlende Rechtsgrundlage für seine Amtstätigkeit nachgewiesen. Da er aber von der Partei gestützt wurde, hatte die Vorläufige Leitung trotzdem einen schweren Stand. Es war ihr kaum möglich, Publikationen in die Öffentlichkeit zu bringen, nachdem die Pressegesetze vom 7. Juli 1934 die gesamte evangelische Presse der von Deutschen Christen besetzten Reichskirchenleitung unterstellt hatten. Die Pfarrer der Bekennenden Kirche waren — besonders seit der gemeinsamen Kanzelerklärung vom 7. Januar 1934 gegen den Reichsbischof und das deutsch-christliche Kirchenregiment — von zahlreichen disziplinarischen Maßnahmen in der Form von Suspensionen, Beurlaubungen, Versetzungen in den Ruhestand, Geldstrafen und Gehaltssperren bedroht. Die Geheime Staatspolizei unterstützte die offizielle Kirchenbehörde; sie verwies Pfarrer aus ihrer Gemeinde, hielt Haussuchungen, verhängte „Schutzhaft", erteilte Redeverbot, verbannte führende Männer der Bekennenden Kirche an bestimmte Orte, wies sie aus ihren Gemeinden oder ganzen Kirchen-gebieten aus oder leitete Gerichtsverfahren ein, die nicht selten zu Gefängnisstrafen führten.

Weitere Schwierigkeiten erwuchsen der Bekennenden Kirche durch die planmäßige Besetzung theologischer Lehrstühle und kirchlicher Prüfungsämter mit Deutschen Christen. Die jungen Theologen sprachen ihnen das Recht ab, über die Amtseignung zu entscheiden und stellten sich den besonderen Prüfungskommissionen der Bekennenden Kirche, die daraufhin im Oktober 1935 zwei eigene Hochschulen in Berlin und Wuppertal einrichtete, und durch ihre Synoden dem Weg ihrer Studenten eine feste theologische Begründung gab.

Die offiziellen Kirchenbehörden verweigerten den Kandidaten der Bekennenden Kirche jedoch Anstellung und Gehalt, so daß die jungen Pastoren — in der Landeskirche der Altpreußischen Union waren es schließlich fast tausend — nur inoffiziell in bekenntnistreuen Gemeinden beschäftigt werden konnten. Aber auch das Verbot jeder Lehr-und Prüfungstätigkeit durch Himmler im Jahre 1937 konnten die Bekennende Kirche und ihre Dozenten und Studenten nicht von dem als recht erkannten Weg abbringen.

Den konsequentesten Widerstand gegen die staatlichen Übergriffe leisteten durch alle Jahre die Bekenntnispfarrer und Bekennenden Gemeinden in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Angesichts der sogenannten „Entkonfessionalisierung", in Wahrheit Entchristlichung des öffentlichen Lebens, vertraten sie das Recht der evangelischen Christenheit auf Geltung und Übung ihres Glaubens, besonders in der großen Erklärung gegen das Neuheidentum vom März 193 5. Mit den bekenntnistreuen Leitern anderer Landeskirchen wandten sie sich gegen die Rassenvergötzung und traten für ihre „nichtarischen" Gemeindemitglieder ein; denn vom „Evangelium her ist der Ausschluß der getauften Nichtarier nicht zu rechtfertigen“.

Im Sommer 1936 überreichte die zweite Vorläufige Leitung eine an Hitler gerichtete Denkschrift, in der sie nicht nur gegen die Eingriffe in die Kirche und die neuheidnische Propaganda protestierte, sondern ebenso gegen die nationalsozialistische Rechtszerstörung, den Mißbrauch des Eides, die Konzentrationsläger und die Judenverfolgung. Und als 1940 die Tötung Geisteskranker begann, wandte sich der württembergische Landesbischof D. Theophil Wurm an den Reichsminister Frick in einem Protestschreiben, der, wie spätere Briefe Wurms über Greueltaten gegen feindliche Kriegsgefangene und fremde Zivilbevölkerung, unter der Hand weitergegeben wurde.

Nach dem Tode Hindenburgs führte Hitler einen neuen starken Angriff gegen die Kirchen, die sich bisher allen Gleichschaltungsversuchen hartnäckig widersetzt hatten. Unter dem Vorwand, nach lutherischer Lehre sei die Regelung des äußeren Lebens der Kirche Sache des Staates, brachte der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerri, am 26. Juni 1935 durch die Einrichtung einer „Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche“, durch sogenannte Finanz-abteilungen und sonstige Maßnahmen, die gesamte Verwaltung der Kirche unter die Kontrolle der Partei.

Die Einsetzung besonderer Kirchenausschüsse, die eine Befriedung der Kirche durchsetzen sollten, hatten trotz der Bemühungen der lutherischen Kirchenführer nur weitere Spannungen zur Folge. Hierbei wirkten sich nicht allein gegensätzliche Auffassungen lutherischer und reformierter Richtung, sondern vor allem die unterschiedliche Lage der Landeskirchen aus. Die sogenannten intakten Kirchen, die sich ein Kirchenregiment ohne Vertreter der Deutschen Christen bewahrt hatten, waren bereit, den Reichskirchenausschuß anzuerkennen. Dagegen lehnten die sogenannten zerstörten Kirchen, in denen das rechte Kirchen-regiment nur noch in der inoffiziellen Form der Bekenntnis-Bruderräte aufrechterhalten wurde, den Reichskirchenausschuß wie auch die Landes-und Provinzialkirchenausschüsse als ein vom Staat erzwungenes Kirchen-regiment ab.

Nachdem verschiedene Vermittlungsversuche in dieser Frage an dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes gescheitert waren brachte das Jahr 1937 einen Höhepunkt im Kampf gegen die Evangelische Kirche. Am 1. Juli wurde Martin Niemöller verhaftet und 1938 wurde ihm der Prozeß gemacht. Als das Gericht ihn zu Festungshaft, einer Art Ehrenstrafe, verurteilte, wurde er als „persönlicher Gefangener des Führers" ins KZ gebracht. Gleichzeitig versuchte der Kirchen-minister das gesamte Kollekten-und Sammlungswesen der Bekenntnis-kirche zum Erliegen zu bringen, und Hunderte von Bekenntnispfarrern kamen wegen ihres Widerstandes gegen den „Kollekten-Erlaß“ ins Gefängnis. Im Hinblick auf seine Kriegspläne für 1938 gab Hitler Anweisung zur Entspannung der kirchenpolitischen Lage. Unauffällig wurden jedoch Maßnahmen zur endgültigen Vernichtung der christlichen Kirchen vorbereitet. Eine Geheime Kommandosache des SS-Sicherheitsdienstes vom 15. Februar 1938 enthielt Anordnungen für die „nächste Zielsetzung in der Bekämpfung der konfessionellen Gegner", die eine genaue Überwachung der seelsorgerischen Tätigkeit, die Beobachtung führender kirchlicher Persönlichkeiten durch Spitzel und eine langsame Entziehung des kirchlichen Vermögens vorsahen. Am 11. Januar 1939 reichten die bekenntnistreuen Kirchenführer, an ihrer Spitze die Bischöfe Wurm und Marahrens, eine Denkschrift beim Reichskirchenministerium ein, in der sie noch einmal Vorschläge für eine Neuordnung der Evangelischen Kirche unterbreiteten. Ausdrücklich wiesen sie dabei auf die im Wesen der Kirche gelegene Grenze der Zusammenarbeit mit den politischen Behörden hin: „Eins müssen wir mit aller Deutlidikeit feststellen: Es ist nie die Lehre der deutschen Reformation — weder Luthers nodt der lutherischen Bekenntnisse — gewesen, das? die Verwaltung der äufleren Angelegenheiten der Kirche Sache des Staates sei, und wenn in unserer Zeit das Gegenteil behauptet worden ist, so war das eine falsche Behauptung . . . Es ist auch nie die Lehre der lutherischen Kirche gewesen — von der reformierten Lehre gilt das erst recht — das? man die äuflere Kirchenleitung von der geistigen Leitung trennen könne.“

Während der Kriegsjahre nahm die antichristliche Propaganda noch zu, angefacht durch die nationalsozialistischen Parolen, daß der Sieg gewiß und dann der Zeitpunkt für die Liquidation der Kirche gekommen sei. Dazu erdrückten Kriegsmaßnahmen immer mehr die äußere Organisation der Bekennenden Kirche, deren Geistliche als angeblich „Arbeitslose“ planmäßig eingezogen wurden, so daß auch die Gemeinden ihre Seelsorger verloren.

Doch die Treue zur Offenbarung in Jesus Christus, dem einzigen Fundament der Kirche, erhielt sich als wirkende Kraft gegen die nationalsozialistische Staats-und Rassenvergötzung und ihre furchtbaren Auswirkungen — wenngleich, wie auch führende Männer der Bekennenden Kirche betonten, eine staatsfeindliche Evangelische Kirche in Deutschland nach Tradition und Lehre ein Widerspruch in sich selbst war.

Der Widerstand war vor allem erwachsen unter den Pfarrern, die sich auf ihre Bindung an die Heilige Schrift und das Bekenntnis beriefen. Aber er wurde auch mitgetragen von lebendigen Gemeinden oder Gemeindeteilen, deren Glieder oft schwere Bedrückungen zu bestehen hatten. Zweifellos blieb bei der politischen Zwangslage die Wirkung dieses Kampfes in der Öffentlichkeit gering, ja selbst im Raum der Kirche beschränkt im Verhältnis zu den viele Jahre hindurch getragenen Leiden und Opfern der Einzelnen. Das unnachgiebige Einstehen für die Wahrheit des Evangeliums vereitelte jedoch nicht allein die Gleichschaltung der evangelischen Kirche, sondern entwickelte neues Denken und führte sogar Männer der Bekennenden Kirche wie Justus Perels und Pastor Dietrich Bonhoeffer zur bewußten politischen Widerstandstätigkeit und zur Teilnahme an den Vorbereitungen zum 20. Juli 1944 als „an der geschichtlichen Gestaltung — von Fall zu Fall und in jedem Augenblick, als Sieger oder als Unterlegene — Mitverantwortliche“. * Zögernder ging Hitler zunächst gegen die katholische Kirche vor. Ihn beeindruckte bei seiner primitiven Auffassung, in allem bloße Machtmittel zur Massenbeeinflussung zu sehen, die feste Organisation der katholischen Kirche, und er fand bereits in seinem Buch „Mein Kampf rühmende Worte über ihre kluge Menschenführung und ihr „starres Festhalten an den einmal niedergelegten Dogmen“. Unverkennbar war dabei sein Mißtrauen vor der festen Verwurzelung der katholischen Lehre in breiten Schichten des Volkes.

Intuitiv hatte Hitler hier einen gefährlichen Gegner erkannt, dem gegenüber Vorsicht und ein vorläufiges Friedensangebot ratsam erschien. So drängte er, auch wegen des Ansehens seiner Herrschaft im In-und Ausland, auf den Abschluß eines Konkordates, das schon im Sommer 193 3 unterzeichnet wurde. Die katholische Kirche nahm dieses Angebot als Rechtsgrundlage gegenüber den Ansprüchen einer totalitären Herrschaft an — bemüht, ihren Gläubigen, wie 1937 Papst Pius XI. ausführte, „im Rahmen des Menschenmöglidten die Spannungen und Leiden zu ersparen, die andernfalls unter den damaligen Verhältnissen mit Gewißheit zu erwarten gewesen wären“.

Schon im Frühjahr 19 33 verbanden die deutschen Bischöfe ihren Beschluß, die Mitgliedschaft von Katholiken in der NSDAP zu dulden, mit der eindeutigen Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie. Sie wandten sich gegen den Antisemitismus und forderten von der neuen Regierung Schutz für die Freiheit und Ehre des einzelnen und Verzicht auf Rachepolitik. Vor allem Erzbischof Michael Faulhaber von München, der schon in den voraufgegangenen Jahren eindeutig und unermüdlich vor der nationalsozialistischen Ideologie gewarnt hatte, wandte sich auch 1933 wieder in seinen Predigten gegen die antijüdische Hetze und wurde daraufhin von den Anhängern der Partei offen bedroht.

Die Vereinbarungen des Konkordats wurden von den Nationalsozialisten von Anfang an verletzt, so daß der Vatikan in einer Note an die Regierung des Dritten Reiches am 14. Mai 1934 feststellen mußte, „daß der katholische Klerus im heutigen Deutschland auch nicht entfernt das Mindestmaß derjenigen Freiheit in der Ausübung seines seelsorgerischen Amtes genießt, ohne die er der Pflicht der geistlichen Leitung der ihm anvertrauten Seelen nicht genügen kann.“

Der erste und schwerste Ansturm richtete sich gegen die katholischen Organisationen, die — ungeachtet des konkordatsmäßig zugestandenen Schutzes — gleichgeschaltet oder aufgelöst wurden. Eine Note des Heiligen Stuhles vom 15. April 1934 protestierte gegen den konzentrierten Angriff auf die katholischen Verbände, der „an Schärfe, an Bedenkenlosigkeit, an geringer Achtung der Gesetze der Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Liebe seinesgleichen“ suche, der durch eine einseitige Propaganda, „den verzerrenden Hohlspiegel einer Meinungsmache“ noch gesteigert würde und gekennzeichnet sei durch „das mitleidlose Ausspielen der Faust gegen das Recht".

Im weiteren wurden die katholischen Orden besonders hart von der Gestapoverfolgung getroffen, weil sie dem Regime als der „militante Arm der Kirche“ galten. Schon im Oktober 1934 wies eine Geheim-verfügung des NSDAP-Schatzamtes alle Gauämter an, Grundbesitz und Barvermögen der verschiedenen Ordensniederlassungen genau zu erkunden und Vorschläge für ihre spätere Verwendbarkeit zu machen. Außerdem sollte das kulturpolitische Amt der Partei die Tätigkeit der Orden überwachen, um Vorwände für Maßnahmen gegen die Klöster liefern zu können.

Durch willkürliche Besteuerung, durch entschädigungslose Enteignung unter unhaltbaren Vorwänden, durch einschneidende Beschränkungen der Arbeitsmöglichkeit für Ordensangehörige vor allem in erzieherischen und Krankenpflegeberufen, suchten die Nationalsozialisten den Klöstern ihre wirtschaftliche Grundlage zu nehmen und ihre Angehörigen zum Austritt aus dem Orden zu zwingen. Eine Geheimanweisung des SS-Sicherheitsdienstes vom 15. Februar 1938 enthielt die Forderung, die Orden müßten „von ihren Einflußgebieten zurückgedrängt, eingeengt und schließlich vernichtet werden . . . Für umfassendere Maßnahmen auf dem Gebiete des Ordenswesens muß der Boden erst propagandistisch noch mehr vorbereitet werden".

Ein Beitrag dazu waren die berüchtigten und unter skrupellosen Verleumdungen geführten Devisen-und Sittlichkeitsprozesse gegen Geistliche und Ordensangehörige nach der Parole: „Wir schaffen keine Märtyrer, sondern Verbrecher." Unter lügenhaften Behauptungen wurden Abwegigkeiten und Einzelfälle zum Riesenausmaß aufgebauscht, die die Presse in umfangreichen Berichten auf der ersten Seite veröffentlichen mußte. Vergeblich leiteten die Bischöfe ihre Beschwerden an die zuständigen Stellen. Die bayerischen Bischöfe gaben in einem Hirtenbrief an ihre Gläubigen vom 9. Mai 1937 ihrer Empörung über die schamlose Diffamierung von Geistlichen Ausdruck. Darin hieß es: „Das katholische Volk, das in all seinen Schichten den Priesternadiwuchs stellt und tagtäglidt seine Priester beobachtet, weiß, was es an diesen seinen Priestern im Leben und Sterben hat. Das katholische Volk erfährt es tagtäglich, wieviel Opfergeist, Religiosität und Seeleneifer in Welt-und Ordensklerus zu finden sind.“

Gegenüber dem offenen und versteckten Vorgehen gegen die Priester-seminare und theologischen Fakultäten — sie wurden als „Schulungsstätten des weltanschaulichen Gegners“ z. T. zwangsweise geschlossen — gegenüber der zunehmenden Einschränkung jeder religiösen Erziehung und gegenüber dem umfassenden Angriff auf ein allgemein gültiges Naturrecht, dem die nationalsozialistische These vom Volk als einzigem Lebenszweck entgegengestellt wurde, bewiesen die katholischen Bischöfe in Predigten, Hirtenbriefen und Beschwerden an die zuständigen Stellen, „ihren Mut zur Wahrheit im Kampf um die Gewissensfreiheit, um die Würde des Menschen und um die Freiheit in der Ausübung der von Gott und der Natur dem Menschen gegebenen Rechte“.

Als Sprecher der alljährlich auf der Fuldaer Bischofskonferenz versammelten deutschen Bischöfe richtete Kardinal Bertram von Breslau wiederholt Eingaben und Beschwerden an die Führung des Dritten Reiches, die zu laut vernehmbaren Anklagen wurden. Die Bischöfe traten dabei für die Rechte der Kirche ein; sie erhoben ihre mahnenden Stimmen für die verfolgten Juden und sie forderten Rechenschaft über den Mord an Geisteskranken. Hierbei wußten sie sich gestützt von der Überzeugungskraft einer breiten Priesterschaft, die im gleichen Sinn auf die Gemeinden einzuwirken versuchte, ein Beispiel dafür die Unbeirrbarkeit des Domprobstes an der St. -Hedwig-Kathedrale Berlin, Bernhard Lichtenberg.

Die zunehmende Schwere der KirchenVerfolgung veranlaßte Papst Pius XI. in einer Enzyklika, die am 14. März 1937 von den Kanzeln verlesen wurde, die Doktrinen und Praktiken des Nationalsozialismus anzuprangern: „Nur oberfläMiche Geister können der Irrlehre verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Religion zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt . . . in die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäflige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen." Die Papstworte brandmarkten die Unwahrhaftigkeit eines Regimes, durch das nämlich „von der anderen Seite die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schliesslich die wehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht wurden. — Mit verhüllten und sichtbaren Zwangsmassnahmen, Einschüchterungen, Inaussichtstellung wirtschaftlicher, beruflicher, bürgerlicher und sonstiger Nachteile wird die Glaubenstreue der Katholiken . . . unter einen Drudt gesetzt, der ebenso rechtswidrig wie mensdilidt unwürdig ist“.

Die Verlesung der Enzyklika trug der Gestapo schwere Vorwürfe Hitlers wegen mangelnder Überwachung ein, und leitende Parteistellen bezeichneten die kirchenpolitische Lage als aufs äußerste gespannt. Durch einen besonderen Erlaß wurden alle Druckereien beschlagnahmt, die das Papstrundschreiben vervielfältigt hatten.

Bischofspredigten und Hirtenbriefe konnten in dieser Periode kaum noch veröffentlicht werden, zumal schon nach der Gleichschaltung der katholischen Presse 193 3 und ihrer schrittweise vorgetriebenen Vernichtung auch das rein kirchliche Schrifttum mehr und mehr eingeschränkt war. Druck und Verteilung führten immer häufiger zu polizeilichen Maßnahmen gegen die Druckereien selbst, so daß sich die Angestellten weigerten, noch Hirtenbriefe zu setzen. Durch die Unterbindung von Publikationen versuchte die Gestapo nicht nur öffentliche Proteste gegen nationalsozialistische Methoden zu verhindern, sondern auch die Nachrichtenübermittlung zwischen den einzelnen Bistümern zu erschweren und das kirchliche Leben lahmzulegen.

Bald nach Kriegsbeginn wurde die Kirchenverfolgung unter dem Vorwand kriegsnotwendiger Einschränkungen noch verschärft. Am 6. Juni 1941 verfügte ein Geheimerlaß der Reichskanzlei an alle Gauleiter: „Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluß auf die Volksführung eingeräumt werden. Dieser muß endgültig und restlos gebrodten werden. Erst wenn dieses geschehen ist, hat die Staatsführung den vollen Einfluß auf die einzelnen Volksgenossen.“ Und am 11. August 1942 wurde aus der Tischunterhaltung im Führerhauptquartier die Äußerung Hitlers notiert: „Solange wir die Pfaffen dulden, geschieht uns das ganz recht. Aber diesen Kampf der deutsdten Gesdrichte werde ich endgültig einmal für immer zum Austrag bringen . . . idt werde die Pfaffen die Staatsgewalt spüren lassen, daß sie nur so staunen. Idt sdraue ihnen jetzt nur zu. Würde idt glauben, daß sie gefährlidt werden, würde idt sie zusantwenschießen.“

Doch mit zunehmender Spannung hatte sich vielerorts das katholische Volk fester um seine Kirche und Priester geschart. Predigten und Firmungsreisen der Bischöfe gaben Anlaß zu Treuekundgebungen der Gläubigen und wurden in den Karteien der Gestapo als „Volksaufwiegelungen“ geführt. Dieser Zusammenhalt hinderte sogar Hitler und Goebbels dem Ratschlag Bormanns zu folgen und den Bischof Galen von Münster zu erhängen, weil man fürchtete, sonst die „Bevölkerung ganz Westfalens" abschreiben zu müssen.

Um so bedrängender wirkte sich der Terror im kleinen Bezirk der Pfarrei aus, wo sich die Geistlichen mühten, trotz des hohen persönlichen Risikos ihre seelsorgerischen Pflichten zu erfüllen, um nach der Mahnung des Hl. Vaters den ihnen anvertrauten Menschen „die rechten Wege zu weisen in Lehre und Beispiel, in täglicher Hingabe, in apostolischer Geduld“. In der Verdächtigung jeder seelsorgerischen Betreuung und im Angriff auf die Sakramentenspendung — vor allem auf Taufe, Beichte und Ehe — wurden die nationalsozialistischen Praktiken besonders deutlich. So richtete beispielsweise der „Stürmer“ zynische Angriffe gegen den Pfarrer der St. -Matthias-Kirche in Berlin wegen der Taufe jüdischer Konvertiten. Wie in vielen ähnlich gearteten Fällen erklärte jedoch der Pfarrer danach seiner Gemeinde im Gottesdienst: „Euer Pfarrer ist nicht willens, sidt seine tägliche Tätigkeit vom . Stürmer“ diktieren zu lassen, sondern von seinem eigenen Gewissen. Und dem Gewissen folgend, wird er nicht zögern, Ungläubige jeder Rasse in die Kirche aufzunehmen, die Christus für alle Menschen gegründet hat.

Die Erfüllung ihrer Hirtenaufgabe, auch gegenüber den Lauen und Abtrünnigen, trug unzähligen katholischen Geistlichen Konzentrationslagerhaft ein. Einen Eindruck von der hohen Zahl dieser Verfolgungen vermittelt die Angabe über das Konzentrationslager Dachau, in dem sich am 15. März 1945 noch insgesamt 1493 Priester befanden, unter ihnen 261 Deutsche, 64 Österreicher, 791 Polen, 122 Franzosen, 38 Holländer, 34 Belgier und 29 Italiener.

Wenn auch die Auffassung, daß die Auseinandersetzung um eine bestimmte Staatsform nicht zum Auftrag der Kirche gehöre, die katholische Kirche gegenüber den ersten politischen Ausschreitungen Hitlers in seiner neuen Machtposition Zurückhaltung üben ließ, so wuchs doch ihr Widerstand aus ihrer elementaren Forderung, daß jede staatliche Rechtssatzung unter dem Gottesgebot steht und damit an sittliche Normen gebunden bleibt.

Das Bewußtsein, daß die tyrannische Herrschaft Hitlers die Grundlagen allen rechtlichen Zusammenlebens bewußt zerstörte, wurde Männern der katholischen Kirche wie Prälat Dr. Otto Müller, Pater Constantin Rösch oder Pater Alfred Delp zur Grundlage ihres Handelns im politischen Raum. Für sie sprechen die Worte des damaligen Berliner Bischofs Konrad von Preysing im Sommer 1937:

„Es geht um die Frage, ob es eine über aller irdischen Macht stehende Autorität, die Autorität Gottes, gibt, dessen Gebote und Gesetze unabhängig von Zeit und Raum, von Land und Rasse Geltung beanspruchen.

Ob der einzelne Mensch persönlidre Rechte besitzt, die ihm keine Gemeinschaft und kein Staat nehmen darf, ohne den Willen Gottes zu verletzen und das Wohl des Menschen zu gefährden. Ob der Mensch im letzten Grunde frei ist und frei sein darf, oder ob die freie Gewissensentscheidung des Menschen vom Staate verhindert, vom Staate verboten werden kann.“

Aus den gleichen Impulsen drängten Geistliche beider Konfessionen zu einem entschiedenen Vorgehen gegen das Hitlerreich. Diese Impulse machten den evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und den Zentrumspolitiker Josef Wirmer zu engen Verbündeten; sie führten Stauffenberg zu dem Bischof von Preysing, aber auch Goerdeler zu Preysing und Kardinal Faulhaber; sie waren, wie es in einem Geheimbericht des Reichssicherheitshauptamtes zu den Prozessen vom 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof hieß, bestimmend für eine große Zahl von Persönlichkeiten innerhalb des gesamten politischen Widerstandes. Dabei unterstrich der Bericht die große Rolle konfessioneller Bindungen und kirchlicher Beziehungen bei der Ablehnung des Nationalsozialismus.

Ein Jahrhundert zuvor hatte Söerren Kierkegaard geschrieben:

„Das Christentum bedarf vor allem dessen, daß das Martyrium wieder in seine Wirklichkeit eingesetzt wird. Das Christentum ist das, was das Dasein vom tiefsten Grund her bewegen will. Für eine solche Bewegung aber wird, wie Archimedes so richtig sagt, ein außenliegender Punkt gefordert. Der außenliegende Punkt ist einzig und allein das Martyrium.“

Beiden Kirchen fehlte es während des Dritten Reiches nicht an Märtyrern.

Paul Schneider

wurde am 29. August 1897 in Pferdsfeld bei Kreuznach geboren. Er wuchs dort in der strengen Vorstellungswelt seines Vaters, eines reformierten Pfarrers, auf; die liebevoll sorgende, doch schwerleidende Mutter verlor er ein Jahr bevor er 1915 sein Notabitur ablegte. Obwohl er zum Medizinstudium entschlossen war, meldete er sich als Kriegs-freiwilliger und wurde Leutnant der Artillerie.

Nach seiner Heimkehr 1918 nahm er das Studium der Theologie auf, arbeitete dazwischen als dritter Mann am Hochofen und später in der Berliner Stadtmission. 1926 wurde er Pfarrer in Hochelheim bei Wetzlar. Von Anbeginn trat er kompromißlos dem Nationalsozialismus entgegen. Bis zu seinem Tode am 18. Juli 1939 im KZ Buchenwald war sein Leben unerschrockenes Bekennertum.

Am 8. Oktober 1933 hatte der unbekannte Pfarrer Paul Schneider aus dem kleinen Ort Hochelheim von der Kanzel herab gegen einen Aufruf des damaligen Stabschefs der SA, Ernst Röhm, den Hitler am 30. Juni 1934 ermorden ließ, protestiert: Röhm irre, wenn er meine, nur mit revolutionären Kräften das Dritte Reich bauen zu können ohne eine innere Erneuerung des Volkes. Paul Schneider wurde von Partei-stellen angezeigt und das Konsistorium, das schwerere Folgen vermeiden wollte, beurlaubte ihn.

Der neu eingesetzte Bischof für das Rheinland, ein führender Deutscher Christ, belehrte Schneider, daß er in einer so wichtigen Frage nicht nach eigenem Ermessen handeln dürfe. Seine Bedenken gegen die Haltung dieser Kirchenleitung brachte Schneider im Jahre 1934 in einem Brief an seine Angehörigen zum Ausdruck:

„Ich glaube nidu, daß unsere Evangelische Kirche um eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Staat herumkommen wird, daß es nicht einmal geraten ist, sie noch länger aufzuschieben, bei allem schuldigen christlidien Gehorsam.“

Schneiders Kritik an einem Goebbels’schen Aufsatz, seine Treue zum wahren Bekenntnis und seine entschiedene Stellungnahme gegen die Deutschen Christen, führten im Februar des Jahres 1934, nachdem er längst von der NSDAP-Kreisleitung als „politisch unzuverlässig“ beobachtet wurde, zu seiner Versetzung.

Die neue Gemeinde in Dickenschied im Hunsrück zählte 500 Seelen. Schon am 11. Juni 1934 kam es auch hier zu einem Zusammenstoß, als der Kreisleiter ein verstorbenes HJ-Mitglied in den „himmlischen Sturm Horst Wessel“ eingehen ließ. Pfarrer Schneider wies diese Herausforderung zurück und wurde angeblich „zum Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit wegen der Erregung der Bevölkerung“ verhaftet. Die tatsächliche Reaktion der Bevölkerung schilderte Paul Schneider zwei Tage später in einem Brief:

„Während meiner Haft unterschrieben von 48 Haushaltungen meines Filials 43 eine Eingabe, in Dickenschied das Presbyterium für die ganze Gemeinde. Die SA-Leute drohten mit Austritt, wenn der Pfarrer nicht wiederkomme und riskierten Verhaftungen, führten Glaubensgespräche mit dem Kreisleiter und antworteten auf die Frage, was ihnen lieber sei, der Glaube oder der Nationalsozialismus, , der Glaube', um sich dann sagen lassen zu müssen, daß sie so keine redeten Nationalsozialisten seien.“

In dieser Phase wurde Schneider durch die jüngeren Pfarrer der Umgebung, die durch die Glaubensbedrängnis immer enger zusammengewachsen waren, unterstützt. Die Pfarrschaft des Hunsrücks erklärte sich solidarisch mit ihm, so daß er nach wenigen Tagen wieder entlassen wurde. Einer dieser Amtsbrüder faßte sein Wesen in die Worte: „Paul Schneider hat ein selten feines und waches Gewissen, sein unbestechlicher Wahrhaftigkeitssinn ließ auch nicht die kleinste Krummheit und Schiefheit des Weges zu.“

Es ergaben sich weitere Auseinandersetzungen aus Schneiders Sorge um die Erziehung der Jugend, um eine rechte Kirchenzucht oder auch aus seiner Ablehnung, an einer militärischen Übung zur Wiederaufnahme in den Stand des Reserveoffiziers teilzunehmen. Eine Woche nach der Wahl von 1936, zu der die Kirchen zwangsweise beflaggt und die Glocken geläutet wurden, war die Front des Schneiderschen Pfarrhauses mit großen roten Buchstaben bemalt: „Er hat nicht gewählt, Vaterland, Volk, was sagst Du dazu?“ Die Gemeindemitglieder rückten mit Schrubbern und Eimern an, wuschen die Farbe ab und Schneider dankte später im öffentlichen Gottesdienst für diese Hilfe.

Im Winter 1935/36 liefen allein 12 Anzeigen gegen ihn. Nach mehreren Verhaftungen wurde Paul Schneider 1937 aus dem Rheinland ausgewiesen, eine Maßnahme, die zu jener Zeit Hunderte von deutschen Pfarrern traf. Der Ausweisungsbefehl erreichte Schneider während eines Krankenaufenthaltes im Schwarzwald — nach einem schweren Verkehrsunfall, der eine Verkürzung seines Beines um drei Zentimeter zur Folge hatte. Obwohl diese Ausweisungen, als eine Hauptwaffe der Staats-führung gegen die Bekennende Kirche, das geistliche Band zwischen dem Hirten und seiner Herde zerstören sollten und zu einer schweren Gewissensbelastung für die betroffenen Pfarrer und Gemeinden wurden, konnte sich die Bekenntnis-Synode im Rheinland nicht zu einer einhelligen Weisung durchringen. Sie verwies auch Paul Schneider letztlich auf sein eigenes in Christus gebundenes Gewissen. Er, den seine Zwangs-versetzung aus seiner ersten Gemeinde (1934) noch lange innerlich quä-lend beschäftigt hatte, kehrte am 3. Oktober 1937 der Ausweisung zum Trotz nach Dickenschied zurück, zumal er diesmal Presbyterium und Gemeinde einmütig hinter sich wußte. Verpflichtend war ihm das Wort Johannis von dem Hirten, der seine Herde vor dem drohenden Wolf nicht im Stich läßt, sondern bereit ist, auch sein Leben für sie hinzugeben. Am selben Tage holte ihn die Gestapo auf dem Weg zu einem Abend-gottesdienst ab; seiner Frau rief er noch zu: „Sag’ es der Gemeinde, ich bin und bleibe der Pfarrer.“ Seine Nachricht, die vier Wochen später auf inoffiziellem Wege aus dem Gefängnis kam, lautete: „Mir scheint es so, daß nicht bei der Kirche und ihrer Leitung, sondern bei den einzelnen Gemeinden die Entscheidung für die kommende Kirche in Deutschland fällt. Darum verrechnen sich auch alle klugen Kirchen-politiker, die nicht an ihrem Platz in der Gemeinde kämpfen und einstehen.“

Aus dem Polizeigefängnis Koblenz kam Schneider am 1. Advent in das Konzentrationslager Buchenwald. Dort wurde im April 1938 beim Appell bemerkt, daß er vor der Hakenkreuzfahne niemals die Mütze abnahm. Damit begann seine eigentliche Leidenszeit im Arrestbunker. Es verschlug nicht nur den Mithäftlingen, sondern sogar der SS den Atem, wenn beim Morgen-und Abendappell aus der vergitterten Zellen-luke über den weiten Platz hinweg die Stimme Paul Schneiders durch die Stille des Abzählens drang. Er predigte und wurde den Bedrückten und Mißhandelten zum Seelsorger. Er betete laut, um durch die Zellen-wände hindurch die Gefolterten zu trösten. Manchen Gefangenen rettete er vor Verzweiflung und Selbstmord, und zeigte ihm einen Ausweg aus der scheinbaren Ausweglosigkeit des Gefangenenschicksals. Er wurde von den Mithäftlingen, auch den Kommunisten und Atheisten, geliebt und verehrt. Der österreichische katholische Geistliche Leonhard Steinwänder berichtete in seinem Buch „Christus im KZ“: „Eine heroische Gestalt, zu der das ganze Lager mit ehrfürchtiger Bewunderung aufscltaute, war der evangelische Pfarrer Paul Schneider aus dem Huns rück.“ Keine Folterung hielt ihn zurück, immer wieder das Gewissen der SS-Wachmannschaft und des Lagerkommandanten anzurufen: „Ich klage Sie an vor dem Richterstuhl Gottes, ich klage Sie an des Mordes an diesen Häftlingen!“

Paul Schneider wurde sinnlos geschlagen — er predigte. Er wurde mit rückwärts gefesselten Händen am Fensterkreuz aufgehängt — er predigte. Seine Zelle blieb tagaus, tagein abgedunkelt, er bekam nichts zu essen, ein dem Wahnsinn Verfallener wurde zu ihm gesperrt — Paul Schneider betete und predigte. Schließlich sollte der immer unbequemere Gefangene freigelassen werden, doch er verweigerte die Unterschrift unter einen Revers, nicht in seine Gemeinde zu gehen und nicht mehr zu predigen.

Nach vierzehnmonatiger Haft sahen die Gefangenen im Kranken-revier noch einmal sein von Leiden zerfurchtes Gesicht aus der Nähe. Er war zum Skelett abgemagert, mit Wunden bedeckt, und seine Beine waren unförmig angeschwollen. Am 18. Juli 1939 wurde Paul Schneider mit einer Überdosis Strophantin getötet.

Seine Leiche wurde entgegen der Regel ausgeliefert, jedoch im versiegelten Sarg und auf dem Friedhof von Dickenschied unter einem weit ragenden Kreuz begraben. An der Trauerfeier nahmen neben seiner Frau und seinen sechs Kindern 200 Pfarrer der Bekennenden Kirche in Talar und Vertreter aller ihrer Kirchenleitungen teil.

Auf der Suche nach der Wahrheit vor Gott hatte der junge Student der Theologie Paul Schneider geschrieben: „Das Allerschwerste für das Menschenherz ist Demut. Demut hat nur der, der ganz von sich selber loskommt. Wir müssen uns hassen lernen."

Der Ausgereifte fand zu den Worten: „Gebet macht aus Menschen Männer, die sich beugen allein vor Gott und die Gott bekennen vor der Welt. Das Gebet ist die Kraft Gottes für den Lebens-und Glaubens-kampf.“

Ludwig Steil

wurde am 29. Oktober 1900 in Lüttringhausen (Rheinland) als Sohn eines Pfarrers geboren und erlebte unter zehn Geschwistern eine glückliche Kindheit. Er studierte Theologie und wurde wie sein Vater Pfarrer — „der sdtönste Beruf, den ich kenne“. Während des Kirchenkampfes war Steil im westfälischen Raum eine zentrale Gestalt der Bekennenden Kirche. Im Sommer 1944 verhaftet, kam er nach monatelangem Gefängnisaufenthalt in Dortmund und Herne im Dezember nach Dachau, wo er am 17. Januar 1945 an Lungenentzündung und Herzsdtwäche starb. Es waren vorwiegend Bergleute und kleine Geschäftsinhaber, die zu der Gemeinde Ludwig Steils im westfälischen Industriegebiet gehörten. Allmählich nur konnte er deren Vertrauen gewinnen; doch 1933 stand seine Gemeinde hinter ihm. Die Parolen der Deutschen Christen, „Befreiung vom Alten Testament, von der Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus und Rückkehr zum heldischen Christus", fanden dort keinen fruchtbaren Boden. Regelmäßig erläuterte Steil in Gemeinde-versammlungen die Lage der Kirche, die Beschlüsse des Pfarrernotbundes und später der Bekennenden Kirche. Er warnte vor dem sogenannten „positivem Christentum" der Partei.

Pfarrer Steil wußte um seine Aufgabe, schon früh schrieb er darüber: „Gott beruft zum Wächteramt. Jeder, der diesen Ruf bekommt, empfängt damit eine schwere Last. Er hat nicht danach zu fragen, ob sein aufweckender Ruf angenommen wird. Er hat sich nur den Inhalt seiner Botschaft sagen zu lassen — und ihn dann von Stunde zu Stunde in das laute Gewühl der Strafen hineinzurufen. Der, der ihm das Amt auferlegte, schafft auch den Hörer. Das ist aber nicht die einzige Hilfe, die Gott dort einer Kirche gibt, wo er sie auf die Mauern ruft. Er macht sie getrost. Er gibt ihr furchtlose Gedanken. Er befreit sie von der Versuchung des bequemen Schweigens. Er ist bei ihr.“

Ludwig Steil war wie ein unerschütterlicher Fels; zu seiner Gesundheit und Arbeitskraft kam eine Lebensfreude, die ihn — so schilderte seine Frau — manchmal derart packte, daß er mitten im Zimmer stehend, die Arme emporreckte und ausrief: „Ich bin ja so glücklich.“ Sein warmes herzhaftes Lachen gewann ihm die Herzen. Es war ansteckend, und seine Freunde sagten: „Wenn Lutz Steil auf Bahnsteig I lacht, dann lachen die Leute auf Bahnsteig II mit." Aber auch mit den Kranken, den Bekümmerten, den Kindern konnte er sehr zart und behutsam sein. Er sang gern, mit seiner Gemeinde und in der Familie. Gelegentlich dichtete er auch selbst ein Lied, vertonte es. Er liebte Bach, Händel und Beethoven. Im Gefängnis „hörte“ er nachts aus dem Gedächtnis, unverlierbar, seine Lieblingsmelodien, und dieses „wonnige Konzert" machte ihn „glücklich und müde vor Heimweh". Er war ein zufriedener Mensch, voll dankbarer Gottesfreude. Für ihn bildeten „Beruf und Leben, Religion und Theologie eine Einheit".

In seiner Arbeit bewies er nüchtern-praktischen Sinn. „Ludwig Steil hatte die Gabe, wichtige Dinge prägnant und unmissverständlich zu formulieren“, schrieb Wilhelm Niemöller, der Bruder Martins. „Wenn er bei mancher Auseinandersetzung und nicht selten im Plenum einer Bekenntnis-Synode das Wort ergriff, so war sein Beitrag niemals theoretisch. Wenn er diskutierte, so verkündete er. Und er legte großen Wert darauf, daß seiner Verkündigung die Tat folgte. Er wies der ersten westfälischen Bekenntnis-Synode im März 1934 in Dortmund den einzig möglichen Weg, den Weg des Glaubensgehorsams. Er schloß mit den Sätzen: , Wir sagen den Heiden in unserem Volk, daß wir Christen bleiben. Wir sagen den Verzagten unter uns, daß wir auf die Hilfe Gottes hoffen. Wir sagen den Schwärmern in unserer Kirche, daß wir evangelisch bleiben.“ Am gleichen Tag wurde Ludwig Steil in den Bruderrat der westfälischen Bekenntnis-Synode gewählt, dem er bis zu seinem Tode angehörte.“

Innerhalb des Bruderrates galt die Arbeit Steils vor allen Dingen dem theologischen Nachwuchs; er bewältigte sie neben den vielfältigen anderen Aufgaben in der Bekennenden Kirche ohne Schwierigkeiten. Nur ein einziges Mal erlebte ihn seine Frau — im Gegensatz zu seinem sonst unverwüstlich freudigen Wesen — ein paar Tage lang still und in sich gekehrt, beinahe fassungslos. Er erzählte ihr in knappen Worten, daß ihm Berichte aus deutschen Konzentrationslagern den Schlaf nähmen; wiedergeben könne er sie nicht. Nur einige Andeutungen kamen zögernd über seine Lippen. Tiefbekümmert schloß er: „Was für eine Aufgabe haben wir an den jungen SS-Männern, die dort Dienst tun müssen!"

Schon 193 3 hatte uniformierte SA seine Gemeindeversammlungen gestört. Immer häufiger wurde er in den folgenden Jahren zur Polizei zitiert. In einem Zeitungsartikel von damals hieß es über eine seiner Predigten: „Es sprach Pfarrer Steil aus Aolsterhausen, der der Parteileitung reichlich bekannt ist. Solche Leute können nie für den Nationalsozialisten zum Segen werden. Wer die braunen Soldaten des Führers nicht liebt, der kann eine noch so große Rednergabe haben, der kann das Vertrauen der braunen Helden nicht gewinnen, höchstens das Herz der christlichen Spießbürger befriedigen.“ Im Jahre 1938 liefen beim Sondergericht in Dortmund fünf verschiedene Verfahren gegen Pfarrer Steil, wegen Vergehens gegen das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei“. Es hinderte Ludwig Steil nicht, die verbotene Fürbittenliste für die gefangenen und gemaßregelten Geistlichen bis Pfingsten 1944 zu verlesen. Im Sommer desselben Jahres wurde er verhaftet, weil nach Meinung der Gewalthaber das Maß nun voll war.

Als das Dortmunder Gefängnis bei Luftangriffen stark beschädigt wurde, kam Steil mit anderen Gefangenen nach Herne, wo ihn seine Frau häufiger besuchen konnte. Sie erzählte darüber: „Wenn es eben ging, steckte er rasch einem Mitgefangenen etwas von dem zu, was ich mitgebracht hatte, oder er bat mich, einer der inhaftierten Frauen, die soeben ihren Rundgang auf dem Hof machen durften, etwas zu geben. Einmal gab er ein Viertelpfund Butter, das ich mit Mühe erworben hatte, einem Franzosen, der über Magenschmerzen klagte. Dann wieder bat er mich, einem anderen Franzosen einen Rosenkranz zu besorgen und zu veranlassen, daß Pfarrer P. aus einem Krankenhaus das Essen gebracht bekam, da er sehr von Kräften war. Er schrieb manchen Mitgefangenen Bibelverse und Liedersprüche auf Zettel, besonders solchen, die anders-wohin gebracht wurden.“

Am 5. Oktober schrieb Ludwig Steil an seine Frau: „Eben beim Essen erfreute mich die schöne Zeichnung eines Lorbeerblattes in meiner Suppe. Ich ließ es auf dem Rand des Napfes liegen, während ich aß und staunte über die Verästelungen der Rippen und die vollendete Form. So erinnert uns Gott auch in einer Umgebung, in der alles fehlt, , was lieblich ist und wohllautet“ an die Schönheiten seines Reiches. Es hat mir noch an keinem Tag an Grund zum Danken gefehlt.“

Ludwig Steil traf schließlich nach 19tägigem Transport grippekrank in Dachau ein. Dort konnte er noch vor seinen Leidensgefährten am Weihnachtsabend 1944 predigen. Doch dann erfaßte auch ihn der im Lager herrschende Typhus, zu dem im „ungeheizten Revier“ eine Lungen-Entzündung hinzukam. Mitgefangene, die ihn noch einmal sahen, fanden ihn zwar erschöpft, aber nicht ohne seinen gewohnten freundlichen Humor, und voll selbstverständlicher Bereitschaft, in der Nachfolge des Herrn zu leiden. Sie überlieferten als seine letzte Nachricht, daß er sich mit den kranken Russen rundum leider nicht verständigen könne, sich aber im Frieden Gottes geborgen fühle.

Die Kameraden aus dem „Pfarrerblock" trafen sich an seiner Bahre in der Totenkammer des Reviers beim geheimen Gebet und Gesang zum Siege der Auferstehung.

Friedrich Weissler

wurde aut 28. April 1891 geboren. Nach vierjährigem Kriegsdienst von 1914— 1918 schloß er 1919 sein juristisches Studium ab, schlug die richterliche Laufbahn ein und wurde Landgerichtsdirektor in Halle und später in Magdeburg. Nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst 1933 trat er als juristischer Mitarbeiter in die Kanzlei der 'Vorläufigen Leitung der Evangelischen Kirclte ein. Im Oktober 1936 wurde Weissler verhaftet und am 19. September 1937 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. „Jesus Christus der Herr der Welt“ — und nicht nur der Herr der Kirche! Diesem Bekenntnis in seiner umfassenden Bedeutung hatte sich der Christ und Jurist Friedrich Weissler verpflichtet: „Ein anderer Maßstab neben oder gar über dem Bekenntnis ist unzulässig, weil er dem alleinigen Herrschaftsanspruch Gottes widersprechen würde.“ Aber der Herrschaftsanspruch Christi über die Welt, so folgerte Weissler, fordere vom Christen den Dienst auch an dieser Welt und danach von der Kirche, dem totalen Staat entgegenzutreten und ihn unter die Gebote Gottes auf den Weg des Rechtes zurückzurufen. „Ist eine Maßnahme bekenntniswidrig, so hat sie in} Raum der Kirclte keine Rechtswirkung, mag sie ausgehen, von wem sie will. Andernfalls würde sie das Wort Gottes selbst verleugnen, indem sie seine Gültigkeit in das Belieben einer weltlichen Macht stellt!“

Friedrich Weissler wandte sich 1935 in der Zeitschrift „Junge Kirche" mit diesen Überlegungen gegen die neuen Eingriffe des Regimes in das innerkirchliche Leben. Das Gesetz vom Juni 193 5 schuf die Beschlußstelle in „Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche“, die durch autoritäre Entscheidung neues Recht setzen konnte, und das im September gleichen Jahres verkündete „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ ermächtigte den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Kerri, „rechtsetzend“ in kirchliche Konflikte einzugreifen. Gleichzeitig mit diesen politischen Angriffen auf die kirchliche Ordnung wurde der Nationalsozialismus als neue Religion des Volkes propagiert: „Die Partei erhebt den Totalitätsanspruch auf die Seele des deutschen Volkes. Wir glauben nun einmal, daß das deutsche Volk allein durch den Nationalsozialismus ewig selig werden kann“, verkündete Robert Ley in der Arbeitsfront.

In der allgemeinen Verwirrung wurde die unmißverständliche Stellungnahme Weisslers in ihrem lauteren und logischen Ethos richtungsweisend für viele. Seine Gedankengänge waren das Ergebnis eines inneren Entwicklungs-und Reifungsprozesses. Wie Dietrich Bonhoeffer bewegte es Friedrich Weissler, die Fragen des christlichen Glaubens neu zu durchdenken. Er tat es mit klarem, juristisch geschärften Verstand und der bewußten Bindung an die Grundlagen seines christlichen Glaubens. Mit offenem Blick sah er den Leidensweg der Kirche unter dem Nationalsozialismus voraus und er zweifelte nicht, daß er selbst, durch seine jüdische Abstammung besonders gefährdet, gleichfalls den Weg des Leidens würde gehen müssen.

Unter der verantwortlichen Mitarbeit Weisslers wurde von der Vorläufigen Kirchenleitung im Mai 1936 eine Denkschrift verfaßt. Diese wandte sich gegen die nationalsozialistischen Übergriffe auf das kirchliche Gebiet, die planmäßige Zerstörung der kirchlichen Ordnung, die Gefahr der Entchristlichung, die organisierte antisemitische Hetze, die Verherrlichung der arischen Rasse und den Mißbrauch des Eides. Und wörtlich hieß es darin: „Das evangelische Gewissen, das sich für Volk und Regierung mitverantwortlich weiß, wird aufs härteste belastet durch die Tatsache, daß es in Deutschland, das sich selbst als Rechtsstaat bezeichnet, immer nodt Konzentrationslager gibt und daß die Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei jeder richterlichen Nachprüfung entzogen sind.“

Das Dokument sollte Hitler zugeleitet werden, wurde aber schon zuvor unerwartet im Ausland veröffentlicht, so daß sich die Leitung der Bekennenden Kirche am 23. August 1936 zu jener Kanzelabkündigung veranlaßt sah: „Mit größter Gewissenhaftigkeit ist diese Denksdtrift und ihr Inhalt vor der Öffentlichkeit, ja selbst vor den Gliedern der Bekennenden Kirche geheim gehalten worden, um dem Führer des Reiches Gelegenheit zu sadtlicher Prüfung zu geben und gleichzeitig einen Mißbraudr dieser Denksdirift in der Öffentlidikeit zu verhindern. Gegen unseren Willen und ohne Verantwortung der Bekennenden Kirdte wurde die Denksdirift in der ausländischen Presse veröffentlicht und dadurch in Deutschland bekannt. Wir sind nunmehr gezwungen, öffentlich zu diesem Worte zu stehen. Wir müssen jetzt der Gemeinde bezeugen, was uns im Blide auf unser Volk und unsere Kirche bewegt. . .“

Die Wirkung von Denkschrift und Kanzelverkündigung im Ausland wie in der deutschen Öffentlichkeit führte die Gestapo zum Gegen-schlag. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand der offiziell verbotene, aber von Weissler geheim weitergeführte Pressedienst der Bekennenden Kirche.

Aus der Überzeugung, daß die Kirche Christi nur eine sein könne in der ganzen Welt, hatte Friedrich Weissler die Ökumene fortlaufend über die Bedrängnis der Christen in Deutschland informiert. Sein Ver-trauensmann aber hatte die ihm für eine Nacht nur zur Orientierung überlassene Denkschrift irrtümlicherweise in der Abschrift des vollen Wortlautes weitergegeben.

Am 3. Oktober 1936 wurde Weissler verhaftet und am 13. Februar 1937 mit den Mitarbeitern seines Pressedienstes nach Sachsenhausen gebracht. Er bekam eine Einzelzelle im Arrestbau, in der er sechs Tage und sechs Nächte von der SS-Wachmannschaft gequält, gefoltert und schließlich buchstäblich mit schweren Kommisstiefeln zu Tode getrampelt wurde.

Sein Glaube an Jesus Christus, den Herrn der Welt, gab Friedrich Weissler, dem feinfühligen, zarten Mann, die Tapferkeit, seiner Frau und seinen Kindern die Abschiedworte zu schreiben: „Idi habe wunderbare Ruhe und Kraft geschenkt bekontnten. Fürdite dich nicht, glaube nur!“

Fritz Müller

entstanuute einer märkischen Familie. Am 11. März 1889 als Sohn eines Berliner Rektors geboren, wünschte er sich schon als Achtjähriger während einer lebensgefährlichen Erkrankung Pfarrer zu werden.

Vor Abschluß des Studiums meldete er sich als Kriegs-freiwilliger, wurde mehrmals verwundet und erhielt das EK 1 und II. Nadr dem Kriege nahm er das Studium wieder auf und bestand in sdtneller Folge die theologisdten Prüfungen.

Seine erste Pfarrstelle im Lautawerk in der Lausitz stellte ihn vor die schwierige Aufgabe, sidt das Vertrauen der Arbeiterschaft nur schrittweise gewinnen zu können. Den Gottesdienst hielt er dort abwechselnd mit seinem katholischen Kollegen in einer Holzbaracke ab, bis er 1927 den Grundstein zu einer eigenen Kirdte legen konnte. Sdtweren Herzens verließ er ein Jahr später seine Gemeinde, um einem Ruf an die Markus-Kirdte in Berlin-Steglitz zu folgen. Am 1. Februar 1933 wurde er Pfarrer der evangelisdten Gemeinde in Berlin-Dahlem

Als im September 1938 durch den Druck Hitlers auf die Tschechoslowakei der Krieg unvermeidlich schien, ordnete die Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche für den 30. September einen Bittgottesdienst an. Die maßgebliche Persönlichkeit in der Vorläufigen Leitung — nach den Worten Martin Niemöllers „Der eine Kirchenmann von Format, der in jenen kritischen Jahren hervorgetreten ist“ — war Pfarrer Fritz Müller, Dahlem. Unter seiner führenden Mitwirkung war eine Gebets-liturgie vorbereitet, die den Krieg als eine Strafe Gottes bezeichnete und das deutsche Volk zur Buße aufrief: „Wir armen Sünder bekennen vor Dir die Sünde unserer Kirche . . . Wir bekennen vor Dir die Sünden unseres Volkes. Dein Name ist in ihm verlästert, Dein Wort bekämpft, Deine Wahrheit unterdrückt worden . . . Vergib uns und versdtone uns mit Deinen Strafen.“

Das Münchener Abkommen vom 29. September bannte die unmittelbare Kriegsgefahr, und die Liturgie kam nicht zur Verlesung. Trotzdem war die Empörung unter den nationalsozialistischen Funktionären groß, zumal über 1000 Pfarrer der Bekennenden Kirche unterschriftlich für den Inhalt der Liturgie eintraten. Das „Schwarze Korps", die Zeitung der SS und „Stürmer“ griffen die verantwortlichen Mitglieder der Vorläufigen Kirchenleitung und den Text des Gebetformulars mit polemischen Worten wie Defaitismus, Sabotage und Heimtücke an. Auf einer Konferenz im Kirchenministerium am 29. Oktober 1938 wurden die evangelischen Bischöfe von Bayern, Württemberg, Baden und Hannover gedrängt, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie die Gebetsliturgie „aus religiö-sen und vaterländischen Gründen“ ablehnten. Angriffe auf die Urheber der Liturgie, die Reichskirchenminister Hanns Kerri als Staatsverräter bezeichnete, wiesen die Bischöfe jedoch entschieden zurück.

Gegen die Verfasser der Gebetsliturgie wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet und die Verhandlung gegen Pfarrer Fritz Müller, Superintendent Martin Albertz und Pfarrer Hans Böhm fand vor dem Berliner Konsistorium statt. Die Anklageschrift warf Müller unter anderem vor, daß er sich jener kirchlichen Gruppe angeschlossen habe, die für die bedauerliche Trübung der Beziehungen zwischen der staatlichen Führung und der Evangelischen Kirche verantwortlich sei. Das Urteil lautete auf Amtsenthebung.

Bereits im September 1933 hatte Pfarrer Fritz Müller auf der NationalSynode in Wittenberg gegen die Maßnahmen des Reichsbischofs Ludwig Müller protestiert, der als Vertrauensmann Hitlers die Evangelische Kirche gleichzuschalten suchte. In den folgenden Jahren war Fritz Müller dann an der Gestaltung aller wesentlichen Kundgebungen des Pfarrernotbundes und später der Bekennenden Kirche entscheidend beteiligt. Auf der Bekenntnis-Synode 1936 in Oeynhausen übernahm er den Vorsitz in der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche und im gleichen Jahr auch den Vorsitz im Bruderrat der Altpreußischen Union, der größten der evangelischen Landeskirchen, von der in zahlreichen Fällen bei der Abwehr staatlicher Übergriffe auf kirchliches Gebiet die Initiative ausging. Müller zeigte sich auch als furchtloser Sprecher der minister Kerri den gesamten Preußischen Bruderrat geladen hatte. Als Kerri die Ausführungen Müllers mit den Worten unterbrach: „Warum reden Sie so lange? Das ist für mich vollständig wertlos“, entgegnete Müller: „Ich stelle fest, daß der Herr Reichsminister das, was wir zu sagen haben, für vollständig wertlos erklärt hat. Dann brechen wir die Verhandlung ab.“ Und Müller erhob sich, um den Raum zu verlassen.

Die eigene Gemeinde Fritz Müllers hatte frühzeitig erfaßt, um was es ging, und sie schätzte die undramatische, sachliche Art seiner Predigten. „Die Wirkung seiner Persönlichkeit als Pfarrer und Seelsorger ist schwer zu beschreiben: man kann nidit sagen, daß er sich irgendwelche Mühe gegeben hätte, das Vertrauen seines Gegenübers zu gegewinnen, und man kann ebenso wenig sagen, es sei ein Strom des Vertrauens von ihm ausgegangen. Wer aber einmal Vertrauen zu ihm faßte — und das ereignete sich wieder und wieder unter seiner fast unpersönlichen Verkündigung — der kam nicht mehr auf den Gedanken, dieses Vertrauen könnte noch irgendwie wieder in Zweifel gezogen werden: es war einfach eine Tatsache, unbezweifelbar und unwandelbar wie die Sonne am Himmel.“ So charakterisierte ihn sein Amtsbruder Martin Niemöller.

Ohne Ehrgeiz und Geltungsdrang, mit unerschütterlicher Gelassenheit verteidigte Fritz Müller, ein zäher Verhandlungspartner von scharfem Denkvermögen, in geschliffenen Formulierungen die Position, die einzunehmen sein Gewissen und sein Auftrag ihm vorschrieben. Aber nach seinem inneren Wesen bekümmerte es ihn, daß er zu kämpfen hatte nicht nur gegen eine Staatsgewalt, die ihre Grenzen überschritt, sondern auch gegen Amtsbrüder, die zu Kompromissen bereit waren. „leit habe ihm oft abgeraten,“ erinnerte sich Martin Niemöller, „mit den Vertretern der staatlichen Kirchenausschüsse und den kirchlichen und kon fessionellen Taktikern zu verhandeln. Er ging trotzdem — wenn auch manchmal mit dem berlinerischen Seufzer: , Es schadet fa nidtts. Im Gegenteil, es hilft auch nichts.“ Er wollte sich selber nicht den Vorwurf mangelnder Brüderlichkeit machen müssen.“

Wenn Fritz Müller etwas als notwendig erachtete, scheute er keine Folgen. Rückhaltlos verteidigte er die Anliegen der Bekennenden Kirche trotz der zunehmenden Bedrängnis, und wurde dabei viele Male verhaftet. Häufig stellte er sich dann mit seinen Aussagen schützend vor andere. Manches Mal kam er direkt aus der Haft in eine Tagung der Bekenntnispfarrer und übernahm den Vorsitz, als sei er nicht fort gewesen. Die Strapazen der Haft merkte ihm niemand an und auch nicht die schweren Sorgen im Amt, wie um seine Frau und seine Tochter, die Jahre hindurch leidend waren.

Als ihn nach dem Urteilsspruch von 1938 die Amtsenthebung traf, war seine Frau erst wenige Monate zuvor gestorben. Nun verlor er mit dem Amt auch die Wohnung. Er wurde ein einsamer Mann. Im zweiten Weltkrieg rückte er als Gräberoffizier in die Armee ein. Bischof Dibelius schrieb: „Der Krieg kam in dem Augenblick, als die Wellen über ihm zusammenzuschlagen drohten und wir ernstlich für ihn zu fürchten anfingen. So war es für uns eine Befreiung, daß er wieder Soldat wurde. Wir empfanden es als eine Genugtuung, daß die deutsche Armee ihn, den Vielgeschmähten und von gewissen Behörden geradezu Verfolgten, willig als Offizier aufnahm und förderte.“

Nach der Überlieferung war Pfarrer Müller auch im Feld als Seelsorger tätig. Die Ursache für den frühzeitigen und ungeklärten Tod des Dreiundfünfzigjährigen am 20. September-1952 an der Ostfront sehen seine Freunde darin, daß er durch eine Mahlzeit, in die Gift gemischt war, ermordet wurde.

Helmut Hesse

wurde am 11. Mai 1916 in Bremen geboren, und seinVater, Pastor Lic. Hermann Hesse, übernahm bald danach das Pfarramt der reformierten Gemeinde in Elberfeld. Helmut wandte sich 1935 trotz einer ausgesprodten technisch-physikalischen Begabung, dem Theologiestudium zu, denn — „in der Not gehören alle Mann an Deck“ —. Als jüngster Blut-zeuge der Bekennenden Kirche starb er mit 27 Jahren 1943 im Konzentrationslager Dachau. Seine Brüder Friedrich und Theodor fielen 1941 und 1942 an der Ostfront. „Bald führte ihn das Studium“ — schrieb sein Bruder, Pastor Eduard Hesse — „in die Illegalität, in die Hilfsaktionen des Elberfelder Pastors Hermann Ziegler für Kommunisten und Juden, in die Berliner Kreise um Probst und Grüber und natürlich zu dem Widerstandszentrum um Karl Barth in Basel. Bei ihm hat er gelernt, daß rechtes Gebet nicht nur das Zusammenfalten der Hände vor Gott ist, sondern auch das Entfalten eines ganzen Einsatzes vor den Menschen. Da wir fünf Kinder nacheinander in den Dienst am Wort Gottes eintraten, wurden solche Erkenntnisse im Kreise der Familie nach allen Seiten abgewogen; mußte doch da der Weg gefunden werden, aus dem konservativen und pietistischen Erbe zu der heute, hier und jetzt gebotenen legitimen Illegalität.“

Der Kirchenkampf griff stark in das Familienleben ein. Zwei Brüder und ein Schwager kamen wegen ihrer Predigten ins Gefängnis. Der Vater wurde von der Gestapo überwacht und unter Reichsredeverbot gestellt, nachdem er als verantwortlicher Sprecher des reformierten Bekenntnisses die Kirchenverfassung von 1933 mit entworfen und die Wahl des Pastors Friedrich von Bodelschwingh zum Reichsbischof vorbereitet hatte. Helmut gelang es erst nach Schwierigkeiten seine Prüfungen abzulegen, da die Leitung der Bekennenden Kirche nach den schweren Urteilen gegen die Mitglieder ihrer Prüfungsausschüsse 1941 nicht mehr wagte, theologische Examina abzuhalten. Schließlich fand sich das Presbyterium der bekennenden, reformierten Gemeinde in Elberfeld bereit, sein Abschlußexamen abzunehmen. Er wurde im Frühjahr 1943 für den Predigtdienst ordiniert.

Schon für den jungen, lebensfrohen Helmut Hesse, der sein Studium nach der menschlich gebotenen Aufgabe wählte und mit eisernem Fleiß bewältigte, war es eine Selbstverständlichkeit, den bedrängten Juden beizustehen. Wo immer sich eine Gelegenheit bot, half er ihnen in iE er Not. Im Juni 1943 wurde der Stadtteil Barmen von einem besonders schweren Bombenangriff getroffen. Sollte dies ein Gericht Gottes über das fromme Wuppertal sein? fragte der Vater unerschrocken beim Gottesdienst. Nachmittags trat Helmut mit seinem Vater in einer Bekenntnis-veranstaltung für die Juden ein. Am übernächsten Morgen wurden beide verhaftet und belastendes Material aus dem Schrifttum der Bekennenden Kirche bei ihnen beschlagnahmt. Nach längerer Haft im Polizeipräsidium Barmen kamen sie auf eine persönliche Verfügung Himmlers nach Dachau.

Diese Monate wurden aber für Helmut zur letzten Reife. Er wußte seit einiger Zeit, daß die Kopfschmerzen, die ihn von Jugend auf peinigten, von einem unheilbaren Gehirntumor herrührten und er mußte sich erst nach anfänglicher Verzweiflung wieder fangen. Dem monatelangen Hunger und dem Entzug der notwendigen Medikamente war er bei seiner ohnehin zarten Gesundheit kaum noch gewachsen. Am 24. November 1943, zehn Tage nach der Einlieferung in Dachau, wurde sein Leben im Krankenrevier durch eine tödliche Spritze ausgelöscht.

Sein Vater, der die schwere Gefangenschaft überstand, berichtete aus den Monaten der gemeinsamen Haft über die immer tiefere Hingabe des Sohnes an den göttlichen Willen. Der Lebensweg Helmut Hesses war ein Bekenntnis für die Worte, die er 1942 am Palmsonntag gepredigt hatte: „ ... so lapt uns denn das Erbe der Väter, die von Gott geschenkte Ordnung nicht preisgeben und lieber mit Christus in den Tod gehen, als die Gemeinde Gottes unter die Willkür eines Ahab stellen, der den Weinberg Gottes zum Kohlgarten macht. Gottes Wort ist selbst ein hauendes Schwert, das Wahrheit und Lüge auseinander-schlägt, und es auch wagt, der Obrigkeit zu sagen: du stehst unter Gott und hast dich an seinem Gebot, das auch dir gilt, versündigt, du hast gemordet und gestohlen! Du hast dein obrigkeitliches Schwert mißbraucht, darum wird es auch dich treffen.“

Rupert Mayer

wurde als Sohn einer angesehenen Stuttgarter Kaufmanns-familie am 23. Januar 1876 geboren, studierte Theologie und trat 1900 nach einjähriger Tätigkeit als Priester in den Jesuitenorden ein. 1912 schickte ihn sein Orden in die Großstadtseelsorge nach München, die ihm zur Lebensaufgabe wurde. Während des ersten Weltkrieges war er Pfarrer an der Front. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurde er mehrfach verhaftet und in Gefängnissen und im Konzentrationslager festgehalten. Die Jahre von 1940 bis Kriegsende verbrachte er im Kloster Ettal, das ihm als Zwangsaufenthalt zugewiesen wurde. „Den Priester-und Ordensberuf ergriff ich aus Liebe zu den Menschen", schrieb Rupert Mayer in den Fragebogen, den er bei einer Einlieferung in das Gefängnis auszufüllen hatte.

Liebe war der treibende Motor seines Lebens. Rupert Mayer verstand sich mit der Marktfrau, dem Fuhrmann, dem Intellektuellen und der Aristokatin; er hatte ein Herz für den entlassenen Strafgefangenen, die gefallenen Mädchen und den berufsmäßigen Landstreicher. Bei einer Versammlung in den zwanziger Jahren wurde er von einer Kommunistin angespien. Er stellte ihre Adresse fest, sah die bittere Not und half ihr noch am selben Tage mit Geld, Hausrat und guten Worten aus der Verzweiflung. Es kam ihm nicht darauf an, für seine Bettler selbst betteln zu gehen oder zu hungern, um andere satt zu machen. Durch seine Hände gelangten Millionenwerte zu den Armen. Auf mehr als 20 000 Karteikarten der Münchener Caritas war seine Mitarbeit in dieser oder jener Form vermerkt.

Rupert Mayer sah den Menschen in der Einheit seiner seelischen und geistigen Bedürftigkeit. Bei dem Auftrag seines Ordens, in München neue Wege der Großstadtseelsorge zu entwickeln, gewann er in der Marianischen Männerkongregation durch sein Beispiel unermüdlicher Hingabe treue Helfer für sein weitreichendes Arbeitsgebiet. In Sankt Michael, der Münchener Jesuitenniederlassung, war er bis spät abends für alle, die ihn suchten, zu sprechen; und er hatte das Telefon neben dem Bett stehen, falls ihn einer nachts anrufen wollte.

Neben einer Ferienkolonie für Kinder gründete Rupert Mayer, zur Unterstützung der Familien, die Kongregation „Schwestern der Hl. Familie". Den naturhungrigen Großstädtern ermöglichte er durch den Bahnhofsgottesdienst, vor Abfahren der ersten Züge ihrer Sonntags-pflicht zu genügen. Er war ein besonders gesuchter Beichtvater und ein Prediger, der auch Abseitsstehende und Andersgläubige in seinen Bann zog. In manchen Monaten predigte er siebzigmal. Er hatte den Menschen in die Küche, in die Werkstatt und ins Herz geschaut, und so buchstabierte er ihnen ohne Salbung oder Poltrigkeit die Weisheit des Himmels in ihre kleinen irdischen Verhältnisse hinein. Im ersten Weltkrieg hatten die Soldaten gemeint, er sei „kugelfest", weil er sich seelenruhig in der vordersten Linie bewegte und hundertmal sein Leben aufs Spiel setzte, um Verwundete zu bergen, Sterbenden die Augen zuzudrücken und Tote zu bestatten. Neben verschiedenen anderen Tapferkeitsauszeichnungen erhielt er als erster katholischer Priester das Eiserne Kreuz I. Klasse. 1916 wurde er in Rumänien schwer verwundet. Hans Carossa, der ihm als Bataillonsarzt Erste Hilfe leistete, berichtete von dem tiefen Eindruck: „Der Mann, der da in seinem Blute lag, behielt ja mitten im jammervollsten Zustand noch den Ausdrudt einer ungemeinen Überlegenheit über sidt selbst. In seinem Dasein, dies fühlte man, war etwas Planmäßiges, auch das gegenwärtige Unheil, sicherlidt seit langem als Möglidikeit in Redtnung gezogen und gewiß nidtt auf der Seite der Verluste. Der Untersdtied zwischen einem Mensdten, der nodt mit wildem Drang im Leben haftet und dem Entsagenden, der seine Triebe ins Geistige hinübergewandelt, war mir nie deutlidter gewesen. Wenn unsereiner dahinging, so blieb immer etwas nidtt ganz Geklärtes, nidtt ganz Aufgearbeitetes zurück, dieser aber versdtwebte wie eine Sonate von Bach, aus dem Dunkeln hervorgerufen, in einfadr lichten Linien durchgeführt und vollkommen gelöst. Für uns Ärzte jedoch war nun die Hauptaufgabe, diese schöne Lösung möglichst weit hinauszuschieben.“

Rupert Mayer wurde gerettet, aber das linke Bein mußte oberhalb des Knies amputiert werden, und fast dreißig Jahre machte er seine Seelsorge und weite Prozessionswege mit einem Holzbein am ständig schmerzenden und häufig blutenden Stumpf. Unermüdlich besuchte er Vortrags-und Verammlungsabende der großen und weitläufigen Stadt. Aber auch wenn er es mit radikalen Widersachern zu tun hatte, war das Wesentliche für ihn stets der Mensch mit seiner unsterblichen Seele.

Auf einer Hitlerversammlung im Bürgerbräu 1923 über das Thema:

„Kann ein Katholik Nationalsozialist sein?" ergriff er in der ausnahmsweise gestatteten Diskussion das Wort. Als ihn, den in München weithin Bekannten, Beifall auf dem Podium empfing, winkte er ab und sagte: „Sie haben mir zu früh applaudiert, denn ich werde Ihnen nun klar sagen, daß ein deutscher Katholik niemals Nationalsozialist sein kann.“

Die nächsten zehn Jahre änderten nichts an seiner Einstellung. „Nie dürfen wir für einen faulen Frieden eintreten", war sein Standpunkt. „Wenn es um Dinge geht, die Gott gebietet, müssen wir durchhalten, auch wenn es Kampf und Streit gibt. Wo die Interessen Gottes in Frage kommen, hört der Frieden auf." In der Michaelskirche predigte er 1937: „Es gibt mandte Menschen, die lassen sidt imponieren von unseren religiösen Feinden durch die großen Töne, die sie anschlagen. Liebe Freunde! Dem Unkundigen kann so etwas imponieren. Dem Kundigen aber sind diese Sprüdte seit langem bekannt. Das ist die großsprecherisdte Art der Christus-und Kirchenfeinde von jeher gewesen. Nidtt immer hat das, was mehr Lärm madtt, auch mehr Geist und Kraft.

Fürchtet Eudt nicht vor derartigen Reden. Es kommt oft ganz anders als man denkt. Habt Vertrauen!“

Anfang Mai 1937 wurde Rupert Mayer durch die Geheime Staatspolizei verboten, noch weiterhin in Versammlungen zu reden. Damals schon waren in seinen Gestapo-Akten insgesamt 77 Eintragungen vermerkt über „Unbotmäßigkeit" gegenüber dem Nationalsozialismus; die ersten beiden Aktennotizen gingen auf die Jahre 1921 und 1923 zurück. Am 28. Mai 1937 wurde ihm auch untersagt, in der Kirche zu predigen. Drei Tage darauf erhob Kardinal Faulhaber von München beim Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten Einspruch gegen diesen Eingriff in kirchliche Rechte und gegen die Entehrung eines „hochverdienten Mannes und tadellosen Priesters". Die Ordensleitung und Kardinal Faulhaber billigten den Entschluß Rupert Mayers, entgegen dem Gestapoverbot seine seelsorgerischen Verpflichtungen weiter zu erfüllen. Sein Provinzial Pater Constantin Rösch, der später im Zusammenhang mit der Aktion vom 20. Juli 1944 ein — allerdings nicht mehr vollstrecktes — Todesurteil erhielt, begleitete ihn persönlich zur nächsten Predigt. Acht Tage darauf wurde Pater Rupert Mayer verhaftet.

Nach einem scharfen Protestschreiben des Erzbischöflichen Ordinariats an die obersten nationalsozialistischen Behörden, benutzte Kardinal Faulhaber den nächsten Konvent der Münchner Männerkongregation „als erste feierliche Gelegenheit", um öffentlich zu erklären, mit welcher Bestürzung und Entrüstung, ja mit welcher Verbitterung die katholischen Männer Münchens die Verhaftung Pater Rupert Mayers am 5. Juni vernommen haben und wie schwer die Fortdauer der Hart auf den Katholiken lastet. Zu der Polemik hoher Regierungsstellen über die Verhaftungsnachricht in ausländischen Zeitungen äußerte der Kardinal: „Idi gebe grundsätzlidt keine Meldung an ausländische Zeitungen, kann aber dodt ein großes Erstaunen nicht unterdrücken, wenn ich höre, daß man sich über die Auslandsmeldungen über unleugbare Tatsadten, mehr entrüstet, als über die Tatsache selber. — Die Verhaftung am 5. Juni wurde überall in München lebhaft besprodten. Die Berichterstatter der ausländischen Zeitungen in München müßten ja blind und taub sein, wenn sie von all diesen Dingen nidits erfahren würden“.

Zu den Anschuldigungen in der Prozeßverhandlung am 7. Juli 1937 erklärte Rupert Mayer, daß er sich nicht darüber den Kopf zerbrochen habe, ob er in seinen Predigten in Widerspruch geraten würde mit dem Kanzelparagraphen oder dem Heimtückegesetz; er würde auch jetzt, nachdem er entsprechend aufgeklärt sei, fortfahren, die katholische Kirche wie bisher zu verteidigen, er halte sich hierzu als katholischer Priester für verpflichtet und nach dem Konkordat auch für berechtigt.

Seine Richter, die ihm „eine selten tiefe Bildung des Verstandes und des Herzens" bestätigen mußten, führten zur Urteilsbegründung aus: „Der Staat muß rücksichtslos über Persönlidtkeiten hinwegsehen, die man nicht in eine Linie setzen kann mit Verbredtern, die aber dodt für den Bestand des Staates eine Gefahr bedeuten.“

Rupert Mayer wurde verurteilt und verbüßte fünf Monate Haft im Gefängnis Landsberg. Nachdem er im Zuge einer allgemeinen Amnestie Anfang 1938 entlassen, jedoch unter Predigtverbot gestellt wurde, konnte er nur noch in privaten Zirkeln sprechen. Aber immer noch kamen die Menschen in großer Zahl zu ihm nach St. Michael, um sich Rat und Hilfe zu holen.

Nach Kriegsbeginn holte ihn im Herbst 1939 erneut die Gestapo, in der Absicht, ihn nach den Zusammenhängen einer vermuteten bayerischen Königspartei auszuforschen. Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert und erhielt Einzelbunker, „weil von einem Pater Rupert Mayer nicht zu erwarten war, daß er das Beichtgeheimnis verrate.“ Wegen seines bedrohlichen Gesundheitszustandes wurde er nach einem Jahr mit schweren Hungerödemen in das Benediktinerkloster Ettal überführt. Schmerzlicher als die polizeiliche Anweisung, das Kloster nicht verlassen zu dürfen, traf ihn das Verbot jeder seelsorgerischen Tätigkeit. Doch „ein einbeiniger alter Jesuit lebt, wenn es Gottes Wille ist, länger als eine tausendjährige gottlose Diktatur.“

Erst 1945 wurde ihm seine Bewegungsfreiheit wiedergegeben, und er eilte nach München, machte Hausbesuche in Ruinen und Kranken-besuche in Kellern, beschwor alle, die unter dem Hitlerstaat gelitten hatten, ihren Widersachern von Herzen zu verzeihen, schrieb Nächte hindurch Entlassungsgesuche für kriegsgefangene Familienväter, wandte sich mit seiner letzten Lebenskraft gegen die Härten der Entnazifizierung und war bemüht, den Opfern der nationalsozialistischen Irrlehre in menschlicher Güte wieder den Weg zu Gott zu zeigen. Am 1. November 1945 traf ihn der Herzschlag, während er auf der Kanzel stand.

Heinrich Feurstein

am 11. April H 77 in Freiburg/Breisgau geboren, zweiundzwanzigjährig zum Priester geweiht, war in versdüedenen Orten Siidwestdeutschlands tätig, bis er 190S Stadt-pfarrer von Donau-Eschingen wurde.

Die Predigten Heinrich Feursteins richteten sich an eine Gemeinde mit vielseitiger Bevölkerung — an Bauern, Arbeiter, Kaufleute, Beamte und Glieder des fürstlichen Hauses. Seit der Machtübernahme Hitlers, in dem er den Mann sah, von dem „uns kein Heil, sondern Unheil“ kommt, rief er mit immer eindringlicheren und leidenschaftlicheren Worten das sittliche Bewußtsein seiner Gemeinde gegen die nationalsozialistischen Willkürakte auf. „Ich will lieber einmal den Vorwurf hören, ich sei unklug, als ich sei feig gewesen", war seine Antwort auf Stimmen, die ihn zur Vorsicht mahnten.

Wo es um Glaubensfreiheit und Treue zu den Geboten ging, gab es für Heinrich Feurstein kein Ausweichen. Aus der Tiefe seiner geistigen Existenz empörte er sich gegen das Zurückdrängen der Kirche und die systematische Untergrabung des Christentums. Doch neben den religiösen Kräften bestimmte eine ausgeprägte Vaterlandsliebe seine Haltung. Jahrelang hatte er als Standortpfarrer die Kaserne von Donau-Eschingen betreut, und während des ersten Weltkrieges weilte er mehrfach wochenlang an der Front bei den Soldaten, die er schon gerne bei der Mobilmachung begleitet hätte. Die Revolution von 1919 widersprach seiner ganzen Vorstellungswelt, so daß er in heftige Auseinandersetzungen mit dem örtlichen Arbeiter-und Soldatenrat geriet.

Aber Heinrich Feurstein, der Sohn eines Goldschmiedes und Nachkömmling eines Domkapellmeisters, hatte auch starke künstlerische Neigungen. Sie verbanden ihn mit dem Fürsten von Fürstenberg, der ihm die Pflege seiner Gemäldegalerie in Donau-Eschingen anvertraute. Feurstein wurde als Kunsthistoriker und Heimatforscher bekannt. Neben zahlreichen Artikeln in Fachzeitschriften veröffentlichte er über zwanzig Forschungsarbeiten, u. a. über Matthias Grünewald, über den Meister von Meßkirch und über die mittelalterliche Kunst in der Baar, jener in vieler Hinsicht so fruchtbaren Hochebene zwischen Schwäbischem Jura und Schwarzwald.

Noch mehr aber beanspruchten ihn die aktuellen sozialen Probleme in seiner Gemeinde. Schon als junger Theologe hatte sich Feurstein dem Studium der Volkwirtschaft zugewandt und war 1904 zum Dr. rer. pol. promoviert. Durch eine von ihm gegründete Baugenossenschaft entstanden zehn große Häuserblocks mit billigen Wohnungen für die Ärmeren der Pfarrei, und sein eigenes ererbtes Vermögen gab er zum Bau eines Konvikthauses für Missionare. Der Titel Monsignore wurde ihm 1931 verliehen.

Sein reiches Wissen und sein lauteres Wesen erwarben ihm die Achtung und Zuneigung seiner geistlichen Mitbrüder, von denen allein in der Freiburger Diözese zwölf ihr Leben opfern mußten; siebzehn Priester des Bistums wurden in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen und viele andere verbrachten Monate und Jahre im Gefängnis.

Heinrich Feurstein bekannte sich zu der Härte des Weges, der vor ihm lag. Seine Predigten aus dem Jahre 1941 führten immer wieder zu dem Beispiel des gekreuzigten Christus zurück. Sie wiesen auf die Gabe der Stärke, die darin besteht, „daß wir, wenn die Stürme des Lebens an uns rütteln, nicht wanken, daß keine Macht der Welt uns von Christus zu trennen vermag, daß wir ihm die Treue halten, wenn die Bekenntnisprobe von uns verlangt wird. . . Der Märtyrer geht mit freier Entscheidung in den harten Tod. Auch in unserer Zeit erleben wir eine Wiederkehr des Martyriums in blutiger und unblutiger Form. Wir grüßen sie alle, die Märtyrer unserer Tage. . . Heil euch zumal, ihr Märtyrer von Dachau!“

Am Neujahrtag 1942 predigte Heinrich Feurstein vor seiner Gemeinde zum letztenmal. Bei seinen Ausführungen stand der Gedanke im Mittelpunkt, daß die Staatsgewalt bei der Durchführung ihrer Aufgaben an sittliche Gebote gebunden bleibt, das nationalsozialistische Regime aber an Hilflosen und Geisteskranken Verbrechen begehe und die Jugend auf falsche Wege führe.

Als im Januar 1942 Pfarrer Feurstein verhaftet und in das Gefängnis nach Konstanz überführt wurde, sammelten Angehörige seiner Pfarrgemeinde Unterschriften und wandten sich in einem Schreiben an die Gestapo, um die Freilassung ihres Pfarrers zu erwirken. Doch Feurstein wurde am 5. Juni 1942 in das Konzentrationslager Dachau überführt; er war körperlich bereits so geschwächt, daß er nicht einmal mehr auf einem Stuhl zu sitzen vermochte. Einige Aufzeichnungen aus der Haftzeit wurden zu seinem letzten Vermächtnis: „Die Gefangen schaft des unschuldig Gequälten ist nicht teuflisches Verhängnis, sondern göttliche Fügung, nidu Schicksal, sondern Gnade, Anstoß und Möglichkeit zur letzten Reife, zu einer großen, wenn auch schmerzlichen Lösung und damit Schule der Heiligkeit.“ Heinrich Feurstein starb am 2. August 1942.

Damals schrieb der Erzbischof Dr. Konrad Gröber an die trauernde Gemeinde: „Nun ist euer Stadtpfarrer tot. Lange Monate hindurch habe ich mit ihm gelitten und alles versucht, um seine Lage zu bessern; es ist mir leider nicht gelungen. So ist er nun fern der Heimat, an der er mit leidenschaftlidier Zärtlidrkeit hing, aus dem Leben geschieden . .. Der nun in eine Urne gefaßte, kleine Rest Heinrich Feursteins darf und wird, eingemauert in seiner Kirche, bei eudt bleiben. Von diesem kleinen Grabe wird er weiter zu euch reden. . . Von der Liebe zu Gott, vom Glauben an Christus und der Treue zu ihm. Er wird predigen von der Feindes-und Nächstenliebe, von der Seligspreisung der Bergpredigt deren letzte er an sich selbst erfuhr.“

Carl Lampert

wurde am 9. Januar 1894 zu Göfis bei Feldkirch als jüngstes von sechs Kindern einer Bauernfamilie geboren. Nadt der Volksschule besudite er das Feldkircher Gymnasium und trat 1913 als Student der Theologie in das Fürstbischöflidie Seminar in Brixen ein. Die Priesterweihe empfing er 1918, an die sich eine zwölfjährige praktische Seelsorgetätigkeit anschloß. Im Jahre 1930 kam er an die Anima, die Pfarrkirche der deutschen Katholiken in Rom, promovierte zum Doktor des Kirchenrechts und wurde Advokat beim Gerichtshof der römischen Kurie. Später in Innsbrudt, berief ihn sein Bischof zum Provikar der Apostolischen Administratur.

Als Gegner des Nationalsozialismus wurde Carl Lampert mehrfach in Sdiutzhaft genommen und mußte schließlidt einen von seinem früheren Arbeitsfeld entfernten Aufenthalt nehmen, wofür ihm Mecklenburg-Pommern zu gewiesen wurde. Dort erfolgte im Februar 1943 seine erneute Verhaftung. Am 13. November 1944 wurde das Todesurteil gegen ihn vollstreckt.

Im aggressiven Vorstoß gegen die katholische Kirche Pommerns und den Bischof der Diözese, Konrad Graf von Preysing, Berlin, führte die Stettiner Gestapo im Februar 1943 nach gemeinsamer Vorbereitung mit der örtlichen NSDAP die Verhaftungsaktion „Lampert und andere“ durch.

Zu der sogenannten Voruntersuchung wurde Prälat Dr. Carl Lampert mit einer Reihe katholischer Geistlicher und Laien aus dem pommerschen Raum in das Gestapogefängnis Stettin gebracht, wo die Verhafteten monatelang, zum Teil unter schweren Folterungen, schärfsten Verhören ausgesetzt waren. Dabei unterzog der leitende Kommissar Trettin insbesondere Carl Lampert einem Kreuzverhör; und während er im Hinblick auf die Hitlersche Kriegführung, die Judenverfolgung und andere Maßnahmen des Regimes „Geständnisse“ von Carl Lampert zu erpressen versuchte, schrie er den hintergründigen Vorwurf heraus: „Warum müssen gerade Sie, ausgerechnet Sie, mit Ihren Fähigkeiten und Talenten und Ihrem angenehmen Äußeren dieser Schwindelreligion anhängen und den Beruf eines Saupfaffen ergreifen! . .. wen man einsperren müßte, das sind Eure Bischöfe, den Grafen Galen von Münster und Euren, den Berliner Preysing. Das sind die eigentlichen Staatsfeinde und Verbrecher. Laßt nur erst mal den Krieg zu Ende sein, dann wird die katholische Kirche zerbrochen, wie man einen morschen Ast abbricht.“ Diese drohenden Worte verrieten, was von dem sogenannten formalen Prozeß, der ebenfalls unter der Bezeichnung „Lampert und andere“ lief, zu erwarten war, wobei der ausgezeichnete Ruf des Hauptangeklagten nur ein erschwerender Umstand sein konnte.

Schon über die Jugendjahre Carl Lamperts wurde ausgesagt, daß seine der Umwelt teilnahmsvoll zugewandte Wesensart früh hervortrat. Der vom Herzen her ebenso ernste wie fröhliche Junge war überall wegen seiner geistigen Aufgeschlossenheit, freundlichen Hilfsbereitschaft und großzügigen Freizügigkeit beliebt. „Das Gutsein mit allen Menschen war seine zweite Natur und in jedem Menschen sah er nur das, was er selbst war," hieß es über den hochbegabten jungen Geistlichen, der durch seine Lauterkeit und seine natürliche menschliche Liebenswürdigkeit, alle Menschen in seinen Bann zog. Aber auch die monatelang am Leidenslager der Mutter verbrachten Nächte, die Einschränkungen der eigenen Bedürfnisse, wenn ein anderer in Not geriet, oder die Anteilnahme an allen Gequälten während der nationalsozialistischen Diktatur, sprachen für seine fromme Liebe zu Gott, die mit gleicher Liebe das Werk des Schöpfers umschloß. Diese Kraft ließ ihn nach den Worten eines Mithäftlings während der schweren Haftjahre „ins Un-gemessene“ wachsen.

Die Rückberufung Carl Lamperts aus Rom auf den verantwortlichen Posten eines Provikars der Apostolischen Administratur nach Innsbruck erfolgte zur Zeit der Hitlerschen Machtausdehnung auf Österreich. Temperamentvoll und unerschrocken, aber auch völlig ungeeignet, sich auf Wege taktischer Diplomatie zu begeben, erhob Lampert von Anbeginn Einspruch gegen jede Behinderung des kirchlichen Lebens, weshalb er widerholt im Innsbrucker Polizeigefängnis „Schutzhaft" verbüßen mußte. Dies hielt ihn nicht von der christlichen Pflicht eines würdigen Nachrufs für einen im KZ verstorbenen Priester ab. Wegen „Aufwiegelung der Bevölkerung“ wurde er nunmehr selbst für ein Jahr in das Konzentrationslager Dachau gebracht und wenige Tage nach seiner Entlassung aus Innsbruck ausgewiesen.

Die Verbannung führte ihn nach Stettin. Aber auch in der neuen Umgebung gewann sich Dr. Carl Lampert bald das Vertrauen und Anerkennung der dortigen Geistlichkeit und die wachsende Hochschätzung des zuständigen Bischofs Preysing, Berlin, der mit dem klugen, charaktervollen, jüngeren Geistlichen ständige Verbindung hielt. Ebenso brachten die Aufgaben während des Krieges in dem stark mit Militär belegten Gebiet Lampert in engen Kontakt mit den Stettiner Kaplänen und Militärseelsorgern Lorenz und Simoleit und dem Greifswalder Studentenpfarrer Wachsmann, der später in einem Sonderprozeß zum Tode wurde. verurteilt Lampert, der in kurzer Zeit bei der Bevölkerung — Zivilisten und Soldaten — bekannt und gerne gesehen war, half bei der Seelsorge in Stettin und den umliegenden Ortschaften. Dabei erstreckte sich seine Betreuung auf die in der Rüstungsproduktion und Landwirtschaft zur Zwangsarbeit eingesetzten Polen und Holländer, derer er sich auch nach dem Gottesdienst im persönlichen Gespräch annahm.

Bei dem regen katholischen Leben im mecklenburgisch-pommerschen Diasporaraum wuchs das Mißtrauen der örtlichen NSDAP vor allem gegen Carl Lampert, dessen frühere Zusammenstöße mit dem Nationalsozialismus ebenso „aktenmäßig erfaßt “ waren, wie seine Beziehungen zu Rom. In der Vorbereitung des breit zielenden Schlages schickte die Gestapo einen Spitzel unter dem Namen Hagen zu den verschiedenen Geistlichen, der sich mit gefälschten Empfehlungsschreiben als gläubiger Katholik und Ingenieur auswies, Anschluß an konfessionelle Kreise erbat und zu den Diskussionsgruppen, die sich um die Kapläne Lorenz und Simoleit gebildet hatten, Zutritt fand. Prälat Lampert gegenüber gab er vor, sein Gewissen sei durch eine neue, von ihm mitentwickelte Geheimwaffe belastet; Lampert möge doch seine Verbindungen nützen, um fertige Konstruktionspläne, die er aus Peenemünde besorgen könne, über den Bischof Preysing an den Vatikan und von dort nach England zu leiten, damit der furchtbare Hitlerkrieg ein Ende fände. Trotz Hagens wiederholtem Drängen ging Lampert auf diese Vorschläge nicht ein.

Doch die Angaben Hagens reichten der Gestapo als Grundlage für ihre Vernichtungskampagne aus und die im Februar 1943 verhafteten Geistlichen wurden am 6. Dezember 1943 in das Zuchthaus Halle überführt, wo der Prozeß vor dem Reichskriegsgericht am 19. Dezember begann. Am Tage darauf wurden Carl Lampert, Friedrich Lorenz und Herbert Simoleit, die ihre Anklagepunkte nur mündlich erfahren hatten und ihre Verteidiger einmal wenige Stunden vor Prozeßbeginn sprechen durften, wegen „Feindbegünstigung“ und „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt. Weitere Geistliche erhielten z. T. in abgetrennten Verfahren Zuchthausstrafen.

Da der Verteidigung eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Lampert, Lorenz und Simoleit gelang, folgte ein zweiter Termin am 24. Juli 1944 im Militärgefängnis Torgau, in das die Geistlichen schon am 14. Januar eingeliefert worden waren. Als der Staatsanwalt bei dieser Verhandlung die Angeklagten „Verbrecher“ und „asoziale Elemente" nannte, sprang der Zweite Vorsitzende, ein höherer Offizier, erregt auf und wies den Staatsanwalt mit den Worten zurück: „Es handelt sich in diesem Fall weder um Verbrecher noch um asoziale Elemente. Ihre einzige Tragik ist die, daß sie katholische Geistliche sind.“ Der Gerichtspräsident, Generalstabsrichter Lueben, aber erschoß sich in der Nacht vor der Hauptverhandlung, um nicht das von der Partei geforderte Todesurteil aussprechen zu müssen.

Bei einem weiteren Termin am 4. September wurde das Todesurteil zum dritten Male verkündet. Als sich danach der Bischof Preysing zu einem letzten Gespräch mit den drei Geistlichen seines Zuständigkeitsbereiches nach Torgau begab, bekam er nur noch Verbindung mit Lorenz und Simoleit, während dem Hauptangcklagten auch vor dem Tode jeder Kontakt mit der Außenwelt versagt blieb.

Zur Hinrichtung am 13. November 1944 wurden die Geistlichen in das Zuchthaus Halle zurückgebracht. Doch zuvor hatte Prälat Dr. Carl Lampert in letzten Aufzeichnungen, die auf inoffiziellem Wege seinen Bruder erreichten, seine Gedanken über die qualvollen Haftmonate als gefesselter Todeskandidat im Militärgefängnis Torgau niedergelegt. Damit hinterließ er die Frage, welche Ketten mehr Pein bereiten, „die der armen Seelen im Fegefeuer, oder die so sdtreddidt klirrenden und rasselnden der armen Seelen Erden?“ auf

Der Abschiedsgruß vor der Urteilsvollstreckung aber brachte die Zuversicht: „Nun ist die Stunde gekommen — die so . schreckliche'für Dich und für alle weine Lieben, die . erlösende'für wich. Der Kreuzweg geht nun zur letzten Station. Finsternisse sind hereingebrochen, aber der Tag dämmert herauf, auf Dich, o Herr, hoffe ich.“

Otto Müller

wurde am 9. Dezember 1870 als Sohn eines Lehrers in Eckenhagen im Oberbergischen Kreis geboren. Nach seiner Priesterweihe 1894 in Köln, promovierte er zum Doktor der Staatswissenschaften und wurde Mitarbeiter beim Volks-verein für das katholische Deutschland, Generalsekretär der katholischen Arbeitervereine, Diözesanpräses für die Erzdiözese Köln und schließlich Verbandspräses. Seine Gesinnungstreue führte ihn nach 1933 in den Widerstand und 1944 in die Haft, in der er am 12. Oktober 1944 verstarb.

Als Prälat Dr. Otto Müller am 15. August 1944 in Olpe im Sauer-land sein fünzigjähriges Priesterjubiläum beging, waren seine Mitarbeiter von der Verbandszentrale in Köln alle schon verhaftet. Wenige Tage später wurde auch er im Auftrage des Hauptsicherheitsdienstes wegen seiner engen Verbindung mit Männern des 20. Juli festgenommen und nach Berlin überführt. „Es war für wich ein Erlebnis und eine große Bereicherung, diesem aufrechten, charaktervollen Mann und vorbildlichen Priester nahe sein zu dürfen, und das starke Ethos seiner Persönlichkeit stärkte seine Umgebung in der festen Haltung gegen den Nationalsozialismus“, schrieb Rudolf Pechei, der ihn zuletzt in der Zeit gemeinsamer Haft in dem Berliner Zuchthaus Tegel begegnete. „Ich sehe ih" vor mir, als ich ihn im Kettelerhause besuchte, und wie er in der Berliner Wohnung unseres gemeinsamen Freundes Hejo Schmitt, damals Studentenpfarrer in Berlin, mit heiligem Zorn die Verbrechen des Nationalsozialismus geißelte.“

Otto Müller war als Christ und überzeugter Demokrat ein selbstverständlicher Gegner jedes totalitären Systems, und aus der Einheit seines religiösen und politischen Denkens reiften seine Lebensentscheidungen. Da er schon früh in der Umwelt des niederrheinischen Elternhauses Einblick in die industriellen Arbeitsverhältnisse bekam, erkannte er bald die Bedeutung des Rufes, der von den Soziallehren des Mainzer Bischofs Wilhelm Emanuel von Ketteier, dem sogenannten Entdecker des Industriearbeiters und Abgeordneten der Paulskirchenversammlung von 1848, ausging. Diese Sicht bestimmte Otto Müller, gegenüber dem unaufhaltsamen industriellen Entwicklungsprozeß der Arbeiter-und Volksbildung breiteren Raum zu geben.

So nahm Müller 1895 als Kaplan an der Hauptpfarrkirche von Mönchen-Gladbach die Bildungsarbeit in dem Volksverein für das Katholische Deutschland auf. Gemeinsam mit den leitenden Männern des Volksvereins Franz Hitze, August Pieper und Franz Brandts schuf er die „Mönchen-Gladbacher Schule" mit einer weitausstrahlenden Kulturarbeit auf praktisch-sozialen Grundlagen. Ebenso gab er durch den Ausbau allgemein bildender Möglichkeiten im Rahmen der katholischen Arbeitervereine und die Einrichtung sozialer Kurse für Geistliche unzähligen Menschen neue Impulse. Wesentliches Anliegen war ihm dabei, die Arbeiterschaft zu einer sich auf das reale Leben auswirkenden religiösen Haltung zu erziehen und den katholischen Klerus dichter an die soziale Wirklichkeit heranzuführen. Diese Gedanken vertrat er auch in der „Westdeutschen Arbeiterzeitung", die er 1897 mit seinen Freunden gründen konnte. Sein ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein vor der Arbeiterschaft und seine stetige Forderung nach sozialer Gerechtigkeit trug ihm den Ruf ein — wie beispielsweise auch Kaplan Dr. Braun, dem langjährigen Arbeitsminister der Weimarer Zeit — zu den sogenannten roten Kaplänen zu zählen.

Der gesellschaftliche und soziale Weitblick Müllers erwies sich gleichfalls, als Ende des Jahrhunderts die Diskussion über die Gründung christlicher Gewerkschaften in katholischen Kreisen zu heftigen Konflikten geführt hatte. In dieser Situation trug der weitherzige, tatkräftige, politisch bewußte Geistliche viel zu der Beendigung des Streites bei, indem er für die Idee der christlichen Gewerkschaften auch seinen geistlichen Mit-brüdern gegenüber entschieden eintrat. Viele seiner Anregungen auf sozialpolitischem Gebiet wurden von den Politikern des Zentrums ausgenommen. Brüning, mit dem ihn, wie auch mit Stegerwald und Ersing, eine langjährige Freundschaft verband, schätzte das Urteil des erfahrenen Mannes hoch.

Im Jahre 1904 veröffentlichte Müller seine Doktorarbeit über die Geschichte der christlichen Gewerkschaften Deutschlands. Auf seinen Interessen an den Gewerkschaftsfragen beruhten die freundschaftlichen Beziehungen, die ihn über die späteren schweren Jahre bis zu seinem Tode mit Heinrich Körner, Jakob Kaiser und Karl Arnold verbanden. Für seine ernste geistige Auseinandersetzung mit den sozialen Zeit-problemen zeugten auch seine Schriften, „Die Entwicklung der Volkswirtschaft" und „Die Entwicklung des Sozialismus", wo es hieß: „Das Gebot, den Nächsten zu lieben wie uns selbst, umfaßt auch die Liebe zur Gesamtheit des Volkes, fordert Einschränkung der eigenen Interessen zugunsten des Gesamtwohles. Gleichwohl erscheint die Forderung eines christlichen Sozialismus weniger zweckentsprechend, weil ein großer Teil der Menschheit sich nicht zum christlichen Glauben bekennt. Der Inhalt der christlichen Forderung braucht deshalb nicht geschmälert zu werden, denn letzten Endes sind die Ziele, die eine christliche Lebensauffassung für die künftige Gemeinschafts-und Wirtschaftsordnung stellt, auch von allen jenen zu erstreben, die ohne Voreingenoutmenhett gegen Glaube und Religion von der Sorge uni die Gesundung des Allgeweinwohls geleitet werden. Es kommt darauf an, zur Gemeinsamkeitsarbeit an der Verwirklichung der Ziele alle Gutwilligen zu vereinen“. Nachdem Otto Müller 1902 Diözesanpräses für die Erzdiözese Köln geworden war, wurde er dieses Amtes, das er fast drei Jahrzehnte verwaltete, von dem damaligen Kölner Kardinal von Hartmann in den Jahren 1917— 18 wegen seiner offenen Stellungnahme gegen das Dreiklassenwahlrecht in Preußen vorübergehend enthoben. Als Diözesanpräses berief er, unterstützt von dem Vorbandsvorsitzenden Josef Joos, 1927 Nikolaus Groß zum Redakteur der „Westdeutschen Arbeiterzeitung“ und Bernhard Letterhaus zum Verbandsekretär der westdeutschen katholischen Arbeitervereine. Zwei Jahre später gründete er das Kettelerhaus als Mittelpunkt seiner vielseitigen Bestrebungen.

Nach 193 3 wurde das Kettelerhaus eine Zentrale des Widerstandes im Kölner Raum. In diesen Jahren erwies sich die ganze seelische Kraft, die diesem bescheidenen Manne stillen und doch so weit reichenden Wirkens eigen war. Darüber berichtete Grete Letterhaus: „In der Haus-kapelle des „Kettelerhauses“ in Köln beim täglichen Opfer, umgeben von Mitarbeitern, ihren Frauen und Kindern, an Gedenktagen und kirchlichen Hochfesten, im Kreise der Freunde fühlte sich Dr. Müller gerade in der schweren Zeit als Haupt einer Familie, die er geistig und leiblich zu betreuen hatte. In seiner Wohnung hörten er und seine Mitarbeiter regelmäßig durch ausländische Sendungen, was von der im Kriegssturm stehenden Welt zu wissen notwendig, vom Hitlerstaat aber nicht zu erfahren war."

Da Prälat Otto Müller mehrmals zur Gestapo gerufen wurde, rieten besorgte Freunde zur Emigration. Doch Müller blieb, um jenen beizustehen, die den Nationalsozialismus, in dem Müller ein „nationales Unglück“ sah, beseitigen wollten. Wie schwer er dies alles nahm, zeigte sich daran, daß er, nachdem er als Zeuge bei einer Gerichtsverhandlung zum Hitlergruße veranlaßt wurde, tagelang niemandem die Hand gab, weil diese „verunreinigt" sei.

Um so mehr war er im Kettelerhaus gemeinsam mit Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus, Heinrich Körner, Jakob Kaiser und Elfriede Nebgen um den noch möglichen Zusammenhalt der katholischen Arbeiterschaft und ein gemeinsames Vorgehen mit anderen Gruppen des Widerstandes bemüht. Bernhard Letterhaus, der als Hauptmann ins OKW berufen wurde, stellte Verbindung zu der militärischen Opposition und Elfriede Nebgen und Jakob Kaiser die Verbindung zu Leuchner und Goerdeler her. „Dr. Goerdeler hat mehrmals bei Dr. Müller übernachtet", schrieb der Verbandssekretär Dr. Hermann Joseph Schmitt. „In der Endphase der nationalsozialistischen Zeit war Dr. Müller — soviel mir bekannt ist — zweimal in Berlin, hat dort bei Jakob Kaiser gewohnt, mit ihm, seiner Frau, Habermann und mir lange Überlegungen angestellt, welche Wege einzuschlagen wären, um zum Ziel zu kommen“.

Prälat Dr. Otto Müller war an der Ausarbeitung des Organisationsplanes beteiligt, der von führenden christlichen und sozialdemokratischen Gewerkschaftlern und Vertretern des deutsch-nationalen Handlungsgehilfenverbandes ausgearbeitet wurde. Obwohl Müller die Bestrebungen Goerdelers in jeder nur möglichen Form zu stützen versuchte, hörte er aufgeschlossen die besorgte Frage Delps, ob nicht im Goerdelerkreis konservative Wirtschaftvorstellungen zu stark vertreten seien, wogegen der Moltkekreis größeres Verständnis für die katholisehen-sozialen Gedanken zeige. Mit Pater Delp und Pater Laurentius Siemer von Walberberg besprach Otto Müller auch Fragen einer kommenden demokratischen Verfassung. In diesem Zusammenhang suchte ihn Joseph Wirmer mehrmals auf.

Als mit wachsendem Druck die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit im Kettlerhaus immer mehr eingeschränkt wurden, bot die Fuldaer Zentrale für Männerseelsorge unter Leitung von Domkapitular Wohlgemuth den Freunden die Möglichkeit zu weiteren Zusammenkünften, bei denen auch vorsorgliche Maßnahmen für die Unterbringung besonders Gefährdeter getroffen wurden.

Nach seiner Verhaftung Ende August 1944 sahen ihn seine mitgefangenen Freunde zuletzt auf den Rundgängen im Zuchthaus Tegel. Dort gewannen sie die schmerzliche Erkenntnis, daß Otto Müller fast völlig erblindet war. Die vielen qualvollen Verhöre, denen der Alternde ausgesetzt war, hatten zudem andere körperliche Leiden verstärkt. Der Siebzigjährige aber trug alles klaglos in selbstverständlicher Würde, bis ihn der Tod erlöste.

Clemens August Graf von Galen

16. 3. 1878 — 22. 3. 1946 Die mutigen Predigten des Bischofs von Münster, Graf von Galen, im Sommer 1941 — die nicht gedruckt werden konnten, doch von verschiedensten Gruppen vervielfältigt und von Hand zu Hand in Deutschland weitergegeben wurden — veranlaßten die nationalsozialistische Gauleitung Westfalens, aber auch die Reichsführung SS und den Reichskirchenminister Kerri zu der Forderung: „daß in diesem Fall die ein-zigste Maßnahme, die propagandistisch und strafrechtlich ergriffen werden kann, durchgeführt wird, daß nämlich der Bischof von Münster erhängt wird.“

Hitler und Goebbels dagegen fürchteten, daß „wenn etwas gegen den Bischof unternommen würde, die Bevölkerung Münsters während des Krieges abzuschreiben sei. Dazu könne man ruhig noch ganz Westfalen nehmen.“ Damit blieb der Bischof unangetastet.

Clemens August Graf von Galen entstammte einem alten Geschlecht, das seit dem 12. Jahrhundert in Westfalen ansässig war. Nachdem er sein Studium beendet hatte, war er seit 1904 als Bischöflicher Kaplan bei seinem Oheim, dem Weihbischof Maximilian Gereon von Galen in Münster tätig, und im Jahre 1906 wurde er aus dem katholischen Westen an die St. Matthiaskirche in Berlin versetzt. Dort wurde er 1919 Pfarrer und wirkte daneben mehrere Jahre als Präses des Berliner Gesellenvereins. Im April 1929 kehrte er nach Münster als Pfarrer der Stadt-und Marktkirche St. Lamberti zurück.

Seit seinen Berliner Jahren nahm Galen aufmerksam an den politischen und sozialen Auseinandersetzungen teil. Von gütigem Wesen und geruhsamer Festigkeit trat er dennoch unbeugsam kämpferisch den unchristlichen Zeitströmungen entgegen. Bei seiner tief konservativen und patriarchalischen Auffassung sah er in den revolutionären Ideen von 1918 schwere Gefahren für die ihm heiligen Werte der Tradition.

Als eine — zugleich durch seine Familiengeschichte geformte — kirchliche Führergestalt mit ausgeprägtem Sinn für Autorität erhielt er im September 1933, bei der schwierigen Lage der katholischen Kirche nach der Machergreifung Hitlers, den Ruf auf den Bischofsstuhl der Diözese Münster.

Graf von Galen hatte nach dem im Juli 1933 abgeschlossenen Konkordat als einer der ersten deutschen Bischöfe seinen Eid vor den Vertretern des Dritten Reichs zu leisten. Hermann Göring sprach bei der Vereidigung von der Notwendigkeit, auch die Geistlichen für den Nationalsozialismus zu gewinnen; die SA bildete auf Anordnung der Parteibehörden Spalier bei der kirchlichen Feier zur Bischofsweihe, und die Parteifunktionäre —vom Gauleiter bis zum Blockwart — überbrachten persönlich dem Bischof ihre Glückwünsche.

Die Parteiführung glaubte, auf den neuen Bischof als den „Mann von rechts“ bauen zu können. Aber schon in seinem ersten Fasten-hirtenbrief am 29. Januar 1934 wurde der unüberbrückbare Gegensatz sichtbar, als Bischof von Galen der nationalsozialistischen Rassenlehre mit Entschiedenheit begegnete: Der Christ kenne eine höhere Art der Blutsverbundenheit — die Gemeinschaft der Erlösung, welche in Christus die Menschen aller Völker, aller Zeiten umschließt. Wenige Wochen später erregten die offenen Worte seines Osterhirtenbriefes gegen das „positive Christentum“ der Partei weit über Westfalen hinaus Aufsehen, sie wurden zum Anlaß erster Konflikte mit den örtlichen Partei-behörden. In den folgenden Jahren wies Bischof von Galen durch Eingaben bei den zuständigen Ministerien und der Wehrmachtsführung, vor allem aber immer neu in seinen Predigten, den Totalitätsanspruch des Regimes zurück. „Ein Gehorsam, der die Seelen knechtet, der in das innerste Heiligtum der menschlichen Freiheit, in das Gewissen greift, ist roheste Sklaverei“, sagte er in einer Predigt in Xanten im 6. September 1936. Ebenso empörte den Sproß des alten deutschen Geschlechtes der überhebliche Anspruch einer „deutschen Herrenrasse“. „Wenn jemand aufsteht und behauptet, daß deutsches Blut aus ihm spreche: Hier stehe ich, und ich behaupte dasselbe von mir — ich weiche vor ihnen nicht zurück."

Die Beschlagnahme mehrerer Klöster in Münster für Parteizwecke wurde zum Anlaß der ersten seiner drei berühmt gewordenen Predigten am 13. Juli 1941: „Der physischen Übermacht der Geheimen Staatspolizei steht jeder deutsdie Staatsbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber. Das haben viele deutsdie Volksgenossen im Laufe der letzten Jahre an sich erfahren. Keiner von uns ist sicher, und mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewußt sein, daß er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Gestapo eingesperrt wird. Weil ich dann nicht mehr öffentlich sprechen kann, darum will idt heute öffentlich sprechen. Die Gerechtigkeit ist das einzig tragfeste Fundament aller Staatswesen. Das Recht auf Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein unentbehrlicher Teil jener sittlichen Gemeinschaftsordnung. Der Staat, der diese von Gott gewollte Grenze überscltreitet und die Bestrafung Unschuldiger zuläßt oder veranlaßt, untergräbt seine eigene Autorität und die Achtung vor seiner Hoheit in den Gewissen der Staatsbürger. Die Pflicht meines bischöflichen Amtes, für die sittliche Ordnung einzutreten, die Pflicht meines Eides, in dem ich vor Gott und vor dem Vertreter der Reichsregierung gelobt habe, nach Kräften , jeden Schaden zu verhüten, der das deutsche Volk bedrohen könnte 1, drängt mich, angesichts der Taten der Geheimen Staatspolizei diese Tatsadie öffentlich warnend auszusprechen“.

Eine Woche später, am 20. Juli, ergriff Bischof von Galen erneut das Wort: „Hart werden! Fest bleiben! Wir sind in diesem Augenblidt nicht Hammer, sondern Amboß. Fragt den Schmiedemeister und laßt es euch von ihm sagen: Was auf dem Amboß geschmiedet wird, erhält seine Form nicht nur von dem Hammer, sondern auch vom Amboß. Wie hart der Hammer auch zuschlägt, der Amboß steht in ruhiger Festigkeit da und wird noch lange dazu dienen, das zu formen, was neu geschmiedet wird. Das sind die zu Unrecht Eingekerkerten, die schuldlos Ausgewiesenen und Verbannten. Gott wird ihnen beistehen, daß sie Form und Haltung christlicher Festigkeit nicht verlieren, wenn der Hammer der Verfolgung sie bitter trifft und ihnen ungerechte Wunden schlägt. Werdet hart! Bleibet fest! Bleibet standhaft! Wie der Amboß unter den Hammerschlägen. Es kann sein, daß der Gehorsam gegen Gott, die Treue gegen das Gewissen, mir oder euch das Leben, die Freiheit oder die Heimat kostet. Aber lieber sterben als sündigen! Möge Gottes Gnade, ohne die wir nichts vermögen, euch und mir diese unerschütterliche Festigkeit geben und erhalten“.

Doch den „wohl bisher stärksten Angriff gegen die deutsche Staats-führung, der seit Jahrzehnten überhaupt vorgenommen ist“, nannte ein Bericht des SS-Sicherheitsdienstes die Predigt des Bischofs von Münster am 3. August 1941, in der er öffentlich die Tötung Geisteskranker anklagte: „Es handelt sich um unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern. Arme Menschen, kranke Menschen, unproduktive Mensdien meinetwegen! Aber haben sie damit das Recht auf Leben verwirkt? Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind? Dann braucht also nur irgendein Geheimerlaß anzuordnen, daß das bei den Geisteskranken erprobte Verfahren auch auf andere . Unproduktive“ auszudehnen ist, daß es auch bei den unheilbar Lungen-kranken, bei den Altersschwachen, bei den Altersinvaliden, bei den sdcwerkriegsverletzten Soldaten anzuwenden ist. Wer kann dann noch Vertrauen haben zu seinem Arzt? Es ist nicht auszudenken, welche Verwilderung der Sitten, weldt allgemeines Mißtrauen bis in die Familien hineingetragen wird, wenn diese furchtbare Lehre geduldet, angenommen und befolgt wird. Wehe den Menschen, wehe unserem deutsdien Volke, wenn das heilige Gottesgebot: , Du sollst nicht töten , nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!“

Die Predigten hatten eine starke, immer weiter um sich greifende Unruhe in der Bevölkerung hervorgerufen, hieß es in Meldungen des SS-Sicherheitsdienstes. Doch auf den Rat Goebbels verwarf Hitler alle Vorschläge, mit drastischen Maßnahmen gegen Bischof Galen vorzugehen, und ordnete mit dem Datum vom 30. Juli 1941 an, daß jede weitere Beschlagnahme von kirchlichem oder klösterlichem Vermögen zu unterbleiben habe. Wenige Tage später gab Hitler nach den Aussagen Dr. Karl Brandts im Nürnberger Ärzteprozeß auch Befehl, die Tötung Geisteskranker vorläufig einzustellen.

Auf den Vorwurf Hermann Görings, daß sein „ganzes Verhalten“ mit seinem Eid nicht zu vereinbaren sei, antwortete dann der Bischof in einem Brief vom 16. März 1942: „Heute kann ich erklären, daß idt in der seither verflossenen Zeit nach dem Zeugnis meines Gewissens den Gott unserem Herrn in Ihre Hand geleisteten Eid treu gehalten und niemals verletzt habe. Wenn ich durdt Eingaben an den Führer und Reichs-kanzler, an die Herren Minister und an andere Behördenvertreter und auch in einigen meiner Predigten und Hirtenbriefe auf hervorgetretene Mißstände und heraufziehende Gefahren hingewiesen und auf Abstellung gedrängt habe, so geschah das in Erfüllung meiner Amtspflichten und nicht zuletzt mit der Absicht und zu dem Ziel, getreu meinem Eide jeden Schaden nach Kräften zu verhüten, der das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens bedrohen könnte.“

Als im Oktober 1944 das Bischöfliche Palais durch Bomben zerstört wurde, mußte der Bischof nach Sendenhorst übersiedeln. Von dort half er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, um den Flüchtlingen und obdachlos Gewordenen Erleichterung zu schaffen. Dort erlebte er auch den Einmarsch der alliierten Truppen als „ein erschütterndes Erlebnis.“ Vor den zuständigen Militärbehörden trat Galen für Milderung der Nachkriegshärten und für Gerechtigkeit gegenüber dem deutschen Volk ein. Nach einem Interview berichtete ein englischer Journalist: „Galen ist von kindhafter Einfachheit und Geradheit im Benehmen, trotz seiner vornehmen Herkunft und seines kirchlichen Ranges ein bescheidener Mann und in etwa bestürzt über das hohe Ansehen, daß er bei Katholiken und Nichtkatholiken in aller Welt genoß. — Den größten Eindruck wohl hinterläßt seine Geistigkeit, sein zartes Mitgefühl für die Opfer des Krieges und seine Bereitschaft, alles zu opfern, um die Leiden seines Volkes zu mildern.“ Auch in jenen Stunden wehrte Galen jeglichen Hinweis ab, jemals etwas gegen Deutschland gesagt zu haben.

Im März 1946 reiste Bischof von Galen nach Rom, um den Kardinalshut entgegenzunehmen. Auf seinem ganzen Weg wurde sein Erscheinen mit außergewöhnlichen Beifall und Jubel ausgenommen. Auf die gleiche Begeisterung traf er in Deutschland, als er am 16. März nach Münster zurückkehrte. Doch schon am nächsten Tag warf ihn eine plötzliche Erkrankung nieder. Sie brachte dem „Löwen von Münster“ am 22. März 1946 den Tod.

Fussnoten

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