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Gedanken über die amerikanische Diplomatie | APuZ 13/1957 | bpb.de

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APuZ 13/1957 Gedanken über die amerikanische Diplomatie „Oder Neiße” -Eine Dokumentation Politik und Zeitgeschichte

Gedanken über die amerikanische Diplomatie

HENRY A. KISSINGER

Mi. Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir im folgenden den Beitrag von Henry A. Kissinger, erschienen in der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" (Oktober 1956).

Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ist zweifellos in eine Sackgasse geraten. Seit einigen Jahren sind wir auf der Suche nach einer Konzeption, die es uns ermöglicht, mit der Verlagerung des Kalten Krieges von der Errichtung von Verteidigungsschranken auf einen Kampf um die Gefolgschaft fertig zu werden. Aber die neue sowjetische Taktik hat zusammen mit der Zunahme der Vernichtungskraft der neuen Waffen zu einer Krise in unserem Bündnissystem und beträchtlichen Gewinnen der Sowjetunion bei den Völkern geführt, die keinem der Macht-blöcke angehören.

Es wäre jedoch falsch, unsere Schwierigkeiten diesem oder jenem politischen Fehler zuzuschreiben oder einer bestimmten Regierung zur Last zu legen, obschon die jetzige mit ihrem „Normalitäts" -Anspruch die Probleme nicht verringert hat. Es trifft zu, daß unsere Politik wegen unserer Vorliebe für happy-ends in eine Sackgasse geraten ist. Die sowjetischen Führer haben die Verhandlungen zu ihrem Vorteil ausschlachten können, weil wir auch weiterhin an veralteten Vorstellungen geklebt haben. Wie in allen Tragödien, sind ein großer Teil unserer Probleme trotz unserer guten Absichten entstanden und sind nicht durch unsere schlechten, sondern unsere besten Eigenschaften verursacht worden. Was deshalb zur Diskussion steht, ist nicht eine Politik, sondern eine Haltung. Dieser Artikel wird versuchen, sich mit dieser Haltung und ihren Folgen für unsere Verhandlungsführung und Bündnispolitik auseinanderzusetzen. tiv“, wenn es nicht erfahrungs„bedingt“ ist. Das ist die Ursache für den fehlenden Dogmatismus und für die Ungezwungenheit der sozialen Beziehungen im Lande selbst Aber die Folgen für die Führung der Außenpolitik sind verderblich. Außenpolitik ist die Kunst, Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abzuwägen. Die Meisterschaft besteht darin, die Möglichkeitsnuancen zu erfassen. Der Versuch, Politik wie eine Wissenschaft zu betreiben, muß zur Erstarrung führen; denn nur die Risiken sind gewiß, die günstigen Gelegenheiten sind mutmaßlich. Die Auswirkungen der Ereignisse lassen sich

Methodologische Zweifel

Abbildung 1

Es ist begreiflich, daß eine Nation, die eineinhalb Jahrhunderte mit der Ordnung ihrer innenpolitischen Angelegenheiten beschäftigt gewesen ist, dann versucht, das innenpolitische Schema auch auf die Außenpolitik anzuwenden. Aber gerade der Erfolg des amerikanischen Experimentes und das spontane Wachstum seiner Sozialstruktur haben jenes Dilemma dem sich jedes Land zuzeiten gegenübersieht, verdeutlicht: Nämlich die Vorstellung, die es von sich selber hat, mit der zu versöhnen, die andere Länder von ihm haben. Eine Nation empfindet sich selbst als einen Ausdruck der Gerechtigkeit, und je spontaner die Sozialstruktur gewachsen-ist, desto mehr trifft dies zu. Denn eine Regierung funktioniert nur wirksam, wenn die Mehrzahl der Bürger freiwillig gehorcht, und sie wird nur soweit gehorchen, wie sie die Forderungen ihrer Regierung für gerecht hält. Für andere Nationen jedoch ist der Staat eine Kraft, gegen die zwangsläufig ein Gegengewicht geschaffen werden muß. Denn die strategische Planung eines Landes muß nicht nur in Rechnung stellen, was die Gegenseite beabsichtigt, sondern wessen sie fähig ist. Jede Außenpolitik trägt eine zweifache Norm in sich: Im Lande selbst dienen die selbst entwickelten absoluten Normen als innerstaatliche Rechtsbasis der Außenpolitik. Jenseits der Grenzen aber wird das, was im eigenen Lande außenpolitisch für recht gilt, zu einem Programm, das auf dem Verhandlungswege Kompromissen unterworfen werden kann. Wenn Institutionen und Wertbegriffe der Staaten bezüglich der internationalen Ordnung ungefähr übereinstimmen, dann tritt diese Nicht-Vergleichbarkeit möglicherweise nicht in Erscheinung. In einer revolutionären Periode, wie in der gegenwärtigen, beeinträchtigt sie die Beziehungen zwischen den Staaten erheblich.

Unsere Einstellung zur Außenpolitik wird in erster Linie vom amerikanischen Empirismus und seiner Forderung nach methodologischer Gewißheit bestimmt: Nichts ist „wahr“, wenn es nicht „objektiv“ ist, und es ist nicht „objeknicht „sicher“ voraussagen, bis die Ereignisse eingetreten sind, und wenn sie eingetreten sind, ist es zum Eingreifen zu spät. Empirismus in der Außenpolitik führt zur Vorliebe für ad hocLösungen. Ihre anti-dogmatische Einstellung verleitet unsere politischen Führer dazu, die Bindung des eigenen Landes bis nach den vollzogenen Tatsachen hinauszuschieben. Nach den vollzogenen Tatsachen aber hat sich gewöhnlich schon eine Krise entwickelt oder ist eine Gelegenheit verpaßt worden. LInsere Politik ist deshalb darauf eingestellt, sich mit krisenhaften Situationen zu befassen. Es fällt ihr schwer, ein langfristiges Programm aufzustellen, das diesen Situationen vorbeugen könnte.

Als Symptom für unser Bedürfnis nach methodologischer Gewißheit ist die große Anzahl Aus-schlisse zu werten, die mit der Prüfung und Ausarbeitung politischer Maßnahmen beauftragt ist. Gerade die Vielzahl der Ausschüsse erschwert eine reditzeitige Entscheidung. Sie begünstigt den übertriebenen Einfluß untergeordneter Stellen, welche die Grundmemoranda vorbereiten, und überhäuft unsere höheren Regierungsangestellten mit unwichtigen Arbeiten. Dank unserer Vergötterung des Spezialistentums verhandeln die obersten Regierungsstellen unter sich über Landespolitik, ohne daß eine übergeordnete maßgebende Stelle vorhanden ist, welche die Lage in ihrer Gesamtheit beurteilen oder Entscheidungen über einen längeren Zeitraum durchführen könnte. Dies rührt von der Kluft zwischen großer Strategie und einzelnen taktischen Zügen, zwischen der Definition allgemeiner Zielsetzungen — so vage, daß sie zum Gemeinplatz wird —, und der Beschäftigung mit aktuellen Problemen her. Die Kluft wird nur dann überbrückt, wenn eine Krise die bürokratische Maschinerie zu schnellerer Gangart zwingt, und dann bleibt der obersten Führung nur die Wahl, den administrativen Vorschlägen zuzustimmen. Kurzum, wir versuchen, die politischen Probleme mit administrativen Mitteln zu lösen.

Die Versuchung, Politik vom Administrativen her zu betreiben, ist für eine Regierung wie die unsrige, die in erster Linie auf die Führung der Innenpolitik ausgerichtet ist, immer vorhanden. Aber das Wesen der Politik und das der Verwaltung sind voneinander grundsätzlich verschieden. Eine weitschauende Politik erfordert schöpferische Kraft, gute Verwaltung verlangt Routine und kann auch Mittelmäßigkeit vertragen. Politik erfordert die Einkalkulierung von Risiken, Verwaltung die Vermeidung jeglicher Abweichung vom vorgezeichneten Wege. Der Versuch, Politik vom Administrativen her zu interpretieren, führt dazu, sie nicht so sehr danach zu beurteilen, welche Ziele erreicht, sondern welche Fehler vermieden worden sind. Es ist kein Zufall, daß die meisten großen Staatsmänner sich im Widerspruch zu den Sachverständigen ihres Außenministeriums befunden haben, denn gerade die Kühnheit einer staatsmännischen Konzeption macht sie für diejenigen unannehmbar, deren Hauptanliegen Sicherheit und geringstes Risiko sind.

Durch unsere methodologischen Zweifel sind wir in zweifacher Weise für sowjetische Manöver verwundbar: Einerseits wird jeder sowjetische Kurswechsel wenigstens teilweise als bare Münze genommen, denn wir können, bis zum Beweis des Gegenteils nicht wissen, ob es die „Sowjets" dieses Mal nicht auch „meinen“, und sie werden alles daransetzen, um den Beweis schuldig zu bleiben, bis diese Taktik ihren Zweck erfüllt hat. Andererseits fällt es uns schwer, unsere Taktik neuen Situationen anzupassen, so daß wir immer gerne in den Kategorien der vorletzten Bedrohung sprechen. Das paradoxe Ergebnis ist, daß wir, die Empiristen, allgemein als starr, einfallslos und sogar als etwas zynisch erscheinen, während die dogmatischen Bolschewisten Wendigkeit, Wagemut und Scharfsinn entfalten. Daran ist der Empirismus schuld, der uns im wesentlichen zu einer Reaktionspolitik, d. h. zu improvisierten Gegenzügen auf jede sowjetische Bewegung verurteilt, während die Bedeutung, welche die Sowjets der Theorie zumessen, ihnen die Sicherheit gibt, aktive Politik zu treiben, zu manövrieren und Risiken einzugehen. Gerade ihre Aktivität zwingt uns, das Risiko von Gegenzügen auf uns zu nehmen, und verbraucht unsere Energien für hauptsächlich defensive Manöver.

Keine Oberbetonung der Theorie

Die Bereitschaft zur Tat muß nicht von einer Theorie herrühren. Eine Überbetonung der Theorie kann sogar dazu führen, daß der Kontakt mit der Wirklichkeit verloren geht. Bei vielen Völkern — in England zum Beispiel — hat sich die Politik aus der festen Tradition einer Landesstrategie entwickelt. Im ganzen 19. Jahrhundert war es ein Grundsatz der englischen Politik, daß Antwerpen nicht in die Hände einer Großmacht fallen dürfte. Dieser Grundsatz stützte sich auf keine ausgeklügelten metaphysischen Liberlegungen, sondern allein auf die Tradition der englischen Seemacht, deren Erfordernisse so allgemein anerkannt wurden, daß sie niemals zur Diskussion gestellt worden sind. Da es uns an außenpolitischer Tradition fehlt, legen wir zuviel Gewicht auf den Empirismus, wodurch es uns schwer fällt, bei unseren politischen Maßnahmen den richtigen Zeitpunkt zu berücksichtigen. Wir übersehen, daß Politik zweidimensional geführt werden muß, nämlich zeitlich und räumlich, und daß eine Maßnahme nur dann richtig ist, wenn sie im geeigneten Augenblick durchgeführt wird. Natürlich vergrößert unsere schwerfällige Verwaltungsmaschinerie das Problem außerordentlich. Außerdem gehen wir in unseren Überlegungen so vor, als ob eine Handlungsweise ewig gültig sei, und eine Maßnahme, die den Erfordernissen eines gegebenen Augenblicks entspricht, sich ein Jahr später nicht gegenteilig auswirken könnte. Aus diesem Grunde fehlt unserer Politik ein Gefühl für die Nuance und die Wendigkeit, das gleiche Thema mit gewissen Abänderungen wieder aufzugreifen, wie es die Sowjets mit so viel Erfolg getan haben. Für uns ist die politische Planung abgeschlossen, wenn der Nationale Sicherheitsrat eine Entscheidung getroffen hat. Lind in der Tat ist der Weg bis zur Entscheidung so mühselig und eine Neuorientierung daher so „qualvoll“, daß uns die Überprüfung einer überlebten Politik widerstrebt.

Eine schriftliche politische Erklärung läuft zumeist auf Gemeinplätze hinaus. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn sie auf bestimmte Situationen angewandt werden soll. Lind wenn wir auch oft die richtigen Maßnahmen getroffen haben, so ist es uns nicht leicht gefallen, uns über einen längeren Zeitraum den Erfordernissen einer Situation anzupassen. Den unterschiedlichen Gebrauch, den die Sowjets von der Zeit zwischen der „Gipfelkonferenz“ und der Genfer Außenministerkonferenz gemacht haben, illustriert diesen Punkt. Die Sowjets stellten diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland her und verschafften sich selbst die Möglichkeit, jetzt mit beiden deutschen Regierungen direkt zu verkehren. Sie benutzten die Friedensoffensive, um die NATO zu unterminieren, und vereinbarten den Waffenhandel mit Ägypten. Als wir nach Genf zurückkamen, sahen wir uns einer Reihe von vollzogenen Tatsachen gegenüber. Die Konferenz war im voraus zum Scheitern verurteilt.

Unsere Geschichte kennt keine Katastrophen

Ein weiteres wesentliches Merkmal unserer Einstellung zur Außenpolitik ist unser Mangel an tragischen Erfahrungen. Obgleich auch wir ernste Not und Mühsal kennengelernt haben, kennt unsere Geschichte keine Katastrophen. Tatsächlich stellt die innenpolitische Entwicklung Amerikas einen einmaligen Erfolg dar, außerordentlicher Wagemut wurden belohnt und große Hindernisse überwunden. Es ist daher nicht erstaunlich, daß vielen unserer führenden Männer, insbesondere der Wirtschaft, die Warnrufe vor drohenden Gefahren und unmittelbar bevorstehenden Katastrophen wie Kassandrarufe unverständlicher „Intellektueller" in den Ohren klingen. Ist Mangel an Wirklichkeitssinn nicht charakteristisch für Intellektuelle, und weist die amerikanische Wirklichkeit nicht unvergleichlichen Reichtum verbunden mit einmaliger Expansion auf?

Die Staatssekretäre Humphrey und Wilson sind wegen ihrer Sparmaßnahmen auf dem Verteidigungssektor stark kritisiert worden. Aber um ihnen gerecht zu werden, sollte man für den psychologischen Hintergrund ihrer Entscheidungen Verständnis haben: trotz all der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen können sie einfach nicht glauben, daß Fehlkalkulationen im Atomzeitalter mit einer nationalen Katastrophe bestraft werden können. Ihr Verstand begreift es vielleicht, aber ihr Herz kann nicht glauben, daß der Staat, den sie mit aufgebaut haben, vom Erdboden verschwinden könnte, wie Rom oder Karthago oder Byzanz, die ihre Bewohner vermutlich auch für ewig gehalten haben. Diese Einstellung ist schuld daran, daß wir kein Gefühl für die Dringlichkeit haben, und sie stärkt unsere Liberzeugung, man könnte immer noch einmal von vorne anfangen, und die Verdoppelung unserer Anstrengungen sei die schlimmste Konsequenz, die wir aus unseren Fehlern ziehen müßten. Der unwiderrufliche Irrtum ist noch kein Bestandteil amerikanischer Erfahrung.

Einschätzung der Machtverhältnisse

Eng verbunden mit diesem Problem ist unsere Abneigung, in Machtbegriffen zu denken. Selbstverständlich hat sich sowohl die wirtschaftliche wie auch die geographische Ausdehnung Amerikas nicht ohne klugen Machteinsatz vollzogen. Aber unser kalvinistisches Erbe erforderte Erfolg, als Beweis für das Attribut der Gerechtigkeit. Man glaubte, daß selbst der Besitz eines großen Vermögens, wie es auch immer erworben sein mochte, fast ausnahmslos eine soziale Verpflichtung auferlegte. Die großen Stiftungen sind ein typisch amerikanisches Phänomen. Als Nation haben wir von unserer Macht fast nur einen verschämten Gebrauch gemacht, als sei sie von Natur aus etwas Schlechtes. Wir wollten gerne um unserer selbst willen geschätzt werden, und wir wollten unsere Erfolge der Überzeugungskraft unserer Prinzipien und nicht unserer Stärke zu verdanken haben. Das Schuldbewußtsein, das uns beim Einsatz unserer Macht befällt, hat uns veranlaßt, alle Kriege in Kreuzzüge zu verwandeln, und dann von unserer Macht absoluten Gebrauch zu machen. Wir haben beim Einsatz unserer Macht selten den Mittelweg eingeschlagen und wenn, dann nur widerwillig.

Aber Außenpolitik kann nicht ohne Wissen um die Machtverhältnisse getrieben werden. Na-türlich ist die gegenwärtige Revolution nicht nur durch einen Machteinsatz zu meistern. Aber sofern wir nicht wenigstens ein Gleichgewicht im Machtverhältnis zwischen uns und dem sowjetischen Block, aufrechterhalten, werden wir keine positiven Maßnahmen zu unternehmen vermögen. Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts kann uns vor sehr schwierige Entscheidungen stellen. Wir werden sicherlich außerordentlich zweideutigen Situationen, wie Bürgerkriegen und inneren Umstürzen gegenübergestellt werden. Jedes erfolgreiche • sowjetische Vorgehen erschwert in gleichem Maße unsere moralische Position. Indochina war zweideutiger als Korea; der sowjetische Waffenhandel mit Ägypten zweideutiger als Indochina; die Suez-krise zweideutiger als der Waffenhandel. Zweifelsohne sollten wir versuchen, diesen Vorkommnissen vorzubeugen. Aber wenn sie nun einmal eingetreten sind, müssen wir uns in einer Situation, die nur die Wahl zwischen mehreren Übeln erlaubt, zum Handeln und zum aufraffen. Wir sollen niemals unsere Risiko Prinzipien aufgeben, müssen aber wissen, daß wir sie nicht aufrechterhalten können, wenn wir nicht überleben.

des Friedens Vom Wesen

In enger Verbindung mit unserer Abneigung, in Machtbegriffen zu denken, steht unsere Vorstellung vom Wesen des Friedens. Wir sind der Ansicht, daß der Frieden die „normale“ Form der zwischenstaatlichen Beziehungen, daß er gleichbedeutend mit einem Gefühl der Eintracht ist und daß man ihn als politisches Ziel unmittelbar anstreben kann. Dies sind Binsen-wahrheiten, denen in unserer politischen Diskussion selten widersprochen wird. Beide großen Parteien behaupten, daß sie für einen dauerhaften Frieden arbeiten, selbst wenn sie über das „Wie“ verschiedener Ansicht sind. Beide geben Erklärungen ab, die besagen, daß an irgendeinem Wundertag, vielleicht nach einer Vier-Mächte-Konferenz, „der Friede ausbrechen werde“.

Keine Vorstellung könnte gefährlicher sein.

Erstens würden die internationalen Beziehungen durch die Polarisierung der Macht labil werden, selbst wenn es keine ideologischen Meinungsverschiedenheiten gäbe und die sprunghafte technische Entwicklung ist dazu angetan, das Gefühl der Unsicherheit noch zu erhöhen.

Mehr noch, wenn sich eine Macht oder Mächte-gruppen den Frieden — als Nicht-Kriegszustand 'aufgefaßt — zum unmittelbaren Ziel gesetzt hatte, dann waren die internationalen Beziehungen der Gnade des Staates ausgeliefert, der den Frieden auf seine Fahne geschrieben hatte.

Kein Staatsmann kann das Schicksal seines Landes ausschließlich dem dauernden guten Willen eines anderen souveränen Staates anvertrauen, und sei es auch nur, weil es die beste Garantie für den Fortbestand eines guten Willens ist, ihn nicht durch ein zu großes Mißverhältnis der Macht in Versuchung zu führen Der Friede als solcher kann deshalb niemals ein unmittelbares Ziel sein. Er ist der Ausdruck bestimmter Umstände und Machtverhältnisse. Die Diplomatie sollte ihr Augenmerk auf diese Machtverhältnisse — und nicht auf den Frieden — richten.

Es liegt offensichtlich im Interesse der Sowjetunion, unabhängig von Machtverhältnissen und begangenen Usurpationen den Frieden mit dem Zustand eines gegenseitigen Einvernehmens gleichzusetzen; denn diese Einstellung sanktioniert alle ihre Gewinne seit dem zweiten Weltkrieg.

Desgleichen liegt es im Interesse der Vereinigten Staaten, keinen Zweifel bestehen zu lassen, daß nicht nur die Schroffheit des sowjetischen Tones, sondern auch die Unnachgiebigkeit der sowjetischen Maßnahmen an den Spannungen des Kalten Krieges schuld gewesen sind. Solange die Sowjets den Eindruck zu erwecken vermögen, daß versöhnliche Erklärungen an sich schon ein Symptom für friedliche Absichten sind, können sie das Tempo der Verhandlungen kontrollieren und ohne irgendeinen Preis für das Zustandekommen des Friedens zu zahlen, aus seiner Befürwortung Nutzen ziehen. Falls den Sowjets das Privileg zugestanden wird, Verhandlungen einzuleiten, wenn es ihren Zwecken dienlich ist, und Verhandlungen straflos abzubrechen, dann wird die Diplomatie zu einem Werkzeug der sowjetischen Propaganda. Lind mit der Zeit wird die Vielfalt der sowjetischen Manöver den Zusammenhalt der freien Völker zerstören.

Damit sind wir bei einem der Hauptprobleme angelangt, dem sich die derzeitige amerikanische Diplomatie gegenübersieht: dem veränderten Charakter der Verhandlungen in einem revolutionären Zustand. Eine internationale Ordnung, deren Grundvereinbarungen von allen Großmächten anerkannt wird, könnte „legitimistisch" genannt werden. Ein System, dem eine Macht oder Mächtegruppe angehört, die sich weigert, sowohl die Vereinbarungen als auch die innere Struktur der anderen Staaten anzuerkennen, ist „revolutionär“. Eine legitimistische Ordnung macht Konflikte nicht unmöglich, aber sie begrenzt ihre Ziele. Kriege können zwar ausbrechen, doch werden sie „im Namen“ des bestehenden Systems ausgetragen, und der Friede wird als besserer Ausdruck der getroffenen Vereinbarungen gutgeheißen werden. In einem revolutionären Zustand jedoch zielen die Konflikte nicht auf einen Ausgleich innerhalb eines festen Rahmens, sondern auf den Rahmen selbst.

Zweifellos durchlaufen wir eine revolutionäre Periode. Die Stärke der Waffen steht in keinem Verhältnis zu den Zielen, gegen die sie eingesetzt werden könnten. Die Folge davon ist, daß wir uns im Augenblick beispielloser Stärke durch die Wirkung unserer eigenen Waffen gelähmt finden. Auf politischer Ebene füllen viele der kürzlich unabhängig gewordenen Staaten ihre Außenpolitik weiterhin mit der revolutionären Leidenschaft, die ihnen einst zu ihrer Unabhängigkeit verhelfen hat. Auf ideologischer Ebene geben die neuerweckten Hoffnungen und Erwartungen der Völker, die bisher nicht vernehmbar waren, und die Schnelligkeit, mit der Ideen verbreitet werden können, dem derzeitigen Gärungszustand neue Nahrung. Lind der sowjetische Block, der eifrig jegliche Unzufriedenheit für seine eigenen Zwecke auszunutzen bestrebt ist, gibt der gegenwärtigen Situation das revolutionäre Gepräge.

So ist es. trotz der versöhnlichen Erklärungen auf dem 20. kommunistischen Parteikongreß. Denn die „friedliche Koexistenz" wurde nicht als eine Anerkennung des Status quo proklamiert. Im Gegenteil, sie wurde als die wirkungsvollste offensive Taktik und als wirksames Mittel zur Zerstörung der bestehenden Ordnung gutgeheißen. Die sowjetischen Führer haben weder auf den Klassenkampf mit seiner Forderung nach unversöhnlicher Auseinandersetzung noch auf den unausweichlichen Triumph des Kommunismus mit der Diktatur des Proletariats als Endergebnis verzichtet. Natürlich hat die Sowjetunion den Krieg nicht mehr für unvermeidlich gehalten, aber nur deshalb, weil sie bald das Übergewicht an Stärke besitzen würde.

Sollte sich die Politik der „friedlichen Koexistenz“ als nicht so gewinnbringend herausstellen wie erwartet, dann können wir auf eine andere Taktik gefaßt sein. „In der Welt von heute an“, hat Mao gesagt, „ist Neutralität nur mehr ein Wort, um die Menschen zu täuschen.“ Das waren harte Lehren. Eingelullt von einem hundertfünfzig Jahre währenden, verhältnismäßig ruhigen Leben, ohne Erfahrung mit Katastrophen, haben wir die wiederholten Versicherungen der Sowjets, daß sie die Zertrümmerung des bestehenden Rahmens auch „meinen", nicht für bare Münze nehmen wollen. Wir neigten dazu, die sowjetischen Beteuerungen so zu behandeln, als seien ihre Absichten rein taktischer Natur — als ob die Sowjetunion um des Feilschens willen übertreibe oder besondere Klagen hervorbrächte, um sich dann durch einzelne Konzessionen beschwichtigen zu lassen.

Mit einer Portion Pathos bemühen wir uns, „vernünftige Gründe“ für die Abkehr der Sowjets vom Bolschewismus zu finden: Die günstige Gelegenheit, die Hilfsquellen ihres Landes zu entwickeln, die unbegrenzten Möglichkeiten der Kernenergie oder des internationalen Handels. Wir lassen dabei eine Geistesverfassung erkennen, die außerstande ist, sich mit einer Politik unbegrenzter Ziele auseinanderzusetzen.

Unser Glaube, daß ein Antagonist durch die Überzeugungskraft der Argumente besiegt werden könnte, unser Vertrauen in die Wirksamkeit des Verhandlungsverfahrens lassen die führende Rolle erkennen, die in unserer Diplomatie die Juristen mit ihrer Auffassung von der Diplomatie als einer juristischen Handlung spielen.

Aber die juristische Methode ist in einer revolutionären Situation nicht anwendbar, denn sie setzt ein System vereinbarter Regeln voraus, innerhalb deren Grenzen sich das Verhandlungsgeschick entfalten kann. -Es ist nicht das Verhandlungsverfahren als solches, das für die Regelung juristischer Streitfragen ausschlaggebend ist, sondern eine Gesellschaftsstruktur, die das Funktionieren dieses Verfahrens gestattet. Dies erklärt, warum versöhnliche amerikanische Erklärungen ihr Ziel so oft verfehlt haben. Für die Sowjets liegt der Schlüssel zum endgültigen Triumph in ihrer besseren Kenntnis der „objektiven“ Kräfte und der historischen Entwicklung. Selbst wenn sie die „subjektive“ Aufrichtigkeit der amerikanischen Erklärungen gelten lassen, so halten sie diese Erklärungen für unzureichend, um Einfluß auf die „objektiven“ Faktoren der amerikanischen Gesellschaft zu nehmen, die letztlich eine Entscheidung nerbeifübren werden. Sowjetische Führer halten versöhnliche amerikanische Erklärungen daher entweder für Heuchelei oder Dummheit, für den Ausdruck von Unwissenheit oder für Propaganda. Daher ist es zwecklos zu versuchen, die sowjetischen Führer durch eine logische Begründung oder die Beschwörung abstrakter Gerechtigkeit zu beeinflussen. Sowjetische Staatsmänner betrachten Konferenzen als Mittel zur Bestätigung der „objektiven“ Situation. Ein sowjetischer Diplomat, der Konzessionen machen möchte, kann sie zu Hause nur durch den Beweis rechtfertigen, daß sie sich als Folge eines genauen gegeneinander Abwägens der Risiken ergeben haben.

Aufgaben der Diplomatie

Kurzum, in einem revolutionären Zustand der internationalen Beziehungen hat die Diplomatie andere Aufgaben. In einer legitimistischen Ordnung versucht die Diplomatie, Meinungsverschiedenheiten durch Kompromisse bei-zulegen, um das internationale Ordnungssystem aufrecht zu erhalten. Es kommt zu Übereinkommen, weil das Abkommen an sich ein wünschenswertes Ziel ist, und weil ein stillschweigendes Übereinkommen besteht, zu einem Abkommen zu kommen. In einem revolutionären Zustand haben Übereinkommen in erster Linie eine taktische Bedeutung: die Ausgangsstellungen für eine neue Kraftprobe vorzubreiten. Verhandlungen in einer legitimistischen Ordnung haben drei Aufgaben: Die Formulierung für Übereinkommen oder Meinungsverschiedenheiten so zu wählen, daß sich keine unüberbrückbaren Gegensätze auftun; den Faden nicht abreißen zu lassen, damit ein Forum für die Gewährung von Konzessionen vorhanden ist;

einen überzeugenden Beweis für den Abschluß eines Abkommens zu liefern. In einer revolutionären Epoche verändert sich jedoch der Zweck der meisten Aufgaben: die Diplomaten können sich noch immer treffen, aber sie können nicht mehr überzeugen, da sie nicht mehr die gleiche Sprache sprechen. Stattdessen werden die Konferenzen zu einem sorgfältig vorbereiteten Schauspiel, bei dem versucht wird, die bisher noch keinem Block angehörenden Staaten auf die eine oder andere Seite zu ziehen.

Nichts ist daher fruchtloser als zu versuchen, auf Grund gewöhnlicher diplomatischer Methoden mit einer revolutionären Macht fertig werden zu wollen. In einer legitimistischen Ordnung sind einmal angemeldete Forderungen Gegenstand von Verhandlungen. Die Ansprüche werden erhoben in der Absicht, sie als Grundlage für einen Kompromiß zu verwenden. Aber in einem revolutionären Zustand sind sie programmatisch, sie stellen einen Anspruch auf unbedingte Erfüllung dar. In einer legitimistischen Ordnung gilt es als gute Verhandlungstaktik, Maximalforderungen anzumelden, weil dadurch das Zustandekommen von Kompromissen ohne Einbuße wichtiger Zielsetzungen erleichtert wird. In einem revolutionären Zustand gilt es als gute Verhandlungstaktik, Minimalforderungen zu erheben, um in dem günstigen Licht des Anwaltes einer maßvollen Haltung zu erscheinen. In einer legitimistischen Ordnung werden die Vorschläge an die Gegenseite am Konferenztisch gerichtet. Der Inhalt der Vorschläge muß daher sehr sorgfältig abgefaßt und den erforderlichen Spielraum aufweisen, damit sie nicht-als Aufforderung an die Gegenseite erscheinen, auf die eigenen Forderungen zu verzichten. In einem revolutionären Zustand wenden sich die Protagonisten am Konferenztisch weniger an einander als an die Welt im allgemeinen. In diesem Falle müssen die Vorschläge ein Maximum an Klarheit, ja sogar an Vereinfachung aufweisen, denn ihr größter Wert ist ihr symbolischer Gehalt. Kurzum, in einer legitimistischen Ordnung ist eine Konferenz ein Kampf, bei dem es um die Ermittlung von Formeln geht, die den Abschluß eines Abkommens ermöglichen sollen. In einem revolutionären Zustand ist es ein Kampf um die Symbole, welche die Menschheit erregen.

Die größte Schwäche der amerikanischen Diplomatie ist bisher immer die ungenügende Beachtung des symbolischen Aspektes der Außenpolitik gewesen. Unsere Standpunkte sind gewöhnlich immer mit großer Sorgfalt bezüglich ihrer rechtlichen Basis, ausgearbeitet worden, wobei besonderer Nachdruck auf der Schritt-für-Schritt Methode der traditionellen Diplomatie lag. Aber während wir uns an die Sowjets direkt wandten, sprachen diese zu den Völkern der Welt. Mit wenigen Ausnahmen ist es uns nicht gelungen, unsere Auffassung mit entsprechendem dramatischen Effekt vorzutragen, aus einem komplexen Verhandlungsbereich seinen symbolischen Gehalt herauszuschälen. In dem größten Teil der Welt haben die Sowjets die „Friedensoffensive“ durch die endlose Wiederholung von Schlagworten an sich gerissen, die ungeheuerlich klangen, als sie das erste Mal vorgebracht wurden, heute aber durch ständigen Gebrauch geläufige Münze geworden sind.

Diejenige Macht, die mit Gewalt 150 Millionen Menschen ihrem Machtbereich einverleibte, ist auf diese Weise heute zum Vorkämpfer des Antikolonialismus geworden; dieser Staat, der die Sklavenarbeit als integralen Teil seines Wirtschaftssystems entwickelt hat, ist jetzt in vielen Teilen der Welt zum Kämpfer für die Menschenwürde aufgestiegen. Lins dagegen ist es weder in bezug auf die Einheit Deutschlands, noch in bezug auf Korea oder den Bereich der Satelliten-Staaten gelungen, die Weltmeinung mobil zu machen. Formosa ist vielmehr zu einem Symbol amerikanischer Unnachgiebigkeit geworden und unsere überseeischen Luftstützpunkte zum Zeichen amerikanischer Aggressivität. Wir haben auf jede sowjetische Aktion geantwortet wie ein pedantischer Professor im Vollbewußtsein seiner Rechtschaffenheit. Aber die Welt läßt sich nicht mit juristischen Redensarten in Bewegung bringen und schon gar nicht in einer revolutionären Epoche. Dies soll nun nicht etwa bedeuten, daß Verhandlungen nur als Propagandagelegenheit aufgefaßt werden sollen, sondern es soll damit gesagt sein, daß wir den Sowjets dadurch, daß wir versagt haben, es ihnen auf psychologischem Gebiet gleich zu tun, ganz unnötig günstige Gelegenheiten verschafft haben.

Das Ergebnis ist, daß sich die internationale Debatte fast gänzlich in dem Tempo und in den Kategorien abspielt, welche die Sowjets aufgestellt haben. Die Aufmerksamkeit der Welt ist auf die Schrecken der Atomwaffen konzentiert, aber nicht auf das Faktum einer Aggression, das diese Waffen erst zum Einsatz bringen würde. Die Sowjets verhandeln, wenn ein Nachlassen der Spannungen ihren Zwecken dienlich ist und sie brechen auch die Verhandlungen ab, wenn es zu ihrem Vorteil ist, ohne jedoch gezwungen zu werden, die Last der Verantwortung für den Fehlschlag auf sich zu nehmen. Es war von unserer Seite richtig gehandelt, der Gipfelkonferenz und der anschließenden Konferenz der Außenminister zuzustimmen. Aber es war nicht nötig zuzulassen, daß die Viermächtebesprechungen zu einem angestrengten Versuch wurden, die Sowjets als ehrenwert zu rehabilitieren. Ebenso unnötig war es, daß der Präsident der Vereinigten Staaten der Sowjetunion ein Zeugnis für gute Führung ausstellte, indem er Bulganin versicherte, er glaube an dessen friedliche Absichten. Ebensowenig klug war es, die sowjetischen Führer einen Unterschied zwischen dem Präsidenten und der übrigen Regierung der Vereinigten Staaten konstruieren zu lassen, so daß jedes Anwachsen der Spannungen der Tatsache zugeschrieben werden kann, der Präsident hätte sich dem Drängen seiner Ratgeber oder den Auswirkungen der „objektiven“ Faktoren der amerikanischen Wirtschaft oder einem Umschwung in der Verwaltung beugen müssen. Durch unsere Unfähigkeit, die Verhandlungen über Gemeinplätze hinaus zu heben, werden diese in einem Niemandsland geführt, wo ein Sowjet-Lächeln für gewichtig genug gehalten wird, die Tatsache der fortdauernden Spaltung Deutschlands aufzuwiegen, und wo Probleme einfach durch Verneinung ihrer Existenz ausgeräumt werden.

Das amerikanische Bündnissystem

Aber hätten wir unsere Alliierten und die Länder ohne feste Bindungen auf dem Wege einer anderen Politik mit uns fortführen können? Eine Diskussion unseres Allianz-Systems ist vielleicht am besten durch eine Analyse der geschichtlichen Rolle der Koalitionen zu erreichen. In der Vergangenheit wurden Koalitionen generell durch eine Kombination von drei Gründen zusammengehalten: (1) Beseitigung jeden Zweifels an der gleichen Ausrichtung der Kräfte und Abschreckung von Aggressionen durch Ansammlung überlegener Macht — was in Wirklichkeit nichts anderes ist als die Doktrin der kollektiven Sicherheit. (2) Festlegung einer Verpflichtung zur Hilfeleistung. Wären die nationalen Interessen eindeutung und unveränderlich, würde jede Macht ihre Verpflichtungen ohne formalen Vertrag kennen. Aber das nationale Interesse ist innerhalb gewisser Grenzen Hissend. Es muß sich den wechselnden Umständen anpassen. Eine Allianz ist so etwas wie eine Versicherung gegen Zufälligkeiten; ein zusätzliches Gewicht bei Überlegungen darüber, ob es zum Kriege kommen soll oder nicht.

(3) Legitimierung von Unterstützung und Beistand fremder Truppen oder einer Intervention in ausländischem Staatsgebiet.

Eine Allianz ist in dem Maße wirksam, wie ihre Macht Furcht erregend und ihr Zweck eindeutig erscheint. Wenn sie dagegen aus zu vielen heterogenen Elementen zusammengesetzt ist oder wenn ihre Mitglieder zu viele verschiedene Ziele verfolgen, wird sie eine wirkliche Belastungsprobe nicht überstehen. Die vertragliche Verpflichtung allein genügt nicht, wenn die Koalition kein gemeinsames Ziel hat oder unfähig ist, dieses auch militärisch zum Ausdruck zu bringen. Das französische Allianzsystem zwischen den beiden Weltkriegen — wie bedeutsam es auch immer auf dem Papier aussah — mußte an den miteinander in Widerstreit liegenden Interessen seiner Mitglieder und an dem Mangel einer einigenden militärischen Grundauffassung scheitern. Nicht das Vorhandensein einer Allianz allein schreckt eine Aggression, sondern der Gebrauch, den man in einem konkreten Fall von ihr machen kann.

Wenn wir den Aufbau des gegenwärtigen von den Vereinigten Staaten errichteten Bündnissystems untersuchen, so müssen wir feststellen, daß die meisten historischen Bedingungen für Koalitionen nicht mehr oder zumindest auf eine andere Weise als bisher zutreffen. Vom Standpunkt der Machtverhältnisse her gesehen, trägt mit Ausnahme der NATO keine unserer Allianzen zur Erhöhung unserer tatsächlichen Stärke bei. Lind auch die NATO befindet sich in einer schwierigen Lage, weil wir ihr keine militärische Grundauffassung geben können, die zugleich auch für unsere Partner überzeugend ist. Linser Interesse an dieser Allianz ist ein zweifaches: a) zu verhindern, daß Eurasien unter die Kontrolle einer feindlichen Macht gerät; denn wenn die Vereinigten Staaten auf die westliche Hemisphäre beschränkt würden, kann Eurasien — wenn überhaupt — nur durch Anstrengungen überleben, die unvereinbar sind mit dem, was gegenwärtig als „The American way of life“ verstanden wird; b) Erhöhung unserer Gesamtstärke gegenüber der Sowjetunion durch Gewinnung überseeischer Stützpunkte, besonders Luftbasen. Linser Hang zum Empirismus hat uns einmal dazu gebracht, diese Operationsziele in den Rahmen einer besonderen Bedrohung — nämlich die einer offenen sowjetischen militärischen Aggression — einzubauen und zum anderen diese drohende Gefahr nur unter den Gegebenheiten der gesamtstrategischen Verhältnisse zwischen uns und dem Sowjetblock zu betrachten. Unter diesen Bedingungen besteht der Schutz Eurasiens nicht in unserem Vermögen zur lokalen Verteidigung, sondern in unserer strategischen Überlegenheit in einem allumfassenden Krieg, und deshalb neigten wir dazu, unsere Bündnisse durch den Hinweis zu rechtfertigen, daß sie uns den Besitz von überseeischen Luftstützpunkten ge-währen.

Eine Allianz ist nutzlos, wenn sie nicht eine Übereinstimmung der Interessen unter den Partnern zum Ausdruck bringt. Unsere militärische Politik basiert immer mehr auf einer Strategie der „Revanche“, deren Ziel es ist, mit noch größerer Zerstörung das zu vergelten, was man uns zufügt. Aber in allen Situationen, abgesehen von einem allumfassenden Krieg (und vielleicht selbst dann), erreicht man Abschrekkung nur dadurch, daß man die Kraft und die Fähigkeit besitzt, dem Gegner nicht nur etwa den im Verhältnis viel größeren Schaden, sondern solche Verluste zuzufügen, die in bezug gerade auf das jeweilige besondere Angriffsziel untragbar sind. Die sowjetischen Erfolge in der Nachkriegsperiode beweisen deutlich, daß unter bestimmten Umständen selbst eine schwächere Vergeltungskapazität abschreckend wirken kann. Trotz unserer strategischen Überlegenheit haben wir eine Intervention in Indochina oder eine Ausweitung des Krieges in Korea abgelehnt; einerseits, weil Korea und Indochina einen umfassenden Krieg nicht „wert“ zu sein schienen und weil wir andererseits keine anderen angemessenen Möglichkeiten besassen, um die sowjetische Risikorechnung unattraktiv zu machen. Darüber hinaus vermehrt eine global ausgerichtete Strategie nicht nur unsere Hemmnisse, sondern läuft auch einer Koalitionspolitik zuwider. Linseren Verbündeten ist bewußt, daß sie in einem globalen Krieg nur durch die Bereitstellung von Stützpunkten und Basen zur Erhöhung unserer tatsächlichen Stärke beitragen werden. In einem eigenen militärischen Beitrag sehen sie keinen Sinn. Solange unsere militärische Grundkonzeption jeden lokalen Krieg in einen Weltkrieg umzuformen droht, wird unser Bündnissystem in Gefahr sein.

Das Problem der „kollektiven Sicherheit

Unsere Politik ist außerdem behindert worden durch die Vorstellung von der „kollektiven Sicherheit“, — das Ergebnis der Lehren aus den dreißiger Jahren, wo eine geschlossene Front Hitler sehr wohl in seine Schranken hätte weisen können — und zum anderen durch unsere durch die Geschichte zu verfolgende Vorliebe für föderative Strukturen. Wir gründen unsere Koalitionen auf die Annahme, daß ein wirksamer Widerstand überhaupt nur möglich ist, wenn sich alle Verbündeten jeglicher Aggression in jeglichem Land wiedersetzen. Aber diese Vorstellung von kollektiver Sicherheit hat das paradoxe Ergebnis zur Folge, daß sie gerade denjenigen Partner schwächt, der auch zum alleinigen Widerstand in der Lage ist. Denn Regierungen, die unter dem hartem Druck zu aktivem Handeln in ihren direkten Interessengebieten stehen, kann man nicht dazu bringen, auch noch Risiken außerhalb dieser Bereiche auf sich zu nehmen. So läuft die Anstrengung, NATO-LInterstützung für Asien zu gewinnen, letzten Endes darauf hinaus, das Gefüge der NATO in Europa zu erschüttern. Selbst die reinen Regional-Bündnisse stellen eine Kombination außergewöhnlich mannigfaltiger Zielsetzungen dar. Pakistan verlangt nach Waffen mehr wegen der Wirkung auf Indien als wegen des Schutzes, den sie gegen die UdSSR oder China bieten. Irak ist an dem Bagdad-Pakt zu allererst wegen der damit verbundenen militärischen Vorteile gegenüber Saudi-Arabien und Ägypten interessiert. Und weder mit unseren Verbündeten in der SEATO noch mit unseren Partnern im Bagdad-Pakt verbindet uns eine gemeinsame, auf dem kulturellen Erbe beruhende Zielsetzung in dem Maße wie mit unseren europäischen Alliierten. Die Probleme unseres Bündnissystems lassen sich in zwei Hauptgruppen zusammenfassen: Die Bündnisse erhöhen entweder unsere effektive Stärke nur wenig oder bringen keine gemeinsame Zielsetzung zum Ausdruck, oder aber es trifft beides zu. Unter solchen Umständen führt ein System der kollektiven Sicherheit in Wirklichkeit zur Verwässerung des eigentlichen Zweckes und schafft eine Atmophäre des Irrealen, in der allein das rein passive Vorhandensein einer Allianz und nicht die dahinterstehende Entschlossenheit als Garantie für die Sicherheit genommen wird. So reden wir davon, Löcher im Verteidigungswall zuzustopfen, so als wäre ein blosses Vertragsinstrument schon ein Akt der Verteidigung an sich. Mit diesen Schwierigkeiten werden wir nicht eher fertig werden, als bis wir nicht eine neue Einstellung zu unserer Bündnispolitik entwickelt, vor allem bis wir uns nicht weniger ehrgeizige Ziele gesteckt haben. Wir müssen unsere Bündnisse auf die Ziele beschränken, die wir mit unseren Verbündeten gemeinsam haben.

Aber ist eine solche Koalitionspolitik auch durchführbar? Die Folgerungen aus dem Anwachsen der'sowjetischen Atommacht könnten eine gewisse Übereinstimmung des Interesses der Vereinigten Staaten an einer umfassenden Gesamtstrategie und des in der örtlichen Verteidigung wurzelnden Interesse unserer Verbündeten mit sich bringen. Denn mit dem Ende unserer Unverwundbarkeit durch Atom-angriffe hat sich auch das Wesen der Abschreckung geändert. Ein Abschreckungsmittel ist nur bis zu dem Grade wirksam, wie es überzeugend ist. Und in demselben Maße wie der sowjetische Vorrat an atomaren Waffen wächst, wird sich unsere Bereitschaft, das Risiko eines Weltkrieges für irgendeinen Streitfall zu übernehmen verringern — ausgenommen bei einem direkten Angriff auf das Gebiet der Vereinigten Staaten. In einer derartigen Lage wird eine Abschreckung des Gegners in bezug auf die am ehesten gefährdeten Brennpunkte vor allem anderen durch die Fähigkeit zu wirksamer örtlicher Verteidigung erreicht. Angesichts der Schrecken eines Atomkrieges liegt es in unserem Interesse, andere Wege zur Verteidigung Eurasiens als durch einen Weltkrieg zu suchen: durch eine Strategie, die es uns ermöglicht, dem Gegner das Minimum an Schaden und Verlust zuzufügen, das zur Erreichung der Abschreckung nötig ist. Die Rechtfertigung für unsere Bündnisse wäre dann weniger darin zu sehen, daß sie zur Erhöhung unserer Gesamtstärke beitragen, als vielmehr darin, daß sie uns Gelegenheit verschaffen, unsere Macht subtiler und mit weniger gefahrvollen Risiken anzuwenden.

Vom militärischen Standpunkt aus gesehen, sollten unsere Allianzen als Pläne zur Organisierung der örtlichen Verteidigung aufgefaßt werden und unsere Beistandsleistungen als Mittel, um eine solche Verteidigung möglich zu machen. Wir sollten es unseren Verbündeten klarmachen, daß ihre beste Chance zur Vermeidung eines Atomkrieges in unserem Vermögen liegt, eine lokale Aggression zu gefählich für den Angreifer zu machen. Sie müssen einsehen lernen, daß sie diesem ihrem Dilemma weder durch Neutralität noch durch Kapitulation entgehen können. Denn wenn wir aus Eurasien hinausgedrängt werden, weiden sie gerade das heraufbeschwören, was sie am meisten fürchten. Einmal auf die westliche Hemisphäre beschränkt, wird uns keine andere Wahl bleiben, als einen Weltkrieg durchzukämpfen. Es ist klar, daß die Sowjets den Neutralismus sehr geschickt propagiert und geschürt haben, indem sie die Vorstellung erweckten, daß örtlicher Widerstand unvermeidlich zum Weltkrieg führen muß. Aber die Sowjets können ebensowenig an einem totalen Krieg interessiert sein wie wir. Die Furcht vor atomarer Vernichtung würde eine außerordentlich wirkungsvolle Sanktion gegen jeden Versuch zur Ausweitung eines Konfliktes abgeben.

Als Folgeerscheinung bedingt ein regionales Bündnissystem jedoch auf unserer Seite die Bereitschaft, allein zu handeln, wenn das Gleichgewicht in der globalen Strategie gefährdet ist. Keiner unserer Verbündeten — ausgenommen Großbritannien — hat die Möglichkeit oder ist bereit, außerhalb seines eigenen geographischen Bereichs in Aktion zu treten. Das von ihnen zu verlangen wird nur die innerpolitische Position an sich schon schwacher Regierungen unter-graben und sie noch weiter demoralisieren. Es wird zu Ausflüchten und zur Verwässerung gemeinsamen Handelns hinter der Fassade gemeinsam abgefaßter Kommuniques führen. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß allein die Vereinigten Staaten innerpolitisch und wirtschaftlich stark genug sind, um weltweite Verantwortung auf sich zu nehmen, und daß der Versuch, bei jedem unserer Schritte vorher die Zustimmung aller unserer Verbündeten einzuholen, nicht zu gemeinsamem Handeln, sondern nur zur Inaktivität führen wird. Natürlich sollten wir unsere Bemühungen aufeinander abstimmen, wo immer nur ein gemeinsames Interesse besteht, wie es zum Beispiel mit Großbritannien im Nahen Osten und vielleicht auch in Südost-Asien. Aber wir müssen uns das Recht zum alleinigen Handeln oder zum Handeln, im Verein mit einer regional begrenzten Mächte-gruppe vorbehalten, wenn unser strategisches Interesse es uns gebietet. Nur aus Rücksicht auf die Einheit unserer Verbündeten können wir es der Sowjetunion auf keinen Fall erlauben, das Gleichgewicht der Kräfte umzustoßen. Was auch immer die Meinungsverschiedenheiten unserer Alliierten im einzelnen sein mögen, die Fortdauer ihrer Existenz hängt von unserer ungeschwächten Stärke ab.

Militärische Erwägungen sind nicht allein bestmmend

Wie dem aber auch immer sei, militärische Erwägungen dürfen nicht allein maßgeblich für unser Bündnissystem sein. Tatsächlich ist nämlich in vielen Ländern und vor allem in solchen, die erst vor kurzem ihre Unabhängigkeit erworben haben — der besondere Nachdruck, den wir auf dem militärischen Faktor gelegt haben, der Grund dafür, daß es uns nicht gelungen ist, das Verständnis für ein gemeinschaftliches Ziel zu wecken. Zweifellos sind wir im Recht, wenn wir an die sowjetische Bedrohung glauben. Aber Revolutionen sind nun einmal unlogisch, und gerade die asiatische Revolution ist mehr an der inneren Entwicklung als an auswärtigen Angelegenheiten interessiert. Unsere nachdrücklichen Bemühungen, diese Länder dazu zu bringen, etwas von ihrer Energie auf auswärtige Probleme zu richten, erscheint ihnen als irritierende Unterbrechung in der Verfolgung ihrer Hauptinteressen und verleiht gleichzeitig der sowjetischen Friedensoffensive einen verlockenden Glanz. Darüber hinaus wiegen der sowohl vom Bagdad-Plan wie auch von der SEATO geleistete militärische Beitrag zum ersten nicht die Tatsache auf, daß Indien und Ägypten sich entschlossen haben, abseits zu stehen, und zum anderen nicht den innerpolitischen Druck, den diese Verträge in einigen der Unterzeichnerstaaten hervorgerufen haben.

Die wichtigste Funktion dieser Verträge ist die Festsetzung einer Linie, welche von der UdSSR nicht ohne das Risiko eines Krieges überschritten werden kann, und weiter die Rechtfertigung einer Intervention durch die Vereinigten Staaten, wenn ein Krieg ausbrechen sollte. Aber diese Grenzlinie hätte sich besser durch eine einseitige Erklärung ziehen lassen. Im Schutze dieser Schildmauer hätten wir uns dann ganz dem Hauptproblem, nämlich der Weckung des Bewußtseins gemeinsamer Zielsetzungen, widmen können, indem wir die gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben hervorgehoben und uns vor allem um einen Zusammenschluß dieser Mächtegruppen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung bemüht hätten. Wenn wir diese nichtmilitärischen Funktionen der SEATO in den Vordergrund geschoben hätten, wäre es für Indien und Indonesien viel schwieriger gewesen, sich abseits zu halten. In demselben Maße, wie diese politischen Mächte-gruppierungen an wirtschaftlicher Stärke gewinnen, zwingt sie ihr eigenes Interesse zu einer stärkeren Anteilnahme an der gemeinsamen Verteidigung. Zumindest würde auf diese Weise die wirtschaftliche Basis für eine ins Gewicht fallende Verteidigung gewonnen werden. Eine machtvolle Gruppierung von Staaten an der russischen Grenze richtet sich gegen die Interessen der Sowjetunion, wobei es gleichgültig ist, ob der Zweck dieser Gruppierung vor allem militärischer Natur ist oder nicht. Und aus gleichem Grunde ist vom amerikanischen Standpunkt aus eine solche Mächtegruppierung sehr wünschenswert, selbst wenn sie nicht mit jeder von uns vertretenen Politik übereinstimmen sollte.

Das Problem der ohne feste Bindungen zwischen den Machtblöcken stehenden Staaten kann jedoch nicht allein durch wirtschaftliche Gruppierungen der Mächte gelöst werden. Es ist eng verknüpft mit der Stellung der Vereinigten Staaten in der Welt. Anti-Amerikanismus ist zur Zeit in vielen Teilen der Welt die große Mode. Als reichste und mächtigste Nation sind wir die gegebene Zielscheibe für alles, was schief geht. Als diejenige Macht, welche die Hauptverantwortung für die Verteidigung der freien Welt trägt, sind wir bei allen denen unpopulär, die so ausschließlich mit der Entwicklung ihres eigenen Landes beschäftigt sind, daß sie nicht willens sind, Bedrohungen, die von außen kommen, genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Wir sollten selbstverständlich versuchen, berechtigte Verärgerungen zu lindern und auszuräumen. Wir würden jedoch Unrecht daran tun, jede Kritik in Bausch und Bogen zu akzeptieren Viele unserer äußerst schnellfertigen Kritiker in Südost-Asien würden entsetzt sein, wenn unser militärischer Schutz plötzlich zurückgezogen würde. Nehrus Neutralität ist eben nur so lange möglich wie die Vereinigten Staaten stark sind. Zu einem großen Teil verbirgt der Anti-Amerikanismus nur das Gefühl sowohl materieller wie auch geistiger Unsicherheit. Popularität ist nichts als eine hoffnungslose Täuschung in einer Situation, deren revolutionärer Charakter durch den Zerfall der alten Werte und durch das tastende Suchen von Millionen von Menschen nach einer neuen Orientierung geprägt ist. Aus diesem Grunde ist es schlechterdings unmöglich, eine Politik einzig auf eine Meinungsforschung bezüglich der Wünsche der Bevölkerung zu gründen. Ein revolutionärer Zustand ist durch Unzufriedenheiten aller Art gekennzeichnet, die sich vereinen im Protest gegen die bestehende Ordnung, von sich aus aber nichts Neues an die Stelle des Alten zu setzen vermögen. Das ist auch der Grund, weshalb die meisten Revolutionen von einer zahlenmäßig kleinen Minderheit, die aber dem Groll der Masse Richtung zu geben vermochte, auf-gefangen und gelenkt wurden. In diesen Ländern zwischen den Machtblöcken also mag deshalb Popularität von geringerer Bedeutung sein als Respekt.

In den Beziehungen zu diesen Ländern müssen die Vereinigten Staaten also nicht nur ein stärkeres Einfühlungsvermögen, sondern auch eine größere Würde entwickeln. Der Anblick, den hochgestellte amerikanische Persönlichkeiten bieten, die in alle Enden der Welt eilen, um sich über entstehende Krisen zu unterrichten, kann nur den Eindruck von Unsicherheit erzeugen. Die Nervosität, die wir in unseren Reaktionen auf die jeweiligen Schritte der Sowjets an den Tag legen, muß in einem für uns zwangsläufig sehr ungünstigen Kontrast mit der scheinbar wohlüberlegten Zielstrebigkeit der Sowjets stehen. Darüber hinaus sind aus verständlichen Gründen viele der zwischen den Machtblöcken stehenden Länder begierig, den Frieden um jeden Preis zu erhalten. Auf Grund unseres Verhaltens, das ihnen als Unentschlossenheit und Unsicherheit erscheint, ziehen es diese Länder in jeder Krise vor, einen direkten Druck auf uns, als den Nachgiebigeren der zwei Supermächte, auszuüben. In demselben Maße wie wir eine größere Zielstrebigkeit entwickeln, wird es möglicherweise gelingen, etwas von diesem Drude auf den Sowjetblock abzuleiten. Mit einer Revolution wie der in Ägypten oder selbst in Indien kann man nicht fertig werden durch bloßes Verständnis: die Bereitschaft auf unserer Seite, die psychologische Last schwieriger Entscheidungen auf uns zu nehmen, gehört auch dazu. unsere Führungsschicht zum Denken in politisehen oder strategischenZusammenhängen zu veranlassen. Das war eine Folge unseres Empirismus mit seinem Expertenkult und seiner Überbetonung der Spezialisierung. Als Illustration zu dieser Tatsache mögen diejenigen beiden Gruppen dienen, die in den höheren Regierungspositionen vorherrschend sind, die Wirtschaftler und die Juristen. Die leitenden Posten in der Wirtschaft, besonders in der Großindustrie, werden nach den Verwaltungsfähigkeiten vergeben. Dies erzeugt somit eine Neigung, Planungsprobleme verwaltungsmäßig zu behandeln, indem sie an Expertenkomitees überwiesen werden. Ebenso hat sich unter den Juristen, die geschult sind, in den Verhältnissen gesonderter Einzelfälle zu denken, ein Hang zu „ad hoc" -Entscheidungen und eine Abneigung gegen die „hypothetischen Fälle“, die eine Planung auf lange Sicht mit sich bringt, herausgebildet. Unsere Führungsschicht ist daher besser darauf präpariert, sich mit technischen als mit Planungsproblemen, mit wirtschaftlichen als mit politischen Streitfragen auseinanderzusetzen. Auf den Schauplatz von Washington übertragen bedeutet dies, daß ihnen häufig die Gesamtschau fehlt, um mit einer sich entwickelnden politischen oder strategischen Situation fertig zu werden. Jedes Problem wird für sich, nach seinem eigenen Wert behandelt. Das ist eine Verfahrensweise, die das Besondere auf Kosten des Allgemeinen betont und jede Planung in einer Fülle von Details ersticken läßt. Das Fehlen der festen Umrisse eines Planungsgebäudes macht es ihnen schwer, unsere Probleme auch nur klar zu erkennen und die Vorschläge und Darstellungen richtig zu sichten, mit denen unser Regierungsapparat überhäuft ist.

Anforderungen an die Führungsgruppe

Das führt uns zurück zu unserem Ausgangs-problem: die zur Behandlung der gegenwärtigen Krise erforderliche richtige amerikanische Haltung. Das ist vor allem ein Führungsproblem. Denn die Nationen lernen nur aus dem, was als direkte und praktische Erfahrung an sie herantritt. Ihnen kommt das „Wissen“ erst, wenn es zum Handeln zu spät ist. Aber ein Staatsmann muß so handeln, als wäre seine unmittelbare Erkenntnis schon durch Erfahrung gesichertes Wissen, als ob seinem Trachten nach etwas schon die Wirklichkeit des Erstrebten zu Grunde läge. Der Staatsmann befindet sich demgemäß in einer ähnlichen Lage wie der Held der klassischen Tragödie, der das zukünftige Geschick seherisch erfaßt hat, diese Erkenntnis aber nicht unmittelbar auf seine Mitbürger übertragen, die „Wahrheit“ nicht wirksam machen kann. So kommt es, daß Staatsmänner oft das Schicksal der Propheten teilen, daß ihnen in ihrem eigenen Lande die Anerkennung versagt bleibt und ihre Größe gewöhnlich erst in der Rückschau offenbar wird, wenn ihre vorausschauende Erkenntnis längst praktische Erfahrung geworden ist. Der Staatsmann muß Erzieher sein. Er muß die Kluft zwischen der gegenständlichen Erfahrung eines Volkes und seiner visionären Vorausschau, zwischen dem in der Überlieferung gefestigten Leben und der Zukunft eines Volkes überbrücken. Lind gerade bei der Erfüllung dieser Aufgabe sind seine Möglichkeiten eingeschränkt. Ein Staatsmann, der dem Erfahrungsgut seines Volkes zu weit vorauseilt, wird in seinem Lande für sein Programm keine Anhänger finden. Das beste Beispiel dafür ist Wilson. Andererseits wird jeder Staatsmann, der seine politischen Ideen auf den Erfahrungsbereich seines Volkes einstellt und zurückschraubt, sich selbst zur Wirkungslosigkeit verdammen. Das beste Beispiel hierfür ist die französische Politik seit dem ersten Weltkrieg.

Eine der entscheidenden Anforderungen denen sich eine Gesellschaft gegenübergestellt sieht, ist somit die Fähigkeit, aus sich heraus eine Führungsgruppe hervorzubringen, die imstande ist, sich über den Erfahrungsbereich dieser Gesellschaft zu erheben. Lind gerade hier erwachsen uns aus unserem plötzlichen Aufstieg zur ersten und stärksten Macht der freien Welt besondere Schwierigkeiten. Die Eigenschaften und Qualitäten unserer Führungsgruppe wurden in einer Zeit ausgebildet, als unsere Hauptinteressen sich auf unseren eigenen Kontinent beschränkten. Politik wurde für ein notwendiges Übel gehalten und die Hauptfunktion des Staates in der Ausübung der Polizeimacht gesehen. Weder eine entsprechende Ausbildung noch irgendeinen sonstigen Anreiz gab es, um Dies erklärt viele der sowjetischen Nachkriegserfolge. Was immer auch die Qualitäten der sowjetischen Führungsschicht sein mögen, sie ist auf jeden Fall politisch und planungsmäßig ausgezeichnet geschult. Bei der Lektüre von Lenin, Marx oder Stalin überrascht immer wieder die nachdrückliche Betonung der engen Verbindung zwischen politischen, militärischen, psychologischen und wirtschaftlichen Faktoren, der besondere Nachdruck, der auf die Ermittlung einer theoretischen Basis für das politische Handeln gelegt wird, und das Hervorheben der Notwendigkeit, eine Situation mit beweglicher Taktik bei unverrückbarer Zielsetzung zu meistern. Lind die internen Kämpfe im Kreml stellen sicher, daß immer nur der Mann mit den stärksten Nerven die Gipfelposition erreicht. Dem Politbüro, das frei von allen Alltagsverwaltungsproblemen in umfassenden Verhältnissen zu denken geschult ist, haben wir Führungspersönlichkeiten entgegengestellt, die mit Amtspflichten überhäuft und zu einem Denken erzogen sind, das ein Übergreifen in das Spezialgebiet eines anderen für eine Kardinalsünde hält. Für unsere führenden Persönlichkeiten ist Politik so etwas wie eine aufeinanderfolgende Reihe gesonderter Probleme, für die sowjeti-sehen Führer dagegen ein Aspekt eines fortlaufenden politischen Prozesses. Als Folge davon haften dem Kampf zwischen uns und den Sowjets viele Züge eines Kampfes zwischen einem Berufskämpfer und einem Amateur an. Selbst ein mittelmäßiger Berufskämpfer wird gewöhnlidi einen noch so ausgezeichneten Amateur be-siegen und das nicht etwa, weil etwa der Amateur nicht wüßte, was er tun muß, sondern weil er nicht imstande ist, schnell oder folgerichtig genug zu reagieren. Unserer Führungsschicht mangelte es nicht an Fähigkeiten, aber sie mußte Erfahrungen sammeln noch während sie handelte, und das war ein zu großes Handicap.

Annahme der Herausforderung

In vielen der von unseren Führungsgruppen gemachten Fehler zeigen sich ohne Zweifel eben gerade die Qualitäten, welche die ungezwungenen freiheitlichen Verhältnisse innerhalb der amerikanischen Gesellschaft bewahren helfen. Die Einschränkung unserer Regierungsbefugnisse hatte natürlich zur Voraussetzung, daß fundamentale soziale Unterschiede fehlen und viele Probleme nicht durch Regierungsverordnung geregelt werden, sondern durch das, was an Gemeinsinn in dem Ausdruck “ what is taken for granted“ enthalten ist. Eine Gesellschaft kann auf diese Art und Weise nur solange verfahren, wie die Auseinandersetzungen nicht bis zu ihren äußersten logischen Konsequenzen vorangetrieben werden und die Meinungsverschiedenheiten dogmatisch entschärft bleiben. Und tatsächlich ist unser ganzes soziales Leben von der Furcht durchsetzt als Dogmatiker zu gelten. So werden Ansichten meist mit der Einschränkung vorgetragen, man sei sich ihrer Zufälligkeit und Willkürlichkeit bewußt und erhebe keinerlei Anspruch auf besondere Gültigkeit der eigenen Schlußfolgerungen. Dies führt zu einer Bevorzugung von Entscheidungen, die von Ausschüssen getroffen worden sind, weil sich näm-

lich Meinungsverschiedenheiten vermittels eines Gesprächs am leichtesten bloslegen und begleichen lassen, ehe sich die Standpunkte verhärtet haben. Der ganze Entscheidungsprozeß ist deshalb dem Tempo des Gesprächs angepaßt.

Selbst die Denkschriften der Abteilungen, auf denen die politischen Entscheidungen doch letztlich basieren, entstehen immer unter Berücksichtigung eines eventuellen Kompromisses und nicht in der Erwartung, daß eine Denkschrift als Ganzes akzeptiert wird.

Es wäre falsch, allzu pessimistisch zu sein. Niemand hätte am Ende des zweiten Weltkrieges geglaubt, daß die Vereinigten Staaten Verpflichtungen von so weltweitem Ausmaße auf sich nehmen würden. Unsere Fehler sind nur wegen der Größe der Bedrohung, der wir uns gegenübersehen, so gravierend. Außerdem stehen die Leistungen der Vereinigten Staaten trotz ihrer Fehler im Vergleich mit den Leistungen der anderen Nationen der nichtsowjetischen Welt noch sehr günstig da. Unsere Schwierigkeiten in der auswärtigen Politik sind somit nur ein Symptom — und keineswegs gerade das augenfälligste — einer in der gesamten freien Welt bestehenden Unsicherheit. Es ist klar, daß Demokratien schon auf Grund der Beschaffenheit ihrer Institutionen nicht in der Lage sind, eine Politik so verschlungen zu führen, ihren Kurs so schnell zu ändern oder ihre Schritte so geheim vorzubereiten, wie das den diktatorisch regierten Ländern möglich ist. Aber die Krise in der nichtsowjetischen Welt liegt tiefer. Das tragische Element in jeder auswärtigen Politik ist die Unmöglichkeit, der Mutmaßung zu entgehen. Nach der „objektiven“ Tatsachenanalyse bleibt immer ein Rest von Unsicherheit zurück hinsichtlich der Bedeutung der Ereignisse oder der Möglichkeiten, die sie bieten. Ein Staatsmann hat natürlich oft die Möglichkeit, seiner Ratlosigkeit dadurch zu entfliehen, daß er die Augen verschließt. Er hat immer die Freiheit, den ganzen Umfang dessen, wozu die andere Seite fähig ist, zu ignorieren, indem er annimmt, sie habe friedliche Absichten. Viele der Schwierigkeiten der nichtsowjetischen Welt sind nichts anderes als die Folge des Versuches gewesen, das Element der Unsicherheit als Entschuldigung für Tatenlosigkeit zu gebrauchen. Aber Gewißheit in der auswärtigen Politik gewinnt man ebenso durch die logische Genauigkeit spekulativer Überlegungen wie durch die Tatsachenwirklichkeit; sie entsteht dadurch, daß man den Ereignissen mit fester Zielsetzung begegnet. Das soll nicht etwa bedeuten, daß wir den sowjetischen Dogmatismus nachahmen sollen. Eine Gesellschaft kann ihren Fortbestand nur sichern durch den Geist, der sie groß gemacht hat. Aber wir sollten unseren Empirismus mit einem Gefühl für Dringlichkeit durchsäuern.

Und wenn uns auch unsere Geschichte nur ungenügend für den Umgang mit dem Tragischen vorbereitet haben mag, so kann sie uns doch zumindest lehren, daß große Taten nicht einem Streben nach Sicherheit entspringen. Auch dann noch wird unsere Aufgabe psychologisch immer komplexer sein und bleiben als diejenige der Sowjets. AIs stärkste und vielleicht vitalste Macht der freien Welt müssen wir die-Herausforderung annehmen und beweisen, daß die Demokratie in der Lage ist, ohne die Hilfe des Fanatismus moralische Sicherheit zum Handeln zu gewinnen und Risiken ohne Erfolgsgarantie einzugehen.

Fussnoten

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