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Der Deutschen Mai 1832 Voraussetzung, VErlauf und Folgen des Hambacher Festes | APuZ 19/1957 | bpb.de

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APuZ 19/1957 Der Deutschen Mai 1832 Voraussetzung, VErlauf und Folgen des Hambacher Festes

Der Deutschen Mai 1832 Voraussetzung, VErlauf und Folgen des Hambacher Festes

PAUL WENTZCKE

Einführung

Am 29. Juni 18 31 starb der Freiherr vom Stein, dessen leben und Werk im Herbst dieses Jahres Gedächtnisfeiern im zweigeteilten Deutschland mit gleicher Anerkennung in verschiedene Beleuchtung rücken werden; wenige Monate darnach, am 22. März 183 2, schloß Goethe die Augen.

Kurz hintereinander sah sich das im Deutschen Bund vereinigte Vaterland zweier Männer beraubt, die der letzten Epoche von Niedergang und Aufstieg in Staat, Gesellschaft und Geistesleben Sinn und Inhalt gegeben hatten. Stein, ganz in der Gedankenwelt des alten Reiches wurzelnd, hatte noch in seinen letzten Tagen der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß ein jüngeres, im Geist der Befreiungskriege und der preußischen Reform ausgewachsenes Geschlecht die von ihm begonnene freiheitliche Gestaltung des bürgerlichen Lebens fortführen werde. Dem Dichterfürsten dagegen warfen die deutschen Zeitungen bei seinem Heimgang Mangel an vaterländischer Gesinnung vor und beschränkten sich fast durchweg auf eine recht matte literarische Würdigung. Aber es mahnten auch beachtliche Stimmen, daß Abneigung und Haß im Angesicht des Todes verstummen müßten. Seine Feinde, hieß es, werden vergessen, was der Greis irrte, verzeihen, was der Jüngling, der Mann nicht tat!

Lim so eindringlicher suchten fremde Federn das Versagen des eigenen Vaterlandes auszugleichen.

Aus England zollte Thomas Carlyle, der Friedrich den Großen sowie die Dioskuren von Weimar zu Helden des germanischen Geistes erhob, höchstes Lob. Im Journal des Debats, dem führenden politischen und literarischen Blatt Frankreichs, stellte der Germanist Viktor Cousin fest, daß Goethes Tod für Deutschland den Abschluß eines ganzen Zeitraums und den Beginn eines neuen bedeute.

„Das Sdtrifttum, das damit zu Grabe ging, war das großartigste Gebilde des Geistes der Vielseitigkeit und der Vereinzelung, der Deurscltland glänzend charakterisierte und ihm seine politische Gestahung gab. jetzt aber lebt und webt hier ein anderer Geist, der Geist der E i n h e i t. Wie in Frankreich seit längerer Zeit, tritt in Deutschland die Freiheit der Poesie an die Stelle der Literatur, der Gedanke aller an die Stelle des Gedankens einzelner "

Daß man in Deutschland dies LIrteil verstand, bezeugt die unverzügliche Wiedergabe des Aufsatzes in dem dem gebildeten Leser vorbehaltenen Stuttgarter Morgenblatt und in dem ersten politischen Sprachrohr des Deutschen Bundes, der „Ausburger Allgemeinen Zeitung“. Mit brennendem Herzen nahm Ludwig Börne in Paris'Steins Mahnung auf:

„Ich meine, an diesem Tage, dem 22. März 1832, müßte die Freiheit geboren werden. Als sich der aus der Frankfurter Heimat vertriebene Schriftsteller wenige Wochen später persönlich zu einer festlich gestimmten Versammlung begab, schienen beide Gedanken zur Verwirklichung reif. Auf der alten Kästenburg, unweit des pfälzischen Neustadt, wurde das Hambacher Fest zum Fanal einer neuen Zeit, die INHALT Einführung Die Voraussetzungen Der dreigegliederte Deutsche Bund Das Wartburgfest und seine Folgen Die Jülirevolution als Vorbild Das Hambacher Fest Das Vorspiel Erste Aussprache Der Deutschen Mai Die Nachfeiern Die Folgen Bayern und der Deutsche Bund Tragisches Zwischenspiel Ausklang Deutung und Bedeutung die französische Julirevolution zwei Jahre vorher eingeleitet hatte und die 1 848 die erste deutsche Nationalversammlung abschließen sollte. Kein Wunder, daß schon damals Zeitungen und Flugschriften, amtliche Berichte und persönliche Erinnerungen den Verlauf dieser Tagung ausführlich schilderten! Kein Wunder, daß Tatsachen und Eindrücke immer wieder umschrieben worden sind!

Weit mehr als tausend Aufsätze und Bücher haben bisher die Feier eines „deutschen Mai“, ihre Vorläufer und ihre Wirkung behandelt; weitere Abhandlungen, die aus überreichen Quellen neue Einzelheiten ausbreiten, sind in diesen Wochen zu erwarten. Wenn wir trotzdem versuchen, auch an dieser Stelle der denkwürdigen Zusammenkunft gerecht zu werden, halten wir uns wiederum an das Goethe-Wort, daß jede Generation ihre Vergangenheit neu überdenken muß, um sie verständlich zu machen. Wichtiger als ein erneuter Abdruck von Reden und Ansprachen erscheint es, Vorgeschichte und Folgen in gleicher Ausführlichkeit zu behandeln, den Rahmen abzustecken, in dem das Ereignis selbst steht, seiner Deutung in der Mit-und Nachwelt nachzugehen.

Die Voraussetzungen Der dreigegliederte Deutsche Bund

Für die Zeitgenossen waren Fremdherrschaft und Befreiung, die Europa mehr denn zwei Jahrzehnte hindurch in politische, wirtschaftliche und soziale Unruhen gestürzt hatten, das erregendste Ereignis geblieben, Zum Abschluß hatten die Großmächte 1815 das Kernstück des christlichen Abendlandes neu gegliedert, den auseinandergerissenen Teil-stücken des alten Reiches im Deutschen Bund einen losen Halt gegeben. Rußland und Großbritannien wußten sich ihre Bedeutung als Schiedsrichter zu wahren, Frankreich, das 179 5 seinen politischen Einfluß über den Rhein vorgeschoben und am linkenUfer des Stroms die Errungenschaften seiner ersten Revolution in Verwaltung, Wirtschaft und Gerichtswesen eingeführt hatte, durfte über seine geschichtlichen Grenzen hinaus mancherlei andere Trümmerstücke behalten. Um sein erneutes Übergreifen auf die innerpolitischen Grundlagen der im Wiener Kongreß aufgerichteten Ordnung zu verhindern, erhielt der neue „völkerrechtliche Verein eine europäische Aufgabe. Ganz abgesehen davon, daß in ihm 89 Souveräne ihr Eigenrecht behaupteten, fühlten sich neben den „Vormächten“, dem österreichischen Präsidialstaat und Preußen, dem nach dem schönen Wort eines Gneisenau das Primat von Heer, Verwaltung und Wissenschaft die zweite Stelle sicherte, die süd-und westdeutschen Einzelstaaten als die wahren Erben deutscher Vergangenheit. Bis in den ersten, ja bis zum zweiten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts ist der Weg in die romantischen Gefilde an Neckar, Rhein und Main für weite Kreise des deutschen Ostens sowie für die Alpenländer eine Fahrt „ins Reich“ geblieben.

Hier jedoch kreuzten sich zur Zeit des Aufbaus, die die Voraussetzungen für Verlauf und Ausklang des Hambacher Festes schuf, zwei in sich widerspruchsvolle Fragen: Der Forderung nach Einheit, die aus einer überreichen gemeinsamen Geschichte ihre Nahrung zog, stand die der Freiheit, des politischen und sozialen Fortschritts, gegenüber. Dem zweiten Wunsch in vorsichtiger Zurückhaltung zu genügen und damit die im Einheitsstreben liegende Gefahr für die eigene Selbständigkeit zurückzudrängen, wurde für die Regierungen des Südwestens lebenswichtig. In Nassau und im neuen Großherzogtum Hessen, in Württemberg und im ebenfalls zum Großherzogtum erhobenen Baden sah man in einer „Verfassung“ sowie in der von ihr vorgesehenen Ständeversammlung die Grundlage eines eigenen, in sich geschlossenen Territoriums. Unter dem gleichen Zwang suchte das Königreich Bayern die ihm früher zugefallenen fränkischen und schwäbischen Landschaften einzuschmelzen, die kargen Reste der Rheinpfalz, die in Wien den Wittelsbachern ohne die über Heidelberg und Mannheim führende „Landbrücke“ überlassen wurden, für den gemeinsamen Staatsgedanken zu gewinnen.

Das Wartburgfest und seine Folgen

Den zunächst verdeckten Zwiespalt machte im Oktober 1817 das Wartburgfest deutscher Studenten deutlich. Zum ersten Mal vereinigten sich hier Landsleute aus nahezu allen Gauen aus freiem Willem Lediglich Österreich, das schon früher seinem akademischen Nachwuchs die sonst übliche Freizügigkeit verweigert hatte, stand abseits, daß es diesen auch weiterhin fernhielt, hat nicht zum wenigsten ein halbes Jahrhundert später (1866) zur staatsrechtlichen Trennung geführt. Für das übrige Bundesgebiet entwickelte die Feier auf der Luther-burg, wie es Jenaer Professoren bald darauf feststellten, „mit Riesensdiritten Ideen, die den Teilnehmern nur in dunkler Ahnung vergeschwebt hatten und einer rein gemüthehen und andächtig frommen Zusammenkunft die Bedeutung eines politischen Festes gewannen." Aus dem wenig später entwickelten Programm sollten die Wünsche nach politischer und wirtschaftlicher Einheit Deutschlands, nach konstitutioneller Monarchie und Ständeversammlungen in den Einzelstaaten, nach öffentlichem Gerichtsverfahren sowie Freiheit von Rede und Schrift Inhalt und Ziel des Kampfes bezeichnen, den der deutsche Liberalismus in seinen verschiedenen Spielarten als zunächst einzige Bewegungspartei im ganzen „Vormärz“ führte. Der Gedanke an eine gesamtdeutsche Volksvertretung blieb ein Fernziel. Mit der gleichen Zurückhaltung wurde 1818 als erste, über die Landesgrenzen ausgreifende Vereinigung die Allgemeine deutsche Burschenschaft als „ein Bild ihres in Einheit und Freiheit erblühenden Volkes“ gegründet, eine politische Schule, in der sich die Mitglieder zur „Ausbildung einer jeden geistigen und leiblichen Kraft für den Dienst in einer freien und geordneten Gemeinschaft“ verpflichteten.

Dieses Gelöbnis auf seine Tragfähigkeit zu prüfen, blieb dem Verband erspart. Hatte schon die Kunde vom Wartburgfest die Regierungen aufs höchste erregt, so gab die Tat des aus der Jenaer Burschenschaft hervorgegangenen Karl Sand, der mit der Ermordung des Dichters August von Kotzebue der Freiheit eine Gasse zu brechen glaubte, allen Befürchtungen recht. Für den österreichischen Staatskanzler Metternich erstand die Sorge, daß jede Anerkennung des Nationalgedankens den von ihm geleiteten Vielvölkerstaat gefährlichen Spannungen aussetzen, dem mühsam ins Gleichgewicht gebrachten „System“ der Beharrung wichtige Vorbedingungen nehmen müsse. Mit Gottes Hilfe hoffte er „die deutsche Revolution zu schlagen wie er Napoleon, den Eroberer der Welt, überwunden habe". Als man in Preußen in gleicher Besorgnis die von der Burschenschaft ausgestellten Grundsätze „als im höchsten und furchtbarsten Sinn revolutionär“ charakterisierte, zwangen beide Vormächte dem Deutschen Bund neue, in Karlsbad vereinbarte Beschlüsse auf, die erst die Märztage des Jahres 1848 auslöschen sollten. Mit einer „Zentraluntersuchungskommission“ ward die einzige gemeinsame Behörde geschaffen, die durch Anzeigen, Verhaftungen und Befehle in die geordnete Rechtspflege eingreifen durfte. Weitere Bestimmungen, die man sogar amtlich in Berlin als „schädlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend“ bezeichnete, stellten die literarische Aussprache unter die strenge Zensur der Einzelregierungen; die Burschenschaft wurde verboten, die Lehrfreiheit der Professoren überwacht und eingeschränkt.

In einem Einheitsstaat hätten solche Maßnahmen den Todesstoß für jede fruchtbare Entwicklung bedeutet. Im dreigeteilten Deutschland öffneten sich verschiedene Wege. Während in Österreich bei sorgfältiger Pflege naturwissenschaftlicher und technischer Fächer eine Kirchhofsruhe jede politische Erörterung ausschloß, ließ sich in Preußen der Verkehr mit den übrigen Ländern nicht unterbinden. Hier aber, im konstitionellen Deutschland, konnte sich die Burschenschaft als Trägerin der auf dem Wartburgfest gehißten Flagge halten und ihren Auffassungen bei den ebenfalls freizügigen Handwerksburschen Anhang „für die allerschönste, allersüßeste Braut“, für das im Licht der Romantik erstrahlende Reich der Zukunft gewinnen. Das Ziel stand in groben Umrissen fest, es zu erreichen boten sich dem Österreicher und dem Erben des südwestlichen Reichs-gedankens, dem ostelbischen und dem am Rhein und in Westfalen ausgewachsenen Preußen verschiedene Mittel. Daß der Staat Friedrichs des Großen die von ihm ebenfalls 1818 geschaffene Zollunion ausbreitete, zehn Jahre später mit der Einbeziehung Hessen-Darmstadts eine erste, tragfähige Brücke über den Main schlug, unmittelbar darnach Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten begann, bedeutete nur wenigen, auserwählten Köpfen einen verheißungsvollen Anfang. Die Mehrzahl sah in diesem Vorgehen die „konstitutionellen“ Rechte bedroht. In der Pfalz gar beschränkte die 1829 zur Überleitung eingeführte Maut den für Weinbau und Weinhandel wesentlichen Verkehr mit den Nachbarn. Auf der politischen Ebene traten der Hoffnung, daß der monarchische Staat die in jüngster Vergangenheit erworbenen fortschrittlichen „Institutionen“ weiterführen werde, republikanische Neigungen zur Seite. In den gleichen Jahren, da sich die ältere Generation durch ruhige, stetige Arbeit in Verwaltung und Wirtschaft für die Erhaltung der Einzelstaaten einsetzte, hielt der Nachwuchs an den nie aufgegebenen Idealen der „Urburschenschaft" fest.

Die Julirevolution als Vorbild

In diese mühsam zurückgehaltene Spannung fiel im Juli 1830 die Nachricht, daß in Paris ein gewaltsam erkämpfter Regierungswechsel den bürgerlichen Kräften die Bahn zu einer größeren Mitwirkung in Staat und Wirtschaft erschlossen habe. Die unvergessene Erinnerung an die Erfolge der ersten Revolution ließ starke Wirkungen auch auf Staatsgefüge und Gesellschaftsordnung Mitteleuropas erwarten In Hoffnung und Furcht überstürzten sich die Nachrichten. Zunächst riß sich Belgien von den Niederlanden los und zog mit dem größten Teil der Provinz Luxemburg ein wesentliches Glied des Deutschen Bundes an sich, ohne daß in Frankfurt, dem Sitz des Bundestages, in Berlin und Wien eine Gegenwehr sichtbar wurde. Erfolgloser verlief die vom gleichen Impuls getragene Erhebung des Rußland einverleibten „Kongreßpolen“. Während man sich in den-Nachbarprovinzen Preußens und Österreichs zurückhielt, ließen sich nach dem Fall Warschaus (Ende 18 31) zahlreiche Flüchtlingszüge im Südwesten als Märtyrer der Freiheit feiern. Vor allem in der Pfalz, deren bodenständige Bevölkerung die hart im Raum sich stoßenden Gegensätze von Volkstum und Staats-behauptung nicht kannte, wurde die Polenbegeisterung zu einem wesentlichen Antrieb der deutschen Bewegung. Für die Regierungen war das Verhältnis zu den westlichen Nachbarn nicht minder bedeutsam. Auf dem linken Rheinufer hielt in „Rheinpreußen“, wo katholische Kreise deutlich mit der in der belgischen Charte verbürgten Freiheit der Kirche sympathisierten, sowie in dem. aus altpfälzischem Besitz, aus weltlichem und geistlichem Reichsgut zusammengeflickten „Rheinbayem“ der Drude aus dem Frankreich des Bürgerkönigtums an. War diesem im Vorgelände des Niederrheins der Einbruch gelungen, erschien auch am Mittellauf des deutschen Stromes ein gefährlicher Vorstoß zur Rheingrenze möglich.

Bis tief nach Mitteldeutschland erschütterten diese Wirkungen Bestand und Ordnung verschiedener Einzelstaaten. Im Südwesten bewährten sich die Ständeversammlungen als Ventil. Als der Abgeordnete Welcker im badischen Landtag eine „Förderung der deutschen National-einigung und der staatsbürgerlichen Freiheit“ verlangte, wies er den nach dem Wartburgfest vorgelegten Grundsätzen einen neuen, gesetzlichen Weg. Während der rheinische Liberale David Hansemann von einem anderen, von Handel, Industrie und Verkehr bestimmten Standpunkt aus, auch für Preußen an eine „repräsentative“ Verfassung, Pressefreiheit und eine gründliche Reform des Gerichtswesens dachte, war für den Schwaben Paul Pfizer ein Zusammengehen des Südwestens mit dem Staat Friedrichs des Großen zur wichtigsten Aufgabe geworden Neben dem weitverbreiteten „Briefwechsel zweier Deutscher“ riefen seine Gedichte den Adler des großen Königs auf, „die Verlassenen, Heimatlosen mit goldener Schwinge“ zu decken. Daß auf der anderen Seite eine gesinnungstüchtige Presse in jedem Staat, „der ein anderes als ein konstitutionelles Interesse verfolge“, „Ausland“ sah, preußischen und österreichischen Sprach-und Stammesgenossen jede Freundschaft solange aufkündigte, bis auch sie auf dem gleichen konstitutionellen Wege wandeln würden, zeigt die ganze Vielfalt innen-und außenpolitischen Strebens. Erregte Verhandlungen in den Ständeversammlungen, die vergebens um größere Aufgaben und Ziele rangen, mehrten die Unruhe. Zum ersten Male reichten sich die Liberalen über die Landesgrenzen hinweg die Hand. Zur Abwehr suchten die Regierungen Fühlung und fanden in den „Ostmächten“ einen gern gewährten Halt.

In Karlsruhe und Darmstadt, in Stuttgart und München, in Kassel und Wiesbaden forderten solche Auseinandersetzungen die Aufmerksamkeit einer immer breiteren Öffentlichkeit heraus. Ein vorzeitiger Schluß der Landtage ward als halbe Maßnahme gewertet. Vor allem in Bayern fühlte sich die Opposition, in der jetzt erst Männer aus Franken und Schwaben 'mit pfälzischen Abgeordneten zusammentraten, geschlagen, nicht besiegt. Hatten in Paris die Gegner des alten Regimes nach der Auflösung der Kammern in Bankettreden, in der Presse und in Versammlungen ihren Erfolg vorbereitet, war jetzt in Deutschland die gleiche Überlegung am Platze. Den auf der parlamentarischen Bühne wehrlos gemachten Volksvertretern stellte der neue Stand der Journalisten die besten Bundesgenossen. In einem Kampf, der für Freiheit und Einheit ausgefochten wurde, fühlte sich die akademische Jugend in die vorderste Reihe gerufen. Während die Burschenschaft bisher in ihren gemeinsamen Beschlüssen lediglich für die „Vorbereitung zur Herbei-führung eines frei und gerecht geordneten Staatslebens eingetreten“ war, hatte jetzt die politische Teilnahme an den Tagesfragen auch in ihren Reihen eine radikale Richtung gefördert. Aus dem gleichen Grunde wie der vorwärtsdrängende Liberalismus forderte 1831 ein Burschentag in Frankfurt zu tätiger Mitarbeit sowie zum Kampf gegen jedes „illiberale Prinzip“ auf. AIs geeignete Mittel wurden die Einwirkung auf alle bürgerlichen Kreise und insbesondere die Mitwirkung an Tageszeitungen empfohlen.

Das letzte Ziel blieb bei solcher Aussprache im Dunkeln. Weit besser als in den Reden und Anträgen der Abgeordneten, Zeitungsschreiber und Volksführer spiegelte sich in der Auffassung einzelner Studenten der Wille zur Tat. Die eine, zahlreichere Partei, berichtete später der Heidelberger Burschenschafter Karl Brüggemann, der sich bald ebenbürtig den gefeierten Größen der Opposition zur Seite stellen sollte, legte den Nachdruck auf die „F r e i h e i t des Volkslebens“: für die E i n-h e i t wollte sie sich mit einem „konstitutionellen Deutschland“ begnügen, das dann als sechste Großmacht im Bunde mit Frankreich uni England den drei „nordischen“ Mächten, Rußland, Österreich und Preußen, in Europa das Gleichgewicht halten könne. Die andere, als „exaltiert und antiquiert“ verschrieene Gruppe dagegen verlangte die Einigung des ganzen Volkes, so weit die deutsche Sprache reicht, und wollte nichts von einem Plan hören, „der irgendwie auf den alten Rheinbund und französisches Protektorat hinauslaufe“. In Beziehung auf die Freiheit legten ihre Anhänger keinen größeren Wert auf die „neue Volkssouveränität“, forderten jedoch Öffentlichkeit der Verwaltung und Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung. Auch für die Ausführung solcher Gedankengänge, die beide Richtungen nach Angabe unseres Gewährsmannes „ganz der Zeit anheimstellten“, trennten „sich ihre Wege. Während die Freiheitsfreunde von einem Kreuzzug der nordisdten Mächte gegen Frankreich, von einer Intervention also, wie sie in der Tat in Wien und Berlin gegen jede revolutionäre Regung allzugern geübt wurde, einen Zusammenschluß des dritten Deutschland erhofften, bauten die anderen ihren etwas kühnen Plan auf Preußen.“ — Allenthalben sehen wir Unruhe und Verworrenheit, die zum Austrag drängten. Da sich Rhein-bayern, das erst später den historischen Namen der Pfalz zurückerhielt, seiner fortschrittlichen Institutionen, insbesondere einer durch Geschworenengerichte gesicherten Presse-und Versammlungsfreiheit gewiß glaubte, fanden hier die auf dem rechten Rheinufer verfemten Kräfte des Fortschritts und des nationalen Gedankens einen einzigartigen Nährboden.

Das Hambacher Fest Das Vorspiel

Hart an der Westgrenze des Deutschen Bundes, wo die Nachbarschaft Frankreichs, Mißernten und Wirtschaftsnot sowie der Gegensatz zu einer höchst unpopulären, landfremden Bürokratie die Erregung schürten, trafen sich Ende 1831 in einer Zeit erhöhter Spannung vier Männer, die in ihrer Herkunft und in ihrem Werdegang, ihrem Gedankengut und ihrem Wollen Vielfalt und Einheit der kommenden Ereignisse repräsentierten. Als Anwalt in Zweibrücken im gleichen Jahr erst zur zweiten bayerischen Kammer gewählt, hatte sich Friedrich Schüler in der liberalen Opposition einen Namen gemacht, und in dem am gleichen Ort tätigen Advokaten Josef Savoye einen Weggenossen gefunden. Während beide in der Westpfalz verwurzelt, mit dem benachbarten Lothringen und mit Paris verwandtschaftlich und gesinnungsmäßig eng verbunden waren, brachten zwei, vom rechten Rheinufer kommende, Journalisten ein stärkeres Gefühl für das größere Vaterland mit. Der ältere, im Jahre der großen Revolution geborene Philipp Siebenpfeifer, „ein aleMaHHischer Hitzkopf und verbitterter Rechthaber", hatte sich in bayerischen Diensten aus niederem Schreiberberuf emporgehungert und gerade erst im Kampf mit den Behörden ein Ruhe-gehalt erstritten, das ihm den Übergang zur freien Schriftstellerei ermöglichte. In einer Zeitschrift „Rheinbayern“, die wenig später unter dem neuen Titel „Deutschland“ weiter ausgreifen wollte, machte er seine Kenntnisse über „Verfassung, Gesetzgebung, Justizpflege und die gesamte Verwaltung sowie über das Volksleben des konstitutionellen In-und Auslandes zumal Frankreichs“ für seine Mitbürger nutzbar; volkstümlicher suchte seit dem 1. April 18 31 ein „Bote aus dem Westen" die Nachrichten des Tages zu beleuchten. Fortschritt und ‘Freiheit waren die Wegzeichen dieser Arbeit; sie zu erreichen sah der leidenschaftliche Mann im Osten des Bundesgebietes „Unterdrückung und Seuche“; nur der Südwesten konnte Schutz und Hilfe vor der „Reaktion“ gewähren.

Sein Weggenosse und Gegenspieler Dr. Johann Georg August Wirth dagegen gehörte der Generation an, die sich in der Uiburschenschäft die politische Teilnahme erkämpfte, er hatte in Oberfranken den großen Philosophen Hegel als Lehrer, den Dichter Jean Paul und Karl Sand, den Mörder August von Kotzebues, zu Mitschülern gehabt und stand damit dem romantisch-germanischen Drang nach Einheit näher.

Da er sich als Jurist in Bayreuth vergebens gegen Mißbräuche der Behörden stemmte, wandte er sich ebenfalls der Tagespresse zu und hoffte nach mancherlei Fehlschlägen durch eine „Deutsche Tribüne“ zu wirken.

Als er in ihr im Februar 18 32 unter dem Eindruck des polnischen Auf-standes für die von ihm erstrebte demokratische Verfassung die Hilfe eines im gleichen Geiste organisierten Polen erbat, von einem Bündnis des französischen, polnischen und deutschen Volkes die Vorbereitung einer europäischen Staatengemeinschaft erwartete, legte dieser „ideenreichste Kopf" seiner Zeit Gedanken aus einer neuen Arbeitsstätte vor.

Lim der Zensur zu entgehen, war Siebenpfeiffer nach Homburg, dem Hauptort des Westrich, vorangegangen; Ende 18 31 zog ihn Wirth nach.

Von Rheinbayern, so hat Heinrich Heine einige Jahre später (1840) in einem vielumstrittenen Nachruf auf seinen Freund Ludwig Börne die dort entwickelten Aussichten geschildert, sollte die deutsche Revolution ausgehen. Zweibrücken war „das Bethlehem, wo diese junge Freiheit, der Heiland, in der Wiege lag“, um die Welt vom Absolutismus zu erlösen.

Der Anfang versprach viel. Ein Zweckessen, das man Ende 1 8 32 in Zweibrücken für den aus München heimkehrenden Abgeordneten Schüler veranstaltete, brachte einen von Wirth seit langem erwogenen Plan zur Gründung eines Presse -und Vaterlandsvereins zur Reife. Suchten die Regierungen das „Volk“ durch die Auflössng der Landtage mundtot zu machen, so sollten Zeitungen und Flugschriften die Wiedervereinigung Deutschlands vorbereiten und erzwingen. Als die „Deutsche Tribüne“, der „Westbote" und zahlreiche andere Blätter erneut verboten, ihre Druckpressen versiegelt wurden, errang in diesem Sinne eine Erinnerung an „Deutschlands Pflichten“ in einer Auflage von 50 000 Stück einen überraschend großen Erfolg. Obwohl nicht allein Bayern, sondern auch andere Bundesregierungen jede Teilnahme unter Strafe stellten, gab das Appellationsgericht in Zweibrücken dem Einspruch der Vereinsleitung nach und deckte damit die weitere Werbung.

In der ganzen Pfalz, in Baden und Württemberg entstanden Zweigstellen. In Paris meldeten zahlreiche deutsche Emigranten ihren Beitritt an. Zum erstenmal gelang es freiwilliger Hilfsbereitschaft, viele Schriftsteller vor Hunger und Not zu schützen, eine große Zahl von Verlegern und Druckern vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. Für unterdrückte Zeitungen schuf man Ersatz und wußte die Öffentlichkeit, wie in Kriegszeiten, durch Einzelblätter und andere Behelfe ständig zu unterrichten. Da insbesondere die Burschenschaften erhebliche Zuschüsse leisteten und sich damit der Bewegung zur Verfügung stellten, war der Zensur ein kampfbereiter, schlagkräftiger Gegner erwachsen. In der Führung dagegen zeigten sich starke Widersprüche in Programm und Ziel. Wirth gegenüber, der Ende April in einem Aufruf „an die Volks-freunde“ die politische Einheit Deutschlands, Volkssouveränität, gemeinschaftliche Reichsregierung, repräsentative Verfassung für alle Bundesglieder, nach Wahl der Bürger entweder monarchisch oder republikanisch, sowie das Recht jeder Provinz auf Selbstregierung forderte und jeden gewaltsamen Umsturz ablehnte, wollten die Pfälzer die politische Leitung in der Hand behalten, weder sich noch den Verein binden. Die Unruhe griff weiter und weiter um sich.

Vergebens hatte man in München in der Person des Freiherrn von Andrian einen neuen Generalkommissär für den (pfälzischen) Rhein-kreis eingesetzt und ihm für alle Fälle altbayerische Artillerie und Kavallerie zugeteilt. In Zweibrücken beschloß die Bürgerschaft ihren Pfarrer Hochdörfer, der sich lebhaft am Presseverein beteiligte auf „Tod und Leben“ zu verteidigen. In Annweilcr und in anderen Orten war man bereit, die als Zeichen der Freiheit aufgerichteten „Maibäume“ mit Äxten, Heugabeln und alten Gewehren gegen jeglichen Anschlag zu schützen. Wie in den Nachbarländern erschien die Verfassung, die hier der bayerische Landesherr seinem getreuen Volk am 26. Mai 1818 verliehen hatte, als geeignete Schutzwehr.

Aufgrund von Vorgängen jenseits des Rheins hatte Wirth bereits in Zweibrücken ein „Konstitutionsfest“ empfohlen, das zur Verteidigung dieses teuersten Kleinods aufrief. Da die Bürgerschaft in Neustadt, dem wirtschaftlichen Mittelpunkt des Landes, ihre Überlegenheit und politische Unabhängigkeit von den in Speyer vereinigten Ämtern hervorzuheben liebte, griffen dort Mitte April einige Wirte den Gedanken auf. Als Schauplatz schlugen sie unweit des Weinortes Hambach die alte Kästenburg vor, deren über einem Kastanienwald aufragende Ruine kurz zuvor Neustadter Bürger für billiges Geld der völligen Zerstörung entrissen hatten.

Wenige Tage später erweiterte eine, von Siebenpfeiffer aufgesetzte Einladung zur Feier eines „Deutschen Mai“ den Antrag: Nicht der Verfassung eines Einzelstaates, der Vergangenheit also, sondern der Zukunft, der Hoffnung auf einen,, mannhaften Kampf zur Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, der Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde“ sollte am folgen Jen Tage, am Sonntag den 27. Mai, gedacht werden. Im Mai, so ward altgermanische Erinnerung geweckt, „hielten die Franken, unsere ruhmreich bekränzten Väter, ihre Nationalversammlungen, im Mai empfing das heldenmütige Polen seine Verfassung, im Mai regt sich die ganze physische und geistige Natur". Neben Männern und Jünglingen wurden zum ersten Male „deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Mißachtung in der europäischen Ordnung ein Fehler und ein Flecken ist“, aufgefordert, die Versammlung durch ihre Gegenwart zu schmücken und zu beleben. Als Zweck ward mit feierlichen Pathos „friedliche Besprechungen, innige Erkennung, entschlossene Verbrüderung“ genannt.

Die Behörden wurden hellhörig. Während die Einladung immer weitere Kreise erfaßte, verbot man in Speyer das Fest, da in ihm die Partei der Übelgesinnten „unter einer scheinbaren Legalität" die bestehende Ordnung gefährde. Die Anwälte der Opposition dagegen wußten, rechtskundiger als der neue, aus dem fernen Passau berufene Regierungspräsident, unter Vortritt Friedrich Schülers in aller Öffentlichkeit nachzuweisen, daß die amtlich angeführten Gesetze in der Pfalz keine Geltung besaßen. Der höchste Beamte des Rheinkreises rechtfertigte sich in einer eigenen Flugschrift und rief die bayerische Staatsregierung gegen den „Konvent der deutschen Demagogen“ zu Hilfe. In München bestätigte man das Verbot, ließ aber mit Rücksicht auf die ohnehin gereizte Stimmung der Bevölkerung Ausnahmen zu. In einem Grenzland, das sich seit Jahrhunderten mit den neuen elsässischen und lothringischen Departements verbunden wußte und erst vor einem halben Menschenalter der altbayerischen Monarchie zugeschlagen war, durfte man dem französischen Nachbarn keinen Vorwand geben, auch hier, wie in Belgien, erneut Einfluß zu gewinnen. Daß die französische Regierung bereits im März erklären ließ, das Auftreten „fremder“ Truppen, d. h. einer Bundes-hilfe, in der Pfalz nicht zu dulden, war nicht zu überhören. In echter Besorgnis vor außenpolitischen Verwicklungen hob der Regierungspräsident auf Drängen des pfälzischen Landesrates, einer sehr bescheidenen Bezirksvertretung, sowie der eigenen Beamtenschaft im letzten Augenblick das Verbot auf: Eine amtliche Erklärung, daß die seditiösen Ausbrüche der Einladung befriedigend erläutert seien, deckte die Niederlage. Für die breite Masse schien der Sieg der Volkssache ganz nahe, im Kreise der „Reaktion“ wurde ernsthaft die Frage aufgeworfen, ob nicht die Regierung eine solche Zusammenkunft zu einem ganz großen Kampf ausnutzen solle, um alle Volksverführer auf einmal „beim Kopf zu nehmen“. Aufmarsch und Begegnung leiteten den Verlauf des Festes ein.

Erste Aussprache

Tagelang strebten die Teilnehmer, wie vertrauliche Briefe begeistert meldeten, bayerische Behörden und auswärtige Spitzel mißtrauisch bestätigten, dem Festort zu. In jedem pfälzischen Dorf hatte man die üblichen „Maien" zu Freiheitsbäumen erhöht. Tannengrün schmückte die Häuser. Allen Verboten zumTrotz warSchwarz-Rot-Goldzum vornehmsten Festzeichen geworden. Das Argument der Bundesversammlung, daß ein erneutes Eingreifen,, der abenteuerlichen Intension der Partei leicht erst den Schein einer unverdienten Wichtigkeit“ geben werde, gab der Überlieferung der Urburschenschaft ein erhöhtes Ansehen. Neben die Postkutschen, die die Menge nur zum kleinsten Teil aufnehmen konnten, traten Gefährte verschiedenster Art. Die Mehrzahl kam zu Fuß, für Handwerksburschen und Studenten der allein zünftige Brauch. Auch die Frauen, die bisher von solchen Veranstaltungen ausgeschlossen waren, machten von der Einladung reichlich Gebrauch. „Reicht euren Männern, Brüdern und Vätern", mahnte eine neue, kurzlebige Zeitschrift, die sich als , der Deutschen Mai* einführte, „statt der Kugeln und Schwerter grüne, nicht mit Blut befledite Bürgerkränze. Schmückt Euch freiheitsbräutlich zu diesem, durch Bürgertrotz eroberten schönsten Fest. Heftet die Zeichen der deutschen Freiheit, die dreifarbigen Bänder und Kokarden mit doppeltem Stolz an die höher klopfenden Busen, an denen Eure Säuglinge nicht, wie die Kinder der Aristokraten, weibische Schwäche und feige Üppigkeit, sondern die Milch der Kühnheit großer Entschlüsse saugen. "

Da Gasthäuser und Wirtschaften nicht auf einen derartigen Zustrom eingerichtet waren, wurde zumeist Mundvorrat mitgeführt. Wo Quartiere fehlten, luden Heuschober und Scheuern zu nächtlicher Ruhe. Immer mächtiger schwoll, je mehr sich die Straßen dem Raum von Neu-stadt näherten, der Zuzug an. Noch einmal schwelgten, wie es ein Rückblick zur Hundertjahrfeier (1932) ausdrückte, Herr und Frau Bieder-mann in allen Farben der Palette. Aus dem nahen Elsaß trug das Bauernvolk die althergebrachte Tracht zur Schau: die Frauen mit seidenen Schultertüchern, schwarzen oder farbigen Schlupfkappen, die Männer in Kniehosen, roten Westen und dunklen Hüten Den größten Anteil stellten die alten Landschaften der Kurpfalz, der das Gebot der europäischen Großmächte wenige Jahre vorher ihre geschichtliche, auf beiden Ufern des Rheins verwurzelte Stellung genommen hatte. Ob aus entfernten Gegenden, aus dem rechtsrheinischen Bayern, aus Kassel oder gar aus Hannover und dem Königreich Sachsen, wie die Berichte gern hervorheben, mehr als einzelne Zuschauer kamen, ist zu bezweifeln. Allenfalls haben sich die dreihundert Heidelberger Studenten, die sich ein besonderes Ansehen erwarben, in die aufgelegten Listen nach ihrer landsmannschaftlichen Herkunft eingetragen. Aus der nahen Rheinprovinz bezeugten Gesinnungsgenossen schriftlich ihre innere Gemeinschaft, da sie vom persönlichen Erscheinen Schwierigkeiten erwarten mußten.

Insgesamt hat man nach amtlichen und persönlichen Schätzungen für die nun folgenden Tage im Durchschnitt mit 25— 30 000 Teilnehmern zu rechnen. Da der weitaus größte Ort des Südwestens, die Freie Stadt Frankfurt, 4 5 000 Einwohner zählte, schien eine ganze Provinz auf dem Wege. Aus studentischer Überlieferung erhielt das Band, dessen Farben die Jenaer Burschenschaft der Uniform der Lützower Freischar entnommen und sich damit dem Andenken an die Befreiungskriege unterstellt hatte, eine höhere Wertung; nach amtlicher Auslegung „das Panier aller, die unter Umsturz des Bestehenden ein deutsches Reich wollen/ Über Sinn und Inhalt des Festes dagegen zeigte sich bei Einheimischen und Fremden bereits am Vorabend eine durchaus zwiespältige Meinung.

Lediglich einige Heissporne trugen, wie ein Heidelberger Student überraschend offen schrieb, auf der Fahrt nach Hambach „den festen Glauben in sich, ihr Leben für die heilige Sache des Vaterlandes opfern zu müssen.“ Für die Leitung kam es darauf an, nicht allein die öffentliche Meinung sondern zunächst in den eigenen Reihen Klarheit zu gewinnen. Vorfeiern in Neustadt boten den erwünschten Anlaß.

Bisher kannte sich nur ein kleiner Kreis der führenden Männer aus der Presse sowie aus den recht dürftigen Berichten, die über die Reden in den Ständeversammlungen in weitere Kreise drangen. Jetzt sah man sich von Angesicht zu Angesicht, drückte sich die Hände und tauschte den Bruderkuß. Zahlreiche Persönlichkeiten, die in der Heimat als Sprecher der Opposition einen großen Namen trugen, fehlten. Karl von Rotteck vor allem, der sich von dem Übereifer seines früheren Jüngers Siebenpfeifer abgestoßen fühlte, war der Einladung nicht gefolgt, obwohl für ihn als Zeichen besonderer Hochachtung ein Ehrenbecher bereitstand. Andere, wie Adam von Itzstein, dessen hundertjährigen Todestag seine Landsleute im Vorjahr festlich begingen, nahmen an einzelnen öffentlichen Veranstaltungen teil, hielten sich aber völlig zurück. Für sic, die sich als Wegbereiter eines deutschen Parlamentarism u s fühlten, bedeuteten Volksfeste nur eine Beigabe, nicht Ersatz der heimischen Landtage. Sogar in dem benachbarten Rheinhessen fand der Ruf recht wenig Widerhall. Lim so begeisterter begrüßten Festleiter und Jugend Ludwig Börne, der für den Journalismus dieser Tage nicht allein „das junge Deutschland" sondern auch „ein junges Europa“ verkörperte und nun aus Paris herbeigeeilt war, um dem Freund Heinrich Heine die ersten Schritte zu erläutern, die Deutschland von einer wortreichen Theorie zu lebendiger Tat führen sollten.

Nicht die politischen Lieder der neuen Zeit aber, sondern Vater Arndts bange Frage nach Umfang und Grenzen des Vaterlandes eröffnete im Schießhaus oberhalb von Neustadt die erste größere, vom Festausschuß einberufene Versammlung. AIs Auftakt verlas ein Straßburger Advokat einen Willkommensgruß der dortigen „Gesellschaft der Volksfreunde.“ „Der Kultus der Freiheit“, hieß cs, „ist allen gebildeten Völkern gemeinsam. Beharrt treu und redlich in Eurem edlen Entschluß. Schließt den Bund der Völkereinheit unter Euren getrennten Fürstenstaaten. Vernichtet die Fesseln, die der Absolutismus zu Eurer Trennung geschmiedet.“

Zwei Wege kreuzten sich damit auch hier. Der eine hatte die Einheit Deutschlands zum einzigen Ziel, der andere verhieß weit darüber hinaus die Freiheit Europas. Stärker noch kam dieser Zwiespalt in einem Treffen im Gasthaus “ Zum Schiff“ zum Ausdruck. Während die einheimischen Mitglieder der Leitung, vornehmlich Schüler und Savoye, den lokalen Charakter der bevorstehenden Feier betonten, legten die Schutzherren der Presse, Siebenpfeiffer und Wirth, ein Bekenntnis zur Revolution ab, ohne in der Angabe der Mittel eine Übereinstimmung zu erzielen. Für die Pfälzer war eine engere Bindung an den Westen wichtig, Wirth warnte vor der Begehrlichkeit Frankreichs. Als in den Nachtstunden neue Scharen die Straßen von Neustadt durchzogen, gingen beide Versammlungen ohne festen Feldzugsplan auseinander.

Der Deutschen Mai

Am Morgen des 27. Mai, bald nach acht Uhr, setzte sich der wohl-vorbereitete Festzug vom Neustadter Marktplatz aus in Bewegung. Bürgerwehr mit Musik gab den Marschtritt an. Es folgten Frauen und Jungfrauen mit dem Träger des polnischen, von ihnen selbst aus rotem und weißem Atlas gefertigten Banners, abgelöst durch Bürgetwehr sowie durch Festordner mit breiten schwarz-rot-goldenen Schärpen. In ihrer Mitte brachte eine heute noch im Heimatmuseum der Stadt erhaltene Fahne mit der weithin leuchtenden Inschrift „Deutschlands Wiedergeburt''Hoffnungen und Wünsche der Tausende zum Ausdruck. Die zweite Gruppe eröffnete der Landesrat, der durch seine Teilnahme der Veranstaltung einen halb offiziellen Charakter gab, gefolgt von auswärtigen Abordnungen, die besondere Tafeln als Badener und Rheinpreußen, Hessen und Württemberger, Franken, Altbayern und Frankfurter bezeichneten. Mitläufer bildeten, wie üblich, den Schluß. Kleinere Fähnchen und Wimpel, von denen das eine oder andere Stück, ebenso wie einzelne einfache Schärpen, die Erinnerung bis zur Gegenwart wachhalten, waren in dem ganzen Zug verteilt. Da die Universität Heidelberg knapp 600 Studenten zählte, mehr als die Hälfte dem Ruf gefolgt war, fand ihre große schwarz-rote Fahne, in deren Mitte ein goldenes Kreuz, besondere Beachtung. Daß die Deides-heimer eine solche in den „amtlichen" weiß-blauen Farben mitführten, wurde unwillig ausgenommen, „da man kein bayerisches Konstitutionsfest, sondern eine deutsche Nationalfeier begehen wolle". Schwarze Fahnen mit der Inschrift: „Die Weinbauern trauern“, weisen noch heute nicht nur in der Pfalz auf wirtschaftliche Notstände der Winzer hin. Großes Aufsehen erregte die „türkische Musik" der Dürkheimer sowie eine weithin sichtbare „ganz grüne“ Fahne als Zeichen der Hoffnung. Unter den Marschliedern fand neben dem allbekannten Vaterlandsgesang Vater Arndts ein von Siebenpfeiffer verfertigtes Gedicht den größten Beifall:

„Hinauf Patrioten zum Schloß, zum Schloß!

Hoch flattern die deutschen Farben:

Es keimet die Saat und die Hoffnung ist groß, Schon binden im Geiste wir Garben, Er reifet die Ähre mit goldenem Rand Und die goldene Ernt'ist das Vaterland.“

Da der Dichter sein Werk persönlich nach der Melodie des Reiter-liedes in Wallensteins Lager mit dreihundert Handwerksburschen ein-geübt hatte, spielt es in den Festbeschreibungen eine große Rolle. Die weitere Strophe:

„Was tändelt der Badner mit Gold und Rot, Mit Weiß, Blau, Rot Bayer und Hesse?

Die vielen Farben sind Deutschlands Not, Vereinigte Kraft nur zeugt Größe:

Drum weg mit der Farben bunten Tand!

Nur eine Färb und e i n Vaterland!“, erwies sich ebenso zugkräftig wie der nicht minder packende Schluß:

„Drum auf Patrioten! Der Welt sei kund, Daß eng, wie wir stehen, gegliedert, Und dauernd wie Feld der ewige Bund, Wozu wir uns heute verbrüdert.

Frisdi auf Patrioten, den Berg hinauf Wir pflanzen die Freiheit, das Vaterland auf.“

Gegen elf Uhr kam die Spitze des Zuges am Eingang zur Burg an, wo ihn bereits neue Tausende erwarteten. Auf der letzten Wegstrecke noch hatte sich den Zuschauern ein eindrucksvolles Bild ergeben:

„Unten die wogende Menschenmenge, die im festlichen Gewände mit zahlreichen Fahnen unter dem Klang von zahllosen Instrumenten und dem Erklingen von Freiheit atmenden Gesängen den Berg hinaufwallte;

dann die in ihrem weiten Umkreis mit reichen Fruchtgefilden und grünenden Weinbergen, mit unzähligen Städten und Dörfern bedeckte Gegend, die sich vor den Blicken des entzüduen Beobadtters gleich einem paradiesisdten Panorama ausbreitete. Oben die majestätische Burg mit ihren hohen Mauern und verfallenen Türmen, die bunten Zelte, die langen Tafelreihen und dann die imposanten Menschenmassen, die die Neuankommenden durdi Schwenken der dreifarbigen, altdeutschen Fahnen und unter Musikklang und dem Donner der Böller empfingen ‘.

Ein Unglücksfall, bei dem einzelne Personen durch herabfallende Trümmer verletzt würden, war bald vergessen, der Festakt konnte beginnen.

Daß die schwarz-rot-goldene Hauptfahne auf den höchsten Zinnen einen Ehrenplatz erhielt, weit niedriger die polnische Fahne, vielleicht auch die blau-weiß-rote Trikolore des französischen Bürgerkönigtums aufgepflanzt wurden, gab den folgenden Reden eine bewußt vaterländische Prägung. Wieder erschollen alte und neue Freiheitslieder, die wandernde Studenten den Handwerksburschen weitergegeben und damit erst dem ganzen Volk erschlossen hatten. Trompetenstöße kündeten eine Eröffnungsansprache an. Mit dem Ruf: „Es lebe Deutschlands Einheit, Deutschlands Freiheit und durch sie Deutschlands Wiedergeburt,“ traf sie den tieferen Sinn der Feier. Als von der Festleitung gestellte Redner suchten ihn Siebenpfeiffer und Wirth eindringlich zu erläutern. Nur ihre Ausführungen haben den flüchtigen Eindruck des Tages überdauert und gingen in ungezählten Abdrücken ins Land. Deutlich tritt uns in ihnen ein Zwiespalt entgegen, den zunächst das gemeinsame Losungswort deckte.

Wie in früheren Aufsätzen und Ansprachen gefiel sich Siebenpfeiffer, „eine magere, langbeinige Gestalt, schwarzhaarig, gelblich pergamenten im Gesicht,“ mit stechenden Augen, in denen ein unruhiger Fanatismus flackerte, in durchaus negativer Kritik. Lediglich die Fürsten und die ihnen hörigen Aristokraten waren danach an dem unerfreulichen Zustand Deutschlands und an der Zerrissenheit Europas schuld. Jeder Blick auf die gesegneten Gebreiten des Rheins ward dem Redner getrübt durdi ihr Treiben. Dort Karlsruhe, so lenkten seine leidenschaftlichen Sätze die Zuhörer zu einem Rundblick, „der Schemel üppiger Höflinge, hier Speyer, einst der prangende Sitz deutscher Reichsversammlungen und des Reidisgerichts, jetzt von etlidien Jesuiten und Aristokraten beherrscht“, entfernter Frankfurt, „rüstig mit Fässern, Ballen und Geldsäd^en, jetzt Sitz des Bundestages und damit des politischen Vatikans, aus welchem der Blitzstrahl herabzuckt, wo irgend ein freier, ein deutscher Gedanke sich hervorwagt.“ In der gleichen, überspitzten Tonart endeten durchaus zukunftsträchtige Wünsche, die eine neue Jugendbildung sowie eine gehobene Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft in den Vordergrund rückten, in kleinlichem Haß gegen die Vornehmen und gegen ihre in Kirche und Staat tätigen Helfer. Auch die weitere Forderung nach einem, alle deutschen Stämme umfassenden Vaterland drohte unter solchem Wortschwall zu ersticken.

Hinter einer edlen Sprache, berichtete unverzüglich ein Heidelberger Student über die sorgfältig vorbereitete Rede, stand ein kalter Verstand: „Bitterer Haß und beißende Ironie, aber keine Liebe, kein inniges, glühendes Umfassen seiner Ideale,“ wußten keine tiefere Begeisterung zu wecken.

Wesentlich klarer trat bei dem Weg-und Kampfgenossen des Demagogen der gleiche Gedanke an Einheit in Wort und Wille hervor; bis in unsere Zeit wird die Wirkung verständlich, die von der Rede Wirths ausgehen sollte. Auch er freilich machte in erster Linie die „verräterische Aristokratenfamilie,“ die die einzelnen Vaterländer regiere, für die Ohnmacht des Ganzen verantwortlich. Daß auch der beste Fürst ein Hochverräter sei, ließ für die Zukunft die Republik ahnen. Vorläufig könne nur der liberale Staat Deutschland auf den Stand bringen, den ihm Natur und Geschichte bestimmten. Alle diese unendlichen Triumpfe des menschlichen Geschlechts, lautete die rhetorische Frage, sollten den Völkern bloß darum vorenthalten werden, damit unverständige Knaben fortwährend die Kriegsrolle erben? Fragt man nach Hochverrätern, sind es die Könige, „welche lediglich um der Eitelkeit, der Herrschsucht und der Wollust willen die Bevölkerung eines ganzen Weltteils elend machen und durch empörende Unterdrückung Jahrhunderte hindurch hindern, sich zu materieller Wohlfahrt und geistiger Vollendung aufzuschwingen.“ „So riesenhaft die Macht des finsteren, den Absolutismus schützenden Bundes sein mag, besteht sie doch in der Hauptsache aus deutschen Kräften, die aus Österreich und aus Preußen Ruß-land stützen, — ihr Ende ist daher mit dem Augenblicke gekommen, wo in Deutschland die Vernunft in politischer Beziehung den Sieg erlangt, wo die öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr nach dem despotischen Willen eines Einzigen, nicht mehr nach den Interessen einer über ganz Europa verzweigten Aristokratenfamilie, sondern nach dem Willen der Gesellschaft selbst und nach den Bedürfnissen des Volkes geleitet werden. In dem Augenblicke, wo die deutsche Volkshoheit in ihr gutes Recht eingesetzt sein wird, in dem Augenblicke ist der innigste Völkerbund geschlossen, denn das Volk hebt, wo die Könige hassen, das Volk verteidigt, wo die-Könige verfolgen, das Volk gönnt das, was es selbst mit seinem Herzblut zu erringen trachtet und was ihm das Teuerste ist, die Freiheit, Aufklärung, Nationalität und Volkshoheit auch dem Brudervolke; das deutsche Volk gönnt daher diese hohen unschätzbaren Güter auch seinen Brüdern in Polen, Ungarn, Italien und Spanien. Wenn also das deutsche Geld und das deutsche Blut nicht mehr den Befehlen der Herzöge von Österreich und der Kurfürsten von Brandenburg, sondern der Verfügung des Volkes unterworfen sind, so werden Polen, Ungarn und Italien frei, weil Rußland dann der Ohnmacht verfallen ist und sonst keine Macht mehr besteht, welche zu einem Kieuzzuge gegen die Freiheit der Völker verwendet werden könnte. Der Wiederherstellung des alten, mächtigen Polen, des reichen Ungarn und des blühenden Italien folgt von selbst die Befreiung Spaniens und Portugals und der Sturz des unnatürlichen englischen Übergewichts.

Europa ist wiedergeboren und auf breiten, natürlichen Grundlagen dauerhaft organisiert. Freiheit des Welthandels ist die köstliche, materielle Frucht und das unaufhaltsame Fortschreiten der Zivilisation, der außer jeder Berechnung liegende Gewinn eines solchen Weltereignisses.“

Deutschland muß, — so erhält der weltbürgerliche Zug, der die Literatur der Zeit unter den von Goethe gegebenen Vorzeichen durchzieht, ein nationales Ziel, — um in Europa der Wächter des Lichts der Freiheit und der völkerrechtlichen Ordnung zu sein, mit der großen Wende beginnen.

Nahezu dreißig Jahre sollte es dauern, bis dieser Gedanke in dem vielberufenen Wort Emanuel Geibels, daß am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen möge, eine neue Prägung erhielt.'

Schon auf dem Hambacher Fest aber lehnte Wirth für diese Aufgabe jede Hilfe des westlichen Nachbarn ab und wandte sich ganz bewußt gegen Stimmungen, die in der Pfalz vielfach gehegt und genährt wurden: „Du/? wir um deu Preis einer neuen Entehrung, nämlich der Abtretung des linken Rheinufers die Freiheit nicht erkaufen wollen, dafl vielmehr bei jedem Versuch Frankreid-is, nur eine Scholle deutschen Bodens zu erobern, auf der Stelle alle Oppositionen im Inneren sd-tweigen und ganz Deutschland sidt erheben müßte, daß die Befreiung unseres Vaterlandes vielmehr umgekehrt die Wiedervereinigung von Elsaß und Lothringen mit Deutschland wahrscheinlidterweise zur Folge haben werde, — über all dies kann unter Deutsd'ien nur eine Stimme herrsdten. Selbst die Freiheit darf auf Kosten der Integrität unseres Gebietes nidtt erkauft werden. Der Kampf um Vaterland und Freiheit muß durdt eigene Kraft von Innen heraus geführt werden."

Töne klingen auf, wie sie beim Abschluß der Befreiungskriege Gneisenau und Hans Christoph von Gagern, Görres und Arndt angeschlagen hatten, wie sie acht Jahre später (1840) eine literarische Fehde zwischen französischen und deutschen Dichtern, Politikern und Soldaten einleiten sollten.

Der Barmer Fabrikantensohn Friedrich Engels vor allem, der sich in diesen Jahren zum ersten Mal zum Sozialismus bekannte, suchte mit beweglicher Klage, daß Frankreich nach dem Gewinn Burgunds, Lothringens und Flanderns „mit dem Elsaß sdton bis an Rhein vorgedrungen und nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des ehemals deutschen linken Rheinufers noch unser ist“, im gleichen Sinne wie Wirth die Nutzanwendung für die deutsche Innenpolitik zu ziehen. Auf der anderen Seite heißt es bei ihm, „sind, wir der Elsässer nidit wert, solange wir ihnen das nicht geben können, was sie jetzt besitzen, ein freies öffentliches Leben in einem großen Staate. Bis dahin können wir die Frage ruhig der Entwiddung und der Volkstümlichkeit unseres Weltgeistes anheimstellen, bis dahin sollen wir auf ein klares gegenseitiges Verständnis der europäischen Nationen hinarbeiten und nach der inneren Einheit streben, die unser erstes Bedürfnis und die Basis unserer zukünftigen Freiheit ist. Solange die Zersplitterung unseres Vaterlandes besteht, so lange sind wir politisch null, solange sind öffentliches Leben, ausgebildeter Konstitutionalismus, Pressefreiheit und was wir noch mehr verlangen, alles fromme Wünsche, deren Ausführung immer halb bleiben wird."

Zugleich müsse das Ringen um eine „Volkshoheit“ in Deutschland, so hatte Wirth diesen Gedankengang bereits auf der Kästenburg ausgenommen, eine allgemeine Völkerfreiheit einleiten. Dem , Fürsten-bund , der sich auf Rußland stütze, in Österreich und Preußen allzu willige Glieder besitze, stellte er einen „Bund der Völker“ entgegen, wie ihn auch sonst die politische Lyrik in Frankreich und Deutschland forderte und prägte. Lim eine solche Entscheidung vorzubereiten, erschien der Vaterlandsverein, auf den Wirth bislang seine Hoffnung gesetzt hatte, nicht mehr das richtige Instrument. Die Sehnsucht nach Besserung ist allgemein, damit steuern die Schlußsätze festes Land an, aber darüber, worin dieses Bessere bestehe, war man sich noch immer nicht einig geworden. Die planlose Tätigkeit verlange eine Umkehr. Von den hier versammelten Patrioten seien Männer zu wählen, die „durch Geist, Feuereifer und Charakter berufen sind, das große Werk der deutschen Reform zu beginnen," mit gleichgesinnten Freunden der Nachbarländer eine Verständigung herbeizuführen. Werde ihnen die Integrität Deutschlands verbürgt, dann erst sei die brüderliche Vereinigung aller Nationen, die für Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück das Leben einsetzen wollen, gesichert.

Auch diese Rede fand, soweit unsere Zeugnisse reichen, wie die Ansprache Siebenpfeiffers, bei den Hörern eine'sehr geteilte Aufnahme.

Einer rückhaltlosen Zustimmung standen recht erhebliche Bedenken gegenüber. Zahlreiche Teilnehmer hatten, wie mehrfach berichtet wird, bereits die Ausfälle Siebenpfeiffers gegen Fürsten und Aristokraten vertrieben. Andere stieß die allzu patriotische Note ab, die in Wirths Ausführungen mitschwang. Da beide die Tätigkeit der ständischen Opposition, die doch in erster Reihe bemüht war, die Mißstände in den Einzelstaaten aufs Korn zu nehmen, überhaupt nicht erwähnten, fühlten sich die anwesenden Abgeordneten übergangen und verließen frühzeitig das Fest. Adam von Itzstein, der wenig später in Hallgarten auf einem der schönsten Weingüter des Rheingaues mit der Zusammen-führung politischer Freunde aus dem Südwesten, aus Rheinpreußen und aus Sachsen eine wichtige Aufgabe des Hambacher Festes aufzunehmen wußte, wollte am 27. Mai 18 32 nicht Mitschuldiger an einem unfruchtbaren „Revolutiönchen" werden. Auch Wirths Wut hatte sich, wie ein junger Burschenschafter den frischen Eindruck festhält, von Minute zu Minute gesteigert: „der Schweiß rann ihm von dem Gesicht, sein Mund schäumte und mit einer dreifachen Verwünschung aller Tyrannen“ buhlte er ebenfalls um den Beifall der Menge.

Für uns dagegen, die wir in Ruhe vergleichen können, wird bis in Einzelheiten hinein die tiefe Kluft deutlich, die Gedankengänge und Ziele der beiden damals und später im gleichen Atem genannten Männer trennte. Schärfer noch bezeichneten die von ihnen ausgebrachten Hochrufe ihre verschiedene Haltung. Siebenpfeiffer, der das Ende des alten Reiches, Rheinbund und Herrschaftswechsel bis in seine Mannes-jahre bewußt erlebt hatte, begrüßte an erster Stelle Polen und Fran. zosen als künftige Verbündete. Für Wirth standen die „vereinigten Freistaaten Deutschlands“ voran, dann erst erschien das „konföderierte republikanische Europa“ möglich und erwünscht. Da er damit die vaterländische Stimmung der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Bevölkerung des Grenzlandes traf, wurde seine Ansprache zum Höhepunkt der Feier. Daß eine Abordnung aus der Freien Stadt Frankfurt ihm als Sprecher für Ehre und Ansehen des gemeinsamen Vaterlandes ein „deutsches Schwert“ überreichte, entsprach dieser Wertung.

Der Vormittag war darüber vergangen. Zum Mittagessen hatten die Neustadter Wirte für vierzehnhundert Gäste vorgesorgt. Nicht nur ein schnell vorüberziehendes Gewitter, auch die Höhe der Preise sowie schlechte Bedienung ließen viele Plätze unbesetzt. Mit der Rückkehr der Sonne füllten sich die Lücken. Während sich Zuschauer und Elörer zwanglos zusammenfanden, betonten zahlreiche weitere Ansprachen und Trinksprüche den politischen Charakter des Volksfestes. Der ganze Berg, heißt es in einem vertraulichen Brief, „erschien in dem Dunst und dem Getöse einer fröhlidten, erregten, vieltausendköpfigen Menge von Männern, Frauen, Halbwüd'isigen und Kindern eingehüllt. Während an der einen Stelle einem Redner zugejubelt wurde, ergriff an einer anderen ein zweiter das Wort; wieder anderwärts wurden Lieder gesungen, deren Texte man ebenso wie allerlei Flugschriften verteilte." Daß dabei die neuen Gesänge „Noch ist Polen nicht verloren“ oder „In Warschau schwuren Tausend auf den Knien“ eine große Rolle spielten, die Fleidelberger Burschenschafter ein wenig bekanntes Lied ihres Bundesbruders, des Ungarn-Deutschen Nikolaus Lenau mitbrachten, entsprach nicht allein der Modeströmung, — allen Ernstes war der Gedanke lebendig, daß man zunächst im Osten eine Schutzwehr gegen den russischen Despotismus aufrichten müsse, um dann erst in voller Freiheit vom konstitutionellen Deutschland aus die mitteleuropäische Heimat zu erneuern. „Gruppen von sidi Unterhaltenden, Weintrinkenden und Essenden standen oder saßen beisammen, es war eine stete Bewegung Kommender und Gehender den Berg hinauf und hinab. Händler riefen ihre Waren aus, die Musikkapellen der verschiedenen Gemeinden spielten, die Böller, die den ganzen Tag etwa fünfhundert Schuß abgaben, dröhnten!"

Mehr als zwanzig Reden verzeichnet die Überlieferung für diesen Nachmittag. Neunzehn hat Wirth des Abdrucks in seiner Festbeschreibung gewürdigt, andere werden in Untersuchungsakten, die über den Verlauf des Festes berichten, nach ihrem wesentlichen Inhalt charakterisiert. In der Verschärfung der bereits aufgewühlten Erregung stimmten Berichte und Briefe, überein. Polnische Emigranten riefen zum Aufstand der mündigen Völker gegen die „von den Aristokraten verfertigten, durch die Despotie sanktionierten Gesetze" auf. Neben dem bereits erwähnten Pfarrer Hochdorfer machte nach dem späteren Urteil der Gerichte ein Bergzaberner Bürger mit seiner Schilderung des vierten Standes den tiefsten Eindruck. Der eine Satz vor allem: „Wenn der verhungernde Landmann mit seinem verkrüppelten Sohne heimkömmt, um auf dem Strohlager das lechzende Kind an der vertrockneten Brust der Mutter zu finden", soll die leicht entzündbaren Gemüter aufgepeitscht haben. Ein Flugblatt mahnte die Soldaten, mit den Bürgern zusammen für die heiligsten Rechte der Menschheit gegen Tyrannei und Aberglauben, gegen Absolutismus und Finsternis zu kämpfen. Euer Sold wird erhöht, verhieß der „deutsche Bürger“, der als Verfasser zeichnete, „Eure Offiziere werden nicht mehr aus unwissenden, bevorzugten Kasten, sondern nach Fleiß und Talent ausgewählt werden“.

Aus einem besonders beifällig aufgenommenen Rundgesang, in dem kurz zuvor der Frankfurter Schriftsteller Wilhelm Sauerwein zum „deutschen Treibjagen“ aufgerufen hatte, erhielt der Kehrreim „Fürsten zum Land hinaus“ im ganzen Südwesten volkstümliche Wirkung — ohne die Anhänglichkeit an den „angestammten“ Herrscher nachhaltig zu stören.

Besser als solche Einzelbilder, die sich aus einer Fülle zeitgenössischer Quellen vermehren lassen, bezeichnet die Ansprache des bereits erwähnten Heidelberger Studenten Karl Brüggemann die Stimmung. Mit ihm kam in entschiedener Weise die junge Generation zu Worte, die sich in der Burschenschaft eine rege staatsbürgerliche Teilnahme bewahrte.

Ein kleiner Kerl, an Gesundheit schwächlich, aber zäh und verwegen, emporgetragen von einem ehernen, wahrhaft westfälischen Heimat-und Rechtsgefühl, hatte er bereits im Sommer des Vorjahres auf der Limburg bei Dürckheim Freunde gewonnen und war auf einem „Konstitutionsfest“ im badischen Weinheim den liberalen Oppositionsmännern als ein echter Jugendführer aufgefallen. Hellenen-und Germanentum, die llrgedanken der deutschen Reformation und der englischen Revolution hatten für ihn die Grundlagen für ein neues Europa gelegt Als „volkstümlich gerechter Freistaat“ müsse Deutschland zum Herzstück des Kontinents werden. Wie vordem Wirth sah er in der Wiederherstellung Polens, in der Befreiung Lingams und insbesondere in der Vereinigung des Elsaß und Lothringens mit den übrigen deutschen Landschaften die folgerichtige Durchführung des Gedankens der nationalen Einheit und bürgerlichen Freiheit. Daß das Wartburgfest von 1817 lediglich ein Vorspiel gewesen war, ist dem Burschenschafter eine selbstverständliche Überlegung. Inzwischen aber waren auch nach seiner Ansicht die Zeiten härter geworden:

„Wenn die freie Presse vernichtet, die Gesetze verhöhnt und die Mittel zur Menschheitsbildung abgeschnitten werden, — dann ist keine Wahl mehr, dann ist jedes Zögern Verrat an der Vernunft, der Tugend, der Menschheit, dann ist der Kampf ein Akt der Notwehr, der alle Mittel heiligt, die schneidensten sind die besten, denn sie beenden die gerechte Sache am siegreichsten und schnellsten".

Es war ein aufgeregter Moment, erzählt sein Bundesbruder Gustav Körner, der wenig später von solchen Worten zur Tat übergehen sollte, als der Redner die Versammlung aufforderte, ihre Hände zu erheben und den Rütli-Schwur aus Schillers „Wilhelm Teil " nachsprechen ließ: „Eine stille Pause trat ein, dann bradi ein Jubel los ohnegleichen und Brüggemann wurde vom Volk auf die Tribüne geholt". Die Erinnerung, daß ein tief erschüttertes Bäuerlein ihm sagte, so hat vordem Christus gesprochen, sollte den jugendlichen Kämpfer in viele harte Jahre begleiten.

Wiederum war die Wirkung nicht einheitlich. Hatte vordem die Abneigung gegen allzu weltbürgerliche und radikale Gedankengänge einzelne Teilnehmer zur Abkehr veranlaßt, so machten jetzt andere führende Persönlichkeiten, die man zur „französischen Partei“ rechnete, von dem gleichen Einspruchsrecht Gebrauch. Friedrich Schüler und Josef Savoye, deren Beziehungen zu den westlichen Nachbarn durchaus bekannt waren, werden hervorgehoben. Die große Masse ließ sich nicht stören. Da keinerlei Anlaß zum Einschreiten vorlag, wußten die amtlichen Meldungen eine bewundernswerte Ordnung zu rühmen. Bei reichlich fließendem Wein hielt die Weihe des Tages Männer und Frauen im Zaum. Daß auf dem Heimweg von der Kästenburg in den umliegenden Dörfern weiter gesungen und gezecht, geredet und gefeiert wurde, Tanz und Musik in allen Wirtshäusern bis zum frühen Morgen andauerten, ist selbstverständlich. In Neustadt weckte ein Fackelzug, den man Ludwig Börne darbrachte, noch einmal den politischen Sinn des Festes. Llnter dem Eindruck des „schönen Tages, an dem unsere Fahne des mächtigen Deutschland majestätisches Panier, nach langer Demütigung zum ersten Male enthüllt war“, gingen die Tausende auseinander.

Die Nachfeiern

Ein Abschluß fehlte. Ihn vorzubereiten, traf man sich am Montag Vormittag in verschiedenen Neustadter Gasthäusern erneut zu vertraulicher Aussprache. Vor den Einheimischen versuchte Friedrich Schüler die am Vortage aufgetretenen Einstimmigkeiten auszugleichen. Weder von einer Spaltung der Opposition noch von dem Ruf nach einer gewaltsamen Revolution war nach seiner Meinung die Rede. Auf dem Schießhaus, wo die Führer wiederum zahlreiche Anhänger vereinten, rief Siebenpfeiffer nach seinen eigenen Angaben „zur Tat auf. Solange uns die Regierungen mit Dekreten und Reskripten angreifen, gestand der wortgewaltige Agitator vor dem Geschworenengericht, setzen wir ihnen lediglich die Gewalt der Rede entgegen, „wenn aber mit Bajonetten und Kanonen, kann Rosenwasser nichts helfen“. Sein weiterer Antrag, für einen solchen Fall Vorkehrungen zu treffen, entfachte den offenen „Streit der Chorführer“. Man war nicht einerlei Meinung, erzählt einer der Anwesenden, „was nun mit Deutschland anzufangen sei, ob man eine Republik oder ein Kaiserreidt nach altem Schnitt daraus machen und wem man die Regierung anvertrauen solle". Ebensowenig fand die schon auf der Kästenburg berührte Mahnung, aus den in Neustadt vertretenen Stämmen oder Gauen einen Ausschuß zu wählen, um in ihm die Rechte des Volkes gegenüber den Regierungen auf gesetzlichem Wege durchzusetzen, Beifall. Vor allem die Studenten erklärten sich für eine solche Wahl nicht befugt. Nur einem Ausgleich, daß alle Persönlichkeiten, die bei den letzten Veranstaltungen Beifall gefunden hätten, sich als gewählt betrachten sollten, stimmte man zu.

Ältere und jüngere Teilnehmer, die lediglich um des recht schönen Festes willen gekommen und nun des unfruchtbaren politischen Zanks müde waren, schüttelten, „als das Spiel der erhitzten Phantasie immer krasser wurde,“ wie ein Heidelberger Burschenschafter berichtet, den Staub von den Füßen und kehrten in Heimat und Beruf zurück.

Lediglich eine kleine, auserkorene Schar traf sich am Nachmittag in der neuen selbsterwählten Eigenschaft als Volksvertreter bei dem Neustadter Abgeordneten Schoppmann zu einer letzten Besprechung. Neben Brüggemann wurde, da bürgerliche und bäuerliche Kreise der Studentenschaft die’ höchst ehrenvolle Aufgabe eines Stoßtrupps überließen, der vormalige Privatdozent von Rauschenplat zugezogen, der sich schon Anfang 1831 an der Göttinger Hochschule das Ansehen eines Berufsrevolutionärs errungen hatte, seit Monaten an den verschiedenen Universitäten für ein „Losschlagen warb und nun von Wirth und Siebenpfeiffer Anweisung erwarten mochte. Lediglich die Ausgabe eines offiziellen Berichtes aber wurde den beiden Festrednern überlassen. In anderen Fragen traten die alten Gegensätze hervor. Die eine Gruppe, die vor allem die Pfälzer umfaßte, wollte ihr der Regierung gegebenes Versprechen halten und der Feier den Charakter einer „friedlichen Besprechung“, allenfalls einer „innigen Erhebung und entschlossenen Verbindung für die großen-Interessen“ wahren. Im gleichen Sinn bemühte sich der lokale Festausschuß, dem Vertrauen der Neustadter Bürgerschaft und der Behörden gerecht zu bleiben. Die auswärtigen Gäste dagegen forderten eine schärfere Zusammenfassung der auf dem Hambacher Schloß geäußerten Wünsche. Während daher die pfälzischen Mitglieder im Presseverein lediglich „eine Vereinigung für den Liberalismus“ sahen, gab ihm Wirth die in seiner Rede angedeutete Aufgabe, eine Wiedergeburt Deutschlands vorzubereiten, die verfügbaren Mittel zur Stärkung einer solchen Agitation zu nutzen. In einer dritten, recht kleinen Gruppe wollten vornehmlich Studenten bereits den Tag festlegen, an dem die Fahne des Aufruhrs aufgepflanzt werde. Die Gegenerklärung, daß man keine Vollmacht zu einer solch schweren Entscheidung besitze, ward unwillig ausgenommen. Einmütigkeit bestand keinesfalls. Sogar auf dem engeren Arbeitsfeld, das sich der „Preß-und Vaterlandsverein" abgesteckt hatte, blieben die Meinungen geteilt. Die Mehrheit lehnte die vorgeschlagenen Richtlinien ab und begnügte sich mit der Feststellung, daß man für die Zeitungen alles getan habe. Wenn Siebenpfeiffer später als nächste Folge des Hambacher Festes die Bildung eines Reformvereins nannte, hat er nur persönlich mit seinem Freund und Widersacher Wirth eigenen Grundsätzen den Schein praktischer Wirklichkeit gegeben. So erfreulich allerseits der Verlauf der Feier beurteilt wurde, — ein politisches Ergebnis war auch nicht in weiteren, ganz vertraulichen Besprechungen zu erzielen, die alte und neue Gesinnungsfreunde in der gastlichen Stadt zusammenhielten. Erst am 1. Juni liefen, als die Festordner die auf dem Hambacher Schloß aufgesteckten Wahrzeichen, das vielbewunderte Banner mit der Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ und die polnische Fahne, in Begleitung der Bürgerwehr der Stadt Neustadt übergaben, die Verhandlungen aus. Mit der Versicherung, daß man bereit sei, die freiheitlichen Institutionen Rheinbayerns vor jeder Verletzung zu schützen, ja, wenn es sein müsse, Gewalt mit Gewalt zu erwidern, übernahm sie der Stadtrat: „Möge ihr Glanz — damit wird nochmals der Inhalt dieser Tage umschrieben — die Herzen aller rechten Deutschen erleuchten, nicht nur über allen deutschen Gauen, sondern über alle Völker Europas als Sonne aufgehen, — denn alle nehmen Anteil an den Folgen des Festes“.

• Nur in Neustadt aber klang damit die von der Leitung vo: gesehene Feier aus. Insgesamt hatte sie, wie ein bäuerliches Hausbuch recht nüchtern vermerkt, vierzehn Tage gedauert, „ohne daß viel geschafft wurde“. In der näheren und weiteren Umgebung war es ähnlich zugegangen. Aus der alten Kurpfalz sowie aus den benachbarten Landschaften liefen bei den Behörden zahlreiche Meldungen ein, die zum mindesten auf eine größere Willensgemeinschaft hinwiesen. Daß deutsche Emigranten am gleichen 27. Mai in der französischen Hauptstadt bei einer Zusammenkunft im Wäldchen von Vincennes als Festgast den aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sowie aus den jüngsten Pariser Er-ereignissen bekannten General Lafayette, einen entfernten Verwandten Friedrich Schülers, begrüßt hatten, deutete in ihren Augen nicht mit LInrecht auf engere Beziehungen zu dessen pfälzischen Freunden. Ähnliche Nachrichten kamen, um nur wenige Beispiele anzuführen, aus Frankfurt, wo über viertausend Zuschauer den Festplatz auf dem Sandhof mit schwarz-rot-goldenen Farben geschmückt fanden, sowie aus dem Bannkreis dieser „heimlichen Hauptstadt" des Deutschen Bundes.

Daß in dem heute zum Saarland geschlagenen Sankt Wendel ein Mai-baum mit dem „Freiheitskäppchen“, der aus der ersten großen Revolution wohlvertrauten phrygischen Mütze der Galeerensträflinge, und mit der „deutschen“ Kokarde geziert wurde, weckte bei der fernen Regierung des Herzogtums Koburg, das der Wiener Kongreß neben Mecklenburg-Strelitz, Hessen-Homburg, den Pappenheimern und Oldenburg (Birkenfeld) mit einem linksrheinischen Landfetzen für andere Verluste „entschädigt“ hatte, ernste Besorgnis. Da sich Bauern und Bürger mit Äxten und Beilen zur Verteidigung des Sinnbilds von Freiheit und Einheit entschlossen zeigten, mußte man preußische Truppen zu Hilfe rufen. Die Vereinigung dieses Fürstentums Lichtenberg mit der Rheinprovinz war die wichtigste dauernde Folge des Hambacher Festes.

Bedenklicher erschienen andere Vorgänge. Während sich im mittelfränkischen Gaibach ebenfalls am 27 Mai, dem Sonntag von Hambach, fünf bis sechstausend Menschen bei einem echten „Konstitutionsfest“ auf die bayerische Verfassung beriefen, um ihrer liberalen Gesinnung gegen Bürokratie und Reaktion Ausdruck zu geben, mußte zu Pfingsten eine größere Versammlung im kurhessischen Wilhelmsbad nach Anlage und Leitung als eine Wiederholung des pfälzischen Vorbildes gelten. Vor mehr als zehntausend Teilnehmern rief Karl Brüggemann zur Erhebung auf und machte damit dem wohlwollendsten Beobachter die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes deutlich. Hatte der überzeugte Burschenschafter bereits früher den naheliegenden Vergleich mit dem Wartburgfest eindringlich erläutert, nahmen ihn jetzt andere Darstellungen in verschiedener Sicht auf. Durch ihren glanzvollen Stil und durch den Ruf ihres Verfassers hat die Auslegung Heinrichs Heines allzulange die Überlieferung beherrscht. Nur in Außendingen, in Zufälligkeiten, betonte sein Rückblick, sind sich beide Bergfeste sehr ähnlich, keineswegs ihrem tieferen Wesen nach:

„Der Geist, der sich auf Hatnbaclt aussprach, ist grundverschieden von dem Geiste oder vielmehr von dem Gespenste, das auf der Wart-burg seinen Spuk trieb. Dort auf Hambach jubelte die moderne Zeit ihre Sonnenaufgangslieder, und mit der ganzen Menschheit ward Bruderschaft getrunken. Hier aber, auf der Wartburg,, krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fadtellicht wurden Dunimheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf Hambach hielt der französische Liberalismus seine trunkensten Bergpredigten und, sprach man auch viel Unvernünftiges, so ward doch die Vernunft selbst anerkannt als jene höchste Autorität, die da bindet und löset und den Gesetzen ihre Gesetze vorschreibt. Auf der Wartburg hingegen herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube träumte, dessen Liebe aber nichts anderes war, als Haft der Fremden, und der in seiner LInwissenheit nicht besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen“.

Dem geschichtlichen Urteil wird dieser Vergleich nicht gerecht. Am Anfang der Epoche, die unsere Voraussetzungen umrissen, hat ein einmaliges Ereignis erst aus der „Anfechtung“ durch die Regierungen Gegenmaßnahmen herausgefordert; im Mai 18 32 bedrohte eine offene Kampfansage Verfassung und Bestand der deutschen Einzelstaaten sowie das Grundgesetz des von ihnen abgeschlossenen „völkerrechtlichen Vereins“ mit Auflösung und Vernichtung. Zunächst rüstete sich die angegriffene Regierung in der Pfalz, die als Ausgangs-und Brennpunkt der immer wieder angekündigten „Aktion“ gelten mußte, zur Abwehr.

Die Folgen Bayern und der Deutsche Bund

In Speyer hatte man naturgemäß den Verlauf des Festes, das schon in seiner Ankündigung ein Politikum erster Ordnung zu werden drohte, genau beobachtet. Umso mehr atmeten die Behörden auf, als die auf den Anmarschstraßen und auf dem Hambacher Schloßberg verteilten Sicherheitsorgane, Polizei und Gendarmerie, Infanterie und Chevaulegersposten allen Spottrufen auf die Soldateska zum Trotz keine Zwischenfälle meldeten. Nicht anders wie Ludwig Börne, der nicht genug die Eintracht und das Benehmen der Teilnehmer rühmte, stellten diese Beobachter den völlig ruhigen Ablauf fest. Die beabsichtigte Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung ist nicht erfolgt, betonte der pfälzische Generalprokurator:

„Die gefürchteten Plünderungen und Anarchien sind unterblieben, die Einwohner des Rheinkreises haben einen herrlidten Beweis ihrer Abneigung gegen Umsturz an den Tag gelegt.“

Wenn auch die königliche Regierung die Tendenz des Festes nicht anerkennen könne, pflichtete ihm ein anderer hoher Beamter bei, „so war, abgesehen davon, das Fest doch erlaubt und die Aufrechterhaltung der Ordnung unter die Garantie der Polizei und Sicherheitsbehörde der Stadt Neustadt gestellt.“ In einem anderen amtlichen LIrteil, daß man lediglich beraten habe, „wie Deutschland durch Entfernung des österreichisch und preuftischen Einflusses reformiert und die Bildung eines Gesamtdeutschlands ausgesprochen werde“, traf sich der Souveränitätsdünkel der bayerischen Regierung mit der Gedankenwelt der liberalen Opposition. Immerhin ließen sich, obwohl die anwesenden „Staatsdiener“ die Reden viel zu hoch fanden, „um vom Volk verstanden zu werden“, recht handfeste Schmähungen auf Aristokratie und Fürsten sowie die Forderung, das ganze Bundesgebiet ohne Rücksicht auf die Selbständigkeit der Einzelstaaten zu einem Vaterlande zu vereinen, nicht verschweigen,, denn gerade diese „Idee“ hatten schon frühere Demagogenverfolgungen zum Versuch des Hochverrats gestempelt. Feine psychologische Hinweise auf die hier zutage tretende „Meinungsfehde“ zwischen den verschiedenen Richtungen der Opposition sowie auf die Tatsache, daß „mehrere, sehr exaltierte Parteimännet auf gemäßigte Gesinnungen zurückgekommen seien“, zahlreiche Ansprachen nicht ihres Gehalts wegen, sondern „gleichsam zum Beweise, daß man das Recht zu reden habe“, beklatscht wurden, hielten vor dem Urteil der fernen Münchener Regierung nicht stand.

König und Ministerium zeigten sich höchst ungehalten. Nicht allein aus der innerpolitischen Sorge um Ruhe und Ordnung, auch aus außen-politischen Rücksichten forderte man Rechenschaft. Wie zum Hohn, hieß es, seien die „Abzeichen ungesetzlicher Verbrüderung und die Symbole strafbarer Auflehnung öffentlich zur Schau gestellt“ worden.

„Sollten sich die besonderen Gesetze des Rheinkreises zur Bändigung einer aufrührerischen Faktion und ihrer Anhänger unzureichend erweisen“, müßten andere Mittel eingesetzt werden. In diesem Sinne beschloß der Ministerrat am 4. Juni, unverzüglich einzugreifen, um etwaigen Vorwürfen anderer Bundesländer, insbesondere der österreichischen Präsidialmacht zuvorzukommen. Mit einer „imposanten Militärmacht“, einem vollen Drittel des bayerischen Heeres, wurde der gefeierte Feldherr des letzten Krieges, Fürst Wrede, an den Unruhe-herd gesandt, eine höchst ansehnliche Nothilfe von 100 000 Gulden sollte der „nicht guten Stimmung“ steuern. Darüber hinaus gehe es um die administrative Ehre und die politische Gesamtstellung des Landes;

mit dem Frieden des Rheinkreises sei die Ruhe ganz Deutschlands, ja ganz Europas gefährdet. Dem bayerischen Bevollmächtigten beim Frankfurter Bundestag erschien jede Spur obrigkeitlichen Ansehens erloschen: „Die laute Klage, daß durch den Mangel an Energie und kräftigem Einschreiten die Demagogen die furchtbarste Kühnheit erlangt haben, durch die Nichtvollziehung der (gegen Vereine und Piesse gerichteten) Beschlüsse die Tätigkeit des Bundes gelähmt sei, hat sich seit dem Flambacher Fest um so mehr verstärkt.

In der Tat häuften sich die offenen und versteckten Angriffe des deutschen „Auslandes“. Das Großherzogtum Baden, daß immer noch bayerische Ansprüche auf Heidelberg und Mannheim befürchtete, führte den Reigen. In größerer Schau sah Fürst Metternich in dem „Hambacher Skandal“ eine höchst erwünschte Gelegenheit, die bereits begonnenen Verhandlungen über eine schärfere Fassung der Karlsbader Beschlüsse zu fördern und die Aufsicht der beiden „Vormächte“, Österreichs und Preußens, zu verstärken. Noch nie, schrieb er dem österreichischen Gesandten in Paris, hat die Propaganda ihre Pläne und Hoffnungen auf schamlosere Weise in der Öffentlichkeit gezeigt, und fand mit der ganz persönlichen Forderung, diesem greulichen Unfug zu steuern, bei den übrigen deutschen Fürsten volles Verständnis. Das Tier der Apokalypse, schrieb der feingebildete Prinz Johann von Sachsen seinem besonderen Freunde, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.)

von Preußen, „das sich bis jetzt nur von fern in unserem lieben Deutschland rührte, hat auf einmal sich sein Haupt mit Namen der Lästerung beschrieben und herrlich erhoben. Mach nur, ich. bitte dich, daß Schwager Ludwig (der bayerische König) den Wirth und Siebenpfeiffer beim Kopf kriegt, sonst wird bald ganz Deutsddand nach seinen sieben Pfeifen tanzen." „Aber von der anderen Seite mache auch", fügte der durchaus fortschrittlich gesinnte Fürst hinzu, „daß wir ein Deutschland nach unserem Sinne bekommen, damit die Leute sich nicht nach einem apokalyptisdten Ditto sehnen."

Fünfzehn Jahre vorher war durch das Wartburgfest die erste Welle einer bewußten „Reaktion“ ausgelöst worden; wie damals fühlte sich der österreichische Staatskanzler für die Aufrechterhaltung der europäischen Ordnung verantwortlich. Hatte er 1819 die Ermordung Kotzebues als eine Erlösung begrüßt, konnten nunmehr die Vorgänge auf dem Hambacher Schloßberg und in Neustadt, „wenn sie nur gut benutzt würden, ein Fest des Guten werden.“ In Preußen und in anderen Gliedstaaten des Deutschen Bundes erwartete man ebenfalls von München eine klare Entscheidung und einen entschlossenen Zugriff.

In der Pfalz hatten inzwischen die ersten Verhaftungen und Haussuchungen, vor allem das Einlagern von Militär, d. h. die Einquartierung ohne Entschädigung, zu neuen, örtlich begrenzten Unruhen geführt. In Neustadt forderte ein offener, in dieser Biedermeierzeit unerhört scharfer Einspruch angesehener Bürger gegen die „lügenhaften Berichte und gegen die Verblendung des Ministeriums“ weitere Maßnahmen heraus. Wir erklären, hieß es in dieser Eingabe, „daß wir kein göttliches Redtt, keine Gewalt des Königs anerkennen als die, welche die Staatsverfassung und die durch sie garantierten besonderen Institutionen des Rheinkreises ihm erteilen, und erklären feierlich, daß wir mit Gut und Blut dieses Recht und unsere Freiheit gegen jeden Angriff der Willkürherrsdiaft schützen und schirmen werden."

Der Gegenschlag blieb nicht aus. In Speyer leitete ihn ein Wechsel in der Regierungsspitze ein. Am 7. Juni erhob das Appellationsgericht in Zweibrücken Klage gegen die Rädelsführer des Festes; acht Tage später ward von München aus die Verhaftung der „Hochverräter" verfügt, „welche bei dem schändlichen Hambacher Fest ihre verbrecherischen Pläne so unumwunden durch Wort und Schrift an den Tag gelegt haben.“ Gleichzeitig sprach das Ministerium als Antwort auf die allzu rosigen Berichte der Provinzialstellen die Erwartung aus, daß sich die Staatsprokuratur und das Richteramt in Ausübung ihrer beschworenen Pflichten „das Vertrauen ihres Monarchen und die Achtung des erwartungsvoll auf sie blickenden Auslandes“ erringen würden. Mißliebigen Richtern drohte die Versetzung in den Ruhestand oder die Verbannung nach Altbayern.

Trotzdem zog sich nicht allein die Voruntersuchung merkwürdig lange hin, auch die politische Erregung machte sich immer wieder Luft.

Während sich Schüler, Savoye und andere pfälzische Landsleute der Verhaftung durch die Flucht in das benachbarte und befreundete Frankreich entzogen, Wirth und Siebenpfeiffer in das Untersuchungsgefängnis wanderten, suchten andere Führer die Organisation des auch jenseits des Rheins verwurzelten „Press-und Vaterlandsvereins" auszubauen. In der gleichen Zeit bereiteten die Regierungen des Deutschen Bundes die Abwehr vor. Der eigentliche Sinn des Liberalismus, erläuterte ein Privatbrief des Fürsten Metternich die unverzüglich in Gang gesetzten diplomatischen Schritte, komme zutage, „dem Zuschlägen der Anarchie müsse man mit einem Gegenschtag begegnen".

Auch auf diesem Felde hatten die bis nach Mitteldeutschland, nach Braunschweig, Kassel und Leipzig spürbaren Ausstrahlungen der Juli-revolution seit langem eine neue Welle der „Reaktion" ausgelöst. Da sich Fürsten und Staatmänner des dritten, „konstitutionellen“ Deutschland an ihre Verfassungen gebunden fühlten, von Vorschriften des Bundestages eine Beeinträchtigung ihrer Souveränität befürchteten, bedurfte es schwieriger Verhandlungen, um zunächst die beiden Vor-mächte auf eine Erneuerung und Verschärfung der älteren Abmachungen festzulegen. Immerhin hatte die eifrige Mitarbeit des darmstädtischen Ministers du Thil, der sich weit später in seinen Erinnerungen dieser Aufgabe rühmte, auch im Südwesten die Annahme der in sechs Artikel gefaßten, in Wien aufgesetzten Verordnung vorbereitet. Die Nachricht vom Hambacher Fest brachte den Abschluß. Da der preußische Bevollmächtigte am Bundestag durch einen eigenen Vertrauensmann über Verlauf und Reden ausführlich unterrichtet war, der Gesandte im nahen Karlsruhe ihre „höchst bedenklichen Resultate“ unterstrich, fanden die Anträge beim Plenum einen wohlvorbereiteten Boden. Mit ganz anderen Vorzeichen, als sie die Ansprachen auf der Kästenburg gesetzt hatten, erhielten die vorerst örtlich begrenzten Vorgänge eine gesamtdeutsche, ja europäische Bedeutung.

LInter dem doppelten Druck, den die Nachrichten aus der Pfalz auf der einen Seite, die Großmächte auf der anderen Seite ausübten, ging in Frankfurt die Tagung überraschend schnell zu Ende. Am 28. Juni 18 32 wurde das Ergebnis in aller Heimlichkeit einstimmig angenommen. Das Münchener Staatsministerium aber wagte es erst nahezu vier Monate später, am 11. Oktober, die sechs Artikel mit der ausdrücklichen Erläuterung bekanntzugeben, daß die Rechtsgültigkeit der bayerischen Verfassung in keiner Weise beeinträchtigt werde. Da schon vordem alle Versammlungen und jedes Volksfest der behördlichen Genehmigung unterworfen, die Errichtung von „Freiheitsbäumen“ und insbesondere das Tragen „deutscher Abzeichen“ unter harte Strafen gestellt, Festessen und Ehrenpforten ebenso wie Spottmusiken verboten waren, ließen sich auch die letzten „konstitutionellen Freiheiten" leicht aufheben. Die Regierung will, so beschönigte ein neues Reskript der Bevölkerung diesen Rechtsspruch, „die Verfassung, wie sie ist und wie sie besdiworen wurde, und nidtt wie die Parteien sie färben mödtten, sie schirmt nach außen mit fester Hand die durch das Herzblut so vieler Bayern besiegelte Souveränität, aber sie erfüllt auch die völkerrechtlich eingegartgenett Verpflidttungen und Verträge mit jener Gewissenhaftigkeit, welche der souveräne Staat seiner Ehre ebenso wie den mitpasziszierenden Staaten schuldet. Sie kämpft rücksidttslos gegen alles Revolutionäre sowie gegen jeden Versuch, das gesetzlich Bestehende in welch immer einem Sinne umzugestälteu.“

In der aufgeregten Pfalz fand auch diese Begründung kein Verständnis. In zahlreichen kleinen und größeren Orten, insbesondere in Frankenstein und Kaiserslautern setzten ihr Volksversammlungen eine scharfe „Verwahrung" entgegen. Mit der Unterschrift von mehr als 1 300 Bürgern und Bauern ist der Einspruch, der die Einberufung der bayerischen Ständeversammlung sowie die Anklage gegen die verantwortlichen Minister wegen Hochverrats forderte, im Schatten des Hambacher Festes zur letzten großen Kundgebung dieses vormärzlichen Liberalismus geworden. AIs sie vor den vom'Bundestag geschützten Maßnahmen der Regierung wirkungslos verpuffte, schien nur ein Gewaltstreich zu helfen. Wiederum durfte man aus dem Rheinkreis eine bevorzugte Hilfe für seine Durchführung erwarten; wiederum wurde die seit langem mit dem „Press-und Vaterlandsverein“ eng verbundene Burschenschaft zum Stoßtrupp. Aus ihrem Kreise setzte am 3. April 18 3 3 ein tollkühnes Unternehmen am Sitz des Bundestages die allzu oft wiederholte Aufforderung in die Tat um.

Tragisches Zwischenspiel

Neben anderen Studenten hatten, wie wir wissen, Heidelberger Burschensdiafter das Fest auf der Kästenburg besucht, hier wie bei der Abschlußberatung in Karl Brüggemann einen beredten Vertreter gefunden. Währnd die einen Neustadt unlustig verließen, arbeiteten die anderen umso eifriger im „Vaterlandsverein“ für die baldige Befreiung mit und verstärkten in dieser Absicht die Verbindung mit den süd-und mitteldeutschen Hochschulen. Nur der ist ein wahrer Burschenschafter, hatte sich August Ludwig von Rochau, der später in seiner „Realpolitik“ einer neuen Staatsauffassung den Namen geben sollte, bereits im Februar 1832 schreiben lassen, „der für die Herbeiführung eines besseren Zustandes im Vaterlande alles, selbst das Leben, einzusetzen sich nicht scheut, ja der dieses Opfer zu bringen bereit iss, wo man dem endlichen Ziele auch nur genähert wird, der hinauszusehen vermag über die Grenzen der gemeingeltenden Moral, der nur im Patriotismus eine Art von Egoismus kennt“.

Andere Briefe zeigen deutlich, wie nunmehr die Vertrauensmänner der in der Burschenschaft vorwärts drängenden „germanistischen“ Richtung bereit waren, alle Kräfte für die Republikanisierung Deutschlands auf gewaltsamen Wege einzusetzen. Geht alles unter, hatte man sich gesagt, „bleibt wenigstens ein tiefer Eindrud^, ein unendlich grosser moralischer Erfolg übrig und schon das ist viel.“ Als trotzdem das Hambacher Fest völlig ruhig verlief, hielten die Verbindungen auf den süd-und mitteldeutschen LIniversitäten an dem Gedanken auch dann fest, als von Norddeutschland der Widerhall ausblieb.

Ende 18 32 stellte ein von Erlangen, Würzburg und München, von Kiel, Tübingen und Heidelberg beschickter Burschentag in Stuttgart fest, daß der Gedanke eines Umsturzes bei der Mehrheit des Volkes Anklang gefunden habe. Ihn ins Werk zu setzen, wurde die im Vorjahr in Frankfurt festgelegte Bestimmung einer „praktisch-politischen Tendenz“ bestätigt. Darüber hinaus war man bereit, den Weg der Revolution als den für jetzt einzig möglichen zu verfolgen. Pflicht jeder Burschenschaft sollte es sein, „durdi Wort und Sdirift diese Ansiditen zu verbreiten, politische Klubs gemeinsam mit Bürgern und mit dem Pressverein zu gründen, Waffen anzusdiaffen und sich darin zu üben“.

Obwohl man im Grunde über den „Vaterlandsverein" nichts Näheres wußte, warfen sich ihm die Studenten in die Arme. Die alte kurpfälzische Universität Heidelberg, die weiterhin vom linken Rheinufer stattlichen Zuzug erhielt, übernahm die Führung.

Da die radikalen Parteigänger allzu willig den Verheißungen älterer Ratgeber folgten, erschien der Plan, in der Freien Stadt Frankfurt die höchste Behörde des Deutschen Bundes aufzuheben, zur Unterstützung weiterer Schritte die Bundeskasse zu beschlagnahmen, kinderleicht. Aus Württemberg, aus der kleinen Landgrafschaft Hessen-Homburg und aus Kurhessen sowie nicht zuletzt aus der Rheinpfalz erwartete man den Anschluß unzufriedener Truppen. Die preußische Landwehr und insbesondere die Bürgerwehren der Umgebung würden sich, wie es als Ergebnis von Vorbesprechungen hieß, einem Kampf gegen das „Volk“ versagen. Vom Westen wurde mit dem Zuzug polnischer und deutscher Emigranten gerechnet. Eine andere Schar sollte die Rheinschanze bei Mannheim nehmen, die Verbindung mit dem linken Elfer des Stromes herstellen. Gelang dieser Vorstoß, erschien in Heidelberg und in den bereits von der Julirevolution erfaßten Bundesländern, in Altenburg, Leipzig und Kassel, der Erfolg gesichert. Dann erst konnten die bei der letzten Besprechung in Neustadt (am 28. Mai 18 32) vorgesehenen Vertrauensmänner aller Gaue und Stämme zusammentreten! Eine vorläufige Regierung werde ein Vorparlament einberufen, eine aus freien Wahlen hervorgehende Versammlung die künftige Staatsform Deutschlands bestimmen, die Entscheidung zwischen Monarchie und Republik treffen. Neben anderen Oppositionsführern, den Professoren Sylvester Jordan in Marburg und Karl von Rotteck in Freiburg, dem Abgeordneten von Itzstein und dem bayerischen Liberalen von Closen waren die Helden des Hambacher Festes, vor allem Friedrich Schüler, der in Metz den Ausgang der gegen ihn angesetzten Untersuchung abwartete, zur Teilnahme an der künftigen Gesamtregierung bestimmt. Vom Bankett in Zweibrücken, das im Januar 1832 die Anregung zum Mai der Deutschen gab, bis zum Rumpfparlament in Stuttgart, dem Epilog der Frankfurter Nationalversammlung, haben solche Gedanken in wechselnder Farbe und Form ein halbes Menschenalter hindurch ihre lebendige Kraft bewiesen!

Im März 1833 erschien den Drahtziehern des „Vaterlandsvereins", die sich zumeist im Hintergrund hielten, die Zeit reif. AIs Sprecher der Heidelberger Burschenschaft vermittelte Gustav Körner, der sich später in den Vereinigten Staaten von Amerika als Soldat und als Staatsmann einen trefflichen Ruf erwarb, die letzten Zusagen. Allen Bedenken zum Trotz, die auch den mutigsten Genossen langsam aufstiegen, trafen sich die Eingeweihten am 2. April in Frankfurt. Neben den Heidelbergern, die nach wie vor den Stamm des Stoßtrupps bildeten, waren Studenten aus anderen Hochschulen sowie Flüchtlinge aus Straßburg und Metz dem Rufe gefolgt. Aus.der Stadt schlossen sich einige Handwerker an. Neben Körner spielte der uns bereits aus Neustadt bekannte Dr. von Rauschenplat eine maßgebende Rolle. In beiden Hessen, im Großherzogtum und in der kurhessischen Opposition, sei man'ebenso wie in Württemberg auf den Aufstand vorbereitet, ein Teil des Militärs gewonnen; in Frankfurt würden 2000 Bürger und Gesellen den Handstreich unterstützen, Bauern aus der Nachbarschaft Verstärkung bringen. Ernste Zweifel, ob das Unternehmen wirklich gelingen werde, ließen sich mit dieser Zusage nicht tilgen. Auf der anderen Seite hatte man seit Jahren von einem „Losschlagen" gesprochen und war immer wieder enttäuscht worden. Als daher auf dem Hambacher Fest, in Wilhelmsbad und bei vielen anderen Gelegenheiten das Zeichen wiederum ausblieb, mußte sich die Erregung auf Gedeih und Verderb entladen.

Aus verschiedenen Federn lassen zwei Zeugnisse einen tiefen Einblick in diese Überlegung zu.

Wir alle waren der festen Überzeugung, vertraute Körner bald darauf seinem wohlerhaltenen Tagebuch an, „daß, wenn auch unser Sdrritt mißlingen, und wir den Untergang finden würden, dennedt irgend eine Tat geschehen müsse. Wir waren der Überzeugung, daß jeder vergossene Tropfen Bluts tauseudfadien Ertrag bringen würde. Wir waren der Überzeugung, daß das Mißlingen uns nur scheinbar zurüdewerfen mußte, denn wir hatten aus der Gesdächte die unwandelbare Ansidtt gesdwpft, daß keine Tat, die einem freien, männlichen, auf Selbstaufopferung gegründeten Entsdduß entspringt, ohne die beabsidtiigten Folgen bleiben kann. Wir glaubten an die WaMieit und Gerechtigkeit unserer Gesinnung und also audt unserer Handlung zu sehr, um matt, wenn audt nicht unmittelbar, den Sieg unserer Sadie für gewiß zu halten“ Wir hatten keinen anderen Zweck, wiederholte 1842 der nach Paris geflüchtete Rochau wesentlich vorsichtiger, „als den, zu fallen und Deutschlands politisches Urteil anzuregen. Es war von einer Eroberungi von der Möglichkeit eines Umsturzes keine Rede. Man wollte gegen die Bundesbeschlüsse, gegen die Lethargie de-Masse protestieren, man wollte der konservativen Partei zeigen, wessen die liberale fähig sei in ihrem Muf und ihrer Überzeugung.“

Obwohl das Unternehmen in der Tat inzwischen dem Frankfurter Senat und dem Bundestag verraten war, ließen sich beide Behörden überraschen. In der Bundesfestung Mainz waren die vom Präsidium angeforderten Truppen zurückgehalten worden, das Frankfurter Linien-bataillon stand bereit, erhielt aber keine Patronen Da nichts geschah, um den Aufstand zu verhindern, bemächtigten sich die Verschwörer zur vereinbarten Stunde der beiden Stützpunkte der Freien Stadt, der Haupt-und der Konstablerwache, ließen die Sturmglocke läuten und (orderten die gaffende Menge zum Kampf für die Freiheit auf. Der Erfolg blieb ebenso wie der Zuzug aus. Anrückendes städtisches Militär stellte mit leichter Hand die Ordnung her. Der Mehrzahl der Aufständischen gelang die Flucht. Andere Erhebungen, die man im württembergischen Ludwigs-burg, aber auch an der Schweizer Grenze, in Polen und in Piemont in Erwartung eines glücklichen Ausgangs verabredet hatte, wurden ebenfalls schnell niedergeschlagen oder kamen überhaupt nicht zum Ausbruch. Die Regierung aber konnte die seit langem vorgesehenen, zum Teil begonnenen Gegenmaßnahmen vor aller Öffentlichkeit erneut mit den verheerenden Nachwirkungen der Neustadter Tage rechtfertigen.

Da Österreich den übrigen Bundesgliedern bereits im Vorjahr die schweren Folgen konstitutioneller Freiheit vor Augen geführt hatte, eigene Untertanen an dem neuen Versuch nicht beteiligt waren, überließ Metternich dem preußischen Nachbarn die Initiative und belastete ihn zugleich mit dem Brandmal der „Reaktion“. Wie vordem der Wiener Staatskanzler, frohlockte jetzt der Berliner Außenminister, daß das Frankfurter Attentat Deutschland retten könne, wenn man sich beeile, das Ergebnis auszubeuten. Die Zentral-Untersuchungskommisson, deren Einsetzung die deutschen Vormächte 1820 im Anschluß an die Karlsbader Beschlüsse erzwungen hatten, erhielt in einer nunmehr dem Bundestag angegliederten Zentralbehörde einen Nachfolger. Wie damals die angeblich Deutschland drohende Gefahr die im Liberalismus wurzelnden Kräfte abzudrosseln suchte, wurde dieser Bewegung aufs neue jede öffentliche Betätigung genommen. Nicht allein in Österreich und Preußen, wo die Provinziallandtage und andere ständische Vertretungen auf die Beratung sorgfältig ausgewählter materieller Fragen beschränkt waren, auch im „konstitutionellen“ Deutschland sah sich das Bürgertum von der politischen Teilnahme ausgeschaltet. Wo sie hervortrat, drohte sie in sozialrevolutionäre Bahnen abzusinken. Der „Hessische Landbote“, in dem der junge Dichter Georg Büchner 1834 unter dem Leitwort „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ zum offenen Aufstand nicht allein gegen den herrschenden Staat, sondern auch gegen die bürgerliche Gesellschaft aufrief, ist das bedeutsamste Beispiel geworden. Im selben Jahr 18 34 trat für den rückwärts gerichteten Blick der alte Zwiespalt zischen Einheit und Freiheit Gesamtdeutschlands auf anderer, höherer Ebene in ein neues Stadium.

Während sich die Presse gegen die Gewaltmaßnahmen der Regierungen aufbäumte, die liberale Opposition im konstitionellen Deutschland verbissen um die Erweiterung der politischen Rechte des Bürgertums kämpfte, waren die Verhandlungen über den Beitritt der süddeutschen Staaten zum preußischen Handelsverein in aller Stille zum Abschluß gediehen. Dann kam, wie es Heinrich von Treitschke auf dem Höhepunkt eines Neuen Reiches (18 89) in wundervollen Worten schilderte, „jene folgenschwere Neujahrsnacht des Jahres 18 34, die auch den Massen das Nahen einer besseren Zeit verkündete. Auf allen Landstraßen Mitteldeutschlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor den Mauthäusern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen; mit dem letzten Glockenschlage des alten Jahres hoben sich die Schlagbäume, die Rosse zogen an, unter Jubelruf und Peitschenknall ging es vorwärts durch das befreite Land“. In den gleichen Januar-tagen aber, auch dieser Hinweis gehört in das Bild der Vergangenheit, da die Einigung eines kleindeutschen Bndesstaates einen gewaltigen Schritt vorwärtsgetrieben wurde, stieß man die staatsbürgerliche Mitwirkung an dem gemeinsamen Werk in Presse, Vereinen und Landtagen aufs neue zurück. Die Kraft einer „Aktion“, die sich beim Hambacher Fest auf einem örtlich eng begrenzten Schauplatz zum Aufstieg rüstete, im Frankfurter Wachensturm zum entscheidenden Schlag auszuholen glaubte, schien endgültig gebrochen, in Wien, wo die Präsidiahnacht des Deutschen Bundes eifersüchtig jeden Fortschritt des preußischen Nebenbuhlers auf wirtschaftlichem Gebiet beobachtete, gaben Ministerialkonferenzen den Karlsbader Beschlüssen einen neuen Inhalt. Die Reaktion erhielt neue, verhängnisvolle Waffen.

Der Ausklang

Auch diese hatte, wie wir wissen, nie geruht. Jedem Versuch, nach dem französischen Vorbild in den Ständeversammlungen des Südwestens, in Zeitungen und Flugschriften, in Vereinen und Volksfesten dem bürgerlichen Freiheits-und Einheitsgedanken Nachdruck zu verleihen, war unverzüglich eine wohlgegliederte Abwehr entgegengetreten. Wahre und übertriebene Nachrichten von den Vorgängen in Neustadt unterstützten die Warnung, die Fürst Metternich vor allem in Berlin und München vorbrachte, am 28. Juni 1832, wenige Tage nach der Versammlung in Wilhelmsbad, in einer gemeinsamen Entschließung der Bundesversammlung erhärten konnte. In ihrem Schatten erwartete das bayerische Ministerium wiederum kurz danach, im Juli 18 32, von dem gerichtlichen Vorgehen gegen die auf der Kästenburg hervorgetretenen „Rädelsführer“ eine wesentliche Entlastung von den Vorwürfen, mit denen die Großmächte, das deutsche „Ausland“ sowie die eigene „Aristokratie“ das Versagen der pfälzischen Behörden brandmarkten.

Lim dies zu erreichen, wurde die Verhandlung von Zweibrücken, dem gesetzlichen Sitz des Schwurgerichts, an außerordentliche Aszisen in der Festung Landau verwiesen, wo ein stattliches Aufgebot von Truppen jeden Handstreich unterbinden konnte. Da zahlreiche Angeklagte, vor allem Friedrich Schüler und Josef Savoye nach Frankreich geflohen waren, erschienen von 27 Beschuldigten nur acht vor den Schranken, an ihrer Spitze Wirth und Sieben pfeiffer, deren Ausführungen auch hier die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkten. LInter den 24 Geschworenen, die der neue Generalkommissär in Speyer persönlich aussuchte, waren nicht weniger als 17 von der Regierung abhängige Beamte! Lim so mehr ist Wirths, an zwei Tagen gehaltene Verteidigungsrede bis in unsere Zeit „ein eindrucksvolles geschichtliches Zeugnis“ für den Volkstribun und für die von ihm vertretene Auffassung geblieben.

Daß sie gedruckt und in mehreren Auflagen bis in die Anfänge einer neuen, nunmehr wahrhaft deutschen Revolution verbreitet wurde, zeigt nicht allein die Brüchigkeit der Zensur, — vor allem ist ihr Inhalt für die weitere Entwicklung der Gedanken von Einheit und Freiheit wichtiger geworden als die rein äußerliche Erinnerung, die „der Deutschen Mai“ bei den Teilnehmern hinterließ.

Den Grundstock bildeten die gleichen Ideen, die der leidenschaftliche Verfechter seiner Überzeugung auf der Kästenburg vorgetragen hatte. Weit offener als dort lautete jetzt das Bekenntnis zur Republik als der einzigen Staatsform, die angesichts der Vielfalt fürstlichen Eigennutzes einen neuen Aufstieg ermöglichen könne. Als Ergebnis sprach das Gericht trotz seiner einseitigen Zusammensetzung die Angeklagten frei. Lediglich die ins Ausland geflüchteten Rädelsführer wurden, um der Erwartung der vorgesetzten Behörde einigermaßen zu genügen, „wegen erfolgter Aufreizung der Einwohner des Königreichs Bayern zur Bewaffnung gegen die königliche Autorität und zum gewaltsamen Umsturz der königlichen Staatsregierung“ zur Landesverweisung auf zehn Jahre sowie zum Verlust der politischen und bürgerlichen Rechte verurteilt, auf weitere zehn Jahre unter Polizeiaufsicht gestellt. Zum Ausgleich ließ man in München gegen die ärgsten Übeltäter, Siebenpfeiffer, Wirth und den früher erwähnten Pfarrer Hochdörfer, eine neue Anklage, wegen „Beleidigung in-und ausländischer Behörden“ erheben; alle drei wurden für zwei Jahre ins Gefängnis geschickt. Darüber hinaus legte ein Berufsverbot ihre weitere Tätigkeit lahm.

Daß ein solches Strafmaß weder den Bedenken der eigenen Staatsregierung noch den Wünschen der deutschen „Vormächte entsprach, ist zu verstehen. Hatte sich das Ministerium bisher in bayerischem Selbstbewußtsein gegen die Anerkennung der zunächst nur im Bundestag angenommenen sechs Artikel gesträubt, — jetzt gab es am 11. Oktober dem aus Wien und Berlin verstärktem Druck mit der schon erwähnten Erklärung nach, daß ihre Verkündigung die Rechtsgültigkeit der bayerischen Verfassung in keiner Weise beschränke. Da schon vorher jede Versammlung und jedes Volksfest einer Genehmigung bedurfte, die Errichtung von Freiheitsbäumen, sowie insbesondere das Tragen deutscher Kokarden und anderer revolutionärer Abzeichen unter harte Strafen gestellt waren, ließen sich mit dieser Erläuterung auch die letzten „konstitutionellen“ Sonderrechte des Rheinkreises leicht aufheben. Wie hart und kleinlich diese Bestimmungen durchgeführt wurden, dafür bieten, wie ein eifriger Benutzer der einschlägigen Quellen vor fünfundzwanzig Jahren betonte, „die Reihenstöße von Akten mit ihren Urteilsabschriften und Gnadengesuchen vollgültige Zeugnisse“. Ob dagegen, wie ältere Darstellungen annehmen, die Auswanderung, vor allem nach den Vereinigten Staaten von Amerika, in das gelobte Land der Freiheit also, aus diesem Grunde erheblich anstieg, ist zu bezweifeln. Weit stärker diktierte in einer Zeit, da angeblich mehr als zehntausend Menschen allein aus dem bayerischen Rheinkreis Deutschland verließen, wirtschaftliche Not die Abkehr von der Heimat. Da gleiche und größere Zahlen nicht allein aus den benachbarten Territorien, sondern auch aus Thüringen und dem Osten des Bundesgebiets bekannt sind, dürften die langsam anhebende Industrialisierung, der Rückgang der Sterblichkeit sowie andere Ursachen eine nicht minder große Rolle gespielt haben. Den Führern dagegen, den sog. gebildeten Schichten boten zumeist, wie bisher, die deutschsprachigen Nachbarländer, die Schweiz und das Elsaß, eine erste Zuflucht. Erst nach dem Frankfurter Attentat, auch das ist zu betonen, zog die Untersuchung weitere Kreise. Bayern ging voran, die benachbarten Bundesländer nahmen die Verfolgung auf. Vor allem griff man in Berlin ein, da die Beteiligung preußischer Staatsangehöriger in den Augen der Staatsregicrung die Gefahr heraufbeschwor, daß das im konstitutionellen Deutschland erzeugte Übel in die eigenen Provinzen verschleppt werden könne.

Der Einsatz der bereits erwähnten Bundeszentralbehörde (30. Juni 1 833) gab den Besprechungen der drei Ostmächte einen hochpolitischen Rückhalt. In ihrem Schutz konnte Fürst Metternich, wie schon erwähnt, im Januar 1 8 34 in Wien vor den Ministern der wichtigeren Einzelstaaten nachdrücklich auf die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen hinweisen: In den Stürmen der Zeit, die die Julirevolution entfesselte, das Hambacher Fest weitertrug, feinde eine durch Nachgiebigkeit bis zum Übermut gesteigerte Partei jede Autorität an, führe im Frieden einen inneren Krieg, vergifte Geist und Gemüt des Volkes, verleite die lugend und betöre das reifere Alter. Ob sie einen scheinbar gesetzlichen Weg einschlage oder den des offenen Aufruhrs, immer verfolge sie den Zweck, die Regierungsgewalt möglichst einzuengen, die wahre Herrschaft dem Staatsoberhaupt zu entreißen und in die Omnipotenz der ständischen Kammern zu verpflanzen. — Da sich diese Eim ichtungen zum Leidwesen des Staatskanzlers mit Rücksicht auf die Lebensbedingungen des Südwestens und auf die in Preußen eingeführten Provinziallandtage nicht aufheben ließen, erschien es um so wichtiger, das „m o n -archische Prinzip“ nachhaltig zu stützen und die politische Presse durch eine verschärfte Zensur mundtot zu machen. Vor allem erneuerte man alle gegen die Lehr-und Lernfreiheit der deutschen Universitäten, gegen Professoren und Studenten gerichteten Beschlüsse: die Burschenschaft, die sich seit den Tagen von Neustadt immer wieder als Sturm-truppe der Bewegung zeigte, wurde nicht allein wiederum verboten, — jedes Mitglied einer solchen oder unter anderem Namen auf politische Zwecke gerichteten Verbindung sollte, vorbehaltlich strengerer Kriminalstrafen, weder zum Zivildienst, einem Kirchen-oder Schulamt noch zu einer akademischen Würde, zur Advokatur und ärztlichen Praxis zugelassen werden. Im Schlußprotokoll vom 18. Juni 18 34 — neunundzwanzig Jahre nach dem Tag von Belle-Alliance — bestätigten alle Einzelstaaten die sechs Artikel, die ihnen die deutschen Großmächte unter dem unmittelbaren Eindruck des Hambacher Festes aufgezwungen hatten. Vornehmlich Preußen sah das überaus scharfe Vorgehen gerechtfertigt, mit dem seine Gerichte nicht allein die Teilnahme an den Vorgängen in Neustadt, Wilhelmsbad und Frankfurt, sondern ganz allgemein die Zugehörigkeit zur Burschenschaft ahndeten.

Da die Regierungen der deutschen Einzelstaaten verpflichtet wurden, der neuen Zentralbehörde zur Untersuchung des Attentats vom 3. April 1 833 „fortwährend und schleunigst“ alles mitzuteilen, was ihre Dienststellen über die in Betracht kommenden Vorgänge erfuhren, wurden weit über 1800 Persönlichkeiten in die Hochverratsprozesse verwickelt.

Allein aus der Burschenschaft kamen mehr als 1200 Studenten in Haft, gleichgültig, ob sie der radikalen Richtung oder einer Partei angehörten, die lediglich freundschaftlichen Verkehr pflegen wollte. Aus dem sog.

schwarzen Buch, einem Gesamtverzeichnis, das heute im Frankfurter Bundesarchiv die amtliche „Darlegung der Hauptresultate aus den wegen der revolutionären Komplotte in Deutschland geführten Untersuchungen“ wesentlich ergänzt, haben jüngst personengeschichtliche und soziologische Betrachtungen das Schicksal von 187 Pfälzern geklärt und damit neue Wege zur Beurteilung insbesondere des Hambacher Festes eingeschlagen. Nicht allein Bayern aber, das sich stark zurückhielt, auch die übrigen Staaten waren beteiligt. Am eifrigsten nahm wiederum Preußen die Verfolgung seiner Staatsangehörigen sowie verdächtiger „Ausländer“ auf: eine eigene Ministerialkommission konnte geltende Vorschriften und Gesetze außer Kraft setzen. Die Aburteilung blieb dem Kammergericht in Berlin unter der Annahme überlassen, daß die Burschenschaften bereits durch die Beschlüsse des Frankfurter Burschentags, also lange vor den Tagen von Zweibrücken und Neustadt, revolutionären Charakter erhalten, ihre Teilnehmer sich des Hochverrats schuldig gemacht hätten. AIs ein einzelnes, tief erschütterndes Beispiel hat Fritz Reuter fünfundzwanzig Jahre später (1860) Schuld und Sühne des einen Verbots, mit den Farben der Burschenschaft ein Bekenntnis zu Einheit und Freiheit abzulegen, leidenschaftslos geschildert.

Härter noch und unmittelbarer tritt uns im Ausklang des Hambacher Festes das Schicksal des Westfalen Karl Brüggemann entgegen.

In Heidelberg verhaftet, dann freigelassen, endlich als preußischer Staatsangehöriger nach Berlin ausgeliefert, wurde er zunächst „als determiniertes Subjekt“ mit verschärften Ordnungsstrafen belegt. Lim so bemerkenswerter zeigt seine in einem furchtbaren Gewahrsam niedergeschriebene Selbstverteidigung, die uns die aufschlußreichen Akten der neuen Demagogenverfolgungen erhalten haben, nicht allein die innere Kraft dieses Angeklagten, — in ausgezeichneter Kürze skizziert sie die verschiedenen Auffassungen, die nach der Julirevolution in der Burschenschaft und mit ihr im gebildeten Bürgertum über die Gestaltung Deutschlands erörtert wurden. Die eine Richtung, heißt es, forderte ganz allgemein „Ersatz für den unzeitgemäßen jetzigen Zustand des Vaterlandes“, die andere, wie es Welckers Antrag vor der badischen Kammer umschrieben hatte, Vertretung der Fürsten und des Volkes auf einem Bundestag. Wieder andere setzten sich für die von Wirth auf der Kästenburg vertretene Idee ein und sahen in einem Bundesheer, einem Obergericht und in der Zusammenfassung der auswärtigen Interessen das Heil. Ein Einheitsstaat dagegen, wie er sich in Frankreich ausgebildet habe, erschien nur für wenige tragbar.

* In nüchterner Rückschau treten noch einmal Vielfalt und Einheit hervor, die die Reden Siebenpfeiffers und Wirths durchzogen und damit das vordringliche Ziel, die „Reaktion“ in einer neuen gemeinsamen Bewegung niederzukämpfen, zurückgesteckt hatten. Während Brüggemann selbst bisher für den offenen Aufstand eingetreten war, um die unvergessenen Grundsätze des Wartburgfestes zum Siege zu führen, erschien ihm nach dem Fehlschlag des Frankfurter Attentats der gesetzliche Weg allein möglich. Nur in diesem Sinne glaube er für Deutschland an eine Revolution. Gelinge es den Regierungen, einen solchen Versuch friedlichen Fortschritts zu hemmen, würden sie selbst einen gewaltsamen Umsturz herbeiführen. — Vor dem Kammergericht, der höchsten richterlichen Instanz der preußischen Monarchie, mußte dieser Anruf verhallen.

Während uns das hier nachgezeichnete Bild der deutschen Zukunft an die eingangs erwähnte Aussage des Journal des Debats erinnert, daß die innere Gestaltung des Deutschen Bundes mit Goethes Tod einen Abschluß erreichte, ein neuer Zeitraum vordringlich die Frage nach Einheit und Freiheit stelle, sah man in Berlin in Taten und Meinungen des Burschenschafters in vollstem Ausmaß den Begriff des Hochverrats erfüllt. Für diese Schuld aber sah das Gesetz die Todesstrafe „mit dem Rad von Oben“ vor. Daß sie dem Studenten Brügge-mann aus besonderer Gnade zunächst in lebenslänglichen, nach einem Fußfall seiner Schwester in einen fünfzehnjährigen Festungsarrest umgewandelt wurde, zeigt deutlich, daß sich auch die Richter der ganzen Brüchigkeit einer veralteten Vorschrift bewußt waren und ihrem Monarchen als dem obersten Gerichtsherrn eine solche Milderung empfahlen. Erst 1840 erschloß die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV Brügge-mann wie zahlreichen anderen preußischen und norddeutschen Staatsangehörigen das Tor in die Freiheit. Im übrigen Deutschland hatten die Gerichte zumeist weit geringere Strafen verhängt. Auch mit dem in den Wiener Beschlüssen vorgesehenen Berufsverbot war man lässig verfahren. Im Südwesten und im Süden konnte sich sogar die Burschenschaft insgeheim sammeln: nur für kurze Frist verschwanden ihre Farben, „das heilige Dreifarb“. Wie ein verbreitetes Blatt „Der Wächter am Rhein“ bereits bei der Ansage ihres Verbots verkündigt hatte, wurde auch die unter diesem Sinnbild vorgetragene Werbung für die Grundsätze und Beschlüsse des Wartburgfestes sehr bald ausgenommen, ohne aufs neue den Versuch ihrer gewaltsamen Durchführung zu wagen.

Die letzten Lebensstufen bedeutender Persönlichkeiten, die uns auf dem Hambacher Schloßberg entgegentraten, deuten uns abschließend den Weg.

Am schnellsten und erfolgreichsten wußte sich der Vertreter der jüngeren Generation, eben Karl Brüggemann, einen neuen Wirkungskreis zu schaffen. Bereits 1843, knapp drei Jahre nach seiner Entlassung, legte er als Ergebnis seiner neuen politischen Auffassung eine bedeutende Schrift über Preußens Beruf vor, in der der ehemalige Vorkämpfer eines gewaltsamen Umsturzes die Hegemonie des friderizianisehen Staates im Zollverein als den einzig wesentlichen Versuch zur Einigung zum mindesten des nichtösterreichischen Deutschland empfahl.

Kurz darauf gab der gewandte und höchst aufgeschlossene Publizist, in mehrjähriger Tätigkeit (1846— 185 5) der „Kölnischen Zeitung“ ein neues Gesicht. Ihm vor allem verdankt diese das Ansehen, das ihr bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein als einflußreiches Sprachrohr eines gemäßigten Liberalismus westdeutscher Färbung zukam.

In ganz andere Richtung wies das Leben die vier Männer, die die Feier auf der Kästenburg vorbereiteten und leiteten: Siebenpfeiffer war schon im November 1833 mit Hilfe seiner Gesinnungsfreunde aus dem pfälzischen Gewahrsam entflohen. Ein Jahr danach wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Bern berufen, erlag dort jedoch bereits 184 5 einem Gehirnleiden, ohne die von ihm ersehnte Ernte der eigenen Aussaat zu sehen. Die drei Gesinnungsgenossen trafen sich, als ihre Frühlingsträume nicht mehr auf den Südwesten beschränkt waren, sondern ganz Deutschland ergriffen, in dem nunmehr zur sichtbaren Hauptstadt erhobenen Frankfurt. Von ihnen hatte Wirth die ihm ebenfalls angebotene Flucht verschmäht und seine Haftstrafe abgesessen. Dann aber trieben ihn innere Unrast und materielle Sorge aus den ihm zugewiesenen Zwangsaufenthalt in Ober-franken ins Elsaß, nach dem inneren Frankreich und in die Schweiz, stets bemüht, in Wort und Schrift für die Ideale seiner Jugend — und Mannesjahre einzutreten. Eine mehrbändige „Geschichte des deutschen Volkes“ führte weiteste Kreise in seine Gedankenwelt ein. Als 1840, wie bereits mehrfach erwähnt, die von ihm befürchteten Ansprüche Frankreichs auf die Rheingrenze ganz offen erhoben wurden, stellte er erneut seine Feder in den Dienst der Abwehr und ordnete sich mit den Vorkämpfern des jungen Sozialismus, mit Liberalen und Konservativen in eine Front ein. Das Jahr 184 8 sah ihn, der einst so beredt die Entwicklung einer wahrhaft deutschen Revolution ersehnt und gefeiert hatte, als „einen verbrauchten Mann, als eine Größe von gestern“. Daß ihm das Schicksal trotzdem die Einberufung in die Pauls-kirche gönnte, in eine Nationalversammlung, deren Wahl und Zusammensetzung, Aufgabe und Ziel weit über die in Neustadt ausgesprochenen Hoffnungen hinausgingen, mag den unermüdlichen Kämpfer völlig mit der Vergangenheit versöhnt haben. Als er im Juli 1848 starb, bevor in großen innerpolitischen Auseinandersetzungen der erste Reif auf diesen gesamtdeutschen Frühling fiel, gaben ihm alte und neue Freunde das letzte Geleit. Robert Blum, der jetzt am lautesten den republikanischen Gedanken des Vormärz Ausdruck gab, hielt ihm die Leichenrede. Mit ihm waren zwei Schicksalsgefährten des Hambacher Festes, Josef Savoye und Friedrich Schüler, am Grabe erschienen.

Dank guter Beziehungen hatten sich die Pfälzer der Untersuchung durch die Flucht entzogen und im westlichen Nachbarland Fuß gefaßt.

Savoye wurde französischer Staatsangehöriger und zeichnete sich in den Kämpfen der Februarrevolution aus, die 1848 in Paris das Bürgerkönigtum entmachtete, um mit tieferer Pflugschar als achtzehn Jahre zuvor den Boden ganz Mitteleuropas aufzubrechen. Mit seiner Ernennung zum Gesandten, der bei der neuen provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt die höchst verworrenen Zustände in Deutschland beobachten, vielleicht sogar das Ringen der Paulskirche mit den Kräften der Beharrung beeinflussen konnte, stattete die zweite französische Republik ihren Dank ab. Im September 1848 abberufen, trat Savoye in die Pariser Nationalversammlung ein und hat von seinem oberelsässischen Wahlkreis aus den badischen Aufstand, in dem sich die 18 30 begonnene Bewegung endgültig totlaufen sollte, nachhaltig unterstützt. Da er sich auch in seinem Adoptivvaterland gegen jede Diktatur stellte, die Machtergreifung durch Napoleon III. nicht anders wie vordem die deutsche Reaktion bekämpfte, ward der pfälzische Flüchtling wiederum ins Exil verwiesen und ist 1869 in London gestorben. Schüler endlich spielte nach seinem Übergang nach Frankreich zunächst in den geheimen Verbindungen der deutschen, italienischen und polnischen Emigranten eine bedeutende Rolle, wurde in Metz Advokat und 1848 von einem Wahlkreis der pfälzischen Heimat in den bayerischen Landtag sowie in das erste gesamtdeutsche Parlament entsandt. Als Vertreter der äußersten Linken nahm er sich auch hier der Werbung für die republikanische Staatsform an und trat jedem Ausgleich mit Erbkaiserlichen und mit Preußen entgegen. Im Mai 1849 wurde trotzdem überraschend zur Tat, was ihm ein halbes Menschenalter zuvor die Hintermänner des Frankfurter Wachensturmes angetragen hatten: Während er einer Berufung in den Landesverteidigungsausschuß und in die provisorische Regierung, die die pfälzischen Aufständischen unter dem Banner der Reichsverfassung errichteten, ablehnte, bekleidete Schüler als Mitglied der fünfköpfigen, vom Stuttgarter Rumpfparlament eingesetzten Reichsregentschaft für kurze Frist die höchste Würde, die seine Weg-und Gesinnungsgenossen ihrem Führer darbieten konnten. Das rühmlose Ende der unvollendet gebliebenen deutschen Revolution trieb auch ihn aufs neue ins Exil. Da der auf dem Hambacher Schloß verkündete Gedanke an einen „Bund gleichberechtigter Völker“ in Paris keine Wurzeln schlagen konnte, auch hier — nunmehr in „demokratischer“ Einkleidung — eine neue „Reaktion" die Errungenschaften zweier Revolutionen zu vernichten drohte, wich der überzeugte Republikaner einer werktätigen Teilnahme an den innerpolitischen Auseinandersetzungen des zweiten französischen Kaiserreiches aus. Wie er wiederum ein halbes Menschenalter später die Gründung des deutschen Reiches aufnahm, — darüber schweigen unsere Quellen. Bald nach der Übernahme Deutschlothringens ist Friedrich Schüler 187 3 in Metz, der zweiten Stadt des neuen „Reichslands“, gestorben. In der Öffentlichkeit war die Erinnerung an die Wegbereiter und Wortführer von Neustadt und Hambach bereits durch den Erfolg, der nach Meinung der Zeitgenossen die Gegner von damals erstritten hatten, völlig verdrängt worden. Die Vorgänge selbst dagegen blieben unvergessen und erhielten seit dem Mai 1832 von Generation zu Generation eine ganz verschiedene Auslegung.

Deutung und Bedeutung

Weit schwerer als die Erzählung, „wie es denn eigentlich gewesen“, läßt sich in kurzen, prägnanten Worten die Stellung des Hambacher Festes und seiner Folgen in der deutschen Geschichte umreißen. Bereits sein Ausklang forderte, ganz abgesehen von der durchaus einseitigen „Reaktion“ der Regierungen, sehr verschiedene Urteile heraus. Daß in der Pfalz alle Zeitungen im gleichen Sinne wie die Behörden den erfreulichen und harmonischen Verlauf unterstrichen, war zu erwarten. Vor einem größeren Leserkreis stimmte ihnen Ludwig Börne nach seiner Rückkehr in das Pariser Exil mit der Feststel’ung zu, daß keinerlei Exzesse vorgekommen seien: „Die Orgie, der Kirmestrubel tobte sich in Gedanken, richt in Handlungen aus“. Anderen Vertretern eines „jungen Deutschland" dagegen schrumpfte beim Nachlesen der Reden „die blühende Außenseite des seltenen Festes sogleich zu einer bis zum Erschrecken häßlichen Fratze des gedankenlosen Liberalismus“ zusammen; auf der innerpolitischen Gegenseite fanden sie in Johannes Geißel dem streitbaren Bischof von Speyer, einen Bundesgenossen. „Ihr seid naiv , mahnte dieser unter der Maske eines lachenden Philosophen ine Diözesanen, „wie die Kinder und beurteilt die Welt wie Spielknaben. Nehmt die Karte von Europa, sucht den Rheinkreis auf, betrachtet Deutschland, Europa — und urteilt! Eine Weltrevolution wolltet Ihr machen. Könige und Fürste absetzen? — So mögen Handwerksburschen faseln, die einen ewig blauen Montag wollen. Ihr wolltet eine Veltrevolutio. machen vom Wirtsti ehe aus und hinter dem Ofen hervor? Euer Sturmläuten ist Schoppengläser-Geklingel, Eure Blitze züngeln höchstens in Euren Tabakspfeifen“.

Wesentlich milder bedauerte die rechtsrheinische Presse, daß sich der Parteigeist einer schönen und reinen Idee bemächtigt, einzelne Persönlichkeiten ihre Privatrache gegen Zensur und Behörden ausgetragen hätten. Vcn höherer Warte hob die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ hervor, daß sehr viele Teilnehmer das Fest vorzeitig verließen die hier gehaltenen Reden bei den anwesenden Hessen und Schwaben ehe. Abscheu als Arklang fanden. „Freiheit, Gesetzlichkeit, Menschenn chte“, heißt es in einer der zahlreichen Korrespondenzen, die sich das durch seine Sachlichkeit bekannte Weltblatt durch eigene Mitarbeiter kommen ließ oder anderen Zeitungen entnahm, „will wohl jeder rechtliche Mensch; auch das kostbare Gut der Pressefreiheit, geschützt durch ein neueres Gesetz, kann der zivilisierten Gesellschaft wohl nicht vorenthalten werden.“ Die Aufforderung zum Umsturz dagegen nennt einer der Einsender „taube Blüten, die jedem Frühling vorangehen, den Schaum der Wellen, von einem dunklen Tief nach einer leichten Oberfläche geworfen". Beim „Schwäbischen Merkur“, dem Sprachrohr des württembergischen Liberalismus, erschien die Deutschtümmelei auf der Kästenburg recht übertrieben: „Man trug die deutschen Farben; Eichenkränze aus deutschen Eichen waren aufgehangen, aus der Ferne winkte der alte deutsche Rhein. Da waren deutsche Jungfrauen, die deutsche Lieder von deutschen Dichtern sangen, deutsche Jünglinge, die mit deutscher Begeisterung sprachen und deutschen Wein tranken". Doch eines, das wird auch hier hervorgehoben, sei zur Ehre der deutschen Versammlung gesagt: „Man sah unter den vielen tausend anwesenden Deutschen, ungeachtet der großen Exaltation so vieler, nur wenige, die nath leidiger deutscher Art des Guten zuviel getan hatten“.

Faßt man das Ergebnis eines solchen Rundblicks zusammen, nahmen sich die großen Zeitungen des Wunsches nach Pressefreiheit und einer innerpolitischen Reform des Deutschen Bundes als einer selbstverständlichen Pflicht an. Die Art ihrer Verkündigung lehnten sie ebenso wie die später in Wilhelmsbad vorgetragene Aufforderung zu einem gewaltsamen Umsturz ab, aber auch diese Berichte lassen sich lediglich im scharf begrenzten Raum des Südwestens verfolgen. Nicht allein die Zensur engte in Österreich und in Preußen jeden Kommentar ein, auch die politische Teilnahme war sogar in Altbayern überaschend gering. Das beweist die briefliche Überlieferung jener Jahre, in der andere politische Ereignisse, Bestrebungen und Hoffnungen einen breiten Raum einnehmen. Hatten die auf dem Hambacher Schloß anwesenden Oppositionsführer, die in ihren Ständeversammlungen die gleichen Forderungen wie die pfälzischen Abgeordneten vertraten, zumeist vor dem Abschluß das Fest verlassen, jetzt versagten sie diesem, in ihren Augen unzeitgemäßen Radikalismus durchweg ihre Gefolgschaft! Während die Mehrzahl immerhin den Wunsch nach Einheit bestens unterstützte, lehnte Rotteck in deutlichem Gegensatz zu Wirth und seinen Jüngern das Aufpflanzen einer „deutschen“ Fahne ab und erklärte bereits am 11. Juni 18 32 auf einer Volksversammlung in Badenweiler unter dem brausenden Beifall seiner Zuhörer, daß er „lieber Freiheit ohne Einheit als Einheit ohne Freiheit wolle“.

Weniger absprechend dürften die Vorgänge und Reden, wie sein Biograph Gustav Freytag berichtet, auf den badischen Sozialpolit; ker Karl Mathy gewirkt haben: „Wahrscheinlich erregten viele geschwollene Phrasen seine LInzufriedenheit, aber seinem jugendlichen Sinn boten das Neue des Festes, die Menschenmenge, die Zahl ansehnlicher Häupter des Fortschritts, das Symbol deutscher Einheit, welches stolz von der alten Burgruine nach dem Rhein wehte, große Gedanken“. Andere wieder mochten das Ereignis aus verwandter Auffassung nicht einmal der Erwähnung wert halten. Weder im Nachlaß Karl Welckers noch in dem für den „Vormärz“ besonders aufschlußreichen Briefwechsel Heinrich von Gagerns, dessen Veröffentlichung wir für den Spätherbst dieses Jahres erwarten, hat ein ausführliches LIrteil Platz gefunden. Österreich blieb ganz stumm. Aus der zweiten deutschen Vormacht heben wir zwei Stimmen heraus: Johann Gustav Droysen, der nach dem Mißerfolg der Paulskirche zum Geschichtsschreiber einer bewußt nationalen Politik des friderizianischen Staates werden sollte, verurteilte als überzeugter Anhänger politischen Fortschritts „die so übermütigen Herausforderungen wie das Hambacher Fest und so hirnverbrannte Wagnisse wie das Frankfurter Attentat“ in gleicher Weise wie „die willkürlichen Anordnungen des Bundestages und die empörende Rohheit ihrer Ausführung". Aus Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen" schließlich hat die Bemerkung, daß ihm bei seiner preußischen Schulung tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung wie das Hambacher Fest und der Frankfurter Putsch widerstrebten und daher die in der Schule aufgenommenen Grundsätze des bürgerlichen Liberalismus zurückdrängten, weitgehend das historische Urteil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts bestimmt. -

Daß wenige Jahre später (1840) ein erneuter Griff Frankreichs an den Rhein, wie wir aus der Voraussage und aus dem Leben August Wirths wissen, jeden Gedanken, die bürgerliche Freiheit durch Anlehnung an den westlichen Nachbarn zu gewinnen, in den Hintergrund rückte, dürfte der pommersche Junker kaum als eine weitere Zäsur in dem atemberaubenden Ringen um die Neugestaltung der europäischen Mitte erkannt habe;,. Um so klarer waren für Heinrich Heine in der mehrfach erwähnten, ebenfalls 1840 veröffentlichten Rückschau „jene Hambacher Tage zum letzten Termin geworden, den die Göttin der Freiheit uns gesetzt, die Sterne waren gnädig; seitdem erlosch jede Möglichkeit des Gelingens“. AIs daher die Rheinpfalz wiederum zwei Jahre später (1842) das allzuviel genannte Hambacher Schloß dem bayerischen Kronprinzen, dem 1848 auf den Thron berufenen Maximilian II., als Sühnegabe gleichsam zur Hochzeit schenkte, verlor der eigentliche Schauplatz der Feier auch als Sinnbild seine Bedeutung.

Nicht auf der neuentstehenden „Maxburg", sondern in Neustadt mußte Pfingsten 1848 die Linke der Frankfurter Nationalversammlung des Tages gedenken, den ihre Anhänger als Vorspiel größerer Erfolge ansahen. AIs diese ausblieben, zum dritten Mal „Demagogenverfolgungen“ einsetzten, versanken erneut Erinnerung und Glaube vor den drängenden Fragen des Tages. Nicht mehr aus dem Südwesten, wo sich das „konstitutionelle Deutschland“ an der Enge seines Staatsgefüges wundrieb, — nur von einer Auseinandersetzung zwischen den beiden „Vormächten“, die in den Karlsbader und in den Wiener Beschlüssen (1819 bzw. 18 34) die deutsche Bewegung zurückgedrängt hatten, war nach der neuen, aus den Fehlschlägen der Jahre 1 832/1 833 abgeleiteten „Realpolitik“ zunächst für den Wunsch nach Einheit Erfüllung zu erwarten. Mit harten Verzichten auf den ungeschmälerten Bestand des bisherigen Bundesgebietes mußte der Weg auch zur bürgerlichen Freiheit erschlossen werden.

Als sich daher 1872 zum ersten Male „mit königlich bayerischer Genehmigung" zahlreiche Festgäste auf der alten Gedenkstätte versammelten, trat zu der Erinnerung an trübe und frohe Tage der Vergangenheit der Dank für das Erreichte. Unter Verzicht auf Österreich und Luxemburg, unter Verzicht auch auf eine gleichberechtigte Mitwirkung der bürgerlichen Gesellschaft in einem parlamentarisch ausgerichteten Bundesstaat, waren die überwiegende Mehrheit der alten „ Achtundvierziger" sowie die kleine Zahl derer, die sich aus eigenem Erleben der Julirevolution und ihrer unmittelbaren Wirkung erinnerten, mit dem überreichen Gewinn der Reichsgründung zufrieden.

Erst später, als sich wiederum der Zwiespalt zwischen Einheit und Freiheit vertiefte, erhielt bei den nunmehr fast regelmäßig wiederholten Treffen die Forderung nach einer sozialen Neuordnung den Vorrang. Neben der Demokratie, die immer breitere Massen zur Mitbestimmung aufrief, fühlten sich sozialistische Gruppen als Träger der 1 832 aufgerufenen Überlieferung. Daß die Behörden 18 82 solche Bestrebungen mit einem Verbot zu parieren glaubten, mußte erneut die Erinnerung an die Zeiten unbeherrschter „Reaktion“ wecken. 1907 noch verlief der 7 5. Gedenktag „sang und klanglos“. Lim so großartiger erklang am 27. Mai 1932 nach Krieg und Llmsturz in Liedern und Reden das Bekenntnis zu einer deutschen Republik als das höchste Kleinod, das man vor hundert Jahren gefordert hatte. Wie damals, als die Hauptrede Wirths in einem Hoch auf die konföderierten Freistaaten Europas gipfelte, ward lebhaft betont, daß dem ganzen Abendland „ein großes, nach innen freies, den Werken des Friedens zugewandtes Deutschland“ zum Heil werden müsse. Eine Fülle volkstümlicher und wissenschaftlicher Aufsätze und Bücher ließ Reden und Schriften der Zeitgenossen wieder entstehen. Zahlreiche Funde aus Akten und Briefen brachten neue Züge in das seit langem bekannte Bild. Hatte der pfälzische Publizist Georg Friedrich Kolb unmittelbar nach den Neustadter Tagen in seiner „Speyerer Zeitung" das Hambacher Fest den „Kulminationspunkt für die Bewegungspartei" genannt, gab Theodor Heuss 1912 im Maiheft der Zeitschrift „März“ die Ergänzung: „der wahrhaft klassische Tag des Vormärz in seiner anekdotenreichen Vorgeschichte, dem Verlauf mit Gesängen, Treuschwur und Ehrensäbel, den Folgen mit Gefängnis, Bedrängnis und Bundesbeschlüssen in Frankfurt“. Zugleich aber warnte dieses Urteil vor einer Liberschätzung: „Für den Liberalismus als Volksbewegung ist nicht viel herausgekommen“. Dazu war, wie erneut betont sei, das Einflußgebiet, das sich von der Kästenburg aus beherrschen ließ, viel zu schmal; Ankündigung, Besuch und die von Reden, Trinksprüchen und Beratung ausgehende politische Teilnahme blieben im wesentlichen auf das Gebiet der alten Kurpfalz beschränkt und wurden sehr bald durch Drohung und Zwang, aber auch durch eine merkbare Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die die Eingliederung des „Rheinkreises“ in den preußisch-deutschen Zollverein eingeleitet hatte, abgelöst. War die französische Julirevolution mit dem Einsatz von Presse und Volksversammlungen das Vorbild des zur Nationalfeier erhobenen „Konstitutionsfestes" geworden, so fehlte dem Deutschen Bund als wichtigste, unerläßliche Voraussetzung eine Hauptstadt. Nur von ihr konnten, wie von Paris, Blutbahnen und Nervenstränge in das ganze Bundesgebiet ausgehen, die öffentliche Meinung aufrufen und beherrschen! Vor allem ließen sich in dem auf seine „Verfassung“ so stolzen Südwesten die gesetzlich berufenen Volksvertreter, die in ihren Stände-versammlungen den Kampf gegen die „Reaktion“ ausgenommen hatten, nicht durch andere, unbestätigte Kräfte verdrängen. Als dahet die Folgen des Hambacher Festes und des in ihm geborenen Frankfurter Wachensturms die junge Bewegung in ihren Tiefen erschütterten, hat dieser Schlag stärker noch als das Schicksal des Einzelnen die verfassungsmäßigen Grundlagen des deutschen Liberalismus so schwer getroffen, daß er erst zehn Jahre später unter anderen Vorbedingungen und mit jüngeren Kräften das verlorene Land wieder zu gewinnen vermochte. Lim so schärfer zeichneten sich in den Frühlingstagen des Jahres 1 848, in denen die durch die Julirevolution begonnene Epoche europäischer und deutscher Geschichte zu Ende ging, neue Erfolge ab. Inzwischen erhielten, um nur wenige Einzelzüge herauszuheben, die Farben der Jenaer „Urburschenschaft“ gesamtdeutsche Bedeutung: nicht allein das dritte „konstitutionelle“ Deutschland, das nach dem Vorbild der französischen Trikolore nach einem „Dreifarb“ verlangte, erkannte sie als Sinnbild künftiger Einheit und bürgerlicher Freiheit an. Als im März 1848 der Sturm losbrach, trug unter den Berliner Linden das Denkmal

Friedrichs des Großen das gleiche Schwarz-Rot-Gold wie das Standbild Josephs IL, der in Wien als der „Volkskaiser" gefeiert wurde, -ohne in beiden Monarchieen das Schwarz-Gelb der Dynastie oder das SchwarzWeiß der preußischen Liberlieferung dauernd zu ersetzen!

* Der Historiker ist geneigt, den bereits erwähnten Anschluß des deutschen Südwestens und Südens an den preußischen Zollverein (1. Januar 18 34) als das folgenreichste, deutlich sichtbare Ergebnis eines Zeitraums zu werten, den der Heimgang des Freiherrn vom Stein und Goethes Tod in den Jahren 18 31 und 18 32 gegen die Vergangenheit abgrenzten. In der Tat konnte die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts erst auf einem großflächigen Wirtschaftsgebiet, das von Basel bis Tilsit, von Kattowitz bis nach Aachen, dem Herzstück Europas eine krisenfeste Grundlage schuf und damit bislang unbekannte Kräfte entband, neue, eigenständige Züge entwickeln, die Verbindung mit Welthandel und Weltverkehr vermitteln. Nicht allein ebenbürtig aber, sondern untrennbar von dieser materiellen Entwicklung steht ganz im Sinn der im Journal des Dcbats gegebenen Vorschau, der Geist der Einheit und der bürgerlichen Freiheit, der sozialen Gleichberechtigung und der Menschenwürde. Auch im weiten Reich des Weimarer Dichterfürsten war „der Gedanke aller an die Stelle des Gedankens einzelner getreten“. Mit diesem Losungswort erhalten Voraussetzung, Verlauf und Folgen des Hambacher Festes ihre besondere Bedeutung im deutschen wie im curopäischen Schicksal.

Ähnliches galt für den Wunsch nach einer republikanischen Staatsform. die in den „Voraussetzungen“ unseres Berichts eine sehr geringe, für die staatsbürgerliche Bildung kaum nennenswerte Rolle gespielt hatte. Daß ein August Wirth, Friedrich Schüler sowie der als Hörer anwesende Kölner Jakob Vendey diesen Ruf aus den Neustadter Tagen in die Paulskirche trugen, weist auf weitere Verbindungslinien hin, die von der Kästenburg zum ergebnislosen Ende der ersten deutschen Nationalversammlung führten: 1 832 standen sie allein, sehr langsam nur wuchsen ihnen Bundesgenossen in den Hauptstädten und Industriegebieten Österreichs und Preußens zu. Auf den Grundlagen des Liberalismus, bildeten Demokratie und Sozialismus neue Schößlinge.

Anmerkung:

Paul Wentzcke, geb. 1879, ist Univ-Professor in Frankfurt. Nach zahl-, reichen älteren Publikationen, von denen der erste Band einer Geschichte der Burschenschaft (1910) und eine Darstellung der unvollendeten deutschen Revolution von 1848 (1938) den hier behandelten Zeitraum begrenzen, gehen folgende Arbeiten aus seiner Feder von verschiedenen Gesichtspunkten aus auf unser Thema ein: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung (erster Band 1957). Die deutschen Farben (1955), ein Lebensbild Heinrichs von Gagern (1957) sowie (in Gemeinschaft mit Wolfgang Klötzer) die für Ende 1957 erwartete Breifsammlung: Deutscher Liberalismus im Vormärz.

Fussnoten

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