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Die Probleme im Nahen Osten | APuZ 21/1957 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 21/1957 Die Probleme im Nahen Osten Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten im Lichte der amerikanischen Innenpolitik Die politische Schulfeier als mitmenschliche Ausdrucksform

Die Probleme im Nahen Osten

C. HUREWITZ J

Es gibt kein neues Buch, dessen Lektüre für Amerikaner, die an der Nahostfrage interessiert sind, beunruhigender und deprimierender ist, als Robert J. Donovan's Eisenhower: The Inside Story. Die Bedeutung dieses Bestsellers liegt in dem privilegierten Zugang des Autors zu den internen Beratungen des Weißen Hauses. Das Buch ist in weiten Kreisen als eine inoffizielle Darstellung der Politik der Eisenhower-Regierung angesehen worden, und zwar wie die Regierung diese Politik von der Öffentlichkeit gerne betrachtet haben möchte. Doch enthalten die über 400 Seiten, auf denen jeder wichtige innen-und außenpolitische Aspekt der Regierungspolitik mit Kapiteln über Korea, Rotchina, die Bermuda-Konferenz, Indochina, Formosa und Genf abgehandelt worden ist, nur drei verstreute Hinweise auf den Nahen Osten — und selbst diese werfen kein Licht auf die Ansichten der Regierung über dieses Schlüssel-gebiet. Dieses“ seltsame Schweigen legt ein eindrucksvolles Zeugnis für die Tatsache ab, daß sich die Regierung und das amerikanische Volk im allgemeinen von den an Bedeutung ständig zunehmenden Nahost-Problemen abgewandt hatten. In den letzten Jahren scheint sich in Washington eine merkwürdige Ansicht durchgesetzt zu haben, daß sich nämlich irgendwann auf wunderbare Weise diese Probleme von selbst lösen und schließlich wie eine Fata Morgana in der Luft zergehen werden.

Die „Gipfelkonferenz" in Genf im Juli 1955 hat vielleicht diese Tendenz in dramatischster Weise illustriert. Einige Wochen vor Beginn der Konferenz waren dem State Department Informationen zugegangen, daß die Russen in Kairo Verhandlungen über eventuelle Tauschgeschäfte, und zwar moderne Waffen gegen Baumwolle begonnen hatten. Im September 195 5. gerade zwei Monate nach der Konferenz, wurde der Handel über die Lieferung sowjetischer Waffen an Ägypten im Werte von ungefähr 200 Millionen Dollar tatsächlich abgeschlossen. Während der ganzen Konferenz in Genf, die eine Woche dauerte und die Führer der Großmächte an einen Tisch brachte, ist jedoch — soweit bekannt geworden ist — nicht einmal die Rede von ihren Beziehungen im Nahen Osten gewesen. Wenn künftige Historiker die Geschichte unserer Zeit schreiben werden, dann wäre es denkbar, daß sie die entscheidende Zeitspanne von Juli bis September 195 5 als Wendepunkt in der Entwicklung des Kalten Krieges bezeichnen werden. Der sowjetisch-ägyptische Waffen-handel hat das Monopol, das der Westen nach dem Kriege im Nahen Osten für die Lieferung moderner Waffen besaß, jäh beendet. Die Sowjetunion wurde dadurch in die Lage versetzt, die politische Initiative im strategischen Herzen dieses Gebietes zu ergreifen, sogar bevor Großbritannien die Evakuierung seiner Streitkräfte aus dem unersetzbaren Stützpunkt am Suezkanal beendet hatte. Die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten sind von dieser Entwicklung überrannt worden und haben bis zum heutigen Tage ihre diplomatische Überlegenheit und Gelassenheit noch nicht wiedergewonnen. Der kontinuierliche Strom der Geschichte kennt bekanntermaßen keine scharfen Cäsuren. Selbst Revolutionen sind einer Entwicklung unterworfen und erwachsen aus Bedingungen, zu deren Wandlung triumphierende Revolutionäre beitragen. Nach meiner Ansicht ist es aber wesentlich, daß wir des diplomatischen Durchbruchs eingedenk sind, den die Sowjetunion im Frühherbst 195 5 verzeichnen konnte. Er setzte einen Schlußstrich unter ein Nachkriegsjahrzehnt, das sich vor allem durch eine Reihe sowjetischer Fehler im Nahen Osten auszeichnete. Die russische Politik in diesem Gebiet von 1945 bis Ende 1954 bewies so viel Finesse wie ein führerloser Bulldog, der sich seinen Weg durch die menschenüberfüllte Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir den folgenden Beitrag von J. C. Hurewitz: „Die Probleme im Nahen Osten", erschienen in der amerikanischen Zeitschrift „THE ATLANTIC MONTHLY“, Dezember 1956.

Hauptstraße einer Provinzhauptstadt bahnt. Doch sollten wir nicht vergessen, daß die Ursache für dieses unberechenbare Verhalten weit mehr in den Auswüchsen und der Verbohrtheit des Stalinismus als etwa in unserer Weisheit und vorausschauenden Planung zu suchen ist.

Während der letzten zwölf Monate hat sich jedoch ein radikaler Umschwung vollzogen. Der „entstalinisierte" Kreml hat seine Methoden und Verhaltensweise ganz offensichtlich geändert, und Washington kann sich nicht mehr -INHALT DIESER BEILAGE:

J. C. Hurewitz „Die Probleme im Nahen Osten"

D. W. Brogan „Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten im Lichte der amerikanischen Innenpolitik" (S. 329)

Fritz Behrendt „Die politische Schulfeier als mitmenschliche Ausdrucksform (S. 333)

länger eine phantasielose Diplomatie leisten, die sich im alten Trott bewegt, ohne sich in die Probleme wirklich zu vertiefen, und die von Vorstellungen und Programmen bestimmt wird, die weitgehend von den Erfahrungen in anderen Gebieten beeinflußt sind und bedenkenlos auf den Nahen Osten übertragen werden. Eine eingehende Prüfung wird ergeben, daß die Vereinigten Staaten seit Ende des 2. Weltkrieges im Nahen Osten einem defensiven Kurs gefolgt sind. Washingtons Nahost-Politik könnte man jedoch im ersten Nachkriegsjahrzehnt, besonders nach 1946, als relativ dynamisch bezeichnen. Im vergangenen Jahr jedoch sind die Vereinigten Staaten von einer dynamischen zu einer statischen Verteidigungspolitik übergegangen und dementsprechend von der Bereitschaft zu Experimenten zu einer fast krankhaften Abneigung, überhaupt noch irgend etwas zu unternehmen.

Wie konnten wir es denn überhaupt dulden, uns in diese Position der Schwäche hinein-manövrieren zu lassen? Hätten wir das plötz-liehe Absinken unserer politischen Schicksals-kurve anhalten und unsere gegenwärtige mißliche Lage überhaupt vermeiden können? Oder mußte der Abbau unseres Einflusses und Prestiges im Zuge einer zwangsläufigen Entwicklung früher oder später doch erfolgen?

Vermehrung der Schwierigkeiten

Bei einer Beurteilung unserer Position im Nahen Osten muß zuerst festgestellt werden, daß wir in diesem empfindlichen Teil der Welt, was Verantwortung anbetrifft, Neulinge sind. Noch bis zum 2. Weltkrieg und sogar bis zur Proklamierung der Truman-Doktrin im März 1947 hatten wir — Regierung und Öffentlichkeit gleichermaßen — die Neigung, den Nahen Osten als ein fast ausschließlich englisches Einflußgebiet zu betrachten. Selbst als die Vereinigten Staaten in den folgenden Jahren politisch sehr aktiv wurden mit dem Ziel, das sowjetrussische Vorgehen einzudämmen, betrieben sie ihre Politik im Nahen Osten weiterhin mit halber Kraft. Da England in diesem Gebiete, vor allem in den arabischen Staaten, vor den Vereinigten Staaten anwesend gewesen war, wurde Washington daran gehindert, frei und direkt mit den örtlichen Regierungen und der Bevölkerung der Länder zu verhandeln.

Dies ist der Fall in den Kolonien Aden und Cypern und in den Protektoraten von Aden und den verschleierten Protektoraten die sich an der arabischen Küste des Persischen Golfes entlangziehen. Das war der Fall im Mandat Palästina (bis 1948) und im Sudan unter angloägyptischem Kondominium (während 195 5). Die Außenpolitik dieser Länder, die der englischen Verwaltung unterstanden, wenn auch in Form und Ausmaß jeweils verschieden, wurde nicht vom jeweiligen Lande selbst, sondern vom Außenministerium in London — zuzeiten unter Beistand des Kolonialministeriums — wahrgenommen. Auch in den Ländern, die England durch bevorrechtete Bündnisse verbunden sind — Jordanien, Libyen, Ägypten (bis 1954) und Irak (bis 195 5) — hatten die Vereinigten Staaten die bestehenden Rechte und Sonderinteressen ihres Haupt-NATO-Verbündeten nicht weniger zu berücksichtigen als Ansprüche und Einstellung der betreffenden arabischen Völker.

Selbst in jenen Ländern, wo es keine englische Kontrolle gab und sich die Vereinigten Staaten daher frei und ungehindert betätigen konnten — Iran, Israel, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien und im Yemen — entfaltete sich die amerikanische Initiative nur langsam und zögernd oder litt unter einer Stagnation. Zurzeit des Ausbaus unserer Eindämmungspolitik glaubte Washington hoffnungsvoll — und wie sich herausstellte, irrtümlicherweise — daß die sowjetische Bedrohung des Iran überwunden wäre, als die Regierung des Schah im Dezember 1946 ihre Autorität über Aserbeidschan wiederhergestellt hatte. Bei den stark nationalistischen Elementen in der arabischen Welt schlug die Demütigung, die sie durch die Niederlage im Kriege mit Israel erlitten hatten, in die Überzeugung um, daß die Vereinigten Staaten durch ihre angeblich bedingungslose Unterstützung Israels der Hauptschuldige sei.

Der Kurs der amerikanischen Politik in Palästina war in der entscheidenden Zeitspanne von 1947 bis 1950 tatsächlich so verworren, daß es unmöglich ist, die Vereinigten Staaten über irgendeinen Zeitraum hinweg mit einer einzigen Situation völlig zu identifizieren. Ausschlaggebend für die Vermehrung unserer Schwierigkeiten war nicht die objektive Gegebenheit der Situation, sondern die Tatsache, daß die Araber von dieser unsinnigen Über-zeugung nicht abließen. Was die arabischen Nationalisten natürlich auch weiterhin mit Zorn erfüllte, war der Umstand, daß wir ihrer Forderung, die im wesentlichen auf eine Auflösung Israels hinauslief, unseren Segen vorenthielten. Gerade diese Tatsache aber hielt in den arabischen Ländern die Vorstellung lebendig, daß die Vereinigten Staaten unabänderlich pro-israelisch eingestellt seien, und erklärt die stetige Zunahme der anti-amerikanischen Tendenz fast in der ganzen arabischen Welt wegen der Palästinafrage sogar noch nach 19 53, als die amerikanische Regierungspolitik damit begonnen hatte, die arabische Sache merklich zu begünstigen. Rückblickend können wir deshalb feststellen, daß sowohl unser Mangel an Erfahrung als auch die Schwierigkeiten, die aus dem LImstand herrührten, daß unsere Diplomatie via das englische Außenministerium betrieben werden mußte, als auch die arabische Empfindsamkeit in der Palästinafrage die Suche der Vereinigten Staaten nach einer gangbaren Nahostpolitik zum Scheitern verurteilt haben. Das Fehlen. einer politischen Konzeption im ersten Nachkriegsjahrzehnt hatte nur deshalb keine katastrophalen Folgen, weil die lediglich auf Einschüchterung und Subvention abgestellte, ständig drohende Diplomatie Moskaus, die Benachteiligung, die wir in diesem Gebiet in Kauf zu nehmen hatten, unser ängstliches Verhalten und unsere irrige Beurteilung der Lage mehr als ausglich.

Die diplomatische Tätigkeit einer Großmacht läßt sich selten mit weniger Worten umreißen, und für Rußland waren offensichtlich viele Erwägungen maßgebend, als es 1945 und 1946 einen Druck auf die Türkei und den Iran ausübte. Aber die Absichten Moskaus waren völlig klar. Es wollte die Sowjetunion im Süden mit der gleichen Art Pufferzone abschirmen, welche der Kreml zur selben Zeit in Osteuropa errichtete. Das ist der Sinn der Aufkündigung des russisch-türkischen Neutralitätsvertrages im März 194 5 durch den Kreml und seiner später erhobenen Forderung nach Militär-und Flottenstützpunkten an den Dardanellen und nach den türkischen Provinzen Kars und Asdahan. Dieses Ziel stand auch hinter der russischen Organisation einer pro-sowjetischen separatistischen Bewegung im persischen Aserbeidschan

Selbst nachdem diese Aktionen gescheitert waren, und Stalin offensichtlich zu der Über-zeugung gekommen war, daß es klüger sei, solche Experimente im Nahen Osten nicht noch einmal zu wagen, ließ Moskau nicht von dem Versuch ab, die Staaten dieses Gebietes unter den Druck der Furcht vor einer drohenden sowjetischen Vergeltung zu setzen. Jede Maßnahme eines Nahost-Staates, die nur im geringsten für den Westen günstig war. beantwortete der Kreml sofort mit der Behauptung, sie sei gegen die russischen Interessen gerichtet, während Aufforderungen an die Adresse Moskaus zu konstruktiver Zusammenarbeit oder Hilfe mit eisigem Schweigen ausgenommen wurden. Anstatt die letzten Bindungen der Arabischen Liga an den Westen durch Parteinahme für ihre Sache während und nach dem Palästina-Krieg zu zerschneiden, fuhr Moskau fort, die arabischen Führer kritiklos als „reaktionär“ zu brandmarken. Moskau bestand darauf, so lange nichts mit der Arabischen Liga zu tun haben zu wollen, als bis die Führung in den Händen von „Fortschrittlern“ läge, worunter es die Handvoll arabischer Kommunisten und verkappter Kommunisten verstand, die damals von den arabischen Regierungen noch verfolgt wurden, die aber der Kreml immer noch hartnäckig ermutigte. Wenn vor 195 5 kein Nahoststaat wirtschaftliche oder technische Hilfe vom Sowjetblock erhalten hat, dann nur deshalb, weil weder Ruß-land noch seine Satelliten entsprechende Angebote unterbreitet haben. Noch machten Ruß-land oder seine Satelliten den Versuch, dem Nahen Osten militärische Ausrüstungsgegenstände zu liefern — mit der einzigen geringfügigen Ausnahme der Tschechoslowakei, die 1948 einige überflüssige Waffenbestände an Israel verkaufte. Vor allem versuchte Rußland nur einmal, sich einen Anteil an den Ölvorkommen des Nahen Ostens zu sichern — und zwar in Nordiran —. Es ging dabei so ungeschickt vor, daß das iranische Parlament vor Angst über den offenen russischen Druck im Oktober 1947 die auf . 50 Jahre geplante Konzession annullierte, bevor sie rechtsgültig wurde.

Andererseits verdienen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten Lob und Anerkennung, weil sie 1945/46 die unbeholfenen sowjetischen Anschläge auf die Türkei und den Iran durch eine starke moralische LInterstützung dieser Länder vereitelt haben. Unser sowohl wirtschaftliches wie auch militärisches Hilfsprogramm für die Türkei war bis 1954 sehr erfolgreich. In den Vereinten Nationen hinderten wir Rußland daran, sich durch die Hintertür des Palästinaproblems einen ersten Zugang zum Nahen Osten zu verschaffen. Als am 25. Mai 1950 die Vereinigten Staaten, England und Frankreich eine gemeinsame Erklärung über den Waffenverkauf erließen, waren sie in der Lage, den Strom von Kriegsgerät in das kritische arabisch-israelische Gebiet zu regulieren. Die Drei-Mächte-Erklärung garantierte auch die bestehenden Grenzen und Waffenstillstands-linien. Der Ausbruch des Koreakrieges gerade einen Monat später trug weiter dazu bei, die Entschlossenheit der amerikanischen Absichten zu bekräftigen und die Nützlichkeit der Drei-Mächte-Erklärung als Abschreckungsmittel gegen ein Wiederaufleben der Kämpfe zwischen den arabischen Staaten und Israel noch zu unterstreichen. Schließlich wurde 1953/54 durch amerikanische Vermittlung der sich schon über drei Jahre hinziehende englisch-iranische Ölstreit beigelegt und der Modus der Zahlungen, der sei 1950-52 auf dem Prinzip gleicher Gewinnanteile beruhte, von der Ölgesellschaft an die jeweilige Regierung im Nahen Osten beibehalten.

Alle diese Maßnahmen sind der positiven Seite der Angelegenheit hinzuzurechnen. Aber sie hat auch eine negative Seite, die wir erst in letzter Zeit kennengelernt haben Daß es uns glückte, das westliche Monopol bei der Ausbeutung der Ölvorkommen des Nahen Ostens aufrechtzuerhalten, hat wenig dazu beigetragen, uns bei seinen Bewohnern beliebt zu machen. Unsere Angebote an die arabischen Länder auf wirtschaftliche und technische Hilfe fanden nicht den Widerhall, den wir erwarteten, weil diese Angebote durch ähnliche Hilfsprogramme für Israel ausgewogen wurden, und die Auswirkungen eines Hilfsprogramms, das den allgemeinen Lebensstandard heben sollte, dazu angetan waren, den privilegierten Status der herrschenden Klassen in einigen arabischen Ländern zu unterhöhlen. Unsere wirkliche Schwäche begann sich jedoch erst auf dem Gebiet der Nahostverteidigung herauszustellen, und zwar nicht zuletzt wegen unseres eigenen ungeschickten Benehmens.

Koloß auf tönernen Füßen

Vom Ende des ersten Weltkrieges an als sich das Ottomanische Reich endgültig auflöste, bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gehörte der Nahe Osten unzweifelhaft zur westlichen Einflußsphäre. Die Militär-, Flotten-und Luftstützpunkte Englands, die das Gebiet von einem Ende zum anderen wabenartig durchzogen, wurden durch die französischen Garnisonen in Libanon und Syrien ergänzt. Diese Position militärischer Stärke erwies sich im zweiten Weltkrieg für England und seine Verbündeten als lebenswichtig. Aber in den ersten Nachkriegsjahren sind die französischen und englischen Militärregime Stück für Stück abgebaut worden. Der erste Schlag erfolgte 1946, als die Franzosen gezwungen wurden, ihre Streitkräfte aus Libanon und Syrien zurückzuziehen, und weitere Schläge folgten 1948, als die Engländer Palästina aufgaben und 1954— 56, als sie aus der Suez-Kanal-Zone abzogen. Jeder einzelne Rückzug stellte einen heimlichen Sieg der Sowjetunion dar, das über die Anwesenheit westhcher Garnisonen, vor allem Luftstützpunkte, an seiner gefährdeten Südflanke — ein Gebiet um das die Sowjetunion ebenso besorgt ist wie wir um das karibische — niemals sonderlich glücklich gewesen ist. Denn im Nahen Osten grenzt Rußland ohne das angenehme Polster einer da-zwischengeschalteten Satellitenzone an die nichtkommunistische Welt.

Während die französische und englische Militärmacht dahinschwanden, unterließen es die Vereinigten Staaten, das entstandene Vakuum zu füllen. Zugegeben, die Türkei wurde im Februar 1952 in die NATO ausgenommen und viele hundert Millionen Dollar sind in die Modernisierung seiner Militär-und Flottenstützpunkte und in die Errichtung einer Kette von Flugfeldern in Anatolien direkt vor Rußlands Hintertür gesteckt worden. Damit war die Türkei militärisch und diplomatisch an den Westen gebunden. Aber an vielen Stellen des Nahen Ostens beschränkten sich die Vereinigten Staaten auf zweiseitige militärische Beistandsabkommen, auf ungeschickte Bemühungen, eine regionale Sicherheitsorganisation aufzubauen und auf die Errichtung eines Stützpunktes für schwere Bomber in Libyen und eines weiteren in Saudi-Arabien. Letzterer ist ununterbrochen Gegenstand von neuen Verhandlungen, wobei die Aussichten auf Erfolg kritisch zu nennen sind. Die Luftstützpunkte, welche die in Marokko bestehenden ergänzen, sind errichtet worden, um den globalen „Gebäude-Komplex“ des amerikanischen strategischen Luftkommandos zu befriedigen und Vorsorge für die entsetzliche Möglichkeit eines Weltkrieges mit Rußland zu treffen. Sie sind für Friedenszwecke weder errichtet noch aufrechterhalten worden — wie der Suez-Stützpunkt und die kleineren Garnisonen in der Nähe — d. h. um die Westmächte instand zu setzen, auf die örtlichen Regierungen einen militärischen Drude auszuüben und sie bei der Stange zu halten.

Die Förderung, die wir der Errichtung des Bagdad-Paktes angedeihen ließen, illustrierte sehr anschaulich unseren Wunsch, in diesem Gebiete keine militärische Verantwortlichkeit auf uns zu nehmen; Nachdem John Foster Dulles 1953 das Amt des Außenministers übernommen hatte, gehörte es zu einer seiner ersten Initiativen, den Gedanken eines Verteidigungssystems der nördlich gelegenen Länder für den Nahen Osten zu befürworten. Dieses System sollte die früheren Konzeptionen eines Nahostkommandos und einer Nahost-Verteidigungsorganisation, die sich 19 51-52 als unzulänglich erwiesen hatten, ersetzen. Diese Initiative führte schließlich 195 5 zum Bagdad-Pakt, der die Türkei, den Irak, Iran, Pakistan und England in einem formalen Militärbündnis zusammenfaßte. Aber weit davon entfernt, sich zu einem furchtbaren Militärinstrument zu entwickeln, hat sich dieses Bündnis als ein Koloß auf tönernen Füßen erwiesen. Überall hat es Hornissennester aufgestört und die örtlichen Spannungen vergrößert.

Daß Irak zu den Gründungsmitgliedern des Bagdad-Paktes gehörte, versetzte Israel, das natürlich jegliche Stärkung des arabischen Militär-potentials mit düsteren Blicken betrachtete, in Furcht. Der Pakt erregte die Feindschaft Ägyptens, dessen Militärclique ihre führende Stellung in der arabischen Welt bedroht fühlte. Von Ägypten aus breitete sich die feindselige Haltung nach Syrien, Saudi-Arabien und dem Yemen aus. Die Teilnahme Pakistans am Pakt erregte den Antagonismus Indiens und Afganistans, die beide in Grenzstreitigkeiten mit ihrem moslemischen Nachbarn verwickelt sind. Die Teilnahme Englands am Pakt erhitzte die arabischen Nationalisten, die glaubten, englischer „Imperialismus“ werde über diesen Umweg wieder aufleben. Und da sich die Vereinigten Staaten — nachdem die Wut einmal erregt war — glatt weigerten, dem Pakt beizutreten, verfiel der Pakt vollends der Lächerlichkeit Unsere abwartende Haltung schwächte die Entschlossenheit der Nahoststaaten, die dem Westen zuneigten, und stärkte die Entschlossenheit derjenigen, die feindlich gegen den Pakt eingestellt waren.

Diese bedauerlichen Konsequenzen sind natürlich das Ergebnis einer Politik gewesen die versuchte, den Gedanken der kollektiven Sicherheit, der in Westeuropa angewandt und erprobt worden war, auf den Nahen Osten zu übertragen. Die Planer unserer nationalen Sicherheit beliebten die einfache Tatsache zu übersehen, daß der Nahe Osten Westeuropa in nichts gleicht, weil er weder über die Industrie, erfahrenen Wirtschaftler, Techniker, gelernten Arbeiter noch über die notwendige Finanzkraft verfügt, eine wirklich moderne Armee zu unterhalten, noch kamen unsere führenden Politiker auf den Gedanken, daß eine regionale Militärorganisation nach dem Muster der NATO in einem Gebiet, wo das Gewehr deines nächsten Nachbarn dich mehr beunruhigt als die Krise des Kalten Krieges, nicht hinpaßt. Vor allem verschlossen sie ihre Augen vor der wichtigen Tatsache, daß gerade die für die Stärke der NATO ausschlaggebenden Faktoren, nämlich die Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte auf dem europäischen Kontinent und die Stationierung amerikanischer Truppen im Nahen Osten — vorausgesetzt, daß wir uns dazu verstehen würden — bei den meisten Staaten dieses Gebietes auf erbitterten Widerstand stoßen würden.

Es ist ohne weiteres begreiflich, warum sich unsere führenden Politiker in Washington standhaft geweigert haben, dein Gedanken einer Stationierung amerikanischer Truppen an kritischen Stellen des Nahen Ostens näherzutreten. Imperialismus ist im Westen nicht mehr Mode. Außerdem haben die Vereinigten Staaten niemals irgendwelche territorialen Ambitionen im Nahen Osten gehabt. Wir wollten vor allem vermeiden, daß die gleiche Abneigung und Xenophbie gegen die Amerikaner entsteht wie bislang gegen den dahinschwindenden Imperialismus der Franzosen und Engländer. Es gehört zur amerikanischen Tradition, das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung zu unterstützen, wo immer es sich kundtut.

Es war für die Vereinigten Staaten offenkundig nicht einfach, sich entweder für eine Unterstützung der Bemühungen unserer Verbündeten, ihre militärische Kontrolle in direkter oder indirekter Form wenigstens für die Dauer des Kalten Krieges aufrechtzuerhalten, oder zugunsten der Forderungen der Nationalisten nach uneingeschränktem Verzicht auf die militärische Kontrolle zu entscheiden. Folgten wir aber unseren Sympathien und entschlössen uns zu einer Unterstützung der Nationalisten, dann würden wir eine Entfremdung Englands und Frankreichs und eine Unterhöhlung der diplomatischen Einheit der NATO riskieren. Hätten wir uns je-doch dafür entschieden, unseren westlichen Verbündeten treu zu bleiben, dann müßten wir uns mit der Möglichkeit einer Einigung der erwachenden Staaten Asiens und Afrikas gegen den Westen abfinden. Bei jedem Streitfall haben unsere führenden Politiker in Washington versucht, eine mittlere Linie zwischen unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Verbündeten und unserer Sympathie für die Sache der Nationalisten einzuschlagen. Auf dieser Theorie war unsere Diplomatie aufgebaut. Tatsächlich haben wir uns jedoch immer für den zweiten Weg entschieden. Lim ihn für unsere Verbündeten annehmbar zu machen, haben wir die Entscheidungen stückweise getroffen und schließlieh fast unfehlbar beide Seiten gröblich verletzt.

Phasen der Vermittlungspolitik

Seit Ende des zweiten Weltkrieges haben die Vereinigten Staaten diese Vermittlungspolitik in verschiedener Weise und mit unterschiedlichen Ergebnissen in Syrien und Libanon, Iran, Ägypten und in den französischen Gebieten Nordafrikas verfolgt. Unsere Mitwirkung bei der Beilegung des englisch-ägyptischen Streites über die Sudanfrage und über den Stützpunkt in der Kanalzone ist das klassische und wichtigste Beispiel für diese Art der Politik.

Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg erhob Kairo die Frage nach einer Revision des anglo-ägyptischen Vertrages von 1936, auf Grund dessen England ermächtigt war, Militär-Stützpunkte auf ägyptischem Boden zu unterhalten. Die ägyptische Regierung unterbreitete ähnliche Vorschläge mit dem Ziel, ihre Meinungsverschiedenheiten mit England über den bestehenden Status des Sudan zu regeln. Die Verhandlungen schleppten sich dahin und liefen sich immer wieder fest, wobei die Nerven beider Verhandlungspartner stark strapaziert wurden. Die erste reale Chance, dieses Problem zu lösen, bot sich nach dem Militärputsch im Sommer 1952, als der ägyptische Amüsierkönig Faruk zur Abdankung gezwungen wurde und sich die auf den alten Kurs eingeschworenen Politiker zurückziehen mußten. In den sich über die nächsten Monate hinziehenden Verhandlungen spielte der amerikanische Botschafter in Kairo Jefferson Caffery eine führende Rolle. Es war weitgehend seiner Unterstützung der ägyptischen Forderungen zu danken und dem Druck zugute zu halten, den er auf seine englischen Kollegen in Kairo ausübte, daß sich London bereit erklärte (Februar 195 3), zuerst die Meinungsverschiedenheiten über den Sudan zu bereinigen und schließlich (im Oktober 19 54) innerhalb 18 Monaten den Suezstützpunkt in Abschnitten zu räumen.

Nicht lange nach Beendigung des ausgedehnten diplomatischen Duells machten wir die Entdeckung, daß unser Hauptverbündeter seinen zentralen Militärstützpunkt im Nahen Osten verloren hatte, auf dem die gesamte Struktur seines regionalen Verteidigungssystems beruhte, das für die gesamten westlichen Verteidigungspläne für Europa, Asien und Afrika von so entscheidender Bedeutung ist. In den folgenden Jahren weigerte sich die ägyptische Regierung nicht nur, sich durch Mitarbeit bei der Errichtung eines neuen Verteidigungssystems für unsere Vermittlerrolle dankbar zu erweisen, sondern sie reagierte auf jene neue großzügige Geste unsererseits mit ausgesprochener Arroganz und Geringschätzung. Warum wohl, fragen wir uns mit Recht, ist es zu all dem gekommen? Seit Ausbruch der Suezkrise im vergangenen Sommer haben wir uns in die Ausrede geflüchtet, Gama Abdel Nasser trage alle Schuld an den neuerlichen Sorgen, die der Westen im Nahen Osten hat. Wenn wir uns gegenüber aber ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß wir nur uns allein die Schuld zuschreiben müssen. Die Verhandlungen über den Sudan und den Suez-stützpunkt sind nicht das Werk einer Nacht gewesen. Wir hatten genügend Zeit, auf Ägypten einen Druck im Sinne einer entsprechenden Gegenleistung für die englischen Konzessionen auszuüben. Wir hätten darauf bestehen können, daß die Räumung der Kanalzone durch die Engländer mit dem Beitritt Ägyptens, wenn nicht zu einem vom Westen geförderten Nahost-Sicherheitssystem so doch wenigstens zu einer zweiseitigen Militärvereinbarung mit den Vereinigten Staaten gekoppelt werden müßte. Stattdessen beliebten unsere verantwortlichen Politiker in Washington zu glauben, daß mündliche Versprechen auf Zusammenarbeit ausreichend wären und die ägyptischen „Jungtürken", die 1952 die Macht ergriffen hatten, nichts Böses im Schilde führen könnten.

Die Militärclique, die sich 1952 in Besitz des ägyptischen Deltas gesetzt hatte, bestand aus jungen Armeeoffizieren, die ihr politisches und wirtschaftliches ABC noch nicht gelernt hatten. Diese Leute brachten zugegebenermaßen frischen Wind in die erstickende Atmosphäre von Bestechung und Nepotismus, die unter Kairos ancien regime geherrscht hatte. Zum erstenmal in seiner modernen Geschichte besaß Ägypten eine Regierung, die offenkundig bereit war, den Interessen nicht etwa einer Klasse, sondern dem ganzen Lande zu dienen. Was dem Regime an politischer, wirtschaftlicher und sozialer Erfahrung offensichtlich abging, machte es durch guten Willen mehr als wett. Die Westmächte, und besonders die Vereinigten Staaten, waren positiv beeindruckt. Doch bestand wenig Grund zur Annahme, daß die Militärclique kooperative Beziehungen zum Westen unterhalten würde, weil sie eine aufgeklärte Innenpolitik betrieb.

Tatsächlich führte die Militärregierung, die damals nominell von Generalmajor Mohammed Nagib geführt wurde, während des Sommers und Herbstes 19 5 3 eine starke anti-englische Kampagne als Vorbereitung auf die Wahlen zugunsten einer Selbstregierung im Sudan durch.

Als sich die Verhandlungen über die Suezfrage von Oktober 1953 bis Juli 1954 festgefahren hatten, inszenierte der Revolutionsrat (wie sich die ägyptische Militärclique selbst nannte) die feindliche Kampagne in Kairo, die sich sowohl gegen die Vereinigten Staaten als auch gegen England richtete. Unter diesen Umständen war es merkwürdig, daß unsere Diplomaten die Ansicht vertraten, die Militäroffiziere, welche die Propagandakampagne inszeniert hatten, würden sich als weniger nationalistisch oder pro-westlicher erweisen als ihre Vorgänger. Das State Department sollte wenigstens erwartet haben, daß Militäroffiziere, die einen coup d’tat gemacht hatten, in der eindeutigen Absicht, dadurch die Korruption in der Armee abzuschaffen, auf jeden Versuch, die Selbstachtung der Armee und damit das Ansehen und Prestige des Landes im Auslande zu beeinträchtigen, außerordentlich empfindlich reagieren würden.

Wie die Dinge lagen, mußte die amerikanische Botschaft in Kairo eine harte Lehre einstecken. Bald nach der Unterzeichnung des Suez-abkommens im Oktober 1954 ersuchte der Revolutionsrat die Vereinigten Staaten um Lieferung von schwerem Kriegsmaterial. Washington antwortete positiv. Wie der Kongreß entsprechend dem Gesetz für gegenseitige Sicherheit verlangte, schlug die Regierung ein zweiseitiges Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Ägypten vor, in dem sich letzteres mit den Zielen des westlichen Kollektivsicherheitsabkommens formal assoziieren und Hilfe und Rat von einer amerikanischen Militärmission annehmen sollte. Die ägyptische Militärclique verwarf jedoch diese Bedingungen als gleichbedeutend mit der Wiedereinführung „imperialistischer“ Kontrollen in Ägypten. Als einzige Möglichkeit verblieb Washington daraufhin nur das Angebot einer rückzahlbaren Militärhilfe. Aber Ägypten verfügte nicht über die notwendigen Dollars, um moderne Tanks und Düsenflugzeuge zu bezahlen, auf deren Kauf der Revolutionsrat weiterhin bestand. So gerieten die Verhandlungen in eine Sackgasse. Dieser Zustand dauerte bis zum Abschluß des Abkommens mit der Tschechoslowakei und Rußland im September 195 5. Das sowjetisch-ägyptische Waffengeschäft war der Preis, den Washington dafür bezahlen mußte, daß es unterlassen hatte, sich im Herbst 19 54 als harter Verhandlungspartner mit Ägypten zu erweisen, als Washington gleich London die Situation noch voll und ganz in der Hand hatte.

Man sollte meinen, daß die Bekanntgabe des sowjetisch-ägyptischen Waffenhandels durch Oberst Abdel Nasser den für unsere nationale Sicherheit Verantwortlichen einen Ruck gegeben und sie zu einer grundsätzlichen Überprüfung unserer Beziehungen mit Kairo, das wir viel zu nachsichtig und nachgiebig behandelt hatten, getrieben hätte. Die Nachricht von dem großen diplomatischen Erfolg der Sowjetunion traf Washington unglücklicherweise unmittelbar nach dem Herzanfall Eisenhowers, als die Hauptstadt sich in einem ungewöhnlich nervösen Zustand befand. Anstatt angesichts der neuen Situation eine kaltblütige und besonnene Haltung zu bewahren, sandte das State Department hastig den Leiter seiner Nahost-Abteilung nach Kairo, um in letzter Minute zu versuchen, die ägyptische Regierung von dem Weg, den sie bereits beschritten hatte, abzubringen. Anstatt ruhig abzuwarten, bis sich Ägypten an uns wandte, begann Washington mit London im Schlepptau sofort nach dieser völlig nutzlosen Mission auf Kairo einzuwirken, die Finanzhilfe der Westmächte für den Bau des Assuan-Staudammes anzunehmen, um einem eventuellen Angebot der Sowjetunion vorzubeugen.

Unvermeidlich trug dieses Vorgehen dazu bei, Abdel Nasser in der ganzen arabischen Welt das Ansehen eines großen Führers und volkstümlichen Helden zu verschaffen und ihn zu veranlassen, die Forderungen Ägypten auf unser Angebot bezüglich des Assuandammes herauf-zuschrauben mit dem Ergebnis, daß sich während des ganzen vergangenen Winters auch hier wieder die Verhandlungen festgefahren hatten. Als sich Ägypten so widerspenstig zeigte, hätten wir als kluge diplomatische Gegenmaßnahme schnell dem Bagdadpakt beitreten sollen. Statt dessen verhielt sich Washington weiterhin abwartend, wodurch sich das sinkende Prestige Englands noch deutlicher abzeichnete und Abdel Nasser die Möglichkeit gegeben wurde, Jordanien unter dem Druck der Angst davon abzuhalten, dem Pakt beizutreten, und es zu veranlassen, dann Glubb Pascha zu entlassen. Die verspäteten Bemühungen von Außenminister Dulles, den vor sieben Monaten begangenen Fehler wieder gutzumachen, indem er am 19. Juli 19 56 das Assuandamm-Angebot zurückzog, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als sich Ägypten endlich herbeigelassen hatte, unsere Bedingungen anzunehmen, trieb das diplomatische Pokerspiel auf den Höhepunkt. Am 26. Juli nationalisierte Oberst Nasser plötzlich den Suezkanal, wodurch wir uns einer bis dahin noch nie erlebten Herausforderung unseres Prestiges im ganzen Nahen Osten und darüber hinaus selbst in Südasien gegenübersahen.

Eine Verbesserung unserer Position ist seit dieser Zeit nicht eingetreten. Die Art und Weise, wie Außenminister Dulles den Suezstreit behandelt hat, bot ein verwirrendes Schauspiel amerikanischer Nahost-Diplomatie — wobei in schnellem Wechsel zuerst unsere westlichen Verbündeten, dann Ägypten und schließlich wieder die Verbündeten unterstützt worden sind. Es ist gut möglich, daß Dulles Anfang Oktober in bezug auf einen politischen Stellungswechsel einen Rekord aufstellte, als er die offizielle Niederschrift einer Pressekonferenz abänderte nur zwei Stunden, nachdem er sie abgehalten hatte, aber doch zu spät, um den Schaden zu verhindern.

Selbst nachdem das sowjetisch-ägyptische Waffengeschäft das Monopol des Westens für den Handel mit modernen Waffen im Nahen Osten zerstört hatte, wäre es den Vereinigten Staaten, England und Frankreich auf Grund der Drei-Mächte-Erklärung von 1950 noch möglich gewesen, ihr Amt als letzte Friedenshüter im explosiven arabisch-israelischen Raum erneut zu befestigen. Als sich im vergangenen Frühjahr die arabisch-israelische Spannung ihrem Höhepunkt näherte, bot sich hierfür eine gute Chance. Noch am 17. April gaben die Russen unmißverständlich zu verstehen, daß sie bereit wären, in der Unterstützung der Araber kurz zu treten, um den Erfolg der Bemühungen der Vereinten Nationen im Sinne einer Milderung der örtlichen Spannungen sicherzustellen. Moskau fürchtete offensichtlich, daß eine ernsthafte Verschlechterung der Lage als Anlaß zur Zurückführung der westlichen Streitkräfte in dieses Gebiet dienen könnte, was es um jeden Preis zu vermeiden wünscht.

Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten hätten damals unzweideutig erklären sollen, daß sie beabsichtigten, mittels der Vereinten Nationen die arabisch-israelischen Waffenstillstandsvereinbarungen zu festigen, daß sie aber nicht zögern würden, ihre Truppen einzusetzen, um die Ordnung wieder herzustellen, wenn die Vereinten Nationen ihre Aufgabe nicht erfüllen sollten. Wenn wir auf diese Weise sowohl gegenüber den Russen als auch den Arabern und Israelis unsere feste Entschlossenheit erneut betont hätten, entsprechend der Drei-Mächte-Erklärung den Frieden zu erhalten, dann hätten sich auch die Ägypter wahrscheinlich nicht so herausfordernd benommen. Eine feste Haltung zu diesem Zeitpunkt hätte später mit dazu beigetragen, Abdel Nasser in seine Grenzen zurückzuweisen. Aber da wir diesen Schritt mit Rücksicht auf die Bemühungen der Eisenhower-Regierung, jedes Risiko bezüglich des Einsatzes der amerikanischen Streitkräfte zu vermeiden, nicht getan haben, haben wir den abschreckenden Wert der Drei-Mächte-Erklärung und damit auch unser militärisches Prestige im Nahen Osten völlig zerstört.

Festigkeit in Verhandlungen

Wir haben uns zu fragen, warum wir diese schweren Fehler Ägypten und den Nahost-Ländern gegenüber haben begehen können. Als die Sowjetunion als dynamische Kraft in diesem Gebiet auf dem Plan erschien, just zu dem Zeitpunkt, als die Beziehungen zwischen dem Nahen Osten und dem Westen auf eine völlig neue Basis gestellt werden sollten, häuften sich natürlich unsere diplomatischen Schwierigkeiten. Es hätte des erfinderischen Geistes eines Franklin und Talleyrands bedurft, um unsere Interessen unter solchen Umständen zu verteidigen. Doch dürfte es von den Fähigkeiten unserer Staatsmänner nicht zuviel verlangt sein, für einen schrittweisen und geordneten Rückzug aus den Positionen, die einem Angriff am stärksten ausgesetzt sind, Sorge zu tragen, statt überstürzt die Flucht zu ergreifen.

Nachdem der Westen im Grunde genommen darauf verzichtet hat, für die Sicherheit dieses Gebietes länger zu sorgen, und nachdem er seine Stützpunkte nacheinander aufgegeben hatte, sein Prestige weitgehend zerstört und sein Waffenmonopol gebrochen war, mußte er zu der Erkenntnis kommen, daß er die Nahost-Staaten nicht länger durch einseitige politische Erklärungen bei der Stange halten konnte Da kaum zu erwarten ist, daß Rußland um der Stabilität im Nahen Osten willen mit uns zusammen geht, werden wir vermutlich einsehen, daß regionale Streitigkeiten und wiederholte Friedensbedrohungen im Nahen Osten am wirkungsvollsten durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geregelt werden können. Die Russen können zwar den Sicherheitsrat als Propagandaforum benutzen und die westlichen Vorschläge durch ein Veto lahmlegen, aber wir können dies umgekehrt auch. Wir können der nicht-sowjetischen Welt klar zu erkennen geben, was uns kürzlich nicht geglückt ist, daß nämlich die Interessen der Nahost-Staaten denen des Westens nicht zuwiderlaufen, sondern in vieler Beziehung mit ihnen übereinstimmen. W’ie wir gesehen haben, ist nur der Sicherheitsrat als Forum genügend neutral, um nicht nur die Außenminister der vier Großmächte, sondern auch Ägyptens an einen Tisch zu bringen, damit sie sich hier in einer für Verhandlungen günstigen Atmosphäre mit dem Suez-Streit befassen können.

In Anbetracht der Tatsache, daß die Russen durch die nachdrückliche Betonung, die sie neuerdings auf die „Ko-Existenz durch Wettbewerb“ gelegt haben, die Initiative in die Hand bekommen haben, dürfte es politisch wohl ratsam sein, die militärische Seite unserer Beziehungen mit dem Nahen Osten fortan hintenanzustellen und dafür die wirtschaftliche zu unterstreichen. Hierbei müssen wir uns darüber klar sein, daß eine Rivalität rsit Rußland auf wirtschaftlichem Gebiet uns manchmal zu Maßnahmen zwingen könnte, die streng genommen wirtschaftlich unrentabel sind — ähnlich unseren vorsorglichen Kriegskäufen nicht notwendigen strategischen Materials in neutralen Ländern mit dem Zweck, es dadurch dem Zugriff der Achsenmächte zu entziehen. Durch die Anwendung solcher Praktiken könnten wir eventuellen Tauschabkommen zwischen dem Ostblock und den Nahost-Staaten weit besser begegnen.

Wenn wir zum Beispiel gegen Ende 1954 einen Teil der Kairo zugesagten Hilfe in Höhe von 32, 5 Millionen Dollar oder auch die ganze Summe für den Ankauf von großen Mengen ägyptischer Baumwolle, von der damals die Lagerhäuser im Nildelta überquollen, verwandt hätten, wären in Washington die Kongreßmitglieder unserer Baumwollprovinzen bestimmt empört gewesen. Wenn wir uns aber dazu entschlossen hätten, dann wäre der Militärclique Mitte 195 5 der Tauschhandel Waffen gegen Baumwolle vielleicht zu riskant gewesen. Die Vereinigten Staaten können auf keinen Fall erwarten, daß sie ihre diplomatische Position in lebenswichtigen Überseegebieten erhalten können, wenn sie auf jeden innenpolitischen Druck Rücksicht nehmen.

Noch wichtiger ist es für uns, zu begreifen, daß die Erweiterung der bedingungslosen wirtschaftlichen oder technischen Hilfe auf diese Länder unter Umständen von Wert sein könnte — nicht um sofort Freunde zu gewinnen» sondern wegen der indirekten Vorteile auf lange Sicht — daß aber bedingungslose diplomatische Vermittlungsbemühungen völlig-wertlos sind, wenn wir die Unterstützung beider Parteien zur Regelung einer Streitfrage gewinnen und zugleich unsere eigenen Interessen bewahren wollen. In der Politik, und zwar auf innenpolitischem wie auf außenpolitischem Gebiet, wird nun mal gehandelt, und das ist auch gar nichts Unehrenhaftes. Wenn wir gerne möchten, daß Ägypten ein zweiseitiges Militärabkommen mit uns schließt, dann hätten wir für wirksame Vermittlungsdienste, die wir gerne leisten würden, den Abschluß dieses Abkommens als Mindestpreis fordern sollen — und zwar im voraus zu bezahlen. Ein zweiseitiges Militärabkommen mit Amerika, was sonst es auch immer sein mag, dürfte kaum, selbst unter Einbeziehung der vom Kongreß aufgestellten Bedingungen als „imperialistisch“ zu bezeichnen sein. Wir hätten deshalb bei unseren Verhandlungen mit Ägypten auf ihm bestehen sollen. Statt dessen haben sich die Amerikaner der Ansicht der ägyptischen Führer gebeugt, daß harte Verhandlungen unsererseits einem ungebührlichen Drucke gleichkämen, was die Ägypter in ihrem Glauben bestärkte, daß ihre emotionellen Anschuldigungen gegen „amerikanischen Imperialismus“ nicht ganz zu Unrecht seien.

Daß wir die Lebensinteressen, die wir in diesem Gebiet haben, niemals klar umrissen haben, hat unsere Suche nach einer gangbaren Nahost-Politik ebenfalls beeinträchtigt. Zwei gegensätzliche Behauptungen sind für die von Washington in den letzten Jahren verfolgte Politik bestimmend gewesen. Nach der einen ist der Nahe Osten für die westliche Welt wegen seiner Ölvorkommen, Stützpunkte und strategischen Lage als Durchgangsgebiet der Hauptverbindungslinien zwischen Europa, Asien und Afrika unersetzlich. Nach der zweiten ist der Nahe Osten gegen einen sowjetischen Angriff nicht zu verteidigen. Deshalb müßten wir ein zu starkes militärisches Engagement in diesem Gebiet vermeiden.

Dieses Paradoxon führte zu einem Schwebe-zustand, der in der Situation eines Kalten Krieges untragbar ist. Nichtsdestoweniger unterließen wir es, unsere Auffassung von den Interessen des Westens im Nahen Osten zu revidieren. Wir haben weder erklärt, daß wir auf die Interessen verzichten könnten und uns mit den unvermeidlichen Folgen abfinden würden, noch haben wir uns energisch bemüht, einen Weg ausfindig zu machen, wie sie wirksam zu verteidigen wären. Als wir an die unvermeidliche Weggabelung gekommen waren, haben wir statt dessen die Entscheidung hinausgeschoben und versucht, uns preislich in beschränktem Umfange gleichzeitig zu engagieren und gleichzeitig herauszuhalten.

Unser größter Fehler ist jedoch unser naiver Glaube gewesen, wir könnten die Bewohner des Nahen Ostens dazu bringen, uns deshalb zu lieben, weil wir ihnen viel Geld oder Flugzeuge geben oder versprechen, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Überall auf der Erde haben wir um Popularität gebuhlt, aber nirgends ist diese Neigung deutlicher zutage getreten als in unseren Beziehungen zum Nahen Osten. Wir haben die Araber lediglich davon überzeugt, daß wir kindliche Verhandlungspartner, ja, daß wir Narren sind, die wie reiche Touristen in einem orientalischen Bazar betrogen werden wollen. Wir müssen begreifen lernen, daß wir mit üppigen Geschenken bei den Arabern keine Freunde erwerben, denn für sie haben wir den doppelten Nachteil einer engen Verbindung zu England und Frankreich und der Sympathie zu Israel — so sehr auch die Araber diesen letzten Faktor übertreiben mögen.

Das äußerste, was wir angesichts der Ungereimtheiten unserer Politik im Nahen Osten und vor allem in der arabischen Welt erhoffen konnten, war Achtung. Achtung aber hätten wir und werden wir in der Zukunft nur durch eine feste, bestimmte und unzweideutige Haltung erwerben können, die jedem im Nahen Osten, in der NATO und im Ostblock klar zu erkennen gibt, wo wir stehen und was wir zu tun bereit sind, um unsere Lebensinteressen in der arabischen Welt zu verteidigen.

Fussnoten

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