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Joseph von Eichendorff. Der Dichter und die Wirklichkeit der Geschichte | APuZ 44/1957 | bpb.de

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APuZ 44/1957 Joseph von Eichendorff. Der Dichter und die Wirklichkeit der Geschichte Politik als moralisches Problem Freiherr vom Stein: Ordnung und Freiheit

Joseph von Eichendorff. Der Dichter und die Wirklichkeit der Geschichte

GERHARD MÖBUS

Am 26. November jährt sich der Todestag Joseph von Eichendorffs zum hundertsten Male. Seinem Gedenken ist die folgende Betrachtung gewidmet, in der der Versuch unternommen wird, das herkömmliche Klischee vom „versponnenen Romantiker" zu überwinden.

Ein Gedenktag wie der hundertste Todestag eines Dichters gibt gewiß Anlaß zu ehrendem Gedenken, und so wird auch Joseph von Eichendorff in diesem Jahre, in dem sich sein Todestag zum hundertsten Male jährt, auf vielerlei Weise geehrt und gefeiert. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß Gedenkfeiern noch nicht die Gewißheit geben, daß mit ihnen die Wirkung eines Dichters in die Gegenwart tiefer oder breiter wird. Das gilt auch für Eichendorff, und denkt man daran, daß die ihm zu Ehren herausgegebene Gedenkmarke eine Postkutsche abbildet, so ist der Verdacht nicht durchaus abzuwehren, es werde sich auch weiterhin das Mißverständnis behaupten, daß es sich mit Eichendorff um einen Dichter handele, bei dem die Unruhe der Romantiker einmünde in eine biedermeierliche Zufriedenheit mit sich und der Welt. Die Postkutsche wird dann zum Symbol des Biedermeiers, der nach getanen Amtspflichten auf die Reise in die Ferien geht, und die Gestalt des Taugenichts erscheint als die biedermeierhafte Verkörperung einer „inselhaft vom sonstigen (religiösen, politischen und wirtschaftlichen) Leben abgelösten Romantik“

Bei näherem Zusehen entspricht dieser Auffassung seit langem die Behandlung, die Eichendorff sowohl in bekannten Darstellungen der Romantik wie vor allem in der Schule gefunden hat. Im Rahmen dieser Behandlung ist es üblich geworden, den Dichter als einen Lyriker zu rühmen, der aufs schönste den Volksliedton getroffen habe, wobei einschränkend hinzugefügt wird, daß auch seine Romane, Novellen und Dramen am ehesten noch gelten könnten, soweit sie lyrischen Charakter zeigten. Die Gestalten und Geschehnisse dieser Dichtungen, allen voran der Taugenichts, werden dann am liebsten verstanden als Ausdruck einer märchenhaften, weltfremden Verträumtheit, die sich ohne Ziel und gedankenlos dahintreibend in ihre Stimmungen, Sehnsüchte und Wünsche verliert.

Es ist sehr aufschlußreich, wie sich dieser Situation die Literaturkritik des Marxismus-Leninismus bedient hat, um die Dichtung Eichendorffs auf ihre Weise politisch zu interpretieren Wenn es in ihr heißt, das Wesen der Eichendorffschen Dichtung sei Weltferne und traumhafte Wesenlosigkeit, sie stelle eine Art von Wachtraum dar und sei nur „eine Begleitmusik zum wirklichen Leben“, wird damit nur die weithin geläufig gewordene Anschauung ausgenommen. Es bleibt jedoch nicht bei ihr, sondern ihre neue Ausdeutung zeichnet sich ab, wenn es von der Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“ heißt, in ihr sei alle Unklarheit Eichendorffs, die sonst seine Epik und Dramatik verschwommen und physiognomielos mache, nur ein silberner Nebel der verschwiegenen Melancholie, die die innere Heiterkeit der Idylle tief und anziehend mache. Denn in ihr, wie sonst nur noch in seinen allerbesten Gedichten, habe die verworrene oppositionelle Sehnsucht Eichendorffs

„Sein Held ist ein 'Vagabund, aber er hat nichts von der deklassierten, intellektnellen, boheme-anarchistischen Opposition an sich. Diese Opposition setzt nämlich bereits ans dem Niveau der vollzogenen sozialen Deklassiertheit durch die kapitalistische Arbeitsteilung ein und bekämpft

eine adäquate und dichterisch tiefe Gestaltung erfahren. Das Kernstück dieser Deutung des „Taugenichts“ liegt in der Behauptung, diese Dichtung sei zwar eine Idylle mit fast märchenhaften Zügen und sie enthalte unmittelbar nichts Gesellschaftskritisches und Polemisches, sie verdanke jedoch ihren dauernden Erfolg einer in ihr „immanent enthaltenen Polemik“. Diese immanente Polemik entspreche der romantischen Opposition im allgemeinen, die mit ihrer Kritik ziele auf die bürgerliche Gesellschaft des aufsteigenden europäischen Kapitalismus. Und sei der wesentliche Inhalt der Lyrik Eichendorffs Sehnsucht, Sehnsucht nämlich, aus dem modern-bürgerlichen Leben herauszukommen, dann stelle der „Taugenichts“ diese antikapitalistische Opposition der Romantik ohne die Verzerrungen, wie sie sich etwa in Friedrich Schlegels Lob des Müßigganges zeigen, in einer Weise dar, von der es heißt:

sie deshalb in einer unfruchtbaren verzerrenden Weise. Dadurch, daß der Eicltendorffsche Held ein märchenhafter Bauernjunge vor diesem Deklassierungsprozeß ist, entsteht eine tiefere und richtigere Art der romantischen Opposition, in welcl'ier der in dieser Tendenz enthaltene ricl'itige Kern viel reiner und kräftiger, vor Verzerrungen bewahrter zum Ausdrudi kommt als in den früheren und späteren Bohemerevolten gegen die kapitalistisdte Arbeit."

Als verworren wird diese Opposition deshalb bezeichnet, weil sie aus einem Gefühl des Unbehagens an den Verhältnissen hervorgeht, ohne zu der Einsicht in die Zusammenhänge vorzudringen, wie sie auf wissenschaftliche Weise erst die Theorie des historischen Materialismus ermöglicht habe.

Wie immer man sich zu dieser Deutung der Dichtung Eichendorffs stellen mag, so ist nicht zu übersehen, daß in ihrem Zusammenhang zumindest mit Ernst die Frage gestellt wird, wie es eigentlich in der Dichtung Eichendorffs zu der seelischen Atmosphäre der Sehnsucht, Lebensferne und Weltflucht kommt, die ihr sonst wie selbstverständlich zugeschrieben wird. Weiterhin ist festzuhalten, daß die Antwort auf diese Frage nicht mit Hilfe vager Vermutungen auf Grund einer subjektivistischen Psychologie gegeben wird, sondern die Anstrengung gemacht wird, sie auf dem Wege einer soziologischen Analyse zu finden, die sich darum bemüht, das Verhältnis des Dichters zur politisch-historischen Situation seiner Zeit aufzuhellen und dadurch dem Verständnis seiner Dichtung näher zu kommen. Wieweit der eingeschlagene Weg wissenschaftlich fragwürdig ist, weil er die keinesfalls zwingende Voraussetzung macht, daß das Verhältnis Eichendorffs zu seiner Zeit, wie es in seiner Dichtung zum Ausdruck kommt, die Form einer „verworrenen Opposition“ haben mußte, ist eine andere Sache. Wenn dafür die These des historischen Materialismus verantwortlich zu machen ist, daß das Werk eines Dichters der „ideologische Reflex" einer soziologisch-ökonomischen Situation sei, die in einer vor-marxistischen Epoche nur mit unbewußter Notwendigkeit wirksam wird und empfunden werden kann, dann ist diese These zwar eine geistige Vereinfachung der geschichtlichen Wirklichkeit, der Tatbestand aber, auf den sie sich bezieht, nämlich das Verhältnis des Dichters zu seiner Zeit, ist eine historische Realität.

Sollte sich also auch die Formel von der antikapitalistischen Opposition des Romantikers Eichendorff als falsch erweisen und sein Werk aus ihr heraus seine Deutung nicht finden, so stellt sie zumindest einen herausfordernden Hinweis auf Zusammenhänge dar, die offensichtlich in der geläufigen Art, von Eichendorff und seinem Werk zu sprechen, nicht genug gewürdigt werden.

Ein Standpunkt, von dem her sich die geistige Vereinfachung der marxistischen Formel wie von selbst aufhebt, ist mit der Erinnerung daran gewonnen, daß Goethe im Vorwort zu „Dichtung und Wahrheit"

davon spricht, es scheine die „Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt-und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt". Diese Zeitverhältnisse erscheinen ihm als ein Spielraum innerer Regungen und äußerer Einflüsse, in dem die „Gestalten von hundert bedeutenden Menschen" wie die „ungeheuren Bewegungen des allgemeinen politischen Weltlaufs" wirksam werden. Es ist zu vermuten, daß eine Darstellung solcher Art sowohl geeignet wäre, das Gesicht der Dichtung Eichendorffs schärfer zu profilieren, als es die weithin üblich gewordene schöngeistige Manier vermag, wie zugleich imstande wäre, eine sachliche Auseinandersetzung mit der politischen Interpretation der marxistisch-leninistischen Literaturkritik einzuleiten. Der Versuch dazu soll deshalb, wenn auch nur in der Skizze, im folgenden unternommen werden.

Wie verlief der Weg, der Eichendorff, um noch einmal die Worte Goethes zu wählen, aus dem engen Privatleben in die weite Welt geführt, ihm die Begegnung mit bedeutenden Menschen gebracht und ihn den ungeheuren Bewegungen des allgemeinen politischen Weltlaufs ausgesetzt hat?

Der Weg von Lubowitz (1788— 1801) nach Breslau (1801— 1805), Halle (1805— 1806), Heidelberg (1807-1808), Berlin (1809-1810) und Wien (1810— 1813) führte in die geistige Weite des damaligen Europa.

In Halle und im Theater des Bades Lauchstädt sah Eichendorff Goethe.

Er hörte Friedrich August Wolf, den berühmten klassischen Philologen, und wurde beeindruckt durch Henrich Steffens. In Heidelberg bewirkte Joseph Görres, dem Eichendorff im Alter wohl die schönsten Worte gewidmet hat, die in deutscher Sprache einem Universitätslehrer von seinem einstigen Hörer zuteil geworden sind, daß geistig der Blitz einschlug in die Seele des Suchenden. Zugleich begegnete er Achim von Arnim und Clemens Brentano, die damals in Heidelberg waren, um „Des Knaben Wunderhorn“ zu vollenden und herauszugeben. Er traf sie in Berlin wieder, und dazu Adam Müller, Friedrich Schlegel und Heinrich von Kleist. In Wien ging er bei Friedrich Schlegel und Adam Müller ein und aus. Was für den jungen Dichter in Heidelberg mit der Verehrung Tiedes und des Novalis im Freundeskreis um Otto Heinrich von Loeben und unter dem Eindruck der symbolischen Interpretation der Rungeschen „Tageszeiten“ durch Görres begonnen hatte, vollendete sich unter dem Einfluß Friedrich Schlegels in Wien. Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen" wurde das große Vorbild des ersten, damals entstandenen Romans „Ahnung und Gegenwart".

Die Form des Romans, Märchentum und Liederklang, dürfen jedoch nicht darüber täuschen, daß das Buch, wie schon Friedrich de la Motte-Fouque in seinem Vorwort betont, „fortlaufende Berührung" mit den „öffentlichen Begebenheiten" zeigt. Einmal ist es der Aufstand der Tiroler, der hereinspielt, wenn die Hauptgestalten des Romans Friedrich und Leontin, in einen Freiheitskampf für ihr Vaterland ziehen und nach der Niederlage als Geächtete ihre Güter verlieren und als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen. Vor allem aber entält der Roman die Entwicklungsgeschichte eines jungen Menschen, die an ihrem entscheidenden Wendepunkte folgendermaßen beschrieben wird:

„Wohl ist der Weltmarkt großer Städte eine redrte Schule des Ernstes für bessere, besdtaulidie Gemüter, als der getreueste Spiegel ihrer Zeit.

Da haben sie den alten, gewaltigen Strom in ihre Maschinen und Räder aufgefangen, daß er nur immer schneller und sdmeller fließe, bis er gar abfließt, da breitet denn das arme Fabrikleben in dem ausgetrod^neten Bette seine hochmütigen Teppidre aus, deren inwendige Kehrseite ekle, farblose Fäden sind, versd^ämt hängen dazwisdten wenige Bilder in uralter Sdiönheit verstaubt, die niemand betrachtet, das Gemeinste und das Größte, heftig aneinander geworfen, wird hier zu Wort und Schlag, die Schwäche wird dreist durch den Haufen, das Hohe ficht allein.

Friedridt sah zum ersten Male so recht in den großen Spiegel, da schnitt ihm ein unbeschreiblidter Jammer durch die Brust, um die Sdiönheit und Hoheit und das heilige Redtt, daß sie so allein waren, und wie er sich selber in dem Spiegel so winzig und verloren in dem Ganzen erblickte, schien es ihm herrlich, sidi selber vergessend, dem Ganzen treulich zu helfen mit Geist, Mund und Arm. Er erstaunte, wie er nodt so gar nichts getan, wie es ihn nodt niemals lebendig erbarmet um die Welt.

So sdrien das große Schauspiel des Lebens, manche besondere äußere Anregung, vor allem aber der furditbare Gang der Zeit, der wohl keines der besseren Gemüter unberührt ließ, auf einmal alle die hellen Quellen in seinem Innern, die sonst zum Zeitvertreibe wie lustige Springbrunnen spielten, in eine n großen Strom vereinigt zu haben.

Ilm ekelten die falsdten Diditer an mit ihren Taubenherzen, die, unein-

gedenk der himmelschreienden Mahnung der Zeit, ihre Nationalkraft in müßigem Spiele verliederten. Die unbestimmte Knabensehnsudit, jener wunderbare Spielmann vom Venusberge, verwandelte sich in eine heilige Liebe und Begeisterung für den bestimmten und festen Zweck.

Gar vieles, was ihn sonst beängstigte, wurde zuschanden, er wurde reifer, klar, selbständig und ruhig über das Urteil der Welt. Es genügte ihm nicht mehr, sich an sich allein zu ergötzen, er wollte lebendig eindringen. Desto tiefer und schmerzlicher mußte er sich überzeugen, wie schwer es sei, nützlich zu sein. Mit grenzenloser Aufopferung warf er sich daher auf das Studium der Staaten, ein neuer Weltteil für ihn, oder vielmehr die ganze Welt und was der ewige Geist des Menschen strebte, dachte und wollte, in wenigen großen Umrissen, vor dessen unermeßner Aussicht sein Innerstes aufjauchzte.“

Der Grundton, auf den diese Sätze gestimmt sind, ist die Hinwendung zur sozialen und politischen Realität. Dabei geht es nicht allein darum, sie, etwa in einem „Studium der Staaten kennenzulernen, sondern „nützlich zu sein“. Der Antrieb zu dieser Wandlung kommt nicht nur aus der Ernüchterung durch die Wirklichkeit, sondern diese Wandlung wird beschrieben als eine „heilige Liebe und Begeisterung für den bestimmten und festen Zweclc“.

Aus dieser Liebe und Begeisterung für den bestimmten und festen Zweck geht die Absage an die „falschen Dichter hervor, mit der Eichendorff ein Thema anschlägt, das nicht nur große Partien seines ersten Romans beherrscht, sondern das als ein Grundthema durch sein Gesamtwerk geht. Die Schilderung eines Teeabends in der Residenz enthält die ironische Typologie einer ästhetischen Gesellschaft, in der sich unter dem Namen der Poesie Selbstgefälligkeit und Selbstbespiegelung breitmachen. Eichendorff scheut sich nicht, das Ganze als „ästhe tisches Geschwätz" zu bezeichnen, in dem zwar viel vom Beruf des Dich ters und der Göttlichkeit der Poesie gesprochen wird: „aber die Poesie selber, das ursprünglidie, freie, tüdttige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber sprechen, kant nicht zunt 'Vorschein vor lauter Komplinienten davor und Anstalten dazu. Friedrich kanten diese Poesierer in ihrer durchaus polierten, glänzenden, wohlerzogenen Weichlidtkeit wie der fade, unerquickliche Teedantpf, die zierliche Teekanne mit ihrem lodernden Spiritus auf dem Tische wie der Opferaltar dieser Musen vor“.

Noch Jahrzehnte später läßt Eidiendorff in dem Roman „Dichter und ihre Gesellen“ (18 34) einem jungen Dichter, der sich in ein Dasein poetischer Phantastik verloren hat, zurufen: flieh, flieh in die Nadit hinaus, in den Krieg, bau’ das Feld, spalte Holz, bettle von Haus zu Haus — nur fort von hier!“

Friedrich Schlegel ist es gewesen, der in dem jungen Dichter das geistige Widerstreben gegen eine „bloß ästhetisdie Ansicht der Dinge“, die zur „spielenden Träumerei“ führe, voll ins Bewußtsein gehoben hat; das lehrt allein schon ein Vergleich der vorhin angeführten Sätze Eichendorffs mit Friedrich Schlegels Rezension von Adam Müllers „Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur“ in den Heidelbergischen Jahrbüchern (1808).

Doch zeigen diese Sätze selbst mit der ausdrücklichen Berufung auf den „furchtbaren Gang der Zeit“ und die „himmelschreiende Mahnung der Zeit“, wie sehr der junge Dichter der geschichtlichen Wirklichkeit zugewandt ist und sich angestrengt darum bemüht, den Ort zu bestimmen, der dem Dichter und der Dichtung in ihr zukommt. Das letzte Kapitel des Romans nimmt diese Grundstimmung noch einmal auf, wenn es dort von der Zeit heißt:

„U n s e r e Jugend erfreut kein sorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unsere Väter, uns hat der frühe Ernst des Lebens gefaßt. Im Kampfe sind wir geboren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphierend, untergehn. Denn aus dem Zauberrauche unserer Bildung wird sich ein Kriegsgespenst gestalten, geharnischt, mit bleichem Totengesicht und blutigen Haaren; wessen Auge in der Einsamkeit geübt, der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und sich leise formieren. Verloren ist, wen die Zeit unvorbereitet und unbewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Lust und fröhlichem Didtten, sich so gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu sidt selber sagen: Weh, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam!“

Wie sich mit diesem „Ernst des Lebens“ und der Aufgabe, die „Welt einzurichten“, das Dichter-sein überhaupt vereinbaren läßt, ist im letzten die Grundfrage, um die sich der erste Roman Eichendorffs wie um seinen geistigen Angelpunkt bewegt, so mannigfaltig und verzweigt auch seine Geschehnisse im einzelnen sind. Die Tatsache, daß „Ahnung und Gegenwart“ ästhetisch nach dem Vorbild des „Heinrich von Ofterdingen" gebaut ist, also „halb Roman, halb Märchen" sein soll, darf den Blick für seine geistige Grundfrage nicht verstellen, weil sonst die Einsicht dafür verwehrt ist, daß Eichendorff in ihm für sein Dichter-sein eine Lebensentscheidung getroffen hat.

Wie diese Entscheidung von ihm getroffen worden ist, zeigt eine Stelle des Romans, die auf ihre Weise die Absage an die „falschen Dichter" wiederholt. Der Dichter Faber behauptet, Poet-sein und poetisch sein, seien zwei verschiedene Dinge, und dem Poet-sein hafte, wie selbst Goethe eingestehe, immer etwas Taschenspielerei und Seiltänzerei an. In der Antwort des Grafen Friedrich heißt es darauf:

„Das ist nicht so, und wäre es so, so möchte ich niemals didtten . . . Wo soll die redtte, sdilichte Sitte, das treue Tun, das sdwne Lieben, die deutsche Ehre und alle die alte herrlidte Schönheit sidt hinflüchten, wenn es ihre angeborene Ritter, die Diditer nicht wahrhaft ehrlidt, aufrichtig und ritterlich mit ihr meinen? Bis in den Tod verhaßt sind mir besonders jene ewigen Klagen, die mit weinerlidten Sonetten die alte sdwne Zeit zurückwinseln wollen und, wie ein Strohfeuer, weder die schlechten verbrennen, noch die Guten erleuchten und wärmen. Denn wie wenigen möchte doch das Herz zerspringen, wenn alles so dumm geht, und habe idh nicht den Mut besser zu sein als meine Zeit, so mag ich zerknirscht das Schimpfen lassen, denn keine Zeit ist durdtaus sdilecht. Die heiligen Märtyrer, wie sie, laut ihren Erlöser bekennend, mit aufgehobenen Armen in die Todesflammen sprangen — das sind des Dichters echte Brüder, und er soll ebenso fürstlidt denken von sidt; denn so wie sie den ewigen Geist Gottes auf Erden durch Taten ausdrückten, so soll er ihn aufridttig in einer verwitterten, feindseligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und ver-herrlidwn“.

Teilnahme am Freiheitskampf

Denkt man daran, wie selbstverständlich es geworden ist, die Dichtung Eichendorffs als lebensfern und weltfremd anzusehen und von ihrer Verworrenheit und Verträumtheit zu sprechen, ja sie einen Wachtraum zu nennen, der Sehnsucht nach der „alten schönen Zeit“ entsprungen, so sollte allein schon der Satz: „Bis in den Tod verhaßt sind mir besonders jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten die alte schöne Zeit zurückwinseln wollen“, doch recht nachdenklich stimmen. Eichendorfs hat ein anderes Verhältnis zu seiner Zeit, als es ihm gemeinhin zugeschrieben wird, und der Vergleich der Dichter mit den Märtyrern zeigt an, wieviel an Wagnis und Wahrhaftigkeit er von ihnen erwartet. Gewiß: die Gegenwart wird eine „verwitterte, feindselige Zeit“ genannt; aber es wird dem hinzugefügt: keine Zeit ist durchaus schlecht. Schweigen soll darum, wer nicht den Mut hat, besser zu sein als seine Zeit.

Die Probe sollte für Eichendorff selbst eher kommen, als er es ahnen konnte. Der Roman war vollendet, und das Examen mit sehr gutem Erfolg bestanden, als am 20. März 1813 in Breslau der „Aufruf an mein Volk“ veröffentlicht wurde. Für den Dichter wurden nun die Verse ernst, die er 1810 zu Ehren der Tiroler Freiheitskämpfer geschrieben hatte:

O Herr! laß diese Lohen wehn, sich breiten Auffordernd über alle deutsche Lande, Und wer da fällt, dem sdtenk so glorreidt Ende!

Eichendorfs folgte der Aufforderung, verließ Wien und meldete sich in Breslau bei der Lützowschen Freischar. Der Abschied von dem älteren Bruder Wilhelm, mit dem er bis dahin alle Stationen seines Lebensweges gemeinsam zurückgelegt hatte, war schwer; denn der Bruder blieb in Wien und trat in den österreichischen Staatsdienst ein. Aber Eichendorff legte an sich selbst den Maßstab des Wagnisses und der Wahrhaftigkeit an, an dem er den Dichter gemessen wissen wollte. Das Gedicht „Die neuen Kameraden“ sagt dazu:

Ich hört’ viel Didtter Klagen Von alter Ehre rein, Doch wen’ge mochtens wagen Und selber schlagen drein.

Mein Herz wollt’ mir zerspringen, Sucht’ mir ein ander Ziel, Denn anders sein und singen, Das ist ein dummes Spiel.

Die herzliche Liebe des Dichters zum Vaterland, für das er sein Leben wagt, läßt ihn in dem Gedicht „Der Freiheit Wiederkehr* (1814)

ausrufen:

Feuerzeichen steigen auf, Von den Gipfeln schallt es, Und zum Willkomm mir herauf Rausdit der Rhein und widerhallt es.

Und von Berg zu Bergeswand, Weit hinab durdt alle Gaue Segn’ ich didt, du deutsches Land, Dem idh wieder mich vertraue.

Zugleich mit dem Gefühl der Dankbarkeit für die Befreiung des Vaterlandes wächst in Eichendorff jedoch das Gefühl der Verantwortung. Was der Krieg an Emst und Begeisterung offenbart hat, soll der Frieden und die Freiheit auf eine neue Weise bewähren. Das Gedicht »An die Freunde" (1815) endet mit den Versen:

So laßt uns unser Deutschland denn umstellen, Bewachend brüderlich in treuer Hut, Mit Lehren, Rat und Sang die Herzen schwellen, Daß sie bewahren ein die heil’ge Glut, Den Ernst, den sie erkämpft in Bluteswellen, Der Ehre Hort, Eintracht und freud’gen Mut!

Friede dem Herd'und ew'ger Krieg dem Bösen — So mag uns Gott von aller Schmach erlösen.

Wie sehr den Dichter Gedanken dieser Art beschäftigten, und er danach strebte, selbst in ihrem Sinne wirksam zu sein, verraten Sätze aus einem Brief vom 1. Oktober 1814 an Friedrich de la Motte-Fouque:

„Es gibt noch so Vieles, Großes und Freudiges zu vollbringen. Gott hat uns ein Vaterland wieder geschenkt, es ist an uns, dasselbe treu und rüstig zu behüten, und endlich eine Nation zu werden, die, unter Wundern erwachsen und von großen Erinnerungen lebend, solcher großen Gnade des Herrn und der eigenen kräftigen Tiefe sich würdig beweise.

Und dazu braucht es nun audh. andere Kämpfer noch als bloße Soldaten.

Wäre auch ich imstande, zu dem großen Werke etwas Rechtes beizutragen! Meine Kraft ist gering und nodi von vielen Sddad^en und Eitelkeiten getrübt, aber die Demut, mit der ich meine Unzulänglichkeit anerkenne, und der Wille, das Beste zu leisten, ist redlidt und ewig“.

Von solchem Geiste beseelt, ist Eichendorff in den preußischen Staatsdienst eingetreten; in dieser Gesinnung hat er die Amtspflichten aufgefaßt, in deren Erfüllung ihn der Weg in den nächsten Jahrzehnten von Breslau nach Berlin, Danzig, Königsberg und wieder Berlin geführt hat.

Dieser stille Dienst am Staate ist für Eichendorff ebenso kennzeichnend wie die vorher bekundete Bereitschaft, sein Leben für die Freiheit des Vaterlandes einzusetzen. Beides ist die Verwirklichung des Wunsches, „nützlich zu sein“, Verwirklichung der „Liebe und Begeisterung für den bestimmten und festen Zweck, wie es in „Ahnung und Gegenwart" geheißen hatte.

Lassen die angeführten Äußerungen schon ahnen, wie sehr diese Gesinnung frei ist von blinder Begeisterung, vielmehr bestimmt ist von geistiger Wachheit und sittlicher Verantwortung im Verhältnis zu den Zeitereignissen, so zeigen Zeugnisse in der Dichtung der späteren Jahre den Dichter als Mahner und Warner. Zu den Zeiterscheinungen, die Eichendorffs Ironie vor allem herausforderten, gehört eine Art des Ver-haltens, die er Vaterländerei und Deutschtümelei nennt. In „Dichter und ihre Gesellen" wird sie durch die Gestalt des Malers Albert verkörpert, der dadurch auffällt, daß er altdeutsche Tracht trägt, dazu langes Haar, das ihm von beiden Seiten bis zu den Schultern herab-hängt. Der Maler schwärmt für den „ernsten Norden", und sein Atelier wird folgendermaßen beschrieben:

„ein hohes, ritterlidies Gemach, an dessen schmuckloser Hauptwand ein großes, mit der Jahreszahl 1813 bezeichnetes Sdtwert hing, um das sidt ein verwelkter Eidrenkranz wand. Das ist mein treuer Reisegefährte, sagte Albert zu Fortunat, und wenn mich sddaffe Ruhe und weiddiche Lust übersddeidten wollen, blidd ich die Eisenbraut an und gedenke der ernsten, großen Zeit. — Ach, das ist sdion eine alte Gesdüchte!, entgegnete Fortunat lad'iend. — Sind Sie damals mit zu Felde gewesen?, fragte der Maler etwas spitzig. — Freilich, erwiderte jener, das versteht sich ja aber ganz von selbst“.

Zeigt der Maler schon bei seinem ersten Erscheinen, wie es heißt, einen fanatischen Eifer, wenn er seinen Standpunkt verteidigt, so tritt die Eigenart dieses Eifers deutlicher zutage, wenn der Dichter ihn ein Selbstbildnis erläutern läßt, das ihn darstellt, wie er düster, in einen weiten Mantel gehüllt, das Schwert umgegürtet, Rom verläßt:

„Dieses Bild bezeidmet eigentlidi die dunkle Führung überhaupt, die in meinem Leben waltet. Rom ist herrlich, und ich nahte voll Ehrfurdrt den alten Heldenmalen. Aber das leichtsinnige Gesddecht und das Klingeln der Bonzen über den Gräbern versunkener Größen störte und empörte midt. Idi konnte midi den Anmutungen des Aberglaubens, auch nur zum Scheine, nidit gefällig erweisen und hattt. beständig Verdruß. Dazu kam, daß das Geschick meines deutsdien Vaterlandes, wo eine neue, große Zeit sidi ausgebärt, heimlidt an meinem Herzen fraß, ich hatte nirgends Ruhe. Meine Kameraden gefielen sidi dort bald höchlichst, idi aber ermannte midi zur rediten Zeit und flüchtete vor den gleißenden Schlingen doppelter Knechtsdiaft nach dem ernsten, heimatlichen Norden“.

Die Gefahr, die Eichendorfs mit dieser Gestalt und ihrem ernsten und eifernden Fanatismus warnend dargestellt hat, wird an späterer Stelle enthüllt. Der Dichter Otto trifft den Maler verwildert aussehend in der Umgebung von Rom; er hat an einer Verschwörung teilgenommen und wird verfolgt. Otto bietet ihm seine Hilfe an:

„Da hört er auf einmal ein Geräusch, er sah Albert plötzlidi wanken, sinken. Der Unglückliche hatte sich mit heidnischer Tugend in sein eigenes Schwert gestürzt. — Grüße das Vaterland — ich sterbe — frei, sagte er ohne Zeidien des Schmerzes . . .“.

und Kleist

Es ist nicht zu verkennen, daß in diesem Vorgang ein größeres Schicksal nachklingt, das Eichendorff zuinnerst bewegt hat. Es wurde schon erwähnt, daß er mit seinem Bruder Wilhelm im Jahre 1809 in Berlin in einer Gesellschaft bei Adam Müller Heinrich von Kleist begegnet war. Das Tagebuch Eichendorffs erwähnt, daß bei der Wiederbegegnung mit Adam Müller in Wien 1811 das Gespräch auf Kleist und seine Genialität kam. Durch Friedrich Schlegel erfährt Eichendorff vom Tode Kleists und notiert im Tagebuch (unter dem 8. Dezember 1811): Schlegels große Gesinnung über dieses Unsittliche. In der Entschiedenheit, in der Eichendorfs selbst in seiner „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“ (18 57) zum Tode Kleists Stellung genommen hat, wirkt etwas von der Gesinnung jenes Gesprächs mit Schlegel nach; denn er weist es scharf ab, etwa an eine unglückliche Liebe zu denken, und erklärt die Tat „aus stolzem Ekel an einer Zeit, die ihm des Lebens unwürdig sdtien, aus Verzweiflung an einer besseren Zukunft Deutsdr-lands“. Die Darstellung der Dichtung und des Schicksals des Dichters wird in die Sätze zusammengefaßt:

„Sein Sdrmerz und sein Groll sind wahr und wohlbegründet, er trauert nidit , um Hekuba, sondern um die hödisten Güter des irdisdien Lebens: um Vaterland, Recht und Ehre. Ein strenger Ernst macht seine Dichtungen zu wirklichen Taten, ein Ernst, von dem wir selbst nodi lernen sollten in dieser Zeit, wo zwar keine Schwerter klirren wie dazu mal, aber ein innerer Krieg geschäftig, wie ein heimlich fressender Erdbrand, in tausend labyrinthischen Gängen den heiligen Boden Deutsdi-lands unterwühlt. Und wenn jener Ernst bei Kleist häufig so trostlos und grauenhaft in das Entsetzliche umsdilägt, ja oft zu einer antiken, keidnisdien Tugend erstarrt, so ist es nur, weil ihm die höchste Kraft fehlt, das unsiditbare Banner der Poesie kühngläubig über die irdisdien Dinge auf jene stille Höhe zu pflanzen, wo alles versöhnt wird. Wer aber mödite dem edlen unglücklidien Diditer sein tiefstes Mitgefühl versagen . . .“.

Eichendorfs bejaht wie Kleist Vaterland, Recht und Ehre; und er mahnt, vom strengen Ernst dieses Dichters zu lernen. Wenn er seinen Schmerz und Groll wahr und seine Dichtungen wirkliche Taten nennt, dann schreibt er Kleist das zu, was für ihn den Dichter in Wahrheit ausmacht. Die Gefahr, der Kleist erlegen ist, sieht er darin, daß dieser Ernst sich in der Verzweiflung des Dichters über die Zustände verwandelt hat in das Gefühl eines fanatischen Patriotismus, das sein Werk zur „Poesie des Hasses" werden läßt. Es ist kein Zufall, daß Eichen-dorffs Novelle „Das Schloß Dürande" die am meisten kleistische Dichtung seines Werkes ist. Der Schauplatz der Novelle ist das Frankreich der Französischen Revolution, und die Schicksale der Menschen in ihr sind'durch die Tatsache bestimmt, daß der ständische Gegensatz von Adel und Volk bis zum Äußersten ausgekämpft wird. Die letzte Trieb-kraft des Geschehens, durch die das Ende der Erzählung zur völligen Katastrophe wird, ist ein Haß, der die Vernichtung des Gegners will und aus dem Mord und Selbstmord hervorgehen. Der Zusammenhang dieser Novelle mit Kleists Poesie des Hasses zeigt sich darin, daß der Schlußsatz der Erzählung: „Du aber hüte dich, das wilde Tier in der Brust zu wecken, daß es nicht plötzlich ausbricht und dich selbst zerreißt“, in der Literaturgeschichte Eichendorffs fast wörtlich wiederkommt, nachdem Kleists „Hermannsschlacht“ eine „großartige Poesie des Hasses“ genannt worden ist, wenn es heißt:

„Hüte jeder das wilde Tier in seiner Brust, daß es nicht plötzlich ausbricht und ihn selbst zerreißt! Denn das war Kleists Unglück und scltwergebüßte Sclruld, daß er diese, keinem Dichter fremde, dämonische Gewalt nicht bändigen konnte oder wollte . .

Indessen ist nicht zu verkennen, daß für Eichendorff das Schicksal Kleists nicht aufgeht in dem geistigen Umriß, in den er die Gestalt des Malers Albert gezeichnet hat. Die Absage an einen Kult des Nationalen mit einem fanatischen Patriotismus bezieht sich vielmehr in der Charakteristik Kleists auf einen tieferen Hintergrund, der für das Dichten und Denken Eichendorffs wesentlich ist. In den Sätzen über Kleist war die Rede von einem „inneren Kriege“, der wie ein „heimlich fressender Erdbrand“ den heiligen Boden Deutschlands unterwühlt. In diesen Wendungen klingt ein Grundgedanke Eichendorffs an, den er mehrmals abgewandelt hat; er, der im Jahre vor dem Ausbruch der Französischen Revolution, 178 8, geboren war, hat zeitlebens an der Überzeugung festgehalten, daß er in einer Epoche lebe, die keine fertige, in sich abgeschlossene Periode sei, sondern das „weitere Stadium einer Revolution, deren Ausgang keine Menschenweisheit noch vorauszusehen vermag“. Die Französische Revolution war für ihn nur der erste Ausbruch des großen Kampfes, der sich unter wechselnden Gestalten an das neunzehnte Jahrhundert vererbt hatte und der noch nicht ausgefochten war.

Dabei hatte für ihn die soziologische Problematik nur den Wert eines Symptoms, das einen tiefer liegenden Prozeß anzeigt. Wie seine Schriften, von den Schulheften an, zeigen, kannte Eichendorff kein adeliges Standesvorurteil. Seine Skizze „Der Adel und die Revolution“ (18 57) weist mit Nachdruck „romantische Illusionen" und ein „eigensinniges Festhalten des Längstverjährten“ ab. Adel ist ihm vielmehr der traditionelle Name für eine Elite, für, wie er selbst sagt, ein „ideales Element“ in der Gesellschaft, dessen Aufgabe es vor allem ist, alles Große, Edle und Schöne zu wahren und das „ewig wandelbare Neue“ mit dem „ewig Bestehenden“ zu verbinden. Wie sehr dem Dichter diese Gedanken am Herzen lagen, zeigt sich darin, daß eine seiner letzten Dich-tungen, das Epos „Robert und Guiscard" (18 5 5), nicht nur an ein Kleistsches Thema anklingt, sondern zugleich das Thema der Novelle „Das Schloß Dürande“ wieder aufnimmt und seine Dämonie darstellt an einem Geschehen, das vom Haß beherrscht ist. Gegen den Haß und die Verzweiflung, in der sich nächste Verwandte einander entfermden, stellt der Dichter die Macht einer Liebe, Ehre und Treue, die nicht an den Adel der Herkunft gebunden ist. Das Versagen selbst, aus dem die Katastrophe der Revolution hervorgeht, deutet Eichendorff an, wenn er in das Epos die Verse einflicht:

Weh, du Land, das keck mich bannte, Und da ich zu dir mich wandte, Midi blödsinnig nicht erkannte;

Wo aus den Trümmern nun die blassen Geister stieren: Stolz und Hassen, Brüder sidi ingrimmig fassen.

Diese Verse sind der Freiheit in den Mund gelegt, und der Dichter entnimmt sie dem Gedicht „Der Freiheit Klage“, das angesichts der Revolution von 1848 entstanden ist. Wir sahen, welche Hoffnungen sich der Dichter nach dem Sieg über Napoleon gemacht hatte, wie andere auch mußte er bald erkennen, wie sehr diese Hoffnungen trogen. Eine immer mächtiger und unduldsamer werdende Reaktion erstrebte die Restauration des Alten. Wie ein Aufatmen geht es durch das Gedicht „Wechsel“ von 1841; aber auch Friedrich Wilhelm IV. versagte, und noch im Jahre 18 52 schreibt Eichendorfs in einem Briefe an Theodor von Schön, er teile, was den König angehe, ganz seine Wehmut um das schöne zerstörte Bild. Die Vorstellung, die sich Eichendorff von der Freiheit machte, wird in seinen politischen Schriften, die sich mit der Pressefreiheit und mit Verfassungsfragen beschäftigen, deutlich. Es gibt für ihn keine unbedingte Freiheit der Presse, sondern er sieht die Aufgabe darin, gesetzliche Grenzen zu ziehen, die das Interesse der Gesamtheit sichern, ohne die Freiheit des Einzelnen zu zerstören. Er nennt die Pressefreiheit weder mit den einen den „langverheißenen und erwarteten Messias“, noch mit den andern ein „absolut Böses“. Die Gefahr liegt für ihn nicht in dem „an sich unschuldigen Werkzeug der Presse“ sondern in der „Sittenlosigkeit der Geister“, die von der Presse Gebrauch machen. Diese Gefahr wird nicht durch „polizeiliche Palliative“ abgewehrt, ihr wird mit Erfolg nur durch die „Schule tüchtiger Institutionen", durch „große Tugend der Regenten“ und durch „übermächtige, wahrhafte Talente unter den Regierten“ entgegengearbeitet.

Alle Ordnung ruht auf Gerechtigkeit

Die Verfassungsfrage, bei der Eichendorfs für seine Zeit an die konstitutionelle Monarchie denkt, sieht er im Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung; Verfassungen müssen mit und in der Geschichte wachsen. Sie haben nur „relativen Wert durch Identität mit ihrem Lande und Volke“; denn sie sind keine wissenschaftlichen Hypothesen, sondern das Ergebnis der Erlebnisse und Überzeugungen eines Volkes, und ihre Grundlage ist die „öffentliche Gesinnung, welche das Ganze hält oder bridtt, das moralische Volksgefühl von der inneren Notwendigkeit“ der Staatsform. Wenn Eichendorff damit eine konservative Position bezieht, so macht seine Äußerung über die Revolution von 1848 in der Schrift „Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts“ (18 51) deutlich, wie wenig seine Denkweise etwa mit der eines politischen Reaktionärs zu verwechseln ist. Im Zusammenhang mit dem Anwachsen antichristlicher Tendenzen in der zeitgenössischen Literatur und Publizistik heißt es dort:

„Das Jahr 1848 hat auch in diesem Betracht merkwürdige Aufsddüsse gegeben, und es ist deshalb von einer gewissen Seite her jetzt Mode geworden, diesem Jahre alles nur ersinnliche Schlechte zuzusdireiben und ihm dagegen jede historisdte Bedeutsamkeit abzusprechen. Aber was da Verkehrtes gesdiehen, war nicht die Schuld von 1848, sondern der früheren Decennien. Das sollte man wohl bedenken, und nidrt das Neue nun wieder mit dem Alten anfangen wollen, das doch, nadt diesen seinen Früchten, unmöglich so überaus vortrefflich und unfehlbar sein konnte. Es ist töricht und von uns gehörigen Orts auch überall gerügt worden, daß die seiditen Aufklärer und ihre terroristischen Nadifolgef die ganze große Vergangenheit ausstreichen, um ihre kleine impertinente Gegenwart an die Stelle zu setzen; aber es ist ebenso töricht, die Gegenwart mit ihren unabweisbaren Existenzen zu ignorieren und das Vergangene als Zukunft fixieren zu wollen, als ob nicht alle drei Zeitwandelungen ein unzertrennlicher Strom wären. Das Wahre ist freilich immer wahr und insofern stabil, aber es wiederholt und verjüngt sidt, in Sitten wie in Staatseinrichtungen, stets in neuen zeitgemäßen Formen. Es nützt daher gar nichts, mit den Revolutionen zu brechen, sondern mit dem, was die Revolutionen erzeugt, und gegen unsichtbare Gedanken mit Bajonetten fechten, ist allezeit eine Donquichoterie; sie gehen wie ein Miasma durdi die Luft über die Bajonette aller Sanitätskordons hinweg und lassen sidt nieder, wo und wann ihnen die Atmosphäre eben zusagt“.

Eichendorfs schließt den Gedankengang mit dem mahnenden Hinweis ab, daß alle Ordnung auf Gerechtigkeit beruht, es gebe aber nicht zweierlei Gerechtigkeit auf Erden, eine nach unten und eine nach oben. Darin spricht sich seine Überzeugung aus, daß die immer neu gestellte Aufgabe der Geschichte, das Gleichgewicht zwischen Altem und Neuem, zwischen Vergangenheit und Zukunft, herzustellen, zugleich eine Unterwerfung unter Normen darstellt, die gegeben sind. Das heißt, wie vor allem seine historischen Dramen zeigen, daß Geschichte für ihn ein Geschehen vor Gott ist. Daher kommt es, daß die Revolution von 1848 in seiner Sicht verschuldet ist durch ein ungerechtes Versagen der Frei-heit und durch ein starres Festhalten am Alten und Vergangenen, ihm jedoch zugleich erscheint als ein Gottesgericht, das er als Dichter schildert mit den Bildern einer elementaren Katastrophe.

Die Größe der Sorge, die Eichendorff den Geschehnissen seiner Zeit, insbesondere der Revolution von 1848 gegenüber ergriffen hat, zeichnet sich ab, wenn wir noch einen Blick auf die Quelle werfen, aus der seine Deutung des Kleistschen Schicksals wie die der Französischen Revolulution geschöpft ist. Joseph Görres hatte in seiner Schrift „Deutschland und die Revolution" (1819), um derentwillen er nach Frankreich flüchten mußte, um dem Zugriff der preußischen Regierung zu entgehen, eine Deutung seiner Zeit gegeben, die um den Gedanken kreist, daß die Unfreiheit der Restauration mit Notwendigkeit die Gefahr der Revolution heraufbeschwöre. Es klang wie eine Herausforderung ohnegleichen, wenn Görres von der Tat Sands, die allen vor der Seele stand, schrieb:

„Wie ein Blitz schlug die Tat ins Volk; seit den Tagen der Erhebung war nichts mehr geschehen, was es ergriffen hätte; was lange unver-

ständlich nach Verständigung gerungen, hatte jetzt das Wort gefunden;

eine blutige Tat war wieder der Punkt geworden, in dem aller Gedanken sich versammelten; und die Meinung war schnell über das Ereignis einverstanden: Mißbilligung der Handlung bei Billigung der Motive, erneutes Gefühl der blähe der ewigen Gerechtigkeit in allen menschlichen Dingen, ein helles Schlaglicht über den Zustand des Vaterlandes her-geworfen, und erneuerte lebendige Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten, waren die Resultate der allgemeinen Bewegung, die erfolgt“. Die Tat war nicht christlich, aber so wendet Görres ein, Gott wecke bisweilen eine „heidnische Tugend“, um die Heuchelei der Christen zu strafen, die selbst mit Leichtsinn Kriege beschließen, in denen Hunderttausende fallen, während sie des Christentums nur gedenken, wenn die Flamme, der sie von ferne mit Vergnügen zugesehen haben, endlich das eigene Dadi ergreift. Zugleich erinnert Görres an den Anteil der Unterwelt an der Geschichte, deren Macht nur solange gebannt ist, als Religion und Sitte ihren Ausbrudi im Menschenherzen verhindern:

„Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglüdc der Zeit erbrochen, und die Tore zum Unterreidte aufgerissen, dann steigen alle Schrechen aus der Tiefe auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund;

es faßt den Mensdten mit dämonischer Gewalt, und der einzelne Wille vermag nidits mehr gegen die furdttbare Madit, die sich gegen ihn ent-

kettet hat. Die Nacht und alle Furien des Lebens steigen durdi jenen Schlund herauf, der Selbstmord und jeder blutige Frevel“.

Das also ist die Gefahr des Dämonischen, das wilde Tier in der Brust, vor dem Eidiendorff warnt, wenn er auf Kleists Schicksal und auf die heidnische Tugend seiner Gestalten hinweist; und wenn er in der Gestalt des Malers Albert einen Unglücklichen darstellt, der an seiner Zeit leidend in heidnischer Tugend im Selbstmord endet. Die Gewalt-taten der Französischen Revolution werden von ihm in „Das Schloß Dürande“ und „Robert und Guiscard" als mörderische Ausbrüche des Dämons in diesem Sinne verstanden. Das ist auch der eigentliche Hintergrund, der in den Bildern aufscheint, mit denen der Dichter die Übermacht, das Nicht-Menschliche, im Geschehen der Revolution von 1848 zu schildern versucht hat.

• Görres war es sehr ernst, wenn er von den Revolutionen sagte, sie seien wie der Tod, vor dem nur Feige zagen, mit dem aber nur die Frivolität zu spielen wagt; sie seien Katastrophen in der Geschichte und so ernsten Inhalts, daß nur Verrückte oder Verzweifelte sie herbeiwünschen könnten. Mit welchen Empfindungen mußte Eichendorff aus seiner, vor allem durch Friedrich Schlegel geweckten Sorge um Deutschland und Europa, mit dem Blick auf die Gegenwart Görres’ Gedanken über die deutsche Revolution lesen:

„Eine deutsdie Revolution würde mit der Vertreibung aller herr-sdienden Dynastien, mit der Zerbrechung aller kirdtlichen Formen, mit der Ausrottung des Adels, mit der Einführung einer republikanischen Verfassung unausbleiblich endigen-, sie würde dann, wenn sie ihren glüddichern Wallenstein gefunden, weil jedes revolutionierte Volk notwendig ein eroberndes wird, über ihre Grenze treten, und das ganze morsdte europäische Staatsgebäude bis an die Grenzen Asiens nieder-werfen; aber alle diese Herrlichkeiten, wie früher die Niederlande, mit dem Untergange der Hälfte der ansteigenden Generation, mit der Zerrüttung des ganzen Wohlstandes von Deutschland und mit der Verödung aller seiner Gaue durch einen langwierigen Krieg erkaufen, und am Ende nicht viel mehr gewinnen, als jetzt auf wohlfeilere Weise zu erkaufen ist“.

Als Eichendorfs im letzten Lebensjahr daran ging, seine Erinnerungen niederzuschreiben, beschwor er zuerst die Studienjahre herauf, und es ist sehr aufschlußreich, wie in der späten Spiegelung Joseph Görres als ein Mann erscheint, dessen geheimnisvolle Gewalt hervorgeht aus der Großartigkeit seines Charakters, der brennenden Liebe zur Wahrheit und einem unverwüstlichen Freiheitsgefühl. Deutlich ist auf „Deutschland und die Revolution" angespielt und die politische Position des Autors mit Nachdruck bejaht, wenn es heißt:

„Wenn Gott noch in unserer Zeit einzelne mit prophetischer Gabe begnadigt, so war Görres ein Prophet, in Bildern denkend und überall auf den höchsten Zinnen der wildbewegten Zeit weissagend, mahnend und züchtigend; auch darin den Propheten vergleichbar, daß das . Steiniget ihr! ’ häufig genug über ihn ausgerufen wurde. Drüben in Frankreich hatte er bei den Banketten der bluttriefenden Revolution, hier in den Kongreßsälen der politischen Weltweisen das Mene Tekel kühn an die Wand geschrieben und konnte sich nur durch rasdie Findet vor Kerker und Banden retten, oft monatelang arm und heimatlos umher-irrend“.

Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Wirklichkeit

Wie Görres warnt Eichendorff vor der Revolution und wendet sich gegen Restauration und Reaktion; wie Görres sieht er Deutschland und Europa vor Entscheidungen stehen, die über Menschenkraft gehen, weil an ihnen übermenschliche Mächte teilhaben. Das macht ihm das Geschehen der Geschichte zwar rätselhaft, aber in seiner Rätselhaftigkeit nicht sinnlos; denn es ist seine Überzeugung, daß nicht nur Mächte aus dem Abgrund drohen, sondern daß die Weltgeschichte in der Hand Gottes ruht. So endet das mahnende Gedicht „Wacht auf" (1837) mit der Strophe:

Schon bricht’s so dunkelrot durdcs Morgengrauen, Ob’s Blut bedeutet oder feur’ges Lieben, Es steht in Gottes Hand geschrieben.

Die historischen Dramen haben in diesem Gedanken ihren geistigen Schwerpunkt. Im Trauerspiel „Ezelin von Romano“ (1828) hat Eichendorfs das Schicksal eines Machtmenschen dargestellt, der von sich selber sagt, daß ihn die Völker und die Fürsten hassen. Seine Sterbeszene ist gestaltet als Erscheinen vor Gott als dem Herrn und Richter der Weltgeschichte. Das Gegenbild zur Gestalt des Ezelin ist Heinrich von Plauen, der Hochmeister des deutschen Ritterordens, in dem Trauerspiel „Der letzte Held der Marienburg" (1831). Heinrich von Plauen will als Hochmeister den Orden erneuern und entfremdet sich durch den Weg, den er auf dieses Ziel hin geht, die Herzen seiner Ritter. Gescheitert, erkennt der Sterbende, daß er mehr gewollt hat, als dem Menschen in der Geschichte zugemessen ist; und aus dieser Erkenntnis erwächst ihm Zuversicht, wie dunkel auch die Zukunft des Ritterordens vor seinen Augen liegt:

Ein Tropfen kaum war’s in dem großen Strom, Gelobt sei Gott! des Herren Wege gehn Hoch über die Gedanken weg der Mensdten. .

So laß den Orden nur Zusammenstürzen:

Das Kreuz bleibt stehn, das er gepflanzt im Norden, Und über Graun geht frommer Helden Kunde Erschütternd fort durdi künftige Gesdileditei!

Die Ehrfurcht vor dem Ewigen, das teilhat an der Geschichte, und die Demut vor dem Geheimnis, das erst Gottes Gnade und Gericht am Ende enthüllen wird, hat für Eichendorff nichts zu tun mit einem Verzicht auf die eigene Entscheidung oder gar mit passiver Resignation. Manchmal übermannte ihn zwar der innere Widerspruch gegen die Zeit-verhältnisse dermaßen, daß ihm in einem Brief an Theodor von Schön im Jahre 1849 die Äußerung entschlüpft, er wanderte, wäre er reicher und jünger, nach Amerika aus. Wir wissen: der Dichter hat in seinen beiden Romanen den Hauptgestalten den Weg „übers Meer" ausdrücklich verwehrt; sie bleiben, um Deutschland und Europa zu erneuern aus dem Geist des Christentums; denn er war von der Gewißheit durchdrungen, daß Deutschland und Europa vor Entscheidungen stünden, an denen Mächte aus dem Abgrund teilhaben, denen der Mensch allein nicht gewachsen ist.

Wie Eichendorff als Dichter die geistige Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Wirklichkeit seiner Zeit auf seine Weise geführt hat, sei an dem Beispiel der Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erläutert. Diese Erzählung ist nämlich für die Art, wie Eichendorfs sich als Dichter zur geschichtlichen Wirklichkeit gestellt hat, ebenso kennzeichnend, wie ihre heutige Deutung charakteristisch ist für das Mißverständnis, das der Wirkung seines Werkes im Wege steht. Es wurde zu Anfang erwähnt, wie die Erzählung als Musterbeispiel dafür verwendet worden ist, daß Eichendorff ein Dichter der Welt-und Lebens-ferne und, vom Standpunkt der marxistischen Literaturkritik her, aus Unbehagen an den tatsächlichen Verhältnissen, ein Dichter der Sehnsucht und des Wachtraums sei. Diese Fehldeutungen haben mehrere Ursachen; einmal gehen sie daraus hervor, daß ihre Urheber sich um das Verhältnis Eichendorffs zu seiner Zeit nicht gekümmert haben; zum andern beruhen sie darauf, daß man die Kategorien, unter denen Eichendorff selbst Dichtung betrachtet, nicht berücksichtigt hat. Allein die Tatsache, daß für Eichendorff die Dichtung ihrem Wesen nach „symbolische Poesie“ ist, wie er sie in der höchsten Vollendung im Werk Dantes und Calderons sieht, zwingt jeden zum Nachdenken, der Eichendorffs eigenes Werk verstehen will Denn nimmt man noch hinzu, daß Eichendorfs, darin Novalis und Fr. Schlegel folgend, dem Märchen als dichterischer Darstellungsform höchsten Rang zuerkennt, so geht es nicht an, seinen Romanen und Novellen Unwirklichkeit nachzusagen, weil sie sich in der Darstellung dem Märchen nähern. Die Märchenform ist nur das Gefäß, in das der Dichter, im Sinne der symbolischen Poesie, den Geist seiner Dichtung gegossen hat.

Es ist also, gemessen an seinem eigenen Maßstab, hohes Lob, der Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nachzurühmen, in ihr sei der Ton des deutschen Volksmärchens aufs vollkommenste getroffen. Aber es geht nicht an, den „Taugenichts“ daraufhin einen neuen Hans im Glück, den Simplizissimus eines romantisierten Rokoko zu nennen, dem sich der Wunschtraum des Nichtstuns erfüllt. Denn damit ist der Maßstab mißachtet, den Eichendorff selbst anlegt. Zieht man diesen Maßstab aber in Betracht, so erweist sich, daß der „Taugenichts" tatsächlich im Gegenzug zur aufkommenden Arbeitswelt des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben ist; nur nicht aus einem unklaren Unbehagen an den Zeitverhältnissen heraus, sondern im voll bewußten Gegensatz zu gewissen Zeiterscheinungen.

Achim von Arnim und Clemens Brentano hatten im Spätherbst des Jahres 1805 in Heidelberg den ersten Band von „Des Knaben Wunder-horn“ herausgebracht. Auf Eichendorff hat nicht nur der Liedton dieser Sammlung eingewirkt, sondern er hat daraus entscheidende Anregungen für den später entstandenen „Taugenichts“ entnommen. Arnim hatte dem ersten Band den Aufsatz „Von Volksliedern“ beigegeben. In ihm kommt er auf das Absterben der Tänze und Lieder zu sprechen; und sagt dazu an einer Stelle:

„Der Nährstand, der einzig lebende, wollte tätige Hände, wollte Fabriken, wollte Menschen, die Fabrikate zu tragen, ihm waren die Feste zu lange Ausrufungszeidten und Gedankenstridte, ein Komma, meinte der, hätte es auch wohl getan. -Nodt mehr, seine Bedürftigkeit wurde den andern Ständen Gesetz, weil der Nährstand eines festen Hauses bedarf, so wurde jeder als Taugenidtts verbannt, der umher-schwärmte in unbestimmtem Gesdtäfte, als wenn dem Staat und der Welt nicht Bernde di^ce ^diwärmenden Landsknedite und irrenden Ritter, diese ewige Völkerwanderung ohne Grenzverrückung, diese wandernde Universität und Kunstverbrüderung zu seinen besten sdtwierigsten Unternehmungen allein taugten.“

Die Verfolgung der Bettler und die Verachtung der Armut veranlaßt Arnim zu der Bemerkung:

„Wenigstens hätte das doch eine aufrichtige öffentlidte Untersudtung erfordert, ob wir auf der Bildungsstufe uns befinden, wo sein eigner Herr nicht sein kann, der sich nidtt selbst ernähren kann. Vielleidtt würde sich finden, daß keiner mehr sein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen Arbeitshause: Wozu also das Arbeitshaus im Arbeitshause!“

Es komme, so meint Arnim, darauf an, an eine höhere Darstellung des Lebens, an eine höhere Kunst zu glauben, als die uns umgibt und begegnet; und zwar, da auch der Sonntag jetzt in die Arbeit hineingerissen werde, an einen „Sonntag nach sieben Werktagen, den jeder fühlt, der jedem frommt“. Im Gedanken an einen solchen Ausbruch aus der Welt der Arbeit und des Geschäftes, wendet Arnim sich einigen Beispielen zu, und wenn er ausruft: „Hört nur, wie die Zugvögel sdtön singen dem neuen Frühling; da ziehen schon die wackern Handwerks-genossen mit Bündel und Felleisen in langen Reihen über den Weg“, so sind wir an der Stelle, wo die Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“ beginnt. In der Gestalt des Taugenichts steht leibhaft vor uns — wie Eichendorff es von der symbolischen Poesie verlangt —, was der Aufsatz Arnims als Forderung erhebt. Da bricht ein Mensch auf zur Wanderschaft, singend und spielend, und macht offenbar, daß die Arbeit nicht der einzige Maßstab des menschlichen Daseins ist. Er erhebt das abschätzige „Du Taugenichts!“ zum Ehrennamen; denn in seinem Liede sind eben die die „Trägen“, von denen es heißt: „Sie wissen nur vom Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not um Brot . Denkt man an Arnims Wort über den Sonntag zurück, dann gewinnt der Satz seinen besonderen Sinn, daß es dem Taugenichts ist „wie ein ewiger Sonntag im Gemüte“.

Der Taugenichts ist weder ein märchenhafter Müßiggänger noch ein antikapitalistischer Vagabund; er ist vielmehr das Gegenbild zu einer Welt, in der alles als Müßiggang verachtet wird, was nicht Arbeit ist. Spiel und Singen, Fest und Feier, sind so seine Sache, wie es in dem Gedicht „Allgemeines Wandern“ vom Dichter selber heißt:

Und die im Tal verderben In trüber Sorgen Haft, Er möcht" sie alle werben Zu dieser Wandersdtaft.

Was für ein Mißverständnis also, Eichendorff mit dem Blick auf den „Taugenichts" Flucht aus der Wirklichkeit in eine Traumweit nachzureden; in Wahrheit hat er, von Gedanken Arnims bewegt, als Dichter seine Antwort auf eine Frage gegeben, die so sehr ein Anliegen seiner Zeit war, wie sie es noch für uns ist. Wenn sich Eichendorfs in der Handschrift der Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts" auf der Suche nach dem endgültigen Titel der Novelle notierte: Der graue Troubadour, und: Oder der moderne Troubadour, dann wird auch für den, der ihm auf diesem Wege nicht folgen will, sichtbar, daß der Dichter nicht spielerisch, sondern wie der Heilige des Sonnengesanges — er ist ja der graue Troubadour, den der „Taugenichts“ in neuer Gestalt vergegenwärtigt -aus dem letzten Ernste im Angesicht der Wirklichkeit die festliche Freude schöpft, die den Zwang der Arbeit und der Geschäfte überwindet.

Wir stehen an der Schwelle eines Zeitalters, dessen letzter Maßstab nicht mehr wie selbstverständlich die Arbeit und die Arbeitsleistung ist, sondern in der sich neue Räume des Daseins auftun, die frei sind vom Zwang und Zweck der Arbeit.

Sollte das nicht zugleich die Stunde eines Dichters sein, der wie kein zweiter, und zwar mit vollem Willen, in seinem Werk den Menschen und die Welt ins Zeichen der Freude und der Freiheit gestellt hat?

Eichendorff wußte, daß es im letzten der Geist des Menschen ist, der sich seine Welt schafft, auch wenn er sich in einer Welt einrichtet, die ein großes Arbeitshaus ist; ihr stellte er darum in seiner Dichtung, in ihren Gestalten und Geschehnissen, die Wahrheit entgegen, daß der Mensch, als göttliches Geschöpf, größer ist als alles, was er selbst zu schaffen vermag.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Otto Friedrich Bollnow, Unruhe und Geborgenheit, Stuttg. o. J., S. 252 ff. (Eichendorffs Verhältnis zur Romantik)

  2. Georg Lukacs, Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts, Berlin 1952, S. 49 ff. (Eichendorff) INHALT DIESER BEILAGE: Gerhard Möbus: „Josef von Eichendorff“ Hans Rothfels: „Politik als moralisches Problem“ Fritz Wagner: „Freiherr vom Stein: Ordnung und Freiheit"

  3. Gerhard Möbus, Eichendorfs in Heidelberg, Düsseldorf 1954, S. 7 ff. (Erchen), S. 65 ff. (Erscheinung des Ewigen)

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