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Die Rolle der ungarischen Schriftsteller vor, während und nach der Oktoberrevolution 1956 | APuZ 25/1958 | bpb.de

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APuZ 25/1958 Die Rolle der ungarischen Schriftsteller vor, während und nach der Oktoberrevolution 1956

Die Rolle der ungarischen Schriftsteller vor, während und nach der Oktoberrevolution 1956

In einem Communique hat das ungarische Innenministerium bekanntgegeben, daß gegen den früheren Ministerpräsidenten Imre Nagy und „seine Gruppe" vor dem Volksgerichtshof des Obersten Gerichtes ein Prozeß durchgeführt wurde. Ort und Zeit des Prozesses wurden nicht mitgeteilt. Ministerpräsident Imre Nagy, Honvedminister General Pal Maleter, der ehemalige Chefredakteur des „Nepszabadsag", Miklos Gimes und der nach dem Rajk-Prozeß abgesetzte frühere Chef der Parteizelle in der Polizei, Dr. Jozsef Szilagyi, wurden zum Tode verurteilt und bereits hingerichtet. Oberst K o p a c s i, der vor und während der Revolution den Posten eines Budapester Polizeipräsidenten bekleidete, erhielt lebenslängliches Gefängnis. Der damalige Sekretär des Zentralkomitees der Partei, Ferenc Donat, erhielt 12 Jahre, der Schwiegersohn Nagys, Ferenc Janossy, 8 Jahre, der frühere Präsident, Zoltan Tildy, 6 Jahre und der Chef der Presseabteilung in der Regierung Nagy, Miklos Vasarhely, 5 Jahre Gefängnis.

Aus diesem Anlaß bringen wir den folgenden Beitrag, der das Wirken einer der aktivsten Gruppen während des Aufstandes, der Schriftsteller, untersucht. Dieser Beitrag ist durch die Zusammenarbeit des Ungarischen Arbeitskreises beim Forschungsdienst Osteuropa, dessen Leiter Prof. Dr. v. Mende ist, zustandegekommen.

Vorwort Die Opposition der ungarischen Schriftsteller löste den Volksaufstand im Oktober 1956 aus. Nach seiner Niederwerfung durch sowjetische Truppen flüchteten nur wenige von ihnen ins Ausland. Die meisten blieben in Ungarn zurück. Sie bildeten eine latente Gefahr für das Kadar-Regime, ob sie sich in Gefängnissen, noch in Freiheit befinden oder sich von dem neuen Literaturbetrieb zurückgezogen haben.

Aus diesem Grunde schien es dem Forschungsdienst Osteuropa zweckmäßig, die Rolle der Schriftsteller vor, während und nach dem Volksaufstand in Ungarn eingehender zu untersuchen, zumal sich auch in anderen Volksdemokratien (Tschechoslowakei und Bulgarien) und in gewissem Ausmaß auch in der Sowjetunion Ansätze zu einer Opposition der Schriftsteller gegen das Regime in ihren Ländern äußerten, die von der partei-und regierungsamtlichen Presse nicht verschwiegen werden konnten.

Während die Konsolidierung des Kadar-Regimes auf dem staatlichen und wirtschaftlichen Sektor ohne Zweifel in der zweiten Hälfte 19 57 Fortsdiritte machen konnte, ist es ihm nicht gelungen, die im Lande ver-bliebenen Schriftsteller und intellektuellen Kräfte zu einer Mitarbeit zu bewegen. Infolgedessen herrscht auf dem Kultursektor in der VR LIngarn eine staatliche Reglementierung. Dabei haben auch die Terror-urteile nicht vermocht, die wirklich schöpferischen Kräfte aus ihrer selbstgewählten Passivität aufzuschrecken. So wurden noch Ende 1957 Tibor Dery, Gyula Hay, Zoltan Zelk und Tibor Tardos zu Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und neun Jahren verurteilt. Lim die Leere des schöpferischen kulturellen Lebens zu überdecken, sieht sich deshalb das Regime zu Ersatzmaßnahmen genötigt. So gab Radio Kossuth am 8. 12. 1957 bekannt:

„Innerhalb der nädisten sechs Monate werden die neuen Werke von 70 lebenden ungarischen Didttern und Sdiriftstellern veröffentlidit werden, die in Ideologie, Überzeugung und Stil die ganze ungarische Gegenwartsliteratur repräsentieren. Genannt seien u. a.: Peter Veres, Laszlo Nemeth, Lajos Kassak, ]ozi Jenö, Tersanszky, Aron Taruasi, Jozsef Darvas, Geza Hegedüs, Bela Ilies, Sondor Gergely, Zseni Varnai, Kalman Sandor, Pal Szabo, György Boloni, Sandor Rideg, Laszlo Erdos, Gyula lllyes, Albert Gyergyay, Istvan Soter, Ferenc Juhasz, Laszlo Nagy und Istvan Simon.“

L Von 1948 bis zur Entstalinisierung’

Abbildung 1

Nach der Machtergreifung der KPLI in Ungarn im Jahre 1948 wurde, mit Genehmigung des Regimes, der , Verband der Ungarischen Schriftsteller'neu gebildet bzw. reorganisiert. Ihm gehörten Kommunisten und Nicht-Kommunisten an. Obwohl es in LIngarn nur sehr wenige Schriftsteller gab, die überzeugte Anhänger des Regimes waren und sich mit dem Kommunismus identifizierten, gab es besonders unter den jüngeren Schriftstellern viele, die es, meist aus Existenzgründen, vorgezogen hatten, die Mitgliedschaft der KPLI zu erwerben, und die , Parteilinie'zu verfolgen. Von der Parteizentrale mit Themen reichlich versorgt, verdienten sie durch das Regime ihren Lebensunterhalt. Autoren von internationalem Ruf, die vom Kommunismus nichts wissen wollten, wurden zwar ausgenommen bzw. im Schriftstellerverband belassen, aber mehr zum Schein, nicht um ihre Tätigkeit zu unterstützen. So zeigte der Schriftstellerverband anfangs kein einheitliches homogenes Bild; es standen zwei Gruppen einander gegenüber. Die Gruppe, die die Parteilinie befolgte, bestand aus zumeist unbegabten und einigen volksfremden Schriftstellern, die 1945 bis 1946 aus Moskau nach LIngarn zurückgekehrt waren.

Z. B.der Sowjet-Oberst Bela Ilies, Sandor Gergely, zwei alte Moskowiter und persönliche Freunde von Parteichef Rakosi, Gyula Hay, diesen schlossen sich Kollaborateure wie Tamäs Aczel, Jozsef Nagy, Sötor, Jozsef Darvas, ein Renegat, der später Minister für Volkskultur wurde, sowie Päl Szabo von der älteren Generation, an. Die zweite Gruppe bestand aus den Nichtkommunisten, den Begabteren, deren Werke aber nicht aus dem . sozialistischen Realismus'hervorgingen und die die Parteilinie nicht befolgten; sie wurden zur Veröffentlichung nicht zugelassen. Das Zünglein an der Waage im Schriftstellerverband war der volkstümliche Bauernschriftsteller Peter Veres, der den Posten des Präsidenten des Verbandes von Anfang an bekleidete. Peter Veres spielte eine interessante Rolle:

Peter Veres war und blieb als urwüchsiger Vertreter des Bauerntums eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Als Bauern-schriftsteller, dessen Name schon vor dem zweiten Weltkrieg als der eines Vorkämpfers für die Rechte und sozialen Forderungen der landlosen Bauern mit der Bauernbewegung eng verbunden war (Bewegung der , Dorf-Forscher') sympathisierte er mit dem Nationalsozialismus, von dem er die Lösung der Probleme und Forderungen der breiten Schichten des landlosen Bauerntums in Ungarn erwartete. Er besaß aber nicht die Fähigkeiten eines Politikers, stützte sich aber auf seinen Bauernverstand. Ende des zweiten Weltkrieges, im Jahre 1945, wurde er Präsident der links-

gerichteten Bauernpartei; allerdings gehörte er dem rechten Flügel dieser Partei an, deren Wurzel bis zur Bauernbewegung von 1906 zurückreichte (Ungarische Bauernpartei, Bauernführer Achim usw.).

Veres sah in der . Bodenreform'von 1944— 45 mehr die Verwirklichung seiner eigenen Forderungen, als einen erfolgreichen Schritt der Kommunisten auf dem Weg zur Kollektivierung der ungarischen Landwirtschaft. In der Koalitionsregierung Lajos Dinnyes (30. 5. 47) — nach der Emigration des Ministerpräsidenten Ferenc Nagy in die Schweiz — wurde er für kurze Zeit Verteidigungsminister (vom 30. 5. 1947 bis 15. 9. 1948). Nach der Machtübernahme Rakosis zog er sich vom politischen Leben zurück und war nur noch als Präsident des Schriftstellerverbandes tätig. Als Präsident des Verbandes verlas er am 22. 10. 1956 auf den Groß-kundgebungen in Budapest die revolutionären Forderungen der Schriftsteller.

Wenn er auch während der Periode der Rakosi-Herrschaft (1949 bis 19 54) in seinen Büchern und Schriften für die Sowjetkultur lobende Worte fand, so wußte doch ein jeder in Ungarn, daß seine Einstellung zum Sozialismus nicht dem Despotismus Moskaus entsprach. Er stand der Gruppe — einem Häuflein von . Volksschriftstellern'— (. Dorf-Forscher'), denen der Patriotismus noch immer mehr bedeutete als die Begünstigungen des Regimes, weiterhin sehr nahe. Veres setzte sich für die Interessen dieser Schriftsteller immer wieder ein, schützte sie vor den Angriffen der Parteiführung und des kommunistischen Kultusministeriums und scheute vor den Folgen scharfer Auseinandersetzungen nicht zurück.

Literatur, Bücher, Kunst und Film sind nach den Grundsätzen der kommunistischen Doktrin die wichtigsten Helfer und Stützen zur Umerziehung und Umformung der Gesellschaft und Heranbildung des . sozialistischen'Menschentyps. So übernahm die KPLI bereits 1948 bis 1949 die völlige Kontrolle der ungarischen Literatur, der Kunst und des Films. Das kommunistische Regime legte von Anfang an besonderen Wert auf die . Forderung'der Literatur und Kunst. Schriftsteller und Künstler, die sich bereit fanden, ihren schöpferischen Geist und ihre Begabung für die von der Parteizentrale bestimmten . sozialistischen Themen'einzusetzen, erhielten besondere Vergünstigungen. Diejenigen, die sich der Bevormundung der Parteizentrale unterwarfen, wurden großzügig honoriert, in den luxuriösen . Häusern der Schaffer'in Kurorten untergebracht und staatlich betreut. Mehrere von ihnen erreichten ein Jahreseinkommen von über 100 000 Forint.

Die Bolschewisierung der ungarischen Literatur, der Kunst und des Films oblag dem Chefideologen der KPLI, dem Kultusminister der Räkosi-Ära Jozsef Revai (Kachana). Auch Rakosi (Poth) zeigte reges Interesse an der Entwicklung des kommunistischen Kulturlebens und befaßte sich gern und eingehend mit Fragen und Problemen der Literatur und der Kunst sowjetischer Prägung, um seiner persönlichen Geltungssucht zu frönen. Um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen, sahen sich Rakosi und Revai genötigt, den Geist aus der UdSSR zu importieren. Die Werke, die 1949 bis 1953 auf dem Büchermarkt erschienen, waren überwiegend solche sowjetischer Autoren (Fadjajew, Makarenko, Aschajew usw.), die auf . Bestellung'der Parteizentrale von den Gruppen der Kollaboranten-Schriftsteller übersetzt wurden. Die Bilanz des Büchermarktes bewies aber, daß die aus der Sowjetunion importierten Kultur-produkte in Ungarn weder Anklang noch Absatz fanden. Sowjetbücher wie Filme wurden boykottiert, das Publikum wandte sich den Klassikern zu.

Rakosi rief oft den Vorstand des Schriftstellerverbandes zu sich und bemühte sich — auch durch Drohungen —, sie für die Popularisierung des sowjetischen Menschentyps, für Themen aus dem Leben, für die Verherrlichung des heldenhaften Kampfes des Kommunismus zu gewinnen. Nach diesen Aussprachen verschärfte sich das Verhältnis zwischen der Parteizentrale und den führenden Funktionären des Volkserziehungsministeriums einerseits und den Schriftstellern andererseits. Minister Revai und seine Erste Stellvertreterin, die Kommunistin Erzsebet Andies (Ehefrau des Rakosi-Anhängers Andor Berei) richteten schärfste Angriffe und Dro>hungen gegen die Schriftsteller.

Anerkannte nationalgesinnte Schriftsteller wie Gyula Ilies, Lszl Nemeth, Jänos Kodolanyi, Aron Tamasi, Istvn Sinka, Geza Feja, Jozsef Erdelyi zeigten sich niemals bereit, Werke zur Verherrlichung des Kommunismus zu schreiben und verdienten mit schwerer, physischer Arbeit ihren Lebensunterhalt. Auch die begabten Autoren der jüngeren Generation strebten nicht nach der , Anerkennung'durch linientreue Kollaborateure, sie wandten sich ab und hielten Kontakt mit dem Kreis derer, die aus dem Literaturleben verbannt waren; gleich ihnen arbeiteten auch sie immer mehr für sich selbst.

Nur eine geringe Anzahl trachtete nach , Stalin-Preisen', Anerkennung, Geld und Auslandsreisen (in die Sowjetunion). Die wahren Träger des ungarischen Kulturgeistes hielten sich zurück. In den Gefängnissen und Konzentrationslagern entstand eine neue nationale und christliche Literatur, die sich erst während des Volksaufstandes 1956 der Öffentlichkeit vorstellen konnte. 1953 brachte Stalins Tod eine spürbare Entspannung auch auf dem Gebiet der Literatur und Kunst. Im Schriftstellerverband entfaltete sich der Kampf um die Befreiung des Geistes, der aber vorerst nur von wenigen getragen wurde. Dabei traten anfangs Schriftsteller in den Vordergrund, die vom programmatischen bolschewistischen Literaturgeist enttäuscht, sich zwar für die Gedankenfreiheit einsetzten, sich jedoch formell zum Kommunismus bekannten. Auf literarischem Gebiet wurde die Aktivität dieser Gruppe immer stärker, bis sie sich schließlich der Rakosi-Gruppe der KPLI offen widersetzte. Auf der Jahresversammlung des Schriftstellerverbandes 195 5 kündigte sich diese Entwicklung bereits an; zu einer Rebellion kam es aber erst 1956 nach dem XX. Parteikongreß der KPdSU.

Am 10. 1. 1955 übernahm die Leitung der Abteilung für Wissenschaft und Kultus die berüchtigte Kommunistin Frau Professor Erzsebet Andies, die zuvor als Erste Stellvertreterin des Unterrichtsministers fungierte. Der Abteilung gehörten u. a. noch an: Lszl Orban, vorher Ministerstellvertreter im Kultusminiterium; Ilona Kohn, die Frau des Stalinisten und Chefs des Kontrollausschusses des ZKdKPU Käroly Kiss.

Beide waren schon bei der Bolschewisierung des ungarischen Schulund Kulturwesens führend beteiligt gewesen. In ihren erbitterten Kämp-fen, die darauf abzielten, die Tätigkeit des Schriftstellerverbandes zu hemmen und zu untergraben, wurden sie von Gyula Kallai (Campescu), dem rehabilitierten ehemaligen Außenminister, unterstützt. Gyula Kallai wurde nach der Niederringung des Volksaufstandes Kultusminister des Kädar-Regimes und ist jetzt Sekretär der neuen KPU.

II. Von der , Entstalinisierung‘ bis zu den Oktober-Ereignissen

Die Versöhnung Moskaus mit Tito im Jahre 195 5 und die daraus sich ergebende Anerkennung des Titoismus und somit der . verschiedenen Wege zum Sozialismus'gaben dem , Entstalinisierungsprozeß‘ in Polen und Ungarn eine Richtung, die, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, der Rückgewinnung nationaler Unabhängigkeit galt. Sie löste lebhafte Bewegung, sowohl in den Kreisen der Jugend, als auch der kommunistischen Intellektuellen aus, die ihr Hauptangriffsziel in der wirtschaftlichen Notlage und der Unzufriedenheit der Arbeiterschaft sah.

Im Frühjahr 19 56 lebte der Kampf zwischen Schriftstellern und Partei-ideologen, die auch in der Literatur Linientreue verlangten und die Kontrolle über den Schriftstellerverband und das Kulturleben Lingams ausübten, wieder auf.

Auf einer Sitzung des Schriftstellerverbandes am 30. 3. 19 56 führten prominente kommunistische Schriftsteller scharfe Angriffe gegen den Parteichef Räkosi, dessen Absetzung sie forderten. Ferner kritisierten sie das Kolchossystem und verlangten seine Ablösung durch ein auf freien Entscheid der Bauern aufgebautes Genossenschaftssystem nach dänischem Vorbild. Anführer waren Sandor Nagy, der Vorsitzende der Parteiorganisation des Ortsverbandes der Schriftsteller in Szeged, und der Jungkommunist Sandor Lukacsi. Beide wurden auf der Sitzung vom 3. 4. 1956 schwer von dem Parteisekretär Bela Szalai, einem Gefolgsmann Rakosis, gerügt und aus der KPLI/MDP ausgestoßen. Diese Sitzung nahm einen stürmischen Verlauf, wobei mehrere von dem Chefredakteur des amtlichen Parteiorgans . Szabad Nep'(Freies Volk), Märtin Horvath, und vom Parteisekretär Bela Szalai eingebrachte Anträge mit 100: 3 Stimmen abgelehnt wurden.

Als im März 1956 der 19 54 im Rahmen des ungarischen , Demokra-tischen Jugendverbandes'(DISZ) gegründete Petöf-Kreis’ immer mehr an Bedeutung gewann, und durch die ungarische Hochschuljugend zum Sammelplatz der Elite der Unzufriedenen wurde, schlossen sich auch Mitglieder des Schriftstellerverbandes und kommunistische Intellektuelle diesem Kreis an und nahmen an den Versammlungen und Diskussionen regen Anteil.

Der Petöf-Kreis’, ein nach dem Dichterhelden des ungarischen Freiheitskrieges von 1848— 49 benannter Zirkel, wurde 19 54 als Bebattierklub für junge kommunistische Intellektuelle gegründet, führte aber bis zum XX. Parteikongreß der KPdSU ein Schattendasein. Nach dem XX. Parteikongreß der KPdSU traten zahlreiche alte Marxisten diesem Klub bei, der damit zum Sammelplatz auch der Unzufriedenen in der KPU wurde. ’

Die erste Veranstaltung, zu der eine größere Zahl von Studenten und auch kommunistische Intellektuelle und Schriftsteller erschienen, wurde am 17. 3 1 956 abgehalten.

Die Tatsache, daß die revoltierenden Schriftsteller — die ein größeres Maß an künstlerischer Freiheit verlangten, als es ihnen im Zeichen des , Neuen Kurs'unter dem gestürzten Ministerpräsidenten Imre Nagy bereits gewährt worden war — diesmal aus den Reihen der überzeugten Kommunisten hervortraten, gab diesem Kampf eine besondere Note und zugleich das Startzeichen für weitere Vorstöße. Diese Schriftstellergruppe wurde vom ZKdKPU/MDP beschuldigt, . volles-und parteifeindliche An-sichten bekannt und eine Opposition innerhalb der KPLI/MDP organisiert zu haben'. Außerdem sollten sie es gewagt haben, die Notwendigkeit des Einflusses und der Kontrolle der KPU in der Literaturgestaltung zu leugnen. Des weiteren wurde ihnen vorgeworfen, über die Lage der Arbeiter und Bauern . bürgerliche Verleumdungen'geäußert zu haben. Besonders scharf ging der Parteichef Räkosi mit den Schriftstellern und anderen parteiuntreuen Intellektuellen ins Gericht. Er behauptete, daß die . Arbeiterschaft geschlossen der KPLI/MDP folgt und daß auch die Bauernschaft immer mehr den Ruf der KPLI/MDP, d. h.der Zeit, versteht, während nur die . Intelligenz'kleinbürgerlichen Einflüssen zugänglich sei. In einer Resolution des ZKdKPU hieß es, daß der Fall der betreffenden Schriftsteller untersucht werde. Jedoch konnte diese Entwick-lung im Schriftstellerverband weder eingedämmt noch lokalisiert werden; sie setzte sich fort in der Organisation der Jungkommunisten D i s z und wurde in verschärfter Form im Petöf-Kreis’ vorangetrieben.

Am 14. 6. 1956 ergriff der international bekannte marxistische Literaturhistoriker und Ästhetiker Prof. György Lukäcs selbst bei einem Diskussionsabend des , Petöf-Kreises‘ das Wort.

Prof. György Lukäcs trat damit nach längerer Zeit zum ersten Male wieder vor die Öffentlichkeit. Er wurde als alter Marxist und Sozialdemokrat (der allerdings den Linksflügel der Sozialdemokraten in Ungarn gefördert hatte) nach 19 51 aus dem öffentlichen Leben verbannt. An diesem Abend wurde die Wiedereinsetzung Lukäcs als Universitätsprofessor gefordert: , Die Abschaffung des Katheders des Prof. Lukäcs erwies sich als ein Fehler, er soll seine Tätigkeit wieder aufnehmen'.

Prof. Lukäcs traf einleitend eine Feststellung, die mehr als bloße Kritik war; es war eine direkte Anklage gegen den von Stalin eingesetzten, damals, am 14. 6. 1956, noch amtierenden Führungsapparat. Lukäcs erklärte: „Idi wage zu sagen, daß die Bewertung des Marxismus in der öffentlidien Meinung unseres Landes nodi niemals so sdileclit gewesen ist, wie heute. In der Zeit des Horthy-Regimes riskierte eine, obschon kleine Gruppe von Personen, ihr Leben, um ein Werk von Marx oder Lenin zu beschaffen, und ein Teil der ungarischen Intellektuellen stand, wenngleidt mit Abneigung, so dodi mit einer gewissen Achtung dem Marxismus gegenüber. Die verflossenen sieben — adit Jahre waren geeignet, diese Stimmung zunichte zu madhen“. (. Magyar Nemzet’, Ausgabe vom 17. 6. 1956) Zum Schluß erklärte Prof. Lukäcs: „Wir sind zu keinerlei Zugeständnissen an jene bereit, die mit verschiedenartigen Manövern erreichen wollen, daß der Dogmatismus des vergangenen Zeitabsdmittes erhalten bleibe." Diese Sätze fanden stürmische Zustimmung.

Die Sitzungen des Schriftstellerverbandes sowie die Diskussionsabende des . Petöfi-Kreises'wurden im Geiste des . Aufstandes des Gewissens'geführt. Auffallenderweise waren alle, die das Wort ergriffen, kommunistische Schriftsteller und Spitzenvertreter der ungarischen kommunistischen Literatur; keiner der parteilosen Schriftsteller meldete sich zu Wort. Es gab keinen, der die Parteilinie für die Literaturpolitik verteidigt hätte.

Peter Veres bekannte sich zum freien Gedanken-und Meinungsaustausch.

Zoltän Zelk, Kommunist und . Kossuth-Preisträger', zog aus Zeitungsartikeln des italienischen Kommunistenführers Togliatti die Schlußfolgerung, daß der Aufbau des Sozialismus auch auf Grund . eigener Überlieferungen erfolgen'könne.

Imre Sarkadi, Jungkommunist, kritisierte die Richtlinien des zweiten Fünfjahresplanes und behauptete, , mit einer aggressiven Kollektivierung der Landwirtschaft könne man keineswegs die landwirtschaftliche Produktion um sieben Prozent erhöhen.

Es wäre Zeit, ein neues System anstelle der alten Fehler auszuarbeiten.'Gyula Häy, Kommunist, berief sich auf die Widersprüche im Referat des Chefredakteurs des Parteiorgans, des Stalinisten Märton Horvath.

Lszl Benjamin, Kommunist, erklärte, daß die Bewertung der Schriftsteller nicht Sache und Aufgabe der Politik sei.

Das Niveau der Kritik müsse gehoben, die Kunst der Kritik gefördert und auf alle Gebiete des Lebens ausgedehnt werden.

Gabor Devecseri, Kommunist, Oberst der Volksarmee, stellte fest: „die Schriftsteller erwarten keine Worte oder Versprechungen, sondern Taten“.

Jozsef Darvas, der amtierende Volksbildungsminister, rügte, daß in den vergangenen Jahren vieles als . reaktionäre, kleinbürgerliche Anschauungen'abgetan worden sei, obwohl es damit nichts zu tun gehabt hätte. So sei man gegen diese Anschauungen ins Feld gezogen und habe darüber die Gefahren der Gegenwart und die wirklichen feindlichen Einflüsse und Ansichten außer acht gelassen. Allerdings verhielt sich Jozsef Darvas — obwohl er nicht der KPU angehörte — recht opportunistisch und neigte auch weiterhin mehr zu der Parteirichtung Räkosis als zu den opponierenden Schriftstellern.

Lajos Mesterhäzi, Kommunist, warf dem Regime vor, , die versprochenen Rehabilitierungen lassen noch immer auf sich warten', es gebe noch keine Garantie dafür, daß Fehlentscheidungen und Gesetzverletzungen nicht mehr vorkommen.

Miklos Krasso, Kommunist, betonte die Notwendigkeit, daß eine eingehende Kritik am Stalinismus geübt würde und forderte die Konzentration aller Kräfte auf die Festigung der neu eingeschlagenen Politik des XX. Parteikongresses der KPdSU, um Rückschläge und Schwankungen auszuschalten.

Auch im , Petöfi-Kreis‘ wurde die Kritik immer schärfer und lauter: „Die Richtlinien für die Landwirtschaft entbehren der erwünschten Grundlagen und Voraussetzungen." „Die Rechtsabweichungen in der Parteipolitik verursachte keinen Sdtaden in der Volkswirtschaft.“ „Es ist unbedingt notwendig, eine Volkswirtsdiaftskonferenz zusamntenzurufen, auf der die Richtlinien und Planziele des 2. Fünfjahresplanes erörtert werden. Es ist nicht tragbar, daß über die Richtlinien und Einzelheiten der Planziele weder das Institut für Volkswirtschaft, einschließlich des Leiters, noch selbst die Beamten des Landesplanungsamtes informiert sind.“

„Die ungarische Parteigeschichte bedarf einer Revision, die Ereignisse müssen unter der Lupe auf wirkliche Tatsachen und auf geschichtlidre Wahrheit geprüft werden."

„Vor dem XX. Parteikongreß des ZKdKPdsu fehlten alle Voraussetzungen und Möglidikeiten für eine freie Diskussion." „Die Patriotisdte Volksfront ist mehr als eine Übertragungs-Organisation der Parteipolitik.“ „Das ganze Land und das ganze ungarisdte Leben ist mit einem Netz von Lügen durchflodrten worden.“

„Es fehlt an eigener selbständiger Meinung, die Journalisten haben das Vertrauen der Massen verloren."

Der kommunistische'Schriftsteller Tibor Dery betonte die Notwendigkeit der Wiedereinführung der Presse-und Meinungsfreiheit; er erklärte: „Die Politik bedarf einer radikalen Wendung“, er forderte auch die Rückkehr Imre Nagy’s in das politische Leben, sowie die Rückkehr seiner Sinnesgenossen und den Rücktritt Rakosi’s.

Dery wurde nach der Niederwerfung des Volksaufstandes unter Hausarrest gestellt und im Januar 1957 bei der Suspendierung des Schriftstellerverbandes mit anderen führenden kommunistischen Mitgliedern des Verbandes verhaftet.

Es gab schärfste Attacken gegen den Chefideologen der KPLI Jozsef Revai.

R e v a i , der während des Volksaufstandes nach Moskau floh, kehrte im März 1957 wieder nach Ungarn zurück und sammelte die vom Volksaufstand zerschlagenen Kräfte der stalinistischen Schriftsteller, Parteitheoretiker und Journalisten um sich, um die neue Politik des Kädär-Regimes zu unterstützen.

Am 23. 6. 1957 forderten die Schriftsteller die Herausgabe einer unabhängigen literarisch-politischen Monatsschrift, in der die gemeinsamen Sorgen in debattierender Form zum Ausdruck gebracht werden können. Ein Kreis der Schriftsteller — unter Führung Peter Kuczkas — befürwortete eine Zeitung, die an erster Stelle für die Bauern bestimmt sein und sich auf die Arbeit der , Dorf-Forscher'stützen sollte. Der Schriftstellerverband setzte sich für die Rehabilitierung und Wiederbelebung der alten traditionellen Literaturgesellschaften und Kreise ein.

Die Zeitung Muvelt Nep’ (Kulturvolk) schrieb am 1. 7. 1956: „Es sind schon 7 Jahre her, daß der Literatur-Bürokratismus durch administrative Anordnungen die Tätigkeit der , Kisfaludy-, Petöfi-und Vajda-Literaturgesellsd-iaften'unmöglich gemacht hat. Es ist überflüssig, dar über zu diskutieren, ob diese Anordnungen damals richtig oder falsch waren, vielmehr sollte nur darüber gesprochen werden, daß diese Anordnungen aufgehoben werden müssen."

Nach der Ereignissen im , Schriftstellerverband’ und im , Petöfi-Kreis’, sowie unter dem Einfluß des Posener Aufstandes, sah sich das ZKdKPLI/MDP gezwungen, einen Appell an die Parteimitglieder zu richten, die Belegschaften der Fabriken nach altem Rezept durch die Werkkomitees zu mobilisieren. Für die Rebellion wurden die Anhänger Imre Nagy’s verantwortlidi gemacht und der . gegenrevolutionären Propaganda’ beschuldigt. Das ZKdKPLI veröffentlichte am 1. 7. 1956 eine Entschließung, wonach . unter dem Einfluß demagogischer Konzeptionen die Gefahr gestiegen ist, daß die Feinde der VR Ungarn Unruhen provozieren könnten. Die Herausforderung von Posen beweist allen ungarischen Arbeitern, daß sie die Pflicht haben, sich allen Versuchen, Unruhen zu provozieren, entschlossen zu widersetzen’. In einer Resolution des ZKdKPU/MDP vom 30. 6. 1956 hieß es: „ . . . In der Parteiarbeit bewährt sich immer mehr der leninistische Grundsatz von der kollektiven Führung. Die konstruktive Kritik, eine gesunde und schöpferische Diskussion sowie die Vorschläge der Werktätigen, der Bauern und der Intellektuellen, führen zur neuen Blüte des sozialistischen Aufbauwerkes!" Ferner wurde ausgeführt, daß die fruchtbare Diskussion, die sich in den Parteiorganisationen entwickele, begrüßt werden müsse. „Ihre normale Abwicl^lung wurde aber durch demagogische Kundgebungen gegen Partei und Demokratie gefährdet“. Es wurde darauf hingewiesen, daß einer der Brennpunkte, von dem solche Angriffe ausgehen, der , Petöfi-Kreis’ und der Schriftstellerverband seien. , Der Petöfi-Kreis und der Schriftstellerverband zielten darauf ab, die Rolle der Arbeiterklasse zu vermindern und bourgoise Ideen zu verbreiten. Sie tarnten ihre Tätigkeit unter dem Decknamen offizieller Interpretationen der Beschlüsse des XX. Parteikongresses’. Den beiden führenden kommunistischen Schriftstellern des Verbandes, Tibor Dery und Tibor Tardos, wurde vorgeworfen, . parteifeindliche Ideen verbreitet zu haben, , die die Parteimitglieder und vor allem die Jugend des Landes verwirren. Das ZKdKPLI beschwerte sich darüber, daß , viele Parteimitglieder und die Presse, darunter auch das Parteiorgan , Szabad Nep'(Freies Volk) es unterlassen haben, die parteifeindlichen Umtriebe zu demaskieren.'

Von der Rebellion des Ungarischen Schriftstellerverbandes, die immer größere Kreise innerhalb des Parteiapparates, insbesondere auf ideologischem Gebiet, erfaßte, erfuhr der Parteichef Räkosi im Juni 1956 in Moskau. Er kehrte in größter Eile nach Budapest zurück, um die Ordnung herzustellen. Ihm folgten bald ganz überraschend und unerwartet der sowjetische stellvertretende Ministerpräsident Mikojan und der Partei-sekretär und Leiter der Ausländsabteilung des ZKdKPdSU Suslow. Angeblich wollte Räkosi eine großangelegte radikale Säuberungsaktion gegen die , Rechtsabtrünnigen'der Gruppe Imre Nagys einleiten. Jedoch war Moskau eher zur Koexistenz mit dem Westen und mit Tito geneigt; vor allem der Erste Sekretär der KPdSLI, Chruschtschow, drängte auf Räkosis Absetzung. In Budapest wurde offen von einer Parteikrise gesprochen; die Gerüchte, die in der Reise Suslows nach Ungarn eine Festigung der Machtstellung Räkosis vermuteten, hatten sich nicht bewahrheitet. Räkosi mußte zurücktreten, und ihm wurde , nahegelegt, das Land zu verlassen. Räkosi reiste Mitte Juli 1956 in die Sowjetunion ab. Am 18. 7. 1956 wurde die Ablösung Räkosis durch Erno Gero und die Umbesetzung des ZKdKPU/MDP und des Politbüros verkündet.

Die Enttäuschung innerhalb und außerhalb der KPU war groß. Auch die revoltierenden Schriftsteller sahen in Ernö Gero die Fortsetzung des von Räkosi geführten politisch-ideologischen und wirtschaftlichen Kurses, der keine Chance gewährte, der vom XX. Parteikongreß des ZKdKPdSU beschlossenen Entstalinisierungspolitik in Ungarn zur Geltung zu verhelfen. Die Rehabilitierung des von Räkosi im Frühjahr 195 5 gestürzten Ministerpräsidenten Imre Nagy, die von der Mehrheit der Mitglieder des Schriftstellerverbandes und auch vom , Petöfi-Kreis gewünscht wurde, blieb aus.

Unter dem Eindruck der Ereignisse und der Entwicklung in Polen nahmen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Ungarn — unter der Führung des , Petöfi-Kreises‘ und des Schriftstellerverbandes — immer größere Ausmaße an. Sie führten am 22. Oktober 1956 zu einem offenen Aufstand des ungarischen Volkes.

III. Die Oktober-Ereignisse

Die Ablösung Räkosis durch den Stalinisten Ernö Gerö hatte die Aktivität und die Forderungen der Schriftsteller nicht entschärft. Die . Literarische Zeitung'(Irodalmi Ujsg), die Zeitschrift des Schriftstellerverbandes, spielte zu jener Zeit eine bemerkenswerte und führende Rolle im Lande; Leute, die keine literarischen Interessen hatten, begannen die Zeitschrift zu lesen, und bald überstieg die Nachfrage bei weitem die Auflage.

Am 8. 9. 1956 forderte Gyula Hay in einem mutigen Leitartikel der Zeitung die vollkommene und unbeschränkte Freiheit der Presse; er bezeichnete alles, was die KPU/MDP der Literatur und der Presse vorgeworfen hatte, als Lüge. Dieser Aufsatz brachte die Erregung im Lande fast zum Siedepunkt.

Gyula Hay, ein alter Kommunist aus der Zeit von 1918— 19 19, Schriftsteller und Dramatiker, machte sich 1919 mit seinen Bühnenstücken kommunistischer Prägung einen Namen. Er ging 1919 ins Exil und wurde in Berlin und Zürich ansässig; (in den dreißiger Jahren arbeitete er mit Arthur Köstler zusammen) lebte später jahrelang in Moskau; früher ein überzeugter Kommunist, wurde er in letzter Zeit zu einem wichtigen und mutigen Schrittmacher und Wortführer jener freiheitssuchenden Intellektuellen, die die psychologischen Voraussetzungen für die Volkserhebung schufen. Er schrieb am 8. 9. 56 (auszugsweise): „ ... Es sollte das der Schriftsteller zu sagen, alles Vorrecht sein, die Wahrheit und jedes zu kritisieren; verliebt oder traurig zu sein, an den Tod zu denken, nicltt darüber zu brüten, ob Licht und Schatten in seinem Werk ausgeglichen sind; an die Allmacht Gottes zu glauben, die Existenz Gottes zu leugnen; die Richtigkeit gewisser Zahlen im Fünfjahresplan anzuzweifeln; auf nicht-marxistische Weise zu denken: auf marxistische Weise zu denken, audt wenn der Gedanke, der daraus entspringt, noch nicht zu den Wahrheiten gehört, die als bindende Kraft proklamiert wurden; den Lebensstandard als zu niedrig zu bezeidmen, audt bei Leuten, die nicht zu der Kategorie gehören, deren Löhne erhöht werden sollen; etwas als Unrecht anzusehen, was offiziell nodt als gerecht gilt! Mißfallen an gewissen Führern zu finden-, zu warnen, wenn die Stadt in Ruinen zu verfallen drohe, da es kein Geld gebe, um die Gebäude wieder instandzusetzen; an der Lebenshaltung, der Sprechund Arbeitsweise gewisser Führer Kritik zu üben . . . Gefallen an Sztalinväros zu finden; Sztalinväros abzulehnen, einen ungewöhnlidten Stil zu gebrauchen, der aristotelisdien Dramaturgie zu widersprechen; auf der aristotelischen Dramaturgie zu bestehen . .

und so fort. Wer könnte leugnen, daß nodt vor kurzem viele dieser Dinge streng verboten und bestraft worden waren . . . aber audt heute noch werden sie gerade nur geduldet und nicht wirklich gestattet .

Einige Tage nach dem Erscheinen des Aufsatzes Hays wurde am 17. 9.

1956 die Vollversammlung des Schriftstellerverbandes in Budapest eröffnet. Es geschah das Unerhörte: Als zur Wiederwahl des Vorstandes geschritten wurde, kam es zur Ablehnung der offiziellen Liste, neue Kandidaten von der Opposition wurden benannt und gewählt. Unter diesen befanden sich frühere rechtsgerichtete Autoren und frühere Sozialdemokraten, die gerade aus dem Gefängnis entlassen worden waren.

Unter den Abgelehnten waren Ernö Llrbän, Bela Ilies, Sandor Gergely, Istvän Sotet sowie auch die beiden . Stalin-Preisträger Tadas Aczel und Sandor Nagy. Keiner der Schriftsteller, der die . Parteilinie befolgte, kam in den Vorstand. Zum Präsidenten des Schriftstellerverbandes wurde Peter Veres, zu Vizepräsidenten wurden Aron Tamasi und Gyula Hay gewählt.

Vier Gruppen zeichneten sich unter den Schriftstellern deutlich ab:

Die erste Gruppe bestand aus denjenigen, die sich offen und aktiv gegen das Regime auflehnten und Führer des . Aufstandes des Gewissens waren: Gyula Häy, Tibor Dery. Peter Kuczka, Lajos Konya, Lszl Benjamin, Zoltan Zelk, Istvän Örkny, Lajos Tamasi, Geza Kepes. Die meisten von ihnen gehörten dem zwölfköpfigen Vorbereitungs-Ausschuß an, der am 27. 6. 1956 vom Vorstand des Schriftstellerverbandes gebildet worden war.

Die zweite Gruppe setzte sich aus Schriftstellern zusammen, die entweder zu Gefängnisstrafen oder zum Schweigen verurteilt waren: z. B.

Pal Ignotus, Lajos Kassäk.

Die dritte Gruppe bildeten diejenigen, die dem kommunistischen Regime völlig fremd gegenüberstanden, wie z. B, Aron Tamasi, Emil Kolozsväri, Ference Jankovich, Lszl Nemeth usw.

Die vierte Gruppe war durch die sogenannten volkstümlichen Schriftsteller vertreten, wie z. B. Peter Veres, Gyula Ilies.

Am 6. 10. 1956 (dem früheren nationalen Trauertag zur Erinnerung an die im Jahre 1849 bei Arad hingerichteten 13 Generale des ungarischen Freiheitskrieges 1848— 49) wurde das pompöse Staatsbegräbnis der 1949 hingerichteten Kommunisten Läszlo Rajk und Genossen zu einer gewaltigen, stummen Demonstration gegen das Regime.

Unter dem Eindruck der Ereignisse und der Entwicklung in Polen wurden auch in Ungarn Versammlungen und Demonstrationen veranstaltet. Am 22. 10. 1956 wurde im Schriftstellerverband darüber beraten, in welcher Weise auf die Ereignisse in Polen reagiert werden sollte. Einstimmig wurde ein Demonstrationsmarsch zum Denkmal des Polengenerals Bem, eines Haupthelden des ungarischen Freiheitskrieges von 1848 bis 1849, beschlossen. Der Demonstrationsmarsch, der für den 23. 10. 1956 geplant war, wurde am 23. 10. 1956 um 12. 53 Uhr vom Innenminister verboten.

Radio Budapest verlas vor Ankündigung des Verbotes um 12. 00 LIhr eine Botschaft des Schriftstellerverbandes in Polen: „Der Ungarische Sdiriftstellerverband möchte anläßlidi der polnisdten Gesdiehnissc seine tiefempfundene Anerkennung zum Ausdruck bringen . . . Wir Autoren haben im Laufe der vergangenen Jahre einen ständigen Kampf für die Demokratisierung und gegen die Politik Rakosi s geführt. Unserer Ansicht nach ist es die Hauptaufgabe der ungarisdien Öffentlichkeit, erstens den weiteren Fortschritt auf dem Weg der sozialistischen Demokratie sidierzustellen, zweitens jedwede Provokation zu vermeiden und zurück-zuschlagen. Unter Ausnutzung der Begeisterung, weldie die Ereignisse in Polen bei den ungarisdien Arbeitern und Studenten ausgelöst haben, könnten soldie Provokationen unser Glück und unsere politische Bestrebungen zunichte machen." (Der Text ließ einige Korrekturen des Innenministeriums erkennen.)

Das Verbot löste heftige Proteste aus; der Sdiriftstellerverband wurde durch eine Abordnung, geführt von Gyula Ray, bei der Zentrale der KPLI und dem Innenminister vorstellig und forderte die Aufhebung.

Am 23. 10. 1956, um 14. 00 LIhr, eröffnete das ZK der kommunistischen Jugendorganisation DISZ seine 6. Sitzung. Das ZK der DISZ billigte die Sympathiekundgebungen der Budapester Jugend für die Polnische Volksrepublik. Hierauf beschlossen die Mitglieder, « sich den Kundgebungen anzuschließen; die Sitzung wurde daher unterbrochen. Dadurch sollten die Kundgebungen einen offiziellen Charakter bekommen.

Es wurde schon beschlossen, ohne Erlaubnis den Demonstrationsmarsch durchzuführen, als der Innenminister das Verbot aufhob (15 LIhr).

Am Denkmal Bems hielt der Präsident des Schriftstellerverbandes eine kurze Ansprache und verlas eine Sieben-Punkte-Entschließung des Verbandes. Die Entschließung enthielt Forderungen, die schon bei Diskussionen des Schriftstellerverbandes und des Petöf-Kreises erörtert worden waren; sie ging nicht über das hinaus, was von den Kommunisten selbst versprochen worden war:

„ 1. Wir verlangen eine unabhängige nationale Politik, gegründet auf den Prinzipien des Sozialismus. Unsere Beziehungen zu allen Ländern, der Sowjetunion und den Volksdemokratien in erster Linie, sollen auf der Basis der Gleichberechtigung beruhen. Wir verlangen eine Revision der staatlichen Verträge und Wirtschaftsabkommen im Sinne der nationalen Gleichberechtigung.

2. Der Politik der nationalen Minderheiten muß ein Ende bereitet werden, da sie die Freundschaft der Völker stört. Wir wünsdien edite und ehrlidie Freundschaft mit unseren Verbündeten — der Sowjetunion und den Volksdemokratien. Das kann nur auf der Basis der leninistischen Grundsätze erfüllt werden.

3. Die wirtschaftlidie Lage des Landes muß klar erkannt werden. Wir werden niemals aus dieser Krise herausfinden, wenn nicht alle Arbeiter, Bauern und Intellektuellen ihren entsprechenden Anteil an der politischen, sozialen und wirtsdiaftlidien Verwaltung des Landes erfüllen. 4. Fabriken müssen von Arbeitern und Fachleuten geleitet werden. Das derzeitige demütigende System der Löhne, Normen, sozialen Versicherungen usw. mufi einer Reform unterzogen werden. Die Gewerkschaften müssen die wirklichen Vertreter der ungarischen Arbeiterklasse sein. 5. Unsere Agrarpolitik muß auf eine andere Basis kommen. Den Bauern muß das Recht zugestanden werden, ihr eigenes Schicksal frei zu bestimmen. Die politisdren und wirtschaftlidten Vorbedingungen für eine freie Mitgliedschaft in den Kollektiven müssen geschaffen werden. Das derzeitige System der Abgaben an den Staat und der Steuerzahlungen muß allmählich durch ein System abgelöst werden, das die freie sozialistische Produktion und den Austausch von Gütern gerantiert. 6. Damit diese Punkte erfüllt werden können, sind Veränderungen in der Struktur und in der personellen Führung der Partei und des Staatsapparates erforderlich. Die Räkosi-Clique, die ihre Wiedereinsetzung anstrebt, muß aus unserem politischen Leben entfernt werden. Imre Nagy, ein reiner und tapferer Kommunist, der das Vertrauen des ungarischen Volkes genießt, und alle diejenigen, die in den letzten Jahren systematisch für die sozialistische Demokratie gekämpft haben, müssen die Posten erhalten, die sie verdienen. Gleichzeitig muß gegen alle konterrevolutionäre Versuche und Bestrebungen energisch Stellung bezogen werden.

7. Die Entwicklung der Lage verlangt, daß die Vaterländische Volksfront die politische Vertretung der arbeitenden Schicht der ungarisdten Gesellschaft übernimmt. Unser Wahlsystem muß mit den Forderungen der sozialistischen Demokratie übereinstimmen. Das Volk muß seine Vertreter im Parlament, im Rat und allen autonomen Organen der Verwaltung durch freie und geheime Wahl bestimmen.“ (Übersetzt nach . Revolution in Ungarn’, von Georges Mikes)

Die Sieben-Punkte-Entschließung des Schriftstellerverbandes wurde durch eine Abordnung, der Tibor Dery, Zoltan Zelk, Tamäs Aczel und Sandor Nagy angehörten, der amtierenden Regierung Hegedos und Imre Nagy im Parlaments-Gebäude überreicht.

Zoltan Zelk — Dichter und Mitglied des Präsidiums des Schriftstellerverbandes, zweifacher , Kossuth-Preisträger‘ — gehörte zu den intellektuellen kommunistischen Rebellen im kulturpolitischen Rahmen des Petöfi-Kreises. Er erklärte am 31. 10.

1956 um 18. 00 Uhr in Radio Budapest: „ . . . Einen Augenblid^ sahen wir (nadrts 24. 10. 1956) Istvän Kovacs und Jözsef Revai mit verängstigten Gesiditern auftauchen, als wir in ein kleines Zimmer geführt wurden, um weiter zu warten. Endlidi wurden wir beim Ministerpräsident Andräs Hegedos vorgelassen. Er log, es sei eine faschistisdte Konterrevolution ausgebrochen, der nur mit Waffengewalt zu begegnen sei. Könnten sie selbst der Konterrevolution nicht Herr werden, so müßten sie sowjetisdre Truppen herbeirufen . . . Er sagte das lächelnd, wie jemand, der einen teuflischen Plan ausgehedtt hat . .

Istvän Kovacs war bis Oktober 1956 Mitglied des Politbüros, Sekretär des ZKdKPU und erster Sekretär des KPU in Budapest, galt als Gefolgsmann Räkosis und Stalinist.

JozsefRevai (Kachana), führender Parteitheoretiker und Moskauer Altkommunist, war bereits 1919 politisch tätig; nach 1945 war er Chefredakteur des amtlichen Parteiorgans und vier Jahre lang Kultusminister Räkosis. Während der ersten Minister-präsidentschaft Imre Nagys wurde er im Juni 1953 aus dem Politbüro entlassen.

Am 24. 10. 1956 wurde Imre Nagy Ministerpräsident, am 25. 10. 1956 wurde Ernö Gero, der Erste Sekretär des ZKdKPU, von Jänos Kadar abgelöst. Zu diesen Ereignissen nahm Gyula Häy in einer Rundfunkbotschaft Stellung (25. 10. 1956, 18. 45 Uhr): „ . . . Imre Nagy ist unser Mann, sein Programm ist unser Programm. Jänos Kädär hat in Räkosis Kerker erfahren, wogegen die Ungarn des Schutzes bedürfen. Es ist unverzüglidt mit friedlichen Methoden zu arbeiten, die Kämpfe müssen sofort beendet werden. Selbst friedliche Demonstrationen sollten augenbliddich nicht veranstaltet werden, da sie mißdeutet werden können. Achtet jetzt auf euer Leben, das Land wird euch dringend brauchen — in dem neuen Ungarn, daß sich von der Tyrannei befreit.. hieß es in seiner Botschaft.

G y u 1 a H ä y wurde mit anderen führenden Schriftstellern des Schriftstellerverbandes nach der Niederwerfung des Volksaufstandes Ende 1956 vorerst unter Hausarrest gestellt und danach im Januar 1957 verhaftet.

Am 24. 10. 19 56 wurde Prof. György Lukäcs, der sich in die Debatten des . Petöfi-Kreises'im Juni 1956 aktiv und scharf eingeschaltet hatte, mit anderen rehabilitierten Kommunisten in das neugebildete ZKdKPU gewählt und am 27. 10. 1956 in die neue Regierung Imre Nagy als Minister für Volkserziehung ausgenommen, jedoch nur bis zum 30. 10. 1956 — zweite Regierungsumbildung — im Amt.

Am 29. 10. 1956 verlangte auch das Revolutionskomitee der ungarischen Künstler — an dessen Spitze der bekannte Komponist Zoltän Kodäly stand — daß Verwaltungsfunktionäre sich jeglicher Einmischung in das Literaturschaffen zu enthalten hätten und daß gesetzliche Maßnahmen getroffen werden müßten, um Künstlern, Kunstliebhabern und Berufsgenossenschaften der Künstler volle Freiheit zu garantieren. Der Verkauf von Kunstwerken und die Veranstaltung von Ausstellungen im Ausland sollten freigegeben werden. Künstler sollten ferner die Möglichkeit erhalten, ohne Beschränkung Reisen zu unternehmen, hieß es in der Entschließung (Radio Budapest, 29. 10. 1956, 17. 00 Uhr).

Zoltän Kodäly, 75 Jahre alt, weithin bekannter Komponist und Musiklehrer, einer der Hauptvertreter ursprünglicher ungarischer Musik, ist zweifacher . Kossuth-Preisträger'

Am 1. 11. 1956 rief der Schriftstellerverband dazu auf (Radio Budapest 15. 00 Uhr), die . Reinheit der Revolution’ zu wahren und keine . Gerichtsbarkeit’ auf der Straße zu üben. „Wenn es Euch gelingt, Schuldige zu ergreifen, so überliefert sie unversehrt der Nationalgarde oder den Heerespatrouillen. Persönliche Rache ist unserer unwürdig. Die ganze Welt sieht auf uns . . . Beschmutzt die Revolution nicht!" hieß es wörtlich im Aufruf.

Noch am 31. 10. 19 56 übernahm die Führung des Landesverbandes der Ungarischen Journalisten (kurz Journalistenverband) ein neues provisorisches Präsidium, nachdem der alte Vorstand seinen Rücktritt erklärt hatte. Diesem neuen Vorstand gehörten diejenigen Journalisten an, die entweder kürzlich aus den Gefängnissen entlassen bzw. befreit oder während des Räkosi-Systems suspendiert worden waren. Zum Generalsekretär wurde Dr. Bela Faunen bestellt Dem neuen Vorstand gehörten an:

FerencAvar, Mihäly G e d e n y i, Sandor Haraszti, Istvän Koroknag, Päl Magyar, Miksa Natter-Näd, Dr. Gyula Nemeth, Dr. Bela Fannen, Istvän Szabo, Istvän Szäva, Dr. Ervin Szerelemhegyi, Dr. Endre Szigeti (Rundfunkbericht 31. 10. 1956, 17. 00 Uhr)

Am 1. 11. 1956 verkündete Ministerpräsident und Außenminister Imre Nagy Lingams Austritt aus dem Warschauer Pakt, proklamierte Ungarns Neutralität und bat die Vereinten Nationen, die Ungarnfrage auf die Tagesordnung zu setzen.

Am 2. 11. 1956, als es offenkundig wurde, daß die Sowjetunion ihre nach Ungarn abkommandierten Truppen für eine weitere — zweite — Intervention in Bereitschaft hielt, wandte sich das Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes, Geza Käpes, im Namen des ungarischen Pen-Clubs mit einem offenen Aufruf im Rundfunk an die Schriftsteller der Welt: „Scheut keine Zeit und Mühe, um die wirksamsten Mittel zu finden, mit denen der Sache der Freiheit geholfen werden kann! Warnt die öffentliche Meinung in der ganzen Welt, daß jede Verletzung unserer neu errungenen Neutralität zu einer furchtbaren Katastrophe führen muß. Unser Schicl^sal ist nicht nur eine politisdre Frage, es ist vielmehr eine Sache von Leben und Tod...“ (Freier Sender Kossuth, 2. 11. 1956, 17. 18 Uhr).

Der Revolutionsrat der Ungarischen Intellektuellen sandte gemeinsam mit dem Schriftstellerverband ein Telegramm an den Weltfriedens-rat (z. Hd. v. M. Joliot-Curie in Paris) mit dem Wortlaut: „Das gesamte ungarische Volk hat in völliger Einmütigkeit seinen Willen kundgetan, an seiner nationalen Unabhängigkeit und an der Wiederherstellung seiner Souveränität festzuhalten und auf sofortige Räumung des ganzen Landes von sowjetischen Truppen zu bestehen. Die Erfüllung dieser Forderungen ist ein wichtiges Unterpfand für die Erhaltung des Friedens in Osteuropa. Der Revolutionsrat ... in Verbindung mit dem Schriftstellerverband ersucht den Friedensrat um sofortige Einberufung einer Konferenz nach Wien, die sich mit allen daraus resultierenden Fragen befassen soll .

Am 2. 11. 1956 hatte der Schriftstellerverband mit einer ungewöhnlichen Methode der Geldsammlung für die Opfer des Volksaufstandes begonnen; am 2 1 1. 1956, morgens, wurden an den wichtigsten Plätzen Budapests große Schilder ausgestellt, die zu Spenden für die Märtyrer der Revolution aufriefen. Gewissermaßen zur Ermunterung steckte an den Schildern eine echte 1000-Forint-Note. Unter den Schildern waren leere Munitionskisten festgemacht. Vorübergehende warfen ihre Spenden in diese Kisten. Niemand hielt Wache! Am Nachmittag hatte die Bevölkerung von Budapest im Laufe weniger Stunden bereits 100 000 Forint gespendet.

Am 4. 11. 1956, um 4. 00 Uhr, griffen die bereitgestellten Sowjet-divisionen die Hauptstadt, alle Provinzstädte und wichtige strategische Punkte des Landes mit ihrer Übermacht an. Die Freiheitssender richteten verzweifelte Hilferufe an den Westen. Der Schriftstellerverband ließ um 7. 57 LIhr folgendes Manifest durch den Rundfunk verlesen, das in englisch, deutsch und russisch zweimal wiederholt wurde: „Hier spricht der Ungarische Schriftstellerverband mit einem Appell an jeden Schriftsteller in der Welt, an alle Wissenscliaftler, an alle Schriftstellerverbände, wissenschaftliche Akademien und Vereinigungen, an die Intelligenzschicht der Welt! Wir bitten Eudt alle um Unterstützung und Hilfe. Es bleibt nur wenig Zeit! Ihr kennt die Tatsachen, wir braudten Eudt keinen Sonderberidit zu geben. Helft Ungarn, helft den ungarischen Sdiriftstellern, Arbeitern, Bauern und unserer Intelligenzschidtt! Helft! Helft! Helft!“

Kaum war dieser Hilferuf des Schriftstellerverbandes verklungen, als der Freie Sender Kossuth kurz nach 8. 00 Uhr morgens seine Sendungen einstellte.

Es meldeten sich aus Szolnok die neuen Führer des neuen kommunistischen Regimes, der neue Parteichef der KPU, Jänos Kädär, und der neue Innenminister und Chef aller bewaffneten Kräfte der Kommunisten, Dr. Ferenc Münnich.

Wenn auch die große Mehrheit der ungarischen Schriftsteller nach dem zweiten Sowjeteingriff den Ideen des Freiheitskampfes treu blieb und den Kampf in der ungarischen Heimat mit Mut, Opferbereitschaft und Ausdauer weiterzuführen versuchte, so gab es doch zwei kleinere Gruppen, die andere Wege gingen.

Eine kleinere Schar folgte dem Ministerpräsidenten Imre Nagy, der am 4. 11. 1956 in der Botschaft der FVR Jugoslawien in Budapest politisches Asyl fand. Es handelte sich hierbei um folgende Personen:

Imre Nagy, Ministerpräsident Geza L oson c z y , Staatsminister und Mitglied des Exekutivkomitees der reorg. ung. KP Ference Donath, wie vor Zoltan S z an t 6 , Botschafter in Warschau, Mitglied d.

Exekutivkomitees der reorg. ung.

KP Prof. György L u k ä c s , Wissenschaftler, Kultusminister in der zweiten Regierung Imre Nagys während des Volksaufstandes

Gubor Tancos, marx. -len. Schriftsteller Sandor Haraszti, linksradikaler kommunistischer Literat und Parteimann Ference Jänosi, Schwiegersohn Imre Nagys, Generalmajor, stellv. Volkserziehungsminister bis 195 5 und Generalsekretär der . Patriotischen Volksfront';

im Frühjahr 195 5 aus der KPLI ausgestoßen.

György Fazekas, Komm. Literat Jänos Szilägyi, ursprünglichjournalist; dann Partei-sekretär der Polizei 1949 — 1954

Peter Erdös, Zoltan Vas (Einberger), ehern. Planungschef der KPLI Julia Rajk, Witwe des hingerichteten Innen-und Außenministers Ferenc Nädor, Szilärd Ujhelyi, Hauptabteilungsleiter für Film und Kunst im Volksbildungsministerium, führte die Bolschewisierung des ung.

Filmlebens durch Miklos Väsärhelyi, stellvertr. Leiter des Informationsamtes der Regierung Nagy Diese Kommunisten gerieten später, am 22. 11. 1956, in die Verbannung; nur 6 Personen haben das Gebäude der Botschaft Jugoslawiens in Budapest am 18. 11. 1956 auf eigenen Wunsch verlassen, darunter befand sich Prof. György Lukäcs.

Eine andere, nicht organisierte Gruppe flüchtete nach dem Westen: z. B. Tamäs Aczel, Stalin-und Kossuth-Preisträger, Päl Ignotus, György Faludi, György Päloczi-Horväth, Tibor Meray usw.

Auffallenderweise waren es überwiegend diejenigen bekannten Schrift-steiler, die nach 1945 Schrittmacher der kommunistischen Herrschaft in Ungarn waren und sich bis Oktober 19 5 6 als treue Diener Moskaus erwiesen hatten. So kam Tämäs Aczel nach dem Westen, ließ seine Frau in Budapest zurück, die auch weiterhin (August 19 57) als linientreue Dramaturgin beim Budapester Radio tätig ist.

Tämäs Aczel gehört zu den kommunistisch gesinnten Schriftstellern, die bei den Neuwahlen des Vorstandes des Schriftstellerverbandes am 17. 9. 1956 als Vorstandsmitglieder einstimmig abgelehnt wurden.

Die anderen, wie Pal Ignotus, György Faludi, György Päloczi-Horväth stehen auch heute noch n den Reihen derjenigen marxistischen Schriftsteller, die für eine titoistische Internationale eintreten. Es sind die gleichen, die im März 1957 mit Hilfe des Internationalen PEN-Clubs die . Literarische Zeitung'im Exil gründeten.

IV. Das Regime Kdrs

1. Die Rolle Moskaus und der Sowjettruppen Im November 1956 war Ungarn wieder dort, wo es vor der Revolution stand. Bis Dezember 1956 war das neue Regime, die von der Sowjetunion eingesetzte Kädär-Regierung, damit beschäftigt, seine Stellung mit Hilfe der Sowjetarmee zu festigen, die Ordnung wieder herzustellen und Maßnahmen einzuleiten, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die Sowjetarmee, die dem neuen Regime Kädärs Rückhalt und Autorität verlieh, hielt das Land mit zehn Divisionen besetzt und übte die Funktion einer Art von Militärregierung aus. Staatsminister György Marosän, Sprachrohr der Kädär-Regierung, bezeichnet die Sowjetinterventionen und die Anwesenheit der Sowjettruppen in Ungarn als eine . historische Notwendigkeit’. Er erklärte: „Die ^owjettruppen müssen in Ungarn bleiben, solange die Interessen der Aufrechterhaltung des Friedens und die Festigung der Madit der Arbeiter es verlangt.“ Marosän erklärte außerdem, er habe „anlä/llidi der Oktoberereignisse 1956 die Hilfe der Sowjettruppen nicht nur gebilligt, sondern angefordert.“

Mitte November 1956, angeblich vom 14. bis 17. 11. 1956, hielt sich General Serow, der Chef des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes in Budapest auf; in dieser Zeit verließen etwa 30 Eisenbahnzüge mit Deportierten Ungarn.

Am 20. 11. 1956 wandte sich der Schriftstellerverband an das Oberkommando der sowjetischen Besatzungstruppen in Ungarn (Oberbefehlshaber General Malinin) und an das Innenministerium mit einem Protest gegen die Deportation und verlangte die Zurückführung der nach Rumänien und in die Sowjetunion verschleppten Jugendlichen. Der Vertreter des Sowjetoberkommandos Oberstleutnant Sidorenko gab zwar die Deportation vorerst nicht zu, doch überredete er die Deputation , im Interesse der Einstellung der Deportierungen', sich bei der Arbeiterschaft (Arbeiterräte) für die Aufhebung des Arbeiterstreiks einzusetzen. Unter diesem offensichtlichen Druck ging die Deputation auf einen Kompromißvorschlag ein, da ihr zugesichert wurde, daß alle Deportierten, die vom Schriftstellerverband namentlich in einer Liste nachgewiesen werden könnten, nach Ungarn zurückgeführt würden. Das blieb aber nur ein Versprechen. Die Schriftsteller, die sich für die Sache einsetzten, wurden in ihren Bemühungen gehindert.

Das Kdr-Regime traute sich nicht, das Risiko einer friedlichen Koexistenz in Lingam noch einmal auf sich zu nehmen. Der Volksaufstand wurde als eine von Faschisten und Imperialisten vorbereitete und durchgeführte . Konterrevolution'bezeichnet und der Kommunist Imre Nagy zum Verräter gestempelt. 2. Der Druck auf die Schriftsteller Die Gegenmaßnahmen konzentrierten sich auf die . konterrevolutionären Kräfte', die an dem Aufstand teilgenommen hatten, sowie die Intelligenz, die die . Konterrevolution'geistig vorbereitet hatte. Die Terrormaßnahmen wurden vorerst nur in der Hauptstadt und den größeren Provinzstädten durchgeführt, da die dort stationierten Sowjettruppen hinreichenden Schutz für diese Aktionen gewähren konnten.

Am empfindlichsten wurde das Regime Kädär von der Isolierung betroffen, in die es durch das Abseitsstehen der Intelligenz und der Jugend geriet. Die Versuche der Regierung, Schriftsteller, Parteiideologen und Publizisten für sich zu gewinnen, scheiterten. Der Schriftstellerverband, der früher eine wichtige Stütze der ideologischen Parteiarbeit war, hielt sich völlig abseits. Die Schriftsteller waren nicht zu bewegen, weder ihre Auffassung über die Oktoberrevolution zu ändern, noch sich abermals einer staatlich gelenkten Kunst-und Literatur-Richtung zu unterwerfen und eine kommandierte Dichtung sowjetischer Prägung hervorzubringen.

Nachdem die Versuche Kdr’s fehlgeschlagen waren, richteten die neuen Parteiführer und die Presse immer schärfere regelmäßig wiederholte Angriffe gegen den Schriftstellerverband. Die prominentesten Mitglieder des Schriftstellerverbandes, die an der Vorbereitung des Volksaufstandes führend beteiligt gewesen waren, wurden im Dezember 19 56 unter Hausarrest gestellt. So befanden sich u. a. Gyula Hay, Zoltan Zelk, Tibor Tardos, Tibor Dery, Lszl Nemeth schon anfangs Dezember 19 56 in Hausarrest. Alle diejenigen Schriftsteller und Journalisten, die sich nicht bereit erklärten bzw. weigerten, ihre . Irrtümer'einzugestehen und die Oktoberrevolution 19 56 als . Konterrevolution'zu bezeichnen, erhielten Schreibverbot.

Am 8. 12. 1956 wurde für alle . konterrevolutionären'Delikte das Standgericht verhängt und der unter der Bezeichnung , R‘-Garde wieder-errichtete Staatssicherheitsdienst (vorher AVH genannt) eingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war General Serow wieder in Budapest — die neuen Maßnahmen erfolgten auf Anweisungen Moskaus.

Der Schriftstellerverband ließ sich aber nicht einschüchtern. Am 28. 12. 1956 — auf der letzten Sitzung — verfaßte die Mehrheit der anwesenden Mitglieder eine Resolution, in welcher — gegen die offizielle Auffassung und Formulierung der neuen kommunistischen Partei Ungarns und Moskaus — der . Oktober-Aufstand 1956'zu einer Revolution — und nicht zu einer . Konterrevolution'— erklärt wurde. Kurz danach, am 17. 1. 1957, wurde der Verband von seiner Tätigkeit suspendiert. Die Parteipresse behauptete, die ungarischen Schrifsteller und Journalisten seien die Hauptschuldigen an der . Konterrevolution'. Der neue Innenminister-Stellvertreter, Polizeigeneral Garamvolgyi, leitete eine Unter-

suchung gegen den Verband und gegen die führenden Mitglieder einen politischen Prozeß ein. Am 20. 1. 19 57 wurden sieben Mitglieder des Verbandes verhaftet.

Noch am 31. 12. 1956 hatte die Kdr-Regierung eine Erklärung veröffentlicht, wonach , die erste Aufgabe der Tageszeitungen und des Rundfunks, die Unterstützung der Regierung’ sei.

In einem vertraulichen Rundschreiben wurden diese Worte dahingehend ausgelegt, daß man nicht so oft die Vergangenheit, sondern in erster Linie gegen die Gefahren einer Konterrevolution und für die herrliche Zukunft schreiben sollte, die das Land erwarte — WENN (!) es gehorsam und fleißig sei und unabänderlich der Partei und der Regierung folge.

Staatsminister György Marosän begann mit einer Serie von Brandreden gegen den Verband und die Schriftsteller.

György Marosän, Staatsminister und Mitglied des Politbüros der neuen KPLI; wurde im April 19 57 unter Beibehaltung seines bisherigen Postens in der Regierung zum Ersten Sekretär des Budapester Parteikomitees ernannt. Dieses Amt bildete seit jeher eine wichtige Schlüsselstellung im Parteiapparat; bereits Räkosi, Läszlo Raja, Jänos Kädär hatten diese Stellung inne, bevor sie in noch höhere Machtpositionen innerhalb der Regierung aufstiegen.

Am 27. 1. 1957 erklärte er in seiner Rede in Pecs (Fünfkirchen): „ ... da die loyalen Gesten der Regierung als Schwäche ausgelegt worden sind, hat die Regierung die notwendigen Schritte unternommen, die Autonomie des Schriftstellerverbandes und des Journalistenverbandes suspendiert und einen Regierungskommissar eingesetzt. Diejenigen Schriftsteller, die an der geistigen Vorbereitung des Volksaufstandes teilgenommen haben, wurden verhaftet..." Er forderte gleichzeitig die kommunistisch und fortschrittlich gesinnten Schriftsteller auf, „sich vom seelischen Terror der anderen zu befreien, treu zum Volke zu halten, den Interessen des Volkes zu dienen, die Macht des Volkes zu stärken — dann werden alle Differenzen, die zwischen uns bestehen, behoben sein.“

Im Januar 1957 erklärte Marosän im Gespräch mit einem ungarischen Journalisten offen: „Es wäre das Beste, wenn man jeden Journalisten verhaften würde, während er schreibt und noch bevor er fertig ist . .

Am 16. 2. 1957 wurde ein Presserat gebildet, der dem Informationsamt des Ministerpräsidenten bzw.des Ministerrates unmittelbar unterstellt war! er übernahm die Kontrolle über Presse, Rundfunk usw.

Der Presserat setzt sich aus Vertretern des staatlichen Rundfunks (Präsident des Rundfunks, Frau Valeria Benke), der amtlichen Nachrichtenagentur MTI, der moskauhörigen Gewerkschaftlern, der Presse usw. zusammen. Mit der Leitung des Presserates wurde der Chef des Informationsamtes im Ministerrat. Istvän Szirmai, betraut, ein Parteifreund Kädär’s, der 1951 als Präsident des Ungarischen Rundfunks verhaftet und zusammen mit Kädär erst 1955 rehabilitiert wurde; den Posten des Sekretärs (Amtsleiter) übernahm Norbert Siklosi, ein . Stalinist'und Abteilungschef im Informationsamt.

Im Februar 1957 begannen die Prozesse gegen Schriftsteller und Journalisten. Am 1 5. 2. 19 57 wurde der Dichter Istvän Försi unter Anklage gestellt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Försi war während des Volksaufstandes Mitarbeiter des . Freien Senders Kossuth’ in Budapest und nach der Revolution — im Dezember 1956 — Mitarbeiter der illegalen Zeitung . Igazsäg'

(Gerechtigkeit) und der . Elünk'(Wir leben) des ebenfalls verhafteten Journalisten Gyula Obersovszky.

Am 18. 2. 1957 begann der Prozeß gegen den Schrifsteller und Dramatiker Jzsef Gall und den Journalisten Gyule Obersovszky, die eine Widerstandzeitung , Elünk'(Wir Leben') nach der Niederwerfung des Volksaufstandes herausgegeben hatten. Beide wurden am 8. 4. 1957 wegen . Aufwiegelung'zunächst zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Jedoch wurde das Urteil später — im Juli 1957 — in ein Todesurteil umgewandelt. (Siehe weiter unten).

J 6 z s e f G ä 1 i , etwa 27 Jahre alt, Schriftsteller und Dramaturg, ist jüdischer Abstammung; er wurde mit 14 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern nach Ausschwitz deportiert und kam als einziger Überlebender der Familie 194 5 nach LIngarn zurück (NZZ., 8. 3. 57); er gehörte zu dem Kreis jener jungen Kommunisten, die zwar zunächst die . Parteilinie befolgten, jedoch unter dem Einfluß der Ereignisse sich zu den . Rebellen des Schriftstellerverbandes schlugen und sich gegen das Terrorregime auflehnten.

Die Verschärfung des Terrors ist auf das direkte Verlangen Moskaus und auf die Befürchtung zurückzuführen daß im März 1957 (1 5. 3. 1957) der Aufstand wieder aufflammen würde. Unter den ungarischen Kommunisten gab es eine starke Gruppe, die gern einen milderen Kurs eingeschlagen hätte, weil sie inzwischen eingesehen hatten, daß eine Erneue-rung des ungarischen Kommunismus auf dem bisherigen Weg unmöglich ist. Zahlreiche Exponenten der neuen KPU hatten sich durch ihre Haltung während des Volksaufstandes offenbar schwer belastet. Die Vorfälle, die sich im engeren Führungskreis der KPU im Oktober 19 56 abspielten, müssen früher oder später einmal zur Sprache kommen. Es würde den Gesetzen der kommunistischen Logik durchaus entsprechen, wenn sie nach der Abrechnung mit den Gegenrevolutionären und einer gewissen Konsolidierung der Situation nun innerhalb der KPU zur Rechenschaft gezogen würden. Es hatte dem neuen Regime gut gepaßt, die drohende Gefahr eines Wiederauflebens des Widerstandes bzw. einer neuen Revolution — die mit der MUK-Bewegung sich anzukündigen schien — mit Hilfe und unter aktiver Mitwirkung des Schrifstellerverbandes abzuwenden.

Zu diesem Zeitpunkt war die Propaganda der sogenannten MUK-Bewegung, d. h. , 1m März fangen wir wieder an'(. Märciusban urja Kezdjük‘, abgekürzt MUK) stark vorbereitet. 3. Die neuen Zeitschriften des Kädär-Regimes Am 6. 3. 1957 erschien die erste Nummer der Zeitschrift , Magyarorszag'(Ungarnland) eine Publikation, die die literarische Wochenschrift , Irodalme Ujsg’ (. Literarische Zeitung') — die ein Sprachrohr des Schriftstellerverbandes gewesen war -ersetzen sollte.

Die , Irodalmi LIjsäg'(. Literarische Zeitung') wurde von der Regierung schon unmittelbar nach der Niederwerfung des Volksaufstandes im November 19 56 verboten.

Die neue Zeitung distanzierte sich vom suspendierten Schriftstellerverband und rechtfertigte die sowjetische Intervention in LIngarn; sie umschrieb ihre Mission wie folgt-„Kampf für die Kultur und die Wohlfahrt eines sozialistisdten Ungarn".

Chefredakteur der Wochenschrift ist Gy ula He vesi, Redaktionsstab: György Boloni Istvän Hunya Frau Jan os Matejka Sandor Rideg Jozsef W ald appel -Tr encsen y i.

Die neue Zeitschrift kündigte auch die Errichtung einer neuen Literatur-Sektion im Rahmen des . Täncsics-Kreises'an, der an Stelle des aufgelösten . Petöfi-Kreises'als neues geschlossenes kommunistisches Diskussionsforum im Dezember 1956 gebildet wurde.

Die neue Literatur-Sektion zählt 5 5 Mitgliedern, unter anderen Bela Ilies Geyorgy Boloni Sandor Rideg Mihäly Földes Der Präsident des . Täncsics-Kreises’, Gyula Hevesi, arbeitete die Statuten der Sektion aus und definierte die Aufgaben dahin, daß die Mitglieder der Sektion „Kommunisten und somit auf die Anweisungen und Richtlinien der KPU angewiesen sind; wenn sie auch die Fehler der Vergangenheit und deren schädliche Auswirkungen auf die Praxis verurteilen".

Als Organ der Schriftsteller-Kollaborateure erschien am 15. 3. 1957 die Zeitschrift , Elet es Irodalom'(. Leben und Literatur', Auflage 50 000, die von György Boloni redigiert wird.

Auch die Zeitschrift . Nagyviläg'(. Die große Weit'), eine Zeitschrift ist im März 19 57 wieder erschienen, redigiert von der Literatur-Sektion des , Täncsics-Kreises'. 4. Die ungarischen Schriftsteller im Ausland Die Suspendierung des Schriftstellerverbandes, das Verbot der Zeitschrift des Verbandes , Irodalmi LIjsäg'(. Literarische Zeitung') veranlaßte die nach Westen geflüchteten ungarischen Schriftsteller und Publizisten zum Protest.

Diese Zeitung der revolutionären Schriftsteller erschien am 2. 11. 1956 zum letzten Male.

Am 15. 3. 1957, dem Jahrestag des ungarischen Freiheitskampfes von 1848, wurde in London von etwa 30 ungarischen Schriftstellern in der Emigration der Verband der ungarischen Schriftstellerim Ausland gegründet, um die Tätigkeit des suspendierten Schriftstellerverbandes fortzusetzen; gleichzeitig wurde beschlossen, die in LIngarn verbotene Zeitschrift . Irodalmi LIjsäg'(. Literarische Zeitung') in London herauszugeben. Der Verband erhielt Unterstützung vom Internationalen Pen-Club.

Bei der Gründung hielt Arthur Köstler eine Eröffnungsansprache. Zum Präsidenten wurde Päl Ignotus gewählt.

Ignotus, ein linksliberaler Journalist und Publizist, verließ LIngarn nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges und emigrierte nach England, wo er bis Kriegsende (1945) die ungarische Abteilung des BBC — zusammen mit Läszlö SC. Szabo. Dr. Viktor Stankovich u. a. leitete. 194 5— 46 kehrte er nach LIngarn zurück. Erst 1949— 51 wurde er vom Räkosi-Regime verfolgt, als Sozialdemokrat eingekerkert und im Oktober 1956 befreit. Er verließ LIngarn sofort und ging nach England.

Zum Generalsekretär wurde György Päloczi-Horväth bestellt.

Päloczi-Horväth, während des 2. Weltkrieges ein bekannter englischer, später sowjetischer, Agent in der Türkei und im Nahen Osten. Als Historiker und marxistischer Theoretiker gehörte er zur publizistischen Elite des kommunistischen Ungarns. Von 1949 bis 1954 war er eingekerkert, nach seiner Entlassung schloß er sich oppositionellen Gruppen an und beteiligte sich am ungari-

schen Volksaufstand; nachher floh er nach dem Westen und wurde in London ausgenommen. Er schrieb bereits mehrere Aufsätze, darunter das , Kädär-Porträt‘, das zum ersten Mal in der März-Nummer 1957 der Zeitschrift , Der Monat'erschien und am 23. /24. 3. 1957 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung abge-druckt wurde (, Die Gesichter des Jänos Kdr".

Zu den weiteren Mitgliedern des Exekutivausschusses gehören:

György Faludi Bela Horväth Läszlö CS. Szabo und Imre Koväcs.

György Faludi, ein Anhänger des schon während des 2. Weltkrieges mit den Sowjets sympathisierenden Intellektuel-len-Kreises und der kommunistischen Untergrundbewegung. Er war an der Sprengung des Denkmals des berühmten Bischofs von Szekesfehervär (Stuhlweißenburg), Dr. Ottokar Prohäszka, im Jahre 1944 beteiligt. Der Bischof Prohäszka war der führende Geist des ungarischen Katholizismus und der sozial-christlichen Bewegung in LIngarn nach dem 1. Weltkrieg.

Bela Horväth, Emigrant aus der Zeit von 1945, war vor 1945 Mitglied der religiösen Zeitschrift . Vigilia'schloß sich nach Ende des Krieges der kommunistischen Untergrundbewegung im Ausland (Schweiz) an. Aus Deutschland (Tann bei Pfarrkirchen) begab er sich nach Italien (Genua). Seit 1952 Redaktionsmitglied des Senders Radio Freies Europa.

Läszlö CS. Szabo, ein . linksliberaler Publizist, der schon längere Zeit in England lebt und auch während des 2. Weltkrieges beim BBC tätig war. Nach 194 5 weilte er eine Zeitlang in LIngarn, kehrte aber recht bald wieder nach London zurück, wo er weiterhin Mitarbeiter des BBC ist. Er steht in engstem Kontakt mit dem Sender Radio Freies Europa und ist dessen ständiger freier Mitarbeiter. Sein Vater gleichen Namens war Direktor der . Nationalen Reitschule'(. Nemzeti Lovarda') und gehörte den konservativ-patriotischen Kreisen Ungarns nach dem 1. Weltkrieg an.

Imre Koväcs, führendes Mitglied der linksgerichteten Nationalen Bauernpartei, die nach 1945 mit der KPU kollaborierte. Er floh 1948 nach dem Westen und vertritt diese Partei im Ungarischen National-Komitee in New York; Bauernschriftsteller. Nadi Stalins Tod neigte er zum . Titoismus’ und wurde dessen Befürworter in der Emigranten-Zeitschrift (Monatsschrift) , Lthatär'(Horizont').

Zum Chefredakteur der Zeischrift „Irodalmi LIjsäg (. Literarische Zeitung') wurde György Faludi bestellt; gleichzeitig wurde beschlos-sen, der ungarischen literar-politischen Zeitschrift , Lät 6hat 6r‘, die seit einigen Jahren in München erscheint, zu helfen und mit ihr zusammen-zuarbeiten. Die offene Koppelung der neuen Zeitschrift in der Emigration mit der , Lätöhatär‘ deutet darauf hin, daß auch die neue »Literarische Zeitung'die linksradikale — sogenannte titoistische — Linie befolgt.

In den Beschlüssen des Zentral-Komitees der neuen kommunistischen Partei Ungarns, der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, vom 26. 2. 1957, wurde der Schriftstellerverband als eine . getrennte Kampfposition der Gegerevolution’ bezeichnet.

Am 15. 3. 1957 — am Tag des Freiheitskrieges 1848— 49, der seit kurzem wieder als Nationalfeiertag gilt, wurde der Journalist Gebor Folly, der wegen seiner Tätigkeit während des Volksaufstandes zum Tode verurteilt wurde, hingerichtet.

Gabor Folly, Mitarbeiter der Zeitung . Friss Ujsäg', wurde schon im Jahre 1951 zu langer Gefängnisstrafe verurteilt; er erlangte die Freiheit während des Volksaufstandes.

Am 3. 4. 1957, am Vorabend des . Tages der Befreiung'(4. 4. 1957), war es wiederum György Marosän, der in einer Parteikundgebung im Opernhaus in Budapest eine scharfe Attacke gegen die Schriftsteller und die Intelligenz ritt. Er erklärte u. a., , es werde nie mehr vorkommen, daß Presse und Rundfunk sich in den Dienst der Konterrevolution stellen könnten. Besonders scharf nahm, Marosän die nun in London erscheinende Zeitschrift , Irodalmi Ujsäg'(. Literarische Zeitung') aufs Korn.

Die Angriffe richteten sich vorwiegend gegen Päl Ignotus, der in der englischen Wochenschrift . Tribune'unter dem Titel . Brief an einen Mitspion'einen Artikel veröffentlichte, in dem er seine Gefängniserlebnisse mit dem heutigen Staatsminister Marosän, der unter Räkosi gleichzeitig mit ihm inhaftiert war, beschrieb und sich dabei besonders mit den moralischen Aspekten des Falles Marosän befaßte. (NZZ 5. 4. 1957)

Die wilde Attacke gegen die ungarische Intelligenz dürfte als Beweis dafür gelten, daß es dem neuen Regime bisher nicht gelang, in ihren Reihen Fuß zu fassen.

Am 19. 4. 1957 wurde der Verband der ungarischen Schriftsteller vom Innenminister Lajos Biszku aufgelöst, das führende Mitglied des Verbandes, Tibor Dery, verhaftet, nachdem er als Mitbegründer des , Petöfi-Kreises‘ schon vorher unter Hausarrest stand.

In dem Beschluß des Innenministers Biszsu hieß es: „. . . Iw Laufe der Uittersuchuug wurde uadigewieseu uud festgestellt, daß eiue bedeutende und aktive Gruppe der Schriftsteller den Verband als Kanipfniittel gegen die Gesellschaftsordnung der Ungarischen Volksrepublik ausgenützt hat. Der Verband wird deswegen aufgelöst." (21. 4. 7957)

Zu diesem Zeitpunkt waren, unter dem Verdacht, an den Ereignissen und bei den Vorbereitungen zur . Gegenrevolution'maßgeblich mitgewirkt zu haben, bereits inhaftiert

Tibor Tardos Domonkos Varga Gyula H ä y Baläzs Lengyel Zoltän Zelk sowie die Journalisten S ä n d o r Novobäczky Päl L o c s e i Ihre Verhaftung erfolgte noch im Januar 1957 (26. 11. 1957).

Gyula Häy, bekannt als kommunistischer Publizist und Bühnenautor, war führend an den Diskussionen des . Täncsics-Kreises'im Oktober 1956 beteiligt. Er forderte am 22. 1. 1956 in einer Rede in Gyor (Raab) unter anderem die Wiedereinsetzung Kardinal Mindszenty's als Fürstprimas von Ungarn.

Zoltän Zelk, Sohn eines Rabbiners aus Miskolc, schloß sich als Junge der kommunistischen Untergrundbewegung an, sein Name wurde aber erst 1945 bekannt, als er in der Partei-zeitung der APLI . Szabadsäg'zu schreiben begann. 1949 war er schon Lektor des Verlages Athenaeum, 19 50 schrieb er anläßlich des 70. Geburtstages Stalins eine Ode (. Gesang von Treue und Dank'), nach Stalins Tod 1953 beteiligte er sich intensiv an den Diskussionen des Schriftstellerverbandes und neigte immer mehr nach . rechts'. Im Jahre 1956 wurde er wegen seiner Kritik an der Partei, insbesondere an Räkosi, aus der KPU — zusammen mit Tibor Dery — ausgeschlossen.

Die gnadenlose Verfolgung aller unabhängig Denkenden, die Verhaftung von solchen kommunistischen Intellektuellen, wie Gyula Häy, Zoltän Zelk u. a. waren nur der Anfang von Unterdrückungsmaß-nahmen gegen alle jene, die nicht gewillt waren, sich dem Regime zu beugen. — Presse und Rundfunk konnten die Arbeit nur aufnehmen, weil sich einige alte Stalinisten — unter der Führung des aus Moskau im März nach Ungarn zurückgekehrten Chefideologen aus der Zeit der Räkosi-Ära, Jözsef Rvai (Kachana) — zur Mitarbeit bereitfanden, während die übrigen Schriftsteller, Journalisten und Radioreporter offenbar Leute sind, die sich nur aus einem für kommunistische Intellektuelle charakteristischen, zynischen Opportunismus . vorläufig'zur Arbeit auf ihren alten Posten entschlossen haben und dort auf bessere Zeiten warten (NZZ 19. 5. 1957). 5. Der . Literarische Rat'

Nach der Auflösung des Schriftstellerverbandes hat die KPU versucht, die dem Kommunismus sowjetischer Prägung treugebliebenen bzw. für eine Zusammenarbeit mit der KPLI bereiten Schriftsteller, die außerhalb der Gruppe der . schweigenden Schriftsteller'standen, organisatorisch zu sammeln. Es wurde ein Literarischer Rat'(Irodalmi Tamacs) und — wie bereits erwähnt — im Rahmen des neuen Täncsics--Kreises eine Literatur-Sektion geschaffen.

Der . Literarische Rat', der am 21. 4. 19 57 ins Leben gerufen wurde, erhielt die Aufgabe, der Regierung bzw.dem Kultusministerium als beratendes Organ in allen wichtigen Fragen des literarischen Lebens beizustehen.

Der . Literarische Rat'wurde aus folgenden Schriftstellern gebildet:

György Bölöni Jozsef Fodor Janos Földeak Gabor Goda Albert Gyergyay Bela Ilies Aurel Karpati Bela Köpeczi Kalman Sandor Jozsef Szauder und Gabor T o 1n a i György Bölöni, der seit dem Oktober-Aufstand unter den moskauhörigen prokommunistischen Schriftstellern eine führende Rolle spielt, ist der Prototyp eines Karrieristen. Als Sohn eines Universitätsprofessors, des Gründers des Ungarschen Nationaltheaters in Kolozsvar (Klausenburg) in Siebenbürgen, geboren, widmete er sich der literarischen Tätigkeit, wurde Schriftsteller und führte das Leben eines heruntergekommenen Gentrys. Seine Frau, eine Jüdin, war von 1927— 1945 die Sekretärin des französischen Schriftstellers Anatol France. Sie schilderte die Laufbahn Bölöni’s. B. war von 1927-1945 in Paris Zeitungsund Buchverkäufer, während seine Frau unter dem Pseudonym , Kemery Sändor'Aufsätze in linksliberalem Stil schrieb. Beide waren mit dem . Roten Grafen'Mihäly Käroly, der in Frankreich im Exil lebte, eng befreundet. Als B im Jahre 194 5 nach LIngarn zurückkehrte, schloß er sich dem radikalen Linksflügel der SDPLI an und kollaborierte mit den Kommunisten; er galt als . Kultur-experte'der KPLI für rumänische Fragen. Er wurde recht bald mit einem Diplomatenposten belohnt, cam am 5. 8 194S als Charge d’Affaires nach Holland. In Den Haag arbeitete er mit dem damaligen ungarischen Gesandten in Paris, Graf Mihäly Käroly, eng zusammen. Nach LIngarn zurückgekehrt, wurde er 1953 Direktor des Literarischen Fonds (. Irodalmi Alap ). In dieser Eigenschaft führte er im Oktober 1954 eine Kulturgruppe nach Rumänien. Von diesem Nebengleis gelangte er nach der Niederwerfung des Volksaufstandes wieder in den Vordergrund und stellte sich in den Dienst des Kädär-Regimes. ß e 1 a Ilies, Moskoviter, war schon während des Regimes Bela Kun’s als Kommunist und . Literat'tätig. Während des zweiten Weltkrieges war er politischer Kommissar in der . Roten Armee', kam 1944— 45 im Range eines Obersten nach Ungarn zurück und spielte bei der Bolschewisierung des ungarischen literarischen Lebens eine führende Rolle.

Gabor Tolna i, Kulturhistoriker, Dozent, Karrierist, von 1949 bis 195 3 Gesandter in Italien, spielte im Interesse der Bolschewisierung der ungarischen Institutionen in Italien eine große Rolle; nach 195 3 wurde er Universitätsprofessor und korrespondierendes Mitglied der LIngarischen Wissenschaftlichen Akademie

Am 10. 4. 1957 kehrte Prof. György Lukäcs nach Ungarn zurück und nahm seine Tätigkeit als Wissenschaftler und Universitätsprofessor wieder auf. Aber das geistige Leben in Ungarn stagnierte weiterhin vollständig. Nicht einmal György Lukacs, der als Literaturkritiker einen internationalen Namen hat, ließ sich zur Wiederaufnahme seiner Arbeit in den neuen literarischen Kreisen bewegen. Dem Regime Kädär ist es nicht gelungen, in die . rechtsgerichtete'Einheitsfront der Schriftsteller einzubrechen. Allen Anzeichen nach ist der . Literarische Rat'in eine völlig isolierte Lage geraten und nicht fähig, seine Aufgabe zu erfüllen. Die Zeitschrift . Leben und Literatur'(, Elet es Tärsadalom') gibt in ihrer Ausgabe vom 7. 6. 19 57 diesen Umstand offen zu. 6. Verschärfter Terror gegen Schriftsteller, Journalisten und Schauspieler Am 9. 5. 1957 erklärte der neue Parteichef und Ministerpräsident Jänos Kädär in seiner Parlamentsrede: „Was das kulturelle Leben des Landes betrifft, so ist es notwendig, dafl die Partei auch dort schnell wieder die führende Rolle übernitnutt.“

Es war wieder Staatsminister György Marosän, der in seiner Rede Anfang Juni 1957 in der Industriestadt Csepel die Schriftsteller und Journalisten scharf attackierte; er bezeichnete die ungarischen Schriftsteller und Journalisten als die Hauptschuldigen der Konterrevolution vom Oktober 1956.

Marosän führte wörtlich aus: „Wenn es den Imperialisten jemals gelingt, die Budapester Hocltburg der Arbeiter zu zerbrechen, dann wird das eine Katastrophe für die ganze Nation und für die Zukunft des Landes sein. Es ist eine infame Lüge, daß unsere Arbeiter gegen das Volksregime gekämpft hätten. In Wirklichkeit verlangten sie Waffen, um die Konterrevolution zu bekämpfen, doch erhielten sie diese nicht wegen des Verrats von Nagy und der Armee.“

Am 6. 4. 1957 wurden . Volksgerichtshöfe'und beim Obersten Gerichtshof . Volksräte'eingeführt, die mit der Bearbeitung der Appellationsgesuche beauftragt wurden. Dadurch erfuhren praktisch die Verfahren gegen . Konterrevolutionäre Elemente'— die vorher nur von Militärgerichtshöfen abgeurteilt wurden — eine weitere Ausdehnung.

Das Sondergericht hat die im April 1957 gegen die Schriftsteller Jozsef Gäli und Gyula Obersovszky gefällten LIrteile in Todesstrafe umgewandelt. Diese Terrormaßnahme löste Empörung und Proteste überall in der ganzen Welt — auch unter den Kommunisten — aus. Wohl unter dem Druck des Protestes der Weltöffentlichkeit hat der Oberste Gerichtshof die verhängten Todesurteile am 4. 7. 19 57 in lebenslängliche Haft bzw. eine solche von 15 Jahren umgewandelt.

Die Protestwelle — auffallenderweise die erste während der schon seit Monaten andauernden Terroraktionen des Kädär-Regimes — wurde vom Internationalen Pen-Club ausgelöst; ihm folgten die französischen Schriftsteller und Gelehrten (Mauriac, Sartre, Aragon, Ives Montand, Picasso, Jules Romains, Georges Duhamel, Albert Camus, usw.), die Engländer (Bertrand, Russel, Priestley, Julian Huxley, Spender) usw.

Das Regime versuchte, seine innere Schwäche mit Terror zu überdecken. Anfang Juni 19 57 begann auch die Verfolgung der Künstler und Schauspieler, die sich während des Volksaufstandes auf die Seite der Freiheitskämpfer gestellt hatten.

Nach Meldung der ungarischen Nachrichtenagentur MTI wurden 13 Schauspieler suspendiert (für 6— 12 Monate). Nach anderen Berichten befanden sich unter den verhafteten Persönlichkeiten — die der Verschwörung gegen das Regime angeklagt wurden — die Schauspielerin Agi Meszäros, der Regisseur Ivän Darvas und Professor Läsz'16 Kardos, sowie der Bühnenautor Läszlö Nemeth.

Die Schauspielerin A g i Meszäros, die schon vor 1945 mit einem kgl. -ung. Hauptmann Lajos Vojt verheiratet war, wurde am 30. 10. 1956 zum Vorsitzenden des Revolutionskomitees der Schauspieler gewählt. Sie ist Mitglied des berühmten LIngarischen Nationaltheaters.

Läszlo Nemeth, Dramaturg, Bühnenautor und ehern.

Direktor des Nationaltheaters, dessen patriotisches Stück Szchenyi'vom Programm des Macäch-Theaters in Budapest abgesetzt wurde.

Am 4. 8. 1957 verbreitete Radio Budapest einen Artikel des ungarischen Kultusministers Gyulo Källai (Campescu) in der Zeitung , Nepszabadsäg‘ (amtliches Organ der neuen KPLI).

Gyula Källai (Campescu), engster Mitarbeiter Kädär’s, wurde nach dem Oktoberaufstand zuerst Mitglied des Exekutiv-Ausschusses (Politbüro) der neuen KPLI und — nach Zusammenlegung der zwei Ressort-ministerien für Unterrichtswesen und Volkserziehung zu einem Kultusministerium — am 28. 2. 1957 Kultusminister. Als , Titoist'zusammen mit Kädär 1951 inhaftiert, kehrte er im Jahre 1955 in das öffentliche Leben zurück und war vom 20. 2. 1955 an Stellvertretender Volkserziehungsminster. Källai erklärte: Die Konterrevolutionäre hätten noch viele wichtige Stellungen in Literatur und Kunst inne und planten einen neuen Angriff auf diesem Gebiet. Die Regierung habe sich gezwungen gesehen, administrative Maßnahmen gegen Schriftsteller und Künstler zu ergreifen und würde auch in Zukunft noch Schritte gegen sie unternehmen müssen. Die Regierung plane einen Gegenangriff auf kulturellem Gebiet. Es gebe eine konterrevolutionäre Gruppe von Intellektuellen, die besonders gefährlich sei, weil sie die bürgerliche Restauration anstrebe. Gegen diese Gruppe werde die volle Strenge des revolutionären Gesetzes angewandt. Er führte weiter aus: die anderen Intellektuellen, die von der bürgerlichen Gruppe irregeführt worden seien, müßten sich . säuberlich von dieser bürgerlichen Gruppe scheiden'. Die Regierung könne sich nur auf eine kleine Zahl von kommunistischen Intellektuellen verlassen. Künftig würden Literatur und Kunst im wesentlichen von Regierung und Partei geleitet werden. Schriftsteller und Künstler müßten auf ihre ideologische und politische Erziehung hin sorgfältig durchleuchtet werden. Der sozialistische Realismus habe wichtige Aufgaben zu erfüllen und müsse sich deshalb auf Unterstützung der loyalen Intellektuellen verlassen können.

Die Worte Källai’s sind als Drohungen zu betrachten. So wie der Staatsminister György Morosän mit seinen Brandreden gegen alle Volks-und Berufsgruppen Front machte, ließ jetzt der zuständige Kultusminister seine Stimme hören. Der herannahende Jahrestag der Oktoberrevolution, der 22. 10. 1957, warf seinen Schatten voraus. Das Kdr-Regime ließ seine Angst — wie es schon im März 1957 bei der angekündigten , MLIK-Bewegung‘ zu bemerken war — erkennen, es befürchtete ein Wiederaufleben des Geistes vom Oktober 1956.

Die Reorganisation des Kulturlebens Ungarns sollen neben dem am 24. 4. 1957 errichteten . Literarischen Rat'der Rat für Angelegenheiten der Kunst', der der Hauptverwaltung für bildende Künste im Kultusministerium beigeordnet ist, der am 4. 7. 19 57 geschaffene , Rat für Tonkunst'der der Hauptverwaltung für Musik im Kultusministerium beigeordnet ist, fördern.

Dem , Rat für Angelegenheiten der Kunst'gehören folgende kommunistisch gesinnte Künstler an:

Bertalan Poor, B o r t n y i k , Aladär Dobrovits, Sandor Ek, GäborPogäny, E I e k t y , Domanovszky, Agamemmnon Maklisz, Maklisz ist Regierungskommissar beim Landesverband der bildenden Künste und Kunstgewerbler.

Leiter der Hauptabteilung für bildende Künste im Kultusministerium ist die Kommunistin Nora Aradi. Präsident des , Rates für Tonkunst“ wurde der international bekannte Komponist und Nestor des ungarischen Musiklebens, der 80jährige Zoltan K o d ä 1 y. Er ist als Gegner des Regimes bekannt, wird jedoch aus Prestigegründen immer wieder in den Vordergrund geschoben.

Der Leiter der Hauptverwaltung für Musik im Kultusministerium ist Arpad F a r s a n g , ein moskauhöriger Kommunist.

Kädär, der Chef des neuen Regimes, kennzeichnete die allgemeine Lage am 30. 6. 1957 in seiner Rede, die er auf dem Landeskongreß der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (KPU) hielt, wie folgt: „Das Ziel ist, die neue nationale Einheit auf der Basis des Sozialismus zu sdtaffen; das ist aber eine Aufgabe auf Jahre hinaus. Wir haben schon in diesem Jahr manchen Erfolg gehabt; aber um die absolute Mehrheit des Volkes, wie auch die überwiegende Mehrheit der Schriftsteller auf der Basis des Sozialismus zu erreichen, müssen wir entschlossen und ernsthaft lange und viel arbeiten. Kluge Methoden und kluge Taktik sind notwendig; das bedeutet, daß die Schuldigen bestraft, den Irregeführten geholfen, die nach , rechts’ oder nach , links’ Sdtwankenden mit Argumenten überzeugt und diejenigen, die fest entschlossen auf unserer Seite stehen, gestärkt und gestützt werden müssen.“ 7. Annäherungsversuche Kädärs Lim die Schriftsteller auf die Seite des neuen Regimes zu bringen, hat die neue Parteiführung eine doppelte Taktik angewandt. Während die Schriftsteller mit massierten Drohungen und Terrormaßnahmen überschüttet wurden, machten sich im Hintergrund Annäherungsversuche bemerkbar, die sogar mit Zugeständnissen verbunden waren.

Die Zeitschrift der Schriftsteller-Kollaboranten stalinischer Prägung der Literatur-Sektion des . Täncsics-Kreises“ , Elet es Irodalom'(. Leben und Literatur’) schrieb in ihrem Leitartikel vom 7. 6. 1957 „ . . . ohne Gewinnung der Sdtriftsteller ist eine Kulturpolitik nidit zu verwirklidten“. Diese Taktik zeichnete sich vorerst auf dem Gebiet der Verteilung von Hilfsmitteln aus dem . Literarischen Fond“ (. Irodalmi Alap“) ab, der seit 1953 von György Bölöni, als Direktor des Fonds verwaltet wird. Als . Lockung wurden an diejenigen, die das Konzept des neuen Regimes auch ideologisch befolgen bzw. respektieren würden, größere . Vorschüsse verteilt. bei der Verteilung des . Kossuth-Preises* und des literarischen , J 6zsef Attila-Preises“ 1957 wurden bei den Entscheidungen der Preisrichter Annäherungsbestrebungen sichtbar.

Das neue Regime versuchte, neben Drohungen auch mit Lockungen und Versprechungen mindestens einen Teil der Literaten für sich zu gewinnen. Es wurde versucht, insbesondere diejenigen Schriftsteller zurückzugewinnen, die in den früheren Jahren, während der Zeit des Ra-kosi-Regimes, den linken Parteiflügel der KPU/MDP eifrig unterstützt haben, die sogenannten Volksschriftsteller. Zu diesem Zwecke sollte zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten ein ehrlicher Meinungsaustausch stattfinden. , Wir dürfen nicht ungeduldig werden und sollten von den Schriftstellern nid'it Abseitsstehen von der Politik verlangen, nachdem wir ihnen vor kurzem noch vorgeworfen haben, sie hätten sich intensiv in die Politik eingemisdit’, schrieb die neue Zeitung . Leben und Literatur“, das Organ der regimetreuen Literaten.

Im August 1957 wurde wiederholt versucht, eine für das moskau-hörige Regime tragbare Lösung durch einen — auf höherer Ebene geführten — Meinungsaustausch zu erreichen. Dieser Schritt wurde wiederum durch einen Leitartikel und zwar von György Bölöni in der regime-treuen literarischen Wochenzeitung . Leben und Literatur“ Anfang August 1957 eingeleitet.

All dies geschah zu einem Zeitpunkt, als der Generalsekretär des Internationalen PEN-Clubs, David Carver, sich in einer Botschaft an György Bölöni — den neuen Präsidenten des ungarischen PEN-Clubs, wandte, und sich nach dem Befinden dreier ungarischer Schriftsteller — Tibor Dery, Istvän Bibo und Lszl Kardos — erkundigte. Bölöni gab zur Antwort: „Ihr Gesundheitszustand ist gut. Ihr Los gibt zu keinen Befürchtungen Anlaß.“

I s t v ä n B i b 6 , ein Soziologe, ehern. Universitätsprofessor, war als führendes Mitglied der Nationalen Bauernpartei (, Petöfi-Partei“) während des Volksaufstandes aktiv tätig und wurde Minister in der Allparteiregierung Imre Nagy’s vom 2. 11. 1956. Er blieb auf seinem Posten, auch als die Sowjettruppen am 4. 11. 1956 das Parlamentsgebäude wieder besetzten. Er wurde im Frühjahr 19 57 verhaftet.

Nach einer Meldung von Radio Budapest fand am 16. 8 1957 unter dem Vorsitz des amtierenden Stellv. Ministerpräsidenten Antal Aprö (Anhänger Räkosi’s) eine . zwanglose Aussprache“ zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten statt, an der angeblich über 100 Vertreter der Intelligenz, der Schauspieler, Künstler und der . ehemaligen demokratischen Parteien“ teilgenommen haben. Allerdings waren nur die . pensionierten“ Staatsoberhäupter der Nachkriegszeit, Dr. Zoltan Tildy und Arpad Szakasics, eingeladen, die kurz vor dem Oktoberaufstand Anfang 1956 aus der Internierung bzw. Zwangsaufenhalt entlassen worden waren. Ausgang und Ergebnisse wurden nicht bekannt.

Die Maßnahmen des neuen kommunistischen Regimes deuten auf eine Restauration der Verhältnisse hin, wie sie vor dem Oktoberaufstand und in der Zeit der stalinistischen Periode herrschten. Die Wiederbelebung der . Patriotischen Volksfront“ — die während der Zeit der Regierung des . neuen Kurses“ Imre Nagy ins Leben gerufen wurde, jedoch seit Ende 195 5 praktisch nicht mehr existierte — bedarf aber der aktiven Mitarbeit einer Anzahl von . parteilosen“ Persönlichkeit, und bedingt auch der Intelligenz, der Schriftsteller, um wenigstens einen Teil der feindlich gesinnten Mehrheit des ungarischen Volkes für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Diese Bemühungen sollen aber auch dazu dienen, um außerhalb des Landes den Anschein zu erwecken, als ob diese Form das von den Kommunisten abgelehnte Mehrparteiensystem ersetzen könnte. All dies zu einem Zeitpunkt, als der Bericht des Ungarnausschusses der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde. Um den Argumenten der Vereinten Nationen auch propagandistisch wirksam entgegenzutreten, benötigte man die aktive positive Unterstützung der Schriftsteller, die bei der ideologischen Gestaltung des Entstalinisie-rungsprozesses und des Programms des Volksaufstandes führend beteiligt waren.

Stagnation des Kulturlebens 8.

Das neue kommunistische Regime drängt aus zweierlei Gründen zu einer solchen Lösung. Einerseits könnte es dadurch aus seiner Isolierung herauskommen, andererseits wäre es möglich, die akute Krise innerhalb der KPU, insbesondere der Parteiführung, zu mildern.

Die Kundgebungen anläßlich des 20. August, dem , Tag der Verfassung“ lassen manche mildere Töne erkennen — die neuen Machthaber in Budapest sind bestrebt, die Oktoberereignisse des Jahres 1956 , ad acta“ zu legen.

Auch gegenwärtig lassen sich keine Anzeichen dafür erkennen, daß das Kädär-Münnich-Regime durch die Neubelebung der . Patriotischen Volksfront“ die Mitarbeit der schweigenden Schriftsteller gewinnen konnte. Die . Verschwörung des Schweigens“, — die auch in der Sowjetunion der Partei immer mehr Kummer macht — konnte in Ungarn weder durch Einschüchterung, noch durch Lockungen gebrochen werden. Nicht umsonst klagt ein linientreuer — aber ziemlich unbedeutender — Schriftsteller, Mihäly Ladänyi, in einem Gedicht, das zum , Tag der Verfassung“

(20. August, früher Hl. Stefans-Tag) im Parteiorgan Nenzsabadad-

säg (. Volksfreiheit') erschien: , Ihr sdtweigt noch immer, ihr flammenfressenden Burschen, Ihr entartete Magier und gesprungene Glodten der Träumereien. Den verwelkten Kranz auf Euren Häupten Streichelt nur ein schimmliges Vergessen . . .“

Fussnoten

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