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China und Sowjetrußland | APuZ 40/1958 | bpb.de

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APuZ 40/1958 China und Sowjetrußland

China und Sowjetrußland

HENRY WEI

Wir geben heute einem chinesischen Gelehrten zum Verhältnis China-Sowjetunion das Wort. Seine Meinung weicht naturgemäß in manchen Fragen von deutschen Auffassungen ab. — Der Abdrude erfolgt mit freundlicher Genehmigung der D. Van Nostrand Company, Inc. Princeton, New Jersey.

I. Der Beginn des sowjetischen Einflusses in China 1. Das revolutionäre China und Rußland

Das monarchistische China und Rußland (mit einer gemeinsamen Grenze von über 4 000 Meilen) haben zahlreiche diplomatische Duelle ausgefochten, die aber merkwürdigerweise oft von brüderlichen Umarmungen abgelöst wurden. Im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurden die seit alters her bestehenden Monarchien in beiden Ländern durch Revolutionen gestürzt und an ihrer Stelle Republiken gebildet. Diese Republiken wurden in der ersten Gründungsjahren von fremden Ländern unter Drude gesetzt und daher gezwungen, sich anti-imperialistisch auszurichten. Im gleichen Zeitraum wurden beide Republiken von bürgerlichen Konflikten heimgesucht, in einen Strudel sich widersprechender wirtschaftlicher und kultureller Tendenzen hineingezogen und von dem Wunsche beherrscht, einen Weg aus der verwirrenden Unordnung zu finden, der das Volk von seiner traditionellen Knechtschaft befreite und eine neue Gesellschaft gründete. Nach dem Sturz der Monarchie wurden in beiden Ländern revolutionäre Änderungen eingeführt. Neue Probleme entstanden, und eine neue Ära der chinesisch-russischen Beziehungen wurde Hals über Kopf eingeleitet, die die beiden jungen Republiken stärker zusammendrängte.

Durch ihre Mißerfolge im Krieg gegen Japan im Jahre 1895 hatte die Mandschu-Dynastie in den Augen des chinesischen Volkes erheblich an Prestige eingebüßt. Durch ihre territorialen Konzessionen an die Mächte im Jahre 1898, die entwürdigende Beilegung des Boxeraufstandes im Jahre 1901 und die nachlässige Annahme der Neutralität während des russisch-japanischen Krieges 1904/05 geriet die Mandschu-Dynastie weiterhin in Mißkredit und machte sich verhaßt. Der chinesische Nationalismus dagegen dehnte sich rapide aus. Sein eifrigster Verfechter war Dr. Sun Yat-sen, der durch die Kraft seiner Rede und durch seine dynamische Persönlichkeit überzeugte.

Schon 1895 hatte Dr. Sun einen revolutionären Geheimbund ins Leben gerufen, mit dem er die erste Revolte in Kanton inszenierte. Die Revolte schlug fehl, und er mußte China fluchtartig verlassen, um nicht festgenommen zu werden. Als geborener Führer und Redner sammelte er sehr bald eine große Zahl von Schülern und Anhängern um sich. 1911 waren Dr. Suns Agenten in den strategisch wichtigen Zonen Chinas stationiert, wo sie ihre revolutionäre Tätigkeit ausübten.

Am 9. Oktober explodierte im Hauptquartier der Widerstandskämpfer in Wuchang eine Bombe. Die Revolutionäre verhielten sich weder passiv, noch warteten sie auf ihre Festnahme oder Bestrafung. Sie brachen in eine offene Revolte aus und nahmen im Handstreich die Städte Hankau, Wuchang und Hainan. Eine große Stadt und Provinz nach der anderen widersetzte sich der Mandschu-Dynastie, und nach knapp einem Monat befanden sich alle Provinzen südlich des Jangtse-Flusses in der Hand der Revolutionäre.

Daraufhin beauftragte das Mandschu-Gericht in aller Eile Yüan Schihk'ai, einen aus dem Dienst entlassenen chinesischen General, mit der Leitung eines Feldzuges gegen die Revolutionäre. Yüan mußte jedoch sehr bald erkennen, daß jede Gewaltanwendung fruchtlos sein würde, da die Revolutionäre sich der Sympathie der öffentlichen Meinung erfreuten, die dem Mandschu-Regime feindlich gesinnt war. Es wurden Verhandlungen zwischen den Führern der Revolution und Yüan Schi-k‘ai, der die Mandschus vertrat, eingeleitet. Die Revolutionäre erklärten, daß es ihr Ziel sei, die Monarchie zu stürzen. Die republikanischen Vertreter von 16 Provinzen wählten bald danach Dr. Sun Yat-sen, der gerade aus der Emigration zurückgekehrt war, zum ersten Präsidenten der Republik China. Dr. Sun trat später von diesem Amt zurück, und als sein Nachfolger wurde Yüan Schi-k’ai gewählt.

Die junge Republik wurde jedoch von ausländischen Imperialisten, insbesondere von den zaristischen Russen und Japanern, bedroht, deren Eroberungspläne sich hauptsächlich gegen die Mandschurei richteten. Der russische Einfluß in der Mandschurei war vor dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges unumschränkt groß. Das Hauptinstrument der russischen Politik war die Ostchinesische Eisenbahn mit ihrer südlichen Zweigstelle von Harbin und Dairen.

Nach dem russisch-japanischen Krieg, den Rußland verloren hatte, mußten Port Arthur und Dairen an die Japaner abgetreten werden, ebenso ein Teil der südlichen Linie der Ostchinesischen Eisenbahn, die Strecke Tschangchun-Dairen. Grob gesprochen, symbolisierte die Teilung der Eisenbahnlinie die Teilung der Mandschurei in zwei Einflußsphären: das nördliche Gebiet für Rußland, das südliche für Japan. Nach dem Ver-lust seines Einflusses und seiner Interessen in der Mandschurei suchte Rußland einen Ausgleich in den anderen, außen gelegenen Provinzen Chinas, namentlich in Sinkiang und der Mongolei, zu finden. Drei Wochen nach Ausbruch der chinesischen Revolution in Wu-chang erklärten die Mongolenprinzen in der Äußeren Mongolei ihre Unabhängigkeit und wählten den Kutukhtu, den höchsten Lama-Priester, zu ihrem Groß-Khan. Rußland übte daraufhin Druck auf das schwankende Mandschu-Regime aus und stellte eine Anzahl von Bedingungen, einschließlich der Anerkennung der Unabhängigkeit der Äußeren Mongolei, und forderte die Zusage, daß das Mandschu-Regime den Status quo in der Mongolei nicht ohne vorherige Konsultation mit Rußland ändere Das Mandschu-Regime verwarf diese Forderungen, doch Rußland bestand auf ihre Einhaltung und zwang sie später dem Präsidenten Yüan auf. Dieser war jedoch mit innenpolitischen Problemen beschäftigt und schenkte ihnen keinerlei Beachtung Am 26. April 1912 gab der russische Außenminister Sasanow in der Duma bekannt, daß Rußland von jetzt an darauf dringen würde, daß China die Kolonisierung der Äußeren Mongolei einstellen, dort keine Truppen stationieren und sich nicht in die Angelegenheiten dieser Regierung einmischen werde In einem direkten Schriftwechsel mit dem Kutukhtu forderte Präsident Yüan, die Unabhängigkeitserklärung für ungültig zu erklären. Der Kutukhtu weigerte sich jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen, und INHALT In dieser Ausgabe: I. Der Beginn des sowjetischen Einflusses in China 1. Das revolutionäre China und Rußland 2. Sowjetische Versuche, Beziehungen anzuknüpfen 3. Zusammenarbeit mit Rußland II. Chinas und Rußlands Ringen um die Vormachtstellung 1. Der Niedergang sowjetischen Einflusses in China 2. China und Rußland am Rande des Krieges 3. Chinas und Rußlands Friedensstreben Der Sian-Zwischenfall III. China und Rußland im Zweiten Weltkrieg 1. Russische Unterstützung Chinas gegen Japan 2. Russisches Übereinkommen mit Japan * In der nächsten Ausgabe: IV. Revolution in China 1. Bündnis und Entfremdung seit Weltkriegsende 2. Chinas Bürgerkrieg und der sowjetisch-amerikanische Kalte Krieg 3. Sowjetische Diplomatie am Vorabend der Niederlage Nationalchinas V. Chinas Anklage der UdSSR vor den Vereinten Nationen VI. Sowjetrußland und die Chinesische Volksrepublik 1. Die neuen sowjetisch-chinesischen Verträge u. Abkommen 2. Die chinesisch-sowjetische Freundschaft u. Zusammenarbeit schlug stattdessen eine Vermittlung durch die Russen vor. Die Verhandlungen mit den Russen wurden eingeleitet, China gewährte der Äußeren Mongolei die Autonomie und teilte die Oberherrschaft praktisch mit Rußland 4).

Am 28. Juli 1914 brach der Erste Weltkrieg in Europa aus. Japan griff die deutschen Interessen in der chinesischen Provinz Schantung an und verletzte damit gleichzeitig die chinesische Souveränität und Neutralität. Im Januar 1915 richtete Japan die wohlbekannten 21 Forderungen an China, die darauf abzielten, China zu einem Protektorat Japans zu degradieren. Die Vereinigten Staaten protestierten gegen diese Forderungen mit dem Hinweis auf die „Offene Tür". Doch Japan modifizierte seine Forderungen nur gering und zwang China durch ein Ultimatum, sie zu akzeptieren. Diese Forderungen garantierten Japan besondere Rechte und Privilegien in der südlichen Mandschurei und der östlichen Inneren Mongolei

Die chinesische Republik war unter schwerem ausländischen Druck und feindlich gesinnten Kräften geboren worden. Dieser Druck von außen wurde in den folgenden Jahren unvermindert ausgeübt. Nur vor dieser Kulisse des Imperialismus war es möglich, daß die neugeborene Sowjetregierung später ihre Propaganda-Kampagne in China erfolgreich durchführen konnte. Dabei spielte sie mit nationalen Gefühlen und Empfindungen und nährte den Unwillen der Chinesen gegen die Westmächte.

Das russische Volk, das jahrhundertelang unterdrückt und in das Joch einer despotischen Tyrannei eingespannt war, war zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits zu jeder direkten Aktion gegen den Zarismus bereit. Schon 1914 hatte die Lage einen äußerst kritischen Punkt erreicht

Doch der Erste Weltkrieg lenkte die Aufmerksamkeit des russischen Volkes auf außenpolitische Entwicklungen. Das sollte jedoch nicht lange dauern. Die Korruption und Unfähigkeit der Zaristen wurde durch militärische Rückschläge betont. Dadurch erhielt der Gedanke einer möglichen Revolution neuen Auftrieb. Die Armee war in der Auflösung begriffen. Im Hintergrund lauerten weitverbreitet Unzufriedenheit und Unruhe. Da brach die Revolution schließlich aus. Vom Zar entsandte Garnisonstruppen und die Armee, die den Aufstand unterdrücken sollten, machten kehrt und unterstützten die Sache des Volkes.

Am 13. März 1917 übernahm ein Exekutiv-Komitee, das sich vornehmlich aus Mitgliedern der Oktoberrevolte und der verfassungsmäßigen demokratischen Parteien zusammensetzte, die unumschränkte Herr-

schaft; dieses Komitee wurde fortan als die „vorläufige Regierung" bezeichnet.

Sie gab bekannt, daß sie alle finanziellen und rechtlichen Verpflichtungen aus Verträgen des früheren monarchistischen Regimes gegenüber anderen Ländern respektieren werde. Ferner proklamierte sie als ihre Ziele die Errichtung einer verfassungsmäßigen Regierung, die Fortführung des Krieges gegen die Zentralmächte und den Schutz des privaten Eigentums. Das Volk erwartete von dieser Regierung, daß sie Wunder vollbringe und es aus seiner Misere befreie. Der Regierung gelang es jedoch nicht, die Erwartungen des Volkes zu erfüllen. Die Parteien kritisierten die Regierung jetzt heftig, sie prangerten den Imperialismus öffentlich an und forderten einen allgemeinen Friedensvertrag.

Inmitten dieses politischen Tohuwabohus kehrte Lenin aus Europa zurück. Sein dynamischer Geist stärkte sofort die bisher kraftlosen und unorganisierten Bolschewiken. Er entwarf ein Programm, das folgende Punkte umfaßte: 1. sofortige Verhandlungen über einen allgemeinen Frieden; 2. die Konfiszierung von Großgrundbesitz ohne Ausgleich und ohne Verzögerung: 3. Lenkung und Kontrolle von Fabriken durch Arbeiter; 4. nationale Kontrolle der Produktion und ihrer Verteilung, und 5. Regierung durch sowjetische Arbeiter, Bauern und Soldaten Dieses machtvolle politische Parteiprogramm bewegte die Instinkte der Massen und entzündete in ihnen neue Hoffnung und neuen Ehrgeiz.

Die Regierung, die durch die steigende Krise offensichtlich zur Verzweiflung getrieben wurde, trat zurück und wurde später auf nicht-parteilicher Basis reorganisiert. An ihrer Spitze stand Kerenski. Kerenski unternahm sofort drastische Schritte gegen die Bolschewiken und befahl die Verhaftung Lenins und Trotzkis. Die Moral der Armee sank tief, und eine neue Welle der Anarchie überschwemmte das Land Mit einem schnellen Auge für die Symptome der allgemeinen Unsicherheit und der Auflösung begannen die Bolschewiken ihren gut vorbereiteten Coup d’Etat Umgehend teilten sie über den Rundfunk der Welt mit, daß die „provisorische Regierung“ tot sei. Noch am späten Abend des gleichen Tages billigte der „Gesamtrussische Kongreß der Sowjets“ die Bildung einer neuen Regierung unter dem Namen „Sowjet der Volkskommissare“, in der Lenin den Vorsitz hatte und Trotzki Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten wurde. Die Bolschewiken, leidenschaftlich um Erfolg bemüht, lösten unverzüglich ihr Versprechen ein und beriefen eine Konstitutierende Versammlung. Alle Wahlen dieser Versammlung wurden direkt, geheim, gleichberechtigt und das allgemeine Stimmrecht nicht verletzend durchgeführt. Die Bolschewiken mußten jedoch erkennen, daß sich nur die kleine Minderheit bei der Stimmabgabe für sie entschieden hatte. Am 18. Januar 1918 hielt die Verfassunggebende Versammlung ihre erste Beratung in Petrograd ab. Am folgenden Tag lösten die Bolschewiken diese Versammlung auf, kontrollierten die Regierung und übten unumschränkt die Macht aus, die sie an sich gerissen hatten. Doch mußten sie bald feststellen, daß ihr Programm keine Aussicht auf Erfolg hatte, und daß sie genauso unvermögend und unfähig waren, die Verhältnisse in der Heimat und an der Front zu verbessern, wie ihre Vorgänger und politischen Rivalen.

Das bolschewistische Programm in seiner innen-und außenpolitischen Bedeutung trug in den Augen der Alliierten das Stigma des Abscheulichen. Die Abschaffung des privaten Eigentums durch die Bolschewiken war eine ernste Bedrohung des kapitalistischen Systems. Diese Bedrohung vergrößerte sich, als die Bolschewiken die Weltrevolution und die Diktatur des Proletariats ausriefen. Mehr noch: die Bolschewiken weigerten sich, die früheren russischen Staatsschulden anzuerkennen; sie wurden dadurch den Westmächten gegenüber — vornehmlich Frankreich — rechtsbrüchig.

Der größte Schlag, den die Bolschewiken den Alliierten versetzten, war jedoch der Eifer, mit dem die Sowjetregierung nach einem Frieden mit den Zentralmächten strebte. Die Bolschewiken erkannten bald, daß die von diesen Mächten vorgeschlagenen Bedingungen astronomisch weit von der Terminologie „keine Entschädigung, keine Gebietsabtretungen“ entfernt waren. Aber die Bolschewiken hatten schwerlich eine andere Alternative.

Abgesehen von der Verletzung des Vertrags der Alliierten vom 5. September 1914 gegen einen Separatfrieden mit Deutschland, schadete dieser Friedensvertrag erheblich den Interessen und politischen Absichten der Verbündeten. Durch den russischen Separatfrieden mit Deutschland wurden nicht nur zusätzliche Bataillone für die Westfront frei, sondern den Deutschen standen dadurch große Mengen der dringend benötigten Lebensmittel und anderer Materialien zur Verfügung, die den Krieg verlängerten. Die Alliierten — vornehmlich Frankreich und Großbritannien — beschlossen als Gegenmaßnahme, die Ostfront wiederherzustellen und das bolschewistische Regime zu vernichten Sowjetrußland wurde von bewaffneten Streitkräften angegriffen und von der See her blockiert. Die Streitkräfte der Interventionisten und der Konterrevolutionäre starteten ihre Offensive am 18. Mai 1918 an allen Fronten mit Ziel auf Moskau.

2. Sowjetische Versuche, Beziehungen anzuknüpfen

Es war in der dunkelsten Stunde seiner Existenz, als Sowjetrußland — isoliert, eingekreist, boykottiert und von den westlichen Mächten und Japan angegriffen — seine „hilfreiche Hand" über Sibirien nach China ausstreckte, um es an seine Brust zu nehmen. Dieses Anerbieten machte Leo Karachan am 26. Juli in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten in einer Erklärung, die an „das chinesische Volk und die Regierungen von Nord-und Süd-china“ gerichtet war. Ein Auszug aus dieser Erklärung hat folgenden Wortlaut:

„Die Regierung der Arbeiter und Bauern hat dann (seit Oktober 1917) alle Geheintverträge, die mit Japan, China und den ehemaligen Alliierten abgeschlossen wurden, für null und nichtig erklärt, da sie der russischen Zarenregierung und ihren Alliierten eine Versklavung der Völker des Ostens ermöglidtt hatten. Die sowjetische Regierung gibt dem chinesischen Volk ohne jegliche Gegenleistung die Ost-chinesisclte Eisenbahn sowohl als auch die Abbau-und Schürfrechte für den Bergbau, die Goldminen, die Forsten und alle weiteren Objekte, die ihm durdt die Zarenregierung entzogen wurden, zurück . . . Das diinesische Volk sollte verstehen, daß es keinen anderen Verbündeten hat als die russischen Bauern und Arbeiter und deren Armee.“

Diese Erklärung erreichte China am 26. März 1920; sie rief beim chinesischen Volk, das zu dieser Zeit unter dem Versailler Vertrag litt, große Begeisterung hervor. Die chinesische Regierung konnte ein solch liberales und großzügiges Angebot von den Sowjets nicht zurückweisen;

auf der anderen Seite ließ sie sich jedoch nicht zu einer überstürzten Handlung hinreißen. Ein Grund dafür war, daß Peking bereits seit März 1920 wieder eine wirksame Kontrolle über die Äußere Mongolei und die Ostchinesische Eisenbahn ausübte. Nach der bolschewistischen Revolution in Rußland herrschte in der Mongolei eine heillose Unordnung.

Um ihre souveränen Rechte zu behaupten, entsandte China eine Armee in die Äußere Mongolei und überredete im Spätherbst 1919 den Kutukhtu, in die Republik zurückzukehren.

Die Ostchinesische Eisenbahn wurde jetzt ganz unter chinesischen Schutz genommen, nachdem sie schon zu einem früheren Zeitpunkt von den Chinesen teilweise kontrolliert worden war. Diese Eisenbahn war am 12. Dezember 1917 in die Hände bolschewistischer Agenten gefallen, die sich Arbeiter-und Bauemräte nannten. Der Militärgouverneur der Provinz Kirin forderte sie in einem Ultimatum auf, die Kontrolle über die Eisenbahn aufzugeben. Die Truppen leisteten dem Ultimatum Folge, sie ergaben sich, wurden entwaffnet und nach Sibirien deportiert. China erhielt seine Eisenbahnrechte zurück, die sich die Russen seit dem Boxeraufstand im Jahre 1900 widerrechtlich angeeignet hatten.

Die Regierung in Peking war von der Karachan-Erklärung nicht beeindruckt. Sie konnte die Zeit abwarten, begrüßte jedoch die Gelegenheit, freundschaftliche Beziehungen mit den Russen aufzunehmen. In der Zwischenzeit wurden in Rußland gegen Ende des Jahres 1919 die Interventionstruppen zurückgezogen oder vernichtet. In den Jahren, die der Depesche der Karachan-Erklärung folgten, verbesserte sich für Sowjetrußland die Lage. Als es im Sommer 1920 Schritte für eine chinesisch-sowjetische Annäherung unternahm, hatte Sowjetrußland sich von fremdem militärischem Druck befreit. Seine Regierung hatte mehr Vertrauen in die eigene Stabilität, und seine Außenpolitik wurde verständlicherweise entschlossener und weniger konziliant als es in der Karachan-Erklärung zum Ausdruck kam.

Unter der Führung von Ignatius Jorin kam gegen Ende 1920 eine russische Delegation nach China. Jorin behauptete, der Vertreter einer „Fernöstlichen Republik“, einem von den Sowjets geförderten Puffer-staat, zu sein. Tatsächlich aber war er ein direkt von Mokau entsandter Emissionär. Zwar gab er vor, daß es seine Aufgabe sei, die Handelsbeziehungen zu verbessern, in Wirklichkeit aber plädierte er für die Abschaffung ungleicher Verträge und setzte sich für neue, „das Gleichheitsprinzip nicht außer acht lassende Verträge“ ein.

Am 30. November schlug Jorin ein Handelsabkommen zwischen China und der „Fernöstlichen Republik“ vor. Diesen ungenau formulierten und nichtssagenden Vorschlägen entgegnete das „Waichiaopu (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten) mit exakt formulierten Forderungen. So zum Beispiel, daß Rußland sich künftig jeder Propaganda auf chinesischem Hoheitsgebiet enthalten solle, daß den chinesischen Bewohnern Sibiriens für ihre Verluste, die sie in den wirren Jahren der Revolution erlitten hatten, ein Ausgleich gezahlt werden sollte, etc. Auf diese Vorschläge hin wurde zunächst ein Bericht aus-gearbeitet. Ende Juli war die Pekinger Regierung jedoch auf Grund der veränderten Lage nicht länger an weiteren Verhandlungen über ein etwaiges Abkommen interessiert.

Diese Haltung der Regierung in Peking war wahrscheinlich auf zwei nicht vorherzusehende Entwicklungen zurückzuführen: die Bildung einer revolutionären Partei in der Mongolei und die Aussicht auf eine Konferenz in Washington.

In der Äußeren Mongolei hatten sich die Ereignisse überstürzt. Die Sowjets führten in der Mongolei eine Hetzkampagne durch und bildeten eine Revolutionspartei und -armee in der Mongolei. „Ich habe 1921 mit eigenen Augen gesehen, wie Abteilungen der Roten Armee als Mongolen verkleidet in die Mongolei verlegt wurden, um ihren Teil eines . rebellierenden mongolischen Proletariats' zu spielen und eine . unabhängige mongolische Volksrepublik' zu bilden“ Kurz danach bat das neue Regime die Sowjetregierung, ihre Truppen nicht aus der Mongolei abzuziehen. Folglich hielt Peking die Zeit, ein Abkommen mit der Sowjetunion oder ihrem Protege, der „Fernöstlichen Republik“, zu schließen, für äußerst ungnüstig.

Ein weiterer Grund für den Mißerfolg der Jorin-Delegation war schließlich die geplante Konferenz in Washington. Zu dieser Zeit hatte China zahlreiche diplomatische Probleme zu lösen, die mehr Aufmerksamkeit erforderten als die Beziehungen Chinas zu Rußland. Auf dieser Konferenz hoffte China mit amerikanischer Unterstützung auf eine zufriedenstellende Lösung seiner Probleme. Da die Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber Rußland alles andere als freundlich war, hielt China es nicht für wünschenswert, sich mit den Sowjets zu verbrüdern Moskau befürchtete als bedrohliches Resultat dieser Konferenz, daß China sich stark an die Westmächte anlehnen könnte. Es wollte daher unbedingt zu einer Verständigung mit China kommen. Unter der Leitung von Adolph Joffe, einem der ranghöchsten und fähigsten Diplomaten, entsandte die Sowjetregierung erneut eine Delegation nach China. Sie war beauftragt, alle noch ausstehenden Fragen mit Peking, einschließlich der Frage der Mongolei und der Ostchinesischen Eisenbahn, zu klären. Der damalige chinesische Außenminister, Dr. Wellington Ko, machte jedoch den Beginn der Verhandlungen davon abhängig, daß die sowjetischen Truppen aus der Mongolei zurückgezogen würden.

Als Antwort darauf richtete Joffe eine Note an das „Waichiaopu , in der er feststellte, daß der Rückzug der sowjetischen Truppen nur dem Interesse der Feinde Chinas, Rußlands und der Mongolei dienen würde, und daß die „Weiße Garde“, die das chinesische Festland als Stützpunkt benütze, jederzeit in der Lage wäre, die Mongolei anzugreifen. Danach richtete der sowjetische Gesandte eine weitere Note an das „Waichiaopu“, in der offen dargelegt wurde, daß die Sowjetunion zwar die Erklärungen von 1919 und 1920 immer noch als Grundlage ihrer Politik betrachte, jedoch die Forderung, daß sie dabei auf alle Interessen in China verzichte, nicht anerkenne

Dr. Ko wies zunächst darauf hin, daß China den Frieden wünsche und weder Weiße noch Rote unterstütze. Schließlich forderte er die russische Regierung auf, alle Rechte und Interessen an der Ostchinesischen Eisenbahn ohne Gegenleistung an China zurückzugeben. Zur Unterstützung seiner Forderung bezog er sich auf den folgenden Satz aus der Karaschan-Erklärung von 1919: „Die Sowjetregierung gibt dem chinesischen Volk die Ostd'iinesische Eisenbahn ohne Gegenleistung oder Forderung zurück“ 16).

Der sowjetische Gesandte behauptete, daß dieser Satz über die Ostchinesische Eisenbahn, wie er von Dr. Ko wiedergegeben worden war, nicht in der Erklärung von 1919 enthalten sei. Da die Sowjetregierung nicht bereit war, die äußere Mongolei zu evakuieren und der sowjetische Gesandte offensichtlich gezwungen war, die Karachan-Erklärung zu modifizieren und näher zu erläutern, endeten die Aussichten auf eine Versöhnung in einer Sackgasse.

Zur gleichen Zeit verstärkte sich die Welle der anti-japanischen Gefühle Inmitten dieses sozialen und politischen Gärungsprozesses wurde bekannt, daß Leo Karachan, der Verfasser der Erklärung von 1919, zum Missionschef einer Außerordentlichen Diplomatischen Vertretung in China ernannt worden war. Um den Sowjets begegnen zu können, beauftragte Peking am 28. März Dr. C. T. Wang mit der Leitung einer chinesisch-sowjetischen Verhandlungskommission. Zwischen Kara-chan und Dr. Wang wurden zwanglose Gespräche geführt. In dem ersten Gespräch brachte Karachan die Anerkennung der Sowjetregierung durch China zur Sprache. Dr. Wang vertrat dabei die Ansicht, daß die Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen den beiden Ländern von der Grundlage einer allgemeinen Verständigung und der Beilegung der noch ausstehenden Fragen abhängig sei

Weder Dr. Wang noch Karachan fanden zunächst den Weg zu einem Kompromiß, da jeder aus seiner eigenen Position heraus glaubte, die richtige logische Reihenfolge festgelegt zu haben.

Nach langwierigen Verhandlungen gaben die Diplomaten am 31. Mai 1924 die Unterzeichnung eines allgemeinen chinesisch-sowjetischen Abkommens bekannt. Dieses Vertragswerk enthielt ein Übereinkommen über allgemeine Grundsätze, ein Übereinkommen über die vorübergehende Verwaltung der Ostchinesischen Eisenbahn sowie sieben Erklärungen und einen Noten-Austausch

Dieser Vertrag sah u. a. vor:

1. Die sofortige Aufnahme diplomatischer und konsularischer Beziehungen zwischen den vertragschließenden Ländern.

2. Abhaltung einer Konferenz innerhalb eines Monats nach Unterzeichnung des Übereinkommens über allgemeine Fragen zum Zwecke der Ausarbeitung von Einzelheiten für die Beilegung und Behandlung vordringlicher Fragen.

3. Aufhebung und Ungültigkeitserklärung aller Zarenerlasse, Übereinkommen und Verträge mit der Sowjetregierung, soweit sie die souveränen Rechte und Interessen Chinas betreffen.

4. Verpflichtung der beiden vertragschließenden Regierungen, künftig keine Verträge zu unterzeichnen oder Übereinkommen zu treffen, die sich nachteilig auf die souveränen Rechte und Interessen des einen oder anderen Landes auswirken könnten.

5. Ablehnung aller Verträge oder Abkommen der Sowjetregierung mit einem dritten Staat oder weiteren Staaten, soweit sie die souveränen Rechte Chinas verletzen.

6. Anerkennung der Sowjetregierung des staatsrechtlichen Gebietsanspruchs Chinas auf die äußere Mongolei mit dem gleichzeitigen Recht der Ausübung der Souveränität.

7. Rückzug aller sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der zu China gehörenden äußeren Mongolei, sobald in dieser Frage auf der verabredeten Konferenz Einzelheiten ausgearbeitet worden sind.

8. Zusage beider Regierungen, auf ihrem Hoheitsgebiet weder das Bestehen oder die Tätigkeit von Organisationen oder Gruppen zu dulden, die auf den Sturz einer der Regierungen der vertragschließenden Partner abzielen, noch Duldung irgendeiner Art von Propaganda, die sich gegen das politische und soziale System eines der beiden Staaten richtet.

9. Verzicht der Sowjetregierung auf die an Rußland aus dem Boxeraufstand zu zahlenden Kriegsentschädigungen.

10. Verzicht der Sowjetregierung auf exterritoriale Rechte und konsularische Zuständigkeit. 11. Beschluß über eine gemeinsame Verwaltung der Ostchinesischen Eisenbahn als rein kommerzielles Unternehmen, sowie die endgültige Beilegung dieser Frage auf der in Aussicht genommenen Konferenz.

Nadi der Unterzeichnung der verschiedenen Verträge und Erklärungen richtete das „Waichiaopu" eine Note an Karachan, in der ihm die Wiederaufnahme normaler Beziehungen zwischen den beiden Ländern mitgeteilt wurde. Die chinesischen und russischen Vertreter tauschten dann Glückwunschbotschaften aus. Die langwierigen Anstrengungen um eine chinesisch-russische Verständigung wurden damit zufriedenstellend zu Ende geführt.

Während Karachan in Peking die Verhandlungen über eine chinesisch-sowjetische Annäherung führte, fanden in Kanton, der südlichen Hauptstadt Chinas, Ereignisse von größter politischer Bedeutung statt, die sich auf die Sowjets bezogen. Diese epochemachenden Ereignisse wurden von der überragenden Persönlichkeit des Dr. Sun Yat-sen eingeleitet und ausgelöst.

Dr. Suns politisches Wirken war ein unaufhörlicher Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit Chinas. Nach seinem Rücktritt als Präsident im Jahre 1912 beobachtete er aufmerksam die Arbeit der verfassungsmäßigen Regierung in China. Bald fand er zahlreiche Gründe zur Unzufriedenheit. Im Januar 1917 hatte Präsident Li Yüan-hung das Parlament aufgelöst. Viele Mitglieder der Kuomintang flohen deshalb südwärts nach Schanghai und Kanton. AIs Gegenreaktion übernahmen Dr. Sun und seine Anhänger die Rolle der Verfassungswächter. Sie erklärten die Pekinger Regierung für verfassungswidrig und planten die Errichtung einer verfassungsmäßigen Regierung in Kanton. Während dieser Zeit lernte Dr. Sun alle Höhen und Tiefen der Politik kennen. In einem Jahr war er Regierungschef in Kanton, in einem anderen war das örtliche Militär gegen ihn, und er mußte nicht weniger als vier Mal in fünf Jahren — von 1918 bis 1923 — nach Schanghai fliehen. In diesem enttäuschendsten Moment seines Lebens gab es außer seiner Frau, Madame Sun, einen gläubigen Schüler, der treu zu ihm hielt: Tschiang Kai-schek.

3. Zusammenarbeit mit Rufland

In dieser dunkelsten Stunde seiner politischen Laufbahn traf Dr. Sun im Januar 1923 den sowjetischen Gesandten Adolph Joffe. Dr. Sun hatte vor dieser Begegnung mit Joffe die westlichen Demokratien vergeblich um wirtschaftliche Hilfe für China gebeten. Jetzt hoffte China auf sowjetische Hilfe. Dr. Sun und Joffe unterzeichneten und veröffentlichten eine Erklärung über die Aussichten des Kommunismus in China. Diese Erklärung erregte bald große Aufmerksamkeit, denn sie bildete die Basis für eine weitere Zusammenarbeit zwischen Sowjetrußland und den Kuomintang. Sie enthielt u. a. folgenden Passus:

„Dr. Sun Yat-sen hält die Einführung des Kotnntunisntus oder auch nur des Sowjetsystents in China nicht für inögliclr, da hier die notwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung fehlen. Diese Ansicht wird voll und ganz von Herrn Joffe geteilt; er ist des weiteren der Meinung, dafl das wichtigste und dringendste Problem Chinas die Herstellung der nationalen Einheit und seiner vollkommenen nationalen Unabhängigkeit sei.“

Joffe hat Dr. Sun im Hinblick auf diese große Aufgabe der wärmsten Sympathie des russischen Volkes für China und (seiner) Hilfsbereitschaft versichert

Ende Februar kehrte Dr. Sun nach Kanton zurück und übernahm die Führung der Regierung. Bald danach realisierte er seinen Plan für eine Zusammenarbeit mit den Russen. Im August 1923 entsandte er seinen Vertrauten Tschiang Kai-schek nach Moskau, der dort mit Lenin, Trotzki und Stalin Rücksprache nehmen und die Techniken der Revolution und die Organisation der Kommunistischen Partei und der Roten Armee studieren sollte. In dem folgenden Monat wurde Michael Borodin von Moskau zum Hohen Berater der Kuomintang nach Kanton entsandt. Sinn und Zweck dieser Zusammenarbeit war die Beendigung der Herrschaft der Militärmachthaber im Innern Chinas und die Befreiung vom ausländischen Imperialismus als Voraussetzungen für die nationale Einheit und Unabhängigkeit. Die Wege zur Erreichung dieser Ziele hießen Förderung des chinesischen Nationalismus, nicht aber Verbreitung des russischen Kommunismus. Borodin stimmte mit Lenin und Joffe eindeutig darin überein, daß China jetzt noch nicht reif sei für den Kommunismus, und daß es erst durch das Stadium der kapitalistischen wirtschaftlichen Entwicklung gehen müsse.

Die Zusammenarbeit zwischen den Kuomintang und den Sowjets enthielt u. a. folgende Bedingungen:

1. Borodin und seine russischen Instrukteure hatten den Kuomintang in privater Eigenschaft zu dienen. Sie waren keine Vertreter der sowjetrussischen Regierung.

2. Sie konnten von Kuomintang jederzeit entlassen werden. 3. Sie hatten alle Verbindungen mit der Sowjetunion abzubrechen und hatten keine anderen Privilegien als sie sonst chinesischen Beamten oder Offizieren in gleicher Dienststellung zustanden

Nur unter diesen Bedingungen und mit diesen Absichten für eine Zusammenarbeit ist es zu verstehen, daß Dr. Sun Borodins Drängen nachgab und viele russische Fachleute in die verschiedensten Abteilungen der Partei und der Regierung placierte. Alle russischen Experten verfügten über reiche Erfahrung in der revolutionären Kriegführung und der Mobilisierung von Arbeitern und Bauern für politische Zwecke.

Dadurch, daß diese Experten ihr Wissen den Kuomintang zur Verfügung stellten, leisteten sie einen erheblichen Beitrag zur Stärkung der Partei und zur praktischen Verwirklichung des Partei-Programms.

Bald nach der Ankunft von Borodin, dem fähigsten und bekanntesten Berater der Sowjets in Kanton, verwirklichte Dr. Sun eine Reihe wichtiger Projekte und formulierte eine Anzahl von Programmen mit dem Ziel, die Sympathie und die LInterstützung des Volkes zu erhalten sowie seine politische und militärische Position für die kommende Revolution auszubauen. Dr. Sun errichtete die Whampoa-Militärakademie für Offiziere. Nach seiner Rückkehr aus Moskau im Frühjahr 1924 wurde Tschiang Kai-schek zum militärischen Kommandanten der Akademie ernannt. 40 russische Experten wurden als Instrukteure und Berater eingestellt. Zweck dieser Neugründung war nicht nur die Schaffung eines zuverlässigen, den Ideen der Revolution ergebenen Offizierskorps, sondern auch die parteipolitische revolutionäre Schulung.

Dr. Sun hielt auch die psychologische Kriegführung für ein bedeutsames Mittel. Daher entschloß er sich zu einer Vortragsreihe, in der er die folgenden Grundlehren für das chinesische Volk erläuterte: die nationale Grundlehre, die Grundlehre von den Rechten des Volkes und die Grundlehre von der Lebenshaltung des Volkes. Diese Vorträge überarbeitete und korrigierte Dr. Sun sehr sorgfältig, bevor er sie zur Drucklegung freigab. Von nun an spielte diese Artikelserie seiner drei Grund-lehren vom Volk, die „San Min Chui", eine wichtige Rolle in der psychologischen Kriegführung und wurde kurze Zeit später auch bei der nördlichen Strafexpedition angewandt. Sie gilt seither als die politische Bibel des nationalistischen China.

Ein weiteres Projekt war die Reorganisation der Kuomintang. Dr. Sun war von der straffen Organisation der russischen Kommunistischen Partei sehr beeindruckt. Er bestimmte, daß seine Partei künftig genau bezeichneten Grundsätzen folgen und ein fest umrissenes Programm erhalten sollte. Ferner forderte er eine gut ausgerichtete Organisation, die es ihren Führern ermöglichte, alle Klassen und Stände zu leiten Unter seinem Vorsitz berief er am 20. Januar 1924 einen Parteikongreß in Kanton. Im Anschluß an diesen Kongreß wurde ein Manifest herausgegeben, das seitdem als ein Dokument von großer historischer Bedeutung gilt.

Das Manifest war in drei Abschnitte eingeteilt: der erste Teil enthielt einen Rückblick auf die Entwicklung seit der Revolution von 1911 und untersuchte den Wert der verschiedenen Programme, die für die nationale Rettung aufgestellt worden waren. In diesem Teil wurde entschieden, daß eine wirkliche Volksregierung berufen werden sollte, die sich aus allen Klassen innerhalb der Nation auf der Basis der drei Volksprinzipien zusammensetzt.

Der zweite Teil umriß klar diese drei Volksprinzipien und betonte wiederholt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Parteien und allen sozialen Klassen. In diesem Abschnitt wurde weiter die Ansicht vertreten, daß der Endsieg der Nationalistischen Revolution größtenteils von der aktiven Teilnahme der Arbeiter und Bauern abhängig sei, und daß die Kuomintang daher Arbeiter-und Bauernbewegungen unterstützen werde.

Im dritten Teil des Manifestes waren konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die sich mit Chinas Beziehungen zum Ausland und seiner Innenpolitik auseinandersetzen. Die hervorstechendsten dieser Maßnahmen waren die Aufhebung ungleicher Verträge und der Wiederaufbau der Nation in drei Phasen: militärische Eroberung, politische Vormundschaft und verfassungsmäßige Regierung.

Es ist bemerkenswert für Dr. Suns politische Auffassung, daß das Manifest die Idee der „Zusammenarbeit aller Klassen“ fördert und sich „gegen den Klassenkampf und die Klassenherrschaft" richtet. Für Borodin aber war diese Idee ein guter Vorwand zur Bildung von Bauernverbänden und Arbeitergewerkschaften als Schrittmacher für die Sowjets.

Der Parteikongreß nahm ebenfalls eine Resolution an, die den chinesischen Kommunisten gestattete, den Kuomintang beizutreten.

Doch zunächst: wie konnten sich die Kommunisten in China ausdehnen? Am 24. November 1918 erklärte Stalin, daß es die Mission der Kommunistischen Partei sei, die unterdrückten Völker des Ostens aufzurütteln, sie mit dem revolutionärem Geist der Befreiun November 1918 erklärte Stalin, daß es die Mission der Kommunistischen Partei sei, die unterdrückten Völker des Ostens aufzurütteln, sie mit dem revolutionärem Geist der Befreiung anzufeuern und sie zum Kampf gegen den Imperialismus aufzufordern 23).

Die Sowjetregierung konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf Europa und war eifrig bemüht, die Revolution des Proletariats bei den geschlagenen Zentralmächten, vornehmlich in Deutschland und Ungarn, durchzuführen und eine proletarische Gewaltherrschaft in diesen Ländern zu errichten. Doch Mitte 1919 hatte die kommunistische Bewegung in Europa verspielt. Nach diesen mißlungenen Versuchen richtete die Sowjetregierung ihren Blick nach Osten.

Der erste Kongreß der Chinesischen Kommunistischen Partei wurde im Juli 1921 abgehalten. Er wurde von dreizehn Personen, einschließlich Mao Tse-tungs, Tschang Kuo-t'aos und Tung Pi-wus 24) besucht und bewirkte formell die Bildung der Partei. In den folgenden Jahren entsandten die Kommunisten einen Vertreter nach China, der Gespräche mit Dr. Sun Yat-sen aufnahm. Während der Gespräche schlug er ein Bündnis zwischen den Kuomintang und der chinesischen Kommunistischen Partei vor. Dr. Sun wies diesen Vorschlag zurück, er stimmte jedoch dem Eintritt der Kommunisten in die Kuomintang zu

Am 12. Januar 1923 verabschiedete das Exekutivkomitee der Komintern eine besondere Resolution, die besagte: „Die Kuomintang, ist zur Zeit die einzige starke Organisation, die eine nationale Revolution in China durdiführen kann. Die Komintern halten es für notwendig, daß die junge Kommunistisdte Partei mit den Kuomintang zusammen-

arbeitet“ Auf Grund dieser Resolution entschied die Kommunistische Partei formell über den Eintritt in die Kuomintang

Einige Kuomintang-Mitglieder opponierten heftig gegen den Eintritt der Kommunisten in ihre Partei. Li Schou Tsch’ang (Li Tatchao?), ein leitender und brillanter Kommunist, machte folgende Zugeständnisse:

„Die Dritte Internationale der Kommunistischen Partei schlägt ihren Mitgliedern vor, durch den Beitritt in die Kuomintang auf deren Verfassung zu verharren und sich ihrer Disziplin zu unterwerfen. . . . Sie verfolgen unter keinen Umständen die Absidit, die Kuomintang in eine kommunistisdte Partei umzuwandeln. Ferner treten sie der Kuomintang nidtt als Gesamtheit bei, sondern getrennt, als Einzelpersonen" AIs Folge dieser Zusage, so wurde gesagt, wurde der Vorschlag für den Beitritt der Kommunisten angenommen

Die Führer der Kuomintang — unterstützt von ihren sowjetischen Ratgebern — ’-etrieben mit großer Tatkraft den Ausbau des revolutionären Stützpunktes Kwangtung. Dr. Sun versuchte, das politische Gewissen des Volkes zu wecken. Tschiang Kai-schek schmiedete an einer Revolutionsarmee. Führer der Kuomintang mobilisierten mit viel Energie Studenten, Arbeiter und Bauern für revolutionäre Zwecke und betrieben eine antiimperialistische Propaganda-Kampagne.

Kurze Zeit später wurde Dr. Sun zu einer Konferenz im Norden des Landes eingeladen, um über Fragen der nationalen Rehabilitation zu diskutieren. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich durch die Anstrengungen der Reise, und er starb am 13. März 1925 in Peking.

Nicht lange nach Dr. Suns Tod vollzog sich in China ein Trend in der Volksmeinung, der sich gegen Großbritannien richtete. Ein Generalstreik in Schanghai hatte ernste Folgen, als britische Waren boykottiert wurden. Andererseits stieg die pro-sowjetische Stimmung bis Kanton.

Inmitten dieser anti-britischen Stimmung und des Tohuwabohus gab Tschiang Kai-schek sein Debüt in der innenpolitischen Arena. Seit Jahren hatten sich Söldner in und um Kanton herum eingenistet. Sie waren korrupt und widerspenstig und für das Volk nicht mehr tragbar. Tschiang setzte seine Whampoa-Kadetten gegen sie ein. Die Söldner wurden auseinandergesprengt und überwältigt.

Auf Grund dieser neuen Situation hielt das Zentralkomitee der Kuomintang eine Plenarsitzung über die Neubildung der Regierung ab. Die-sen neuen Plänen zufolge wurden Wang Tsching-wei die Zügel der politischen und militärischen Macht in die Hände gelegt. AIs Vorsitzender des zentralen Exekutiv-Komitees der Partei war er ex officio Vorsitzender der Regierung, Vorsitzender des politischen Konzils und Vorsitzender des militärischen Konzils. Wang war zu dieser Zeit ein Werkzeug in Borodins Händen, der mehr den Einfluß eines Diktators als eines Beraters ausübte.

Trotz dieser Umbildung der Kanton-Regierung, die sich damit selbst bestätigte, kontrollierte sie nur ungefähr die Hälfte der Provinz Kwangtung. Die östliche Hälfte wurde von Tsch’en Tschiung-ming — angeblich mit britischer Unterstützung — beherrscht. Tschiang Kai-schek entschloß sich zu einer Militäraktion gegen Teh’en Tschiung-ming. Die Whampoa-Kadetten zerschlugen und liquidierten dessen Streitkräfte. Durch diese Leistung wuchs das Ansehen und die Macht der Kanton-Regierung. Es gibt keinen Zweifel, daß Tschiang aus diesem Feldzug als Mann der Stunde hervorging. Danach befaßte sich Tschiang Kai-schek mit Plänen für eine l. ördliche Strafexpedition, die Dr. Sun geplant hatte.

Was die politische Lage betraf, unternahm Tschiang bald entscheidende Schritte zu ihrer Stabilisierung. Im Frühjahr 1926 wurde in Kan-ton das Gerücht verbreitet, daß WangTsdiing-wei und die Kommunisten eine Geheimpartei zu dem Zwecke gegründet hätten, Tschiang seines Postens zu entheben Wie ein Blitz schlug Tschiang wieder mit seinen Whampoa-Kadetten zu. Am 20. März verhängte er das Kriegsrecht über Kanton und umstellte die Unterkünfte Borodins und der anderen Sowjetberater. Die meisten russischen Instrukteure wurden unter Arrest gestellt und andere Verdächtige in Haft genommen Wang Tsching-wei ging ins Exil. Nicht lange danach, am 25. April, landete Tschiang einen anderen Coup, diesmal gegen den rechten Flügel. Nadi Ansicht eines amerikanischen Beobachters unternahm Tschiang diesen zweiten Coup, um das Vertrauen Borodins zu gewinnen, nachdem der letztere ihm sowjetische Hilfe bei der Ausrüstung der geplanten nördlichen Expedition zugesagt hatte

In einer Plenarsitzung des Zentralkomitees der Kuomintang am 15. Mai wurde eine von Tschiang eingeführte Resolution angenommen, die den chinesischen Kommunisten eine Reihe von Beschränkungen auferlegte. Auch Tschiangs Vorschlag, den Tätigkeitsbericht der sowjetischen Berater genau zu bestimmen und zu begrenzen, wurde vom Zentralkomitee angenommen Tschiang brachte als gewählter Vorsitzender des stehenden Komitees des Zentralkomitees Regierung und Partei unter seine Leitung. Damit war Tschiang jetzt bereit, die nördlichen Militärmachthaber anzugreifen und in ihre Provinzen einzufallen.

In Nordchina und der Mandschurei machte sich der sowjetische Einfluß bemerkbar. Die Sowjets strebten natürlich die Herrschaft über dieses Gebiet an. Doch diese sowjetischen Absichten bewirkten nur eine Schwächung der nördlichen Kriegslords, deren Truppen bei einem Ausfall der südlichen Streitkräfte, der kurze Zeit später von Kanton aus erfolgte, ihre Verwundbarkeit erkennen ließen.

Nachdem Tschiang die politischen Hauptprobleme beseitigt und die Lage in Kwangtung stabilisiert hatte, setzte er die nördliche Expedition in Bewegung und begleitete sie an die Nordfront. 15 sowjetische Offiziere unter der Leitung von General Galen (Blücher) und viele sowjetische Experten begleiteten die Expedition. Mit erstaunlicher Schnelligkeit errangen die Expeditionsstreitkräfte einen Erfolg nach dem anderen.

Gegen Ende 1926 stand ganz Südchina unter der Kontrolle und dem Einfluß der nationalistischen Revolutionäre. Wohin auch immer die revolutionären Streitkräfte gingen, die Arbeiterpartei weckte das politische Gewissen der Massen und erleichterte die Konsolidierung der eroberten Gebiete. Der allgemeine Aufruhr der Massen verdeutlichte die Macht des linken Flügels der Kuomintang, der chinesischen Kommunisten und ihrer sowjetischen Berater. In Nordchina und der Mandschurei intensivierten sowjetische Agenten ihre Tätigkeit, um die verhaßten Militärmachthaber zu stürzen und damit die revolutionäre Bewegung im Süden zu unterstützen. Zu Beginn des Jahres 1927 war der sowjetische Einfluß direkt oder indirekt, offen oder geheim, wirksam und praktisch in ganz China zu spüren. Der Rote Stern leuchtete zu dieser Zeit hell am Himmel Chinas.

II. Chinas und Rußlands Ringen um die Vormachtstellung 1. Der Niedergang sowjetischen Einflusses in China

Auf Betreiben Borodins wurde in der zweiten Hälfte des Oktobers 1926 eine Sondersitzung des Kongresses der Kuomintang in Kanton abgehalten. Zwei wichtige Resolutionen wurden auf diesem Kongreß angenommen: die erste forderte die Rückkehr Wang Tsching-wei’s aus dem politischen Exil. Die zweite enthielt die Forderung nach Verlegung der Hauptstadt der Nationalisten von Kanton nach Wuhan. Diese Resolutionen wurden ebenso schnell ausgeführt wie sie angenommen waren. Tschiang Kai-schek befand sich an der Front. Er selbst hatte keinen Anteil an der Abfassung der Resolutionen, denen er seine Zustimmung versagte Tschiang Kai-schek machte Borodin dafür verantwortlich und die Beziehungen zwischen den beiden Männern erlitten einen Riß.

Am 10. März hielt das exekutive Zentralkomitee der Kuomintang seine Plenarsitzung in Hankau ab, die von Tschiang Kai-schek boykottiert wurde. Unter den Resolutionen, die auf dieser Plenarsitzung angenommen wurden, befand sich eine, die besagte, daß die Kommunistische Partei Chinas fortan gemeinsam mit den Kuomintang in China regieren werde. Die andere enthielt die Forderung, daß der Vorsitz des Regierungskonzils, des politischen Konzils und des Militärkonzils abgeschafft werden sollte Beide Resolutionen richteten sich offensichtlich gegen Tschiang Kai-schek. Die erste, weil er stets gewünscht hatte, daß den Kommunisten die Zügel angelegt würden, und die zweite, um ihm „einige Steine aus der Krone herauszubrechen“. Zu dieser Zeit hatte Tschiang Kai-schek alle drei Positionen inne, die jetzt abgeschafft worden waren. Tschiang Kai-schek führte jedoch keinen offenen Bruch herbei. Er konzentrierte sich auf seine militärischen Aufgaben und eroberte Schanghai und Nanking. Die Eroberung von Schanghai und Nanking führte Tschiang Kai-scheks Prestige in eine schwindelerregende Höhe.

In diesem Augenblick ereignete sich in Nanking ein Zwischenfall von internationaler Bedeutung. Ausländer wurden von den einmarschierenden Truppen angegriffen, bedroht und grob behandelt. Um weitere Ausschreitungen zu verhindern, liefen britische und amerikanische Kriegsschiffe aus, um sofort zu intervenieren

Dieser Zwischenfall wurde später mit der Nanking-Regierung beigelegt, die kurze Zeit später gebildet worden war. Diese Regierung gab sich alle Mühe, die Ansicht zu unterdrücken, daß die Kommunisten für diesen Zwischenfall verantwortlich waren. Über die Beteiligung der Kommunisten an diesem Zwischenfall besagte ein Bericht, daß Borodin in einer abgefangenen Depesche den Befehl zur Sabotage gegen die vorrückenden nationalistischen Truppen unter Tschiang Kai-schek gegeben habe Dieser Bericht stimmt mit der Ansicht der britischen Regierung überein. Am 9. Mai erklärte Sir Austin Chamberlain im britischen Unterhaus, „dnß die organisierten Aass: hreitnngen in Nanking auf den Versuch zurückzuführen gewesen seien, Tschiang Kai-schek in einen Streit mit den ausländischen Mächten zu verwid^eln“, und „daß die Spaltung der Kuomintang die Kommunisten und ihre ausländischen Be-rater in den Augen des ganzen China in Mißkredit gebracht habe“

Im Verlauf des heftigen Bürgerkrieges in der ersten Hälfte des Jahres 1927 hatte sich die diplomatische und militärische Lage in China, insbesondere soweit es den sowjetischen Einfluß in China betraf, grundlegend geändert. Die Regierung in Peking unter Tschang Tso-lin unternahm drastische Maßnahmen gegen verdächtige sowjetische Intrigen in diesem Land. Am 6. April durchsuchte die Pekinger Polizei, ausgestattet mit einem Hausdurchsuchungsbefehl, der vom Dean des Diplomatischen Korps gegengezeichnet war, das Legationsquartier der Russen. Dieser drastische Schritt löste scharfen Protest von Seiten der Sowjetregierung aus, den die chinesische Regierung jedoch verwarf. Zehn Tage später verließ der sowjetische Charge d'Affairs und sein gesamter Stab Peking.

Die feste Haltung Pekings war auf die Erfolge bei der Hausdurchsuchung zurückzuführen. Zahlreiche russische Dokumente subversiven Inhalts fielen der Pekinger Polizei in die Hände. Unter diesen Dokumenten befand sich eine Namensliste von über 4 000 Agenten, die jederzeit innerhalb Pekings bereit waren, Gewalttätigkeiten auszuüben. Ebenso wurde eine Entschließung beschlagnahmt, die 1927 von dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale verabschiedet worden war und die Errichtung eines kommunistischen Systems in China forderte. Andere Dokumente zeigten, daß Borodin und seine russischen Kollegen Befehle aus Moskau entgegennahmen, daß die sowjetische Bot-B schäft in China als Verbindungsstelle zwischen Moskau und Kanton bei der Lieferung von Waffen und Munition wirkte, und daß Einzelheiten für einen kommunistischen Staatsstreich ausgearbeitet worden waren. Später veröffentlichte die Pekinger Polizei Photokopien der russischen Originale, gemeinsam mit der englischen Übersetzung

Die Sowjets behaupteten, diese Dokumente seien gefälscht. Doch außerhalb der Sowjetunion, insbesondere in Europa und in den Vereinigten Staaten, wurden sie weithin als authentisch bezeichnet

Seit Jahren hatte das chinesische Volk den Russen Vertrauen ent-

gegengebracht und sie als ihren Verbündeten im Kampf gegen den west-lichen Imperialismus betrachtet. Jetzt glaubte es nicht mehr länger dar-an, daß Borodin und die anderen sowjetischen Berater nur an einer nationalistischen Revolution in China interessiert waren. Und es fragte sich, ob Sowjetrußland — im Grunde genommen — nicht doch nur eine andere imperialistische Macht wäre, die eben nur mit anderen Taktiken operierte.

Am 7. April erließ die Wuhan-Regierung ein Mandat, das die Position des Oberbefehlshabers aufhob. Diese Position bekleidete zu dieser Zeit Tschiang Kai-schek 42). Tschiang Kai-schek sah wahrscheinlich in diesem Mandat ein Signal für den Beginn des innerparteilichen Kampfes.

Als Antwort auf diese Entscheidung bildete er die sogenannte Bereinigungsbewegung gegen die Kommunisten, die den Arrest und das Massaker an vielen kommunistischen Führern und Tausenden von Arbeitern zur Folge hatte. Wuhan schloß Tschiang Kai-schek und seine Verbündeten sofort aus der Kuomintang aus und ernannte General Feng Yühsiang zum Oberkommandierenden der Streitkräfte

Der Krieg zwischen den beiden Parteien drohte und wäre wahrschein-

lieh ausgebrochen, wenn die nördlichen Kriegslords keine militärischen Bewegungen vorgenommen hätten. Beide, Nanking und Hankau, setzten so ihren Feldzug gegen den Norden fort; jedoch getrennt.

Die Nanking-Streitkräfte unter Tschiang Kai-schek machten schnelle Fortschritte und wurden nur durch die bewaffnete Intervention der Japaner in Schantung auf ihrem Vormarsch behindert. General Feng-Yü-hsiang, der zu dieser Zeit in der Provinz Schensi kämpfte, zerschlug die Offensivkraft Tschang Tso-lins und seiner verbündeten Kriegslords.

Tschang Tso-lin wurde damit zu einer entscheidenden Schlüsselfigur in der so komplizierten militärischen und politischen Lage.

Mitte Juni wurde in diesem Bürgerkrieg nicht mehr mit so erbitterter Heftigkeit gekämpft. In dem Gebiet von Wuhan jedoch wurde die Landbevölkerung von radikalen Kräften der Arbeiterpartei angestiftet, sich Land anzueignen und einen Klassenkrieg gegen die Großgrundbesitzer zu führen. In den Dörfern und Städten übernahmen Gewerkschaften die Funktionen von Polizei und der Gerichtshöfe. Werkstätten und Fabriken wurden von bewaffneten Streikposten geschlossen, und die Arbeiter traten in den Streik. Eine soziale Revolution schien sich von unten nach oben anzubahnen. Das zentrale Exekutivkomitee veröffentlichte ein Manifest, das die Einheit der Massen forderte, um die Revolution durchzuführen Um dieser ernsten Situation zu begegnen, suchte der Chef der Regierung in Wuhan, Wang Tsching-wei, zusammen mit Sun Fo den General Feng Yü-hsiang auf, um sich dessen Hilfe und Unterstützung zu sichern. Nach der Zusammenkunft hielt General Feng eine Konferenz mit Tschiang Kai-schek ab, die mit einem Bündnis der beiden Generäle endete. General Feng forderte am 21. Juni in einem Telegramm an die Regierung in Hankau die Entfernung Borodins und seiner Kollegen. Einige Tage später sandte Tschiang Kai-schek ein Ultimatum nach Hankau, in der er in deutlicher Sprache ähnliche Forderungen stellte

Der linke Flügel der Kuomintang versammelte sich im Juli 1927 zu einer Konferenz, auf der der Beschluß gefaßt wurde, die chinesische Kommunistische Partei für ungesetzlich zu erklären und Borodin und die anderen Sowjetexperten und Instrukteure nach Rußland zurückzuschicken.

Damit jede radikale Tätigkeit eingestellt würde, sollte eine Delegation nach Moskau entsandt werden, um den „wahren Charakter und die Absicht der Kuomintang zu erläutern"

Das Exekutivkomitee der Komintern nahm eine neue Resolution an, die darauf abgezielt war, den kritischen Entwicklungen in China zu entgegnen. Die Resolution hatte auszugsweise folgenden Wortlaut: „Die revolutionäre Rolle der Wuhan-Regierung ist ausgespielt, sie ist zu einer konterrevolutionären Kraft geworden;... die Kommunisten sollen in der Kuomintang bleiben. Sie sollen jetzt ihre Arbeit unter den Massen des Proletariats verstärken, Arbeiterorganisationen aufbauen, ... die Gewerkschaften stärken . . . die arbeitende Masse auf die entscheidende Aktion vorbereiten, . . . die Agrarrevolution entwid^eln, . . . die Arbeiter und Bauern bewaffnen, . . . einen kampfkräftigen und einsatzfähigen illegalen Parteiapparat organisieren. ..

Solche Direktiven konnten jedoch den entschlossenen Anstrengungen der Wuhan-Regierung nicht entgegenwirken. Borodin und einige seiner Mitarbeiter gingen zurück nach Moskau. Damit endete die Zusammenarbeit zwischen den Kuomintang auf der einen und den chinesischen Kommunisten und den sowjetischen Beratern auf der anderen Seite. Dieser Bruch war im grundsätzlichen längst fällig gewesen. Es war unmöglich, zwei Revolutionen mit unterschiedlichen Zielen und Methoden auf einen Nenner zu bringen: Die nationalistische Revolution der drei Grundlehren Dr. Sun’s durch die Anwendung von Methoden fabianschen oder evolutionären Charakters; die chinesischen Kommunisten bevorzugten jedoch die Gewalt als ihre Hauptmethode und die Errichtung der proletarischen Revolution, mit der sie auf eine Diktatur des Proletariats abzielten. Die kurzfristige Zusammenarbeit zwischen dem linken Flügel der Kuomintang und den Kommunisten war nur durch die Tatsache möglich gewesen, daß sie einige in der Mitte liegende Ziele gemeinsam hatten. Hierzu gehörten der Kampf gegen die Kriegslords (Generale mit Privatarmeen) und der Anti-Imperialismus in China. Sobald sie diese Ziele erreicht hatten, war die Grenze erreicht, an der sie sich trennen und gegenseitig bekämpfen mußten.

Zwischen Wuhan und Nanking wurden weiterhin politische Fehden ausgetragen. Um die Aussöhnung der verschiedenen Gruppen zu erreichen und um einen möglichen Krieg zu verhindern, erklärte Tschiang Kai-schek dramatisch seinen Rücktritt als Oberbefehlshaber der nationalen Streitkräfte. Daraufhin wurden Konferenzen zwischen den Führern der Nanking-und Wuhan-Partei abgehalten. Schließlich entschied sich das zentrale Exekutivkomitee und das übergeordnete Zentralkomitee der Kuomintang für eine vereinigte Kuomintang-Regierung mit Sitz in Nanking. Am 10. Dezember, kurz nachdem Tschiang Kaischek Meiling Song geheiratet hatte, ernannte ihn die Nanking-Regierung wieder zum Oberbefehlshaber der nationalen Streitkräfte. In dieser Eigenschaft spielte er wiederum eine führende Rolle in innenpolitischen Angelegenheiten.

In der Zwischenzeit entsandte Stalin einen Vertreter der Komintern, um die chinesischen Kommunisten aus der Krise zu führen. Die chinesischen Kommunisten hielten am 7. August eine Konferenz ab, auf der das Politbüro reorganisiert und neue Richtlinien für eine revolutionäre Aktion festgelegt wurden Dieser Konferenz wurde später enorme Bedeutung beigemessen. „Ohne die Konferenz vom 7. August hätte die chinesische Kommunistische Partei ihre politische Existenz verloren und wäre von der historischen Bühne verschwunden — diesen Satz schrieb ein prominenter chinesischer Kommunistenführer Zwei kommunistische Generale, Yeh T ing und Ho Lung, eroberten Kanton und errichteten ein kommunistisches Regime. Der rote Terror regierte. Die Kommunisten hatten mit der Unterstützung des Volkes gerechnet, doch die Arbeiter krümmten nicht einen Finger, um ihren proletarischen. Rettern zu helfen. Mittlerweile brachen antikommunistische Streitkräfte in die Stadt ein. Innerhalb weniger Tage zerschlugen sie die kommunistischen Banden. Die Nationalisten nahmen die Verfolgung auf und führten Vergeltungsmaßnahmen durch.

Die Sowjetagenten, die an dem Kanton-Coup beteiligt waren, benutzten die sowjetischen Handelsagenturen und das sowjetische Konsulat als Stützpunkte. Der Außenminister Dr. C. C. Wu erließ daher am 14. Dezember den Befehl, alle sowjetischen Konsulate innerhalb des nationalistischen Einflußgebietes mit sofortiger Wirkung zu schließen.

Am folgenden Tag wurde den sowjetischen Beamten mitgeteilt, daß sie innerhalb einer Woche China zu verlassen hätten. Sie kamen dieser Forderung innerhalb der festgesetzten Frist nach und betrauten die deutsche Regierung mit der Wahrnehmung sowjetischer Interessen in den von der Kuomintang kontrollierten Gebieten

Der sowjetische Kommissar des Äußeren, Tschitscherin, sandte am 17. Dezember eine Protestnote an die Nanking-Regierung, in der er in Abrede stellte, daß das sowjetische Konsulat in Kanton irgendetwas mit dem Coup zu tun gehabt hätte. In seiner Antwort bewies Dr. Wu, daß das sowjetische Konsulat Zentrum des Aufstandes und anderer subversiver Tätigkeiten war -Zu einer späteren Zeit schrieb Trotzki: „Stalins Sonderwissionäre hatten die Aufgabe, den Aufstand in Kanton zeitlich mit dem 15. Kongreß der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zusammenfallen zu lassen, um die drohende Vernichtung der russischen Opposition abzufangen und sie sMießlich doch zu einem politischen Triumph stalinistischer Taktik in China zu führen"

Dieser Kurssturz des sowjetischen Einflusses bedeutete keineswegs, daß der Kommunismus in China tot gewesen wäre. In den Jahren, die den Aufständen in Kanton folgten, begünstigte die Komintern fortgesetzt die Entwicklung der chinesischen Kommunistischen Partei und verleitete sie häufig dazu, die Macht an sich zu reißen. Während deser Zeitspanne inszenierten die chinesischen Kommunisten Aufstände in den verschiedensten Gebieten, die sich aber alle in Rauch auflösten. Die Folge war, daß sich ein steter Wechsel in den Führungsgremien der Partei vollzog. Anstatt die eigenen Taktiken hinsichtlich ihrer Richtigkeit unter den vorherrschenden schwierigen Bedingungen in China zu überprüfen, suchte die Komintern den Sündenbock in dem jeweiligen Parteiführer und beschuldigte ihn der Stümperei.

2. China und Rußland am Rande des Krieges

Die Nanking-Regierung eroberte trotz der bewaffneten japanischen Intervention im Juni 1928 Peking, das seither Peiping genannt wird. Daraufhin wurde die frühere Pekinger Regierung aufgelöst. Tschang Tso-lin, der Chef dieser Regierung, versuchte, nach seinem Heimatstützpunkt in der Mandschurei zu fliehen. Als jedoch sein Zug das Gebiet von Mukden erreicht hatte, wurde er durch eine Explosion getötet. Der Tod Tschang Tso-lins machte seinen Sohn Tschang Hsüeh-Liang prominent. Er nahm die Zügel der Regierung in der Mandschurei in die Hand. Gegen Ende des Jahres folgte dieser „junge Marschall“ den Zielen der Nationalisten und versprach Nanking die Treue. Ende 1928 war die Nanking-Regierung von den meisten, westlichen Mächten de jure anerkannt. Den sowjetischen Konsulaten und anderen Organisationen in Nordchina und der Mandschurei wurde erlaubt, ihre Funktion wieder aufzunehmen. Auch die diplomatischen Beziehungen zu Moskau, die technisch von der früheren Pekinger Regierung aufrechterhalten worden waren, wurden wieder ausgenommen. Bereits in den Jahren vor 1929 hatte sich in der chinesischen Bevölkerung ein tiefer Groll festgesetzt gegen die Versuche der Sowjets, die Ostchinesische Eisenbahn zu kontrollieren. Doch die Russen hielten die Eisenbahn nicht nur unter ihrer Verfügungsgewalt, sondern dehnten ihren Einfluß auf beiden Seiten der Linie aus. Vor allem waren die chinesischen Behörden bestürzt, daß die Sowjets ihre propagandistische Tätigkeit auf die Eisenbahn-Agenturen ausdehnten. Am 27. Mai wurde der lokalen Polizei in Harbin befohlen, das sowjetische Konsulat zu durchsuchen, um eine Bestätigung gewisser Verdachtsmomente zu erhalten. Die Polizei erzwang sich gewaltsam Eintritt und überraschte eine Ansammlung von 80 Sowjets, die gerade eine Konferenz abhielten, und Dokumente verbrannten. Die Polizei beschlagnahmte schnell die verbliebenen Dokumente und barg die im Ofen befindlichen Aschenreste.

Diese Dokumente waren in russischer Sprache abgefaßt. Sie zeigten, daß die Kommunisten ihre Propagandamaschinerie auf nationaler Ebene in Bewegung gesetzt und sorgfältig einen kommunistischen Plan ausgearbeitet hatten, um den gewaltsamen Sturz der Nationalchinesischen Regierung herbeizuführen

Bevor die Regierung in Nanking eine Protestnote an Moskau gesandt hatte, richtete die Sowjetregierung am 31. Mai einen Protest an Nanking, worin sie die Aktion der chinesischen Polizei vom 27. Mai in Harbin als eine flagrante Verletzung der Grundgesetze des internationalen Rechts bezeichnete Am 10. und 11. Juli wurden die chinesischen Behörden in Harbin infolge der Notwendigkeit, die kommunistische Propaganda zu unterdrücken und einen Aufstand zu verhindern, dazu gezwungen, die Kontrolle der Ostchinesischen Eisenbahn und ihrer Telegraphen-und Telephonanlagen zu übernehmen. Eine große Anzahl sowjetischer Beamter des Eisenbahnunternehmens wurde verhaftet und später über die Grenze abgeschoben.

Die chinesische Regierung beantwortete die Sowjetnote mit dem Hinweis, daß die von den zuständigen chinesischen Stellen durchgeführte Aktion in Harbin zur Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung notwendig war. In der Antwortnote machte die chinesische Regierung den Sowjets das Angebot, den Streit durch Verhandlungen zu schlichten. Die Sowjetregierung sandte kurz nach Erhalt dieser Antwort eine zweite Note an China. Diese Note gab die Trennung aller Eisenbahnverbindungen zwischen China und der UdSSR sowie den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen diesen Ländern bekannt Die deutsche Regierung wurde gebeten, die sowjetischen Interessen in China und die chinesischen Interessen in Rußland zu übernehmen. Hierzu erklärte sie sich bereitwillig einverstanden.

Kurz nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen wurden die sowjetischen Streitkräfte an der mandschurischen Front aktiver als je zuvor. Zur Klärung der Gründung über die Entstehung dieser Krise veröffentlichte die chinesische Regierung am 19. Juli ein Manifest an die Mächte, das betonte, daß der Streit eine Angelegenheit sei, der die Existenz der chinesischen Regierung und die Solidarität der chinesischen Nation betreffe. Die Situation spitze sich mit jedem Tag mehr zu. Es wurde dabei die Frage nach einer „Dritten Macht , die vermittelnde Aufgaben übernehmen sollte, erörtert. Man dachte hierbei besonders an die Vereinigten Staaten von Amerika. Zu dieser Zeit war Außenminister Henry Stimson äußerst begeistert über den Abschluß des Friedensvertrages von Paris. Stimson hatte sich entschlossen, an den Feierlichkeiten anläßlich des Inkrafttretens dieses Vertrages am 24. Juli teilzunehmen. Der amerikanische Außenminister wollte diesen Friedensvertrag in seinem Anfangsstadium keiner betäubenden Belastungsprobe aussetzen und unternahm alle Anstrengungen, den sowjetisch-chinesischen Streit nicht in einen offenen Krieg ausbrechen zu lassen. Da die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland noch nicht wieder ausgenommen worden waren, empfahl Außenminister Stimson dem französischen Botschafter, seine Regierung möge bei der russischen vorstellig werden. Der französische Botschafter Briand bot sich an, für eine friedliche Beilegung des chinesisch-russischen Streits einzutreten. Der stellvertretende Kommissar des Äußeren, Karachan, lehnte dieses Angebot jedoch ab. Er betonte, daß das französische Angebot so lange nicht annehmbar sei, bis die chinesische Regierung nicht den rechtlichen Status der Eisenbahn durch die Annahme der sowjetischen Forderung vom 13. Juli wiederhergestellt habe 56).

Ä 1.... 1 In der Zwischenzeit hatte sich China nicht nur gegen militärische sowjetische Operationen zu verteidigen, sondern auch gegen die öffentliche Meinung in den westlichen Demokratien, die Chinas vorübergehende Leitung der Ostchinesischen Eisenbahn als einen Präzedenzfall für die Aneignung fremder Rechte und Interessen in China ansahen. Chinas Außenminister C. T. Wang hielt es daher für notwendig, hervorzuheben, daß „es nicht die Absicht der chinesischen Regierung sei, durch diese 'Aktion die Eisenbahn in ihren Besitz zu bringen, sondern die kontwu-

nistische Wühlarbeit zu überprüfen" 57).

Zu dieser Zeit wurden Verhandlungen in der Mandschurei geführt.

Vorschläge, die die Mukden-Regierung gemacht hatte, wurden von der russischen Regierung als nicht annehmbar bezeichnet. Karachan beschuldigte die Mukden-Regierung, die Beilegung des Konflikts zu verhindern und machte sie für die Konsequenzen verantwortlich 58). Erst am 6. August erklärte das Außenministerium in Nanking offiziell den Abbruch der Verhandlungen. Die Sowjets verstärkten daraufhin ihre militärischen Drohungen, um China zu beeindrucken und einzuschüchtern.

Der amerikanische Außenminister Stimson hatte die Vorgänge aufmerksam verfolgt und war über die verschlechterte Lage beunruhigt.

Daher schlug er am 25. Juli der britischen, französischen, japanischen und italienischen Regierung einen Versöhnungsplan vor. Nach diesem Plan sollte „eine von China und Rußland anerkannte prominente Persönlichkeit"

bis zum Zeitpunkt der Beilegung des Streits als Präsident und Manager der chinesischen Eisenbahn eingesetzt und eine ebenfalls von den beiden Partnern China und Rußland anerkannte Versöhnungskommission mit der Untersuchung aller Tatsachen betraut werden. Karachan warnte die Regierungen dritter Staaten in einer Verlautbarung, daß Rußland keinerlei Verpflichtungen anerkennen werde, die solche Staaten im Namen der Eisenbahn nach deren Aneignung durch die chinesischen Behörden eingehen würden 59).

Unterdessen wurden die Feindseligkeiten an der mandschurischen Front mit ungewöhnlicher Heftigkeit geführt. Am 18. November griffen die Russen Manchuk und Tschalainor an. Ein Teil des mandschurischen Bahnhofs und die Bergwerke in Tschalainor wurden zerstört. Sowjetische Flugzeuge, die bei diesen Angriffen eingesetzt worden waren, bombardierten einen Teil der Ostchinesischen Eisenbahn, um die chinesischen Verbindungslinien zu unterbrechen. Nach drei erbitterten Kampftagen fielen Manchuli und Tschalainor in die Hände der sowjetischen Streitkräfte. Die Nanking-Regierung übersandte am 2 5. November Telegramme gleichen Inhalts an den Völkerbund und die Signatarmächte des Friedensvertrages von Paris, in denen auf die sowjetische Invasion in der Mandschurei hingewiesen wurde. Diese Maßnahme löste in Washington eine rege Tätigkeit aus. Am folgenden Tage gab Außenminister Stimson eine Erklärung ab, in der er China und Rußland aufforderte, ihre Auseinandersetzungen auf friedlichem Wege beizulegen, wozu sie sich durch den von 5 5 Nationen, einschließlich China und Rußland, unterzeichneten Vertrag von Paris verpflichtet hatten. Gleichzeitig schlug er den Regierungen Frankreichs, Britanniens, Japans und Italiens vor, in Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten eine Erklärung ähnlichen Inhalts zu veröffentlichen. Dieser Vorschlag Stimsons wurde unterschiedlich ausgenommen 60).

Am 30. November unternahm Stimson eigene Schritte. Während er seine Erklärung vom 26. November der chinesischen Regierung direkt zugestellt hatte, beauftragte er die französische Regierung, im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika der russischen Regierung eine ähnliche Erklärung zuzustellen. Ferner bat er die französische Regierung gleich abgefaßte Verlautbarungen im eigenen Namen an die Adresse Rußlands und Chinas zu richten. Am 1. Dezember ging er noch einen Schritt weiter und übersandte identische Noten an alle Signatarstaaten des Pariser Vertrages mit der dringlichen Forderung an Rußland und China Erklärungen zu übermitteln, die dem Tenor der amerikanischen entsprechen würden.

Die französische Regierung ging auf den Vorschlag der Amerikaner ein. Großbritannien, Italien und viele andere Signatarstaaten sandten inhaltlich gleichlautende Erklärungen an China und Rußland. Es hatte den Anschein, als ob sich der Druck der organisierten öffentlichen Weltmeinung katalytisch auf die bereits begonnenen Verhandlungen auswirkte. Die Nanking-Regierung hatte Marschall Tschang Hsüeh-Iiang freie Hand bei den Verhandlungen mit den Russen über die Beilegung des Streits gelassen. Das Protokoll wurde am 22. Dezember in Kaba-

rowsk unterzeichnet. Es enthielt folgende Bedingungen für die Beilegung des Streits:

(1) Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor dem Konflikt bestanden hatte.

(2) Entlassung chinesischer und sowjetischer Bürger, die in Verbindung mit dem Konflikt inhaftiert worden waren.

(3) Garantieerklärung an die entlassenen sowjetischen Eisenbahnangestellten auf Berechtigung, an ihre früheren Arbeitsplätze zurüdezukehren. (4) Entwaffnung und Deportation der Abteilung der russischen »Weißen Garde" durch die chinesischen Behörden.

(5) Sofortige Wiedereinrichtung der sowjetischen Konsulate in der Mandschurei, und der chinesischen Konsulate im Fernen Osten mit allen üblichen Vorrechten, wie sie das internationale Gesetz vorsieht.

(6) Wiederaufnahme der normalen Tätigkeit aller sowjetischen Wirtschaftsinstitutionen in der Mandschurei und der chinesischen Handelsagenturen in der LIdSSR unter den Bedingungen der Zeit vor dem Konflikt.

(7) Durchführung einer chinesisch-russischen Konferenz am 25. Januar 1930 in Moskau mit dem Ziel, alle Streitfragen beizulegen.

(8) Sofortige Wiederherstellung des Friedens entlang der chinesischen Grenze und der LIdSSR, einschließlich der Rückführung der Truppen auf beiden Seiten.

(9) Inkrafttreten des gegenwärtigen Protokolls am Tage seiner Unterzeichnung 61).

Die meisten der Bedingungen wurden innerhalb eines Monats nach Abschluß des Protokolls pflichtgemäß erfüllt. Die chinesisch-sowjetische Konferenz, die für den 25. Januar anberaumt war, wurde jedoch immer wieder hinausgezögert und erwies sich als Fehlschlag.

3. Chinas und Rußlands Friedensstreben

Ende Oktober 1929 brach eine Wirtschaftskrise aus, die einen ungeahnten Umfang annahm. Unordnung, Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit erfaßte die Nationen und das Gespenst wirtschaftlicher Not lag über der Welt. Die Weltwirtschaftskrise ließ den Wert des Brotes höher steigen als den Wert der Freiheit. Sie beschleunigte das Wachstum und die Entwicklung des Militarismus, des Faschismus und des Totalitarismus in Japan, Italien und Deutschland sowie in verschiedenen anderen europäischen Ländern. Danach setzte in den internatiot-------------- nalen Beziehungen eine neue Phase ein. Sie war gekennzeichnet durch eine Reihe von Überfällen, eine Mißachtung des internationalen Rechts und Gesetzes und eine Herabwürdigung des Genfer Völkerbundes. In dieser anormalen Zeit litten die chinesisch-sowjetischen Beziehungen mehr durch die Kontakte Chinas und Rußlands mit anderen Ländern als durch die direkten Angelegenheiten beider Länder.

Die Weltwirtschaftskrise war eine der zwei Faktoren, die Japan dazu ermutigten, seine aggressive Expansion in China wieder aufzunehmen. Daran war Japan zum Teil durch die Satzungen der Liga und den Neun-Mächte-Vertrag und zum anderen Teil durch die wachsende Stärke und den Wohlstand der Westmächte bisher behindert worden. Der andere Hauptfaktor war das Elend im Inneren Chinas, das 1931 von einer verheerenden Überschwemmungskatastrophe heimgesucht wurde. In der Nacht zum 18. September 1931 marschierten japanische Armeen in die südliche Mandschurei ein und griffen die von Mauern umgebene chine-

sische Stadt Mukden an. Damit begann Japan sein Programm des bewaffneten, rechtlosen Angriffs auf chinesisches Hoheitsgebiet, auf die Wirtschaft und die Souveränität des Landes. In wenigen Monaten hatte Japan die ganze Mandschurei unter seinen „eisernen Absätzen". China rief den Völkerbund an, doch dieser versäumte, gegen Japan wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

Die japanische Regierung bat die Sowjetregierung, eine neutrale Haltung gegenüber dem chinesisch-japanischen Streit einzunehmen In seiner Antwort versprach Litwinov eine Politik der Nichteinmischung, sofern Japan nicht sowjetische Rechte und Interessen verletzen würde.

Zur Erfüllung ihres ersten Fünf-Jahres-Planes, der am 1. Oktober 1928 in Kraft getreten war, wünschte die Sowjetregierung den Frieden. Daher nahm sie eine versöhnliche Haltung gegenüber Japan ein und verhielt sich weiterhin im Streitfall über die Mandschurei strikt neutral Die sowjetische Befriedung verfehlte ihre Wirkung auf Japan. Zur Enttäuschung der Sowjets stellten die Japaner ihre Provokationen nicht ein. Die mandschurische und japanische Presse beschuldigte die Sowjets, Geheimagenten in die Mandschurei entsandt zu haben, um Eisenbahnen und Brücken in die Luft zu sprengen und den „roten Terror" auszudehnen. Wahrscheinlich beabsichtigte Japan, damit der Welt zu zeigen, daß es ein Bollwerk gegen den Bolschewismus sei.

Die Lytton-Prüfungskommission des Völkerbundes hatte sich in die Mandschurei begeben und im Anschluß daran einen Bericht veröffentlicht. Dieser Bericht verurteilte Japans Angriff auf die Mandschurei, doch wich er der rechtlichen Schuldfrage nach dem Aggressor aus Er befriedigte daher nieht die Forderungen des chinesischen Volkes, Japans kriegsähnlichen Einfall als Aggression zu verurteilen und sie als solche zu ahnden. Nach dieser Enttäuschung stellte China seine normalen diplomatischen und konsularischen Beziehungen zur Sowjetunion wieder her

Mit der Besetzung der Mandschurei durch Japan wurde die Ostchinesische Eisenbahn zu einem Streitobjekt zwischen Japan und Rußland.

Diese Schwierigkeiten hörten selbst dann nicht auf, als die Sowjetregierung der Beförderung japanischer Truppentransporte auf dieser Eisenbahnlinie zustimmte. Der Eisenbahn wurde mehr Schaden zugefügt, und ihre Leitung wurde häufiger herausgefordert als im Jahre 1929, als der chinesisch-sowjetische Streit über die Eisenbahn zum Kriege geführt hatte. Doch anstelle scharfer Maßnahmen gegen Japan wählte die Sowjetregierung die Politik des Rückzuges und versuchte die Eisenbahn an Japans Marionette Mandschukuo zu verkaufen. Das unmittelbare Motiv dieser Politik war die Beseitigung einer ständigen Reibungsfläche mit Japan. Ein anderes Motiv betraf die Weltpoltik.

Schon Ende 1927 hatte Stalin den Verkauf der Eisenbahn an Japan geUnruheherdes mit Japan. Ein anderes Motiv betraf die Weltpolitik, plant. Bessedowsky, ein früherer Sowjetdiplomat, schrieb: „Bei meiner Ankunft in Moskau hatte ich ein Gespräch mit Stalin über den Verkauf der Ostchinesischen Eisenbahn....... Wenn sie mich fragen“, sagte er, „sollten wir diese Eisenbahn verkaufen. Vergessen Sie nicht, daß unsere Beteiligung an dieser Eisenbahn unsere Fernostpolitik schwächt. Bei unserem . Rückzug'sollten wir eine runde Geldsumme in unsere Tasche fließen lassen und den Antagonismus zwischen Amerika und Japan vergrößern ....... “ Der sowjetische Vorschlag war eine Provokation an China und brachte auch die sowjetisch-chinesischen Beziehungen in Unordnung, die sonst bestehen geblieben wären. In ihrem Protest gegen den Verkauf beschuldigte die chinesische Regierung die Sowjetregierung, gegen Artikel 9 des Peking-Übereinkommens von 1924 verstoßen zu haben, der besagt, „daß die Regierungen der zwei vertragschließenden Partner darin übereinstimmen, daß die Zukunft der Ostchinesischen Eisenbahn von der Republik China und der UdSSR gemeinsam bestimmt werde“ Die Sowjets ignorierten den chinesischen Protest und setzten ihre Verhandlungen über den Verkauf der Eisenbahn an Japan fort. Am 23. März 193 5 wurde formell ein Vertrag unterzeichnet, der die Übertragung der Eigentumsrechte der Eisenbahn behandelte

Der chinesische Protest bezog sich auf die Frage, ob die Sowjets rechtlich Efgentümer der Eisenbahn seien. Die Sowjetregierung erklärte, „daß die arbeitenden Massen Rußlands die Wiederherstellung der Eisenbahn mit ihrem schwer erarbeiteten Geld bezahlt haben" Diese Feststellung ist nach Meinung eines früheren Präsidenten der Ostchinesischen Eisenbahn nicht richtig: „Mit Ausnahme der Überwachung und der Herstellung von Schienen wurde die gesamte Arbeit von chinesischen Arbeitern ausgeführt, die in Romanoff-Rubeln bezahlt wurden .. als die Sowjets den Romanoff-Rubel nicht mehr als Zahlungsmittel anerkannten, schmolz sein Wert in Nidrts zusammen. Da der Romanoff-

Rubel klar erkenntlich den Vermerk trägt: Alle Hilfsquellen des russischen Reiches versprechen Sicherheit, haben die Inhaber solcher Banknoten offensiclttlich auch einen direkten Anspruch auf die Ostchinesische Eisenbahn. Daher sind es die arbeitenden Massen der Mandschurei, die für die Ostchinesische Eisenbahn bezahlt haben . .

193 5 hatte die Sowjetunion durch die Beendigung der gefährlichen diplomatischen Isolationspolitik erhebliche Fortschritte hinsichtlich ihrer nationalen Sicherheit gemacht und eine neue diplomatische Front errichtet. Die Staatenkette diesseits und jenseits der sowjetischen Westgrenze hatte sich der Sowjetunion gegenüber zu Nachtangriffsverträgen verpflichtet Der größte Erfolg der Sowjetdiplomatie in diesem Jahr war jedoch die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Präsident Roosevelt und der sowjetische Gesandte Litwinov tauschten gegenseitig Noten aus, die das beiderseitige Versprechen enthielten, sich nicht in territoriale Angelegenheiten des anderen einzumischen und keine Agitation oder Propaganda zu betreiben, die auf den Sturz des politischen Systems und der sozialen Ordnung des anderen abzielte . . •, Die Wiederherstellung normaler Beziehungen zu den USA und der UdSSR hätte eine Herausforderung Japans und Deutschlands zur Folge haben können. Deshalb versuchte die Sowjetunion ihre diplomatische Befriedung zu verbessern und erreichte den Eintritt in den Völkerbund.

Der Eintritt der Sowjets in den Völkerbund hatte zur Folge, daß sich Japan und Deutschland enger aneinanderschlossen.

Auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz setzte Japan seine aggressiven Eroberungsbestrebungen in Richtung auf die Innere Mongolei und Nordchina fort, wobei es nicht nur China bedrohte, sondern auch die Sowjetunion, die bedeutende strategische und wirtschaftliche Positionen in dem Gebiet des Trans-Baikal zu verlieren hatte. Entfremdet in ihren Beziehungen zueinander und damit nicht in der Lage, den gemeinsamen Feind zu stellen, handelten China und Rußland in dieser ernsten Situation getrennt.

Sie versuchten beide, ihre nationale Stärke auf der einen Seite auszubauen und auf der anderen Seite nach Möglichkeit zu verhindern.

Im Falle Chinas hatte die Zentralregierung seit 193 3 fortgesetzt fest-

umrissene Anstrengungen unternommen, das Programm der Herstellung der nationalen Einheit voranzutreiben. Es lud Fachleute und Techniker des Völkerbundes und der befreundeten Nationen, wie England und die Vereinigten Staaten, ein. Der Sprecher des japanischen Außenministeriums gab eine Erklärung ab, in der er gegen die fremde Wirtschaftshilfe an China protestierte und die Mächte aufforderte, ihre Hände von China zu lassen Zu Beginn des Jahres 1936 bedrängte der japanische Außenminister Hirota China, gegen die Kommunisten zu kollaborieren, die antijapanische Tätigkeit einzustellen und Manschukuo anzuerkennen China weigerte sich aus der Furcht, daß diese Bedingungen zu einer japanischen Einmischung in seine innere Angelegenheiten führen könnten. Die chinesisch-japanischen Beziehungen wurden dadurch sehr gespannt und Japan setzte Schritt für Schritt seine Eroberungsfeldzüge in Nord-

china und der Inneren Mongolei fort. Da keiner dieser Eingriffe das Risiko des Krieges mit Japan wert war, begegnete die Nanking-Regierung diesen Demütigungen mit Geduld und machte widerwillig Konzessionen, um Zeit für eine innere Festigung und die Vorbereitung zum Krieg zu gewinnen.

China war außerdem im Inneren des Landes in einen Kampf zwischen der Regierung und den chinesischen Kommunisten verwickelt. Die chinesischen Kommunisten erhielten nach wie vor ihre Anregungen und Anleitungen von den Komintern. Im Innern Chinas wurde eine Rote Armee gebildet. Zur gleichen Zeit organisierten sich die Sowjets. Plötzlich gab es die sogenannten „Roten Distrikte“ an den Grenzen der Provinzen Zentralchinas. Tschiang Kai-schek brauchte vier Jahre und zahlreiche Militäraktionen mit Millionen von Truppen und unzähligen Materialien, bevor Zentralchina von den kommunistischen Insurgenten gesäubert war.

Die entscheidende Stunde begann am 10. November 1934, als die kommunistischen Führer sich zu dem sogenannten „langen Marsch" entschlossen.

Nach Aussage Tschang Kuo-ta’vs, einem früheren chinesischen Kommunistenführer, wurde diese wichtige Entscheidung auf Grund Moskauer Instruktionen getroffen Dies ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Komintern niemals aufgehört haben, sich in die Angelegenheiten der kommunistischen Partei einzumischen. Der „lange Marsch“ endete im rauhen nordwestlichen Gebiet Chinas. Hier errichteten die chinesischen Kommunisten in Yenan ihre Hauptstadt und setzten ihren Kampf um die unumschränkte Macht fort.

Die Nanking-Regierung schmiedete weiterhin an ihrem nationalen Wiederaufbauprogramm. Eine einheitliche Währung wurde eingeführt, das Nachrichtensystem und die Transportmittel verbessert und ausgebaut, der Außenhandel intensiviert und das Volk mit dem Begriff Bil-dung vertraut gemacht. Die Moral des Volkes erreichte einen Höhepunkt.

Um eine breitere Basis für den nationalen Wiederaufbau schaffen zu können, ersehnte die Nanking-Regierung den Frieden. Nur widerstrebend setzte sie die Innere Mongolei und Nordchina den japanischen Angriffen aus.

Rußland hatte zu der Zeit gerade seinen 2. Fünfjahresplan verkündet, der auf die Errichtung einer riesigen Kriegsindustrie abzielte. Zur Durchführung dieses Planes, von dem seine Position als Weltmacht abhing, verlangte auch Rußland verzweifelt nach Frieden. Außerdem war Rußland auf den Frieden im äußeren Teil des Landes dringend angewiesen, weil es versteckte Gefahren im innenpolitischen Raum zu bekämpfen hatte. Am 1. Dezember 1934 hieß es in einer offiziellen sowjetischen Erklärung, daß zahlreiche terroristische Anschläge, wahrscheinlich mit ausländischer Unterstützung, in der Sowjetunion verübt worden seien. Die große Säuberungsaktion begann. In Wirklichkeit war dieser innerpolitische Kampf ein Bürgerkrieg. Zahlreiche Mitglieder der KPdSU wurden aus der Partei ausgestoßen, in die Verbannung geschickt oder hingerichtet. In dieser kritischen Lage, in der Rebellen und eine 5. Kolonne Furcht und Terror ausgelöst hatten, wäre Rußland gewiß jedem Krieg mit einer anderen Macht aus dem Wege gegangen. Rußland hielt die Erhaltung des Friedens für eine Existenzfrage.

Die Aussichten auf Frieden wurden jedoch immer geringer. Im Mäiz 1936 drohte Hitler mit einem Einfall in die Sowjetunion und mit der Besetzung des Landes Noch größere und spürbarere Gefahren für die Sowjetunion kamen jedoch aus dem Osten. Hier drohte und bluffte Japan nicht nur, sondern rasselte auch entlang der Grenze mit seinen Waffen und löste im Grunde genommen den Kriegszustand aus.

Gegen Ende des Jahres 1936 reichten sich Japan und Deutschland in dem wohlbekannten Anti-Komintern-Pakt die Hand. Dreist erklärte die japanische Presse, daß dieser Pakt eine deutsch-japanische Allianz sei, die sich gegen die UdSSR richte und Rußland damit eingekreist sei

In der Zwischenzeit hatten die Komintern eine Resolution an die Kommunistischen Parteien aller Länder gerichtet und sie aufgefordert, ihre Klassenkampftaktiken vorübergehend aufzugeben und stattdessen so-fort eine vereinigte antifaschistische Front zu bilden In der letzten Hälfte des Jahres 1936 verstärkte die Sowjetunion ihre Drohungen nach außen hin und veranlaßte eine breite Veröffentlichung über ihre militärischen Möglichkeiten und ihre militärische Stärke.

Der positivste Aspekt der sowjetischen Politik in der Begegnung der drohenden japanischen Aggression war jedoch die russische bewaffnete Intervention in der Äußeren Mongolei und Sinkiang. Ein wichtiges Motiv für diese Handlungsweise dürfte darin zu suchen sein, daß die Sowjets unter allen Umständen eine japanische Invasion in diesem Gebiet verhindern wollten. Ein mongolisch-sowjetisches Protokoll über die gegenseitige Unterstützung wurde in der Hauptstadt der mongolischen Volksrepublik Lllan Bator unterzeichnet. Im wesentlichen wurden folgende Vereinbarungen getroffen: Konsultation und Zusammenarbeit für den Fall einer militärischen Bedrohung gegen einen der Unterzeichner, gegenseitige Hilfe, einschließlich militärischer Hilfe in Fällen eines tatsächlichen Angriffs durch ein drittes Land und Rückzug der Truppen aus dem Hoheitsgebiet des anderen, sobald die Notlage behoben ist Die chinesische Regierung richtete einen strikten Protest an die Sowjetregierung, in dem sie den Standpunkt vertrat, das mongolisch-sowjetische Protokoll stelle einen Eingriff in Chinas Souveränität dar und verstoße gegen das Pekinger Abkommen aus dem Jahre 1924. China fühle sich daher nicht an dieses Protokoll gebunden Die sowjetische Haltung in der Äußeren Mongolei erhöhte die Spannung in den Beziehungen zwischen allen drei Hauptländern im Fernen Osten und veranlaßte Japan, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, indem es sich auf Kosten Chinas breit machte.

Sinkiang, das auch Chinesisch-Turkestan genannt wird, ist für China hauptsächlich geopolitisch von Bedeutung. Wie die Mongolei ist es ein strategischer Durchgang nach China zu den „Barbaren“ Zentralasiens und bildet daher einen Hauptfaktor für Chinas nationale Sicherheit. Nach dem allgemeinen chinesisch-sowjetischen Abkommen von 1924 zeigte die Sowjetregierung ein wachsendes Interesse an Sinkiang. Das veranlaßte die Sowjets, dicht an der westlichen Grenze der Provinz eine Eisenbahnlinie zu bauen. Diese Linie sollte eine starke wirtschaftliche und finanzielle Anlehnung Sinkiangs an Rußland und ein Fortstreben von China bewirken. Der sowjetische Einfluß in dieser Provinz wuchs gewaltig an.

Eine bedeutende Neuerung war die Festlegung eines gigantischen wirtschaftlichen Aufbauprogramms. Die Sowjetregierung lieferte bei der Verwirklichung der verschiedenen Projekte dieses Programms eine ausgedehnte technische Hilfe, z. B. bei Ölbohrungen, beim Bau von Ölraffinerien, bei Wasserversorgung, Straßenbau, Ackerbau und Viehzucht, und bei der Errichtung von Schulen und Krankenhäusern. Die sowjetischen Berater waren schon bald bei Armee, Polizei und Luftwaffe bekannt und russische Instrukteure wurden in der Militärakademie der Provinz eingestellt.

Zweifellos wurde Sinkiang zu dieser Zeit einem ziemlich umfangreichen Prozeß der Sowjetisierung unterzogen, indem seine inneren wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen „Errungenschaften sich auf der sowjetischen Linie bewegten.

4. Der Sian-Zwischenfall

Es ist schwierig, einen schlüssigen Beweis für die verschiedenen Ursachen und Gründe, die zu dem Sian-Zwischenfall führten, zu erbringen. Es deuten jedoch viele Anzeichen darauf hin, daß als Folge dieses Zwischenfalls die japanische Aggressionsmaschine in Richtung auf China in Bewegung gesetzt wurde, wodurch Rußland von einer gewaltigen Sorge befreit wurde.

Als der Zwischenfall 1936 geschah, hatten sich die chinesischen Kommunisten seit über einem Jahr aktiv für eine gemeinsame Front gegen Japan und für die Einstellung des Bürgerkrieges eingesetzt. Die Politik der Vereinigten Front war als die offizielle Politik durch die Komintern im August 1953 proklamiert worden. Tschiang Kai-schek als der tatsächliche Führer der Nanking-Regierung war entschlossen, die chinesischen Kommunisten zu vernichten, bevor sie sich einer Aggression von außen widersetzten. Alle Anzeichen sprachen für seinen Erfolg, als er am 12. Dezember 1936, knapp zwei Wochen nachdem Deutschland und Japan den Anti-Komintern-Pakt geschlossen hatten, in Haft genommen und seiner persönlichen Freiheit durch seinen übergeordneten General Tschang Hsüeh-liang, oft genannt der „junge Marschall“, beraubt wurde. General Tschang war ursprünglich mit der sogenannten „NordWest-Expedition“ gegen die chinesischen Kommunisten betraut; er spielte jedoch mit den Kommunisten Ball Nachdem er seinen eigenen General zum Gefangenen gemacht hatte, forderte der „junge Marschall“ eine Vereinigte Front gegen Japan und zwang Tschiang, den Krieg gegen die Kommunisten einzustellen und allen Parteien und Cliquen zu gestatten, dieser Front beizutreten, um so gemeinsam an der Errettung der Nation teilzuhaben.

Japans Außenminister erklärte, daß die japanische Regierung jeden Kompromiß über die Beilegung des Sian-Zwischenfalls ablehnen werde, der starke anti-japanische Tendenzen enthalte Was die Situation verschlechterte, war die japanische Ansicht, die Verschwörung sei von sowjetischen Emissären angestiftet worden. Die japanische Kwantung-Armee behauptete, Kenntnis davon gehabt zu haben, daß zwischen dem „jungen Marschall“ und der Sowjetregierung sechs Monate lang Verhandlungen geführt worden seien. Diese Beschuldigungen veranlaßten den sowjetischen Geschäftsträger in Nanking, I. Spilwanik, den chinesischen Außenminister Tschang Tschung am 20. Dezember aufzusuchen und ihm zu versichern, daß die Sowjetregierung ihre Beziehungen mit dem jungen Marschall bereits seit dem Vorfall von Mukden, am 18. September 1931, eingestellt habe Nach Aussage Edgar Snow's war Moskau definitiv an der schnellen Entlassung des Generalissimos Tschiang beteiligt Jahre später gab Molotow in einer Unterhaltung mit General Hurley zu: „Auf Grund der politischen und moralischen Unterstützung der Sowjetregierung wurde Tschiang erlaubt, an den Sitz seiner Regierung zurüd^zukehren. Der Führer der Revolutionäre Tsdtang-

Hsüeh-liang wurde verhaftet"

Die außergewöhnliche Art des Sian-Vorfalls, in dem die Sowjets sowie die chinesischen Kommunisten verwickelt waren, und die krassen Forderungen nach einer Vereinigten Front gegen Japan erweckten den Argwohn und den Zorn Japans. Sie waren schließlich der Hauptgrund dafür, daß alle japanischen Kräfte zu der Aggression gegen China aufgeboten wurden. Wäre der Vorfall nicht passiert, so hätte sich möglicherweise dieser Angriff gegen die Sowjetunion gerichtet.

III. China und Rußland im Zweiten Weltkrieg 1. Russische Unterstützung Chinas gegen Japan

Mit all seinen unheilvollen Verwicklungen diente der Vorfall in Sian als überzeugender Beweis dafür, daß Tschiang Kai-schek sich der Unterstützung des chinesischen Volkes erfreute und daß gegen Ende 1936 China einer wirklichen Einheit sehr nahegekommen war. Den Japanern war diese wachsende Einheit und Stärke nicht unbekannt geblieben. Es überlegte eine Neuordnung seiner Chinapolitik. Im Februar 1937 vertrat eine neue japanische Regierung entschieden die Ansicht, daß Verhandlungen mit China auf der Basis der Gleichberechtigung geführt werden sollten Gerade als sich Japans Politik gegenüber China relativ freundlich und verbindlich zeigte, intensivierten die -chinesischen Kommunisten ihre Agitation für gemeinsame Bemühungen gegen eine japanische Aggression. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei sandte den Komintern in Nanking ein Telegramm, worin es versprach: 1.sein Programm der bewaffneten Aufstände einzustellen; 2. die Rote Armee in eine nationalrevolutionäre Armee umzubilden und sie der direkten Leitung der Zentralregierung zu unterstellen; und 3. die Politik der Bodenenteignung der Landlords einzustellen und hartnäckig das Programm einer anti-japanischen vereinigten Front durchzuführen. Das Telegramm forderte die Freiheit der Rede, Versammlung etc.; die Aufhebung des Bürgerkrieges und den sofortigen Beginn der vorbereitenden Arbeiten für einen Widerstandskrieg gegen Japan. Gegen Ende Februar entschied sich das Zentral-Exekutiv-Komitee der Kuomintang zur Anerkennung dieser „Roten Übergabe“ 86). Tatsächlich aber gibt es berechtigten Zweifel, ob die Kommunisten jemals ihre Versprechungen getreu erfüllt haben.

Ob diese kommunistische Agitation irgendwelche wichtigen Auswirkungen auf die Politik Japans hatte, ist schwer zu sagen. Die neue, relativ gemäßigte Politik Japans gegenüber China dauerte nicht lange an. Im Anschluß an die allgemeinen Wahlen in Japan im Jahre 1937 übernahm Prinz Konoe am 5. Juni das Amt des Premiers 87). Die neue* Regierung demonstrierte bald ihren militärischen Charakter und ihre kriegerischen Tendenzen. Japan hatte wirtschaftliche Vorbereitungen für den Krieg getroffen und beharrte auf seiner aggressiven Politik gegenüber China und der Sowjetunion.

Japan verstärkte seine aggressive Tätigkeit in China in dem Glauben, daß die militärische Stärke der Sowjets ernstlich durch die große Säuberungsaktion geschwächt worden sei und war von den Sorgen über die sowjetische Gefahr in der Mandschurei befreit.

Zwischen dem 7. und 8. Juli 1937 griffen gegen Mitternacht japanische Streitkräfte in Lukouchiao an der Marco-Polo-Brücke, einem Außenbezirk von Peking, chinesische Truppen an. Diese Feindseligkeiten verstärkten sich kurz danach. Nachdem dadurch Chinas Bemühungen um den Frieden zerstört wurden und seine Geduld auf die härteste Probe gestellt worden war, enschloß es sich zum Kampf gegen Japan bis zum Ende.

Nach dem Beginn dieser Kampfhandlungen bemühte sich die Sowjetunion darum, die japanische Aggression innerhalb der chinesischen Grenzen zu halten. Während die Sowjets es sorgsam vermieden, es in anderen Angelegenheiten mit Japan zu einem Bruch kommen zu lassen, unterzeichneten die sowjetische und die chinesische Regierung am 21. August gemeinsam einen Nichtangriffspakt, der folgende bedeutsame Vereinbarung enthielt: „Für den Fall, dafl eine der beiden ver-

tragsdtlieflenden Parteien von einer oder mehreren dritten Mädtten angegriffen werden sollte, verpflichtet sich die andere vertragsdiließende Partei, einem soldien Angreifer während der Gesamtdauer des Konflikts keinerlei direkte oder indirekte Unterstützung zu leisten. Desgleidten oder Vereinbarung des Angreifers oder der Angreifer, die sich zum Nachteil der angegriffenen Partei auswirken könnte" 88).

Gleich zu Beginn der chinesisch-japanischen Kampfhandlungen stellte sich die Sowjetunion auf die Seite Chinas und gab sehr bald der chinesischen Regierung und dem Volke die moralische Unterstützung. Japans Angriff und die Besetzung Chinas führte eine Prima-Facie-Verletzung des Neun-Mächte-Vertrages herbei, der seine Unterzeichner verpflichtete, die politische Unabhängigkeit und territoriale Einheit Chinas zu respektieren. Die belgische Regierung lud die Signatarmächte dieses Vertrages zu einer Konferenz über den chinesisch-japanischen Konflikt nach Brüssel ein. Während Deutschland diese Einladung ablehnte, nahm die Sowjetregierung sie an und unterstützte energisch Chinas Interessen

Inzwischen hatte am 12. September die chinesische Regierung den Völkerbund angerufen und ihn um Rat in der gegenwärtigen Situation Chinas ersucht. Der Völkerbund faßte jedoch keinen Beschluß. Die sowjetische Delegation beim Völkerbund, die von Maxim Litwinow angeführt wurde, plädierte für die gerechte Sache Chinas und forderte nicht nur moralische, sondern auch materielle Hilfe. Litwinow kritisierte die anderen Mitglieder des. Völkerbundes und warf ihnen vor, die japanische Aggression nicht als solche erkennen zu wollen.

Ende 1937 war nicht nur der Ferne Osten, sondern auch Europa verstärkt durch Aggression bedroht, die die Sicherheit der Sowjetunion direkt oder indirekt betraf. Indem Litwinow und andere sowjetische Beamte jegliche Aggression anprangerten und kollektive Sicherheit predigten, tadelten sie nicht nur Japan, sondern auch Deutschland und Italien, und förderten dadurch nicht nur die Interessen Chinas, sondern auch die der Sowjetunion.

Im März 1938 annektierte Deutschland Österreich. Die Sowjetunion, seit Jahren das Ziel nationalsozialistischer Drohungen, hielt es für notwendiger als je zuvor, Japan zu schwächen, das mit Deutschland so gut wie verbündet war. Das Entscheidende hieran war, daß ein geschwächtes und mit verschiedenen Problemen beschäftigtes Japan nicht nur eine geringere Bedrohung für die Sowjets im Fernen Osten darstellte, sondern auch Deutschland bei seinen Vorhaben in Europa entmutigte. Eine Möglichkeit, die strategische Schlüsselposition zu erhalten, war offensichtlich die Stärkung des Militärpotentials der Chinesen zur Verlängerung des Kampfes gegen Japan. Daher begannen die Sowjets im Frühjahr 1938 ihre materielle Hilfe an China, die in der Folgezeit einen beachtlichen Umfang annahm.

Im September griff Deutschland nach dem Sudetenland, und am 1. Oktober unterzeichneten Deutschland, Großbritannien und Frank-reich den niederträchtigen Pakt von München, der die Forderungen der Nazis erfüllte. Die Monate, die dem Pakt von München folgten, waren verhängnisvoll für die internationalen Beziehungen. Der Krieg hing sozusagen in der Luft. Während Rußland ängstlich darum bemüht war.

den Krieg mit irgendeinem anderen Land zu vermeiden oder hinauszuzögern, nahm es eine feste diplomatische Haltung — insbesondere gegenüber Japan — ein, um nicht den Eindruck von Schwäche aufkommen zu lassen. 1939 bezeichneten die Sowjets die Lage in Europa als äußerst ernst. General Franco, ein Verbündeter Hitlers und Mussolinis, hatte in Spanien die Alleinherrschaft angetreten. Nazi-Streitkräfte hatten die Tschechoslowakei überrannt und sie damit zu einem Vasallenstaat herabgewürdigt.

Zu dieser Zeit hielt die Sowjetregierung die Bedrohung im Osten für gefährlicher als im Westen und versuchte mit Deutschland ein Übereinkommen zu erzielen, um freie Hand gegenüber Japan zu haben. Die Sowjetregierung spielte sich in eine Doppelrolle hinein. Auf der einen Seite führte sie offene Verhandlungen mit England und Frank-reich und auf der anderen Seite geheime Verhandlungen mit Deutschland.

Einige Tage nach der Ernennung Molotows zum Außenminister versuchte Japan erneut, seine Kräfte mit Rußland zu messen. Am 11. Mai kam es zu einem bewaffneten russisch-japanischen Konflikt über Nomon-

han an der Grenze der Äußeren Mongolei, der bald große Ausmaße annahm.

Da sich die Sowjetunion praktisch mit Japan im Kriege befand, setzte sie natürlich ihre Hilfe an China fort. Molotow bestätigte diese Hilfeleistungen an China gegen Japan noch einmal in folgender Weise: „Sie sind mit Stalins Verlautbarung vertraut, die solchen Nationen Unterstützung gewährt, die Opfer einer Aggression geworden sind. ... Dies trifft in vollem Umfange auf China zu. . .. Diese Politik wird von uns in der Praxis beständig ausgeübt. ..." Am 16. Juli wurde zwischen China und der Sowjetunion ein Handelsabkommen geschlossen, das den Nachschub an Waffen und Kriegsmaterial für China sicherstellte Die Anleihen der Sowjetunion an China beliefen sich jetzt auf 200 Millionen LIS-DolIar

Der anhaltende russisch-japanische Konflikt im Streitfall Nomonhan mag die Sowjetunion veranlaßt haben, sich mit Deutschland zu vergleichen, um einen Kampf an zwei Fronten zu vermeiden. Am 23. August 1939 wurde in Moskau der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von Außenminister Molotow und Außenminister von Ribbentrop unterzeichnet. Diese mariage de convenance zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus hatte jetzt ihre Rückwirkungen auf die Entwicklung im Osten. Am 15. September schloß Japan mit Rußland einen Waffenstillstand Mit diesem diplomatischen Streich befreite sich die Sowjetunion gleichzeitig vom Druck aus dem Westen und dem Osten. Eine Woche nach Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages überfielen Nazi-Truppen Polen. Großbritannien und Frankreich erklärten daraufhin Deutschland am 3. September den Krieg; Rußland verhielt sich neutral. AIs Polen am 17. September jedoch verzweifelt mit den Nazis im Westen kämpfte, marschierten russische Armeen vom Osten her in Polen ein.

Kurz nach der Verbindung von Kommunismus und Nationalsozialismus vertiefte und vergrößerte sich der Riß in der vereinigten Front Chinas. Wie überall im kommunistischen Lager waren auch die chinesischen Kommunisten über die Verbindung Kommunisten-Nationalsozia-

listen bestürzt; sie begannen, den Krieg einen imperialistischen Krieg zu nennen. Sie brachen ihr früher gegebenes Versprechen, die Nationalregierung zu unterstützen und Japan mit vereinten Kräften niederzuringen.

So setzten sie zwar ihren Widerstand fort, doch ging es ihnen dabei hauptsächlich um die Ausdehnung ihrer eigenen Macht. Sie schufen sich das sogenannte „Schensi-Kansu-Ninghsia-Grenzgebiet" und regierten es wie einen unabhängigen Staat mit eigenen Gesetzen, eigenem Geldwesen und Steuer-System. Sie vergrößerten ihre Streitkräfte und stationierten sie über die ihnen ursprünglich von der Regierung zugewiesene Kriegszone hinaus

Am 30. November 1939 marschierten sowjetische Truppen unter dem Vorwand der Stärkung der russischen Grenzverteidigung in der Nähe von Leningrad in Finnland ein. Am 14. Dezember mißbilligte der Völkerbund das Vorgehen der UdSSR und stimmte für ihren Ausschluß. Der chinesische Delegierte enthielt sich der Stimme. Diese Geste widerspiegelte die damaligen Beziehungen zwischen China und Rußland. So tapfer auch das finnische Volk kämpfte, es konnte dem russischen Koloß nicht immer Trotz bieten. Am 12. März 1940 mußte es die russischen Friedensbedingungen annehmen.

Kurz danach fielen Streitkräfte der Nazis in Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande und dann in Frankreich ein. Die Besetzung so vieler Länder durch deutsche Truppen hatte inhaltsschwere Auswirkungen auf die Weltpolitik. Rußland war trotz seines Nichtangriffs-Pakts mit Deutschland nicht frei von bösen Vorahnungen. „Um seine Grenzen zu schützen“, unternahm Rußland weitere Aggressionen. Sowjetische Streitkräfte überrannten Lettland und Estland

Im Fernen Osten war das Gleichgewicht der Kräfte gewaltsam umgestürzt worden. Britannien, Frankreich und die Niederlande waren jetzt nicht in der Lage, ihre Kolonien zu verteidigen. Japan konnte der Ver-suchung nicht widerstehen/nach Süden zu gehen Am 26. September trat es einem neuen Pakt mit Deutschland und Italien bei. Dieser Pakt sah eine gegenseitige Hilfeleistung im Falle eines Angriffs durch „eine Macht vor, die zur Zeit m& it in einen Krieg in Europa oder in den diinesisdi-japanisdien Konflikt" verwickelt war. Rußland wurde von diesem Vertrag nicht betroffen Das hieß eindeutig, daß sich dieser Vertrag gegen die Vereinigten Staaten richtete, die zu dieser Zeit die einzige Macht waren, Japans nach Süden gerichteten Expansions-Bestrebungen im südwestlichen Pazifik zu überprüfen.

China hatte während des ganzen Jahres 1940 schwere Lasten zu tragen. Im März hatte sich die Wang-Tsching-Wei-Marionettenregierung in Nanking gebildet, mit deren Hilfe Japan hoffte, die politische Herrschaft über China zu erhalten. Die britische Regierung fügte diesen Belastungen und Problemen weitere hinzu. Im Juli befahl sie die Sperrung der Burma-Straße, die zu dieser Zeit die Hauptnachschublinie für China war Schließlich wurden die chinesischen Kommunisten zu einer immer größer werdenden Bedrohung des Friedens und der Einheit im Innern, indem sie intensiv versuchten, ihre Armee zu vergrößern und ihr Gebiet auszudehnen. Kommunistische Streitkräfte überschritten Kriegsgebiete, die anderen Kommandeuren von der National-Regierung zugewiesen worden waren. Bewaffnete Zusammenstöße brachen aus, und im Schatten ausländischer Aggressionen vergrößerte sich der Gärungsprozeß unter der Bevölkerung

Der Pakt der Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien, der Rußland ausschloß, hielt Japan nicht von einer Aggression gegen Rußland zurück. Sowjetrußland war durch die eiserne Logik globaler Kräfte gezwungen, die Hilfe an China fortzusetzen und China als einen wirksamen Puffer gegen Japan zu erhalten.

2. Russisches Obereinkommen mit Japan

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffs-Pakt war im Grunde genommen nichts anderes als eine Verzögerungstaktik zwischen zwei Großmächten, die ohne Furcht und ohne Skrupel die kleineren Nationen einschüchterten und angriffen, während sie sich selbst zu einem gegenseitigen Krieg nicht rüstungsstark genug glaubten und sich daher Zeit für die Vorbereitung und strategische Ausdehnung auf Kosten ihrer Nachbarn wünschten. Aus diesem Grunde überraschte es nicht, daß Rußland und daß Nazi-Deutschland sofort nach Abschluß ihres Paktes darin wetteiferten, das internationale Recht und Gesetz und die Moral dadurch zu verletzen, daß sie eine schwache Nation nach der anderen als Puffer zur Sicherung ihrer entsprechenden Grenzen unterwarfen.

Während die Sowjetregierung ihre Hilfe an China fortsetzte, um ihm den Kampf gegen Japan zu ermöglichen, hielt sie es für dringend notwendig, ihre Beziehungen zu Japan neu zu durchdenken. Die japanische Regierung war bei einer ernsthaften Betrachtung ihrer Expansionsbestrebungen in Südost-Asien zwar nicht besonders scharf darauf, die Sowjetunion zu befrieden, sie war jedoch bereit, eine Entspannung in ihren Beziehungen zu dieser Macht auf einer gegenseitig nutzbringenden Basis herbeizuführen. Der Trend gegenüber einer russisch-japanischen Aussöhnung wurde stärker und hatte weitreichende Auswirkungen auf Chinas Kriegsanstrengungen und seine Innenpolitik.

Nachdem Hitlers Streitkräfte Paris im Juni 1940 genommen hatten, tanzte Hitler vor Freude. Sein ganzer Ehrgeiz richtete sich darauf, die britische Insel zu erobern. „Wir kommen“, erklärte er den Briten Das war keine leere Drohung, denn bald danach warfen Nazi-Bomber ihre tödliche Last auf englische Städte. Gegen Ende des Jahres mußte Hitler jedoch die englische Überlegenheit in der Luft anerkennen, die eine Änderung seiner Pläne zur Folge hatte. Möglicherweise entschied er sich daraufhin für den Kampf im Osten. Diese Entscheidung stand im Einklang mit den Vorstellungen von Eroberungen, wie er sie in „Mein Kampf“ erläutert hatte.

Am 10. Januar 1941 unterzeichneten Deutschland und Sowjetrußland einen Friedensvertrag und ein neues Handelsabkommen. Hinter dieser Geste verbargen sich nichts anderes als Rauchwolken, die die Feindseligkeiten verhüllen sollten. Die Nazis begannen, sich auf dem Balkan auszudehnen.

Ihre Streitkräfte besetzten und herrschten in Bulgarien. Deutsche Streitkräfte befanden sich auf dem Vormarsch, um Jugoslawien zu überfallen. Dadurch provoziert, schlossen Rußland und Jugoslawien einen Freundschafts-und Nichtangriffs-Pakt. Trotzdem bombardierten am ersten Tag nach Abschluß dieses Paktes deutsche Bomber pausenlos Belgrad

Jetzt hielt es die Sowjetunion für absolut notwendig, Japan zu beschwichtigen, um einen Kampf an zwei Hauptfronten, die Tausende von Kilometern voneinander entfernt gewesen wären, zu vermeiden. Das Ergebnis war der am 13. April geschlossene russisch-japanische Neutralitätsvertrag. Artikel 1 dieses Vertrags sah vor, „daß beide vertragschließende Partner friedliche und freundliche Beziehungen zueinander halten wollen und die territoriale Einheit und Unverletzlichkeit des anderen respektieren werden“. In Artikel 2 versprachen die beiden Parteien, sich strikt neutral zu verhalten, falls eine von ihnen in eine Militäraktion durch einen oder mehrere Staaten verwickelt würde. Artikel 3 stellte fest, daß dieser Vertrag fünf Jahre lang gültig sei und sich automatisch erneure, sofern das Vertragswerk nicht vorher gekündigt würde. In einem gemeinsamen Zusatzartikel zu diesem Vertrag erklärten sich die Regierung des japanischen Kaiserreiches und die Regierung der UdSSR bereit, „die territoriale Einheit und Unverletzbarkeit des Empire von Manchukuo zugunsten der Sowjetunion zu respektieren“. Diese Bedingungen brachten China aus folgenden Gründen in Verlegenheit: 1. sie stärkten die Moral der japanischen Streitkräfte und ermutigten Japan zur Aggression; 2. durch die Erklärung über die Mongolei und die Mandschurei gab Rußland deutlich zu erkennen, daß es bereit sei, Manschukuo anzuerkennen und die gleiche Position in der Äußeren Mongolei einzunehmen, wie sie Japan in der Mandschurei eingenommen hatte. In beiden Fällen wurde Chinas Souveränität verletzt; 3.der Vertrag milderte die Spannungen an der sibirisch-mandschurischen Grenze und versetzte Japan dadurch in die Lage, seine Truppen nach Ostund Zentral-China zu verschieben, um eine neue Aggression zu beginnen; 4. China wurde von der Einstellung der russischen Kriegshilfe bedroht. Die Sowjetregierung versicherte, daß der Neutralitätspakt mit Japan keineswegs eine Änderung der sowjetischen Politik gegenüber China bedeute Diese Versicherung, so sollte sich bald herausstellen, war nichts weiter als eine diplomatische Floskel. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde die chinesische Regierung davon unterrichtet, daß Moskau seine Hilfeleistungen an China unterbrechen müsse

5. Der Vertrag ermutigte die chinesischen Kommunisten zu separatistischen Tendenzen.

Als Rußland sich mit Japan geeinigt hatte, glaubten die chinesischen Kommunisten wohl zu Recht, daß Moskau die Tschungking-Regierung aufgegeben habe, und sie wurden unversöhnlicher.

Als Hitler Rußland den Krieg erklärt hatte, mag er geglaubt haben, daß in dem Moment, in dem er sein früheres Versprechen erfüllte, den Bolschewismus zu zerstören, Großbritannien und die Vereinigten Staaten ihn in seinem Feldzug unterstützen würden. Zu seinem Kummer betrachteten die anglo-amerikanischen Mächte jedoch Sowjetrußland nicht länger mehr als ihren potentiellen Feind und gaben ihr Mißtrauen gegenüber Sowjetrußland auf. Am 13. Juli verbündeten sich Großbritannien und die Sowjetunion formell, in dem sie einen Bündnisvertrag unterzeichneten Am 14. August trafen sich Premierminister Churchill und Präsident Roosevelt auf einem Schlachtschiff im Nordatlantik und veröffentlichten danach die sogenannte Atlantic Charta, deren Inhalt den 14 Punkten Präsident Wilsons glich. Der sowjetische Botschafter am Hof von St. James, Maisky, erklärte, daß die Sowjetregierung die Prinzipien gutheiße, die in dieser Charta vertreten würden.

Unterdessen verstärkte Japan nicht nur seine Aggression in China, sondern setzte seine Eroberungen in Südostasien fort. Kriegswolken warfen ihre Schatten über den Pazifik. Am 6. Dezember richtete Präsident Roosevelt in einem Telegramm eine persönliche Botschaft an den Tenno, in der er sich auf die „tragischen Möglichkeiten“ im Pazifik bezog und feststellte, daß er und der Kaiser „eine geheiligte Pflicht" hätten, weiterhin Tod und Zerstörung in der Welt zu verhindern Die Antwort kam am folgenden Tag gleichzeitig mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor. Kurz danach erklärten die Vereinigten Staaten Japan und später auch Deutschland den Krieg. Am Neujahrstag 1942 wurden die Vereinten Nationen geboren, als Vertreter von 26 Nationen, einschließlich der Vereinigten Staaten, China, Rußland und Großbritannien, in Washington das Übereinkommen der Vereinten Nationen unterzeichneten, das den vier Regierungen die Verpflichtung und das Versprechen auferlegte, sich mit ihrer ganzen militärischen und wirtschaftlichen Kraft gegen die Mitglieder und Anhänger des Dreier-Paktes, mit denen sie sich im Kriege befanden, einzusetzen

Nach dem Angriff auf Pearl Habour marschierte Japan in Indochina und Burma ein und bedrohte China im Rücken. Die chinesische Regierung entschloß sich, ihre Kriegsbasen auszubauen, um dem Augenblick vorzugreifen, in dem sie gezwungen würde, Raum gegen Zeit einzuhandeln. Die Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf Sinkiang. Auf Grund der Investierungen, die die Sowjets in Sinkiang vorgenommen hatten, hatte es im Jahre 1937 eine wirtschaftliche Blüte erreicht.

General Sehen Schih-ts’si, der Direktor der Verwaltung in Sinkiang, folgte der sowjetischen Politik der Unterstützung Chinas und versprach der chinesischen Nationalregierung seine Hilfe. Ein Großteil der riesigen Flüchtlingstrecks aus den Küstengebieten wurden aufgefordert, in einer „Geh-nach-Nordwesten-Bewegung" in die nordwestlichen Provinzen umzusiedeln. In Tihwa, der Hauptstadt von Sinkiang, wurde ein übergeordneter Hochkommissar eingesetzt, der Tschungking gegenüber verantwortlich war, und eine Zweigstelle der Kuomintang eingerichtet. Innerhalb weniger Monate hatten sich in Sinkiang wirksame chinesische Maßnahmen durchgesetzt

Währenddessen wurde Rußland von Streitkräften der Nazis verwüstet;

es erlitt enorme Verluste. Nach den entschiedenen Anstrengungen Chinas, Sinkiang zu regieren, setzte sich die Sowjetregierung aus Sinkiang ab. Sie zog ihre motorisierten Truppen und ihre technischen Experten zurück und befahl die Demontage solcher industrieller Anlagen wie Ölraffinerien, Bergwerkseinrichtungen und Fabriken. Dieser „Prozeß" wurde ohne einen ernsten Zwischenfall durchgeführt.

Der sowjetische Rückzug aus Sinkiang, der zum Großteil auf chinesischen Druck hin erfolgt war, hatte wahrscheinlich unter den sowjetischen Führern Bitterkeit und Rachegefühle erzeugt. Nach der Evakuierung begann die Sowjetregierung eine Reihe von Maßnahmen zu treffen, die alles andere als freundlich waren oder China unterstützten. Nadi dem endgültigen Rückzug der Sowjets wurden die chinesischen Behörden mit Grenzzwischenfällen und Moslemunruhen konfrontiert, die in den folgenden Jahren an Stärke und Bedeutung zunahmen und die chinesisch-sowjetischen Beziehungen hemmten.

Viele Jahre vor dem Zwischenfall in Lukouchiao, im Jahre 1937, sympathisierte die sowjetische Presse mit den Kriegsbemühungen Chinas und bestand auf der Führung des Landes durch Generalissimus Tschiang Kai-schek. Mitte 1943 trat jedoch darin ein drastischer Wechsel ein. In einem Artikel, der in dem offiziellen sowjetischen Journal „Handelsunion" unter dem Titel „Krieg und die Arbeiterklasse" erschien, klagte Wladimir Rogoff, ein früherer TASS-Agent in Tschunking, einige führende Kuomintangmitglieder an, Befriedet, Defaitisten und Kapitulanten zu sein, die alles daransetzen, eine Theorie des ehrenhaften Friedens mit

Japan zu entwickeln, die vereinigte Front zu durchstoßen, die militärische Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den kommunistischen Streitkräften zu unterminieren und die Verfolgung der kommunistischen Achten Marscharmee und der neu aufgestellten Vierten Armee voranzutreiben. Rogoff pries die chinesischen Kommunisten und stellte fest, daß sich ihre Armeen in dem heroischen Kampf des chinesischen Volkes große Verdienste erworben hätten. Die Chinesische Kommunistische Partei und die Führer ihrer Armeen hätten sich um die breiten Massen der chinesischen Arbeiter und um die nationale Einheit und Unabhängigkeit verdient gemacht und erfreuten sich deshalb eines großen Prestiges unter diesen breiten Massen. Der sowjetische Journalist warnte vor einem nicht herausgeforderten Angriff gegen die kommunistischen Streitkräfte durch die Tschungking-Generale, der einem Dolchstoß in den Rücken des chinesischen Volkes gleichkäme und das chinesische Volk den japanischen Imperialisten ausliefern würde. Eine solch verletzende Pressekritik gegenüber einer freundlich gesinnten Regierung ist in jedem Lande beachtenswert. In der Sowjetunion erhält sie eine noch größere Bedeutung durch die Tatsache, daß die sowjetische Presse regierungskontrolliert ist und nicht nur die Meinung des Kreml widerspiegelt, sondern sie auch repräsentiert.

Gegen Ende 1943 beschlossen die alliierten Großmächte, Schritte zur Stärkung ihrer Solidarität zu unternehmen und ihre gemeinsamen Bestrebungen gegen den Feind fortzusetzen. Dementsprechend wurde am 19. Oktober in Moskau eine Konferenz abgehalten, an der Außenminister Cordell Hull für die Vereinigten Staaten, Anthony Eden für Großbritannien und W. M. Molotow für Sowjetrußland teilnahmen.

China nahm an keiner der Sitzungen teil. Es gab jedoch unter den Verlautbarungen eine, die Fragen der allgemeinen Sicherheit behandelte.

Außenminister Hull schlug vor, daß sie die chinesische Billigung einschließen müsse. Der britische Außenminister befürwortete diesen Vorschlag, doch Molotow mißbilligte ihn zunächst. Es bedurfte der ganzen Beharrlichkeit und Anstrengung Cordell Hulls, die russische Opposition zu diesem Vorschlag zu beseitigen. Daraufhin nahm die chinesische Regierung an den Gesprächen teil. Die Erklärung, die seither „Moskau-Erklärung" genannt wird, sah die möglichst baldige Schaffung eines allgemeinen internationalen Organs vor, dem alle friedliebenden Staaten ohne Rücksicht auf ihre Größenordnung nach dem Grundsatz der „souveränen Gleichheit" als Mitglieder beitreten könnten. In der Erklärung verpflichteten sich Rußland, China, England und die Vereinigten Staaten, ihre Streitkräfte nach Beendigung der Feindseligkeiten nicht innerhalb des Territoriums der anderen Nationen zu belassen, es sei denn nach gemeinsamer Konsultation oder um die Verpflichtung dieser Erklärung zu erfüllen

Kurz danach wurden zwei verschiedene Konferenzen abgehalten: eine ohne Rußland, die andere ohne China. Die erste fand in Kairo, die letzte in Teheran statt. An der Kairoer Konferenz nahmen Präsident Roosevelt, Generalissimus Tschiang Kai-schek und Premierminister Churchill teil. In einer Erklärung, die am 1. Dezember veröffentlicht wurde, hieß es, daß „die drei Alliierten den Krieg führen, um die japanische Aggression zu unterdrücken und zu bestrafen“, daß „sie nicht an territoriale Expansion denken“, und daß „Japan alle Inseln im Pazifik, die es sich seit 1914 angeeignet hat, verlassen soll, und alle Territorien, die Japan von China gestohlen hat, wie die Mandschurei, Formosa und die Peskadores, der Chinesischen Republik wieder einverleibt werden sollten“. In der Erklärung wurde ebenfalls erwähnt, daß Korea „zur rechten Zeit" befreit und unabhängig werden sollte Im Verlauf der Konferenz von Kairo versprach Präsident Roosevelt Tschiang Kai-schek „eine beachtliche amphibische Operation gegenüber der Bucht von Bengalen innerhalb der nächsten Monate“

An der Teheran-Konferenz waren Präsident Roosevelt, Generalissimus Stalin und Premierminister Churchill beteiligt. Zum Schluß der Konferenz gaben die drei Staatsmänner eine Erklärung ab, die den Eindruck vermittelte, daß auf dieser Konferenz nur der Krieg in Europa und dessen Probleme erörtert wurden. Doch in Wirklichkeit tauschten die Staatsmänner ebenfalls ihre Meinungen über den fernöstlichen Kriegsschauplatz aus, wobei sie sich eingehend mit China befaßten. Stalin zum Beispiel ergriff die Gelegenheit, die chinesische Regierung in Mißkredit zu bringen. Er äußerte sich abfällig über die Kampfmoral der chinesischen Armeen, deren niedrigen Stand er auf das Versagen der chinesischen Führer zurückführte Im weiteren Verlauf dieser Konferenz versicherte Stalin, daß Rußland nach dem Zusammenbruch Deutschlands in den Krieg gegen Japan eintreten werde Rußlands Teilnahme am fernöstlichen Krieg würde militärische Aktionen in Burma erübrigen.

Im Anschluß an die Konferenz in Teheran unterrichtete Roosevelt Tschiang Kai-schek, daß man den Burma-Plan fallengelassen habe. Kurz gesagt, enthüllten die Konferenzen von Moskau, Kairo und Teheran die feindselige Haltung der sowjetischen gegenüber der chinesischen Regierung.

Obwohl sich die sowjetische Regierung mit der britischen und amerikanischen Regierung auf der Moskauer und Teheraner Konferenz verständigt hatte, festigten die Sowjets im Frühjahr 1944 ihre Beziehungen zu Japan durch ein Übereinkommen, das am 30. März geschlossen wurde. Dieser sowjetische Handel mit Japan mag möglicherweise in der Absicht geschlossen worden sein, die USA und Großbritannien zur Bil-dung einer zweiten Front in Europa zu zwingen. Das neue russisch-japanische Übereinkommen hatte unheilvolle Auswirkungen auf China, das in einen Krieg gegen die japanischen Aggressoren verwickelt war. Japan übergab auf Grund des neuen Übereinkommens die Öl-und Kohlenkonzessionen im nördlichen Sachalin. Rußland verlängerte die Fischfangkonzession mit Japan um weitere fünf Jahre. Es verpflichtete sich außerdem, an Japan fünf Millionen Rubel zu zahlen und für die Dauer von fünf Jahren nach Beendigung des gegenwärtigen Krieges jährlich 50 000 t Öl zu liefern Die Presse in England und Amerika sah in diesem neuen Übereinkommen einen Triumph der Sowjet-Diplomatie.

Es fehlte nicht an Stimmen zu einer nüchternen Betrachtung des russisch-japanischen Übereinkommens. Der Abgeordnete Mike Mansfield berichtete dem amerikanischen Repräsentantenhaus am 1. April, daß das neue Abkommen zwischen Rußland und Japan Japans Ölnachschub nicht einschränken, sondern seine Position sowohl in der Heimat als auch in den von ihm besetzten Gebieten stärken würde In Tschungking wurde die Nachricht über das Übereinkommen als ein klarer Beweis für ein weiteres neutrales Verhalten Rußlands im Pazifik angesehen und für Japans Absicht, seine Elite-Truppen aus der Mandschurei an die Kriegsschauplätze in Zentralchina zu verlegen

Japans Vormarsch entwickelte sich zu einer Großoffensive, als deren Ergebnis China geteilt wurde und der Überland-Nachschubweg von der Mandschurei nach Indochina hergestellt wurde -Da der Sieg der Alliierten in Europa nahe schien, wurde die Frage nach einer Weltfriedensorganisation dringend. Am 30. Mai lud der amerikanische Außenminister Cordell Hull die britische, sowjetische und chinesische Regierung zur Teilnahme an „Gesprächen“ über die Bildungeiner Weltfriedensorganisation ein Die Sowjetregierung lehnte ihre Teilnahme an multilateralen Gesprächen, an denen China auch beteiligt sei, formell unter dem Vorwand ab, daß Rußland sich zu dieser Zeit mit Japan nicht im Kriege befände Daraufhin wurden zwei parallel verlaufende Gespräche abgehalten.

Die sogenannten Dumbarton-Oaks-Vorschläge sahen die Bildung einer internationalen Organisation vor, die in ihrer kühnen Konzeption dem früheren Völkerbund ähnelte. Die Dumbarton-Oaks-Gespräche waren im Hinblick auf die chinesisch-sowjetischen Beziehungen insofern von Bedeutung, als sie das schlechte Verhältnis erneut unterstrichen. Die Sowjetregierung verweigerte jede Diskussion, an der die chinesische Regierung teilnahm. Der Vorwand, daß Rußland sich zu dieser Zeit nicht mit Japan im Kriege befand, ist recht lahm. Erstens behandelten die Gespräche nur Fragen des Friedens; zweitens befanden sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten seit Pearl Harbour mit Japan im Kriege, und ihr Status gegenüber Japan war technisch gesehen derselbe wie der Chinas. Darum war es von der Sowjetregierung inkonsequent, auf der einen Seite Gespräche mit den USA und Großbritannien zu führen und auf der anderen Seite sie China zu verweigern.

Nach ihrer erneuten Aussöhnung mit Rußland begannen die Japaner eine Großoffensive in Zentralchina, bei der die chinesische Regierung ernste militärische Rückschläge erlitt. Im Gegensatz hierzu hatte die Rote Armee seit Stalingrad ihren Siegeszug gegen die Nazistreitkräfte fortgesetzt. Auch die anglo-amerikanischen Streitkräfte machten nach ihrer Invasion in Europa am 6. Juni rapide Fortschritte. Die USA und Großbritannien waren nicht nur dankbar, daß Rußland gegen Deutschland so tapfer kämpfte, sondern sie hofften auch, daß Rußland weiterhin ihr Verbündeter im Kampf gegen Japan bliebe. Aus diesen Gründen wurden der Haltung und den Worten der Russen in den alliierten Ausschüssen zweifellos große Bedeutung beigemessen. Die sowjetische Regierung hatte bewußt alle Anstrengungen unternommen, die Tschungking-Armee zu boykottieren und mit Geringschätzung zu behandeln. Diese unfreundliche sowjetische Haltung gegenüber Tschungking mag nicht nur die Politik der chinesischen Kommunisten beeinflußt haben, sondern möglicherweise auch die Politik der Regierung der Vereinigten Staaten.

• Noch waren die Wunden, die durch die Beziehungen zwischen der Tschungking-Regierung und den Kommunisten entstanden waren, nicht verheilt. Die Regierung verfolgte daher die Politik, politische Streitfragen mit politischen Mitteln beizulegen und setzte ihre Bemühungen um Gespräche mit den Kommunisten fort. Sie machte jedoch nur geringe Fortschritte Der damalige Vizepräsident der USA, Henry Wallace, besuchte Tschungking, um nach einem Weg zur Zusammenführung der Nationalisten und Kommunisten zu suchen. Tschiang Kai-schek muß gefühlt haben, daß Rußland hinter den chinesischen Kommunisten stand. Er wünschte eine Konferenz mit den sowjetischen Behörden. Die Beziehungen zwischen seiner Regierung und Moskau waren jedoch von so unfreundlicher Art, daß er nach Unterstützung von dritter Seite suchte. Deshalb bat Tschiang Kai-schek in einem seiner Gespräche Wallace darum, Präsident Roosevelt davon in Kenntnis zu setzen, daß er die freundliche Vermittlung Amerikas, eine Konferenz zwischen China und der UdSSR zustande zu bringen, sehr zu schätzen wisse. Man fragt sich, ob Präsident Roosevelt diese Forderung durch das Übereinkommen von Yalta hinsichtlich der Mandschurei beantwortet hat. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten übergab Wallace im Juli Präsident Roosevelt einen Bericht über seine Mission. Er sagte:

„Aus Tschiang Kai-schek ist bestenfalls nur auf kurze Sicht Kapital zu schlagen.“

„Es ist nicht anzunehwen, daß er die Intelligenz oder politische Stärke besitzt, um das Nacltkriegschina zu regieren.“ Dieser Tenor des Berichts verminderte erheblich das Prestige der Tschungking-Regierung. In der Tat zeichnete sich in der amerikanischen öffentlichen Meinung Mitte 1944 eine beachtliche Sinnesänderung gegenüber der Tschungking-Regierung ab. Amerikanische Pressekorrespondenten in Tschungking und eine amerikanische Militärmission in Yenan lobten die kommunistischen Streitkräfte und forderten dringend, daß sie mit besseren Waffen ausgerüstet werden sollten

Moskau bot seinen ganzen Einfluß auf, um das amerikanische Interesse an den chinesischen Kommunisten zu fördern. Während sich Donald Nelson, der Vorsitzende des Ausschusses für Rüstungsfragen, auf dem Wege nach China mit General Patrick Hurley zusammen in Moskau befand, führten sie ein Gespräch mit Außenminister Molotow, bei dem der sowjetische Diplomat ihnen sagte, daß die chinesischen Kommunisten in keiner Weise an die Sowjetregierung gebunden seien, und daß sie nur als Reformer daran interessiert seien, die wirtschaftlichen Verhältnisse in China zu verbessern General Hurley und Donald Nelson, die von General Stilwell begleitet waren, waren von Präsident Roosevelt entsandt worden, um der chinesischen Regierung bei der Lösung ihrer militärischen, politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Die amerikanische Regierung versuchte einen Druck auf die chinesische Regierung auszuüben und sie zu Konzessionen gegenüber den chinesischen Kommunisten zu veranlassen. General Stilwell bestand auf der Bewaffnung der Kommunisten und brachte die Regierung und die Streitkräfte der Kommunisten unter sein Kommando.

Ende September überbrachte Stilwell Generalissimus Tschiang persönlich eine Botschaft Präsident Roosevelts, in der Tschiang für einige frühere militärische Niederlagen verantwortlich gemacht wurde und die feststellte, daß die Hilfe der LISA an China eingestellt würde, sofern General Stilwell nicht freie Hand bei der Ausübung seiner Pläne erhielte.

Anstatt diese Forderung anzunehmen, erklärte Tschiang seine Bereitschaft, sich nach Tibet zurückzuziehen und seinen Kampf gegen die Japaner wie vor Pearl Harbour allein weiterzuführen. Später gab er bekannt, daß er künftig nichts mehr mit General Stilwell zu tun haben möchte. General Stilwell wurde später durch General Albert C. Wedemeyer ersetzt Stilwells Abberufung bewirkte eine Änderung der amerikanischen öffentlichen Meinung.

Sobald wie das Prestige der Regierung in Tschungking gesunken war, wurden die chinesischen Kommunisten kühner. Die Verhandlungen zogen sich monatelang bis Mitte September hin und verliefen zunächst ergebnislos. Anfang November wurden sie fortgesetzt. General Hurley flog nach Yenan und brachte ein Übereinkommen mit Mao Tse-tung zurück, das von Hurley als „ein praktischer Plan“ für die Beilegung der Streitigkeiten zwischen den beiden Parteien bezeichnet wurde. Diese Vereinbarung forderte die Beseitigung der Diktatur der Kuomintang und die Bildung einer Koalitionsregierung, in der alle Parteien vertreten seien. Die Regierung verwarf diesen Plan und arbeitete Gegenvorschläge aus zur Legalisierung der Kommunistischen Partei und zur Zulassung kommunistischer Vertreter zum nationalen Militärausschuß.

Diese Forderungen schlossen die Neuordnung der kommunistischen Streitkräfte und ihre Eingliederung in die Nationalarmee ein. Tschou En-lai, einer der Spitzenführer der Kommunisten in Tschungking, betrachtete diese Vorschläge als unannehmbar und verwarf sie zugunsten von Maos Fünf-Punkte-Plan Die Situation im Innern Chinas blieb weiterhin kritisch.

Zur Jahreswende 1945 war der Sieg der Alliierten in Europa noch lange nicht gewiß. Anfang Februar wurde in Yalta eine Konferenz zwischen Präsident Roosevelt, Marschall Stalin und Premierminister Churchill abgehalten. Eine Reihe Geheimabkommen wurden getroffen. Eines dieser Geheimabkommen war die sowjetische Teilnahme am Pazifischen Krieg, für die die Russen auf Kosten und ohne Wissen Chinas wichtige Konzessionen in der Mandschurei zugebilligt bekommen sollten. Der Text dieses Geheimabkommens folgt hier:

„Die Führer der drei großen Mächte, der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens, sind übereingekowmen, daß zwei oder drei Monate nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und nach der Beendigung des Krieges in Europa die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan an der Seite der Alliierten unter der Bedingung eintritt, daß (1) der Status quo in der Äußeren Mongolei (der Mongolischen Volksrepublik) erhalten bleibt; (2) daß die früheren russischen Rechte, die durch den hinterlistigen Angriff der Japaner int Jahre 1904 verletzt worden waren, wiederhergestellt werden sollen, näntlich (a) die Rüd^gabe an die Sowjetunion des südlichen Teiles von Sakhalin und der daran angrenzenden Inseln; (b) Internationalisierung des Handelshafens Dairen unter Berücksiditigung der vordringlidten Interessen der Sowjetunion an diesem Hafen und die Wiederherstellung der Padttredite von Port Arthur als Marinestützpunkt zugunsten der UdSSR; (c) die Ostchinesische Eisenbahn und die Südmandsdturische Eisenbahn, die eine direkte Verbindung mit Dairen gewährleisten, sol-len durch die Errichtung einer sowjetisch-chinesischen Gesellschaft gemeinsam verwaltet werden. Dabei soll das vordringliche Interesse der Sowjetunion sichergestellt werden und China seine volle Souveränität in der Mandschurei erhalten-, (3) die Kurillischen Inseln sollen der Sowjetunion übergeben werden. Selbstverständlich setzt das Übereinkommen über die Äußere Mongolei, die Häfen und Eisenbahnen, das Einverständnis Generalissimus Tschiang Kai-scheks voraus. Der Präsident wird auf Rat Marschall Stalins Schritte unternehmen, dieses Einverständnis zu erhalten. . . . Die Sowjetunion erklärt für ihren Teil die Bereitsd-iaft, mit der chinesischen Nationalregierung einen Freundsdtaftsund Allianzvertrag zu schließen, um China mit bewaffneten Streitkräften zu unterstützen und es dadurdt vom japanisdten Joch zu befreien“

Am 5. April erklärte die Sowjetregierung ihren mit Japan abgeschlossenen Neutralitätspakt, den sie am 13. Aril 1941 geschlossen hatte, für ungültig. Sie hielt sich damit an die Abmachungen von Yalta. In einer kurzen Note an die japanische Regierung hob der sowjetische Außenminister hervor, daß Deutschland bei seinem Angriff auf Rußland japanische Unterstützung erhalten habe und daß Japan damit auch die russischen Alliierten, Großbritannien und die USA angegriffen habe

Die Ansichten darüber, warum in Yalta Geheimabkommen geschlossen worden sind, widersprechen sich. Nach Ansicht von Robert Sherwood gab Präsident Roosevelt seine Zustimmung zu diesem Übereinkommen, weil er „übermüdet war und die Verhandlungen so sdmell wie möglich bezüglidi des russischen Eintritts in den Krieg gegen Japan beenden wollte“

Der frühere amerikanische Außenminister Edward Stettinius erklärte, daß das Übereinkommen von Yalta „sorgfältig ausgearbeitet worden und keine Augenblicksentsdieidung war“, sondern von militärischen Gesichtspunkten bestimmt wurde Vorher hatte Churchill die gleiche Ansicht geäußert. Was auch immer die Motive für dieses Übereinkommen gewesen sein mögen — Präsident Roosevelt hat sie später bereut. Kurz vor seinem Tode, am 12. April, sagte er zu General Patrick Hurley: „Ich hätte gern, wenn Sie nadt London gingen, um mit Churdtill über eine Verbesserung dieses Übereinkommens zu spredten. Ich hätte gern, wenn Sie nach Moskau gingen und Stalin dazu hörten“

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien hatten nicht nur gehofft, daß Sowjetrußland nach der Niederringung Deutschlands weiterhin ihr Alliierter bliebe, sondern fürchteten auch, daß Rußland sich auf der Seite Japans schlagen oder sich gegenüber Japan neutral verhalten könnte, wobei die Niederringung Japans wesentlich erschwert worden wäre. Die bewegliche diplomatische Einstellung Sowjetrußlands im Jahre 1944 ist wahrscheinlich der Schlüssel zum Verständnis der Konzessionen, die es auf der Yalta-Konferenz erhalten hat.

Auf der Yalta Konferenz war vereinbart worden, daß eine Konferenz der Vereinten Nationen am 25. April 1945 in den Vereinigten Staaten abgehalten werden sollte. Die Großen Drei von Yalta trafen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz ihrer souveränen Mächte, indem sie darauf bestanden, daß „Entsdteidungen des Sidterheitskonzils in allen Angelegenheiten der Zustimmung von sieben Mitgliedern, einsddießlidt der Ja-Stimmen der ständigen Mitglieder, bedürfe“ Die Konferenz dauerte bis zum 26. Juni. Dann unterzeichneten 50 Nationen die Charta der Vereinten Nationen, in der die oben erwähnte Methode bei Entscheidungen des Sicherheitsrats enthalten ist Im Verlauf der Konferenz traten in Europa Ereignisse von großer historischer Bedeutung ein. Am 1. Mai berichtete der deutsche Rundfunk, daß Hitler „beim Kampf gegen die Bolschewisten in Berlin" gefallen sei. Großadmiral Karl Dönitz, der Hitlers Nachfolger wurde, ergab sich bedingungslos den Alliierten am 8. Mai. Um eine allgemeine Beilegung der schwierigen europäischen Situation bemühten sich am 17. Juli Präsident Truman, Marschall Stalin und Premierminister Churchill auf der Potsdamer Konferenz. Die Sowjets enthüllten, daß die japanische Regierung ihre Vermittlung im Pazifischen Krieg erbeten hatte. Diese Nachricht sowie günstige Berichte über Atombombenversuche in Neu-Mexiko am 16. Juli hatten zur Folge, daß die Vereinigten Staaten zusammen mit Großbritannien und China den Japanern am 26. Juli ein Ultimatum übersandten, in dem sie die totale Abrüstung, die Bestrafung der Kriegsverbrecher, die Auflösung des japanischen Reiches und die Liquidation der Kriegsindustrien forderten Eine Abschrift der Erklärung wurde gleichzeitig dem sowjetischen Außenminister Molotow zugestellt, Per darum bat, die Weiterleitung dieser Erklärung zwei oder drei Tage aufzuschieben. Die Nachricht, daß das Ultimatum bereits herausgegangen sei, versetzte ihn in große Unruhe. Was er jetzt wünschte, war, daß die hauptkriegsführenden Mächte gegen Japan formell die sowjetische Regierung zur Teilnahme am Pazifischen Krieg auffordern sollten Hätte Japan zu dieser Ziet das alliierte Ultimatum angenommen, so hätte die Sowjetunion keinen Grund gehabt, Japan den Krieg zu erklären; sowjetische Truppen hätten nicht die Mandschurei, Nordkorea oder irgendeine der japanischen Inseln und Gebiete besetzt. Doch die japanische Regierung fand das Ultimatum unannehmbar und verwarf es formell am 29. Juli

Am 6. August erschütterte Präsident Truman die Welt mit einer Nachricht: „Not 16 Stunden hat ein amerikanisches Flugzeug eine Bombe auf Hiroshima, einem widitigen japanischen Stützpunkt, abgeworfen. Es ist eine Atombombe

Am 8. August erklärte Sowjetrußland Japan den Krieg mit der Begründung: „Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Japan die Kapitulation verweigerte, unterbreiteten die Alliierten der Sowjetregierung einen Vorschlag, am Krieg gegen die japanische Aggression teilzuneh-men". Am darauffolgenden Tag wurde eine zweite Atombombe abgeworfen. Unter diesen Umständen konnte Japan nicht anders, als bedingungslos zu kapitulieren. Doch der endgültige Sieg über Japan war erst am 2. September sicher, als der japanische Premier zusammen mit militärischen Führern an Bord des Schlachtschiffes Missouri formell die Kapitulationsbedingungen unterzeichnete. (Wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt.)

Aus dem Inhalt unserer nächsten Beilagen:

Leonhard Froese:

„Sowjetische Menschenformung aus deutscher Sicht“

Reinhold Niebuhr:

„Die Ironie der amerikanischen Geschichte“

Percy Ernst Schramm: „Polen in der Geschichte Europas“

Wolfgang Schlegel: „Revision und Wiederherstellung des deutschen Geschichtsbildes"

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ch’en Ch’ung-tzu, Wai-Meng-Ku, Chin-Shih Shih (Recent History of Outer Mongolia) Shanghai, Commercial Press, 1926, Seite 26 — 28.

  2. Liu Yen, Chung Kuo Chin-Shih Wai-Chiao Shih (Recent Diplomatie History of China).

  3. J. O. P. Bland, Recent Events and Present Policies in China, London, 1912, Seite 348.

  4. J. V. A. MacMurray, Treaties and Agreements with and concerning China, 1894— 1919, New York, 1921, Seite 1066— 1067.

  5. Ebenda, Seite 1215— 1230.

  6. A. F. Kerensky, The Catastrophe, New York, 1927.

  7. J. Stalin, The Road to Power, New York, 1937, Seite 24 — 28.

  8. A. F. Kerenski, The Catastrophe, New York, 1927, Seite 321 — 322.

  9. Stalin, The Road to Power, Seite 7, New York, 1937.

  10. W. S. Graves, America's Siberia Venture, 1918 — 1920, New York, 1931, Seite 334.

  11. China-Jahrbuch, 1924, Seite 868 ff.

  12. North China Herald, 4. Juni 1921.

  13. Fedor S. Manwetow, „Tsarist and Soviet Policy in the Far East", Foreign Affairs, Juli 1934, Seite 660.

  14. M. W. Graham, „A Decade of Sino-Russian Diplomacy", American Political Science Review, Ausgabe 22 (1928), Seite 54.

  15. China-Jahrbuch, Seite 860 — 861. Die Karachan-Erklärung wurde am 26. Juli 1919 abgegeben. Zu dieser Zeit kontrollierte China die Ostchinesische Eisenbahn; die inter-alliierte Interventions-Kampagne war in vollem Gange und die Hoffnungen der Sowjets auf Kontrolle der Ostchinesischen Eisenbahn gering. Dies mag erklären, warum die Sowjetregierung ihr Interesse in China ohne Gegenleistung anbot. Im November 1922, als Joffe Rußlands Rechte und Interessen in China wieder zu behaupten versuchte, hatte Japan bereits Sibirien evakuiert, der sowjetische Einfluß hatte sich auf den Fernen Osten ausgedehnt, und die Fernöstliche Republik war der Sowjetunion beigetreten.

  16. China-Jahrbuch, 1924, Seite 864. •

  17. Chin Chao-tzu, Hsien-Tai Chung-Kuo Wai-Chiao Shih (Modern Chinese Diplomatie History), Shanghai, Commercial Press, Seite 191, 1930.

  18. J. V. A. MacMurray, Seite 133 — 144.

  19. China-Jahrbuch 1924, Seite 963

  20. Tang Leang-li, . Foundations of Modern China“, London, 1928, Seite 167.

  21. Tsou Lu, Chung-Kuo Kuomintang Shih Lueh {. An Outline History of China's Kuomintang“).

  22. Research Committee on Modern Chinese History, Chung-Kuo Hsien-Tai Ko-Ming Yun-Tung Shih (History of China's Modern Revolutionary Movements), N. p., Hsin Hua Book Store, 1941, Seite 88 — 89.

  23. Ch'en Tu-hsiu, Ka Ch'uan-Tang T’ung-Chih Shu (Letter to Comrades of the Whole Party). Handgeschrieben und vervielfältigt mit Datum vom 10. Dezember 1929, Seite 2.

  24. Research Committee on Modern Chinese History, Seite 114.

  25. Ebenda, Seite 114— 115.

  26. Tsou Lu, wie 22), Seite 114.

  27. Ebenda.

  28. Tang Leang-li, Wang Ching-wei, A Political Biography, S. 127 130.

  29. Ch'en Tu-hsiu, Wo-Men Ti Cheng-Chih I-Chien (Our Political Views). Handgeschrieben und vervielfältigt, datiert vom 15. Dezember 1929 und von 81 chinesischen Trotzkisten unterschrieben. Seite 3 — 4; Hollington K. Tong, S. 90.

  30. G. E. Sokolsky, The Tinder Box of Asia, New York, 1934, S. 336 — 337.

  31. Hollington K. Tong, ebenda, S. 93.

  32. H. F. MacNair, op. cit., Seite 108. China in Revolution, Chicago 1931, Seite 105; T’ang Leang-li, The Inner History of the Chinese Revolution, London 1930, Seite 242.

  33. T'ang Leang-li, The Inner History of the Chinese Revolution, London, 1930, Seite 261.

  34. T'ang Leang-li, Wang Ching-wei, A Political Biographie, Peiping, 1931, Seite 145.

  35. . China No. 4'Parliamentary Papers, Cmd. 2953, Vol 26 (1927) S. 6 — 11.

  36. Pierre Fromentin, Mao Tse-tung, Le Dragon Rouge, Paris, 1949, S. 69.

  37. Parliamentary Debates, House of Commons, Vol. 206, Seite 19.

  38. Soviet Plot in China, Peking Police Department, 1927.

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  40. A. J. Toynbee, op. cit. Seite 340.

  41. H. R. Isaacs, The Tragedy of the Chinese Revolution, Seite 211.

  42. H. F. MacNair, ebenda, op. cit. Seite 119— 120.

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  46. ebenda.

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