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Das Recht auf Deutschlands Osten | APuZ 45/1958 | bpb.de

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APuZ 45/1958 Das Recht auf Deutschlands Osten

Das Recht auf Deutschlands Osten

Wir beginnen heute mit dem Abdruck einer Reihe von Artikeln, die sich mit dem Polen von heute und mit der durch die Abtrennung der deutschen Ostgebiete geschaffenen Problematik auseinandersetzen. Autoren verschiedenster Anschauungen werden das Wort erhalten, so daß die Urteilsbildung dem Leser überlassen bleibt. In keinem Falle stellt ein Artikel die Meinungsäußerung der herausgebenden Stelle dar.

Vorwort

Die politische Lage in Ostmitteleuropa weist immer noch alle Züge eines gefahrvollen Provisoriums auf, das durch die „Großen Drei“ in Jalta und Potsdam geschaffen wurde. Sie schließt nicht nur Gefahren für Deutschland, Polen und andere europäische Nationen in sich, sondern jene Unbestimmtheiten der Potsdamer Vereinbarungen bedingen zugleich eine Gefährdung des Weltfriedens überhaupt.

Das polnische Volk hat im zweiten Weltkriege unendliche Leiden erduldet. Niemand darf jemals weder die hartherzige Diskriminierung der Polen außer acht lassen, noch die Tatsache, daß es ebenfalls Hitler war, der durch einen Federstrich den selbständigen Staat des stolzen polnischen Volkes für immer von der Landkarte Europas löschen wollte — jenes Volk, dem auch Graf Casimir Pulaski angehörte, der beitrug, daß die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit gewannen.

Jedoch ein Unrecht rechtfertigt nicht ein anderes, wie zweimal Unrecht niemals Recht ergeben kann. Lind es war ein Unrecht, daß über zehn Millionen Deutsche aus den Heimstätten ihrer Vorfahren vertrieben wurden: Nicht nur die deutsche Volksgruppe im Polen der Zwischenkriegszeit, sondern auch die deutsche Bevölkerung der deutschen Ostprovinzen jenseits von Oder und Neiße, die polnischer — und sowjetischer — Verwaltung unterstellt wurden, obwohl es sich um Gebiete handelt, die selbst in Versailles als unstrittig deutsches Territorium bezeichnet wurden. Diese Austreibungen ließen erkennen, daß nicht nur das Unrecht wiedergutgemacht wurde, das Hitler verursacht hatte, sondern es wurde neues Unrecht geschaffen. Denn die Massen-austreibungen bedeuteten in der Tat ein Verbrechen, das dem des Genocidiums gleichkommt, wie auch über zwei Millionen unschuldige Menschen infolgedessen ihr Leben verloren. Und wenn Hitler den Versuch gemacht hatte, den polnischen Staat auszulöschen, so verfügten nach dem zweiten Weltkriege die Sieger-Mächte durch einen Federstrich die Auflösung Preußens, jenes alten und stolzen Staatswesens, aus dem vor 180 Jahren Baron von Steuben über den Ozean gekommen war, um den Amerikanern zu helfen, die Unabhängigkeit zu erringen Auch das, was vor, durch und nach Potsdam geschah, gehört — um es mit den Worten des deutschen Dichters Friedrich Schiller zu sagen, die Coleridge ins Englische übersetzte — zu jenen bösen Taten, deren Fluch es ist, daß sie fortzeugend Böses gebären müssen. Dies kann nur dann verhindert werden, wenn rechtzeitig Selbstbesinnung eintritt und das Recht wiederhergestellt wird.

Je schwerer die Grundsätze und Bestimmungen des Völkerrechts und die Menschenrechte verletzt werden, je umfassender die geschriebenen und ungeschriebenen Prinzipien der internationalen Moral mißachtet werden, um so nachdrücklicher erhebt sich die Forderung auf Wiederherstellung des Rechts und auf Wiedergutmachung. Wenn ein Unrecht begangen worden ist, müssen sich die Völker ebenso verhalten, wie es die Pflicht des einzelnen ist, der sich solches zuschulden kommen ließ: Sie müssen zu jenem Punkte zurückkehren, wo die Verirrung ihren Ausgang nahm, um nun den rechten Weg einzuschlagen. Dies hat nichts mit dem Versuch zu tun, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen: Es ist Weisheit zugleich und moralische Verpflichtung.

Ich habe mich darum bemüht, die gegenwärtige Lage in Ostmitteleuropa zu analysieren. Die sich daraus ergebende Erkenntnis der sich immer mehr auftürmenden Gefahren bestätigte das, was sich aus der Anwendung jener Grundsätze ergibt: Es ist erforderlich, daß alle Beteiligten und Betroffenen den ernsten Willen zeigen, sich gleichermaßen von den Einflüssen einer geflissentlichen Propaganda und von den Auswirkungen emotionaler Regungen fernzuhalten und alles zu tun, um der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und die Grundsätze der internationalen Gerechtigkeit zur allgemeinen Anerkennung und Anwendung zu bringen.

Für den einzelnen, der sich diesem Anliegen widmet, wird dies Mut und Beständigkeit erfordern. Aber ihn wird die Erkenntnis beflügeln, die niemand bestreiten kann: Daß ein echter und dauerhafter Frieden nur dann geschaffen werden kann, wenn die Friedensregelung auf der festen Grundlage der Wahrheit und Gerechtigkeit beruht. Es ist meine feste Überzeugung, daß dies zugleich eine wirklich realistische Politik ist; denn sie dient letzten Endes dem Gemeinwohl aller Staaten, Völker und Menschen.

In den folgenden Darlegungen habe ich den Versuch gemacht, die gegenwärtige Lage zu umreißen, und einen Beitrag zur Erörterung der Frage zu leisten, welche Lösung erforderlich erscheint. Ich habe mich dabei ausschließlich von dem Gedanken leiten lassen, dem ich mich als Christ verpflichtet weiß: Daß es gilt, der Wahrheit zu dienen, da uns nur die Wahrheit frei machen kann.

Washington, im September 1957 Carroll Reece Mitglied des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika;

I. Allgemeine Übersicht

Vor zwölf Jahren fand in diesem Teil Europas eine der größten Tragödien der Geschichte statt, fast vor unseren Augen und gewiß mit unserer Kenntnis, obgleich viele von uns ihrer zu jener Zeit kaum bewußt wurden, da wir alle in einem Kampf auf Leben und Tod mit einigen der totalitären Herrscher verwickelt waren. Ich meine die Austreibung von mehr als 16 Millionen Deutschen aus ihrer angestammten Heimat in den deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie und in anderen Teilen des östlichen Mitteleuropa, die zu dem Tod von mehr als 3 Millionen dieser Menschen führte und dazu, daß Lingezählte zur Sklavenarbeit gezwungen wurden.

Wir hatten einmal zu unserer Schulzeit von Kriegen im frühen Zeitalter der Barbarei gelesen, als Städte geplündert, Menschen niedergemetzelt oder zur Sklaverei getrieben wurden. All dies lag weit zurück in einem entfernten, unwirklichen Zeitalter, und sicherlich, so dachten wir, könnte dieses heute nicht geschehen. Lind doch geschah es.

Die Austreibung verursachte ein Unrecht, eine Lage unter grober Verletzung des Völkerrechts, der Menschenrechte und der Grundsätze der internationalen Moral.

Man ist über diese Lage oft hinweggeglitten, so als ob es nicht ganz fein wäre, davon zu sprechen, oder als ob wir durch Unterbewertung ihr wahres Ausmaß und ihre Proportionen verringern könnten. Aber sie kann nicht weggewischt, sie kann nicht zum Schweigen gebracht werden, und sie kann nicht dauernd so bleiben. Mit immer zunehmender Beharrlichkeit verlangt sie nach Bereinigung. Wie Immanuel Kant in seiner berühmten Schrift „Über den ewigen Frieden“ sagt: „Die Natur will UHwiderstelilidt, daß das Recht zuletzt die Obergewalt behalte“.

Ich habe dem Studium dieser Lage hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen, geschichtlichen, juristischen und politischen Gesichtspunkte sehr viel Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet, und ich möchte meine Erkenntnisse in einer Darstellung, die notwendigerweise ziemlich umfassend ist, vorlegen.

Wir sind uns der Maxime von Rudolph von Ihering, eines der größten europäischen Rechtsgelehrten des letzten Jahrhunderts, vollkommen bewußt: „Das Verhalten eines Menschen oder Volkes angesichts einer Rechtskränkung ist der sicherste Prüfstein seines Charakters“.

Indem wir die Bande der Freundschaft zwischen dem deutschen und amerikanischen Volk zu stärken wünschen, könnten wir uns auch an dieses Wort Iherings erinnern: „Für einen Staat, der geachtet dastehen will, . . . gibt es kein kostbareres Gut zu hüten und zu pflegen als das nationale Rechtsgefühl“.

Das geteilte Deutschland Das Problem einer geteilten Welt ist weitgehend das Problem eines geteilten Europas. Das Problem eines geteilten Europas ist fast völlig das Problem eines geteilten Deutschlands.

Dieses geteilte Deutschland also, das das Problem der Gegenwart ist, ist das Deutschland von 1937. Das Gebiet, das jetzt unter der Herrschaft jenes kommunistischen Marionettenregimes ist, das sich „Regierung der Deutschen Demokratischen Republik“ betitelt, wird oft falsch als Ostdeutschland bezeichnet. In Wirklichkeit ist es nur der Mittelteil oder Mitteldeutschland, während Ostdeutschland den Teil östlich der Flüsse Oder und Neiße umfaßt, das heißt einfach gesagt die Provinzen Ostpreußen, Pommern, Schlesien und einen Teil Brandenburgs.

Dieses Ostdeutschland bildete 1945 einen zu der sowjetisch besetzten Zone des Reiches gehörenden Teil. Polens Recht, das Gebiet Deutschlands, das es jetzt besetzt hat, zu verwalten, hat sich aus einem einseitigen Akt der Sowjetunion, der Besatzungsmacht, die es erobert hat, ergeben. Sie erlaubte Polen, dieses Gebiet zu besetzen, bis ein Friedensvertrag seinen Status eventuell festlegt. Diese Vereinbarung wurde formell durch die Militärbefehlshaber der anderen Besatzungsmächte im Rahmen der Potsdamer Deklaration, die auf der Dreimächtekonferenz in Berlin vom 17. Juli bis 2. August 1945 herausgegeben wurde, gebilligt.

Der Teil östlich der Oder-Neiße-Linie war als Koenkammer des deutschen Volkes bekannt. Seine gegenwärtige Trennung von der deutschen Wirtschaft erklärt zum großen Teil den Druck, der durch den deutschen Export auf die Weltmärkte ausgeübt wird. Wie die Briten und Japaner müssen auch die Deutschen heute entweder exportieren oder dem Hungertod entgegensehen. Die Tatsache, daß Westdeutschland jetzt Großbritanniens eifrigster Handelsrivale ist, ist nur eine der Folge rscheinungen der gegenwärtigen Trennung Deutschlands von seinem Lebensmitt 1 erzeugenden Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie.

Die Tatsachen der Vertreibung Die Einwohner dieser Ostprovinzen Deutschlands, insgesamt 10, 5 Millionen, wurden summarisch vertrieben und 1945 und 1946 gezwungen, die Länder zu verlassen, die ihre und ihrer Vorfahren Heimat seit dem frühen Mittelalter oder, da viele von ihnen Nachkommen der einheimischen Stämme waren, seit vorgeschichtlichen Tagen gewesen sind.

Von diesen 10, 5 Millionen Menschen erreichten mehr als 7 Millionen West-und Mitteldeutschland, nachdem sie entsetzliche Erfahrungen mit Massenmord, Raub und Grausamkeiten aller Arten überstanden hatten, die ihnen von sowjet-russischen und kommunistisch-polnischen Übel-tätern zugefügt worden waren.

Ungefähr eine Million Menschen konnte in dem Land ihrer Väter bleiben. Nachdem sie ihrer Besitztümer beraubt, aus ihren Häusern vertrieben worden waren, leben sie ärmlich — gewöhnlich irgendwo in der Nähe ihrer Heimstätten. Hartnäckig weigern sie sich, daran zu glauben, daß das schimpfliche Unrecht für immer andauern kann.

Völkermord?

Jedoch 2, 2 Millionen Menschen zählt der schwere Tribut derjenigen, die nicht das Geschehen überlebten, das damals der amerikanischen Öffentlichkeit als „ordnungsmäßige Bevölkerungsumsiedlung“ dargestellt wurde. Handgreifliche Beweise, die seitdem vorgelegt wurden, zeigen, daß sie und die anderen 7 Millionen die Opfer des Verbrechens des Völkermordes waren.

In den Nürnberger Prozessen wurden die Naziführer zu Recht des feigen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt. Die sowjetischen Ankläger jedoch, die damals so eifrig die Klage vorantrieben, kamen mit „unsauberen Händen“ ins Gericht, ungeachtet der Vorschrift der Billigkeit. Flüchtlingstrecks waren von Maschinengewehren beschlossen und unter sowjetischen Panzern niedergewalzt worden.

Andere Menschen wurden einfach zur Seite genommen und kaltblütig ermordet. Andere wieder ertranken in den eisigen Fluten der Ostsee, als Bomben und Torpedos ihre Schiffe zum Sinken brachten.

Ein Schiff allein, die „Wilhelm Gustloff", nahm mehr als sechstausend Flüchtlinge — meistens ältere Menschen, Frauen und Kinder — aus Ostpreußen in ihr Grab, eine Katastrophe, zu der im Vergleich das Unglück der sinkenden „Titanic“ mit dem Verlust von 1 500 Menschenleben zur Bedeutungslosigkeit verblaßt.

Viele andere waren zurückgeblieben, um an Hunger und Seuchen zu sterben. So ging z. B. die Bevölkerung Königsbergs, der ehrwürdigen Stadt Immanuel Kants, die am Ende der Feindseligkeiten noch über 100 000 zählte, innerhalb zweier grausamer Jahre auf 25 000 zurück.

Das ist die sogenannte „Verwaltung“ der Sowjets! Man sollte es zutreffender Massenmord nennen. Andere Menschen überlebten nicht die Grausamkeiten, die in kommunistisch-polnischen und sowjet-russischen Gefängnissen verübt wurden, oder auch nur die Härte der Gefangenschaft in roten Zwangsarbeitslagern.

Zusätzlich zu jenen Millionen, die ich gerade genannt habe, wurden zumindest 5 Millionen Deutsche aus ihrer Heimat in Mittel-. Ost-und Südosteuropa vertrieben, unter ihnen 3, 5 Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei und 1 Million Deutsche aus dem eigentlichen Polen.

Um 1950 waren ungefähr 12 Millionen deutsche Flüchtlinge nach West-

und Mitteldeutschland gelangt. Im vergangenen Jahr hatte die Zahl nach offizieller Angabe die 13-Millionen-Grenze erreicht.

Nach all dem könnte man vermuten, daß die Menschen, die jene Grausamkeiten überlebten und den freien Westen erreichten, in Gefühlen der Bitterkeit und tiefer Feindschaft gegenüber denen verharren, die für die Entscheidungen verantwortlich sind, die zu dem Verlust ihrer Besitztümer und der gegenwärtigen Trennung von ihrer Heimat führten.

Sicher war es der Plan des Kremls, als er diese Millionen von Enteigneten in einen dicht bevölkerten Westen verdrängte, ein riesiges Pro-letariat zu schaffen, wirtschaftliche Verwirrungen anzustiften und so ein Reservoir von Unzufriedenen zu errichten, aus dem er eine Vorhut des Kommunismus rekrutieren konnte.

Außerdem würde die gegenwärtige illegale Besetzung deutschen Bodens und Eigentums durch Polen — so plante der Kreml — dieses Land sicher an die Mauern des Kremls ketten, weil Polen nur aufgrund sowjetischer militärischer Hilfe hoffen kann, die deutschen Provinzen zu behalten, während andererseits die Brücken zwischen dem deutschen und dem polnischen Volke, solange das Unrecht fortdauert, nicht beschreitbar sein würden.

Die Charta der-Vertriebenen Es ist umso bemerkenswerter, daß am 5. August 19 50 die Delegierten dieser deutschen Vertriebenen sich in Stuttgart versammelten und eine Deklaration unterzeichneten, die als die „Charta der Vertriebenen“ bekannt ist und sicher als ein großes menschliches Dokument in die Geschichte eingehen wird. Nichts entsprechendes ist seitens irgendeiner ähnlichen Gruppe, die ebenso mißhandelt wurde, erklärt worden.

„Nach sorgfältiger und reiflicher Überlegung“, so ließt man in dieser Charta, „haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebener“ beschlossen, der ganzen Weltöffenlichkeit gegenüber „eine feier-lid'ie Erklärung“ abzugeben, die sie als ihr Grundgesetz betrachten, und die mit dem folgenden Abschnitt beginnt: „Wir Heimatvertriebene verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.“

Nachdem festgestellt wird, „den Menschen mit Zwang von seiner Heimat zu trennen, bedeutet ihn im Geiste zu töten“, lautet der Text der Charta weiter: „Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen, zu verlangen, daß das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.“

Die deutschen Vertriebenen legten dann schriftlich fest, jede Bemühung um ein Vereintes Europa, in dem die Völker frei von Furcht und Zwang leben können, zu unterstützen. Des weiteren riefen sie alle Völker und Menschen guten Willens auf, sich mit ihnen an dieser Aufgabe zu beteiligen.

Wir sollten uns heute daran erinnern, daß diese ostdeutschen Vertriebenen die erste große Gruppe von Menschen in Deutschland war, die erklärte, ein Vereintes Europa zu unterstützen, lange bevor der Schumann-Plan und andere Bemühungen um die europäische Integration auftauchten.

Die . Vertriebenen haben unerschütterlich die Politik ihrer frühzeitigen Befürwortung eines Vereinten Europas, der sich ihre Vertreter 1950 verschrieben haben, fortgesetzt. Aufforderungen, mit Nationalismus, Kommunismus und Neutralismus fürliebzunehmen, haben auf sie keine Wirkung gehabt. Sie haben die europäische Politik des Kanzlers Adenauer unterstützt, weil ihr eigenes tragisches Schicksal sie in die Vor-hut für ein Vereintes Europa gestellt hat. Im Rahmen eines Vereinten Europas hoffen sie, ihre Heimat in Frieden und Freiheit wiederzugewinnen und auf ihren angestammten Boden zurückzukehren.

Wir sollten keinen Zweifel darüber lassen, daß die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße, die seit 1945 unter provisorischer fremder Verwaltung stehen, bis heute und weiterhin rechtlich und gesetzlich ein Teil Deutschlands sind, der militärisch besetzt ist und jetzt unter gleichsam kriegsmäßiger Verwaltung der beiden kommunistischen Mächte steht.

Die bedingungslose Kapitulation der Streitkräfte war keine Subjugation des Staates Die Besetzung bewirkte nicht eine Änderung des territorialen Besitz-titels, weil nach dem Völkerrecht die „bedingungslose Kapitulation"

Deutschlands im Jahre 1945 eine militärische Kapitulation war. Sie war keine Subjugation.

Die von den Befehlshabern der deutschen Streitkräfte im Mai 1945 unterzeichneten Dokumente legten die Kapitulation der Wehrmacht fest.

Sie ermächtigten nicht zur Annexion, viel weniger noch zur Zession irgendeines Teiles der besiegten Nation. Die deutschen Generäle hätten keine gesetzliche Vollmacht gehabt, irgendein deutsches Gebiet abzuschreiben. Die Schlußakte der bedingungslosen Kapitulation stellte aus-INHALT :

Vorwort I. Allgemeine Übersicht Das geteilte Deutschland Die Tatsachen der Vertreibung Völkermord?

Die Charta der Vertriebenen Die bedingungslose Kapitulation der Streitkräfte war keine Subjugation des Staates II. Wirtschaftliche Tatsachen Wirtschaftliche Tatsachen aus den deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie Polnische Bevölkerungszahlen Welchen Gebrauch macht Polen von den deutschen Provinzen?

III. Geschichtliche Übersicht Pommern Schlesien Drang nach Osten?

Ostpreußen Die Teilungen Polens und die russische Expansion John Quincy Adams über Schlesien Russischer und polnischer Typus des Panslawismus General Smuts warnt Polens Ansprüche und Gewinne Volksabstimmungen und Stimmergebnisse General Smuts warnt nochmals vor schicksalsschweren Folgen Polnische Expansion IV. Polnische und sowjetische Erklärungen Kommunistisch-polnische Argumente und Nazi-Argumente Vernünftige polnische Stimmen Annexion und Selbstbestimmung im sowjetischen Recht Sowjetische Worte und sowjetische Taten V. Rechtliche Entwicklung Der Weg zum Rechtssatz, Eroberung und Annexion als eine Verletzung des Völkerrechts anzusehen Die Entwicklung im amerikanischen Völkerrecht VI. Die Politik der Regierung der Vereinigten Staaten Die politische Grundlinie der Vereinigten Staaten und die Entwicklung des Eroberungs-und Annexionsproblems im Völkerbund Politische Grundsatzerklärungen der Vereinigten Staaten zum Selbstbestimmungsrecht der Völker VII. Der Standpunkt der Vereinten Nationen Die Atlantic-Charta Dumbarton Oaks Die Charta der Vereinten Nationen Der Entwurf des Kodex des internationalen Strafrechts Teheran — Jalta — Potsdam eine Abweichung? VIII. Der Standpunkt der Regierung der Bundesrepublik und des Vatikans Deutsche Proteste rechtlich gültig Die Bundestags-Resolution Die Erklärung der deutschen Bundesregierung Der Standpunkt des Vatikans XI. Hinweis auf eine Lösung Ein realistischer Blick ist erforderlich Die unausweichliche Lösung Die doppelgleisige Außenpolitik des Kremls Hinweis auf eine Lösung drücklich fest, daß die Unterzeichneten „im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht“ handeln. Es ist eine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts, daß ein militärischer Befehlshaber nicht ermächtigt ist, „Bedingungen politischer Natur oder solchen, die nach der Beendigung der Feindseligkeiten wirksam werden, zuzustimmen“.

Diese Regel ist in die Haager Konvention von 1907 ausgenommen worden, die die Sowjetregierung ausdrücklich anerkannt und auf deren Durchführung sie wiederholt bestanden hat. Es wurde gar kein Versuch unternommen, eine Kapitulation von Admiral Dönitz oder irgendeinem anderen möglichen Vertreter der deutschen Regierung oder des deutschen Volkes zu erlangen. Nebenbei bemerkt könnte der Einwand gemacht werden, daß die deutschen Unterzeichner der bedingungslosen Kapitulation bereits als Kriegsgefangene inhaftiert waren und daher kein Recht hatten, Streitkräfte zu vertreten, die sich nicht ergeben hatten.

So wurde Deutschland weder damals noch zu irgendeiner Zeit später unterjocht. Nur eine Unterjochung könnte einen Vorwand für eine Annexion gebildet haben. Das Völkerrecht vertritt die Ansicht, die Eroberung sei die Grundlage für eine Annexion. Jedoch ist eine Eroberung erst nach einem formalen Akt der Unterjochung vollendet. Und Deutschland ist nicht unterjocht worden.

Ferner überschreitet die Endphase der Eroberung die Grenzen der Autorität, die einer Besatzungsmacht durch Artikel 43 der Haager Konvention IV (Landkriegsführung) gegeben ist. Sie verletzt daher das Völkerrecht.

Darüber hinaus war die Vertreibung von 10, 5 Millionen Deutschen aus ihrer angestammten Heimat östlich der Oder-Neiße-Linie — einer Bevölkerung an Größe gleich der Bevölkerung von Schweden und Norwegen zusammen — eine Verletzung der Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Sie bildet somit nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern auch des gegenwärtigen Völkerrechts. Ferner war die Vertreibung eine Verletzung feierlicher Verträge, in die man freiwillig eingetreten war, z. B.der Atlantik-Charta, und eine Verletzung der Verpflichtungen, welche die Sowjet-Union ihren Kriegs-alliierten gegenüber ausdrücklich eingegangen ist.

Eine beträchtliche Menge an Literatur wird hinsichtlich der deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie veröffentlicht. Der offensichtliche Zweck scheint meist der Versuch zu sein, der englischsprechenden Öffentlichkeit die Gültigkeit der polnischen Ansprüche zu versichern. Ein Teil dieses propagandistischen Materials ist sogar in Encyklopädien wiedergegeben, Veröffentlichungen, die man normalerweise um Auskunft nachschlägt und bei denen man nicht so schnell vermutet, daß ihnen ein wissenschaftlicher Charakter fehlt.

II. Wirtschaftliche Tatsachen

Wirtschaftliche Tatsachen aus den deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie Welches ist also die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie? Es ist argumentiert worden, daß sie als Nahrungsmittel erzeugendes Gebiet Deutschlands von keinem besonderen Wert waren. Da es kaum eine These gibt, die ein sogenannter Intellektueller nicht einmal so und einmal anders auslegen wird, argumentierte in den 20er Jahren ein deutscher Professor, Wilhelm Volz, daß die ostdeutschen Provinzen nicht die Ernährungsbasis des Reiches sind. Seine These wird jetzt durch polnische Quellen sehr begrüßt und ausgesponnen, um einen niedrigen Wert des Gebietes zu beweisen. Jedoch die wirklichen wirtschaftlichen Tatsachen sind folgende: die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie umfassen 2 5 Prozent oder ein Viertel des eigentlichen landwirtschaftlichen Bodens ganz Deutschlands. Die Getreideerzeugung des Gebietes kam der Austaliens, die Kartoffelerzeugung der Frankreichs, die Butterfetterzeugung der Dänemarks gleich. Die Bemerkung, daß dieses Bauernland einer kleinen Oberschicht „preußischer“ Junker gehörte, ist oft genug als falsch erwiesen worden. Dagegen waren 65 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens in Pommern, 69 Prozent in Ostpreußen und 74 Prozent in Schlesien in den Händen von Bauern, deren persönlicher Besitz 2 50 acres (= ca. 400 Morgen) nicht überschritt.

Die Steinkohlenproduktion des industriellen Teiles dieses Gebietes, d. h. in Schlesien, befriedigte den Bedarf, den die westeuropäischen Länder zusätzlich zu ihrer eigenen Förderung hatten. Heute würde die Kohle aus Deutsch-Oberschlesien genügen, um den gegenwärtigen Mangel Westeuropas an Steinkohle auszugleichen.

Offizielle Quellen des kommunistischen Polen erklärten im Hinblick auf die Gesamtproduktion kühn, daß in den deutschen Provinzen — sie sprechen von den „wiedergewonnenen“ Gebieten — 25 Prozent des Roheisens, 34 Prozent der Kohle und 34 Prozent des Kokses erzeugt wird; die Stahlproduktion wäre um 39 Prozent erhöht, die der landwirtschaftlichen Maschinen fast verdreifacht. '

Im Hinblick auf all dieses erscheint es irgendwie verwunderlich zu erfahren, daß eine kommunistische Handelsdelegation aus Warschau, die jetzt in Washington ist, von unserer Regierung eine große Anleihe erhalten möchte, um dafür Getreide, Fette, Öle, landwirtschaftliche Maschinen und anderes zu kaufen.

Es könnte die Frage gestellt werden: wie passen diese Tatsachen zueinander? Wird der polnische Satellit von Sowjet-Rußland ausgesogen?

Wird jetzt der amerikanische Steuerzahler aufgefordert, direkt dabei zu helfen, ein kommunistisches Regime zu unterstützen, und indirekt dem Kreml zu helfen, seine eigene wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden? Macht Polen überhaupt keinen Gebrauch von den deutschen Provinzen? Hat denn das Warschauer Regime nicht Millionen von Polen in das Gebiet geschickt?

Polnische Bevölkerungszahlen Lassen Sie uns einen Blick auf die Bevölkerungszahlen werfen. Das Vorkriegspolen von 1938 hatte 34, 85 Millionen Einwohner. Ungefähr 11, 0 Millionen hiervon lebten in Ostpolen, der Teil, der jetzt von der Sowjet-Union übernommen ist. Von den 11 Millionen in Ostpolen war nur eine Minderheit, d. h. 2, 5 Millionen (oder 23 Prozent)), eigentliche polnische Bevölkerung; 5, 8 Millionen (fast 5 3 Prozent) waren Ukrainer, weitere 2, 5 Millionen waren Weißrussen, während der Rest sich aus Litauern, Deutsche, Juden usw. zusammensetzte. (Die Juden wurden in Osteuropa als besondere Nationalität betrachtet. Die Sowjets haben einmal eine autonome Republik für sie organisiert — viele von ihnen sind heute Bürger von Israel.) Übertriebene territoriale Ansprüche polnischer Nationalisten hatten die Freigebigkeit der Versailler Landkartenmacher angefacht, deren Ergebnis ein Polen war, das innerhalb seiner Grenzen einen größeren Prozentsatz ausländischer Nationalitäten hatte als irgendein anderes Land in Europa.

Offizielle polnische Zahlen zeigen, daß in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg 1, 5 Millionen Polen aus Ostpolen, das jetzt in sowjetischer Hand ist, in das gegenwärtige Gebiet Polens umgesiedelt wurden. Die polnische Regierung siedelte zur gleichen Zeit aus ihrem Gebiet ungefähr eine halbe Million Ukrainer, Weißrussen und Litauer in die Sowjetunion um und ungefähr eine Million Deutsche nach Westen. Diese Deutschen hatten in dem Gebiet des Polens von 193 8 gelebt, d. h. hauptsächlich in den Teilen, die Deutschland durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages fortgenommen und Polen übergeben worden waren. Nebenbei bemerkt, hinterließ diese 1 Million Deutsche fast 100 000 einzelne Höfe mit insgesamt 2, 28 Millionen acres = 923 435 ha.

Die Zahl von 1, 5 Millionen Deutschen, Ukrainern, Weißrussen und Litauern, die aus Polen herausgebracht worden sind, stimmt fast genau mit der Zahl der 1, 5 Millionen Polen, die aus Ostpolen aufgenom-men wurden, überein. Somit kann kein besonderer Grund angegeben werden, um die Notwendigkeit zu beweisen, daß 1, 5 Millionen Polen aus Ostpolen in den besetzten deutschen Provinzen angesiedelt werden mußten. Es ist daher nicht überraschend zu erfahren, daß nur ein kleiner Teil der Menschen, die in die deutschen Provinzen gebracht wurden, tatsächlich umgesiedelte Polen aus Ostpolen waren.

Nehmen Sie z. B.den polnisch verwalteten Teil Ostpreußens: er hat ungefähr 55 5 000 Einwohner. Aber nur 122 000 von ihnen oder 27 Prozent sind aus Ostpolen. Die gesamte Bevölkerung in den polnisch verwalteten Gebieten zählt 6, 7 Millionen. Rund eine Million hiervon sind Deutsche. Die polnischen Kommunisten geben ihnen in offiziellen Statistiken die Bezeichnung „Autochthone“ — ein merkwürdiges Eingeständnis ihres Erstanspruchs auf das Land. Ein gewisser Prozentsatz der anderen sind Ukrainer, die es vorzogen, nicht in die sowjetische Ukraine umgesiedelt zu werden.

Welchen Gebrauch macht Polen von den deutschen Provinzen?

Angespornt durch den Kreml, machte das kommunistische Warschauer Regime die Nazi-Politik genau nach: In ziemlich der gleichen Art, wie die Nazis im Jahre 1940 verschiedene Gruppen von Volksdeutschen überredeten, in das damals Nazi-besetzte Polen zu ziehen, wie sie diese in Städten und auf Höfen ansiedelten, auf illegalem Besitztum, das den polnischen Bürgern abgenommen worden war, so hat das kommunistische Regime in Warschau Polen und Ukrainer bewogen, in die polnisch besetzten deutschen Provinzen zu ziehen, hat sie auf illegalem Besitztum angesiedelt, das den deutschen Bürgern abgenommen worden war.

In ziemlich derselben Art, wie in den 1940iger Jahren die verführten Volksdeutschen sich mit dem Gut unglücklich fühlten, das, wie sie erfuhren, gestohlenes Eigentum war, für das sie nie das gesetzliche Besitzrecht erhalten konnten, so erfuhren auch diese Polen und Llkrainer, daß sie auf gestohlenem Besitz angesiedelt waren. Somit wurde es für die kommunistischen Herrscher in Warschau immer schwieriger, die irre-geleiteten Menschen zu bereden, in den deutschen Provinzen zu bleiben. Was zuerst ein tropfenweises Zurückstreben ins eigentliche Polen war, nimmt allmählich die Ausmaße einer wachsenden Flut an. Unverdorbene Menschen scheinen einen angeborenen Sinn für die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht zu haben.

Die kommunistischen Herrscher in Warschau machen sich ernsthafte Sorgen über den unbezähmbaren Zug fort von gestohlenem Besitz, besonders seitdem das Problem nicht mehr länger vertuscht werden kann. Gemäß den Zahlen in einem vor kurzem erschienenen Bericht, der in ZYCIE GOSPODARCZE, einem Warschauer Wirtschaftsblatt, abgedruckt wurde, haben Zehntausende wieder das Land verlassen. GLOS SZCZECINSKI, die kommunistische Zeitung in Stettin, beschreibt die gegenwärtige Lage an der Küste der Ostsee zwischen Stettin und Danzig — einem Küstenstreifen, wo früher das Leben pulsierte — und nennt sie treffend eine verlassene Küste.

Vor einigen Wochen brachte ZYCIE GOSPODARCZE in einer Serie von Berichten über die deutschen Provinzen unter polnischer Verwaltung einige erstaunliche Offenbarungen: obgleich offizielle polnische Angaben offen zugegeben hatten, daß die Produktion der Landwirtschaft dieses Gebietes einen Stand von nur 40— 50% ihres Vorkriegsstandards erreicht hatte, als das Land in den Händen der deutschen Eigentümer war, kommt jetzt zum Vorschein, daß sogar diese Angaben stark aufgebauscht und um fast 100% übertrieben waren. In diesem Gebiet hat das Öd-land um 3, 7 Millionen acres (rund 1, 52 Millionen ha) zugenommen. In einer späteren Ausgabe veröffentlichte dieselbe Warschauer Zeitung ein „Geständnis“ der drei Volkswirte, die die Serie geschrieben hatten. Sie entschuldigten sich öffentlich für das Verbreiten von sachlich irreführenden Informationen in einer Art, die Moskaus Schauprozessen Ehre gemacht haben würde. Wenn man die Landmenge bestellten Landes von 1939 mit der von heute vergleicht, dann belegt das Geständnis merkwürdigerweise die früheren Angaben. In einem riesigen Gebiet sind, wie die Zeitung berichtet, eine Menge Dörfer und kleiner Städte entvölkert; dort gibt es jetzt Geisterstädte. Wie die Warschauer Zeitung zum Ausdruck bringt, ist das Gebiet anscheinend ein Niemandsland, das keiner der polnischen Menschen besonders gerne hat. Aus Ostpreußen berichtete dieselbe Zeitung folgende Tatsachen: Obgleich Rößel, eine Kreisstadt, wenig unter dem letzten Krieg gelitten hatte, ist ein großer Teil der Stadt abgerissen worden, die Ziegelsteine wurden gesammelt und zum Wiederaufbau Zentralpolens versandt. In Goldap, das auch eine Kreisstadt ist, wurde verkündet, daß man den Bau eines Wohnblocks plane — das erste Gebäude seit Ende des zweiten Weltkrieges. Goldap hatte 1939 12 500 Einwohner, heute aber nur eine Bevölkerung von 5 000. Ostpreußen hat jetzt weniger als 44% seiner normalen Vorkriegs-Bevölkerungsdichte. Hieraus kann man ungefähr schließen, daß mehr als 56% des ostpreußischen Bauernlandes heute brach liegt. Die Lage in Pommern und Niederschlesien unterscheidet sich hiervon nicht sehr, die Bevölkerungsdichte hat dort um 4 5 bzw. 40% gegenüber der Vorkriegszeit abgenommen.

Es wird manchmal argumentiert, daß die neuangesiedelten Polen und Llkrainer in den Jahren nach ihrer Einreise in den deutschen Provinzen Wurzeln geschlagen haben und nicht mehr ausgewiesen werden können. Natürlich ist ein derartiger Vorschlag niemals seitens irgendeiner Gruppe der deutschen Vertriebenen gemacht worden.

19 50 haben die Vertriebenen in ihrer Charta, ohne irgend welche Vorbehalte zu machen, auf den Gedanken an Rache und Vergeltung verzichtet. Überdies haben sie offen verkündet, daß sie eine Lösung in einem europäischen Rahmen suchen. Andererseits tut man gut daran, die Schwierigkeiten nicht zu übertreiben, denen man gegenübersteht. LInverhofft, wie es scheint, könnte sich der Kommunismus hier als maskierte Wohltat erweisen:

Die kommunistische Lehre der Kollektivierung drückt die Bauern zu Sklavenarbeitern auf Höfen herab, die dem Staat gehören oder vom Staat verwaltet werden; Bodenverbundenheit steht im Gegensatz zur marxistischen Ideologie.

Die weitgehende Rückkehr zur individuellen Landwirtschaft in Polen seit vergangenem Oktober sollte man nicht als einen endgültigen und unwiderruflichen Schritt auffassen. Man sollte sich eher daran erinnern, daß Gomulkas Politik treu dem kommunistischen Präzedenzfall von Lenins NEP — Neue Ökonomische Politik — in Rußland in den frühen 1920iger Jahren folgt. Es ist ein genauer Parallelvorgang. Lim seinen Kommunismus aufrechtzuerhalten, brauchte Lenin Brot, das ihm nur die russischen Bauern geben konnten. Er brauchte fremde Kapitalhilfe und fand auch genug „Interessenten“, die ihm auf den Leim gingen. Die kommunistische Politik der Beseitigung der Kulaken als eine Klasse folgte zur gegebenen Zeit später.

Jedoch unabhängig von diesen Betrachtungen liegt das wirtschaftliche Problem wie folgt: Vor dem zweiten Weltkrieg importierte Deutschland nur 17% seines Nahrungsmittelbedarfs. Heute ist die Bundesrepublik gezwungen, rund 40% ihres Nahrungsmittelbedarfes aus dem Ausland zu importieren. Die Bundesrepublik muß auf die Weltmärkte exportieren, um diese 40% ihrer Lebensmittel zu kaufen.

Das bedeutet, daß Deutschland heute in schärfster Konkurrenz Großbritannien und die anderen europäischen Nationen auf dem Weltmarkt schlägt und seine Konkurrenz sogar in unserem Lande spüren läßt. Dies ist eine der augenfälligsten wirtschaftlichen Folgen der gegenwärtigen Trennung der Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie von Deutschland und das Ergebnis der Vertreibung der vielen Millionen Deutschen von ihrem angestammten Boden.

Die Kommunisten in Rot-Polen erfanden das Wort „wiedergewonnene“ Gebiete, das aus Mangel an Ideenreichtum und Voraussicht bei einigen Polen im Westen seinen Widerhall gefunden hat, bei Menschen, die sonst nicht in der Rolle von Mitläufern der kommunistischen Gruppe in Warschau ertappt sein möchten.

Wie sind denn die historischen Tatsachen hinsichtlich dieser Gebiete, die die polnischen Kommunisten beanspruchen, wiedergewonnen zu haben?

III. Geschichtliche Übersicht

Pommern Zunächst wollen wir einmal Pommern nehmen. Ja, es war von dem slawischen Stamm der Pomeranen bewohnt worden. Im 10. Jahrhundert wagten diese Pomeranen — „zur Verteidigung ihrer Freiheit", wie die früheste polnische Quelle bezeugt, — viele Schlachten gegen ihren slawischen Nachbarstamm, die Polen, die sie unterjochen wollten. All dies endete 1181 zur Zeit des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa, als die Herzöge von Pommern Fürsten des Reiches wurden.

Seitdem bildete Pommern einen festen Bestandteil des Reiches, das heißt des Heiligen Römischen Reiches des Mittelalters. Eine Ausnahme machte ein Herzogtum im östlichen Pommern. Dieses letztere Gebiet wurde 1309 vom Deutschen Orden gekauft; der Kaufvertrag wurde formell von Kasimir, König von Polen, 1343 anerkannt.

Im Laufe der nächsten 600 Jahre wurde Pommern vollkommen ein integrierender Teil Deutschlands. Nicht einmal nach der deutschen Niederlage 1918, als polnische Ansprüche gegen die Besiegten oft unter fadenscheinigem Vorwand wiederholt vorgebracht und von den Friedens-machern in Versailles eifrig angenommen wurden, nicht einmal damals geschah es, daß Polen einen historischen Anspruch auf Pommern erhob, obgleich Dmowski, der polnische Agent, einen Teil davon forderte.

Schlesien Nun einen Blick auf Schlesien. Seine westliche Ecke, die Lausitz, war von 1002 bis 1031 ein polnisches Lehen, das heißt 29 Jahre lang vor neun Jahrhunderten. Dann kehrte dieses Gebiet zu Deutschland zurück und ist seitdem ein Teil von ihm. Schlesien leitet seinen Namen von dem germanischen Stamm der Silinger ab. Germanen lebten dort — wie überall in Ostdeutschland —, tausend Jahre bevor westslawische Stämme vom Osten etwa im 7. Jahrhundert in das Gebiet vorzustoßen begannen.

Ostdeutschland, das heißt der Teil östlich der Oder-Neiße-Linie, ist weder die Urheimat der Polen noch selbst der Slawen.

Im 7. Jahrhundert waren die Polen lediglich einer von mehreren westslawischen Stämmen. Im einzelnen bewohnten die Polen die Gegend der Warthe und der oberen Weichsel; aber sie wohnten nicht in Schlesien. Neuerlich möchten politische Autoren polnischer Nationalität gern einen romantischen polnischen Nationalmythos begründen, indem sie alle westslawischen Stämme für Polen beanspruchen. Aber die geschichtlichen Tatsachen stützen dieses Vorhaben nicht.

Nebenbei bemerkt, unterscheiden sich solche panslawistischen Ansprüche Polens in keiner Weise von früheren pangermanischen Ansprüchen, die von einigen nationalsozialistischen Historikern vorgebracht wurden. Diese träumten gerne davon, die skandinavischen Länder, die Schweiz, die Niederlande und sogar Großbritannien in ein großgermanisches Reich einzubeziehen.

Im 10. und 11. Jahrhundert stritten sich die Mährer, Böhmen und Polen um die Oberherrschaft über Schlesien. Das Feudalsystem hatte zu der Entwicklung zahlreicher Fürstentümer geführt. Schlesien zählte eine Menge von Herzogtümern, Grafschaften u. ä. Zeitweilig überwog die polnische Herrschaft. Aber die eingeborenen Herrscher, die Piasten, suchten Unabhängigkeit von der polnischen Herrschaft und gewannen sie 1163.

Während dieser Zeit fanden viele deutsche Siedler ihren Weg nach Schlesien. Oft wurden sie von den Piasten gerufen, sie bauten das Land auf und verheirateten sich mit eingeborenen Slawen. Die Piasten selbst wurden schnell durch Heirat eingedeutscht. Vor der Ankunft der deutschen Siedler gab es in Schlesien acht Städte. Um 1300 hatte Schlesien 150 Städte und 1 200 Dörfer.

Durch den Vertrag von Trentschin 133 5 verzichtete König Kasimir von Polen endgültig auf alle Ansprüche auf Oberherrschaft über die schlesischen Fürstentümer zugunsten von König Johann von Böhmen, der Vater des berühmten Kaisers Karl IV. war.

400 Jahre lang hielt die Bevölkerung Schlesiens der Krone Böhmen die Treue, zunächst unter den Luxemburgern, ab 1526 unter den Habsbürgern, bis 1742 Friedrich der Große Erbansprüche auf Schlesien stellte und es mit seinen preußischen Besitzungen verband. Jedoch diese ganzen Jahrhunderte hindurch blieb es ein integrierender Teil des deutschen Kaiserreiches.

Drang nach Osten?

Der Vertrag von Trentschin ist heute von mehr als nur historischem Interesse. Durch jenen Vertrag wurde die Grenze zwischen dem Herrschaftsbereich des polnischen Königs und dem Herrschaftsbereich des deutschen Kaisers, in anderen Worten: die deutsch-polnische Grenzlinie, festgelegt, soweit sie Schlesien betraf.

Diese schlesisch-polnische oder deutsch-polnische Grenze ist seit 13 35 unverändert geblieben, d. h.seit mehr als 6 Jahrhunderten. Sie bildet eine der ältesten Grenzlinien in ganz Europa. Sie kann aus den Köpfen einiger Leute die verschwommene Vorstellung jener oft wiederholten Phrase vom deutschen „Drang nach Osten“ beseitigen.

Man kann als Drang nach Osten die Kreuzzüge im frühen Mittelalter gegen die damals heidnischen westslawischen Stämme betrachten.

Es war ein Versuch, das Evangelium Christi zu verbreiten, der von den Deutschen mit aktiver Unterstützung anderer westeuropäischer Nationen unternommen wurde.

Der Kreuzzug gegen die Wenden, einen dieser westslawischen Stämme, erfolgte auf Initiative eines französischen Mönches, des heiligen Bernhard von Clairvaux, des Gründers des großen Mönchsordens, der seinen Namen trägt. Das Land der Wenden wurde tatsächlich erobert.

Pommern und Schlesien aber wurden in friedlicher Weise wiedergewonnen. Die Bevölkerung nahm das Christentum an und ging Ehen mit den christlichen deutschen Siedlern ein, während die einheimischen Fürsten in ähnlicher Weise in deutsche Fürstenfamilien einheirateten und mit dem deutschen Kaiserreich durch lehnsrechtliche Bande verbunden wurden.

Die Hanse, jene große Handelsgenossenschaft der Städte, und das Magdeburger und Lübecker Stadtrecht waren die beiden Faktoren, die am eindrucksvollsten zur osteuropäischen Ausbreitung der europäischen oder, wenn man will, der deutschen Zivilisation im Mittelalter beitrugen. Die Hanse breitete sich entlang der Ostsee aus, während die beiden Stadtrechte als Muster für die städtischen Handfesten in vielen entfernten Städten Polens und sogar Rußlands dienten. Alles dies brachte einen Teil des östlichen Europas in den Bereich der römischen Kirche und grenzte ihn gegen den weiter östlichen griechisch-orthodoxen Bereich ab.

Ostpreußen Drittens wollen wir einen Blick auf Ostpreußen werfen. Seit dem Morgenrot der Geschichte wurde dieses Land von den Prussen bewohnt, einem baltischen Volk, rassisch und sprachlich eng mit den Litauern und Letten verwandt.

Seit 1230 unternahmen die Deutschritter des St. -Marien-Hospitals zu Jerusalem, eines der großen Ritterorden, die während der Kreuzzüge im Heiligen Land entstanden waren, die Eroberung und Christianisierung der Prussen und dann die Besiedlung dieses Landes. Sie handelten auf Weisung und mit Zustimmung des Kaisers und des Papstes, der beiden höchsten Autoritäten der mittelalterlichen Christenheit, und es gelang ihnen, in Preußen einen Staat zu entwickeln, dessen Verwaltung heute noch von Geschichtsforschern als die modernste im Mittelalter anerkannt wird.

Der Vorwurf, daß die alten Prussen von den Deutschrittern ausgerottet wurden, ist eine jener vagen Meinungen, die von einigen politischen Autoren vorgebracht werden. Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Bis zum Jahre 1400 hatten die Deutschritter in Preußen 94 Städte gegründet und mit Handfesten versehen sowie 1400 Dörfer aufgebaut. Aber trotz dieser Entwicklung der Gemeinwesen belief sich die einheimische prussische Bevölkerung in diesen besiedelten Teilen Preußens im Jahre 1400 auf 30— 40 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Das Zeitalter des Nationalismus lag immerhin noch in einer entfernten Zukunft. Die internationale Sprache der Gebildeten jener Zeit war Latein. Die Bevölkerung war in untere und obere Stände eingeteilt, d. h. nach ihrem Lebensstand. Diese waren in Gilden und Verbänden organisiert, verhandelten mit ihrem Landesherrn oder liebäugelten mit seinem benachbarten Rivalen, um ihre Freiheiten und Privilegien zu verbessern.

Die mit den Litauern verbündeten Polen fielen 1410 in Preußen ein, und die deutschen Ritter erlitten eine vernichtende Niederlage in der ersten Schlacht von Tannenberg. 1422 wurde ein Grenzvertrag am Melno-See unterzeichnet, der die Grenzlinie zwischen dem Staat des Deutschen Ordens einerseits und Litauen und Polen andererseits festlegte. Diese Grenze, die heute Ostpreußens Grenze ist, wurde durch einen Vertrag zwischen den siegreichen Polen und Litauern und den besiegten Ostrittern gezogen. Sicher wird die Grenzfestlegung nicht als parteiisch zugunsten der Deutschen verdächtigt werden.

Diese ostpreußische Grenze jedoch ist 500 Jahre hindurch unverändert geblieben und zeigt die Absurdität jener böswilligen Phrase vom deutschen „Drang nach Osten“.

Der Konflikt zwischen dem deutschen Ritterorden und dem polnischen König dauerte fort, und als ein preußischer Städtebund und eine Adels-gruppe mit dem polnischen König zu verhandeln begannen, um mehr Privilegien, als der Ritterorden ihnen gewähren wollte, zu erlangen, fielen die Polen wieder in Preußen ein. Das Ergebnis nach einem langen Krieg war der Friedensvertrag von Thorn 1466, der die Teilung Preußens mit sich brachte. Der westliche Teil des Staates des Deutschen Ordens oder Westpreußen wurde mit der polnischen Krone in Personal-union verbunden. Die besiegten Ritter konnten Ostpreußen für sich behalten, obwohl sich der polnische König die Stellung eines Ober-herren anmaßte. Der Hochmeister des Ordens wurde jedoch nicht ein polnischer „Vasall“; dieses Wort ist im Text des Friedensvertrages nicht enthalten.

Ein Jahrhundert später wurde Westpreußen Polen durch einen Staatsstreich, der auf dem Lubliner Reichstag von 1569 ausgeführt wurde, unrechtmäßig eingegliedert. Das Band zwischen dem polnischen König und Ostpreußen aber endete 90 Jahre später. Der Kurfürst von Brandenburg, der den ehemaligen Staat der Deutschritter als Herzog in Preußen geerbt hatte, gewann für sein Herzogtum die völlige Unabhängigkeit von irgendwelchen polnischen Ansprüchen durch den Friedensvertrag von Oliva 1660. Seit jener Zeit, d. h.seit mehr als einem Jahrhundert vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung; hat Ostpreußen nie aufgehört, ein deutsches Land zu sein.

Die rotpolnischen und sowjetischen Propagandamühlen jedoch fahren fort, Geschichten zu produzieren, die in monotoner Weise die Phrase vom „wiedergewonnenen“ Gebiet wiederholen. Wie absurd das ist, könnte durch einen erdachten entsprechenden Vorgang in unserem Lande gezeigt werden. Angenommen, die britische Königin würde in diesem Jahre nach Jamestown/Virginia kommen, nicht um mit uns die Gründung der ersten englisch-sprachigen Kolonie in unserem Erdteil zu feiern, sondern statt dessen um ihre Kronkolonie „wiederzugewinnen“, wegen einer Oberherrschaft, die bis zum späten Mittelalter zurückdatiert. Die Teilungen Polens und die russische Expansion Führen wir den historischen Bericht über diesen Teil Europas-bis zur Gegenwart weiter: '

Die Teilung Polens war seit mehr als einem Jahrhundert im Gang, bevor sie tatsächlich 1772 stattfand. König Karl X. Gustav von Schweden erörterte sie 1654. Sie wurde von Gruppen des polnischen Adels gefördert, die sich mit den benachbarten Herrschern verbündeten und mit ihnen verhandelten, um politische Privilegien von ihrer eigenen Regierung zu erpressen. Was in einem Zeitalter des Nationalismus nach Verrat schmecken würde, war damals nichts Ungewöhnliches.

Die Geschichte jedoch zeigte eine ihrer ironischen Seiten: 1454 hatte Hans von Bayern an der Spitze einer Gruppe preußischer Adliger, die sich unter dem Namen des Eidechsenbundes zusammengeschlossen hatten, den polnischen König gebeten, sie hinsichtlich ihrer Privilegien gegen den Ordenshochmeister zu schützen. Der polnische König antwortete darauf dadurch, daß er gegen den Ritterorden einen Krieg eröffnete, der, wie wir gesehen haben, mit der Niederlage des letzteren und der Teilung Preußens 1466 endete.

1792 verband sich ein wesentlicher Teil des polnischen Adels, geführt durch so mächtige Familien wie Czartoryski, Potocki und Branickii unter dem Namen der Konföderation von Targowice und lud die russische Zarin, Katharina II., ein, sie in ihren Freiheiten gegen reformatorische und revolutionäre Tendenzen — die Ideen der französischen Revolution —, die sich in Polen bemerkbar machten, zu schützen. Die russische Zarin ging darauf ein: Das Ergebnis war die zweite und dritte Teilung Polens 1793 und 1795.

Preußen gewann durch die erste Teilung Polens 1772 lediglich die Gebiete zurück, die Polen im 15. und 16. Jahrhundert erobert hatte.

Seine Erwerbungen wurden als eine Wiedergutmachung der Teilung Preußens von 1466 angesehen. Sie wurden rechtsgültig vom polnischen Reichstag ratifiziert, im Gegensatz zu den von Österreich und Rußland gemachten Erwerbungen, die leidenschaftlich abgelehnt wurden. 1795 jedoch nahm Preußen einen beträchtlichen Teil Polens. Aber Preußens Handlungsweise sollte im Licht des russischen Expansionismus jener Zeit gesehen werden. Es handelte sich weitgehend um das Problem, Rußland daran zu hindern, alles einzuheimsen. Schließlich, d. h. auf dem Wiener Kongreß, hat Preußen tatsächlich 8 Prozent des polnischen Gebietes der Zeit vor der Teilung erhalten — mehr als ein Drittel davon war wiedergewonnenes Land, das ursprünglich die Polen den Deutschrittern abgenommen hatten —, während Rußland 82 Prozent und Österreich 10 Prozent des polnischen Bodens nahmen. Somit erwies sich die Teilung Polens am Ende als ein Teil des russischen Expansionismus nach Westen.

Die Gefahr der russischen expansionistischen Politik wurde von den europäischen Staatsmännern jener Zeit viel beachtet. Zur Zeit des Wiener Kongresses schrieb der britische Militärbevollmächtigte im Hauptquartier des Zaren, General Wilson, an seine Regierung: „Denkt an Danzig. Wenn diese Stadt nicht mit Hilfe einer Konvention für Preussen gewonnen wird, wird sie in russische Hände fallen. Dann werden die Russen nicht nur in den alten Teilen Preussens, in dem Herzogtum Warsdtau und in Galizien Herren sein, sondern sie werden auch alle ihre Pläne hinsichtlich Ungarns und des Ostseegebiets durchführen.“ Wahrlich eine zeitgemäße Beobachtung.

Der Wiener Kongreß bestätigte die östlichen Grenzen Preußens, von denen die alte ostpreußische Grenze von 1422 und die Schlesiens von 1 33 5 einen Abschnitt bildeten. Die gesamte Linie war Deutschlands Ostgrenze und blieb unbestritten bis zum Ende der ersten Weltkrieges. Nebenbei bemerkt, legte der Wiener Kongreß auch die westlichen und im wesentlichen bis heute gültigen Grenzen nach Belgien, Luxemburg und Frankreich hin fest. • Es könnte sich lohnen, sich daran zu erinnern, daß der Wiener Kongreß eine europäische Gemeinschaft von Nationen wiederherstellte, nachdem das napoleonische Frankreich — sehr ähnlich wie Hitlers Deutschland 130 Jahre später — Europa überrannt, Nationen geteilt und zerstückelt, unzähliges Leid über Millionen von Menschen gebracht hatte, bis es endgültig niedergeworfen wurde. Jedoch die siegreichen europäischen Alliierten ließen auf dem Wiener Kongreß Frankreich in seinen vornapoleonischen Grenzen bestehen, innerhalb seines unbestrittenen Gebietes, einschließlich Elsaß-Lothringen.

Es scheint irgendwie widersinnig, daß die deutsche Grenze nach Belgien und Frankreich hin als sakrosankt betrachtet wird, während die deutsch-polnische Grenze, die auf viele Hunderte von Jahren zurückgeht und sicherlich in gleicher Weise sakrosankt ist, von einigen Leuten einer Art Schaukelspiel unterworfen wird.

John Quincy Adams über Schlesien Was die Bewohner Schlesiens in der vornapoleonischen Zeit anbetrifft, so haben wir einen beredten Zeugen in der Person von John Quincy Adams, dem 6. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Am Ende des 18. Jahrhunderts war John Quincy Adams amerikanischer Gesandter in Berlin und reiste durch Schlesien. In seinen Briefen über Schlesien, veröffentlicht 1804, finden wir folgende Beobachtung über die Einwohner: „Unter ihnen fand ich Leute von kultivierten Sitten und hoher Bildung, aber niemand von ihnen sprach eine andere Sprache als Deutsch . . . Die Sitten der Menschen in den Städten sind mehr von republikanischer als monarchistischer Art; und die allgemeine Gleichkeit unter den Einwohnern verleiht ihnen eine Neigung zur Geselligkeit, die ich in anderen Teilen Deutschlands selten gesehen habe."

Durch diesen Bericht unseres sechsten Präsidenten, der geschrieben wurde, lange bevor die napoleonischen Kriege in das Zeitalter des Nationalismus führten, wird leicht die Legende von einer preußischen Politik zurückgewiesen, die während des 19. Jahrhunderts ursprünglich polnische Bevölkerung zwangsgermanisiert haben soll. Diese Menschen waren Deutsche.

Napoleon III. von Frankreich war ein abenteuerlicher Mann, wie wir es aus seinem Versuch wissen, den österreichischen Erzherzog Maximilian der Bevölkerung von Mexiko als Kaiser aufzudrängen. 20 Jahre vorher wollte er die polnischen Truppen in einen Aufstand gegen Ruß-land führen. 1848 verlangte er in der französischen Kammer eine Kriegserklärung gegen Rußland, um Polen zu befreien. 18 54 faßte er einen Plan, Osteuropa neu zu organisieren. Dieser sah eine Trennung Polens von Rußland vor — bis die deutschen Armeen die Russen im ersten Weltkrieg hinaustrieben, war der größte Teil des Landes unter russischer Herrschaft — und seine Vereinigung mit Preußen.

Russischer und polnischer Typus des Panslawismus Im Zeitalter des Nationalismus gewannen panslawische Vorstellungen Einfluß auf den Geist einiger Menschen in Rußland, Polen und anderen slawischen Nationen. Gesetze zur Verhütung von Schwindelgeschäften begrenzten die Träume von nationaler Größe noch nicht. Stalin könnte sich eine Scheibe von den Lehren Michael Pogodins, eines Moskauer Geschichtsprofessors in den Jahren um 18 50, abgeschnitten haben. Dieser schlug eine russisch-polnische Grenze entlang der gegenwärtigen sowjetisch-polnischen Linie vor und regte an, daß Polen die ostdeutschen Provinzen erobere. Als der Plan unter den Polen keine begeisterte Zustimmung fand, befürwortete der zornige Professor statt dessen die summarische Austreibung der Polen „mit ihren Priestern und allem“

aus den Gebieten, die er als Westrußland bezeichnete.

Der Panslawismus fand mit der Zeit auch in Polen seine Verteidiger.

Mit westwärts gerichtetem polnischen Expansionismus beschäftigten sich in erster Linie die Gedanken Roman Dmowskis, der während des ersten Weltkrieges polnischer politischer Agent in den Vereinigten Staaten und später Führer der nationalistischen Demokratischen Partei in Polen war. Seine Denkschriften, die während der Kriegsjahre geschrieben wurden, legen ein beredtes Zeugnis ab von Polens aggressiven Bestrebungen auf Kosten seiner Nachbarn: „Heute ist Danzig deutsch;

aber bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung wird es endgültig eine polnische Stadt werden.“ Lind was Königsberg und Ostpreußen anbetrifft, so proklamierte dieser Sprecher: Königsberg, d. h.der Teil Ostpreußens, dessen Menschen deutsclt sprechen, muß Polen angegliedert werden ... Es ist zu erwarten, daß wirtschaftlidte Maßnahmen iann die Stellung der Deutschen zerstören werden, so daß das Königsberger Gebiet . . . mit der Zeit vollkommen polnisches Gebiet werden wird.“

Die Lage wurde von Präsident Wilson erkannt, der Anfang April 1919 kommandierte: „Das einzig wirkliche Interesse Frankreichs an Polen liegt in der Schwächung Deutsddands dadurdi, daß Polen Gebiete gegeben werden, auf die es kein Redtt hat.“ (R. S. Baker, Woodrow Wilson and World Settlement, Band II, Seite 60).

General Smuts warnt Die gefährlichen Folgen der Vergrößerung Polens'wurden noch klarer von General Jan C. Smuts erkannt, der viele Jahre Premierminister der Südafrikanischen Union war und heute als einer der größten Staatsmänner dieses Jahrhunderts anerkannt ist. Am 22. Mai 1919 schrieb General Smuts an Mr. Lloyd George, den britischen Premierminister:

„Ich bin davon überzeugt, daß wir durch die ungebührliche Vergrößerung Polens nidit nur den Wahrspruch der Geschidite umkehren, sondern einen Kardinalfehler in der Politik begehen, wofür sich die Geschichte noch rädien wird.

Das neue Polen wird Millionen Deutsdre (und Russen) umfassen, Gebiete, die eine deutsd'ie (oder russisd^e) Bevölkerung haben oder lange Zeiten hindurch Teile Deutschlands (oder Rußlands) gewesen sind. Es ist ziemlich gewiß, daß sowohl Deutschland als auch Rußland wieder Großmädrte sein werden, und daß das zwischen beiden gelegene Polen dann nur mit dem guten Willen beider erfolgreich bestehen kann. Wie können wir unter diesen Umständen erwarten, daß Polen etwas anderes als ein Versager ist, selbst wenn es jene Fähigkeit zum Regieren und Verwalten hätte, die es, wie die Gesdüdtte beweist, nicht hat?

Idi glaube, wir bauen ein Haus auf Sand. Und in Anbetracht dieser und vieler anderer Erwägungen würde ich die Grenzen Polens, wie sie im Vertrag provisorisch festgelegt wurden, revidieren, Obersdilesien und das ganze deutsche Gebiet bei Deutsdiland lassen, die Grenzen der Freien Stadt Danzig vertraglich festlegen und anstatt die Stadt unter die Suzeränität Polens zu stellen, wie wir es vorhaben, sie unter die Suzeränität Deutsdilands zu belassen mit einer Verwaltung unter dem Völkerbund.

Idi glaube, die beiden Kardinalfehler in der Grundlinie dieses Vertrages sind (die lange Besetzung des Rheinlandes und) die Vergrößerung Polens weit über das hinaus, was wir während des Krieges beabsichtigt hatten. Diese beiden Fehler sind sehr bedrohlich für den künftigen Frieden Europas, und idi dringe darauf, daß jedes Mittel angewandt wird, um sie zu beseitigen, bevor es zu spät ist." (R. S. Baker, Woodrow Wilson and World Settlement, Bd. III, Seite 461).

Polens Ansprüche und Gewinne Der Vertrag von Versailles, den zu ratifizieren unsere Regierung sich weigerte, schrieb Volksabstimmungen für mehrere Gebiete Ostdeutschlands vor. Die Führer Polens hatten vorgebracht, daß eine Mehrheit der Einwohner dieser Grenzgebiete Polen wären, die mit dem neu entstandenen Polen vereinigt werden wollten. Die alliierten Staatsmänner willigten ein. Die Abstimmungsgebiete wurden dementsprechend von alliierten Truppen besetzt, und mehrere Abstimmungen wurden dann unter der Kontrolle der alliierten Kommission durchgeführt, 1920 in einem Teil Ostpreußens und mehreren Kreisen Westpreußens 1921 in Oberschlesien.

Volksabstimmungen und Stimmergebnisse Das Ergebnis der Abstimmungen zeigte, daß die polnischen Forderungen nicht auf Tatsachen beruhten; hinsichtlich Ost-und Westpreußens waren sie völlig absurd. Das waren die Ergebnisse:

In Ostpreußen: Für Polen 2, 1 °/o; für Deutschland 97, 8 % in Westpreußen: Für Polen 7, 57%; für Deutschland 92, 28% In Oberschlesien: Für Polen 40 %; für Deutschland 60 % Es sollte beachtet werden, daß die Abstimmung in Oberschlesien unter dem Druck polnisch geleiteter Aufstände stattfand, die von den alliierten Behörden wohlwollend geduldet wurden.

Trotz der erwiesenen deutschen Mehrheit in Oberschlesien entschieden sich die Alliierten für eine Teilung des Gebietes. Ein Drittel davon wurde Polen übergeben. Es war der wertvollste Teil des Gebietes, der das gesamte Zinkvorkommen, 8, 5 Prozent der Kohlenlager und 75 Prozent der industriellen Produktion des Gebietes umfaßte. Er schloß die Hauptstädte Kattowitz und Königshütte ein. Die Bürger von Kattowitz hatten sich mit einer Mehrheit von 8 5, 4 Prozent, die Bürger von Königshütte mit einer Mehrheit von 74, 4 Prozent zugunsten eines Verbleibs bei Deutschland entschieden. Das ist nur ein Fall flagranter Verletzung des feierlich proklamierten Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

In dem Teil Oberschlesiens, der bei Deutschland belassen wurde, erscheinen die polnischen Stimmen bei den nächsten Reichstagswahlen — das deutsche Verhältniswahlrecht gestattete die Berechnung selbst der geringsten Schattierung einer abweichenden Meinung: es waren 1, 8 Prozent polnische Stimmen.

Der Teil Westpreußens, der später als der polnische Korridor bekannt wurde, wurde von Deutschland getrennt und durch Entscheidung des Versailler Vertrages sogleich Polen übergeben. Jedoch bevor Polen ihn 1920 in Besitz nahm, hatten die Wahlen zur Weimarer Verfassung-gebenden Versammlung 1919 bereits stattgefunden. Obgleich die Polen ihre Landsleute dazu genötigt hatten, die Wahlen zu boykottieren und den Wahlurnen fernzubleiben, offenbarten die Ergebnisse auf Grund genauer Bevölkerungsstatistiken die Anwesenheit von 368 000 Deutschen gegenüber 267 000 polnischen Wahlberechtigten in diesem Gebiet, d. h. eine klare deutsche Mehrheit von 58 Prozent. Jedoch wurde in diesem Gebiet keine Abstimmung gestattet, um den Willen des Volkes festzustellen. Es sollte nachdrücklich betont werden, daß dieses das Ergebnis einer Wahl genau in dem Teil Westpreußens gewesen ist, der später als der polnische Korridor bekannt war. Er umschloß weder das vorher erwähnte Abstimmungsgebiet Westpreußens noch das Gebiet der Stadt Danzig.

Danzig wurde auch vom Reich getrennt, und zwar auf Grund des Versailler Vertrages; es erhielt den Status einer Freien Stadt unter polnischer Souveränität. Bei den ersten Wahlen zum Danziger Volkstag gewannen die polnischen Kandidaten 5 Sitze von insgesamt 120. Sie konnten diese Zahl nie erhöhen, weil die Einwohner Danzigs Deutsche waren, wie sie es immer gewesen waren; sie hatten nie gewünscht vom Reich getrennt zu werden.

Weil der ein Hinterland bildende litauische Staat einen Ausgang zur See beanspruchte, konnte den Landkartenmachern von Versailles, denen es an Ideenreichtum ebenso wie an Voraussicht mangelte, nichts besseres einfallen, als das Memelgebiet vom nördlichen Ostpreußen abzutrennen, unter alliierte Militärherrschaft zu stellen und eine andere Freie Stadt wie Danzig zu planen. Mit diesen Plänen war es 1923 infolge eines Ein-falles bewaffneter Abteilungen aus Litauen aus. Die französischen Besatzungstruppen kapitulierten gern, und die alliierten Regierungen willigten in die illegale Besitznahme ein, obgleich Memel eine deutsche, 1252 gegründete Stadt ist.

Bei den ersten Wahlen zum Memeler Landtag 1925 erreichten die litauischen Kandidaten 2 Sitze von insgesamt 29. Die anderen 27 Sitze gewannen die deutschen Parteien. Die Einwohner des Memelgebietes waren Deutsche, wie sie es immer gewesen waren; und sie hatten nie gewünscht vom Reich getrennt zu werden.

Die litauische Regierung in Kowno, die über diese klare Stimme des Volkes sehr bestürzt war, fand keine bessere Antwort, als im folgenden Jahr (1926) den Kriegszustand über die Bevölkerung Memels zu verhängen. In der Zwischenzeit wurden wie verzweifelt Einwanderer aus Litauen in das Gebiet hineingepumpt. Erst nach zehn Jahren (193 5) gestatteten die fremden Herrscher eine weitere Landtagswahl. Das Verlangen des Volkes konnte nicht länger mißachtet werden. Das Ergebnis waren 5 Sitze für die Litauer, 24 Sitze für die Deutschen im Landtag; immer noch eine Vier-Fünftel-Mehrheit für die Deutschen. Die Litauer fuhren fast bis zum letzten Tag fort, auf Grund des Ausnahmezustandes zu regieren. Sie verstanden es nicht besser. Das Gebiet wurde durch den Vertrag vom 22. März 1939 an Deutschland zurückgegeben. Die brititische Regierung erkannte de jure die Wiedervereinigung des Memel-gebietes mit Deutschland an und informierte die deutsche Regierung über ihre Entscheidung durch eine Note vom 15. Mai 1939. Das einmalige Beispiel einer rechtmäßigen und friedlichen Beseitigung eines in Versailles begangenen Unrechts ist trotz allem ehrenvoll für die Staatskunst der litauischen Regierung.

General Smuts warnt nochmals vor schicksalsschweren Folgen Aber bevor alle diese Fehler gemacht wurden, war noch einmal die Stimme des großen alten Mannes von Südafrika, General Smuts, zu vernehmen, der an die westlichen Staatsmänner appellierte. Am 30. Mai 1919 wandte er sich an unseren Präsidenten: „Sehr geehrter Herr Präsident Wilson! Selbst ans die Gefahr hin, Sie zu belästigen, wage ich es, Sie nochmals anzusprechen . . . Dieser Krieg begann mit einem Bruch einer feierlichen internationalen Verpflichtung, und es ist eines unserer wichtigsten Kriegsziele gewesen, das Völkerrecht und die Heiligkeit internationaler Verpflichtungen zu verteidigen. Wenn die Alliierten den Krieg dadurcl'i beenden, daß sie das Beispiel Deutschlands an seinem Beginn befolgen und die Welt aud't mit einem . Fetzen Papier“ konfrontieren, dann werden wir dermaßen unglaubwürdig erscheinen, daß ich ersd'iauere, wenn id'i an die letztlidte Wirkung auf die öffentlidte Meinung denke.

Es wird eine schrecklidte Enttäuschung geben, wenn die Völker zu der Meinung kommen, daß wir keinen Wilsonfrieden durchführen, daß wir unsere Versprechungen gegenüber der Welt und die Treue gegenüber der Öffentlichkeit brechen. Wenn wir durdt dieses Verfahren audt nidit das formelle Abkommen brechen, das wir wohlüberlegt eingegangen sind (wie ich glaube), dann werden wir doch mit dem größten Mißtrauen überhäuft werden, und dieser Friede kann leicht eine noch größere Katastrophe für die Welt werden, als der Krieg es war. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie mit dieser Angelegenheit belästige, aber ich glaube, sie geht an den Kern unserer ganzen Sadie.“

Polnische Expansion Der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist feierlich vom Präsidenten Wilson als Leitgrundsatz für die Regelung von Ansprüchen auf umstrittene Gebiete proklamiert worden. Dieser Grundsatz wurde jedoch unverfroren mißachtet und offen verletzt. Polen wurde in solch einem Ausmaß vergrößert, daß 3 3 Prozent seiner Bevölkerung Menschen fremder Nationalität waren. 3 3 Prozent ist die Zahl, die von AJ. Toynbee in „The World after the Peace Conference“

(Die Welt nach der Friedenskonferenz), London, 1925, angegeben wird.

Die offizielle polnische Volkszählung gesteht lediglich 39, 9 Prozent!

ein. Die territoriale Vergrößerung Polens war politisch ungesund und führte zu Polens Verderben.

Polens Westgrenzen nach dem ersten Weltkrieg stimmten fast genau mit seinen Westgrenzen während der Zeit seiner größten Ausdehnung im 15. Jahrhundert überein. Die Polen waren jedoch noch lange nicht zufrieden. Wie Roman Dmowski 1923 erklärte, hatte Polen von den Alliierten „nur eine kleine Anzahlung“ auf ein wirkliches Großpolen erhalten. Ein großes Wandgemälde im Warschauer Institut für Militärische Geographie, auf dem ein mittelalterlicher polnischer König, der eine sagenhafte Grenze an der Saale in Mitteldeutschland absteckt, zu sehen war, gab die Richtung an, in der geistesverwirrte polnische Nationalisten sich eine Verwirklichung ihrer Vergrößerungsträume vorstellten. Solche Pläne waren nicht nur reine Träume; sie wurden fast verwirklicht. Kaum hatten die Polen 1945 die Oder-Neiße-Linie erreicht, als sie nach mehr schrieen. Ihr Beauftragter, F. Stojanowski, verlangte 1946 die Eiblinie mit drei Brückenköpfen westlich der Elbe bei Hamburg, Magdeburg und Dresden. Schleswig-Holstein, Mecklenburg und der nördliche Teil von Brandenburg sollten zu einem Eibstaat zusammengefaßt werden und der Rest zu einem Lausitzstaat, aber alles sollte einen integrierenden Teil Großpolens bilden.

Ich möchte die Aufmerksamkeit auf eine Landkarte richten, die 1947 von der Zivilverwaltung unserer Militärregierung in Deutschland hergestellt wurde, die eingehend die polnischen Ansprüche auf deutsches Gebiet zeigt und sorgfältig die 1946 von Stojanowski geforderten deutschen Gebiete eingetragen hat. Franz Lieber, Verfasser der berühmten Feld-dienstordnung der Unionsarmee, und vor einem Jahrhundert einer unserer hervorragendsten Gelehrten für Politik und Recht, bezeichnete derartige Pläne als „politische Gefräßigkeit“ (Franz Lieber: On Civil Liberty and Self-Government. Band II, Seite 49).

Diese schicksalsschweren Fehler hinterließen bei anderen europäischen Nationen Wunden, Wunden, die eiterten und gefährlich wurden. Sie vergifteten den Geist einer damals in Deutschland heranwachsenden Generation. Erschüttert in ihrem Glauben an Recht und Gerechtigkeit, wandten sich viele dieser jungen Menschen desillusioniert dem Skeptizismus und Zynismus zu. Indem er immer wieder auf Beispielen der Ungerechtigkeit herumritt, predigte dann der Rattenfänger von Österreich seine verdrehte Ideologie und sammelte in Bayern die Kerntruppe seiner Sturmabteilungen. Es wäre in der Tat ein tragischer Fehler, wären wir jemals gewillt, mit Ungerechtigkeit und Unrecht ein Kompromiß zu schließen, anstatt immer wieder darauf zu bestehen, daß das Gebot des Völkerrechts befolgt werde, so daß Recht und Gerechtigkeit den Sieg davontragen.

Indem ich diesen historischen Überblick beende, möchte ich die Antwort auf eine weitere Frage hinzufügen. Nachdem Polen kraft des Versailler Vertrages alle diese Gebiete erhielt, gab es da überhaupt noch irgend welche Polen innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches, und falls ja, wie viele waren verblieben?

Wie Sie wissen, hatte die Weimarer Republik das Verhältniswahlrecht angenommen. Zu jener Zeit ermutigten die Deutschen die Anmeldung selbst der allerkleinsten Nuance einer abweichenden Auffassung. Seitdem wissen wir, daß dieses zu einer Atomisierung ihrer politischen Parteien führte und letztlich zum Verhängnis der Weimarer Republik wurde. Für unsere spezifische Frage erweist es sich jedoch als wertvoll, weil dadurch die polnische Minderheit in dem Deutschland vor Hitler mit großer Genauigkeit offenbar wird.

In den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 wurden insgesamt 3 5 22 5 800 Stimmen gezählt. Von dieser Gesamtsumme wurden 75 431 Stimmen (0, 2 Prozent) für nationale Minderheiten abgegeben, d. h. Dänen, Polen usw. Von diesen 75 431 Stimmen nationaler Minderheitsgruppen wurden insgesamt 42 902 polnische Stimmen in dem Gebiet östlich der gegenwärtigen Oder-Neiße-Linie gezählt. Dieses ist ungefähr ein Zehntel Prozent. Das gibt Polen wahrlich keine Grundlage für Ansprüche irgendwelcher Art.

IV. Polnische und sowjetische Erklärungen

Kommunistisch-polnische Argumente und Nazi-Argumente Das rote polnische Regime in Moskau und Warschau und seine Mitläufer diesseits des Atlantiks — wenn sie es auch nicht wünschen, als Mitläufer einer kommunistischen Organisation angesehen zu werden, — dringen auf die Anerkennung eines „Großpolens“, indem sie ständig erklären: „Es ist zu spät, jetzt die Gültigkeit in Frage zu stellen — die Änderungen, die durch die Entscheidung erfolgt sind, haben endgültigen Charakter, die von manchen bedauert werden könnte, aber von allen anerkannt werden sollte . . Mit anderen Worten: die freie Welt sollte demütig vor der Politik aller Aggressoren kapitulieren, daß Macht vor Recht steht.

Diese Argumente haben einen vertrauten Klang. Haben wir sie nicht bereits vorher gehört? In der Tat wurden dieselben Argumente, als der Nationalsozialismus seinen Höhepunkt erreicht hatte, fast im selben Wortlaut von Hitler und seinen Hintermännern gebraucht, die dafür plädierten, daß „die Starken das Recht über die Schwachen haben und berechtigt sind zu verlangen, dafl die Schwachen ihnen nachgeben, daß sie Gebiete aufgeben, wo die Starken siedeln und für ihre Nachkommen sorgen können.“ — Vergl. H. Nicolai, Rassengesetzliche Rechtslehre, München 1934, Seite 20.

Es könnte interessant sein, näher auf diese so seltsam analoge Argumentation einzugehen. Jedoch wollen wir uns lieber an die Tatsache erinnern, daß es unter den polnischen Führern im Exil verantwortliche Leute gab und gibt, die es ablehnen, von weitplanenden sowjetischen und einigen kurzsichtigen westlichen Politikern auf den gefährlichen Weg getrieben zu werden, der nur die Versklavung des polnischen Volkes dauernd und endgültig machen kann.

Vernünftige polnische Stimmen Der ehemalige polnische Premierminister im Exil, Thomas Arciczewski, widersetzte sich der Ausdehnung der Grenzen Polens nach Westen hin, so daß sie Breslau und Stettin und 8 bis 10 Millonen Deutsche umfassen würden.

Kurz nach der Veröffentlichung der Yalta-Deklaration im Februar 1945 protestierte die polnische Exilregierung in London gegen die Vereinbarungen der Vertreter der drei Mächte betr.des polnischen Gebietes. Die polnische Regierung lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß sie den Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens vor der Krim-Konferenz Denkschriften übergeben hatte, in denen die Hoffnung ausgesprochen wurde, daß ohne vorherige Befragung und Zustimmung der polnischen Regierung keine Entscheidungen betr. Polens getroffen würden. Weiterhin erklärte sie: „Die im Falle Polens angewandte Methode steht im Widerspruch zu den elementaren Grundsätzen, welche die Alliierten verpflichten, und stellt eine Verletzung des Wortlautes und Geistes der Atlantic-Charta dar sowie des Rechts jeder Nation, ihre eigenen Interessen zu wahren.“

Die polnische Regierung erklärte ferner, daß die auf der Yalta-Konferenz bezüglich Polens getroffenen Entscheidungen für die polnische Nation nicht bindend sein könnten. Die polnische Regierung betrachte die Abtrennung der östlichen Hälfte ihres Landes durch Errichtung einer polnisch-sowjetischen Grenze entlang der Curzon-Linie als die fünfte Teilung Polens, die nunmehr von ihren eigenen Alliierten durchgeführt werde.

Jedrzej Giertych, ein polnischer Publizist, erfaßte vielleicht die Gefahr des Weges, auf den Polen gebracht wurde, als er in seiner Schrift „Das Problem der wiedergewonnenen Gebiete vom ethischen Gesichtspunkt her“ die sog. Kompensationspolitik ablehnte, die den Polen ein-geflüstert wurde. Giertych schrieb: „Wir haben nicht die geringste Absicht, jeden Anspruch auf Lemberg und Wilna aufzugeben.“

Er weigerte sich, den Vorschlag einer sowjetisch-russischen Kompensation auf Kosten eines anderen Volkes anzunehmen.

Eine staatsmännische Haltung wurde von dem polnischen Botschafter in Washington, Jan Ciechanowski, gezeigt. Zur Zeit seines Rücktritts am 6. Juli 1945 erklärte er: „Wie kann man der polnischen Nation erklären, daß ihr Land nichts anderes als ein Haus auf Rädern ist, das ostwärts und westwärts geschoben wird, wie es den imperialistischen Zielen seiner mächtigen Nachbarn unter Mißachtung des Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wofür diese kämpften, paßt? Eines Tages werden Antworten auf diese Fragen gefunden werden müssen, wenn die Gerechtigkeit überleben soll.

. . . Das durch seine gesetzmäßige Regierung vertretene Polen ist nie zur Teilnahme an den Diskussionen über die polnisch-sowjetischen Beziehungen zugelassen worden. Die Konferenzen in Teheran und Yalta sind Beispiele dafür. Die Entscheidungen betr. Polen müssen daher von der polnischen Nation als Urteile in absentia betrachtet werden. Keine Nation, keine Regierung, die ihr Volk wirklich vertritt, könnte jemals Entscheidungen über ihr Gebiet oder Regierungssystem annehmen, die ohne ihre Teilnahme getroffen worden sind.“

Keine vernichtendere Anklage wird jemals diesem Verdammungsurteil über die Landkartenmacher von Teheran, Yalta und Potsdam gleichkommen.

Der polnische Autor Roman Umiastowski schreibt in seinem Buch „Poland, Russia and Great Britain, 1914— 1945“, London 1946, Seite 218: „Der Kcmpensationsvorschlag des Kremls lief nicht so sehr darauf hinaus, die russische Annexion Ostpolens zu rechtfertigen, als vielmehr die sowjetische Herrschaft bis an die Ufer der Oder auszudehnen . .

Die gefährliche Falle des Kreml wurde vielleicht am klarsten von dem ausgezeichneten polnischen Historiker Oskar Halecki gesehen, als er in den Aprilausgaben 1945 und 1946 der „Review of Politics“ auf die überspannte Expansion Polens nach Deutschland hinwies und schrieb:

„Gerade dieselben Leute, die jetzt die Polen drängen, das russische Angebot hinzunehmen, werden diese in Zukunft tadeln, daß sie durch ihren Imperialismus ein neues Problem geschaffen haben, das eine Gefahr für den Frieden Europas sein wird.“

Es ist wirklich tragisch, daß es trotz dieser vernünftigen Stimmen, die in der Welt laut wurden, andere gibt, die augenscheinlich in einer mißlichen Lage sind, indem sie versuchen, mit den kommunistischen Bedrückern ihres Volkes in der Heimat dadurch zu wetteifern, daß sie die kommunistischen Schlagworte in der vergeblichen Hoffnung wiederholen, die Gunst der versklavten Bevölkerung Polens zu gewinnen.

Annexion und Selbstbestimmung im sowjetischen Recht Es ist angebracht, an dieser Stelle einen Blick in die sowjetischen Erklärungen über Eroberung und Annexion im allgemeinen und über die sowjetischen Ziele hinsichtlich Deutschlands im besonderen zu werfen.

Das sowjetische Völkerrecht definiert Annexion als die „völlige Vereinigung eines Gebietes mit einem anderen Staat gegen den Willen der Bevölkerung“ und brandmarkt alsdann eine solche Annexion. Das wird ausdrücklich in der führenden sowjetischen Abhandlung „MEZDUNARODNOE PRAVO“ (Völkerrecht), Moskau 1947, Seite 156, festgestellt. Die Brandmarkung der Eroberung und Annexion im sowjetischen Völkerrecht basiert auf Darlegungen von Lenin und Stalin in den Jahren 1916 und 1917. Nach Band 19, Seite 304, seiner „Gesammelten Werke“ erklärte Lenin 1916: „Annexion ist die Verletzung ts Rechts auf Selbstbestimmung einer Nation. Sie ist die Festsetzung der Staatsgrenzen gegen den Willen der Bevölkerung. Am 12. Mai 1917 proklamierte Lenin: „Wenn Polen, wenn die Ukraine sich von Rußland loslösen würden, wäre das nichts Schlimmes . . . Keine Nation kann frei sein, wenn sie andere Nationen unterdrüdtt . . . In Rußland müssen wir das Recltt der unterworfenen Völker auf Loslösung betonen.

Im Friedensdekret vom 8. November (26. Oktober) 1917 stellte Leni fest: „Wenn im Gegensatz zu dem ausdrücklichen Wunsdt einer Nation, unabhängig davon, ob dieser Wunsd'i in Zeitungen, bei öffentlichen Versammlungen, durdr Parteiresolutionen oder durch Revolten und Aufstände gegen eine Art nationaler Unterdrüd^ung kundgetan worden ist — aud'i wenn die Armee der annektierenden bzw. mächtigeren Nation sich vollständig zurückzieht und kein Druck irgendwelcher Art auf Institutionen und die politische Existenz dieser Nation ausgeübt wird —, wenn das Recht auf eine freie Abstimmung vorenthalten wird, dann wird eine Eingliederung dieser Nation als Annexion betrachtet, d. h. als eine Besitznahme durch Gewaltmittel.“ Auf Grund dieser Schriften Lenins wurde der Grundsatz der Abschaffung der Eroberungskriege als eine der ersten Forderungen der Kommunistischen Dritten Internationale betrachtet.

Ganz in der Linie dieser Erklärungen liegt die verfassungsrechtliche Definition, die sich in der völkerrechtlichen Abhandlung von Durdenewski-Krylow und in einem ähnlichen Band von Korowin über die Grundstruktur der Sowjetunion findet: „Der sozialistische Staat — die Union der sowjetischen sozialistischen Republiken — ist ein freiwilliger Verband von Völkern, die keine territorialen Eroberungen erstreben und die Annexion von Gebieten gegen den Willen des hiervon betroffenen Volkes ablehnen."

Nebenbei bemerkt, werden die beiden erwähnten Bücher heute von der Sowjetischen Akademie als maßgebende Standardwerke betrachtet.

Das kann nur bedeuten, daß die versuchte Annexion der deutschen Provinzen östlich der Oder und Neiße, einschließlich des nördlichen Teiles Ostpreußens, durch die Sowjets und ihre Marionetten in Warschau null und nichtig ist, oder aber, daß die Herrscher im Kreml vor der Welt als unverschämte, doppelgesichtige Lügner angeklagt stehen müssen.

Sowjetische Worte und sowjetische Taten Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit der sowjetischen Politik im Vergleich zu den erklärten Grundsätzen des sowjetischen Völkerrechts.

Im Dezember 1941 war Stalin bei seinen Verhandlungen mit Anthony Eden, damals britischer Außenminister, der erste der Großen Drei, der die Zerstückelung Deutschlands vorschlug.

Am 23. Februar 1942 nannte Stalin in einer Proklamation zum 24.

Jahrestag der Roten Armee jegliche Presseberichte dumm, nach denen das Ziel der Roten Armee eine Zerstückelung Deutschlands sei.

„Die geschichtliche Erfahrung lehrt", so proklamierte Stalin, „dass die Hitlers kommen und gehen, dass aber das deutsche Volk, die deutsche Nation bestehen bleiben wird."

Am 6. November 1943 zählte Stalin in einer Rede am 26. Jahrestag der Kommunistischen Revolution die sowjetischen Kriegsziele auf und vermerkte an zweiter Stelle: „Die Politik unserer Regierung bleibt unverändert. Gemeinsam mit unseren Alliiert-en müssen wir für die befreiten Nationen Europas das unverminderte Recht und die Freiheit der Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer politisdten Organisation wiederherstellen". Am 28. November 1943 war Stalin bei der Eröffnung der Konferenz in Teheran wiederum der erste der Großen Drei, der die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Deutschlands forderte. Am Schlußtag derselben Konferenz betonte er, daß Polen wiederhergestellt und hauptsächlich auf Kosten Deutschlands vergrößert werden sollte.

Als unsere Regierung am 8. April 194 5 formell die sowjetische Regierung über Presse-und Rundfunkberichte benachrichtigte, nach denen ein bestimmtes sowjetisch besetztes Gebiet einschließlich der Freien Stadt Danzig formell Polen eingegliedert worden sei, und als unsere Regierung verlangte, über den gegenwärtigen Status des betreffenden Gebietes unterrichtet zu werden, antwortete die sowjetische Regierung am 17. April 1945, daß der „Abzug" der deutschen Bevölkerung im Sog der zurückziehenden deutschen Truppen nur eine polnische Bevölkerung zurückgelassen hätte, für deren Führung eine polnische Zivilverwaltung örtlich aufgezogen worden sei. Die sowjetische Note versicherte, daß diese Aktion in keinerlei Beziehung zur Frage der Grenzen stünde.

Mit anderen Worten, die sowjetische Regierung verneinte am 17. April 1945 ausdrücklich, daß eine Annexion deutschen Gebietes durch Polen stattgefunden habe.

Am 9. Mai 1945 erklärte Stalin in einer Proklamation an die Welt, in der er die Kapitulation der deutschen Wehrmacht mitteilte: „Vor drei Jahren verkündete Hitler die Zerstückelung der Sowjetunion, die Abtrennung des Kaukasus, der Ukraine, der baltischen Völker . . . Was sich gegenwärtig ereignet, ist das Gegenteil . . . Die Sowjetunion feiert diesen Sieg, doch ist sie nicht im Begriff Deutschland zu zerstören oder zu zerstüd^eln ..."

Im Mai 1945 sagte Harry Hopkins, als er Stalin in Moskau besuchte, dem sowjetischen Diktator, daß dessen Erklärung (d. h. vom 9. Mai) gegen eine Aufteilung Deutschlands im Widerspruch zu seiner vorherigen Stellungnahme in Teheran und Yalta stehe. Stalin erwiderte, daß die Darlegungen Anthony Edens und William Strangs bei ihm den Eindruck hinterlassen hätten, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten in gleicher Weise eine Aufteilung nur als eine ultima ratio, als äußerstes Mittel, betrachten.

Am 5. Juni 1945 erklärten die Regierungen der vier Mächte ihre „Absicht über die Besatzungszonen Deutschlands mit den Regierungen anderer Vereinter Nationen im Zusammenhang mit der Ausübung dieser Befugnis zu beraten". Die Sowjetregierung hatte ohne Zustimmung der anderen drei Mächte und ohne vorherige Beratung mit den Regierungen der anderen Vereinten Nationen keine Befugnis, zwei besondere Verwaltungen innerhalb ihrer Besatzungszone zu organisieren oder deren Organisation zu gestatten.

Auf der Potsdamer Konferenz gab Stalin darum zu, als er wegen des Gebietes unter polnischer Verwaltung befragt wurde, daß keine der Mächte befugt sei, eine neue Zone zu organisieren. Er gab vor, daß die sowjetische Regierung im Hinterland der Roten Armee für Recht und Ordnung sorgen mußte.

Zur Zeit der Potsdamer Konferenz wurde ein Vorschlag der sowjetischen Regierung bezüglich der Teile Ostpreußens erwogen, die der Sowjetunion gegeben werden sollten. Der Vorschlag wurde grundsätzlich angenommen, und es wurde vorgesehen, daß die endgültige Regelung der territorialen Fragen einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben soll.

Nebenbei bemerkt, versuchten weder Stalin noch Molotow, irgend welche betrügerischen historischen Ansprüche zu erheben. Sie motivierten ihren Griff nach Königsberg ganz einfach mit der Absicht, einen eisfreien Hafen zu bekommen, — obwohl die Sowjetunion mehrere eisfreie Häfen hat —, und mit dem Wunsch nach „strategischer Sicherheit“, eine abgegriffene Phrase, die alle Aggressoren seit langem als eine Tarnung benutzen, um hinter ihr ihre habgierigen Absichten zu verbergen.

Am 18. August 1945 wurde ein polnisch-sowjetisches Grenzabkommen unterzeichnet, in dessen Artikel 3 bestimmt wird: „Bis zu den endgültigen Entscheidungen über die territorialen Fragen beim Abschluß eines Friedensvertrages wird die Grenzlinie sein ..."

Am 7. April 1946 ordnete ein Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR die Einverleibung des Königsberger Gebietes in Ostpreußen als einen Oblast in die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) an, und ein anderes Dekret vom 4. April 1946 verfügte die Änderung des Namens dieser Stadt in Kaliningrad.

Hierzu möchte ich wiederholen, was ich an anderer Stelle gesagt habe:

Daß Königsberg, die Stadt, in der Immanuel Kant geboren wurde, lebte und starb, wo er seine „Kritik der Reinen Vernunft“ und seine Abhandlung „Über den ewigen Frieden“ geschrieben hat, von den Kommunisten und ihren Mitläufern Kaliningrad genannt wird, bedeutet eine Lästerung der Zivilisation! Die freie Welt kann und sollte sich nicht mit einer solchen Schande zufrieden geben.

Am 10. Juli 1946, sechs Tage nach der Änderung des Namens von Königsberg durch die Sowjets, erklärte Molotow vor der Konferenz der Außenminister in Paris unverfroren: „Es ist kürzlich Mode geworden, von einer Aufspaltung Deutsddands in mehrere autonome Staaten, einer Abtrennung des Ruhrgebietes von Deutsddand zu spredten . . .

Alle diese Vorhaben haben das gleidte Ziel, Deutsddand zu zerstören ...

Wie ich bereits festgestellt habe, kann die Zerstörung Deutsddands nicht unsere Aufgabe sein, wenn wir wirklich die Interessen des Friedens and der Ordnung achten".

Am 25. Februar 1947 wurde durch Artikel 22 eines sowjetischen Gesetzes von diesem Tage ein Absatz der Verfassung der UdSSR geändert.

Das Königsberger Gebiet (Oblast Kaliningrad) erhielt den Status einer Provinz (Rayon).

Am 11. April 1947 erklärte Molotow vor der Konferenz der Außenminister in Moskau: „Idi mödite Sie an die wohlbekannte Proklamation vom 9. Mai 1945 des Chefs der Sowjetischen Regierung J. W. Stalin über die Kapitulation Deutschlands erinnern. Hiernach hat Stalin bereits mehrere Monate vor der Potsdamer Konferenz festgestellt, daß die Sowjetunion nicht beabsichtigt, Deutsddand zu zerstören oder aufzuspalten". Erklärungen verantwortlicher sowjetischer Führer, die irgend welche Ziele einer Annexion und territorialen Vergrößerung in Abrede stellen, können mengenweise aufgezählt werden. Hier ist eine solche neueren Datums. In einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York erklärte am 22. November 1956 Dimitri T. Schepilow, der damalige sowjetische Außenminister, die sowjetische Außenpolitik wie folgt: „Jeglicl'ie expansionistischen Bestrebungen sind dem sowjetischen Staate fremd“.

Da also die Sowjetunion nach der Definition ihres eigenen Grundgesetzes „eine freiwillige Union von Völkern, die nach keinen territorialen Eroberungen trachten und die Annexion von Gebieten gegen den Willen der darin lebenden Menschen ablehnen“, darstellt, und da in Übereinstimmung mit der Lenindoktrin, der zahlreiche Grundsatz-erklärungen der Sowjetpolitik folgen, „jegliche expansionistischen Bestrebungen dem sowjetischen Staat fremd sind“ — dann lassen Sie uns diese feierlichen Versicherungen im guten Glauben akzeptieren und die Regierung im Kreml ersuchen, dementsprechend zu handeln.

V. Rechtliche Entwicklung

Der Weg zum Rechtssatz, Eroberung und Annexion als eine Verletzung des Völkerrechts anzusehen Ich werde jetzt mit einem weiteren Überblick über die rechtlichen Gesichtspunkte des Falles fortfahren. Was sagt das westliche Recht über Eroberung und Annexion? Was sagt es hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts der Völker? Wie sind die politischen Erklärungen unserer Regierung zu beiden Fragen?

Ein Rechtsgrundsatz, der seine Wurzel in den großen Kodices des Rechts hat, gültig blieb und in das moderne Gesetz eingefügt ist, besagt: „Ex injuria non oritur jus". — Aus Unrecht entsteht kein Recht.

Selbst wenn historische Tatsachen nicht genügen sollten, um jeglichen Anspruch der beiden kommunistischen Länder, Polen und Sowjetrußland, auf die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße von Gerichts wegen auszuschalten, beweisen die rechtlichen Tatsachen außer allem Zweifel, daß beide kommunistischen Länder im Unrecht sind, aus dem kein Recht entstehen kann.

179 5 — zur Zeit der Regierung Washingtons — schrieb der weltbekannte Philosoph Immanuel Kant aus Königsberg in seiner Abhandlung „Über den ewigen Frieden“ den bereits zitierten Satz: „Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt behalte“.

Die Tendenz im Völkerrecht, Eroberung und Annexion zu ächten, war ständig im Wachsen. Betrachten wir einmal das ständige Wachsen, den „unwiderstehlichen Willen der Natur“, um den Ausdruck Kants zu verwenden.

Zur Zeit Hugo Grotius', des Vaters des Völkerrechts, wurde das Staatsgebiet noch, wie im Mittelalter, mit dem Besitz des Monarchen des Staates gleichgesetzt. Grotius wandte daher für Gebietserwerb durch Staaten die Regeln des römischen Rechts für den Erwerb von Privateigentum an. Obgleich man diesem Verfahren nicht mehr folgt und Gebietserwerb durch einen Staat in heutiger Zeit die Erwerbung der Souveränität über ein solches Gebiet bedeutet, hinterließen die Regeln des römischen Rechts Spuren, die nicht ausgelöscht worden sind. Sie werden sichtbar in dem britischen völkerrechtlichen Standardwerk von Lassa F. L. Oppenheim.

So bleibt der Grundsatz von Titus Pomponius bis zum heutigen Tage gültig: „Id quod nostrum est, sine facto nostro ad alium transferri non potest“. — Was unser ist, kann nicht ohne unser Zutun in andere Hände überführt werden. — Hieraus würde sich ergeben, daß Eroberung an sich keinen legalen Rechtstitel auf besetztes Gebiet eines anderen Staates verleiht.

Emmerich de Vattel, August von Sachsens Botschafter und eine berühmte Schweizer Autorität auf dem Gebiet des Völkerrechts, der vor 200 Jahren „Le Droit des Gens“ (Das Völkerrecht) schrieb, vertrat die Ansicht, daß Eroberung einen gesetzlichen Rechtstitel erteilt. Seine Ansicht beeinflußte sehr stark die darauf folgenden Schriften, besonders in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Jedoch vermerkte Vattel schon, daß Souveränität erst entsteht, wenn der Eroberungsprozeß vollzogen ist, durch Zessionsvertrag oder auf andere Weise.

Berühmte französische Autoritäten des Völkerrechts, wie zum Beispiel Audinet, Merignhac und Despagnet, prangerten schon vor 60 Jahren Eroberung und Annexion als Formen territorialer Vergrößerung an.

Eugene Audinet z. B. schrieb in seinem Aufsatz „La Prescription Acquisitive" in der „Revue General de Droit International Public“, Band 3, Seite 123, erschienen in Paris 1896: „Im Falle einer Eroberung allerdings ist der Besitztitel nicht nur umgestoßen, sondern er existiert überhaupt nicht“.

Professor Audinet steht mit seinem Urteil nicht allein. Andere französische Gelehrte sind ebenso bestimmt in ihren Urteilssprüchen.

Alexandre Merignhac verurteilte im zweiten Band seines „Traite de Droit International Public“, Paris 1905— 1912, Seite 411, die Eroberung als im Gegensatz zum Grundsatz der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten stehend und hielt sie nicht für eine gültige Form eines Gebietserwerbstitels.

Franz C. R. Despagnet verneinte in seinem „Cours de Droit International Public“, Paris 1910, Absatz 369— 398, daß strategische Gebiete auf Grund des Selbstverteidigungsrechts genommen werden könnten, und lehnte die Rechtsgültigkeit einer Eroberung ab, die im Namen des Nationalitätenprinzips gemacht wurde.

Ernest Nys, der hervorragende belgische Jurist, ein Beisitzer des ständigen Haager Schiedsgerichtshofes, stellte 1911 in dem „American Journal of International Law“, Band 5, Seite 84, fest: „Das Recht auf Eroberung gehört der Vergangenheit an, Gebietsannexionen und Souveränitätsübertragung gibt es nidtt mehr, während die einfallende Armee vorrückt. Ein passender Begriff ist in der Form der militärischen Besetzung gefunden worden“.

„Der Begriff der Besetzung“, fügte Nys hinzu, „wurde gebildet, als das Eroberungsrecht als zu brutal verworfen wurde. (Auf Grund des Eroberungsrechts wurde das überfallene Gebiet unverzüglich der Souveränität des Siegers untertan und seine Einwohner wurden Untertanen des Siegers). Da solche Folgen als ungeheuerer Mißbrauch der Gewalt erschienen“, fuhr Professor Nys fort, „wurde eine de facto Situation angenommen, die erst bei einem Friedensschluß beendet werden kann.

Im Rahmen dieses Zwischenstatus hörte das überfallene und von einer Armee besetzte Land nidrt auf, redttlich weiterhin seinem Souverän zu gehören. Aber in Wirklidikeit war es unter der tatsächlichen Herrsdtaft des Siegers.“

Die hervorragenden italienischen Gelehrten Hildebrando Accioly und Pasquale Fiore katalogisierten in ihren verschiedenen Abhandlungen, die vor einem halben Jahrhundert erschienen sind, die Eroberung nicht als ein gültiges Verfahren, mit dem ein Staat Gebiet erwerben kann. Im Gegenteil verneinten sie ganz und gar, daß Eroberung und Annexion einen Rechtstitel im völkerrechtlichen Sinne mit sich bringen.

Pasquale Fiore stellte in seinem „International Law Codified and Its Legal Sanction“ (übersetzt nach der 5. italienischen Auflage von E. M. Borchard, New York 1918) fest:

„Eroberung kann selbstverständlich nicht als ein gültiger Reditsanspruch auf das besetzte Gebiet eines anderen Staates angesehen werden, wenn sie mit Gewalt durd'igeführt wurde. Sie muß nach dem modernen Völkerredrt immer als illegal betraditet werden, was auch immer ihr Zweck gewesen sein mag... Sie kann nicht durdi militärische Besetzung eines Teils des feindlidten Gebiets gerechtfertigt werden, noch durch seine erzwungene Zession, die dem besiegten Volk als Friedensbedingung auferlegt wird.“ (Abs. 1083— 1084). Fiore verkündete dann im Absatz 108 5 den Grundsatz: „Die Aneignung des Gebietes eines anderen Staates durch Gewalt und seine Einverleibung muß nadt den Rechtsgrundsätzen als ungesetzlich betrachtet werden.“

Beeinflußt durch das Zeitalter des Imperialismus, das sich vor 50 Jahren seinem Ende zuneigte, stellte Fiore in seinem nächsten Paragraphen 1086 noch einen Zustand dar, wo die neuen Verhältnisse allmählich von der Bevölkerung angenommen wurden und die ursprünglich ungesetzliche Tatsache legalisiert wurde, so daß Eroberungen auf einen Erwerb des eroberten Gebietes hinauslaufen.

Einige britische Autoritäten des Völkerrechts haben ebenfalls die Annexion von Gebieten eines anderen Staates als illegal erklärt. Coleman Phillipson vertritt in seiner Schrift „Termination of War and Treaties of Peace“, London 1916, Seite 29 und folgende, die Ansicht: „Übergriffe auf das Gebiet einer Nation werden nicftt durdt das Völkerredtt sanktioniert. Das ganze Gebäude des Völkerrechts ist auf der Voraussetzung der Autonomie und Unabhängigkeit souveräner Staaten aufgebaut worden . . . Es ist ganz gleidt, wieviel zusätzliches Gebiet eine Nation im einzelnen braudit, aber das rechtfertigt nickt die Beseitzergreifung des Gebietes einer anderen Nation. a Professor W. E. Hall ließ gleichfalls die Eroberung als eine Erwerbs-art unter den gültigen Methoden des Gebietserwerbs aus. Seine Abhandlung „International Law“ wurde 1917 in Oxford veröffentlicht.

Lassa Oppenheim betont in seinem Werk „International Law", Band 1, Absatz 237, daß: „erobertes feindliches Gebiet, obgleich es tatsächlich in dem Besitz und unter der Herrschaft des Eroberers ist, gesetzlich unter der Souveränität des Feindes bleibt, bis es durdt Annexion unter die Souveränität des Eroberers fällt.“

Während einige britische Gelehrte, wie Oppenheim, zu ihrer Zeit noch die Möglichkeit, Annexion und Eroberung zu legalisieren, zugaben, erklärte der hervorragende südamerikanische Sachkenner Epitacio Pessoa aus Brasilien schon 1911 in Artikel 43 seines „Projecto de Codigo de Direito International Publico", Rio de Janeiro, daß ein Gebiet durch Eroberung oder Zession, die unter Kriegsdrohung oder militärischem Druck geschieht, nicht erworben werden kann.

Nebenbei bemerkt war Pessoas Rechtsbuch auch einer der ersten Versuche zur Kodifizierung des amerikanischen Völkerrechts. In diesem Zusammenhang ist es sehr bemerkenswert daß die brasilianische Verfassung vom Jahre 1891 in ihrem Artikel 8 8 die kategorische Klausel enthält, daß Brasilien sich an keinem Eroberungskrieg beteiligen werde, weder allein noch in Verbindung mit anderen Nationen.

Die Entwicklung im amerikanischen Völkerrecht Die Entwicklung der in Rede stehenden Rechtsfragen in unserem Land kann aus den Erklärungen einiger unserer berühmtesten Autoren ersehen werden. Der Oberste Richter John Marshall, der 1828 das Urteil des Obersten Gerichts der Vereinigten Staaten in Sachen American Insurance Co. v. 356 Bales of Cotton (1. Pet. 511) sprach, erklärte: „Es ist in der Welt üblich, falls eine Nation nicht vollkommen unterworfen ist, die Besitznahme eroberten Gebiets als eine rein militärisdte Besetzung zu betraditen, bis sein Sdtidtsal durch einen Friedensvertrag entsdiieden wird, dann ist der Erwerb bestätigt und das abgetrennte Gebiet wird ein Teil der Nation, der es angegliedert wird, entweder unter den Bedingungen, wie sie in dem Abtretungsvertrag festgesetzt sind, oder unter solchen, wie sie der neue Besitzer auferlegen wird.“

Henry Wheaton wies in seinem Werk „Elements of International Law", das 1836 veröffentlicht wurde, auf die zwischen reiner militärischer Besetzung und Eroberung sowie vollkommener Unterwerfung bestehenden Abgrenzungen hin, wobei er ausführte (6. Auflage, Seite 781): „Die Redtte der Besetzung können also nicht diejenigen der Souveränität mit umfassen. Sie rühren von den militärisdien Erfordernissen der in ein Gebiet einfallenden Macht her und sind deshalb nur provisorisch.“ John Basset Moore nahm in seinem berühmten „Digest of International Law“, Band I., Seite 290, die Formulierung des Obersten Richters Marshall auf, als er erklärte: „Der Besitz eroberten Gebietes wird als eine rein militärische Besetzung betrachtet, bis sein Schidtsal auf einer Friedenskonferenz entsdiieden wird.“

Charles Cheney Hyde, Moores Nachfolger auf dem Lehrstuhl des Völkerrechts an der Columbia-Universität, schreibt über „Eroberung heute“ (im Jahre 1936) in dem amerikanischen „Journal of International Law“, Bd. 30, Seite 471— 476, und stellt die Frage: „Darf heute der Sieger in einem Krieg die Früchte einer Eroberung, ohne das Völkerredtt zu verletzen, ernten, indem er eine Übertragung der Souveränität über ein Gebiet auf sich bewirkt, über das er eine Kontrolle erlangt hat?“

Hyde erklärt dann: „Eine befriedigende Lösung kann nicht durdt die Ausübung eines Zwanges gefunden werden, der die nur nominelle Annahme eines Vertrages, der eine Zession gewünschter Gebiete umfaßt, und der eine Lage sdiafft, die dann den Abtretenden daran hindert, erfolgreich die Gültigkeit der Regelung zu bestreiten.“

Ellerly C. Stowell, eine herorragende amerikanische Autorität, schreibt 1931 in seiner Abhandlung „International Law“, daß unter dem Titel der Wiedergutmachung die Gebietsannexion zulässig und gerechtfertigt sein kann, „wenn es nötig ist, sidi eine Wiedergutmachung zu sichern und die Beachtung des Völkerrechts zu erzwingen“. Professor Stowell hält jedoch das Wiedergutmachungsrecht für begrenzt durch den gesetzlichen Charakter des „Maßhaltens bei der Eintreibung" einer Entschädigung, da dieses ein Grundsatz des Völkerrechts ist Stowell fährt fort: „Eroberung wird im allgemeinen eng mit der Wiedergutmadtung in Verbindung gebradtt, die nur zu häufig angewandt wird, um dem Zwecke einer Verschleierung zu dienen, die die Ungeredttigkeit der Eroberung verbergen soll.“

Dann weist er darauf hin: „Der Zweck und das Ergebnis des Angriffes ist die Eroberung, die als ein Vorwand definiert werden kann, der durch Angriff oder Mißbrauch von Gewalt versdtafft wurde. Anders ausgedrückt heißt es: Eroberung ist gewaltsame Besitzergreifung oder erzwungene Abtretung eines Territoriums oder von Rechten durdt einen Staat ohne völkerrechtlidie Ermächtigung. Deshalb ist Eroberung, es ist kaum nötig, dieses zu wiederholen, eine Verletzung des Völkerrechts.“

Matthew Mark McMahon, auch ein bedeutender Gelehrter, weist in seiner Abhandlung, „Conquest and Modern International Law“, herausgegeben von der Katholischen Universität in Washington, 1940, auf Seite 13 auf die Inkonsequenz derjenigen Autoren hin, die immer noch Eroberung als einen Modus der Gebietserlangung ansehen und sie alsdann als ein Recht deshalb verwerfen, weil sie die erzwungene Erwerbung eines Gebietes ist, das zugegebenermaßen dem Feinde gehört. Diese Autoren behaupten weiter, daß Eroberung nicht ein Recht, sondern eine Tatsache darstelle, von der Rechte hergeleitet würden.

Professor McMahon erklärt nachdrücklich: „Das Redtt auf Eroberung bestreiten und Redite bejahen, die durdt Eroberung, wie durdt einen redttlidien Besitztitel, erworben wurden, bedeutet eine verwerflidte Inkonsequenz — die gleichbedeutend mit einer Erklärung ist, daß die Eroberung, bevor sie durdtgeführt ist, illegal ist, aber daß sie, wenn sie zur vollständigen Durchführung gelangt ist, legal ist. Kein Argument kann diesen Lehrsatz aufrechterhalten.“

In einer Besprechung von McMahons Buch schreibt Professor Stowell im „American Journal of International Law“, Band 3 5 (1941), Seite 171: „Die totalitären Diktatoren haben die Eroberung zur heute wichtigsten Frage gemadit . . . Es ist wahr, daß der größere Teil der Besitzungen der heutigen Staaten keinen anderen Ursprung hat, aber es steht im Gegensatz zu den Grundsätzen jeglicher Gesellsdtaft, daß eines ihrer Mitglieder das Recht bekommen sollte, seinen Nachbarn zu berauben . . . Vattels Ansidit (das Eroberung einen Reditstitel mit sich bringt) . . . wird überholt . . . Wir haben vor kurzem einen Beitrag durch die Bestätigung der Stimson-Doktrin geliefert, die die Anerkennung der Gültigkeit von Eroberungsgewinnen ablehnt.“

Die Haltung, die Stowell und McMahon in den 1930er Jahren und Anfang der 1940er Jahre einnehmen, offenbart das damals immer größer werdende Gewicht maßgebender Völkerrechtler, die verneinen, daß Eroberung und Annexion eine gesetzlich gültige Methode für die Erlangung eines Anspruchs auf fremdes Gebiet darstellen können. Sie stimmt mit der Haltung überein, die der United States District Court für den südlichen Bezirk New Yorks im Jahre 1948 in dem Falle Brunell versus United States (77 F. Supp. 68) zeigte, daß Eroberung und militärische Besetzung allein nicht einen Wechsel der Souveränität zum Ergebnis haben.

Obgleich die Auffassung John Marshalls im Fall der American Insurance Co. versus 3 56 Bales of Cotton noch in der Politik unserer Regierung hinsichtlich der deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie nachwirkt, indem man das Festhalten an diesem Gebiet „als eine reine militärische Besetzung, bis sein Schicksal in einem Friedensvertrag entschieden sein wird“, betrachtet — ist das Völkerrecht seit der Zeit Marshalls ein großes Stüde weitergekommen. Artikel 4 3 der Haager Konvention, Abschnitt IV (über die Landkriegsführung), hat geklärt, daß Besetzung nicht gleich Eroberung ist und nicht einen Besitztitel verleiht. Die Besatzungsmacht beherrscht das Gebiet, aber es gehört ihr nicht.

Eroberung überschreitet in der Endphase der Unterwerfung, die möglicherweise eine Basis für eine Annexion bieten würde, die Grenzen der Autorität, die der Besatzungsmacht durch die Haager Konvention erlaubt ist. Deshalb verletzt Eroberung das Völkerrecht. Ganz gleich, ob der formelle Akt der Annexion der letzten Phase der Eroberung vorangeht oder nicht, muß Annexion ebenfalls als im Gegensatz zum Völkerrecht stehend angesehen werden, weil es die Haager Konvention IV verletzt und den Grundrechten eines Staates widerspricht.

Seitdem das Völkerrecht die Anwendung von Gewalt durch einen Staat einem anderen gegenüber verbietet, hat Annexion keinen Platz mehr im Recht; jede Eroberung muß als eine Verletzung des Rechtes angesehen werden. Seitdem diese Entwicklungsstufe erreicht worden ist, hat eine formelle Annexionserklärung ihre frühere formative Wirkung verloren.

Professor Herbert Kraus von der Universität Göttingen, eine der hervorragendsten Autoritäten auf dem Gebiete des Völkerrechts in Deutschland, hat kürzlich in einer Darstellung der rechtlichen Lage der deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie völlig zutreffend darauf hingewiesen, daß die gegenwärtige illegale Besetzung dieser deutschen Provinzen durch Polen und Sowjetrußland eine Verletzung der beiden Grundsätze des heutigen Völkerrechts ist, nämlich des Verbots der Eroberung und Annexion und des Selbstbestimmungsrechts der Völker (vgl.seinen Artikel in: Germany, The International Magazine of the Federal Republik, Hamburg, Dezember 1956).

VI. Die Politik der Regierung der Vereinigten Staaten

Die politische Grundlinie der Vereinigten Staaten und die Entwicklung des Eroberungs-und Annexionsproblems im Völkerbund Unser Land und unsere Regierung haben einen hervorragenden Anteil an der Aufstellung dieser Grundsätze und an der Entwicklung ihrer Einfügung in das Völkerrecht gehabt. Es ist daher angemessen, die Entwicklung der beiden fundamentalen Prinzipien zu verfolgen, wie sie sowohl in den Grundsatzerklärungen der Politik der Vereinigten Staaten als auch in der europäischen Geschichte erkannt werden kann, und ihr Wachsen bis zur Aufnahme als Teil des Völkerrechts zu verfolgen.

Der Anfang der Ächtung der Eroberung reicht in unserem Land bis zur Monroe-Doktrin zurück. Sie erhielt ihre theoretische Grundlage durch die Politik des Außenministers James C. Blaine, der 18 81 sein Amt antrat und die Entschließung gegen Eroberungen herbeiführte, die von der ersten Panamerikanischen Konferenz 1890 angenommen wurde.

Die politische Linie unserer Regierung wurde dann endgültig durch Präsident Woodrow Wilson formuliert, als er in seiner Botschaft an den Kongreß am 8. Januar 1918 erklärte: „Die Tage der Eroberung und des Imperialismus sind vorbei.“

Staaten, die vielleicht einen besonderen Anlaß haben könnten, unserem Präsidenten des ersten Weltkrieges dankbar zu sein, sollten nicht verfehlen, sich diese Erklärung wohl zu merken.

Ein entscheidender Schritt zur Ächtung der Eroberung und Annexion wurde in Europa durch die Annahme der Völkerbundsverfassung unternommen. Präambel der Verfassung fordert von den Mitgliedern des Völkerbundes, eine gewissenhafte Achtung „aller vertraglichen Verpflichtungen“. Dieses wurde als Vorbedingung für die Zustimmung zu den darin anschließenden Artikeln der Verfassung niedergelegt.

Artikel 10 der Völkerbundsverfassung verpflichtet sodann die Mitglieder, die Unverletzlichkeit des Gebietes und die bestehende politische Unabhängigkeit aller Mitgliedsnationen zu achten und gegen einen gewaltmäßigen Angriff zu schützen. So untersagt Artikel 10 den Mitgliedern des Völkerbundes untereinander jede Annexionshandlung.

Polen und Deutschland waren ebenso wie die Sowjetunion Mitglieder des Völkerbundes und hatten feierlich zugestimmt, die Bestimmungen der Verfassung zu beachten.

Der Artikel 10 der Völkerbundsverfassung war keineswegs nur eine jener „frommen Phrasen“, durch die manche Regierungen Lippendienste und nichts mehr erweisen. Er wurde vielmehr von den Völkerrechtlern sowie von führenden Staatsmännern sofort als eine weitreichende Verfassungsklausel anerkannt, die dem geltenden Völkerrecht eine höchst bedeutende Regel hinzufügte.

Ein Komitee, das auf Grund einer Resolution des Völkerbundes vom 21. 2. 1921 gegründet wurde, aus hervorragenden Juristen bestand und unter dem Vorsitz von Vittorio Scialoja aus Italien tagte, gab folgende Interpretation hierzu: „Der Artikel 10, der als ein Verbot anzuselten ist, den territorialen und politischen Status quo, wie er durd^ die Verträge bestätigt wurde, zu verletzen, und als eine Garantie gegen diese Verletzung, enthält den Grundgedanken, auf dem die folgenden Artikel des Paktes beruhen.“

Hieraus ist zu ersehen, daß die Völkerbundsmitglieder selbst den Artikel 10 als ein ausdrückliches Gebot gegen jegliche gewaltmäßige Verletzung des territorialen Status . uo interpretierten. Mit anderen Worten war dieses nicht nur ein Verbot der Annexion, sondern auch jede künftige Annexion wurde, wenn sie unter Anwendung einer äuße-ren Gewalt durchgeführt wurde, für null und nichtig erklärt. Es ist außerdem zu beachten, daß der Ausdruck „äußere Gewalt“ nicht die Anwendung des Verbots auf einen bestehenden Kriegszustand beschränkt. Der bekannte belgische Staatsmann Paul Hymans, der oft und geschickt sein Land beim Völkerbund vertrat, bezeichnete 192 5 den Artikel 10 als „die Seele des Paktes und den Kern der internationalen Verpflidttungen, die er enthält.“

Paul Fauchille hält zwar in seinem „Traite de Droit International Public“, Band 1, Absatz 5 57/12 (veröffentlicht 1926), noch daran fest, daß ein Gebiet, das durch Gewalt erlangt und durch einen folgenden Friedensvertrag zugesprochen wurde, einen gültigen Rechtstitel darstellen kann. Er schränkte diese Bemerkungen jedoch durch die Feststellung ein, daß Artikel 10 „eine Realität darstellt, die die Existenz des Eroberungsredits klar verurteilt.“

Axel Möller, die dänische Autorität, stellt in seinem Buch „International Law in Peace and War“, übersetzt von H. M. Pratt, London, 1931, Teil I, Seite 114, fest: „Gemäß der Völkerbundsverfassung können Eroberung und Zwangszession eines Gebietes unter den Mitgliedern des Völkerbundes nicht mehr eine gültige Grundlage für eine Erwerbung sein.“

Das Verbot der Eroberung und Annexion erfuhr eine weitere Stärkung durch das Genfer Protokoll von 1924 und den Locarno-Pakt von 1925. Aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Völkerbundsverfassung einen gesetzlichen Riegel gegen die Eroberung und gewaltmäßige Annexion schuf und durch diese Bestimmungen die Mitglieder des Völkerbundes verpflichtete.

In unserem Land wurde der Kampf für Ächtung des Krieges, der Eroberung und der Annexion nach dem Ende des ersten Weltkrieges wiederaufgenommen. Er wurde im Kongreß der Vereinigten Staaten energisch vorwärtsgetrieben. Eine Resolution zur Ächtung des Krieges wurde 1923 im Senat von dem Senator von Idaho, William E. Borah, eingebracht, die auf dem Levinson-Plan von 1922 basierte und insbesondere feststellte, daß „alle durch Gewalt, Nötigung oder Betrug herbeigeführten Annexionen, Erpressungen oder gewaltmäßigen Besitznahmen null und nichtig sein sollten.“

Die Resolution Borahs führte damals zu dem Pakt von Paris, bekannt als Kellogg-Briand-Pakt zur Ächtung des Krieges, der heute ein wesentlicher Teil unseres Völkerrechts ist. Immer wieder hat sich unsere Regierung auf ihn bezogen. Die Aggressionen, welche von den Regierungen Japans, des faschistischen Italiens und Nazideutschlands begangen wurden und welche zeitweilig die gesamte Struktur des Völker-rechts gefährdeten, und für die freien Nationen ein Ansporn gewesen, zusammenzustehen und jegliche Versuche seitens der totalitären Regime, „das Recht des Dschungels“ wieder einzuführen, zurückzuweisen.

Als Japan unter Verletzung des Pariser Paktes die Mandschurei zu besetzen begann, erklärte der damalige Außenminister Henry L. Stimson in seiner Note vom 7. 1. 1932, daß die amerikanische Regierung nicht die Gesetzmäßigkeit eines de facto hergestellten Zustandes zulassen könne, noch irgendeinen Zustand, Vertrag oder eine Vereinbarung anerkennen würde, die auf eine Weise zustande gekommen sind, welche dem Pariser Pakt widerspricht.

Als ein Streit zwischen Bolivien und Paraguay wegen des Gran-Chaco-Gebietes entflammte, nahmen die Vereinigten Staaten in Verbindung mit 18 anderen amerikanischen Republiken am 3. August 1932 kanisdnen Nationen erklären weiterhin, daß sie weder eine territoriale Regelung, die nicht durdn friedliche Mittel zustande gekoitturen ist, noch die Gültigkeit territorialer Erwerbungen, die durdi Besetzung oder Eroberung mit Waffengewalt vollzogen worden sind, anerkennen werden.“

Nur einige Tage später, am 11. 8. 1932, formulierte Präsident Herbert Hoover die politische Linie unserer Regierung wie folgt: „Die Vereinigten Staaten anerkannten nicht und werden niemals den Anspruch auf einen Territorialbesitz anerkennen, der unter Verletzung der Friedensverträge, die mit uns unterzeichnet worden sind, erlangt wurde.“

Die Regierungen Polens, der Sowjetunion und sechs anderer Länder unterzeichneten am 3. 7. 1933 eine Konvention in London, der Finnland als neuntes Land später beitrat. Auf Grund der Bestimmungen dieser Konvention verpflichteten sich die Nationen selber und untereinander rechtsgültig, sich der Eroberung und Annexion zu enthalten. Die Präambel der Konvention wies auf die Bedeutung des Kellogg-Briand-Paktes als einer Beschränkung der Eroberung hin und stellte dann fest: „Eingedenk der Tatsache, daß der Kellogg-Briand-Pakt jegliche Aggression verbietet, und mit der Feststellung, daß alle Staaten ein gleiches Recht auf Unabhängigkeit, Sicherheit, Verteidigung ihrer Gebiete und freie Entwicklung ihrer Institutionen haben, sind die Unterzeichneten entschlossen, im Interesse des allgemeinen Friedens allen Völkern die Unverletzlichkeit des Territoriums ihrer Länder zu sichern . . .“

Es besteht auch nicht der Schatten eines Zweifels, daß sowohl Polen wie auch die Sowjetunion — wenn nicht durch einen vorangegangenen Akt — sich hier ausdrücklich und bestimmt rechtsgültig vor aller Welt wider Aggression und Annexion fremden Bodens verpflichtet haben.

Die Vereinigten Staaten sind Unterzeichner der Konvention von Montevideo des Jahres 1933 über die Rechte und Pflichten der Staaten, in deren Artikel 11 als Verhaltensregel für die Teilnehmerstaaten die Verpflichtung ausgenommen wurde, „keine territorialen Erwerbungen oder besondere Vorteile, die durch Gewalt erlangt worden sind, anzuerkennen“. Die Vereinigten Staaten haben sich ferner durch den Antikriegsvertrag für Nicht-Angriff und Versöhnung verpflichtet, der in Rio de Janeiro am 10. Oktober 1933 unterzeichnet wurde und die folgenden Bestimmungen enthält: „Die unterzeichneten Staaten haben . . . mit dem Ziel, Angriffskriege und Gebietserwerbungen, die durch bewaffnete Eroberung erzielt werden könnten, zu verurteilen, dieselben unmöglich zu madren und ihre Ungültigkeit durch die ausdrücklidten Bestimmungen dieses Vertrages festzusetzen, dem folgenden zugestimmt:

Sie erklären, daß unter den Vertragspartnern territoriale Fragen nicht durdr Gewalt geregelt werden dürfen, und daß sie keine territoriale Regelung, die nidnt mit friedlichen Mitteln durchgeführt ist, noch die Gültigkeit der Besetzung oder Erwerbung von Gebieten, die mittels Waffengewalt erzwungen wurde, anzuerkennen werden.“

Dieser Vertrag wurde, was hierbei nebenbei erwähnt sei, von 34 anderen Nationen ratifiziert, bzw. traten dieselben ihm bei, einschließlich nichtamerikanischer Nationen, die durch einen solchen Beitritt den Grundsatz der Nichtanerkennung territorialer Annexionen, die durch Waffengewalt zustande gebracht worden sind, gebilligt und sich rechtlich auf ihn verpflichtet haben.

In einer öffentlichen Erklärung vom 12. Juli 1935 hat Außenminister Cordell Hull die Politik unserer Regierung nochmals dargelegt. Er erklärte, daß die Verpflichtungen, die sich aus dem Pariser Pakt für die Vereinigten Staaten ergeben, „jetzt nicht weniger bindend sind als zu der Zeit, da der Pakt von 63 Nationen, die seine Partner sind, eingegangen wurde.“ Er fügte hinzu, daß unser Land außerdem noch durch andere Verträge zu einer Politik der Nichtanerkennung territorialer Erwerbungen, die mittels Gewalt herbeigeführt wurden, verpflichtet ist.

Durch diese Verträge haben sich die Vereinigten Staaten definitiv zu einem allgemeinen Verwaltungsgrundsatz verpflichtet, der in allen Fällen anzuwenden ist, bei denen wir dazu aufgerufen sind, zu entscheiden, ob die Gültigkeit territorialer Erwerbungen als Ergebnis der Anwendung von Waffengewalt anzuerkennen ist.

Es kann zum Ergebnis der Vorkriegsperiode des zweiten Weltkrieges gesagt werden, daß die politische Richtlinie der Vereinigten Staaten bezüglich der Ächtung territorialer Vergrößerungen, die 1918 klar von Präsident Wilson proklamiert und durch Erklärungen der nachfolgenden Regierungen eifrig verfolgt wurde, dann zum Kellogg-Briand-Pakt von Paris über die Ächtung des Krieges und zu den politischen Erklärungen Hoovers und Stimsons führte, von den Regierungen Roosevelts und Trumans durch Erklärungen des Außenministers Cordell Hull und anderer gestützt worden ist.

Politische Grundsatzerklärungen der Vereinigten Staaten zum Selbstbestimmungsrecht der Völker Unsere Nation und Regierung haben einen noch bedeutenderen Anteil an der Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, das heute eine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts ist.

Der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist klar und knapp von Präsident Woodrow Wilson in seiner Ansprache vom 27. 5. 1916 vor der „League To Enforce Peace“ formuliert worden, als er sagte: „Wir glauben an diese fundamentalen Dinge: Erstens, daß jedes Volk ein Recht hat, die Oberhoheit zu wählen, unter der es leben will ..."

In seiner Ansprache vor dem Senat am 22. 1. 1917 stellte Präsident Wilson fest: „Nirgendwo besteht ein Recht, Völker von einer Oberhoheit zur anderen zu überstellen, als ob sie ein Besitztum wären.“

Ein Jahr später erklärte Präsident Wilson in seiner Ansprache vor der gemeinsamen Sitzung der beiden Häuser des Kongresses am 11. 2. 1918: „. . . Selbstbestimmung ist keine bloße Phrase. Es ist ein gebieterischer Grundsatz des Handelns ..."

Er legte dann vier fundamentale Grundsätze nieder, darunter: „. . . Zweitens, daß Völker und Provinzen nicht von einer Herrschaft zur anderen ausgetauscht werden sollen, als ob sie bewegliche Habe oder Steine in einem Spiel wären,, selbst in dem großen Spiel, das jetzt für immer in Verruf gebracht ist, dem Gleichgewicht der Mächte.“

Schließlich bezeichnete Präsident Wilson in seiner Mount-Vernon-Ansprache am Unabhängigkeitstag 1918 als eines der fundamentalen Ziele: „Die Regelung einer jeden Frage, mag sie ein Gebiet, eine Souveränität, eine wirtschaftliche Regelung oder eine politische Bindung betreffen, muß auf der Grundlage der freien Annahme jener Regelung durch die unmittelbar betroffenen Völker erfolgen.“

Durch den Austausch von Noten zwischen der damaligen deutschen Regierung und den Regierungen der Alliierten und Assoziierten Mächte wurde diese Erklärung protokolliert; sie sollte zur Richtschnur beim Friedensvertrag dienen.

Es darf nicht übersehen werden, daß die Sowjetregierung in einer Note vom 7. 3. 1933 ihr eigenes Versprechen, den Grundsatz des Selbstbestimmungsrecht der Völker zu beachten, durch folgende Worte erneut bestätigte: „Seit dem Beginn des sowjetisdten Staates hat die Sowjetregierung das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, ihre Wünsche freiheitlich und ohne jeglichen äußeren Drudt kundzutun, als einen wesentlidien Grundsatz ihrer Politik proklamiert.“

VII. Der Standpunkt der Vereinten Nationen

Die Atlantic-Charta Es war daher eine logische Folge, daß die Atlantic-Charta des Jahres 1941 für eine weitere Verankerung des Grundsatzes der Ächtung von Eroberung und Annexion sowie des Selbstbestimmungsrechts der Völker Vorsorge treffen sollte. In einer feierlichen Erklärung der Welt gegegenüber proklamierten die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens: • „Erstens, ihre Länder suchen keine territoriale oder sonstige Vergrößerung; zweitens, sie wünsdren keine Gebietsverände rungen, die nicht mit den frei geäußerten Wünschen der betroffenen Völker übereinstimmen.“

Die Atlantic-Charta wurde in die Deklaration der Vereinten Nationen ausgenommen. Sowohl die Sowjetunion wie auch Polen traten ihr gemeinsam mit 24 anderen Nationen bei. Sie billigten und bestätigten erneut die darin festgestellten Grundsätze, als sie feierlich die Deklaration der Vereinten Nationen am 1. Januar 1942 in Washington unterzeichneten. Der nächste wichtige Schritt, um diese Bestimmungen im Völkerrecht noch wirksamer zu machen, wurde in Verbindung mit den Vorbereitungsarbeiten für die Organisation der Vereinten Nationen und bei der Ausarbeitung einer Charta als ihr Grundgesetz unternommen.

Dumbarton Oaks Die Charta der Vereinten Nationen wurde demgemäß in ihren großen Umrissen während der Außenministerkonferenz in Moskau im Oktober 1943 behandelt, die in eine Vier-Mächte-Erklärung ausmündete. Der Entwurf der UN-Charta wurde dann von der Dumbarton-Oaks-Konferenz vom 21. 8. bis 7. 10. 1944 unter freiwilliger Beteiligung und Zustimmung der sowjetischen Delegierten gebilligt und angenommen.

Kapitel 2, Abschnitt 1, dieses Entwurfes lautet: „Alle Mitglieder der Organisation werden sich in ihren internationalen Beziehungen jeglicher Gewaltandrohung und Gewaltanwendung enthalten, da diese mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar sind“.

Das in Dumbarton-Oaks erzielte Abkommen ist eine international gültige Vereinbarung, die rechtlich die Nationen verpflichtet, deren Regierungen auf der Konferenz vertreten waren. Der Entwurf der Charta der Vereinten Nationen, wie er seitens dieser Vertreter vereinbart und dann als Teil der Dumbarton-Oaks-Deklaration verkündet wurde, muß und wird als ein rechtlich verpflichtendes Instrument angesehen werden. Er kann nicht beiseite geschoben werden.

Die Sowjetregierung vor allem kann nicht einerseits an einer internationalen verfassungsmäßigen Charta mitwirken, die im Vergleich zu Völkerbundsfragen umfassender und wirkungsvoller sein soll, und insbesondere den Entwurf von Dumbarton-Oaks billigen, der die Ächtung der Gewaltanwendung enthält, andererseits darangehen, deutsches Gebiet zu annektieren oder deutsches Gebiet Polen zu übergeben.

Die Charta der Vereinten Nationen Das Verbot der Eroberung und Annexion, wie es im Artikel 2, Absatz 4, der Charta der Vereinten Nationen enthalten ist, lautet wie folgt: „Alle Mitglieder sollen sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung oder Anwendung von Gewalt gegenüber der territorialen Integrität oder politischen Unabhängigkeit jedes Staates enthalten sowie dessen, was mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. u Es ist zu beachten, daß im Artikel 2 die Grundsätze der Vereinten Nationen niedergelegt sind, während Artikel 1 ihre Ziele festsetzt. Beide Artikel haben Vorrang vor den anderen und sollen die politische Grundlinie der Mitgliednationen leiten. Aber während die Ziele erstrebenswerte Leitziele sind, bilden die Grundsätze ein konkretes Fundament. Sie sind die Grundregeln, die unbedingt die Haltung jeder Mitgliednation verpflichten. Sie sind die Doktrin, ohne die die Vereinten Nationen nicht existieren könnten.

Lim diese Grundsätze noch umfassender zu gestalten, bestimmt Abschnitt 6 des Artikels 2: „Die Organisation soll sicherstellen, daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen, soweit es für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit notwendig ist, handeln.“

Mit anderen Worten, diese Grundsätze sind gesetzmäßiges Recht. Mitgliednationen, die gegen die Regeln des Rechts handeln, müssen erwarten, des Rechtsbruchs angeklagt zu werden. Aus diesem Gründe wird in Artikel 6 der Charta erklärt: „Ein Mitglied der Vereinten Nationen, das ständig die Grundsätze (d. h. die Bestimmungen des Artikels 2), die in der vorliegenden Charta enthalten sind, verletzt hat, kann von der Organisation ausgesdrlossen werden.“

Es ist wichtig, den Vorrang der Grundsätze, wie sie im Artikel 2 der Charta erklärt worden sind, zu erkennen und sich seiner bewußt zu sein. Lim mit den Worten des Obersten Richters Marshall im Falle Marbury versus Madison zu sprechen: „Die . . . so aufgestellten . . . Grundsätze sind als fundamental zu betraduen . . . Sie sind dazu bestimmt, von Dauer zu sein.“

Sie bilden das, was der Oberste Richter Marshall „das fundamentale und oberste Recht“ genannt haben würde.

Daraus folgt, daß Artikel 107 nicht den Vorrang gegenüber Artikel 2 haben kann. Kapitel 17 der Charta der Vereinten Nationen, das sich mit vorübergehenden Sicherheitsbestimmungen befaßt, enthält die Artikel 106 und 107, von denen der letztere lautet: „Keine Bestimmung der vorliegenden Satzung kann Maßnahmen ungültig machen oder ausschließen, die infolge des zweiten Weltkrieges gegen einen Staat, der während dieses Krieges Feind irgendeines Unterzeichners dieser Satzung war, von Regierungen unternommen oder genehmigt werden, welche die Verantwortung für soldte Maßnahmen tragen.“

Der Entwurf des Kodex des internationalen Strafrechts Seit dem Dumbarton-Oaks-Abkommen im Jahre 1944 über den Entwurf der Charta der Vereinten Nationen und seit der Annahme dieser Charta 1945 sind Schritte unternommen worden, den Grundsatz der Charta gegen Eroberung und Annexion in einen Gesetzeskodex aufzunehmen, um ihn noch mehr in das Völkerrecht einzufügen. Durch die Resolution vom 21. November 1947 wies die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Kommission juristischer Sachverständiger an, „die Grundsätze des Völkerrechts, wie sie in der Charta des Nürnberger Gerichtshofes und in dem Urteil des Gerichtshofes anerkannt sind, zu formulieren und einen Gesetzesentwurf gegen solche Verstöße vorzubereiten". Artikel 1 des Gesetzentwurfes, wie er von der Kommission angenommen wurde, lautet: „Vergehen gegen Frieden und Sicherheit der Mensdrheit, wie sie in diesem Gesetz definiert sind, sind dem internationalen Red'tt zufolge Verbrechen, für die die verantwortlidten Personen bestraft werden.“

Artikel 2 beginnt: „Die folgenden Taten sind Vergehen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit.“

Dann werden unter Absatz 9 angeführt: „Die von Machthabern eines Staates durd'igeführte Annexion eines Gebietes, das einem anderen Staat gehört, mittels Handlungen, die im Widersprudt zum Völkerrecht stehen.“

In dem offiziellen Kommentar zum Gesetzentwurf stellte die Kommission fest: „Die Annexion eines Gebietes unter Verletzung des Völkerrechts ist ein eindeutiges Vergehen, weil sie eine besonders anhaltende Gefahr für Frieden und Sicherheit der Menschheit darstellt.“

Nachdem der Kommentar sich auf die Bestimmungen des Artikels 10 der Völkerbundsverfassung und auf die Formulierung des Artikels 2, Absatz 4, der Charta der Vereinten Nationen bezogen hat, heißt es weiter: „Eine illegale Annexion kann auch ohne offene Drohung oder Anwendung von Gewalt oder durch eine oder mehrere Handlungen, wie sie in den anderen Paragraphen dieses Artikels deßniert sind, durchgeführt werden (z. B. § 11: Llnmensddid'ie Handlungen wie Mord, Ausrottung, Versklavung, Verbannung oder Verfolgung, die gegen irgendeine Zivilbevölkerung aus sozialen, politischen, rassischen, religiösen oder kulturellen Gründen von den Organen eines Staates oder von privaten Personen, die auf Anstiftung oder mit Duldung solcher Organe handeln, begangen werden." Dies schließt hinreichend das Verbrechen der Austreibung ein).

Es war in Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts, die Eroberung und Annexion verbieten, daß die siegreichen Alliierten des zweiten Weltkrieges zur Zeit der Niederlage Deutschlands alle offenkundigen und verschleierten Annexionsakte, die von der Regierung Hitlers begangen . worden waren, für null und nichtig erklärten.

Jedoch beschränkt sich die Anwendung der Rechtsregel nicht auf den besiegten Angreifer; sie verpflichtet ebenso den Sieger, selbst wenn der letztere ursprünglich das Opfer der Aggression gewesen ist. Es gibt nicht und es kann niemals bei Ausübung der Gerechtigkeit „zweierlei Maß“ geben.

Wir können daher folgern, daß die Sowjetunion und das rote Regime des kommunistischen Polens dadurch, daß sie in den östlichen Provinzen Deutschlands weiterhin so handeln, als ob sie Souveränitätsrechte in jenem Teil Deutschlands ausüben, ständig die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht verletzen.

Teheran—Yalta—Postdam eine Abweichung?

Man hat behauptet, daß Präsident Roosevelt in Teheran und Yalta offenbar in Unkenntnis der völkerrechtlichen Lage und der bestimmten Erklärungen sowie der logischen Grundlinie der amerikanischen Politik die Vereinigten Staaten verpflichtet habe, der Durchführung territorialer Vergrößerungen durch einige der kriegszeitlichen Alliierten zuzustimmen. Solche Behauptungen werden jedoch nicht durch Tatsachen gestützt. Ferner wird eine Erklärung des verstorbenen Außenministers Edward Stettinus vom 18. Dezember 1944 angeführt, um die Behauptung einer solchen Verpflichtung zu stützen. Jedoch bezeugt der Text der Erklärung keine feste Verpflichtung. Im übrigen hat ein Kabinettsmitglied in unserem System der Präsidentenregierung nicht die parlamentarische Verantwortung, die von seinen Kollegen in einigen der europäischen Regierungen mit ihren parlamentarischen oder Kabinettsregierungssystemen getragen wird. In unserem Land ist es allein der Präsident, der die Verantwortung für die tägliche Führung der Außenpolitik übernimmt. In dem Schlußabschnitt der Yalta-Erklärung, der die Grenzfrage behandelt, wurden die Worte „die drei Mächte“ im ursprünglichen Entwurf in „die drei Regierungschefs“ geändert und für „zustimmen“ wurden die Worte „sind der Meinung" eingesetzt. Die Änderungen bewirkten, daß die Erklärung über die Grenzen aus einer Regierungsverpflichtung zu einer Meinungsäußerung wurde. Das ist sie und nichts anderes.

In seinem Bericht über die Yalta-Konferenz wies Außenminister James Byrnes darauf hin: „Immer wieder hat der Präsident wiederholt, daß es vor einer Friedenskonferenz keine Gebietsübertragungen geben kann.“

Präsident Roosevelt selbst stellte in seinem Bericht vor dem Kongreß über die Yalta-Konferenz fest: „Idi bin wir der verfassrtngsredididten Tatsadie bewußt — wie alle der Vereinten Nationen daß diese Charta (d. h. die Yalta-Deklaration) von zwei Dritteln des Senats der Vereinigten Staaten gebilligt werden müßte, ebenso wie audt andere Abmadtungen, die in Yalta getroffen wurden.“

In einer Mitteilung vom 24. März 1945 an Stalin kritisierte Präsident Roosevelt das sowjetische Versäumnis in der Polenfrage, den Prinzipien der Atlantic-Charta zu folgen, und fügte hinzu: „Ich bin gewiß, daß Sie sich dessen bewußt sind, daß in den Vereinigten Staaten eine echte Unterstützung seitens der Bevölkerung erforderlich ist, um jede Politik der Regierung, ob Außen-oder Innenpolitik, durchzuführen.“

Es kann keinen Zweifel geben, daß die Position des amerikanischen Präsidenten der Sowjetregierung ausreichend klargemacht worden war.

Was den Ausdruck „jetzt unter polnischer und sowjetrussischer Verwaltung“ anbetrifft, so bezog sich Präsident Truman 1945 in Potsdam insbesondere auf die Anwendung jenes Ausdruckes und erklärte, daß er nur aus formalen Gründen gewählt worden sei, um die Tatsache zu betonen, daß eine endgültige Vereinbarung über territoriale Veränderungen von der Friedenskonferenz erreicht werden müsse.

Zum Schluß dieses Teils meiner Bemerkungen möchte ich darauf hinweisen, daß trotz einer kritischen Phase zur Zeit der Konferenzen in Teheran, Yalta und Potsdam die stetigen und ununterbrochenen Fortschritte, die unser Land hinsichtlich der Ächtung von Eroberung und Annexion gemacht hat, die moralischen und rechtlichen Kräfte bei vielen anderen Nationen der Welt ermutigt hat. So ist diese Entwicklung im Völkerrecht unterstützt und in hohem Maße gestärkt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir jemals wieder zurückfallen und unsere eigenen Grundsätze durch demütige Kapitulation vor dem, was das „Gesetz des Dschungels“ genannt werden könnte, entwürdigen sollten.

VIII. Der Standpunkt der Regierung der Bundesrepublik und des Vatikans

Deutsche Proteste rechtlich gültig Natürlich kann das Unrecht, das von den kommunistischen Polen und Russen dadurch begangen wird, daß sie weiterhin die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie besetzen und festhalten, nur rechtliche Folgen haben, solange die Menschen, denen das LInrecht zugefügt worden ist, sowie ihre Regierung und ihre Sprecher fortfahren, um ihr Recht zu kämpfen. Im römischen Digestenrecht hieß es einst: Jus civile vigilantibus scriptum est (das bürgerliche Recht ist für Wachsame geschrieben). Das heutige Billigkeitsrecht besagt: „Vigilantibus et non dormientibus jura subveniunt" (die Gesetze helfen jenen, die wachsam sind, und nicht denen, die auf ihren Rechten schlafen).

Hat das deutsche Volk und seine gewählte Regierung einen rechtlich gültigen Protest eingelegt? Sind sie ständig und wachsam für ihr Recht eingetreten? Ein Protest ist eine formale Mitteilung eines Staates einem anderen gegenüber, daß er Einspruch gegen einen vollzogenen oder von dem letzteren als vollzogen betrachteten Akt erhebt. Ein solcher Protest bewirkt die Aufrechterhaltung von Rechten oder dient der Bekanntgabe, daß der protestierende Staat bestimmte Akte nicht hinnimmt und nicht anerkennt.

Als das kommunistische Regime der sowjetisch besetzten Zone Mitteldeutschlands in Görlitz am 6. Juni 19 50 mit dem kommunistischen Regime Polens ein sogenanntes „Abkommen“ schloß, worin erklärt wurde, daß die Oder-Neiße-Linie die endgültige Grenze zwischen Deutschland und Polen sei, mißachteten diese die Rechtslage und verletzten das Recht.

Darauf protestierte die Regierung der Bundesrepublik Westdeutschlands in einer Note gegen das „Görlitzer Abkommen“. In der Note wird festgestellt, daß das Gebiet östlich der Oder und Neiße weiterhin ein Teil Deutschlands ist. Als Teil der sowjetischen Besatzungszone war es zur Zeit des Potsdamer Abkommens der Republik Polen lediglich zum Zwecke einer vorläufigen Verwaltung übergeben worden. Die Grenzen Deutschlands könnten nicht geändert werden, außer durch einen Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland.

Die Note wurde durch die drei westlichen Hohen Kommissare dem sowjetischen Oberbefehlshaber in Deutschland, General Tschuikow, übergeben. Bei Übergabe der Note betonten die drei westlichen Hohen Kommissare ihrerseits, daß die Grenzen Deutschlands nach dem Potsdamer Abkommen nicht vor Unterzeichnung eines Friedensvertrages endgültig festgesetzt werden könnten. Die Alliierte Hohe Kommission war daher gezwungen, das in Görlitz zwischen den Vertretern der sowjetisch besetzten Zone und Polen unterzeichnete Abkommen als eine Verletzung der von den vier Großmächten eingegangene Verpflichtungen anzusehen.

Unsere Regierung unterstützte ebenso wie die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens durch offizielle Erklärungen den Protest der deutschen Bundesregierung und den durch die drei Hohen Kommissare unternommenen Schritt. Die in Paris am 7. 7. 1950 veröffentlichte Erklärung lautete: „Das französisdie Außenministerium ermächtigt seinen Nohen Kommissar in Deutschland zu der Feststellung, daß Frankreich ausdrücklich das Gebiet innerhalb der Grenzen von 1937 als deutsches Staatsgebiet anerkennt, und daß die Bundesregierung auf Grund freier Wahlen als Sprecher für Gesamtdeutschland betrachtet wird.“

Die folgende Erklärung wurde am gleichen Tage in London veröffentlicht: „Die Oder-Neiße-Linie ist nie als endgültige Grenze bestimmt worden . . . Die britische Auffassung hat sich seit Potsdam nicht geändert. Stalin selbst hat am 21. 7. 1945 erklärt, daß die endgültige Festsetzung der polnischen Westgrenze nicht vor Abschluß eines Friedensvertrages erfolgen könne . . . Die britische Regierung beabsichtigt daher, das . Görlitzer Abkommen nicht zu beachten und als nicht existent zu betrachten.“

Linser Außenminister erklärte am folgenden Tage, am 8. 6. 1950, daß das „Görlitzer Abkommen“ eine Verletzung des Potsdamer Abkommens sei: „Das gegenwärtige Regime der sowjetisch besetzten Zone . . . iss nicht . . . berechtigt, für das deutsche Volk zu spredten. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat in der Vergangenheit nie die Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenze Deutschlands anerkannt. Sie erkennt die gegenwärtige Regelung, die von der polnischen Regierung und der Verwaltung Ostdeutscltlands getroffen wurde, nicht an.“

Im Nachgang zu ihrer früheren Note veröffentlichte die deutsche Bundesregierung am 9. 7. 1950 einen Protest gegen das „Görlitzer Abkommen", worin sie feststellte: „Die sogenannte Regierung der sowjetisch besetzten Zone hat keinerlei Recht, für das deutsche Volk zu sprechen. Ihre Regelungen und Vereinbarungen sind null und nichtig. Die Entscheidung über die deutschen Ostgebiete, die gegenwärtig unter polnischer und sowjetischer Verwaltung stehen, kann und wird nicht getroffen, bis ein Friedensvertrag mit einem vereinigten Deutschland abgeschlossen ist. Die deutsche Bundesregierung als Sprecher für das gesamte deutsche Volk wird niemals der Annexion dieser rein deutschen Gebiete zustiwwen, die im Gegensatz zu jeglichem Grundsatz des Rechts und der Menschlichkeit steht. Die deutsche Bundesregierung wird eine gerechte Lösung dieser Frage bei zukünftigen Friedensverhandlungen zwischen einem wirklich demokratischen Polen und einem demokratischen vereinigten Deutschland anstreben.“

Die Bundestags-Resolution 1952 faßte der Deutsche Bundestag auf einer Sondersitzung eine Resolution: „Nach dem Potsdamer Abkommen ist das deutsche Gebiet östlich der Oder-Neijle als Teil der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands der Republik Polen nur zum Zwed^e der vorläufigen Verwaltung übergeben worden. Das Gebiet bleibt ein Teil Deutsddands. Niemand hat das Recht, sidi die Macht anzumaflen, auf Volk und Land zu verziditen oder eine Politik des Verzichts zu betreiben.“

Diese Resolution wurde einstimmig von allen Parteien des Bundestages mit Ausnahme der Kommunisten angenommen. Sie wurde vom Bundesrat ratifiziert und vom Kabinett angenommen. Sie ist daher als eine Grundsatzerklärung der deutschen Außenpolitik zu betrachten.

Die deutsche Bundesregierung hat in ihrem Standpunkt nie geschwankt. Sie hat ihre Auffassung immer wieder und bis zum heutigen Tage erneut bekräftigt. In den Anfangsmonaten der ersten Eisenhower-Regierung hat der deutsche Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer unter dem Datum vom 29. 5. 195 3 ein Memorandum an den Präsidenten der Vereinigten Staaten gerichtet, worin er erklärte: „Keine deutsdte Regierung wird je in der Lage sein, die Oder-Neif^e-Linie anzuerkennen.

Deutsdiland wird aber anstreben, die damit zusammenhängenden territorialen Fragen in einem neuen Geist internationaler friedlicher Zusammenarbeit zu ordnen.“

Am 28. 6. 1956 gab der westdeutsche Außenminister Dr Heinrich von Brentano für die Bundesregierung folgende Erklärung im Bundestag ab: „Die Bundesregierung hält audi ihre klare Einstellung zu der Frage der Grenzziehung im Osten unverändert aufredit . . . In voller Übereinstimmung mit dem erklärten Willen des ganzen deutschen Volkes hat sie immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 fortbesteht, und daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem völligen Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutsdien Volk nid'it anerkannt werden. Das Redit auf die Heimat und das Selbstbestimmungsredit sind unabdingbare Voraussetzungen für die Lösung des Sdiid? sals der in der Vertreibung oder in der Unfreiheit lebenden Menschen und Völker.“

Im Oktober 1956 erklärte der westdeutsche Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Walter Hallstein, im Bundestag: „Die Bundesregierung wird bei jeder geeigneten Gelegenheit die beteiligten Westmädtte und die Weltöffentlidrkeit darauf hinweisen, daß elf Millionen Heimat-vertriebene in der Bundesrepublik niemals auf die Forderung verzichtet haben, in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit ihre Heimat wiederzuerlangen. Sie wird ferner darauf aufmerksam madten, daß dieser Standpunkt vom ganzen deutschen Volk geteilt wird.“

Die Erklärung der deutschen Bundesregierung Die jüngste und umfassendste nochmalige Bekräftigung der Politik hinsichtlich der deutschen Provinzen östlich der Oder und Neiße wurde vom westdeutschen Außenminister Dr. Heinrich von Brentano abgegeben, als er am 31. 1. 1957 für die deutsche Bundesregierung im Bundestag erklärte: „Die Bundesregierung hat wiederholt in feierlichen Erklärungen ihren Standpunkt zu diesen Fragen dargelegt. Mit ihren Bündnispartnern ist sie darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutsddand aufgeschoben werden muß.

Nur eine gesamtdeutsche Regierung und eine vom ganzen Volk gewählte Volksvertretung sind legitimiert, diese Entscheidung über die künftigen deutsdren Ostgrenzen zu treffen. Die Bundesregierung hält daran fest, daß die Verhandlungen hierüber keinen Zweifel lassen dürfen, daß für den völkerrechtlichen Gebietsstand Deutschlands die Grenzen des Deutschen Reiches am 31. Dezember 1937 maßgeblich sind, und daß das deutsche Volk die Oder-Neiße-Linie nicht, als gegenwärtige oder künftige Grenze Deutschlands akzeptieren kann.

Sie hält aber audt daran fest, daß eine Lösung der Grenzfrage nur auf dem Verltandlungswege denkbar ist und ohne jede Androhung oder gar Anwendung von Gewalt erfolgen muß. Die Bundesregierung hält es für notwendig, diese Erklärung audt heute zu wiederholen. Sie weiß sich der Zustimmung des Deutschen Bundestages und des deutsdien Volkes sicher — also audt der Deutschen, deren Heimat östlich der Oder-Neiße-Linie liegt.“

Der Standpunkt des Vatikans Es kann hier nicht belanglos sein, die Aufmerksamkeit auf die klare und unzweideutige Stellung zu lenken, die vom Vatikan und von prominenten Würdenträgern der römisch-katholischen Kirche hinsichtlich des Teils Deutschlands östlich der Oder-Neiße-Linie und seiner Bevölkerung, den gegenwärtigen Vertriebenen in Westdeutschland, eingenommen wird. Der römisch-katholische Standpunkt könnte auf einem Abschnitt aus dem Brief des heiligen Augustins an Papst Bonifacius beruhen: „Wenn man sein Wort gegeben hat, muß man es selbst dem Feinde gegenüber halten, gegen den der Krieg geführt wird.“

Papst Pius selbst nannte in einem Brief vom 1. 3. 1948 die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat ein Ereignis ohne Parallele in der Vergangenheit, über das die Geschichte ein strenges Urteil fällen wird: „Wir glauben zu wissen, was sich während der Kriegsjahre in den weiten Räumen von der Weidtsel bis zur Wolga abgespielt hat. War es jedodi erlaubt, im Gegenschlag 12 Millionen Menschen von Flaus und Herd zu vertreiben und der Verelendung preiszugeben? . . . Ist es wirklichkeitsfremd, wenn wir wünschen und hoffen, es möchten alle Beteiligten zu ruhiger Einsicht kommen und das Gesdtehene rückgängig machen, soweit es sich noch rückgängig madten läßt?“

In Übereinstimmung mit dieser allgemeinen Politik hat der Vatikan bisher standhaft Widerstand geleistet, sich von Polen dazu drängen zu lassen, polnische Erzbischöfe und Bischöfe an die Spitze der sechs Diözesen in den jetzt unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Provinzen zu berufen. Die einzige Konzession, die der Vatikan kürzlich (im Dezember 19 56) gemacht hat, war die Berufung von fünf Generalvikaren und einem Koadjutor zu Verwaltungszwecken für dieses Gebiet.

Jedoch betonte der Vatikan bei der Bekanntgabe der Berufungen, daß sie „nicht als ein Schritt, auch nicht als ein erster Schritt, zur Anerkennung“ einer polnischen Souveränität über die deutschen Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie seitens der katholischen Kirche anzusehen sind. In Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Konkordats müßte jegliche Änderung hinsichtlich der deutschen Bistümer dieses Gebietes bis zu einer endgültigen Regelung der Grenzfrage zurückstehen.

Die Struktur der Jurisdiktion in den deutschen Diözesen östlich der Oder und Neiße bleibt unverändert. Zum Beispiel ist im offiziellen Jahrbuch des Vatikans für 1957 für die Diözese Danzig (Freie Stadt Danzig), für die gerade ein Koadjutor ernannt worden ist, der deutsche Bischof, Bischof Splett, mit der Bemerkung eingetragen: „An der Ausübung der Funktionen seines Amtes verhindert.“ Von den kommunistischen Polen bald nach dem Ende des letzten Krieges verhaftet und kürzlich in Freiheit gesetzt, befindet sich Bischof Splett jetzt in Westdeutschland. Ich weiß natürlich von den vereinzelten Stimmen, die aus Deutschland kommen, Stimmen einzelner Personen, die Willens zu sein scheinen, ihr Recht zu verkaufen. Ihr Verlangen nach dem Recht mag abgestumpft sein, ihr Blick getrübt durch Jahre der Unterwürfigkeit unter das vergangene Naziregime. Es ist nichts Ungewöhnliches, einige solcher abweichenden Stimmen zu hören.

Es können Stimmen kommunistischer „Friedensstifter“ und Neutralisten sein: es können Stimmen schwankender Intellektueller sein, die bereit sind, jedem neuen Hirngespinst nachzujagen; oder es können bloß Stimmen demütiger Kolaborateure sein, der Ja-Sager, die noch nicht den Schock der Kapitulation überwunden haben. Man sollte sich nicht durch Mißklänge täuschen lassen. Der durchschnittliche Deutsche, der Mann auf der Straße, ist ein patriotischer Bürger seines Landes.

IX. Hinweis auf eine Lösung

Ein realistischer Blick ist erforderlich Eine realistische Politik hinsichtlich des östlichen Mitteleuropas muß auf der festen Grundlage des Völkerrechts und der historischen Wahrheit fundiert sein. Die Vorstellung, daß eine Regierung ihre Politik durch die Wahrnehmung des Vorteils einer Augenblickssituation auf der Grundlage des Unrechts aufbauen kann, indem sie ein solches Unrecht fortsetzt, ist eine völlige Illusion.

Deutschland hat einen gültigen Rechtsanspruch auf seine Provinzen östlich der Oder und Neiße. Die Regierung in Bonn sollte ermutigt werden, auf ihrem Recht zu bestehen. Ein Schwanken würde einer Stärkung der Kontrolle des Kremls über Polen gleichkommen und somit in Wirklichkeit den sowjetischen Imperialismus fördern.

Es ist der Mühe wert, sich an Virgils Vers über die schlechten Geschenke-Macher zu erinnern: „Timeo Danaos et dona ferentes!" Die Rolle des Geschenke-Machers Stalin, der Polen die deutschen Ostprovinzen anbot, sollte seinen beiden westlichen Partnern in Teheran und Yalta verdächtig gewesen sein. Eine „Schnellösung" überließ der nächsten Generation eine fatale Erbschaft herumliegenden Dynamits.

Die unausweichliche Lösung In demselben Maße, in dem Polen, auf Anstiften Stalins und mit der Hilfe seiner beiden arglosen westlichen Partner, geographisch nach Westen gestoßen wurde, wurde es politisch nach Osten verschoben. Dieser scheinbare Widerspruch enthält doch eine unausweichliche Logik. Damals, als Polen zur Besetzung der ostdeutschen Provinzen wahrhaft getrieben wurde, hat es mit seiner unabhängigen Außenpolitik vor Moskau kapituliert, während die Herrscher im Kreml nicht ein Jota von der Weite ihrer politischen Pläne opferten. Es wird immer im Belieben des Kremls stehen, vor den Augen künftiger deutscher Regierungen den Köder der alten deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie aufzuhängen. Polen wird nie seines unrechtmäßigen Besitzes sicher sein.

So ist die tatsächliche Lage genau das Gegenteil von der, wofür si einige unserer politischen Analytiker halten. Das ist keine neue Endeckung. Viele intelligente Polen haben dies längst erkannt. Es ist zu verschiedenen Zeiten darauf hingewiesen worden, und man sollte es im Gedächtnis behalten. In seiner Stalin-Biographie stellte Isaac Deutscher den Fall so dar: „Die Einverleibung der deutschen Provinzen sollte die Polen für ihre östlichen Sümpfe entschädigen; aber sie sollte sie auch in Zukunft der Gefahr einer deutschen Rache aussetzen und völlig abhängig von Rußlands Schutz mad-ien.“

In der Tat, nur im Schutz der sowjetischen Armee kann Polen letzhin sicher sein, an seinem Kriegsraub festhalten zu können. Solange Polen die Besetzung der deutschen Provinzen beibehält, muß es sich auf ein Ballspiel mit dem Kreml einlassen, muß es tun, was von ihm verlangt wird, und wird doch nie sicher sein. Die Politik des Kremls ist zynisch und unbarmherzig bis zum äußersten. Moskau wird nicht einen Augenblick zögern, Polen zu verkaufen, wenn eines Tages die sowjetischen Herrscher damit das richtige Geschäft machen könnten. Ich möchte manchmal gern wissen, ob das gegenwärtige Regime in Warschau sich der unausweichlichen Logik in dieser Hinsicht nicht klar ist.

Dieser Kongreß und in der Tat die gesamte amerikanische Öffentlichkeit möchte wissen, ob die neue polnische Regierung noch eine Marionette der Sowjets oder tatsächlich eine patriotische polnische Regierung ist. Einer der besten Wege, dieses zu erkennen, ist die Beobachtung, ob sie die sowjetische Politik, Polen westwärts in deutsches Gebiet hineinzutreiben, fortsetzt oder ob sie diese selbstmörderische Politik aufgibt und den klugen Kurs Frankreichs an der Saar verfolgt, nähmlich die Rechte der Menschen, die das militärisch besetzte Gebiet bewohnten, anzuerkennen und gleichzeitig mit der benachbarten Regierung zu einer gerechten Lösung des Problems zu gelangen, die noch die wirtschaftlichen Vorteile ergeben wird, die für Polen so dringend notwendig sind.

Die Doppelgleisige Außenpolitik des Kreml Durch Fortsetzung der illegalen Besetzung der deutschen Provinzen östlich der Oder und Neiße handelt Polen jedoch absichtlich oder unwissentlich im Dienste des Moskauer Imperialismus. Es sollte nicht vergessen werden, daß die Kremlherrscher von Anfang an eine zweigleisige Außenpolitik verfolgt haben. Manchmal neigt man dazu, diesen doppelgleisigen Charakter aus den Augen zu verlieren. Das eine Gleis führt klar zur kommunistischen Weltherrschaft, wir werden dauernd an ihre fünfte Kolonne erinnert, die kommunistischen Einheiten in anderen Ländern, die Tarnorganisationen und an die Gruppen hinterhältiger Lockspitzel.

Auf dem anderen Gleis fördert die sowjetische Außenpolitik jedoch den russischen Imperialismus unter der fadenscheinigen Decke panslawistischer Interessen. Sie verwendet dazu eine andere Sorte von Strohmännern als Agenten. Sie stachelt die Menschen an, die panslawistischen Ziele zu fördern und damit unwissentlich Diener eines erbarmungslosen sowjetrussischen Imperialismus zu sein. Die Technik des Kremls schaltet den Akzent von dem einen auf das andere Gleis um und läßt manchmal auch beide zu einem Gleis werden. Unsere politischen Analytiker und Plänemacher, die immer noch an dem anscheinenden Rückzug des Kremls aus Warschau rätseln, würden besser daran tun, über den anderen Teil des Doppelgleises nachzudenken, der nur zu oft aus den Augen verloren wird. Einige unserer Analytiker erscheinen gegenwärtig als Fürsprecher eines sogenannten „unabhängigen“ oder „nationalen“, Kommunismus, indem sie ihn aufputzen, als ob er ein langvermißter Bruder unserer amerikanischen Demokratie sei. Wenn es dem Gumulka-Regime dadurch gelingen sollte in unserem Lande den Widerstand gegen den roten Einfluß zu brechen, wird es einen großen Sieg für den Kreml gewonnen haben.

Diejenigen, die wollen, daß Polen weiterhin ein sowjetischer Satellit bleibt, werden es ermutigen, an den deutschen Provinzen festzuhalten. Diejenigen, die wieder ein freies Polen sehen wollen, werden es in anderer Richtung beeinflussen.

Was daher erforderlich ist, ist jetzt ein Verzicht polnischerseits auf territoriale Vergrößerung und ein freiwilliger Rückzug Polens aus einer illegal besetzten Zone Deutschlands. Nur dieser Schritt wird Polen von seiner politischen Knechtschaft gegenüber den Herrschern im Kreml befreien und seine wahre Unabhänigkeit wiederherstellen.

Aber lernen Völker etwas aus ihrer eigenen Geschichte? Irland und Polen sind zwei hervorragende Beispiele der neuzeitlichen Geschichte dafür, daß Eroberung und Annexion schließlich keinen Gewinn einbringen können. Das im 18. Jahrhundert geteilte Polen wurde während des ersten Weltkrieges wiederhergestellt, und seltsamerweise waren die Mächte, die sein Gebiet einst annektiert hatten, die ersten, die 1916 und 1917 seine Unabhängigkeit anerkannten. Als es 1939 wiederum geteilt wurde, wußten die Polen, daß das ihnen von Hitler und Stalin zugefügte Unrecht nicht andauern würde, so wie die meisten von ihnen es jetzt instinktiv wissen, daß das Unrecht ihrer versuchten Annexion der deutschen Provinzen nicht andauern kann.

Zum Schluß möchte ich noch die Worte einer großen Frau. Ella Wheeler Wilcox zitieren. Sie sagt: „Keine Frage ist endgültig geregelt, die nicht gerecht geregelt ist.“

Niemand kann an diesem Ausspruch etwas aussetzen. Tatsächlich hat er eine solche logische Kraft, daß er verschiedentlich Abraham Lincoln zugeschrieben worden ist.

Sei es, wie es sei; dadurch, daß Polen das Unrecht der Besetzung der deutschen Ostprovinzen fortsetzt, bindet es sich weiterhin an den Kreml und ist weiterhin von der sowjetischen Bereitschaft abhängig, seine territoriale Vergrößerung zu schützen. So muß Polen auf dem Wege der Erpressung bezahlen, was auch immer der Kreml fordert, wann und wie oft auch immer er fordert. Es ist ein Fall endloser Erpressung auf internationaler Basis!

Hinweis auf eine Lösung Wir unsererseits sollten die Tellermine nicht übersehen, die Moskau für die gelegt hat, die leicht zu täuschen sind. Diese Falle könnte wohl die Anregung sein, einen Kompromiß hinsichtlich des Völkerrechts zu schließen, wobei es doch nie einem Kompromiß geben kann, es sei denn, wir verraten unsere eigenen Grundsätze der Freiheit und Gerechtigkeit und damit gerade die Grundlage, auf der diese unsere Nation begründet ist, die Hoffnung der gesamten freien Welt, und, was wir nicht vergessen wollen, jener versklavten Völker, die sich nach Freiheit sehnen.

Die Lösung kann nie mit einer Mißachtung des Rechts verbunden sein; die Lösung liegt vielmehr in der Wiederherstellung eines Zustandes, der dem Völkerrecht, entspricht. Dieses wird die einzige Grundlage sein, auf der künftige deutsch-polnische Beziehungen einer guten Nachbarschaft aufgebaut werden können. Sie bildet daher die Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden in jenem Teil Europas. Außerdem wird sie eine Grundlage für das Entstehen eines echt europäischen Geistes in jenem Teil Europas schaffen, eines Klimas, das auf eine Konföderation hinführt.

Darüberhinaus liegt die Lösung in der Richtung, die durch die deutsch-französische Regelung der Saarfrage gewiesen wird. Die westlichen Alliierten hatten in dieser Frage nicht nur eine begünstigende Haltung eingenommen, sondern sich sogar verpflichtet, bei einer künftigen Friedenskonferenz eine politische Trennung deutschen Territoriums von Deutschland zu unterstützen.

Jedoch die Franzosen nahmen in kluger Weise davon Abstand, den Weg der Verletzung des Völkerrechts weiterzuverfolgen. Sie stimmten einer Wiedervereinigung dieses Gebietes mit Deutschland zu. Gleichzeitig handelten sie einen höchst vorteilhaften langfristigen Vertrag über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ihrem früheren „traditionellen“ Feind aus. Dieser Vertrag über wirtschaftliche Zusammenarbeit sichert Frankreich Vorteile, die viel mehr Wert sind, als die Gewinne, die es sich aus einer Herrschaft über das deutsche Gebiet erhoffen konnte. Ich hege keinen Zweifel, daß eine parallele Lösung im deutsch-polnischen Falle ausgearbeitet werden könnte.

Solch ein Ergebnis wäre eine realistische Regelung eines verwickelten Problems, weil es die Gerechtigkeit und die Aufrechterhaltung des Völkerrechts als Grundlage haben würde. Es wäre die Grundlage für eine ehrliche Annährung zwischen diesen beiden Nationen. Wiederum wie Immanuel Kant in seiner Schrift „Über den Ewigen Frieden“ schrieb:

„Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt behalte.“

Dem Abdruck der Rede des Abgeordneten Carroll Reece liegt die Fassung des Göttinger Arbeitskreises zugrunde. Diese Fassung ist unwesentlich gegenüber dem Original gekürzt, das im Congressional Record-House, 85th Congress, Ist, Session, Vol. 103 Nr. 82, May 16, 1957 pp. 6346— 6361 veröffentlicht wurde.

Anmerkung:

Carroll Reece, Abgeordneter des Staates Tennessee im Repräsentantenhaus des Kongresses der Vereinigten Staaten.

Fussnoten

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