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Der Rubelkrieg | APuZ 3/1959 | bpb.de

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APuZ 3/1959 Afrika sucht sein Gesicht Der Rubelkrieg

Der Rubelkrieg

WALDEMAR A. NIELSEN

Nachfolgende Betrachtung ist mit freundlicher Genehmigung des Verlages der September-Nummer 1958 der amerikanischen Monatsschrift „Harper's Magazine" entnommen.

Die Wirtschafts-Offensive der Russen kann eines Tages für uns viel gefährlicher werden als ihre Armeen. . . . wir können jedoch auf diesem Feld der Auseinandersetzung siegen, wenn wir endlich damit aufhören, uns etwas vorzumachen, und wenn wir anfangen, für unsere „Errungenschaften“ wirklich zu kämpfen.

Hier einige Tatsachen: 1. Im ersten Quartal des Jahres 195 8 hat der sowjetisch-chinesische Block erstmalig mehr Stahl produziert als die Vereinigten Staaten. 2. Die Sowjetunion hat in diesem Jahr Großbritannien von seinem Platz als größter Käufer des uruguayischen Hauptexportartikels, der Wolle, verdrängt. 3. Das von den Sowjets in Indien erbaute Stahlwerk mit einer Kapazität von 1 Million Tonnen geht der Vollendung entgegen. Die bei diesem Projekt eingesetzten russischen Ingenieure sind erstklassig. Auch die von den Rüssen gelieferte Installation ist ausgezeichnet. 4. Im März dieses Jahres unterboten die Russen durch einen Massenabsatz von hochgradigem Aluminium in Großbritannien den kanadischen Großproduzenten, die Aluminium LTD., die gerade zwei cents per Pfund heruntergegangen war. Amerikanische Gesellschaften reagierten sofort und verlangten ihrerseits eine Protektion gegen ausländisches Dumping. 5. Afghanistan ist Rußland gegenüber mit einem Viertel seines gesamten Nationaleinkommens von rund 600 Millionen Dollar jährlich verschuldet als Folge der von den Sowjets angenommenen Investitionskredite. 6. Im Juli dieses Jahres bot die Sowjetregierung Argentinien ein Kompensationsgeschäft, das Installationen für die Erdölförderung im Werte von hundert Millionen Dollar vorsah. 7. Die Tschechoslowakei hat jetzt für Ägypten einen Sender installiert, der eine Kapazität von 300 Kilowatt hat und der größte im ganzen Nahen Osten sein soll.

Das sind alles nur Bruchstücke von Beweismaterial für unsere These. Wir könnten noch hunderte von anderen dieser Art anführen. Wenn man alle diese Bruchstücke sorgfältig zu einem Gesamtbild zusammenfügt, dann bekommt man langsam einen Eindruck von dem immer stärker anwachsenden Wirtschaftspotential, das schon heute hinter dem russischen Kampf um die Weltherrschaft steht.

Nachdem die Russen jahrelang die Reißbrett-Produktion forciert, riesige Kapital-Investitionen vorgenommen und die Verbrauchsgüterindustrie rücksichtslos vernachlässigt hatten, ist jetzt für sie der Zeitpunkt gekommen, wo sie die Früchte dieser Politik in die Scheuer bringen können. Ihre ganze Industrie hat einen sensationellen Aufschwung erfahren und wird jetzt von einem Rekord zum anderen gesteigert. Die Produktion reicht heute bereits aus, um vier Ziele auf einmal verfolgen zu können-Die Fortsetzung einer ungeheuren Aufrüstung: eine eindeutige, wenn auch noch langsame Anhebung des Lebensstandards für die Bevölkerung; ein Nachlassen in der Ausbeutung der Satelliten-staaten und schließlich eine Inszenierung größerer Störmanöver auf dem gesamten Weltmarkt.

Die Intentionen, die ein Chruschtschow in bezug auf dieses neue Machtpotential im Auge hat, werden dabei in keiner Weise verschleiert. Im Gegenteil: Chruschtschow hat diese Intentionen mit der ihm eigenen, geradezu liebenswerten Offenheit jedermann deutlich vor Augen geführt. „Wir erklären Euch", so sagte er vor gar nicht langer Zeit, „den Handels krieg, wenn Sie mir diesen Attsdrncl^ verzeihen wollen . . . . wir werden die Vereinigten Staaten besiegen .... in diesem, unserem Ziel werden wir nicht nachlassen und im Endeffekt dadurch die. Llberlegenheit unseres Systems unter Beweis stellen“.

Chruschtschows charakteristischerweise von Selbstvertrauen geradezu strotzenden Behauptungen wären noch vor gar nicht allzu langer Zeit in den Vereinigten Staaten mit einem Gefühl der freudigen Erleichterung ausgenommen worden. In jener unschuldsvollen Vor-Sputnik-ära, in der es uns selber nicht im geringsten an Selbstvertrauen mangelte, hatten viele von uns das Gefühl, daß der kalte Krieg in dem Augenblick beendet sein würde, indem sich das Schwergewicht von den Waffen zu der industriellen Produktion verlagern würde. Wenn heute die Gefahren der Interkontinentalen Raketen und Atom-und Wasserstoffbomben tatsächlich geringer geworden sein sollten (was ja keineswegs sicher ist), dann müßten wir dies wirklich als einen Gewinn verbuchen. Die Aussichten auf einen endlosen, alles umfassenden Wirtschaftskrieg sind jedoch alles andere als be -ruhigend. Die von hier aus der Erhaltung unserer Freiheit drohende Gefahr mag vielleicht langsamer und indirekter auf uns zukommen, als dies auf dem Gebiete der Bomben der Fall wäre. Deswegen kann die Gefahr aber genau so tödlich für uns sein. Lind dennoch haben die Vereinigten Staaten auch heute, zwei Jahre nachdem die Sturmzeichen unmißverständlich deutlich geworden sind, kaum angefangen, sich zu ernsthaften Maßnahmen aufzuraffen.

Teilnahme am Welthandel

Wenn man von einer kurzen Zeitspanne Anfang der dreißiger Jahre absieht, so wird man sagen müssen, daß die Sowjetunion in ihrer ganzen, nun schon vierzigjährigen Geschichte wie eine Kolonie von Einsiedlern gelebt hat, d. h. also völlig vom Welthandel abgeschnitten gewesen ist. Bis vor kurzem war die übrige Welt an die Produktion Rußlands nur in bezug auf Holz und Pelze interessiert. Noch entschei-dender war die Entschlossenheit der sowjetischen Führer, ihr Land ohne jede Abhängigkeit von den „Übeln des Kapitalismus“ zu modernisieren. Mit dem Tode Stalins im Jahre 19 53 eruhr dieser russische Isolationismus eine Änderung. Jetzt ließ es die jahrelang forcierte Industrialisierung logischerweise ratsam erscheinen, daß sich die Sowjetunion nach neuen Rohstoffmark-ten umsah. Hinzu kam. daß die sowjetischen Strategen in solchen Handelsgeschäften nicht nur wirtschaftliche Profite, sondern auch sehr viel-versprechende politische Möglichkeiten witterten.

Seit 195 3 klappern daher die Russen mit großem Fleiß die Handelsrouten der ganzen Welt ab und bieten ihre Waren feil. Auf Messen und Ausstellungen stellen sie durchaus beeindruk-kende Güter zur Schau und entsenden Delegationen in alle Enden der Welt, um den Außenhandel in Schwung zu bringen Diese Politik hat dazu geführt, daß das Volumen ihres Außenhandels ständig im Ansteigen begriffen ist, wenngleich es natürlich im Verhältnis zum Westen immer noch nicht als groß anzusprechen ist. Auch haben die Russen jetzt — und das ist eigentlich noch interessanter — damit begonnen, sich in das beliebte Spiel der Reichen dieser Welt einzuschalten, in das Spiel nämlich, das unter dem Namen „Auslandshilfe" bekannt geworden ist. Seit 19 54 haben die Länder de? Sowjetischen Blockes mit insgesamt 14 unterentwickelten Staaten Auslandshilfe-Abkommen abgeschlossen und dabei Kredite in Höhe von nahezu 2 Milliarden Dollar für Waren und Dienstleistungen gewährt. Die Russen haben sich auf die Finanzierung der verschiedensten, in solchen Fällen üblichen Projekte eingelassen: Der Finanzierung von Zucker-und Lederwarenfabriken, oder von Bewässerungsanlagen. Bei der Planung und Durchführung solcher Projekte sind sie allerdings völlig anders als die Amerikaner mit ihren Auslandshilfe-Programmen vorgegangen. Zum ersten haben sich die Russen auf einige wenige Länder an der Peripherie des von ihnen beherrschten Raumes konzentriert. Sechs Lan-der, in denen die Tendenz zum Neutralisnius ausgesprochen stark ist — d. h. Jugoslawien. Indien, Afghanistan, Ägypten, Syrien und Indonesien — haben rund 95 Prozent der Kredite erhalten. Drei weitere Länder — die Türkei, Persier und Island, alles also Verbündete der Westmächte — sind mit Angeboten geradezu über flutet worden und haben nunmehr auch russische Hilfe angenommen.

Zum zweiten sind die Angebote der Russen ausgesprochen attraktiv: Sie bieten langfristige Kredite mit niedrigem Zinssatz und in vielen Fällen rückzahlbar in der Währung des Debitor-Landes, oder auch in Gütern, die dieser Debitor im eigenen Lande herstellt. Für Anleihen verlangen die Russen im Durchschnitt 2 1/2 Prozent Zinsen, viel weniger also als die Weltbank oder als unsere eigene Export-Import Bank.

Zum dritten verstehen es die Russen, ihre Aktionen zur richtigen Zeit durchzuführen Als sich Burma einer Absatzkrise in bezug auf seinen Reis gegenübersah, boten die Russen ein beachtliches Kompensationsgeschäft an. Genau so verfuhren sie in Ägypten, indem sie hier einem alarmierenden Uberschuß an Baumwolle abhalfen. In Island verwandelten sich die Sowjets sozusagen über Nacht in einen großen Käufer, als Großbritannien seine Fischerei-Ein-fuhren aus diesem Lande einstellte. In dem Augenblick, in dem in Indonesien ein wirtscaftsicher und politischer Zusammenbruch unmittelbar bevorzustehen schien, waren die Russen zur Stelle mit einem Entwicklungs-Kredit von 100 Millionen.

Die Sowjets befinden sich noch im Sta 'um des Experimentierens und Ausprobierens. Schon jetzt aber läßt sich sagen, daß sie ein wenig von dem Talent für Wirtschaftskriegführung an den Tag legten, das wir im Hitler-Deutschland erleben konnten. Dr. Max Millikan von dem Mass. Institut für Technologie (Massachusetts Institute of Technology) — einer der ersten, der die neue Schwerpunktverlagerung im sowjetischen Staat erkannte — hat die Finessen der sowjetischen Methoden mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: „. . . in Ländern wie Indonesien, wo wir den 'Versuch unternommen hatten, unsere Hilfe mit einem gar nicht erwünschten militärischen Bündnis zu koppeln, haben die Russen ihrerseits immer wieder betont, daß ihr Hilfsprogramm nicht das geringste zu tun habe mit militärischen Abkommen. In Burma, wo die Angebote des Westens an die Beibehaltung des Privateigentums und andere Dienstleistungen geknüpft worden war, stellten die Russen ihre Sympathien für die Ziele der Burmesischen Sozialisten heraus. Ländern wie Ägypten, die von uns keine Waffen erhalten konnten, boten sie Waffen und militärische Ausrüstung jeder Art an. Ländern mit landwirtschaftlichen Überschüssen, die unter dem Druck einer ihrer Ansidtt nach von den USA befolgten Politik des Dumping litten, offerierten sie langfristige Kaufverträge zu scheinbar günstigen Bedingungen. Sahen sich die Sowjets aber (etwa in Indien) Fällen gegenüber, in denen sich die betreffende Regierung besorgt zeigte über Zinssätze und andere, in den westlichen Angeboten enthaltene Bedingungen, offerierten sie Kredite mit besseren Zinssätzen und auch sonst günstigeren Bedingungen. Überall in der Welt boten die Russen technische Hilfe, Ingenieure als Berater oder einer Ausbildung in Betrieben an. Überall schließlich kamen sie dem stark ausgeprägten Verlangen der eben erst selbständig gewordenen Länder nach Geltung und Ansehen dadurch entgegen, daß sie ihre bekanntesten, obersten Führer zu Verhandlungen und Missionen des guten Willens entsandten“.

Eine Mehrzweckwatte

Natürlich sind die Russen bei der Durchführung ihrer neuen Politik nicht immer unfehlbar gewesen. Einige Angebote sowjetischer Hilfe sind zum Beispiel abgelehnt worden. Andere ihrer Kunden haben Klage geführt über zu langsame Lieferungen oder schlechte Qualität.

Die Fehlkalkulation in Sachen Jugoslawien ging allerdings über das normale Maß an unvermeidlichen Fehlern weit hinaus. Im Jahre 19 5 5 machten sich Chruschtschow und Bulganin zu ihrer Entschuldigungsreise nach Belgrad auf, um den 1948 mit Tito begonnenen Familienzwist wieder beizulegen. Auf eine ganze Reihe von Tagen der Festivitäten und Tischreden folgte dann etwas sehr Handgreifliches: Rußland schloß nämlich ein Abkommen, das einen 500-MiI-lionen-Investitionskredit für Jugoslawien vorsah. Im Mai 19 58 fing man in Rußland jedoch plötzlich an, den jugoslawischen „Revisionismus“ zu attackieren und trat von allen Hilfsabkommen zurück. Einen Augenblick lang also wurde die eiserne Faust für jedermann deutlich zu Schau gestellt — was Neutrale wie Nehru nicht wenig alarmierte.

Fehler selbst in diesem jugoslawischen Ausmaß werden jedoch die russische Wirtschafts-Offensive nicht aus den Angeln heben. Denn im Gesamtzusammenhang der sowjetischen militärischen Entwicklung und Strategie ist eben diese Wirtschaftsoffensive das ideale Instrument für die nächste Phase ihres Strebens nach der Weltherrschaft. Die Russen suchen ja ein Mittel der Politik, das einerseits durchschlagend genug ist, um ihr Ziel der Weltherrschaft zu fördern, andererseits aber auch so subtil, daß die tödlichen Gefahren einer atomaren „Einäscherung“ vermieden werden. Eben solch ein Mittel ist nun aber der Wirtschaftskrieg; denn hier handelt es sich um eine äußerst anpassungsfähige, scharfe „Mehrzweckwaffe“.

Mit dieser Waffe läßt sich nämlich sehr gut der Weg ebnen für eine diplomatische Anerkennung solcher Regime wie die des ostdeutschen oder rotchinesischen. Weiter kann man sich damit des Wohlwollens politisch profilierter Gruppen im Ausland versichern und durch den Austausch etwa von Technikern auch Kanäle für die Unterwanderung und Infiltration erschließen. Ganz wie die Propaganda, kann auch das Mittel des Wirtschaftskrieges eingesetzt werden, gewissermaßen als Skalpell — zum Abtasten und dann auch zum Infizieren beinahe jeder einzelnen Wunde im corpus politicum eines Landes. Schließlich aber lassen sich damit auch ganz allgemeine Zwecke erreichen.

Etwa als Regulierungsmoment der ganzen politischen Atmosphäre kann der Wirtschaftskrieg sowohl der Abkühlung wie der weiteren Auspeitschung von Spannungen dienen. In der Türkei zum Beispiel halfen sowjetische Angebote das Ressentiment überwinden, das in der Nachkriegszeit durch Rußlands Griff nach den Dardanellen ausglöst worden war. LImgekehrt bewirkten russische Angebote einer Wirtschaftsund Militärhilfe in Syrien (einem Land, das in dem Staate Israel seinen Hauptfeind erblickt und ganz allgemein empfindlich gegenüber allen Formen kolonialer Herrschaft ist), daß die antiwestlichen Gefühle immer mehr aufgeputscht wurden.

Macht man von ihnen isoliert Gebrauch, dann können wirtschaftliche Maßnahmen keine Entscheidungen herbeiführen. In Verbindung mit militärischen Drohungen, mit Propaganda und diplomatischen Manövern können sie jedoch den Ausschlag geben. LInter den Dutzenden von „hungrigen“ und 'unruhigen Ländern in der ganzen Welt wird es immer irgendwo eins geben, das sich am Rande einer Währungskrise, einer Revolution, einer Kabinettsauflösung,'einer Inflation oder eines „heißen“ Grenzzwischenfalles befindet. In solchen Situationen kommt es dann zu einer Art strategischem Spiel, das man russischen Poker, wenn nicht sogar russisches Roulette nennen könnte. Lim einen Stich zu gewinnen, braucht man nicht unbedingt Tanks einzusetzen. Es genügt, wenn man einen kleinen Fortschritt erzielt, — etwa in Richtung auf einen neuen Kabinettsposten für einen Gewährsmann, eine Kehrtwendung in UNO-AbStimmungen oder eine Ausbootung irgendeines westlichen Beraters. Bei diesem Spiel gilt wie bei jedem Poker die Regel, daß derjenige, der eine genügende Anzahl von Stichen gewinnt, schließlich auch den Sieg davon trägt Vom russischen Standpunkt aus betrachtet besteht eine der größten Attraktionen des Wirtschaftskrieges zweifellos darin, daß alle heute existierenden Verträge, völkerrechtliche Normen und Mechanismen einer internationalen Kontrolle ihrer Natur nach nicht dazu benutzt werden können, um einem Angreifer-Staat Einhalt zu gebieten und ihn zu bestrafen. Wenn es innerhalb der Gemeinschaft der Völker nicht möglich war, im Falle von Ungarn und dem Libanon eine Aggression zu konstatieren und zum Still- zu bringen, wie sollte sich dann das Verbrechen in den sehr viel subtileren Fällen etwa einer Waffenlieferung oder eines bewußt „ausbeuterischen“ Massenkaufes ausfindig machen und bestrafen lassen?

Nach den traditionellen Maßstäben des Völkerrechtes stellt jede Aggression eine bestimmte Maßnahme dar. Heute jedoch ist sie zu einem kontinuierlichen Prozeß geworden, der sich beinahe unmerklich weiterentwickelt, so daß die Sanktionen von früher gar nicht mehr anwendbar sind. Abgesehen von den neuen Gegebenheiten der sowjetischen Kapazität auf militärischem, wirtschaftlichem und technischem Gebiet hat vornehmlich die Entdeckung dieser Wahrheit von den indirekten Aggressionen einen unerhört tiefgreifenden Einfluß auf die gesamte russische Strategie gehabt.

Grenzen der Wirtschaftskriegführung

Viele der höchsten Beamten in Washington sind heute zu dem Schluß gekommen, daß die Russen in ihren massierten Anstrengungen auf militärischem 'Gebiet nicht nachlassen werden. Dieses Potential werden sie jedoch in Reserve halten. Der eigentliche Kampfplatz in der jetzt einsetzenden Phase des Kalten Krieges wird in den sogenannten nichtfestgelegten (non-committed), unterentwickelten Gebieten liegen. Die Russen werden bei ihrem Angriff hier als Hauptwaffen den Handel, das Öl und die technische Hilfe einsetzen. Wenn diese Analyse zutrifft, dann bedeutet es nicht viel mehr und nicht viel weniger, als daß die Russen sich dazu entschlossen haben, zusätzlich zu ihrem bereits ungeheuer gewaltigen Rüstungsprogramm auch noch die Kosten für einen Wirtschaftskrieg auf sich zu nehmen. Die Frage ist nun aber, ob sie den finanziellen Auswirkungen einer solchen Strategie wirklich gewachsen sein können.

Die Antwort auf diese Frage muß positiv ausfallen. — Die intensiven Handelsbemühungen, die zweifellos auch einige politische Früchte mit sich bringen werden, kosten im Grunde gar-nichts, ja stellen unter Umständen sogar ein ausgesprochenes Profitunternehmen dar. Die europäischen Satellitenstaaten, insbesondere die Tschechoslowakei und die Sowjetzone — brauchen nämlich für ihre Produktionsbetriebe sowohl Rohmaterialien wie auch Märkte. Es ist eine der Auswirkungen des russischen Industrialisierungsprozesses, daß auch der Handel mit den nicht-industrialisierten Ländern für die große Macht im Osten wahrscheinlich von Vorteil sein kann. Auch die Form der Wirtschaftshilfe, wie sie von den Russen erfunden worden ist, bringt im Endeffekt keinerlei große Selbst-kosten mit sich, da sich ja praktisch alles auf dem Wege von Anleihen abwickelt.

Der Kapazität der kommunistischen Länder bei der Gewährung von Krediten und von Wirtschaftshilfe sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Dem Bürger der Sowjetunion sind seit Jahren viele Artikel des täglichen Bedarfs vorenthalten worden, da man nur so den Erfordernissen der riesigen sowjetischen Rüstungspolitik gerecht werden konnte. Jetzt aber fängt eben dieser So-stand wjetbürger langsam an zu murren. Das Programm der Auslandshilfe ist somit kaum dazu angetan, dem berühmten Mann auf der Straße ein Gefühl der Befriedigung zu verleihen. Es ist daher sehr bezeichnend, daß die Sowjets ihren Anstrengungen auf dem Gebiete der Auslandshilfe, zwar im Ausland zur größtmöglichen Publizität verhelfen, sie im Lande selber jedoch so gut wie gar nicht erwähnt haben.

Am ernstesten wirken sich jedoch die Beschränkungen aus, die sich aus der Tatsache ergeben, daß Rotchina und die Satellitenstaaten der russischen Hilfe bedürftig sind. Indien mit einem Stahlwerk zu versorgen, bedeutet aber naturgemäß, daß man keins an China, Polen, Ungarn oder Rumänien liefern kann. Wenn überhaupt irgend etwas den Russen auf jedem einzelnen Sektor ihrer Außenpolitik einschließ-lieh dem wirtschaftlichen Einhalt gebieten kann, so ist es in der Tat die Möglichkeit, daß die ständig unter der Oberfläche schwelende LInruhe in den Satellitenstaaten eines Tages in eine flammende Revolte übergehen könnte. Durch die miteinander konkurrierenden Ansprüche auf sowjetische Hilfe, die einerseits von den Satellitenstaaten, andererseits aber von den neutralen, unterentwickelten Gebieten erhoben werden, sehen sich die Führer im Kreml vor ihre schwierigste Wahl gestellt.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet jedoch die Expansion der sowjetischer Wirtschaft. In den letzten Jahren hat die Wachstumsrate der gesamten Sowjetwirtschaft bei rund 6 Prozent jährlich gelegen. Die industrielle Produktion konnte um 10 Prozent jährlich gesteigert werden — im Vergleich zu höchstens 4, möglicherweise sogar weniger als 3 Prozent in den Vereinigten Staaten. Auch die Prognosen für die weitere Expansion in Rußland lauten durchaus günstig, da die Investitionsrate bei Produktionsanlagen zur Zeit mit jährlich 2 5 Prozent der Gesamtproduktion anzusetzen ist — im Vergleich zu 17 Prozent in den Vereinigten Staaten.

Die amerikanischen Wirtschaftsexperten stimmen zwar nicht überein in ihrer Beurteilung der genauen Wachstumsrate der sowjetischen Wirtschaft. Die meisten von ihnen sind jedoch der Ansicht, daß die Sowjetunion heute immer noch weniger in ihr Auslandhilfe-Programm hineinsteckt, als sie sich tatsächlich leisten könnte, daß sie sogar bei dem augenblicklichen Stand ihrer Wirtschaft diese Hilfe um ein vier-bis fünffaches erhöhen könnte, und daß sich schließlich ihre Kapazität auf dem Gebiete der Wirtschaftskriegführung in den kommenden Jahren ständig vergrößern dürfte.

Ein Marschall als Geschäftsmann

Es ist gut möglich, daß Mikojan — dieser dunkle Armenier mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, der Rußlands Planungsstrategie Nr. 1 auf dem Gebiete der Wirtschaftskriegführung ist — in seinem Metier bald über eine Milliarde Dollar jährlich verfügen wird. Was kann er mit solchen Summen anfangen?

Dieser Mann, dessen politische Wendigkeit geradezu legendäre Züge aufweist, ist ein Kaufmann und Manager, der auch der kapitalistischen Welt alle Ehre machen würde. So sagte etwa ein prominenter amerikanischer Industrieller nach einem Besuch in Moskau kürzlich: „Es gibt zwei Menschen, die ich ant liebsten für die amerikanische Wirtsdtaft gewinnen möchte: den Kardinal Spellmann und Mikojan. Hätte sich der Kardinal nicht für die Priesterrobe entschieden, so wäre er zweifellos Präsident des größten Wirtschaftsunternehmens in den USA geworden. Wäre Mikojan aber ein Bankfachmann für Investitionen, dann würde er ein solclies Unternehmen zweifellos in seinen Besitz bringen".

Von seinem Schreibtisch im Kreml aus überblickt Mikojan ein riesiges wirtschaftliches Schlachtfeld, das ihm vielversprechende Möglichkeiten bietet. Auf der einen Seite sieht er, wie die Vereinigten Staaten eine Reihe von seltsamen Manövern auf dem Gebiete der Wirtschaft ausführen: einmal wird die Wirtschaft gedrosselt, ein anderes Mal aktiviert; man wird nicht fertig mit den Problemen des Nachwuchses und der Technologie, oder man konzentriert sich zu einseitig auf die Vorbereitungen für die militärische Verteidigung.

Auf der entgegengesetzten Seite sieht Mikojan eine große Anzahl von armen, wenig stabilen Ländern, die sowjetischen Angeboten gegenüber durchaus zugänglich sind. Einige von diesen Ländern sind sogar so weit gegangen, in ihren eigenen Plänen geradezu von der Annahme auszugehen, daß sich der wirtschaftliche Einfluß der Sowjets weiter verstärken wird. In einem der größeren südamerikanischen Staaten ist soeben eine Studie fertiggestellt worden, die zu dem Schluß kommt, daß innerhalb der nächsten 15 Jahre die Absatzmöglichkeiten in Ruß-land genau so groß sein werden wie heute in Amerika, und daß daher die ganze Außenhandelspolitik des Landes auf diese Entwicklung abzustellen ist. Das winzige Eiland vor. Haiti an der Handelsroute zum Panamakanal könnte Herrn Mikojan zum Beispiel als eine der vielen sich ihm bietenden Möglichkeiten faszinieren Was würde die Sowjetunion herausholen können im Tausch für ein langfristiges Angebot die Kaffeeproduktion zu Höchstpreisen aufzukaufen? Andere Möglichkeiten zeichnen sich ab in Bolivien oder Malaya, wo das wichtige Zinn auf dem Spiele steht. Welche Auswirkungen würde es für die Produzenten und schließlich auch für die Politiker dieses Landes zeitigen, wenn die Russen ihr Zinn regelmäßig und in großen Mengen unter Weltmarktpreisen absetzen?

Ja es gibt vielleicht noch bessere „Jagdreviere“ für Herrn Mikojan. Denken wir nur an die Tatsache, daß die russischen Düsentransportmaschinen mit ihrer Geschwindigkeit, und ihrer technischen Perfektion einen großen Eindruck auf ausländische Fluggesellschaften gemacht haben. Wenn Rußland solche Flugzeuge nun im Handel zu niedrigen Preisen und günstigen Kreditmöglichkeiten anbieten sollte, dann könnte das ernsteste Rückwirkungen für die amerikanischen und englischen Flugzeugfirmen zeitigen. Oder — um ein anderes Beispiel zu nehmen: Vielleicht bietet sich Mikojan, wenn er nur genügend Geduld aufbringt, eines Tages die Chance, daß er einer nicht mehr „aus noch ein wissenden“ französischen Regierung eine größere Goldanleihe anbieten kann, um dann zu sehen, wie sich dies auf die französisch-deutschen Beziehungen und auf den Trend in der französischen Innenpolitik auswirken würde.

Mikojan wird natürlich bei all dem in Rechnung stellen müssen, daß die gesamte Produktion in den Vereinigten Staaten immer noch zweieinhalb mal so groß ist wie die in der Sowjetunion. Der Abstand verringert sich jedoch zusehends. Auch darf man den äußerst wichtigen Unterschied zwischen „Fett und Muskeln in diesem Zusammenhang nicht außer acht las-sen. Ein großer Teil der amerikanischen Produktion kommt dem Luxus und der Neuerungssucht zugute, während Rußland planmäßig seine Produktion auf Güter konzentrieren kann, die für den Kalten Krieg absolut lebensnotwendig sind.

Die Vereinigten Staaten geben an ausländische Staaten jährlich etwa 5 Milliarden Dollar in Form von Wirtschaftshilfe oder Anleihen. Aber trotz dieses großen Volumens haben wir immer noch keine wirkliche Konzeption in der Auslandshilfe für die neutralen und unterentwickelten Gebiete erarbeiten können, auf die es Rußland ja hauptsächlich abgesehen hat. Von den 70 Milliarden US-Krediten und -Anleihen seit Kriegsende erhielten diese unterentwickelten Länder nur ein Fünftel. Selbst bei diesem Fünftel entfiel der Hauptanteil auf die militärische Stärkung in sieben Ländern mit einer Gesamtbevölkerung von rund 200 Millionen, das heißt in Formosa, Griechenland, Indochina, Pakistan, den Philippinnen und der Türkei.

Die übrigen Länder der freien Welt, in denen eine Milliarde Menschen wohnen, haben pro Jahr weniger als eine halbe Milliarde Dollar für ihre Entwicklung erhalten. Für die UdSSR stellt sich daher unsere Konkurrenz in den strategisch wichtigen, noch nicht festgelegten Ländern an der Peripherie der weltweiten Auseinandersetzung nicht gerade in einem überwältigenden Lichte dar.

Die größten Vorteile erwachsen Mikojan jedoch aus dem, was er zu tun versucht. Sein Ziel ist es ja nicht, in den verschiedenen Ländern eine starke, in sich ruhende Gesellschaftsordnung unter einer unabhängigen Regierung mitentwickeln zu helfen. Er fühlt sich auch in keiner Weise etwa dafür verantwortlich, daß die Weltwirtschaft heute reibungslos funktioniert. Ganz im Gegenteil: Sein Ziel ist das Chaos.

Amerikanische Wunschträume

Das russische Ziel läßt sich leider auf eine recht billige Weise erreichen. Das Wirtschaftsgefüge in einer Reihe von kleinen und wackligen Ländern bedarf zu einer endgültigen Sanierung mindestens einer Summe von 100 Millionen Dollar und einer Zeitspanne von 20 Jahren. Zur rechten Zeit eingesetzt können jedoch fünf Millionen Dollar diese Länder schon ruinieren. Für seine Zwecke kann daher Mikojan mit einem einzigen Rubel unendlich viel anfangen.

Während Moskau auf dem Gebiet des Welthandels gekonnt und zielbewußt operiert, scheinen die USA wie der berühmte Stier Ferdinand nur daran interessiert zu sein, einmal an den Blumen riechen zu dürfen. Bei uns scheint zur Zeit jegliches Gefühl für eine zielbewußte Polltik des Landes genauso wie jede Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung ausgesprochen schwach entwickelt und konfus zu sein.

Vielleicht handelt es sich bei all dem nur um einen vorübergehenden Trancezustand. Es gibt jedoch einige Anzeichen für das Vorhandensein eines tiefer sitzenden Durcheinanders — und zwar im psychologischen Bereich. Eines dieser Anzeichen ist das häufige Auftreten dessen, was man das Abacadabra-Syndrom nennen könnte, wie es sich jetzt in einigen unserer elegantesten Zeitschriften feststellen läßt. Für gewöhnlich nimmt diese Krankheit die Form eines statistischen Jonglierens mit den akademischen Graden in Rußland und den USA an. Am Ende gelangt man dann zu irgendeiner Zahl X, die beweisen soll, daß es gar keine Rezession in Amerika gibt, daß sich die sowjetische Wirtschaft hingegen am Rande des Abgrundes bewegt, das unsere Wissenschaftler die besten der Welt sind, und daß sich jeder somit wirklich eine Atempause der Erholung gönnen dürfe.

Ein anderes Anzeichen ist das, was man die „Jungfräuliche Reaktion“ nennen könnte. Die von diesem Symptom Befallenen sind romantisch veranlagte Leute wie der Senator Knowland. Sie meinen, die Vereinigten Staaten könnten jeder wirtschaftlichen Bedrohung durch die Sowjetunion dadurch begegnen, daß sie gegen den ganzen Handelsverkehr mit kommuniscischen Ländern ein Embargo verhängen, und zwar ist dabei offensichtlich daran gedacht, solch ein Embargo für alle Zeiten gelten zu lassen. Hand in Hand mit dieser Auffassung geht dann die Illusion, daß es uns auf diese Weise gelingen wird, die sowjetische Wirtschaft in ihrem Wachstum zu strangulieren, Westeuropa, Südamerika und die neutralen Gebiete hingegen zu einem prompten Einlenken auf den amerikanischen Kurs zu veranlassen.

Ein drittes Anzeichen schließlich scheint eine Art Ausschlag zu sein, den man die „Ochsenmaul-Krankheit“ nennen könnte. Dieser Ausschlag ist offenbar äußerst ansteckend. Im Anfangsstadium neigen die Opfer dazu, sich bei jeder Kleinigkeit einer bombastischen Sprache zu bedienen. Jedes irgendwie geartete Problem ist sofort „eine historische Herausforderung“. Ein Ausdiskutieren solcher Probleme ist automatisch eine „große Debatte“, aus einer Entscheidung schließlich wird sogleich eine „Doktrin“. In einem späteren Stadium wird aus dieser einfachen Angeberei ein bewußtes Hinterslichtführen. Dann gibt man nämlich einer ganzen Reihe von improvisierten, völlig zusammenhanglosen Maßnahmen das Etikett einer „Politik“, während von einem „Ergreifen der Initiative“ gesprochen wird, derweil man in Wirklichkeit gerade in ganz konkreten Situationen versagt hat.

Wer in dieser Weise dahin tendiert, den Wunsch zum Vater des Gedankens zu machen, dem tut kein Stärkungsmittel so gut wie eine kräftige Dosis der nüchternen Wirklichkeit. So besteht die bittere Wahrheit in der Tat darin, daß die derzeitige Leistung der Amerikaner auf einer ganzen Reihe von Gebieten im Vergleich zu Rußland einfach „ungenügend“ ist. Das „ungenügend“ muß dabei im Augenblick mit einem russischen Maß gemessen werden. Nur auf diese Weise können wir nämlich feststellen, was etwa „schnell genug“ wäre bei der Raketenentwicklung, was „groß genug“ auf dem Gebiet der militärischen Anstrengungen überhaupt, und was schließlich „als ausreichend genug“ anzusehen ist, wenn es sich um die Wachstumsrate unserer gesamten Wirtschaft handelt.

Zu dem Standardrepertoir aller amerikanischen Verlautbarungen über außenpolitische Probleme gehört die kühne Behauptung, daß wir uns nicht nur mit einer Reaktion auf jeweilige Schachzüge der Russen begnügen werden. Es wäre jedoch bescheidener und praktischer (und ganz abgesehen davon auch für unsere Freunde beruhigender), wenn wir erst einmal anfangen würden, einige der tatsächlichen Probleme der gegenwärtigen Lage zu meistern. Bevor wir uns mit Elan in neue Unternehmungen stürzen, täten wir besser daran, zunächst erst einmal unsere alten Positionen wiederzugewinnen.

Die Frage der Wirtschaftshilfe liefert hier ein typisches Beispiel: Vor zehn Jahren legten die Vereinigten Staaten ihre größte außenpolitische Initiative der Nachkriegsjahre an den Tag, als sie den Marshall-Plan entwickelten. Noch heute kommt diese große und wirklich kluge Investition dem amerikanischen Prestige und der Sicherheit unseres Landes immer wieder zugute. Es muß nun aber auffallen, daß die meisten Schöpfer jenes genialen Planes — und zwar sowohl auf republikanischer wie auf demokratischer Seite -heute nicht mehr in Washington zu finden sind. Einige von ihnen sind inzwischen politisch einem Scherbengericht anheim-gefallen, viele andere haben sich völlig in dem Gefühl zurückgezogen, daß der Lohn ihrer Arbeit nur Vereitelung und Überanstrengung gewesen sei.

Man hat solche Leute, ja im Grunde die ganze, dem Marshall-Plan zugrunde liegende Sicht der weltpolitischen Lage, heute zum alten Eisen geworfen, weil eine Erkenntnis, der wir einmal gehuldigt haben und die wir auch verstanden, inzwischen in Vergessenheit geraten ist. Diese Erkenntnis bestand darin, daß die militärische Sicherheit der USA genau so eng verknüpft ist mit dem Gesamtkomplex „Wirtschaft“ wie mit dem der militärischen Aufrüstung. Eine solche Erkenntnis ist aber heute noch genau so aktuell und lebensnotwendig wie im Jahre 1948.

Die Russen verfügen jetzt über die nötigen Mittel, die Willenskraft und auch die Fähigkeit, um einen langanhaltenden Wirtschaftskrieg führen zu können. Nach Ansicht einer ganzen Reihe von vernünftigen und verantwortlichen Männern würde ein Versuch in dieser Richtung, wenn man ihm keinen Widerstand entgegen-setzt, zur Spaltung und schließlich zur Vernichtung der westlichen Welt führen.

Natürlich gibt es in beiden amerikanischen Parteien Leute, die mit dieser Auffassung nicht konform gehen. Einige von ihnen sind fest davon überzeugt, daß unsere Sicherheit einzig und allein militärisch bedroht wird. Andere wiederum halten das, was sich uns als sowjetisches Machtpotential darstellt, im Grunde für eine Fassade. Noch andere wiederum weigern sich einfach zu glauben, daß es Chruschtschow wirklich ernst meint mit seinen Prognosen über die Form der bevorstehenden Auseinandersetzungen. Nun ist es zwar durchaus möglich, daß sich solcherlei, zunächst unwahrscheinlich anmuten-de Voraussagen westlicher Beobachter im Endeffekt doch noch als richtig herausstellen werden. Ganz abgesehen davon, daß wir ohnehin leicht zu einer Unterschätzung unserer Gegner neigen, wäre es aber für eine Nation, für die so viel auf dem Spiele steht und die eine solche Verantwortung auf sich geladen hat wie die unsere, ausgesprochen unklug, wenn sie weiterhin ihre Politik „zusammenbraut“ aus einer Mischung von optimistischen Annahmen und bequemen Hypothesen. Einer Politik des common sense entspräche es vielmehr, die verschiedenen, auf rot stehenden Signale zu beachten und uns nicht nur um unsere militärische Stärke, sondern auch um unsere wirtschaftliche Verteidigung zu kümmern.

Sieben Wege zu einer freien Welt

Es ist durchaus möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, daß wir uns zu einer solchen Politik des common sense erst bereit finden werden, wenn wir noch weitere schwere Schläge eingesteckt haben. Wenn wir uns aber einmal — oder, wie wir auch sagen könnten, „jemals“ — zum Handeln entschließen sollten, dann müssen wir folgende sieben Faktoren genau beachten: 1. Wir müssen uns zu der Erkenntnis durchringen, daß eine florierende und einigermaßen wohlgeordnete Weltwirtschaft die entscheidende Abwehr gegen eine sowjetische Wirtschaftsoffensive darstellt. Ein noch größeres Maß an Freihandel, mehr Investitionen im Ausland und eine kontinuierliche LInterstützung aller bestehenden internationalen Wirtschaftsgremien sind absolut unerläßlich. Wir müssen uns hier jedoch auch einiges Neue einfallen lassen. In Westeuropa und Japan zum Beispiel müssen wir die latent immer vorhandene Gefahr einer Währungskrise mit beseitigen helfen, und zwar am besten wohl dadurch, daß wir unseren Beitrag für den Internationalen Währungsfonds ganz wesentlich erhöhen. Wir müssen uns darauf ein-stellen, die Entwicklungspläne unserer Freunde in den noch nicht industrialisierten Ländern auf viele Jahre hinaus zu fördern. Wir müssen schließlich auch bereit sein, ihnen unter die Arme zu greifen, wenn es gilt, schädigende Preisstürze auf dem Gebiet der Eigenproduktionen dieser Länder (so etwa bei Zucker, Kakao, Kupfer oder Baumwolle) aufzufangen. 2. Wir müssen erkennen, daß jedem einzelnen sowjetischen Vorstoß auf wirtschaftlichem Gebiet unter allen Umständen wohlgezielte Gegenmaßnahmen von unserer Seite folgen müssen, und daß solche Maßnahmen in die alleinige Zuständigkeit der Regierung fallen. Das freie Unternehmertum trägt zwar durch seine Projekte und Investitionen im Ausland sowohl zur Vermehrung des amerikanischen Prestiges und Einflusses wie zum richtigen Funktionieren des Wirtschaftsgefüges der freien Welt entscheidend bei. Wer aber die Auffassung vertritt, daß man die Privatwirtschaft als Stoßtrupp zur Zerschlagung der russischen Wirtschaftsoffensive einsetzen kann, der leistet damit weder unserem Lande noch dem freien Unternehmertum selber einen Dienst. Je genauer unsere Unternehmer die schmeichelhaften Reden über eine Partnerschaft zwischen Industrie und Regierung im Kalten Krieg unter die Lupe nehmen, um so mehr beginnen sie die Vermutung zu hegen, daß diesem Gerede nur der Wunsch amtlicher Stellen nach einem Abschieben schwieriger Aufgaben zugrunde liegt. 3. Der Kongreß muß der Regierung eine größere Handlungs-und Ermessensfreiheit auf den Gebieten der Auslandshilfe, des Außenhandels und der Probleme des Wirtschaftskrieges einräumen. In den letzten Jahren haben sowohl das Repräsentantenhaus wie der Kongreß sehr viel Phantasie an den Tag gelegt, um die verschiedensten Methoden zur Eindämmung, Behinderung und Kontrolle der Regierungsmaßnahmen zu entwickeln: So setzte man besondere Überwachungsausschüsse ein, verlangte eine ständige Berichterstattung und veranstaltete endlose Befragungen. Wir sind jetzt glück-lieh dahin gekommen, daß unser außenpolitisches „Oberkommando“ 50°/0 seiner Zeit in einem Kleinkrieg auf dem Kapitol verzehrt, anstatt die ihm gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Wirtschaftskrieg verlangt ab. r von uns vor allem Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Handlungsfreiheit. Der Kongreß muß daher in irgend einer Form verstehen lernen, daß er seine „klebrigen Finger“ nicht in die Nähe des „Steuers" bringen darf. 4. Die Exekutive muß zunächst einmal den entscheidenden Schritt tun und das Wirtschaftspotential einem einheitlichen Kommando unterstellen. Washington ist berüchtigt dafür, daß seine wirtschaftliche Kommandogewalt total zersplittert ist. Dieser Zustand führt dann dazu, daß solche Dinge wie Außenhandel und Zollpolitik, technische Hilfe, Finanzpolitik und militärische Beschaffungsprogramme für das Ausland samt und sonders für sich gehandhabt werden, ohne daß jemand den Versuch einer Koordination unternimmt. Der Vorschlag, analog zu dem Nationalen Sicherheitsrat auch einen Nationalen Wirtschaftsrat ins Leben zu rufen, verdient daher durchaus Beachtung. Erneut überprüft werden muß hingegen wohl die zur Zeit noch gültige Auffassung, daß das „Amt für koordinierende Maßnahmen“ (Operations Coordi-nating Board) ein hinreichender Ersatz ist für ein „Amt der Wirtschaftskriegführung“

5. Wir müssen uns mit der Tatsache vertraut machen, daß es in den kommenden Jahren auf dem Gebiete der Weltwirtschaftspolitik mehr als unorthodox zugehen wird. Wer gegen Mikojan bestehen will, der wird sich auf sehr viele anomale Handels-und Investitionspraktiken einlassen müssen, so da sind: Präferenzkäufe, politische Preise, Exportsubventionen und vielleicht sog r Kompensationsgeschäfte. An Sonntagen können wir Amerikaner es uns vielleicht weiterhin leisten, in Predigten darüber belehrt zu werden, daß wir mit jedem Abweichen von den klassischen Rezepten eines Adams Smith der ewigen Verdammnis anheimfallen. An Werktagen jedoch, wenn Mikojan z. B. das bereits erwähnte Kaffee-Angebot gegenüber Haiti macht, müssen wir in der Lage sein mehr zu tun, als nur die amerikanische Lebensmittel-Kommission darauf aufmerksam zu machen. 6. Neue Ideen und Persönlichkeiten, von denen solche Ideen ausgehen können, müssen wieder Einlaß finden in das Leben unserer Ämter. Noch gibt es nämlich eine ganze Menge Dinge im Bereich der uns konfrontierenden wirtschaftlichen Probleme, von denen wir gar keine Ahnung haben. Welche Faktoren z. B. begünstigen das Entstehen und die Weiterentwicklung eines wirtschaftlichen Wachstumsprozesses, und was kann man überhaupt tun, um einer solchen Entwicklung nachzuhelfen? Oder: Wenn wir uns wirklich auf eine Politik der Stabilisierung der Weltmarktpreise einlassen, wie können wir es dann vermeiden, in den Sumpf der Preisabstützungen, der Produktionskontrollen und der nicht mehr endenden Subventionen hineinzugeraten? Oder: Wenn wir einmal aufhören, zum Thema „Regionale Gruppierungen und „Gemeinsame Märkte“ bloße Phrasen zu dreschen, worin sehen wir dann eigentlich die echten Möglichkeiten, aber auch die Gefahren auf diesem ganzen Sektor?

Glücklicherweise sind in letzter Zeit einige Anläufe zu einem neuen Nachdenken über alle diese Probleme zu verzeichnen. Einfallsreiche Vorschläge kommen jetzt aus einer ganzen Reihe von Richtungen: So will man die Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten der Atlantischen Gemeinschaft bei der Hilfe für unterentwickelte Gebiete verstärken; die Vereinigten Staaten und Rußland sollen beide dazu bewogen werden, einen größeren Anteil ihrer Auslandshilfe durch die UNO zu verteilen; man will ferner auf neuartige Weise Investitionen der sogenannten „Gegenwertfonds“ fördern und schließlich ein Institut für Entwicklungskredite im Rahmen der Weltbank errichten.

Der Reichtum an neuen Ideen würde zweifellos weiter verstärkt werden, wenn wir dem ältesten, stets unter der Oberfläche schwelenden Bürgerkrieg in Amerika, nämlich dem zwischen den Unternehmern, Wissenschaftlern und Regierungsexperten — endlich ein Ende bereiten könnten. Kombiniert würden wir die in allen drei Bereichen vorhandenen Talente noch viel besser nutzen können.

Am vielversprechendsten aber ist die Tatsache, daß am Washingtoner Firmament ein leuchtender, neuer Stern erschienen ist, und zwar Mr. Douglas Dillon, der neue Staatssekretär für Wirtschaftsfragen. Seine Energie und seine Führungsqualitäten haben schon jetzt bewirkt, daß die Beamten dieser Behörde erstmalig seit vielen Jahren Anwandlungen von Enthusiasmus an den Tag legen.

7. Schließlich müssen wir uns für unser eigenes Wirtschaftsleben neue Ziele setzen und diese dann auch verwirklichen. Daß an Besessenheit grenzende, in der Wirkung aber retardierende Trachten nach einem „ausgeglichenen Haushalt“ muß unbedingt ersetzt werden durch ein Streben nach einer weiteren Steigerung unseres Wirtschaftspotentials. Wenn wir das großartige Produktionspotential unseres Wirtschaftssystems voll ausschöpfen würden, dann verschwänden zweifellos die meisten Schwächen der freien Welt, die im Augenblick eine Wirtschaftsoffensive der Russen geradezu herausfordern. Dann könnten wir nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse voll decken, sondern auch einen entscheidenden Beitrag zur Deckung der Bedürfnisse anderer Länder leisten — ohne uns dabei Einschränkungen auferlegen zu müssen.

Wenn wir erst einmal unser gesamtes Potential richtig ankurbeln, dann können wir auch Chruschtschow’s Fehdehandschuh zurückwerfen und darauf vertrauen, daß die freie Welt auf unserer Seite sein wird.

Fussnoten

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