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Chinas Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Kommunismus | APuZ 35-36/1959 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 35-36/1959 Chinas Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Kommunismus Grundfragen der Geschichte Rußlands bis 1917

Chinas Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Kommunismus

WERNER HANDKE

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Alfred Metzner, Frankfurt am Main, bringen wir nachfolgend aus dem Buch von Werner Handke „Die Wirtschaft Chinas -Dogma und Wirklichkeit" eine Kurzfassung des ersten Kapitels. Das Buch erscheint im August 1959.

I. Ideologie als Dogma

IX. Einblick in die Planungstechnik Inhalt X. Die Planungsziele I. Ideologie als Dogma II. Besonderheiten ja, aber kein „besonderer“ We III. Der Übergang zum Sozialismus in der Industrie IV. Kollektivierung der Landwirtschaft V. Sozialisierung von Handel, Handwerk und Verkehrs-gewerbe VI. Die Fronten im Klassenkampf beim Übergang zum Sozialismus VII. Ob Staatskapitalismus oder Sozialismus: Auf jeden Fall zentrale Planung VIII. Kann die Wirtschaftsplanung funktionieren?

Gerade die Ideologie des Marxismus, die die Eigengesetzlichkeit von Ideen strikt abstreitet und in ihnen nur die Widerspiegelung materieller Tatbestände sieht, spielt als Leitschnur praktischen Handelns eine entscheidende Rolle. Die Idee ist zum Dogma geworden. Dadurch ist in der marxistischen Gesellschaft die Wechselwirkung von Idee und materiellem Tatbestand durchschnitten. Die Idee ist erstarrt. Nur die Materie kann sich noch anpassen. Eine Lehre, deren Inhalt ursprünglich nur war, eine unausweichliche naturgesetzliche Entwicklung aufzuzeigen, ist zum Rezept der Politiker geworden.

Deswegen ist die Wirtschaft eines kommunistischen Staates nur von der Idee her zu verstehen. Was sonst nur als Einzelerscheinung registrierbar wäre, wie die Kollektivierung der Landwirtschaft, der bevorzugte Aufbau der Schwerindustrie, die Verstaatlichung der Industrie und ähnliches wird durch die Kenntnis der allem diesem zu Grunde liegenden einheitlichen Idee erst zu einem Gesamtbild verbunden.

Alles nicht so schlimm?

Das heutige China steht bewußt und überzeugt auf dem Boden des Marxismus sowjetischer Prägung. Jeder Versuch, die Bedeutung der Ideologie für China zu bagatellisieren, verfälscht das tatsächliche Bild und führt zu Mißverständnissen und fehlerhaften Schlußfolgerungen. Außerdem stellt man sich damit in Gegensatz zu der geltenden chinesi-sehen Staatsmeinung. Die häufig im Westen geäußerte Ansicht: „es sei alles nicht so schlimm“, gilt in Peking bestimmt nicht als freundliche Bemerkung. Über den chinesischen Kommunismus konnten sich aus Unkenntnis dieses Europa besonders fernen Gebietes, genährt durch illusionistisches Wunschdenken, manche unzutreffenden Vorstellungen verbreiten.

Mißverständnisse und Fehler nicht nur bei der Beurteilung des politischen Verhaltens des neuen China, sondern auch bezüglich seiner Wirtschaftspolitik und Handelspolitik sind darauf zurückzuführen.

Es ist beispielsweise zu hören, die Chinesen seien aus ihrem ganzen Wesen heraus nicht für den Kommunismus geeignet. Als Argumente für diese These werden hauptsächlich ihr Individualismus, ihr Familiensinn und ihr entwickeltes Eigentumsempfinden angeführt. Diese Eigenschaften sind bei Chinesen tatsächlich stark ausgeprägt. Auf der anderen Seite, und das pflegt bei dieser Argumentation vergessen zu werden, gibt es aber auch wesentliche Faktoren, die die Einführung und Aufrechterhaltung eines staatskollektivistischen Systems erleichtern. Hierzu gehört zunächst die in ihren soziologischen Auswirkungen gar nicht zu überschätzende Jahrtausende alte Tradition des Wasserbaus AIs zweites fehlt in China eine Religion, die, wie z. B.der Katholizismus in Westeuropa, dem „Glaubensbekenntnis“ des Marxismus Widerpart bieten könnte. Der Konfuzianismus, die alte Staatsreligion Chinas, ist lediglich eine Ethik, die überdies in ihrer Einstellung zum Staat eher eine Unterstützung des Totalitätsanspruches des Staates bildet. Dem neben dem Konfuzianismus in China weitverbreiteten Buddhismus fehlt das kämpferische Element, welches im Christentum trotz seines Charakters als Friedensreligion ebenso wie im Islam enthalten ist. Lind drittens schließlich fehlt in China nicht nur eine zum Kommunismus alternative Idee, sondern auch jedes einigermaßen erfolgreiche praktische Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit für das Funktionieren einer nicht-kommunistischen Ordnung. Für die lebende Generation von Chinesen gibt es keine „gute alte Zeit", wie es für die älteren Europäer die Jahre vor dem ersten Weltkrieg sind. Selbst der versöhnende Schleier zunehmenden zeitlichen Abstandes kann nicht verdecken, daß die letzten 100 Jahre chinesischer Geschichte eine Zeit des Niedergangs und des Verfalls waren. In jedem modernen westlichen Staat selbstverständliche Dinge wie Korruptionsfreiheit der Verwaltung oder die innere Sicherheit (Beseitigung des Bandenwesens) erscheinen so als dem Kommunismus zuzurechnende besondere Leistungen. Der Boden war für den Kommunismus in China sicher besser bereitet als in irgendeinem Teil des Abendlandes.

Der Irrtum der Absorbierungstheorie Ebenso irrig oder zumindest schief wie die Auffassung, daß der Chinese besonders wenig anfällig für den Kommunismus sei (eine Auffassung, die schließlich auch empirisch eindeutig widerlegt ist), ist die sogenannte Absorbierungstheorie. Diese Theorie besagt, daß, wie China in seiner Jahrtausende alten Geschichte immer wieder wesensfremde Herrenschichten absorbiert, und zur Annahme chinesischen Wesens bewogen hat, nun auch der Kommunismus'absorbiert werden könne. Zweierlei ist grundsätzlich gegen eine derartige Auffassung einzuwenden: einmal zeigt die chinesische Geschichte, daß die Okkupanten immer erst nach dem Untergang der von ihnen gestellten Dynastie absorbiert worden sind. Als die Mongolenkaiser noch herrschten, haben die in China lebenden Mongolen sehr wohl ihre Eigenart behalten. Das gleiche gilt für die Blütezeit der Mandschuherrschaft. Außerdem aber wird bei dieser Argumentation übersehen, daß die Machtergreifung der Kommunisten nicht als Okkupation von außen erfolgt ist, sondern als Revolution von innen. Die neuen Machthaber sind Chinesen wie ihre Landsleute. Einen schlüssigen Beweis für die künftige Einschmelzung des Kommunismus in die traditionelle chinesische Lebensordnung liefert die chinesische Geschichte nicht.

Gibt es einen „chinesischen" Kommunismus?

Eine dritte These zum chinesischen Kommunismus schließlich ist in der sogenannten Spaltungstheorie enthalten, die neben der hier interessierenden ideologischen Seite auch eine politische und eine wirtschaftliche Seite hat. Die Vertreter dieser These geben wohl zu, daß China durch und durch kommunistisch sei, meinen aber, daß der „chinesische" Kommunismus doch etwas ganz anderes sei als der Kommunismus in der Sowjetunion. Zur Stützung dieser Auffassung ist sehr viel Fleiß und Ausdauer aufgewandt worden, die Unterschiede zwischen „chinesischem Kommunismus“ und „sowjetischem Kommunismus“ herauszuarbeiten. Unterschiede sind tatsächlich vorhanden. Das Erstaunliche aber ist nicht ihr Vorhandensein sondern vielmehr, daß, wie eine eingehende Prüfung zeigt, die Unterschiede angesichts der Andersartigkeit der Länder und Völker so gering sind. Überdies werden die Unterschiede, die sich zunächst feststellen ließen, von Jahr zu Jahr weniger. Die angeblich spezifisch chinesischen Formen bei der Umwandlung der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung wie die Nachbarschaftshilfe in der Landwirtschaft, die gemischt staatlich-privaten Unternehmen in der Industrie und die Fortexistenz von vollständig privaten Industrie-und Außenhandelsunternehmen sind entweder ganz verschwunden oder nur mehr äußere Schale um einen völlig staats-wirtschaftlichen bzw. sozialistischen Kern. Im Jahre 1956 entfiel der letzte wirkliche Unterschied, nämlich die Tatsache, daß beide Länder sich in verschiedenen Entwicklungsepochen befanden. Seit 19 56 gilt in China die sozialistische Ordnung als erreicht, die vorhergehende staatskapitalistische Übergangsperiode (ein Begriff, auf den noch zurückgekommen wird) als abgelaufen, und die damit im Zusammenhang stehenden oben erwähnten Zwischenformen gelten als überholt. Seit 1956 strebt China wie die Sowjetunion dem Ziele der kommunistischen Ordnung zu. Aber selbst die vorhergehende kurze Übergangszeit, auf deren Analyse seinerzeit die Behauptung von der Verschiedenheit von chinesischem und sowjetischem Kommunismus gestützt wurde, war keineswegs Ausdruck eines besonderen Weges der chinesischen Kommunisten. Wie noch näher gezeigt wird, verdanken diese wirtschaftlich kaum zu begründenden Zwischenformen vielmehr ihre Existenz gerade dem Umstand, daß dem Dogma um jeden Preis Genüge getan werden sollte.

Nach 1956 haben die Anhänger der Spaltungstheorie die Argumente, die sich auf die Zwischenformen bezogen, mehr und mehr fallen lassen müssen. Insbesondere die radikale Kollektivierung der chinesischen Landwirtschaft versetzte dieser Theorie einen schweren Stoß. Seither wurden von ihren Verteidigern andere angeblich typisch chinesische Erscheinungsformen des Kommunismus in den Vordergrund gerückt. Hingewiesen wird beispielsweise darauf, daß das Voranpeitschen der Entwicklung durch immer neu entfesselte „Bewegungen“, die bis ins feinste ausgefeilte Methode der öffentlichen Kritik, besonders in der Form der Selbstkritik, auch als Gehirnwäsche bezeichnet, keine anderweitigen Vorbilder in dieser ausgebildeten Form hätten. Diese Dinge, auf dem Felde der psychologischen Menschenführung und der Propaganda liegend, mögen zwar eine besondere chinesische Spielart darstellen, so rühmlich aber, daß man damit den chinesischen Kommunismus verteidigen könnte, sind sie gewiß nicht. Vor allem berühren sie aber nur die Methode, nicht die Prinzipien. Eine positive Wertung schien dagegen eine andere mehr grundsätzliche Besonderheit, die liberale Zulassung von Kritik unter dem Schlagwort „Laßt 100 Blumen blühen“, zu verdienen. Aber diese „Besonderheit“ war nur von kurzer Dauer. AIs sich die Kritik im Vertrauen auf die neue 100-Blumen-Politik der Regierung zu weit vorwagte, schlug die 100-BIumen-Kampagne nach nur einmonatiger Dauer in eine Terrorwelle um, die jeden verschlang, der sich zu weit vorgewagt hatte.

Die 100-Blumen-Kampagne nahm ihren Ausgang mit der berühmten Rede Maos von den Gegensätzen in den Reihen des Volkes vom 27. Februar 19 57. War vielleicht das Schicksal der 100-Blumen-Bewegung nur ein Verkehrsunfall, und war die ihr zugrunde liegende Lehre von deh Gegensätzen dennoch ein Fortschritt in der Weiterentwicklung der Ideologie? Setzte sich nicht ein größerer Realismus in der Analyse der sozialistischen Gesellschaft durch, als Mao zugab, daß die sozialistische Gesellschaft ebenso von Gegensätzen durchzogen sei wie ihre nichtsozialistischen Vorgänger? Tatsächlich ist aber diese Erkenntnis für die kommunistische Ideologie nicht neu/Auch in der Sowjetunion gilt seit langem unbestritten, daß in der sozialistischen Gesellschaft noch gewisse Spannungen existieren, z. B. zwischen Stadt-und Landbevölkerung. Immerhin bringt die Lehre von den Gegensätzen doch eine besondere Nuance: Daß es nämlich in der sozialistischen Ordnung auch Gegensätze zwischen Volk und Führung geben könnte. Das zuzugeben hatte man bisher nirgend woanders gewagt. Vorsorglich ist jedoch eine Notbremse in Maos Lehre von den Gegensätzen eingebaut. Diese Notbremse ist die Unterscheidung von antagonistischen und nicht-antagonistischen Gegensätzen. Erstere darf es in der sozialistischen Gesellschaft nicht geben; wo sie dennoch auftreten, sind sie als reaktionäre Rückfälle durch Terror zu brechen. Welche Gegensätze, antagonistisch und welche nicht-antagonistisch sind, entscheidet der Staat bzw. die Partei. Antagonistisch sind auf jeden Fall alle Gegensätze, die die Vorrangstellung der Partei, die staatliche Institutionen oder die Grundsätze des Marxismus/Leninismus gefährden könnten. Im Bedarfsfall läßt sich das beliebig auslegen. So konnte Maos Rede von den Gegensätzen ebenso das ideologische Fundament für die 100-Blumen-Bewe-

gung abgeben, (mit der hannlose nicht-antagonistische Gegensätze kuriert werden sollten) wie für die anschließende Terrorwelle: Nun galt es plötzlich, antagonistische Gegensätze zu bekämpfen, und alle, die vertrauensvoll Kritik geübt hatten, waren nun unversehens „reaktionäre Rechtsabweichler“. Der Rahmen dieser „Besonderheit“ war also äußerst eng.

Ist der chinesische Kommunismus wirklich anders? Das stärkste Gegenargument sind die folgenden besonders eklatanten Beispiele für die bedingungslose Linientreue der chinesischen Kommunisten, Beispiele, die deswegen besonders eindrucksvoll erscheinen, weil die völlig anderen Voraussetzungen in der Sowjetunion und in China eigentlich verschiedene Lösungen nahelegen: 1. Kollektivierung der Landwirtschaft. In China sind die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen völlig anders als im Gebiete der Sowjetunion. Der Grad der Arbeitsintensität in der chinesischen Landwirtschaft läßt sich als Gartenbau bezeichnen. Ein unzweifelhafter Vorteil der Kollektivierung, die Möglichkeit der Zusammenlegung von Äckern zu größeren Anbauflächen, kann sich so viel weniger auswirken, dagegen manche Nachteile der Kollektivierung bei einer so individuell an die jeweiligen Bedingungen angepaßte Produktionsweise umsomehr. Dennoch ist rückhaltlos nach sowjetischem Muster kollektiviert worden, ja auch der zweite Schritt der Umwandlung der Agrarordnung vom Kollektiveigentum zum Staats-eigentum am Boden ist bereits eingeleitet worden. 2. Mechanisierung insbesondere Traktorisierung der Landwirtschaft.

Auch die Mechanisierung einschließlich der Traktorisierung der Landwirtschaft wird in Angriff genommen, obwohl diese unter den Bedingungen in China viel weniger nützlich erscheint und obwohl China im Gegensatz zur Sowjetunion über eine für die Bedürfnisse des Landes unzureichende Erdölproduktion verfügt. 3. Schwerindustrie als Schwerpunkt der Industrialisierung. Wie in der Sowjetunion bildet in China die Schwerindustrie den Kern des industriellen Aufbaus. Dabei zeichnete sich in der Zeit vor der kommunistischen Machtübernahme mit der schnellen Entwicklung der Textilindustrie und anderer Leichtindustriezweige in den chinesischen Hafenstädten eine ganz andere, der Entwicklung in Japan ähnliche Lösung des Industrialisierungsproblems Chinas ab. 4. Autarkie. China ist zwar auch ein großes Land, im Vergleich zur Sowjetunion aber doch klein und vor allem viel dichter besiedelt;

die Voraussetzungen für volle Autarkie sind deswegen erheblich schlechter. Dennoch strebt China mit aller Konsequenz den Zustand völliger Wirtschaftsautarkie an. Eine Entwicklung wie die Japans, das eine Nahrungsmitteleinfuhr mit Industrieausfuhr bezahlt, wäre viel naheliegender und ist vielleicht auf lange Sicht doch die einzige Lösung für das chinesische Bevölkerungsproblem.

Die enge Verwandtschaft, ja Identität der politischen Ziele in der Sowjetunion und in China dürfte an diesen wichtigen Beispielen ausreichend erhellt sein.

Aber selbst wo die Voraussetzungen so völlig verschieden sind, daß eine andere wirtschaftspolitische Lösung unausweichlich ist, wird wenigstens in der Nomenklatur das Gemeinsame betont. Das beste Beispiel sind die „Dezentralisierungsreformen“ beider Länder, in China die wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme seit der Verwirklichung der sozialistischen Ordnung. Sowohl im Falle der Sowjetunion wie im Falle Chinas war die Dezentralisierungsreform eine Rationalisierungsmaßnahme, die infolge von Entwicklungsschwierigkeiten notwendig geworden war. Der materielle Inhalt der Reform war jedoch in beiden Ländern sehr verschieden. In der Sowjetunion war die LImorganisation der staatlichen Wirtschaftsverwaltung die Hauptsache. In China dagegen steht die Förderung und Propagierung kleiner arbeitsintensiver Betriebsformen, rein technisch vielfach ein Rückfall in das Mittelalter, im Vordergrund, angesichts der in China gegebenen besonderen Bedingungen — fast unbegrenzte, billige menschliche Arbeitskraft bei äußerster Kapitalknappheit — aber ein naheliegender und auch zweckmäßiger Ausweg aus den Schwierigkeiten; die Verwaltungsreform trat dagegen in China bedeutungsmäßig zurück. Aber die Reformen in China und in der Sowjetunion trugen dennoch nicht nur den gleichen Namen, sie wurden auch etwa zur gleichen Zeit verfügt, und in der chinesischen Propaganda wurde auf das sowjetische Vorbild hingewiesen. Immerhin war hier ein wirklicher materieller Unterschied zu verzeichnen, der nur formal überkittet werden kann. Man geht allerdings wohl nicht fehl in der Annahme, daß die derzeitige starke Abstützung der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas auf kleinstbetriebliche Produktionsformen eine nur vorübergehende Erscheinung ist, bis die Großindustrie ihrerseits einen ausreichenden Entwicklungsstand erreicht hat.

Dieses Kapitel sei abschließend zusammengefaßt: Behauptungen wie „der Chinese könne seinem ganzen Wesen nach gar kein Kommunist sein“ oder „die Geschichte Chinas zeige, daß dieses Land auch mit dem Kommunismus fertig werde“ oder „der chinesische Kommunismus sei ganz etwas anderes als der Kommunismus in der Sowjetunion, beide entwickelten sich mehr und mehr auseinander“ ist mit Skepsis zu begegnen. Mit solcher Argumentation macht man es sich zu einfach und läßt sich zu vielleicht beruhigenden, aber deswegen nicht weniger falschen Selbsttäuschungen verleiten. Daß der Kommunismus ganz grundsätzlich dem Wesen des Menschen, und auch des chinesischen Menschen, fremd ist, daß er „inhuman“ ist, wird damit nicht in Frage gestellt. Audi für China gilt wie für alle totalitären Staaten die Hoffnung, daß das kommunistische System eines Tages aus sich heraus zusammenstürzt oder sich wenigstens zu menschlicheren Gemeinschaftsformen weiterentwickelt. Für die Gegenwart muß sich jedoch jeder, der mit China in Kontakt tritt, darüber im klaren sein, daß dieses Land ein typisch kommunistischer Staat ist, in dem alle Maßstäbe gelten, die sich im Verhältnis zu anderen kommunistischen Ländern, insbesondere zur Sowjetunion herausgebildet haben.

II Besonderheiten ja, aber kein „besonderer" Weg

Das politische Rezept, das sich der marxistischen Ideologie entnehmen läßt, erscheint recht einfach: Klassengegensätze bestimmen den Verlauf der Geschichte, und die Klassen werden ihrerseits durch die Produktionsbedingungen bestimmt. Man ändere die Produktionsbedingungen, eine neue Klasse kommt zur Herrschaft, und die Gesellschaftsordnung wandelt sich. Wenn man dem Staat die Herrschaft über die Produktionsmittel gibt, ist der Sozialismus erreicht — Eine derart einfache Anwendbarkeit des Rezeptes ist jedoch nicht möglich. Die Politik in den kommunistischen Ländern ist durch die deterministischen Eierschalen der Marx’schen Lehre belastet, von denen sie sich bis heute nicht hat freimachen können. Seine Lehre war von Marx nicht als Rezept gedacht, also als etwas was Menschen anwenden und verwirklichen können, sondern als ein Naturgesetz, das sich auto-

matisch Geltung verschafft. Tatsächlich gibt die Auffassung von der Entwicklung zum Sozialismus und schließlich zur kommunistischen Ordnung als Naturgesetz der Lehre ihre besondere propagandistische Durchschlagskraft. Andererseits hat sich jedoch gezeigt, daß dieser Determinismus völlig irreal ist und die Freiheit des politischen Handelns nur erschwert.

Das Dogma befolgen heißt jedenfalls nicht nur die sozialistische Ordnung realisieren, sondern die sozialistische Ordnung muß sich auf dem richtigen, angeblich naturgesetzlich bestimmten Wege einstellen. Gerade für China erwies sich das als besonders schwierig. China hat sich bislang nicht „entwickelt“ wie die Länder des Abendlandes. Der Gedanke des „Fortschritts" ist für China völlig fremd. China hat sich wohl innerhalb gewisser Grenzen gewandelt, die „Entwicklungsstufe" war aber 2000— 3000 Jahre die gleiche. Marx hatte diese Besonderheit, die für viele orientalische Gesellschaften gilt, sehr wohl gesehen und wollte diese Länder ursprünglich aus seiner Theorie ausklammern. In seinen späteren Schriften jedoch scheint er das Entwicklungsgesetz für allgemeinverbindlich gehalten zu haben. Im Leninismus wurden dann, der Tatsache Rechnung tragend, daß mit Rußland ein vorwiegend asiatisches Land kommunistisch geworden war, systematisch alle Quellen beseitigt bzw. bereinigt, die sich mit der Besonderheit der asiatischen Länder befassen.

Das Dogma des „richtigen Weges“ erforderte im Falle Chinas nicht nur eine entsprechende Politik in der Gegenwart, sondern auch eine Revision der Geschichtsschreibung. Man definierte von nun an 2000 Jahre chinesischer Geschichte als „Feudalismus“. Der Beginn der feudalistischen Epoche wurde, obwohl nicht unbestritten, in die Zeit der „Streitenden Reiche“ (403— 221 v. Chr.) gelegt. Nach anderen Auffassungen hätte der Feudalismus schon zur Zeit der westlichen Chou (1100— 771 v. Chr.) bzw. erst unter den östlichen Han (25— 225 n. Chr.) begonnen. Vorher liegt entsprechend dem Marxschen Schema die Skla-venhalterwirtschaft. Die feudalistische Ordnung zeigte dann mit Beginn der Taiping-Rebellion Auflösungserscheinungen. Der Aufstand der Taiping wurde dabei sinngemäß den Bauernkriegen des Abendlandes gleichgesetzt. Im 20. Jahrhundert sei die feudalistische Ordnung immer mehr mit kapitalistischen und imperialistischen Elementen vermischt worden. Bei der Machtübernahme hatte jedoch der Feudalismus als Ordnungsprinzip immer noch überwogen. Die 1949 vorgefundene Ordnung wurde deswegen als „feudalistisch-imperialistisch-bürokratisch-kapitalistisch“ bezeichnet; „bürokrato-kapitalistisch“ sollte dabei weniger besagen, daß die Ansätze kapitalistischer Wirtschaft vorwiegend vom Staate betrieben wurden (was tatsächlich auch der Fall war), sondern daß staatliche Bürokratie und kapitalistische Wirtschaft personell bis zur Identität miteinander verquickt waren.

Gegen diese Geschichtsinterpretation läßt sich sehr vieles einwenden. Zunächst ist festzustellen, daß der „Feudalismus“ in China von dem Feudalismus des Abendlandes so völlig verschieden ist, daß es eigentlich irreführend ist, beide mit dem gleichen Begriff zu bezeichnen. Zweitens ist die Abtrennung dieses chinesischen Feudalismus von der angeblich vorhergehenden Sklavenhalterwirtschaft ganz willkürlich; tatsächlich ist zwischen beiden Ordnungen weder eine eindeutige Zäsur noch überhaupt ein wesentlicher Unterschied festzustellen. Zu der Rolle, die der Taiping-Revolution zugewiesen wird, ist zu sagen, daß es Bewegungen wie diese in China immer wieder gegeben hat, ohne daß dadurch die bestehende Ordnung gefährdet wurde; und aller Voraussicht nach hätte sich auch, gesetzt den Fall, daß die Taiping-Revolution erfolgreich gewesen wäre, genau wie in den Jahrtausenden vorher gar nichts geändert; das Entscheidende war der gleichzeitige Einfluß des Westens. — Eine eingehende Auseinandersetzung mit der marxistischen Interpretation der Geschichte Chinas würde hier zu weit gehen. Hier sei nur auf die bezeichnende Tatsache hingewiesen, daß die chinesischen Kommunisten mit aller Konsequenz die chinesische Geschichte im Sinne der Marxschen Entwicklungslehre umdeuten.

Abgesehen von dem Widerstand einiger Gelehrter stieß die Arbeit der Umdeutung der chinesischen Geschichte auf kein besonderes Hindernis. Ausgesprochen schwierig dagegen erwies sich die Anwendung des Dogmas bei der Gestaltung der Gegenwart. Die Voraussetzungen waren zu verschieden. Bei aller Sophisterei ließ sich nicht leugnen, daß China vor der Machtübernahme ein Agrarstaat war. Was sollte man tun? Eigentlich hätte die KP Chinas abwarten müssen, bis der Kapitalismus da war, um sich dann zum Sprecher der erst unter dem Kapitalismus entstehenden proletarischen Arbeiterschaft zu machen. Tatsächlich gab es in der Geschichte der KPC eine Zeit, in der die Ansicht galt, die Partei müsse die bürgerlichen Kräfte unterstützen, um zunächst den Kapitalismus herbeizuführen (1924— 1927 unter dem damaligen Parteiführer Chen Tu-hsiu). Bald mußte man jedoch feststellen, daß revolutionäre Bewegungen ihre eigenen Gesetze haben. Sie brauchen konkrete, nicht zu ferne, realisierbare Ziele. So wurde die Auffassung Chen Tu-hsius bald als „opportunistische Rechtsabweichung" gebrand-markt; Chen Tu-hsiu wurde 1927 seiner Stellung enthoben und 1929 aus der Partei ausgeschlossen. Die kommunistische Partei setzte sich danach an die Spitze der Kräfte der Revolution. Damit war das Problem des Widerspruchs zwischen tatsächlicher Entwicklung und Dogma jedoch nicht gelöst. Wie sollte man nun die Tatsache des unmittelbaren Übergangs vom Feudalismus zum Sozialismus und das völlige Entfallen des Kapitalismus als Ordnungsorgan, der Kapitalisten als Herren-klasse und der bürgerlich-demokratischen Revolution, mit welcher der Kapitalismus hereinbrechen sollte, erklären?

Hier liegt die Wurzel für den angeblich besonderen chinesischen Kommunismus. Um dem Dogma genüge zu tun, wurde nach der Machtergreifung von 1949 zunächst eine kapitalistische Periode eingeführt. Die Machtergreifung selbst wurde nicht schon als sozialistische Revolution, sondern als Vollzug der „bürgerlich-demokratischen Revolution“ bezeichnet. Tatsächlich hatte der Zustand nach 1949 aber nicht das Geringste mit liberalem Kapitalismus gemein. Selbst in die Bezeichnung schob man eine Einschränkung ein; man nannte diese Form staatskapitalistisch, ein Widerspruch in sich. Es sollte bedeuten, daß durch Planung und Lenkung die am Kapitalismus kritisierten Mänge. auszuschalten seien. In Wirklichkeit war vom Zeitpunkt der Machtübernahme an der Marktmechanismus, das Lebenselement des Kapitalismus, gelähmt. Selbst in dieser Form, die mit Kapitalismus nur den Namen und diesen auch nur zum Teil gemein hat, ließ man die Ordnung nur ganze sieben Jahre, bis zum Jahre 1956, bestehen. 1956 trat China in den Sozialismus ein.

Mit der Verwirklichung des Sozialismus hat aber in China die Problematik des richtigen Weges keineswegs ausgehört. Der Sozialismus ist noch nicht die Endstation. Dahinter folgt die kommunistische Ordnung. Die bisher nirgends realisierte kommunistische Ordnung mag eine Utopie sein. Ihre Vorstellung allein hat. jedoch zur Folge, daß die Idee der gesellschaftlichen Entwicklung auch unter der sozialistischen Ordnung ihre gestaltende Kraft behält. Natürlich soll auch das wirtschaftliche Wachstum nach Erreichung des Sozialismus nicht aufhören. Die sozialistische Basis soll im Gegenteil seine Forcierung ermöglichen. Nur bei einem sehr hohen Stande wirtschaftlicher Entwicklung ist nach marxistischer Ansicht Kommunismus möglich.

Im Unterschied zur Entwicklung bis zum Sozialismus gibt es für das dann folgende Stück Weges kein verbindliches Muster. Nach der geltenden Lehre stellt man sich vor, daß der Übergang zur kommunistischen Ordnung, im Gegensatz zum Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus, nicht als Sprung, also nicht als Revolution, erfolgt, sondern kontinuierlich. Ziel der graduellen Weiterentwicklung von Sozialismus zu Kommunismus, bei der das Schwergewicht auf dem wirtschaftlichen Aufbau liegen soll, ist die Erreichung eines Zustandes, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten mitarbeitet und jeder nach seinen Bedürfnissen entlohnt wird. Die im Sozialismus noch vorhandenen Gegensätze nichtantagonistischer Art, war zwischen Stadt und Land, zwischen Arbeiter und Intelligenz, ü: ä. werden dann ganz beseitigt sein. Sonstige Vorstellungen, die sich mit der kommunistischen Ordnung verbinden, sind die vollständige Elektrifizierung des Landes. Endlich soll in der kommunistischen Ordnung der Staat überflüssig werden, zunächst nach innen, aber schließlich auch nach außen, wenn die kapitalistische Einkreisung durch die Weltrevolution durchbrochen ist.

Auch diese Vorstellungen, so vage sie sind, gelten in China bereits deutlich als Leitschnur. Bezeichnend ist beispielsweise, daß als Name für die letzte Entwicklungsform der landwirtschaftlichen Kollektivierung der Begriff „Kommunen“ geprägt wurde. Die Dezentralisierung, die wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme nach Verwirklichung der sozialistischen Ordnung, wurde gelegentlich voreilig bereits als Anfang des „Absterbens des Staates“ interpretiert. Die Verschwommenheit des Konzept des Übergangs von der sozialistischen zur kommunistischen Ordnung erleichtert eine entsprechende Auslegung wirtschafte-politischer Maßnahmen naturgemäß sehr. China hat eben erst (1956) den Sozialismus erreicht. Der Zeitraum seither ist zu kurz, um schon Abschließendes über die Entwicklung Chinas nach Durchführung der sozialistischen Ordnung zu sagen. Aber es läßt sich doch schon deutlich erkennen, daß auch fernerhin alle Erscheinungen der Wirtschaftspolitik in das marxistisch-leninistische Entwicklungschema gepreßt werden.

Die marxistische Entwicklungslehre ist vielfach widerlegt. Die klassenlose Gesellschaft des Sozialismus ist eine Utopie, vom Idealbild des Kommunismus als ihrer vervollkommneten Form ganz zu schweigen!

China selbst ist eines der besten Argumente gegen ihre verallgemeinernde Anwendung auf die früheren Entwicklungsstufen. Die Wirklichkeit deckt sich somit keineswegs mit den im Dogma verankerten Vorstellungen. Dennoch hielt man an dem Entwicklungschema als unverrückbarem Glaubenssatz des Sozialismus fest. Gibt es einen besseren Beweis für die Linientreue der chinesischen Kommunisten als den krampfhaften Versuch, trotz der originellen Entwicklungsbedingungen des Landes auf dem richtigen, d. h. auf dem im Dogma vorgezeichneten Wege zu bleiben?

IH. Der Übergang zum Sozialismus in der Industrie

Bei der Machtübernahme fanden die chinesischen Kommunisten in der Industrie bereits einen relativ breiten staatlichen Sektor vor. Schon unter der Kuomintang hatte sich die Investitionstätigkeit praktisch auf den staatlichen Sektor beschränkt. Mit Kriegsende wurde der staatliche Sektor durch die Übernahme der auch heute noch den Kern des chinesischen Industrieaufbaus bildenden ehemals japanischen LInternehmen in der Mandschurei weiter erheblich verbreitert. Zugleich wurden die von den Japanern im übrigen Lande als Kriegsbeute beschlagnahmten Unternehmungen in Staatsbesitz übernommen. Der kapitalmäßige Anteil des Staates an der chinesischen Industrie wird für den Zeitpunkt Ende Weltkrieg auf 30 bis 5 5 Prozent geschätzt 2). Gerade die wichtigsten und moderneren Werke waren schon Staatseigentum.

Die chinesische Industrie war somit bei der Machtübernahme bereits weitgehend sozialistisch. Von Anfang an waren somit im industriellen Bereich der Planung und Lenkung ohne weiteres Verstaatlichungsmaßnahmen möglich, zumal gerade die Schlüsselindustrien staatlich waren.

Außerdem wuchs der staatliche Sektor ohne weitere Änderung der Eigentumsverhältnisse dadurch, daß der Staat der einzige nennenswerte Investor blieb. Der Anteil der staatlichen LInternehmen am Produktionswert, der gegenüber der Vorkriegszeit durch Demontagen und Kriegszerstörungen in der Mandschurei zunächst zurückgegangen war, wuchs dadurch stetig. Er machte im Jahre 1949 34 Prozent aus und stieg dann 1952 auf 53 Prozent, 1953 auf 54 Prozent, 1954 auf 59 Prozent und 195 5 auf 63 Prozent an. Im Jahre 1956 ging die Quote allerdings auf 54 Prozent zurück; dies dürfte sich jedoch aus Umstellungen in der statistischen Erfassung erklären. Vermutlich ist ein Teil des vorher unter handwerklicher Erzeugung erfaßten Produktionswertes nach dem Zusammenschluß des Handwerks in Genossenschaften nunmehr unter Industrie ausgewiesen.

Von größter Bedeutung war gleich unmittelbar nach der Machtübernahme die zunehmende Erfassung der privaten Industrieunternehmungen auf den Produktions-wie auf der Bezugsseite durch ein neu errichtetes System staatlicher Handelsorganisationen. Als Elementarform des Staatskapitalismus bezeichnet war dies tatsächlich die einschneidendste Sozialisierungsmaßnahme, die man sich denken konnte. Nicht nur die Änderung der Eigentumsverhältnisse, sondern dadurch, daß der Wirtschaftskreislauf in den Griff der staatlichen Lenkung kommt, werden die Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft außer Kraft gesetzt. Im Jahre 1949 waren 12 Prozent der Produktion der Privatindustrie in der Form von Verarbeitungs-und Lieferaufträgen sowie durch Ablieferungszwang staatlich erfaßt. Im Jahre 1954 stieg diese Quote auf 79 Prozent, was einem Wert von 8 Mrd. JMP gleichkam, und weiter 195 5 auf 82 Prozent. (Der Wert der staatlich erfaßten Produktion der privaten Industrie sank jedoch von 1954 auf 195 5 absolut auf 6 Mrd. JMP, worin sich die insgesamt abnehmende Bedeutung der privaten Industrieerzeugung zeigt). Je nach der Wichtigkeit der Erzeugnisse war der staatliche Einfluß auf die private Industrieerzeugung geringer oder größer. Die private Industrieerzeugung von Zement und Baumwollgarn war schon 1952 zu 100 Prozent, von Walzstahl und Weizenmehl zu 80 bis 8 5 Prozent staatlich erfaßt. Die Aufträge und Auflagen durch den Staat legten nicht nur die Betriebe in ihrem Produktionsprogramm fest, sondern hatten auch eine scharfe Kontrolle der Gewinnspannen im Gefolge. Dadurch wurden die Möglichkeiten der industriellen Selbstfinanzierung praktisch unterbunden, durch die sonst vielleicht der private Sektor ausgeweitet worden wäre.

Unter diesen Umständen hatten die eigentlichen Sozialisierungsmaßnahmen nurmehr formale Bedeutung. Die eigentlichen Sozialisierungsmaßnahmen bestanden hauptsächlich im Zusammenschluß zu Genossenschaften und in der Überführung privater LInternehmen in die gemischt staatlich-private Unternehmensform. Gelegentlich wurden auch diese Maßnahmen einschränkend als „niedere Form des Sozialismus“ oder „semisozialistisch“ bezeichnet. Richtig daran ist, daß diese Formen immer noch nicht die Endstufe darstellen. Als jedoch die ehemals privaten LInternehmen ausnahmslos in die gemischt staatlich-private Form überführt bzw. zu Genossenschaften zusammengeschlossen waren, ließ man die Gesamtordnung doch schon als vollsozialistisch gelten. Zu Genossenschaften sind vor allem kleinere, an der Grenze zum Handwerk stehender Privatunternehmer, bei denen eine Sozialisierung in anderer Form wenig rationell erschien, umgeformt worden. Dem Produktionswert nach hat der Anteil der genossenschaftlich zusammengeschlossenen LInternehmen von 4 Prozent im Jahre 1954 auf 5 Prozent im Jahre 195 5 und schließlich 17, 1 Prozent im Jahre 1956 zugenommen.

Besonderes Interesse hat die gemischt staatlich-private Unterneh-mungsform gefunden. Sie gilt im Ausland vielfach als instruktives Beispiel für eine spezifisch chinesische Zwischenlösung in der Sozialisierung. Zweierlei ist jedoch dagegen einzuwenden: Zunächst ist festzustellen, daß die gemischt-staatlich-privaten Unternehmen in China nicht von Dauer sein sollen. Ihre Existenz ist genau auf sieben Jahre befristet. Nach Ablauf dieses Zeitraumes sollen alle zur Zeit gemischt staatlich-privaten Betriebe vollständig staatlich werden. Zweitens war schon lange vorher in diesen LInternehmen jeder Spielraum für private Unternehmertätigkeit beseitigt. Die staatlich-privaten LInternehmen sind genauso in die umfassende staatliche Planung eingebaut wie die staatlichen LInternehmen; innerbetriebliche Entscheidungen, d. h. Entscheidungen, die nicht durch den Plan festgelegt sind, werden in der Praxis von den in die Betriebsleitung beorderten Staatsfunktionären getroffen, die ehemaligen Eigentümer sind ihnen zwar formal gleichgestellt, haben aber gar nichts zu sagen. Die gemischt staatlich-privaten LInternehmen unterscheiden sich somit von den voll staatlichen Unternehmen nur durch ihre Entstehung (es handelt sich ausschließlich um ehemals private LInternehmen) sowie durch die Tatsache, daß sie verpflichtet sind, den ehemaligen Eigentümern sieben Jahre lang eine fünfprozentige Rente (die unzutreffend — da nicht vom Gewinn abhängig — mit Dividende bezeichnet wird) auszuzahlen. Zwar sollen die ehemaligen Eigentümer in der Betriebsleitung mitbestimmen, zu einem großen Teil haben sie jedoch resigniert auf die Teilnahme an der Betriebsführung verzichtet. Pro forma üben sie noch irgendeine Tätigkeit in ihren Betrieben aus; vielfach sind sie auch nur anwesend. Die „Gewinnbeteiligung" sehen sie als das an, was sie wirklich ist, nämlich eine Enteignungsentschädigung, und zwar in Höhe von nur 3 5 Prozent (7 mal 5 Prozent) des Wertes ihres ehemaligen Besitzes. Die während der so-genannten Rektifizierungskampagne im Jahre 1957 erhobene Forderung der „Kapitalisten“, die Dividendenzahlung auf einen Zeitraum von 20 Jahren auszudehnen (was einer vollen Entschädigung gleichkommen würde), wurde von Partei und Regierung strikt abgelehnt.

Im Jahre 1956 entfielen 27 Prozent des Gesamtproduktionswesens der chinesischen Industrie auf die gemischt staatlich-privaten Unter-nehmen. Nach wenig bekannten chinesischen Angaben kostet die Übernahme dieser Unternehmen den chinesischen Staat ganze 770 Mio JMP oder etwas über 300 Mio US-Dollar. Der Wert der privaten Investitionen der nationalen Bourgeoisie (d. h. ohne Auslandskapital und ohne durch Auslandsbeziehungen chinesischer Eigentümer belastetes sogenanntes Kompradorenkapital) wird mit 2, 2 Mrd. JMP oder 900 Mio US-Dollar angegeben. Diese Zahlen zeigen nicht nur, eine wie geringe finanzielle Belastung die Übernahme für den chinesischen Staat bedeutet, sondern auch gleichzeitig, eine wie geringe Gefahr die Kapitalisten in China rein zahlenmäßig darstellen. Auf Grund der im April 1956 ausgewiesenen Dividendenzahlungen gibt es in China nur 1493 Kapitalisten mit Vermögenswerten von mehr als 100 000 JMP und nur 69 Kapitalisten, die mehr als eine Mio JMP investiert hatten. Unter diesen Umständen ist Großzügigkeit bei der Sozialisierung nicht nur billig, sondern auch ohne besonderes Risiko. So kann man es sich heute leisten, einen Mann wie Jung Yi-jen, einen bekannten Textilindustriellen aus Shanghai, der mit einem Kapitalwert von 60 Mio JMP einen Anspruch auf Jahresdividende von drei Mio JMP hat, für ausländische Besucher als Ausstellungsobjekt zu erhalten.

IV. Kollektivierung der Landwirtschaft

Während die Sozialisierung in der Industrie weitgehend an vorhandene Ansätze anknüpfen konnte, bedeutete die Sozialisierung in der Landwirtschaft eine viel grundlegendere Umwälzung. Diese war außerdem schon deshalb weit schwerwiegender, weil ein viel größerer Teil der Bevölkerung berührt wurde.

Verhaftet in den Gedankengängen von Marx hatte die KP Chinas die Schlüsselstellung des Bauern zunächst nicht gesehen. Die Agitationstätigkeit konzentrierte sich auf die wenigen Städte, die bereits eine Industriearbeiterschaft aufzuweisen hatten. Es war das Verdienst Mao Tse-tungs, die Bedeutung der bäuerlichen Bevölkerung für die Sache der Revolution erkannt zu haben. Der schließliche Erfolg der Kommunisten in China war dann hauptsächlich ihrer Agrarpolitik zu danken. Auf den Wellen einer rücksichtslos durchgeführten Bodenreform wurde die KP Chinas zum Siege getragen.

Nach der Machtübernahme schien es, als wenn China, eingedenk der Rolle, die die bäuerliche Bevölkerung in der Revolution gespielt hat, eigene Wege gehen würde. Dieser unzutreffende Eindruck konnte jedoch nur aus der Unkenntnis der Ideologie und der Unterschätzung ihrer Bedeutung für die tatsächliche Entwicklung entstehen. Auch in der Landwirtschaft wurde, wie in der Industrie, orthodox dem Marx’-sehen Entwicklungsschema folgend, zwischen Feudalismus und Sozialismus eine Zwischenstufe eingeschaltet. Auch in der Landwirtschaft dauerte die Zwischenphase 7 Jahre, ebensolange wie in der Industrie. Im Jahre 19 56 wurde auch in der Landwirtschaft die sozialistische Revolution vollzogen.

Wie in der Sowjetunion erfolgte die Sozialisierung in der Landwirtschaft nicht unmittelbar als Verstaatlichung, sondern in der Form der Kollektivierung; aber ebenso wie in Rußland bedeutete die Kollektivierung nicht nur „Vergenossenschaftlichung“, sondern die planmäßige Einengung und schließliche Beseitigung des Privateigentums der bäuerlichen Bevölkerung. Die Kollektivierung begann in verhältnismäßig harmlosen Formen bereits in der Übergangsphase. Gleich nach der Machtübernahme begannen sich die bäuerlichen Haushalte zu „Nachbarschaftshilfen" zusammenzuschließen. Im Jahre 1950 waren 11 Mill, bäuerliche Haushalte darin erfaßt, im Jahre 1954 bereits fast 70 Mill. Die nächsthöhere Kollektivierungsform bildeten die Produktionsgenossenschaften niederer Ordnung. Die Zahl der in ihnen zusammengeschlossenen Haushalte überstieg 1954 erstmals die Millionengrenze, erreichte aber insgesamt nie mehr als rund 3 5 Millionen (Mai 1956).

Nachdem zur Jahreswende 195 5/56 die große Kollektivierungswelle eingesetzt hatte, wurde bald die Produktionsgenossenschaft höherer Ordnung die praktisch einzige Kollektivierungsform. Sie gilt im Gegensatz zu den früheren Formen bereits als sozialistisch. Ende 1956 waren rund 10 Mill, bäuerliche Haushalte, 88% ihrer Gesamtzahl, in Produktionsgemeinschaften höherer Ordnung zusammengeschlossen. In einer Direktive vom 21. Dezember 1957 wurden die wenigen verbliebenen Einzelbauern hinsichtlich Produktionsund Anbauplan, Steuerleistung, Erfüllung des Ablieferungssolls usw.der Kontrolle der Produktionsgenossenschaften unterstellt.

Die Produktionsgenossenschaften höherer Ordnung entsprachen praktisch der sowjetischen Kolchose. Das Privateigentum an Grund und Boden war, abgesehen von etwas Land für Gemüsegärten und Futtermittelanbau, (insgesamt nicht mehr als 10% der von der Produktionsgenossenschaft bearbeiteten Gesamtfläche) aufgehoben. Das Land wurde gemeinsam bebaut. Die Beteiligung der Bauern am Jahresgewinn der Kolchose erfolgte grundsätzlich nach ihrer Arbeitsleistung, wenn auch außerdem noch eine Dividende für das eingebrachte Land bezahlt wurde. Analog der siebenjährigen Übergangsregelung in der Industrie war somit auch in der Landwirtschaft vorübergehend eine „kapitalmäßige“ Beteiligung vorgesehen.

Den bisher letzten Schritt in dieser Entwicklung bedeutete der im Sommer 1958 eingeleitete Übergang zur „Volkskommune“ als hauptsächlicher und sehr bald einziger Organisationsform auf dem Lande.

Dieser Schritt ragt vor allem deswegen aus allen vorhergehenden Kollektivierungsfortschritten weit heraus, weil durch ihn die Verbindung zwischen dem Aufbau der Staatsverwaltung, wie ihn die Verfassung vorsieht, und den Kollektivformen, wie sie nach und nach von unten entstanden sind, hergestellt wird. Der Übergang zur Volkskommune ist ein wesentlich vielschichtigerer Vorgang als die bisherigen Kollektivierungsmaßnahmen. Es wurde dabei nicht nur die Kollektivierung in der bisherigen Entwicklungsrichtung „nach unten“, d. h. tiefer in die privaten Lebensbereiche hineingetrieben. Die Volkskommunen dehnten sich gegenüber ihren Vorgängern „nach der Seite zu“ aus, indem sie alle sonstigen, wie die handwerklichen, kommerziellen und industriellen Kollektive, soweit sie in ihren regionalen Bereich fielen, in sich aufnahmen. Von besonderer Bedeutung aber ist, daß die neue Kollektivierungsform der „Volkskommune“ nun auch „von oben“ her wesentliche Funktionen einbezog, nämlich alle staatlichen Verwaltungsfunktionen auf der „Hsiang“ -Ebene (Hsiang wird am besten mit „Sprengel“ übersetzt; ein Hsiang umfaßt mehrere Dörfer und im allgemeinen 20 000 bis 40 000 Menschen). Der Hsiang wurde nun völlig mit der Kommune zu einer Einheit verschmolzen. Der Vorsteher des Hsiang ist nunmehr identisch mit dem Direktor der Kommune, der Volkskongreß beim Hsiang (die Legislative) mit dem Kongreß der Kommunenmitglieder und der Volksrat beim Hsiang, (die Exekutive)

mit dem Verwaltungsrat der Kommune. Damit wird die Kommune auch die unterste Stufe des Wahlmechanismus, da die Volkskongresse der Hsiangs die Volkskongresse der Hsien (— Kreise), diese wiederum’die Volkskongresse der Provinzen und letztere den Nationalen Volkskongreß in Peking wählen.

Der chinesische Staat basiert also auf den Volkskommunen als seiner untersten regionalen Verwaltungseinheit. Aber der Übergang zur Volkskommune ist keineswegs nur eine Verwaltungsreform, wenn diese Seite auch von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig wird die Kollektivierung in der bisherigen Richtung weiter vorangetrieben. Beseitigt wurde nunmehr die Einrichtung des privaten Gemüselandes. Ebenso wird der Haustierbestand, den die Produktionsgenossenschaften den Bauern im wesentlichen belassen hatten, nun zum größten Teil von den Volkskommunen übernommen. Kollektiviert wurden alle Produktionsmittel bis hinunter zum einfachsten Handwerkszeug. Die Anlage von Kindergärten, Kantinen und ähnlichen Einrichtungen wurde besonders gefördert. Dadurch sollen die Familienfunktionen eingeschränkt und die Hausfrau entlastet werden, um sie mehr für die Feldarbeit freizusetzen. Für den Arbeitseinsatz werden militärische Formen bevorzugt. Er erfolgt in Gruppen, Zügen oder Kompanien; für besondere Aufgaben werden „Stoßtrupps“ oder „Stoßbrigaden“ gebildet. Der Leiter der Kommune wird zum „Kommandeur“, dem ein „Chef des Stabes“ für die Verwaltungsarbeit beigegeben ist. Die kollektive Disziplin wird durch Übungen mit der Waffe unterstützt. Die militärischen Bezeichnungen sind nicht nur ein Spiel mit Worten, da die Kommunen auch die Aufgaben einer Miliz erhalten haben.

Obwohl eine weitere Steigerung des Kollektivismus kaum mehr möglich erscheint, und die Kollektivierung in dieser Konsequenz auch für Ostblockverhältnisse beispiellos ist, wird auf der anderen Seite dennoch in der Form des Kollektiveigentums festgehalten. Der letzte Schritt, die Übernahme von Grund und Boden in das Eigentum des Staates, wurde noch nicht getan. Analog zu den Verhältnissen in anderen Wirtschaftsbereichen, z. B. in der Industrie, erfolgt noch eine Entschädigung bzw. Dividendenzahlung für eingebrachtes Kapital, einschließlich der im Zuge der „Volkskommunisierung“ neuerlich erfaßten Haustiere, Arbeitswerkzeuge usw. 3 bis 4 Jahre, vielleicht auch noch 5 bis 6 Jahre, soll es von 1958 ab dauern, bis dann endlich auch der letzte Schritt getan sein wird. Diese Frist stimmt gut mit den Terminen überein, die im industriellen Bereich für die Beseitigung der letzten formalen Reste der ehemaligen Privateigentumsordnung gesetzt sind.

Schließlich gibt es in China entsprechend den Sowchosen in Rußland Staatsgüter. Hier ist der Grund und Boden bereits Staatseigentum. Die Staatsgüter sind aber nicht als eine Entwicklungsstufe zu werten, sondern als Spezialbetriebsform für bestimmte Bedingungen. Sie sind in China im allgemeinen nicht durch Enteignung von Privatbesitz, sondern Neulanderschließung entstanden. Am besten betrachtet man sie als Mustergüter. Die Staatsgüter sind besonders modern ausgerüstet. Bereits im Jahre 195 5 entfiel die Hälfte der von ihnen bearbeiteten Fläche auf „mechanisierte Staatsgüter“. Ihr Anteil hat seither weiter zugenommen. Vielfach sind diese Güter auf bestimmte Erzeugnisse spezialisiert. Im Jahre 1956 gab es 166 (195 5 — 106) mechanisierte Staatsgüter, die eine Fläche von fast 500 000 ha (1955 = 270 000 ha) bebauten. Rund die Hälfte (4 422 Stück) der zu dieser Zeit in China überhaupt vorhandenen Traktoren (9 862 Stück) jeweils umgerechnet auf Einheiten von 15 PS waren auf den Ländereien der Staatsgüter eingesetzt.

V. Sozialisierung von Handel Handwerk und Verkehrsgewerbe

Am schwersten begreifbar für den Kenner des alten China ist die Tatsache, daß die Sozialisierung auch die breite Schicht der Schuster, Schneider, Friseure, Hausierer, Straßenhändler, Schreiber, Fuhrleute usw. ergriffen hat. Die Tätigkeit als selbständiger Handwerker oder Händler schien dem Chinesen besonders, wesensgemäß. Man braucht heute nur Gebiete mit einer größeren Überseechinesenbevölkerung zu besuchen wie Singapore, die Philippinen oder Indonesien, um einen gleichen Eindruck zu gewinnen.

In China aber hat die Sozialisierung tatsächlich nicht vor Handel und Handwerk halt gemacht. Die Sozialisierung erfolgte hier zunächst vor allem als Zusammenschluß zu Genossenschaften. Im Handwerk waren Ende 1956 92% der Handwerkerschaft genossenschaftlich organisiert. In über 100 000 Genossenschaften waren mehr als 5 Mill. Handwerker zusammengeschlossen. Im Einzelhandel spielten Absatz-und Bezugsgenossenschaften, vor allem auf dem Lande, sehr frühzeitig eine Rolle. Schon im Jahre 1950 gab es rund 44 000 derartiger Genossenschaften mit einem Mitgliederstand von 3 Mill. Ohne daß sich die Anzahl der Genossenschaften später wesentlich vermehrte, stieg ihr Mitgliederstand bis zum Jahre 1954 auf 154 Mill. Diese Absatz-und Bezugsgenossenschaften sind meist von den niederen Kollektivformen in der Landwirtschaft gebildet worden. Nach der eigentlichen Kollektivierungswelle zur Jahreswende 195 5/56 verloren sie an Bedeutung, da die dabei gebildeten Produktionsgenossenschaften höherer Ordnung nunmehr auch den gemeinsamen Bezug und den Absatz übernahmen. Ab Sommer 1958 wurde dann auch das gesamte ländliche Kleingewerbe von den als letzter Kollektivierungsform gebildeten Kommunen ausgenommen.

Ebenso wie bei den Absatz-und Bezugsgenossenschaften fiel die Hauptbedeutung des genossenschaftlichen Zusammenschlusses des bestehenden Einzelhandels in die Zeit vor Beginn der eigentlichen Sozialisierungswelle. Bereits im Jahre 1954 entfielen 45% der Einzelhandelsumsätze auf genossenschaftlich organisierte Unternehmen. Mit der zunehmenden Bedeutung des staatlichen Handels nahm dieser Anteil auf nur 12% im Jahre 1956 ab. Allerdings gibt der Umsatz nur beschränkten Aufschluß über diese Sozialisierungsform. Sicher ist, daß Millionen von Krämern, Hökern und anderen Kleinkaufleuten, die mit ganz kleinen Umsätzen arbeiten, in Genossenschaften organisiert waren.

In der Praxis viel wirkungsvoller als der Zusammenschluß zu Genossenschaften war die Übernahme von Handelsfunktionen durch den Staat, die keineswegs schon als Sozialisierung galt. Sehr frühzeitig, lange vor der eigentlichen Sozialisierung, wurde damit begonnen, wichtige Bereiche aus dem Sektor der freien Wirtschaft herauszubrechen, ohne daß die Eigentumsverhältnisse der bestehenden Handels-unternehmen geändert worden wären. Für eine größere Anzahl von Erzeugnissen, vor allem auf dem Agrarsektor, wurden Staatsmonopole eingeführt, so für Baumwolle, Getreide, Tabak, Ölsaaten, Schweine, Rindvieh, Hanf, Zuckerrohr, Seidenkokons u. a. m. Die betreffenden Artikel der sogenannten zentralen und geplanten Erfassung durften nur an diese Monopolgesellschaften verkauft werden, und der Einzelhandel konnte nur von diesen beziehen. In das Bewirtschaftungssystem direkt einbezogen wurde der Einzelhandel bei den Artikeln der geplanten Erfassung und Verteilung, da diese im Endverbrauch rationiert waren (von den oben angeführten Artikeln: Baumwolle, Getreide und Ölsaaten). Sehr frühzeitig praktisch völlig ausgeschaltet wurde der private Außenhandel. Bereits im Jahre 1949 wurde eine Anzahl staatlicher Außenhandelsgesellschaften errichtet, die in ihrem Zuständigkeitsbereich eine Monopolstellung hatten. Die privaten Firmen waren, soweit sie nicht geschlossen wurden, nur noch als Agenten der staatlichen Monopolunternehmen und unter deren unmittelbarer Kontrolle tätig. Die Kontrolle erstreckte sich bis in die kleinsten Einzelheiten. Der gesamte Schriftverkehr war der Zensur durch die staatlichen Gesellschaften unterworfen.

Die eigentliche Sozialisierungswelle 1955/56 brachte dann nur noch, analog zu der Entwicklung in den anderen Wirtschaftsbereichen, die Änderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse im Handel. Hauptsächlich geschah das wie in der Industrie durch den Übergang zur gemischt staatlich-privaten Unternehmungsform. Ende 1956 waren am Einzelhandelsumsatz beteiligt: Staatliche Unternehmen sowie Lieferund Absatzgenossenschaften zu 68%, gemischt staatlich-private Unternehmen zu 17%, genossenschaftlich zusammengeschlossener Einzelhandel zu 12% und der private Einzelhandel nurmehr mit 3%.

In ähnlicher Form war bis Ende 1956 auch das gesamte Verkehrswesen sozialisiert. An der Gesamttransportleistung hatten im Jahre 19 56 staatlich und gemischt staatlich-private Unternehmen zu 78%, genossenschaftlich zusammengeschlossene Verkehrsbetriebe zu 17% und private Verkehrsbetriebe zu 5% Anteil. Bei diesen Zahlen sind auch so primitive Verkehrsmittel wie Pferdefuhrwerke auf dem Lande und Dschunken auf dem Wasser einbezogen. Der Eisenbahnbetrieb, der Hafenbetrieb und Teile der Schiffahrt waren bereits vor 1949 verstaatlicht.

Vi. Die Fronten im Klassenkampf beim Übergang zum Sozialismus

Die Änderung der Produktionsbedingungen, obwohl von größter Bedeutung, ist für den Marxisten immer nur ein Mittel zum Zweck, und zwar zum Zweck der Umgestaltung der Gesellschaft. Folgerichtig münden die vorstehend geschilderten Sozialisierungsmaßnahmen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen in das allgemeine Konzept der Umwandlung der Gesellschaftsordnung ein. Diese Umwandlung erfolgt als Klassenkampf.

Die Fronten des Klassenkampfes während der Übergangsperiode sind besonders kennzeichnend für die während dieser Zeit verfolgte „Übergangs“ -Ideologie. Obwohl mit der kommunistischen Machtübernahme die propagandistische Rücksicht auf eine möglichst breite Revolutionsbasis entfiel, beschränkte man sich dennoch nicht nur auf eine reine „Diktatur des Proletariats“ durch Arbeiter und Bauern, sondern erkannte auch die Kapitalisten als Mitglieder der Gesellschaft an. Dabei wurde nicht nur das Kleinbürgertum (Handwerker, Händler usw.), sondern auch die nationale Bourgeoisie, wie die eigentlichen Kapitalisten bezeichnet werden, einbezogen. Völlige Ablehnung fand nur die Kompradoren-Bourgeoisie als Schrittmacher des ausländischen Kapitalismus, gegen die «ich der Klassenkampf mit aller Schärfe richtete. Ebenso wurden auf dem Lande nicht nur die kleinen Bauern, sondern auch die wohlhabenden Mittelbauern, ja selbst viele Groß-bauern eingeschlossen; nur die Großgrundbesitzer als Vertreter des Feudalismus wurden eliminiert.

Allerdings hatte diese Großzügigkeit doch auch ihre Grenzen. Nur solche Bürgerliche wurden geschont, die sich zum Marxismus bekannten und sich damit in letzter Konsequenz mit ihrer Vernichtung als Klasse einverstanden erklärten. Vor allem aber war dieses Klassenkampf-konzept als Übergangslösung zeitlich befristet. Kurz nachdem die formal-juristische Bereinigung der kapitalistischen Eigentumsformen durch die Sozialisierungswelle 195 5/56 erfolgt war, setzte unter dem Vorwande, reaktionäre Rechtsabweichungen seien aufgetreten, der Kampf gegen die bürgerlichen Elemente in der Form schärfsten Terrors ein. Das Opfer der Anti-Rechtskampagne war hauptsächlich das ehemalige Bürgertum. Die Anti-Rechtsbewegung endete zu Beginn des Jahres 195 8 mit dem „sozialistischen Sieg an der politischen und ideologischen Front“, nachdem der „sozialistische Sieg an der wirtschaftlichen Front“ (= Sozialisierungswelle) bereits 1956 offiziell bekannt gegeben worden war. Die völlige Gleichschaltung war nunmehr vollzogen, worüber Rudimente wie die Fortexistenz einiger bürgerlicher Parteien und die bis 1962 laufenden „Dividenden" -Zahlungen an die ehemaligen Kapitalisten nicht hinwegtäuschen können.

VH. Ob Staatskapitalismus oder Sozialismus: Auf jeden Fall zentrale Planung

Es dürfte bereits hinreichend klar geworden sein: China war schon eine Planwirtschaft — und zwar in dem Sinne, daß der Marktmechanismus durch Befehle des Staates nicht nur gesteuert, sondern ersetzt wurde —, lange bevor es offiziell sozialistisch wurde. Die Zuordnung der Jahre bis 1956 zum (Staats-) Kapitalismus war eine reine Formsache. Der erste Fünfjahresplan lief schon 19 5 3 an, mitten in der staats-kapitalistischen Übergangsperiode und weniger als vier Jahre nach der Machtübernahme. In der Sowjetunion begann vergleichsweise der erste Fünfjahresplan erst 11 Jahre nach der Revolution. Der „Plan“ steht dabei durchaus im Mittelpunkt. Er ist das zentrale Anliegen nicht nur der chinesischen Wirtschaftspolitik, sondern auch der innerpolitischen Propaganda. Zwar braucht zentrale Planung grundsätzlich noch nicht Sozialismus zu sein, im kommunistischen China hatte aber die Planung die Freiheit der Wirtschaftseinheiten, besonders auch bezüglich der Eigentumsrechte, bald so eingeengt, daß ein Unterschied zu einem Zustande mit völlig verstaatlichten Produktionsmitteln praktisch nicht mehr bestand.

Daß China seit langem eine Planwirtschaft ist, ist eigentlich eine Binsenwahrheit. Weniger gründlich untersucht und zweifellos interessanter ist jedoch, den Typ dieser Planwirtschaft näher zu bestimmen, d. h. festzustellen, wie weit in ihr der Zwang reicht und auf welchen Bereich die Freiheit eingeengt ist. Zu untersuchen wäre beispielsweise, wie es mit der Freiheit der Konsumgutwahl durch den Verbraucher steht: ob der Bezugsschein regiert oder das Geld. Oder welche Entscheidungen den einzelnen Betrieben überlassen bleiben, und welche Entscheidungen ihnen von den Planungsbehörden abgenommen werden. Oder wieweit die Kooperativen bei ihrer Anbauplanung festgelegt sind, und ob und wieweit die Bauern noch über privates Gemüseland verfügen. Und schließlich, ob es neben den Kanälen des staatlichen Handels auch noch freie Märkte gibt.

Investitionsplanung Am längsten völlig gestrafft ist die staatliche Planung im Investitionssektor. Schon unmittelbar nach der Machtübernahme konnte kein Betrieb mehr ohne besondere Genehmigung irgendeine Veränderung vornehmen. Aber selbst ohne ein solches Genehmigungsverfahren waren private Investitionen einfach mangels privaten Kapitals unmöglich. Ein eigentlicher Kapitalmarkt existierte in China schon lange vor der Machtübernahme nicht mehr. Krieg, Inflation und Bürgerkrieg vernichteten jeden Einsatz im Keime; die Kommunisten taten nach der Stabilisierung nichts, um einen Kapitalmarkt neu zu schaffen. Die Möglichkeit der Selbstfinanzierung wurde durch die Kontrolle der Gewinne mehr und mehr unterbunden. Als einzige Kapitalquelle blieb so die Kapitalbildung über den Staatshaushalt. Später, mit dem Ausbau des staatlichen Verteilungssystems, wurden alle wichtigen Investitionsgüter in die Bewirtschaftung einbezogen, so daß heute die staatliche Planung die Investitionstätigkeit nicht nur von der Finanzierung her, sondern auch von der Materialseite her fest im Griff hat. Nach dem neuesten Stande werden für die Investitionstätigkeit die folgenden Planziele starr gesetzt: 1. Gesamtwert bzw. Kosten des betreffenden Projekts; davon näher spezifiziert: 2. „Übernorm" -Anlagen im Rahmen des Projekts, 3. benötigte „Produktivkräfte“ wie Energie-menge, Arbeitskräfte und 4. Kosten der Bau-und Installationsarbeiten. Außerdem werden elastische Planziele festgelegt, die bei der Ausführung geändert werden können, aber nur, wenn die Änderungen gerechtfertigt sind. Vorgenommene Änderungen sind umgehend zu melden. Grundsätzlich erscheint es undenkbar, daß im industriellen Bereich irgendein Bereich außerhalb oder gar entgegen der staatlichen Planung auch nur die geringste Änderung oder Erweiterung vornehmen könnte, von der Errichtung von neuen Unternehmen gar nicht zu reden. In der frühzeitigen straffen, vollständigen Kontrolle des Investitionsgütersektors spiegelt sich die außerordentliche Bedeutung, die dem wirtschaftlichen Fortschritt beigemessen wird.

Produktionsplanung Aber auch die Produktion ist heute, jedenfalls im industriellen Bereich, nicht viel weniger straff geplant und gelenkt. Den Betrieben sind als verbindliche Planziele festgesetzt: 1. Produktionsmengenleistung, 2. Belegschaftsstärke, 3. Lohnsumme und 4. Gewinn. Acht weitere Planziele können die Unternehmen von sich aus ändern, wenn sie die Änderung rechtfertigen können. Jede Änderung dieser „elastischen Planziele“ ist zu melden. Vor Einführung dieses jetzt den ganzen industriellen Bereich deckenden Systems nahm der Staat auf die direkter Einwirkung zunächst entzogenen — privaten Unternehmen durch Auftragsauflagen Einfluß. Damals konnte von diesen Unternehmen jedoch noch in dem Maße der durch solche Aufträge nicht ausgelasteten Kapazität frei für den Markt produziert werden. Heute gibt es das nicht mehr. Es ist auch kein System freier Spitzen oder ähnliches an seine Stelle gesetzt worden. Lediglich in ihrer Verfügung über den Gewinn ist bei Produktionsbetrieben zwecks Leistungsanreiz Ende 1957 im Rahmen der sogenannten Dezentralisierungsreform nach der „Dirck-tive über die Verbesserung des Systems der staatlichen Industrie“ aus dem Jahre 1957 eine leichte Lockerung vorgenommen worden: die Betriebe können einen Teil des den Durchschnittsgewinn der letzten drei Jahre übersteigenden Jahresgewinn für Wohlfahrtsausgaben zugunsten ihrer Belegschaft verwenden.

Etwas weiter ist der Spielraum der landwirtschaftlichen Produktion. Daran hat sich auch durch den Übergang zur Kollektivierungsform der Kommune nichts geändert. Die Dezentralisierungsform, in deren Rahmen u. a. auch die Bildung von Volkskommunen erfolgte, sollte ja gerade Planungsund Lenkungsfunktionen und die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung von der Planungsspitze nach unten abwälzen. Den Kommunen werden zwar Planziele gestellt. Diese betreffen aber nur die Anbaufläche und die Produktionsleistung für die Haupterzeugnisse, nämlich Weizen bzw. Reis, Baumwolle und Ölsaaten. Die sonstige Anbauplanung wird von den Kommunen, so wie sie es nach den örtlichen Gegebenheiten für richtig halten, vorgenommen.

Da der finanzielle Ertrag der Kommunen und damit das Einkommen ihrer Mitglieder — die an diesem Ertrag durch Prämien nach einem bestimmten Schlüssel beteiligt werden — neben dem Ernteausfall hauptsächlich von den Agrarpreisen abhängig sind, spielt in der Landwirtschaft auch die Preispolitik eine wichtige Rolle als Lenkungsmittel. Der wichtigste Ansatzpunkt ist hier das Grundverhältnis von Industrie-zu Landwirtschaftspreisen, das sich strukturell nach und nach zugunsten der Landwirtschaftspreise verschieben soll. Innerhalb des agraren Sektors in die Relation von Getreide-zu Baumwollpreisen die wichtigste. In Zeiten von Krisen in der Nahrungsmittelversorgung wurden die Getreidepreise angehoben, sobald es sich jedoch nur irgendwie vertreten ließ, wurde der Baumwollanbau durch Heraufsetzung der Ablieferungspreise für Rohbaumwollanbau stärker gefördert.

Im Baumwollanbau spielen außerdem als Lenkungsmaßnahmen Sonderzuteilungen von Baumwolltextilien eine Rolle, die gewährt werden, wenn das Ablieferungssoll überschritten wird. Überblickt man den Produktionssektor als ganzes, so zeigt sich, daß die planungsfreie Sphäre im industriellen Bereich auf Ausgaben der Betriebe für Wohlfahrtszwecke beschränkt ist; im landwirtschaftlichen Bereich können zwar nicht die Bauern, aber immerhin die Kooperative, abgesehen bei den Hauptagrarerzeugnissen, zwar noch verhältnismäßig frei über ihre Anbauplanung entscheiden, jedoch werden die staatlichen Planziele dennoch durch interventionistische Maßnahmen wie Preisfestlegungen, Sonderzuteilungen rationierter Güter u. a. straff durchgesetzt. Eine eigentliche individuelle Produktionsfreiheit für die einzelnen Mitglieder der Kooperative besteht nicht mehr, seitdem ihnen der Übergang zu den Kommunen als letzter Kollektivform selbst ihr kleines Gemüseland und den Haustierbestand genommen hat.

Planung der Verteilung In der Verteilungssphäre liegen die „Kommandohöhen der Wirtschaft“, die nach Lenin zu allererst vom Staat zu übernehmen sind. Solche Kommandohöhen sind vornehmlich Banken, Außenhandel und Großhandel. Kreditwesen, Außenhandel und Großhandel wurden in China sofort nach 1949 von neugegründeten staatlichen Unterehmen übernommen. Wo zunächst daneben noch private Betriebe bestehen wie im Außenhandel, wurden diese zu Agenten oder in ein ähnliches Verhältnis der Abhängigkeit von den neuen staatlichen Unternehmen degradiert. Wie bereits dargelegt, ist die Produktion zunächst von der Verteilungssphäre her von der Planung erfaßt worden, indem die staatlichen Handelsorganisationen die Betriebe zunehmend mit staatlichen Aufträgen auslasteten. Der Einzelhandel blieb zwar zunächst weitgehend privat — Ausnahmen bildeten die Warenhäuser in den Städten — und wurde auch später lediglich kollektiviert und noch nicht völlig verstaatlicht; in seiner wirtschaftlichen Funktion war er jedoch sehr bald auf eine staatliche Verteilertätigkeit herabgedrückt, da er seine Waren von staatlichen Unternehmen zugeteilt erhielt und wesentliche Konsumartikel bis zum Endverbrauch rationiert wurden.

Mit dem Übergang zur Kollektivierungsform der Kommune wurden die „Einkaufs-und Absatzgenossenschaften“ als Abteilungen in diese eingegliedert, fungierten aber dabei als Organe der staatlichen Handelsorganisation. Damit ist die Kette: Produktion — Großhandel — Einzelhandel — bis heran an den Endverbraucher in allen ihren Gliedern staatlich und damit unmittelbar der Lenkung unterworfen. Die einzige von der zentralen Lenkung freie Sphäre bilden die 19 56 eingeführten freien Märkte. Ihre Funktion ist jedoch eng begrenzt, zunächst dadurch, daß nur bestimmte Artikel, die alle nicht lebenswichtig sind, zugelassen sind, zweitens dadurch, daß nur an bestimmten Orten und in bestimmten Gegenden freie Märkte eingerichtet wurden, und schließlich durch eine stetige staatliche Kontrolle, die vor allem auch die Preisgestaltung betrifft.

Das Verkehrswesen, soweit mit modernen Verkehrsmitteln betrieben — Bahnen, Dampf-und Motorschiffe und Flugzeuge — war schon vor der Machtübernahme staatlich. Danach wurde jedoch die Lenkung noch weiter ausgebaut, beispielsweise durch gewisse Verkehrsbeschränkungen, die vor allem die Freiheit des Personenverkehrs betrafen. Dort, wo der Verkehr sich als Engpaß erwies, wurden auch in der Güterbeförderung Prioritäten eingeführt. Der Kraftfahrzeugverkehr, der in anderen Ländern im allgemeinen die freiheitlichste Ordnung hat, spielt in China überhaupt keine Rolle.

Konsumplanung Entscheidend für den Charakter einer Wirtschaftsordnung ist jedoch die Stellung des Konsumenten. Theoretisch denkbar wäre beispielsweise eine zentral geleitete Planwirtschaft, die sich am Willen des Konsumenten ausrichtet und diesem ein Maximum an Freiheit läßt. Tatsächlich ist in China jedoch nicht der Wunsch des Konsumenten das Maß der Planung, sondern gewisse a priori gegebene Ziele, die nur durch eine sehr hohe Investitionsrate auf Kosten des Konsums verwirklicht werden können. In der Praxis muß darüberhinaus der Konsum durch Rationierung, „Austerity“ -Kampagnen und propagandistische Beeinflussung mittels verbrauchslenkender Schlagworte die Mängel und Fehler der Planung auffangen.

Alle lebenswichtigen Artikel sind für den chinesischen Konsumenten rationiert, nämlich Getreide (einschließlich Reis) und Getreideerzeugnisse, Fette und Öle, Schweinefleisch und Baumwollwaren. Alle anderen Artikel sind zwar theoretisch frei, in Wirklichkeit aber vielfach gar nicht oder nur in beschränkten Mengen zu haben; die unterste Verteilerstufe muß im letzteren Falle von sich aus rationieren, was trotz des Systems gegenseitiger Beaufsichtigung und Kontrolle doch zwangsläufig zu all den mißlichen Erscheinungen der Beziehungswirtschaft führt. Als Ausnahme weisen die Warenhäuser in den größeren Städten aus Propagandagründen ein verhältnismäßig reichliches Angebot auf. Außerdem scheinen solche Güter wie bestimmte Bücher, Schreibpapier, Füllfederhalter u. ä., die der Erziehung, vor allem politischer Art, dienen, reichlich vorhanden. Eine größere Vielfältigkeit des Angebots haben zweifellos die 1956 eingerichteten freien Märkte für den Konsumenten zur Folge gehabt, jedoch nur auf Kosten des Steigens der Preise für die freigegebenen Artikel. Auf freien Märkten sind u. a. Gemüse, Geflügel, Fische, Arzneipflanzen zu haben.

Besondere Probleme wirft die Steuerung des Konsums der Land-bevölkerung auf, der man gemeinhin als „dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden“ kann. Aber in China ist auch das gelungen, und zwar durch das allgemeine System gegenseitiger Kontrolle. Der Eigenbedarf wurde nach und nach auf ein Mindestmaß beschränkt. Nachdem dann dafür wie für den abzuliefernden Überschuß Maßstäbe gefunden waren, blieben die Ablieferungsmengen zwecks Leistungsanreiz unverändert. Alle drei Jahre wird jedoch erneut überprüft, ob es nicht möglich ist, das Ablieferungssoll zu erhöhen. Die Leistung, die mit der Einrichtung eines umfassenden Bewirtschaftungssystems auch auf dem Lande vollbracht wurde, läßt sich erst voll ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß keineswegs die gesamte Landbevölkerung ihren Bedarf an Grundnahrungsmitteln in China aus eigener Erzeugung decken kann. Zulieferung von Reis und anderen Getreide-arten ist nicht nur für Krisengebiete, sondern beispielsweise auch für die reinen Baumwollgebiete regelmäßig erforderlich.

Einen gewissen Spielraum, ihren Konsum frei zu gestalten, hatte die ländliche Bevölkerung zunächst im Rahmen des ihr zur persönlichen Verfügung zugestandenen Gemüse-und Futterlandes, das bis zu 10°/0 des Bodens der Kooperative ausmachen konnte. Schon damals ging aber beispielsweise das privat gezogene Vieh, soweit es ni’it selbst verbraucht wurde, in die Bewirtschaftung ein, da es einen freien Markt für Fleisch und Fett nicht gab. Der Übergang zur Kollektivierungsform der Kommune beseitigte diese letzte Sphäre individueller Konsumfreiheit aber restlos. Darüber hinaus bahnt sie eine Reglementierung des Verbrauchs an, die selbst für kommunistische Verhältnisse bislang beispiellos ist. Ihr wichtigster Zug ist der Übergang zur Gemeinschaftsverpflegung in Großküchen. Die sonstigen freiheitlichen Elemente in der Konsumordnung und die sogenannten freien Märkte (deren enge Grenzen oben aufgezeigt wurden) werden nunmehr höchstens noch für die Gestaltung des Speisezettels der Kommunengemein-schaftsküche Bedeutung haben. Die zentrale Konsumplanung ist nunmehr ganz erheblich erleichtert.

VIII. Kann die Wirtschaftsplanung funktionieren?

Kann man überhaupt die Wirtschaft eines Landes mit über 600 Millionen Menschen und einer Fläche von fast 10 Millionen km 2, ein Land, das zweifellos wirtschaftlich noch sehr zurückgeblieben ist und insbesondere verkehrsmäßig in weiten Teilen völlig unzugänglich ist, zentral planen? Muß dieser Versuch nicht im Chaos enden? Ist nicht der einzige Weg, das Chaos zu vermeiden, die Ausgleichskräfte der Wirtschaft durch freiheitliche Institutionen automatisch wirksam werden zu lassen?

Welche Antwort auf diese Fragen gibt die bisherige Entwicklung? Im bisherigen Verlaufe sind zweifellos erhebliche Schwierigkeiten aufgetreten. Einige Erzeugnisse sind in zu großen Mengen hergestellt worden. Häufiger und schädlicher war aber, daß unerwartet außerordentlich-hemmende Engpässe auftraten, und zwar nicht nur bei einzelnen Spezialerzeugnissen, sondern bei solchen Grundstoffen wie Kohle, Eisen, Mineralölen und Zement, und sogar der Verkehr in seiner Gesamtheit wurde zu einem gefährlichen Engpaß. Dennoch scheint es doch so, als ob es trotz aller Schwierigkeiten einigermaßen gelungen ist, die Entwicklung unter Wahrung der gewählten Prioritäten verhältnismäßig schnell voranzutreiben.

Folgende Faktoren dürften begünstigend gewirkt haben: Zunächst das sowjetische Beispiel, dessen Bedeutung — ganz abgesehen von der ideologischen Seite — für das Funktionieren der Planung gar nicht zu überschätzen ist. Daneben ist aber auch das Beispiel westlicher Wirtschaften von größter Wichtigkeit. Nur weil man wußte, wohin der Weg der Entwicklung führt, war in Rußland und ist heute in China eine Planung der Entwicklung überhaupt möglich. Planwirtschaft in England im Zeitalter der industriellen Revolution, der Pionierzeit der auf moderner Technik basierenden Industrialisierung, wäre dagegen undenkbar gewesen, selbst wenn an der Planungsspitze Genies gestanden hätten. Es mag rein politisches Prestigebedürfnis sein, wenn die Ostblockpropaganda heute verkündet, die Sowjetunion werde bald die USA, und China bald Großbritannien „einholen“. Hierin zeigt sich aber auch, wie sehr das Vorbild dieser und anderer industrialisierter Wirtschaften wirksam ist. Nicht nur die große Linie, sondern auch Einzelheiten werden, wo und wie auch immer möglich, abgesehen. Ehe man beispielsweise in China eine eigene Traktorenindustrie in Angriff nahm, führte man zunächst die verschiedensten Traktorenfabrikate ein und zeigte sich am Rat westlicher Experten auf dem Traktoren-gebiet besonders interessiert. Es gibt noch zahlreiche andere Beispiele, die alle erkennen lassen, daß China am Kontakt gerade auf dem Gebiete neuer Entwicklungsvorhaben sehr gelegen ist. Nicht zu vergessen ist schließlich noch, daß der westliche Weltmarkt für China als Kalkulationsbasis außerordentlich wichtig ist. Seine Beobachtung trägt mit dazu bei, das dornige Problem der Rechenhaftigkeit in der chinesischen Planwirtschaft zu lösen.

Erleichtert wird schließlich die Planung dadurch, daß sie unter den politischen Bedingungen in China total betrieben werden kann und auch wird. Störungen können dadurch erheblich leichter aufgefangen werden. Besonders wichtig ist dabei die zentrale Lenkung auch des Konsums. Vom Konsum, der in der freien Welt die gesamte Entwicklung lenkt, könnten auch in der Planwirtschaft Impulse ausgehen, auf die die Planung Rücksicht zu nehmen hat. Der Konsum und der Konsument ist in China aber derartig fest in der Hand der Planung und Lenkung, daß vom Verbrauch nicht nur keine Störungen ausgehen, sondern daß dieser als Polster dient, um Fehlentwicklungen aufzufangen und auszuschalten. Kürzung der Rationssätze, auf der anderen Seife auch gelegentlich Dekretierung von Mehrverbrauch oder die Änderung von Verbrauchsgewohnheiten und schließlich allgemeine Austerity-Kampagnen charakterisieren diesen Zustand. Das Planen ist eben umso leichter, je totalitärer ein Staat ist, und je unumschränkter die Regierung mit den Bürgern tun und lassen kann, was sie will.

Trotz dieser begünstigenden Faktoren waren die Reibungen doch so stark, daß die zentrale Planung im Laufe der Entwicklung zu ganz erheblichen Änderungen ihrer Methoden und zu Anpassungen gezwungen wurde. Am erfolgreichsten war die Planung noch, als sie am lockersten gehandhabt wurde, nämlich während der Wiederaufbau-periode von 1949 bis 1952. Im Laufe des ersten Fünfjahresplanes zeigten sich dann immer deutlicher die Grenzen der zentralen Planung, bis im Jahre 1956 eine schwere Planungskrise zu einer grundlegenden Umstellung in der Wirtschaftspolitik führte. Erneuter Inflationsdruck und erhebliche partielle Ungleichgewichte zwangen zu der Einsicht, daß die zentrale Planung und der Staat als Träger der wirtschaftlichen Entwicklung überfordert worden waren. Abgesehen von mehr symptomatischen Gegenmitteln wie verschärfter Austerity und einer vorübergehenden Drosselung des Entwicklungstempos griff man als grundsätzliche Therapie zu einer Dezentralisierungsreform. Diese beschränkte sich nicht nur auf eine Verwaltungsreform. Sie bestand vielmehr in einem ganzen Bündel von Maßnahmen. Zu den wichtigsten zählte die Propagierung von kleinen und kleinsten industriellen Betriebseinheiten, deren Errichtung lokal möglich ist. Zum zweiten wurde mit dem Übergang zur Kollektivierungsform der Kommune diese zum Träger vieler staatlicher Entwicklungsaufgaben. Und zum dritten schließlich wurde für die staatliche Industrie, den staatlichen Handel und die Finanzwirtschaft auch eine Verwaltungsreform vorgenommen durch welche die Provinzen stärker in die Entwicklung und in die staatliche Wirtschaftsverwaltung eingeschaltet wurden und auch die Betriebsleitungen einen etwas größeren Entscheidungsspielraum erhielten. Versucht man zum Kern dieser vielschichtigen Reformmaßnahmen vorzudringen, so zeigt sich als ihr wesentliches Ergebnis, daß zwar die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung nach unten abgeschoben wurde, ohne daß aber dadurch die individuelle Freiheitssphäre ausgeweitet wurde. Das gerade Gegenteil war vielmehr der Fall. Denn durch die Errichtung der Kommunen wurde die Kollektivierung noch weiter vorangetrieben. Es wurde so das Kunststück fertiggebracht, zwar Pflichten und Aufgaben, aber keine wesentlichen Rechte abzugeben. Mit den Dezentralisierungsmaßnahmen einher ging ein allgemeiner Propagandafeldzug, der diese Wendung der Wirtschaftspolitik als erste Anzeichen des anbrechenden Kommunismus ideologisch tarnte und die Reformen als in der Entwicklung liegend dar-Stellite. Die andere Seite des Propagandafeldzuges war, den chinesischen Menschen noch mehr als bisher zu unmittelbarem Dienst an der Entwicklung anzutreiben. Der entrechtete Einzelmensch; der alle Mängel des Systems, sei es durch Konsumeinschränkung, sei es durch erhöhte Leistung aufzufangen hat, erhielt in noch größerem Maße als bisher die Verantwortung für das Gelingen unmittelbar aufgebürdet. Er hat sich bei einem Versagen als der psychologisch Schuldige zu fühlen, andererseits aber Erfolge dem System zuzuschreiben. In diesem Sinne, nachdem also die zentrale Planung kaum noch Angriffsflächen für Kritik bietet, ist nicht daran zu zweifeln, daß sie in China auch weiterhin erfolgreich bleiben wird. Tatsächlich ist jedoch die zentrale Planung in ihrer ursprünglichen Form in China gescheitert.

IX. Einblick in die Planungstechnik

Wenn man so umfassend wie in China planen will, so erfordert das, zumal unter den gegebenen Bedingungen, einen bedeutenden organisatorischen Apparat und ausgefeilte Planungsund Lenkungsmethoden. Die Wichtigkeit dieser organisatorischen Seite läßt sich außer an der Größe des Apparats daran erkennen, daß hier, unabhängig von ideologischen Erwägungen, aus dem Zwang zur Rationalisierung immer wieder Änderungen vorgenommen wurden, bis die Planung ihre heutige institutionelle Form gefunden hat. Zum derzeitigen Stande ergibt sich von der Planungstechnik in der VR China folgendes Bild.

Zunächst wird nach sowjetischem Muster grundsätzlich zwischen langfristiger und kurzfristiger Planung unterschieden. Für die langfristige Planung ist die Staatsplanungskommission, für die kurzfristige Planung die Staatswirtschaftskommission verantwortlich. Kurzfristige und langfristige Planung sind somit auch institutionell scharf getrennt. Die kurzfristige Planung erstreckt sich bis zur Aufstellung der Jahres-pläne; als langfristig gilt alle darüber hinausgehende Planung. Im Bereiche der langfristigen Planung gibt es neben dem allgemeinen Fünfjahresplan Spezialpläne verschiedener Dauer, so den Zwölfjahreslandwirtschaftsplan oder etwa Pläne für bestimmte Flußregulierungen.

In der kurzfristigen Planung werden diese langfristigen Pläne zu einem einheitlichen Wirtschaftsplan verschmolzen.

Langfristige Planung Die folgenden langfristigen Pläne sind bislang bekannt geworden: 1. Fünfjahrespläne a) 1. Fünfjahresplan 1953— 1957 b) 2. Fünfjahresplan 1958— 1962 2. Fünfzehnjahresplanung 1. Zyklus von 3 Fünfjahresplänen 1953— 1967 3. Zwölfjahreslandwirtschaftsplan 1956— 1967 4. Flußregulierungspläne a) Plan für die Regulierung des Gelben Flusses 1. Phase = 15 Jahre b) Plan für die Regulierung des Huai, u. a. m.

Als schwerwiegende wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen liegen die Ausarbeitung und Inkraftsetzung solcher Pläne von der Initiative bis zur endgültigen Billigung bei den Organen der kommunistischen Partei. Der Gang des Zustandekommens grundlegender langfristiger Pläne ist etwa folgender: Zunächst arbeitet das Politbüro der Partei Vorschläge aus (intern sicherlich unter Benutzung des Materials, des Stabes und der Einrichtungen der Staatsplanungskommission, die mit dem Politbüro durch die Person des Vorsitzenden eng verknüpft ist, und sonstiger staatlicher Organisationen wie des Statistischen Büros; nach außen hin tritt die Partei als Initiator in Erscheinung). Die Vorschläge werden dann einem größeren Gremium, einer Parteikonferenz, der Obersten Staatskonferenz oder der politischen Konsultativkonferenz zur öffentlichen Diskussion vorgelegt. Nach ihrer Billigung werden die Vorschläge an die Regierung, d. h. praktisch an die Staatsplanungskommission zu weiteren Ausarbeitung überwiesen. Gleichzeitig beginnt eine Popularisierungskampagne, die den Plan im ganzen Lande zum Objekt politischer Schulung macht. Anregungen zur Ausgestaltung des Planes, soweit sie in das Konzept passen, werden entgegengenommen und die Vorschläge unter Umständen nochmals revidiert. In ihrer endgültigen Fassung werden dann die Pläne dem Gesetzgeber, d. i.dem Nationalen Volkskongreß, vorgelegt, ein Akt von nurmehr formaler Bedeutung, da dieses Gremium Gesetze unverändert und einstimmig anzunehmen pflegt.

Kurzfristige Planung Die kurzfristige Planung, insbesondere die Jahrespläne, füllt den Rahmen der großen Mehrjahrespläne. Die langfristige Planung schreibt der kurzfristigen Planung den grundsätzlichen Kurs vor. Gesetzeskraft erhält indessen erst der Jahresplan, dessen Ausarbeitung als Routinevorgang den Regierungs-und Verwaltungsstellen überlassen bleibt. Die Partei beschränkt sich auf die Kontrolle. Die Jahres-pläne werden zunächst von der Staatswirtschaftskommission entworfen.

Danach erhalten die nachgeordneten Stellen, von den Ministerien bis zu den einzelnen Wirtschaftseinheiten, die im Entwurf vorgemerkten Planziffern zur Stellungnahme bzw. Ergänzung. Stellungnahmen und Ergänzungen laufen durch die Zwischenstationen, die dabei filternd und koordinierend wirken, zurück an die Staatswirtschaftskommission, die nun den endgültigen Plan aufstellt und dem Kabinett vorlegt. Das Kabinett bringt den Plan als Gesetz im Nationalen Volkskongreß ein. Bei der Einbringung des Planes wird, ähnlich wie bei der Einbringung von Haushalten in westlichen Ländern, Rechenschaft über das abgelaufene Planjahr abgelegt. Dieser Akt erfolgt im allgemeinen im Sommer des betreffenden Planjahres; jedoch ist vorgesehen, später den Plan bereits im November des Vorjahres einzubringen.

Die Erfordernisse der Planung und Lenkung haben maßgeblich bei der Formung des Regierungsapparates mitzuwirken. Spezialeinrichtungen wie die Staatsplanungskommission und die Staatswirtschaftskommission — Überministerien, wenn sie formal aus den Ministerien nur gleichgestellt sind — wurden bereits erwähnt. Von großer Bedeutung sind außerdem die „Staatsaufbaukommission“ und die „Kommission für technischen Fortschritt“. Ersterer obliegt die Ausführung und Kontrolle der gesamten Investitionstätigkeit bei den großen Schlüssel-

projekten; letztere hat als Aufgabe die Verbreitung des technischen Fortschritts und die Kontrolle seiner Anwendung. Die genannten vier Kommissionen arbeiten vornehmlich mit den zahlreichen Wirtschaftsministerien zusammen, von denen dann der Instanzenzug zu den einzelnen Wirtschaftseinheiten führt. Die im Westen üblichen Ministerien auf dem Wirtschaftssektor wie das Finanzministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Arbeitsministerium, das Postministerium usw. sind in China weiter stark aufgeteilt. Hier gab es nach dem Stand vom 1. April 1957 auf dem Gebiete der Wirtschaft 31 bei insgesamt 41 Ministerien, und zwar Ministerien für:

Finanzen Forstwirtschaft Handel Fischwirtschaft Außenhandel Wasserwirtschaft Arbeit Verkehr Landwirtschaft Eisenbahn Lebensmittelversorgung Post-, Telegraphen-Staatsfarmen und und Telefondienst Neulandgewinnung Bauwesen Geologie Städtische Dienste Metallurgische Industrie Kohlenindustrie Maschinenbau (I)

Chemische Industrie Maschinenbau (II)

Baustoffindustrie Maschinenbau (III)

Kraftstromindustrie Holzindustrie Industrie zur Erzeugung von Leichtindustrie Ausrüstungen für die Kraftstromindustrie Lebensmittelindustrie Erdölindustrie Städtebau Hinzu kommen die 4 oben erwähnten Kommissionen von insgesamt 7 Kommissionen. Unmittelbar dem Kabinett unterstellt sind außerdem noch die folgenden wichtigen Wirtschaftsbehörden: Statistisches Büro Volksbank Verwaltungsbüro für Zentralbüro für das Versorgungsfragen Handwerk Zivile Luftfahrtverwaltung Trotz des gewaltigen Apparates, trotz aller organisatorischer Anstrengungen, diesen noch zu vervollkommnen, und trotz der Anleitung durch das sowjetische Beispiel ist jedoch die chinesische Wirtschaftsplaung bisher kein sehr fester Rahmen für die tatsächliche Entwicklung gewesen. Die Planziele wurden wieder und wieder revidiert oder sie wurden überhaupt erst so spät bekanntgegeben, daß sich die voraussichtliche Entwicklung bereits vollständig übersehen ließ. So wurde der erste Fünfjahresplan erst vollständig bekannt, als die Planperiode schon zu über ihrer Hälfte abgelaufen war. Die Optik der chinesischen Wirtschaftsplanung bot durch Anwendung solcher Methoden für den flüchtigen Beschauer ein recht günstiges Bild. In Wirklichkeit war die chinesische Wirtschaftsplanung aber ein langsames Herantasten „by trial and error“ statt kühner deduktiver Vorausberechnung des Planzieles. Zu erwähnen ist schließlich noch, daß die chinesische Planwirtschaft keineswegs von den Mängeln frei ist, die nach allen bisherigen Erfahrungen untrennbar mit solchen Wirtschaftssystemen verbunden sind, wie z. B. Qualitätsverschlechterungen zugunsten der Erfüllung des um jeden Preis zu erreichenden oder möglichst zu übertreffenden Mengensolls, Hortung von Rohstoffen bei Betrieben und Verwaltungsstellen und bewußte Falschmeldungen, um die eigene Leistung herauszustellen oder Fehl-leistungen zu bemänteln. Trotz aller Mängel und Schwierigkeiten und trotz der häufigen Revisionen der Planziele darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die chinesischen Planer im ganzen doch verstanden haben, die grundsätzlichen Prioritäten konsequent durchzusetzen. Ihre Konzeption des Wirtschaftsaufbaus haben sie im Prinzip gewahrt, auch wenn sie sich in den Details immer wieder den Realitäten anpassen mußten.

X. Die Planungsziele

Die chinesische Wirtschaftsplanung läßt sich in ihrer grundlegenden Konzeption nur verstehen, wenn man sich zweierlei vergegenwärtigt: 1. Der Wirtschaftsaufbau dient nicht, wie in anderen Entwicklungsländern, vornehmlich besserer Bedarfsdeckung, sondern ist, und zwar ganz in erster Linie, Mittel zur Umformung der Gesellschaftsordnung. Im Vordergrund steht, durch die Industrialisierung eine Industrie-arbeiterschaft als tragende Klasse der sozialistischen Ordnung zu schaffen; Industrialisierung ist im Falle Chinas sicher auch wirtschaftlich notwendig und zweckmäßig, ihre besondere Forcierung und die gewählte Richtung jedoch sind weitgehend auf die gesellschaftspolitische Zielsetzung zurückzuführen. 2. Der Wirtschaftsaufbau erfolgt in Frontstellung gegen die kapitalistische Welt; deswegen Aufbau zunächst einer Schwerindustrie, um von den ersten Verarbeitungsstufen an wirtschaftlich unabhängig zu werden, und um eine breite Basis für die Rüstung zu haben. Die Identität von Sozialismus und Schwerindustrie geht in der Praxis so weit, daß man mit Recht sagen kann, daß eine Verschiebung der Prioritäten zugunsten der Leichtindustrie über eine gewisse Grenze hinaus die Abkehr vom Sozialismus bedeuten würde. Für eine solche Schwenkung ließ sich aber in China bislang nicht das geringste Anzeichen erkennen. Industrialisierung mit Schwerpunkt auf der Schwerindustrie (hauptsächlich metallurgische Industrie und Maschinenbau, dazu die Energiewirtschaft) sind die a priori gegebenen Ziele der chinesischen Wirtschaftsplanung. Ihrer Förderung wird grundsätzlich alles andere untergeordnet.

Die Planer haben allerdings einsehen müssen, daß sich gewisse Entwicklungsgrenzen nicht überschreiten lassen. Es hat sich gezeigt, daß man die Prioritäten nicht zu sehr akzentuieren darf. Wird ein Sektor der Volkswirtschaft zu stark vernachlässigt, so hemmt dies auch die Entwicklung in den Sektoren, deren Förderung der Wirtschaftspolitik besonders am Herzen liegt. Das beste Beispiel liefert in China die erzwungene Änderung in der Einstufung der Landwirtschaft. Sehr bald mußte die zunächst ganz einseitig auf die Industrialisierung gerichtete Planung dahingehend korrigiert werden, daß nun auch die Landwirtschaft einen größeren Anteil der Förderungsmaßnahmen erhält.

Auch in der Sowjetunion hatte sich seinerzeit das gleiche Problem in womöglich noch größerer Schärfe als später in China ergeben, daß nämlich bei der wirtschaftlichen Entwicklung gewisse Proportionen gewahrt werden müssen, wenn der Wirtschaftsaufbau nicht ganz in Frage gestellt werden soll. Das Auftauchen dieses Problems hatte damals auch zur eingehenden theoretischen Beschäftigung mit diesen Fragen geführt. In China wird heute diese Diskussion intensiv fortgeführt. Den Abhandlungen darüber haften zwar noch immer die deterministischen Eierschalen der marxistischen Lehre an, insofern als in ihnen unterstellt wird, daß in der sozialistischen Wirtschaft gewisse „Gesetze“ wirksam sind, die eine richtige Entwicklung gewährleisten, und nach denen man sich richten kann In Wirklichkeit muß die Planwirtschaft, wie für den Fall China schon oben gezeigt wurde, die optimale Entwicklung „by trial and error“ ertasten, da es keinerlei Maßstäbe oder „Gesetze“ gibt, die die Planer von vornherein richtig leiten könnten. Immerhin macht diese Diskussion offensichtlich, daß in den kommunistischen Wirtschaften der Sinn mittlerweile dafür geschärft worden ist, daß in der Entwicklung gewisse Proportionen gewahrt werden müssen, und daß man die Prioritäten der Planziele nicht ad libitum willkürlich verstärken kann, selbst wenn Kapital ausreichend dafür bereitgestellt wird.

Angesichts der Geheimhaltung der wichtigsten Plandaten ist es naturgemäß schwierig, das Gewicht der Prioritäten festzustellen. Einen gewissen Anhalt gibt nur die Aufteilung des Ausgabenpostens „Wirtschaftlicher Aufbau“ im Staatshaushalt nach Schwerindustrie, Leichtindustrie, Landwirtschaft, Verkehr und Sonstiges. Eine Prüfung der betreffenden Ziffern über die letzten Jahre zeigt, daß, obwohl zwischenzeitlich in der chinesischen Propaganda die Modifikation des Verhältnisses von leicht-industriellen zu schwerindustriellen Investitionen eine große Rolle gespielt hat, sich tatsächlich dieses Verhältnis nur unwesentlich verändert hat. Es lag bisher ausnahmslos immer über 1 : 7. Eine nicht nur absolute, sondern auch anteilmäßige Zunahme ist dagegen bei den Staatsausgaben für die Entwicklung der Landwirtschaft festzustellen, die erkennen läßt, daß die Landwirtschaft im Range gestiegen ist. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Investitionen hinzuzählt, die nicht über den Staatshaushalt laufen und die in der Industrie fast gar keine, in der Landwirtschaft aber eine sehr große Rolle spielen. So ist nach chinesischen Angaben allein im Winter (Oktober —Januar) 1957/58 bei landwirtschaftlichen Meliorationen eine Arbeitsmenge eingesetzt worden, die bei einer Bewertung des Arbeitstages je Person mit 0, 60 JMP einem Betrag von 6 Mrd. JMP entspräche. Der Kapitalwert der geschaffenen Anlagen, wenn man ihre Produktionskapazität kapitalisieren könnte, würde ein mehrfaches dieses Betrages darstellen.

Recht anschaulich und aufschlußreich spiegeln die jeweiligen Propagandaparolen zur Kennzeichnung der Merkmale des wirtschaftlichen Aufbaues die Verschiebung der Akzente der wirtschaftspolitischen Zielsetzungwider. Zunächst war nur von „Industrialisierung mit der Schwerindustrie als Kern“ die Rede. Etwa 1956 steht der Entwicklung als Leitsatz voran: „Industrie und Landwirtschaft gleichzeitig zu entwickeln, jedoch unter Wahrung des Vorrangs der Schwerindustrie“. In der letzten Zeit ist außerdem der Leitsatz „Großbritannien in 15 Jahren auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Leistungen übertreffen“ immer mehr in den Vordergrund getreten, analog zu der Forderung der sowjetischen Führung an ihre Wirtschaft, im gleichen Zeitraum die LISA zu überflügeln. Hier zeigt sich anschaulich die Rolle, die die Frontstellung gegen die kapitalistischen Länder beim Wirtschaftsaufbau spielt. Bezeichnenderweise sind es aber nicht die britischen Zahlen für Eis-schränke, Radioapparate, Fettverbrauch je Kopf der Bevölkerung u. ä., die China nach 15 Jahren erreicht haben will, sondern Ziffern für die Eisen-und Stahlerzeugung, für die Kohleförderung und allenfalls noch für die Herstellung von Kunstdünger.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu besonders die Werke von Prof. Wittfogel: Wirtschaft und Gesellschaft Chinas, Leipzig 1931, und Oriental Despotism, New Haven 1957.

  2. Y. L. Wu: An Economic Survey of Communist China, L*don 1956, S. 201

  3. JMP = jen-min-piao 1 JMP etwa 1, 71 DM.

  4. Direktiven über die Verbesserung des Systems der staatlichen Industrieverwaltung, des staatlichen Handels und der staatlichen Finanzwirtschaft vom 14. November 1957.

  5. Vgl. dazu auch den Aufsatz des Verfassers „The Law of Proportional Development" in Contemporary China II, 1956/57, Hongkong, S. 100.

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