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Die Ostvertreibung als wissenschaftliches Problem | APuZ 17/1960 | bpb.de

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APuZ 17/1960 Die Schule vor den Ansprüchen der Gegenwart Die Ostvertreibung als wissenschaftliches Problem

Die Ostvertreibung als wissenschaftliches Problem

THEODOR SCHIEDER

Idi bekenne midi zu dieser Auffassung und meine, daß es berechtigt ist, die Schule auch von diesem Standort aus zu betrachten. Meine Aufgabe bestand darin, mit der Aufdeckung der Antriebe und mit der Analyse und Diagnose der Zeitströmungen und Situationen der Gegenwart zugleich die Wichtigkeit und Tragweite aller dieser Ansprüche verständlich zu machen. Es ist aber nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion nicht überflüssig, noch einmal an Art und Absicht der Tätigkeit des Deutschen Ausschusses zu erinnern. Er ist beauftragt, einen Gesamtplan in Form einer Empfehlung — abseits von Legislative und Exekutive — vorzulegen. Der Rahmenplan ist also kein Gesetzentwurf, auch kein auf suggestive Wirkung berechnetes Manifest. Er will eine Diskussionsgrundlage bieten, und er darf erwarten, daß seine Vorschläge ernst genommen werden, indem man sie entweder akzeptiert oder ihnen andere entgegenstellt, von denen man meint, daß sie besser sind und — was die Hauptsache ist — daß ihnen eine stärkere Überzeugungskraft innewohnt. Mit der allgemeinen Auffassung, daß die Schule mit den Anforderungen der Zeit zu konfrontieren sei, spricht der Deutsche Ausschuß nicht nur seine eigene Meinung aus, sondern er befindet sich nachweislich darin in voller Übereinstimmung mit denen, die ihn vor sechs Jahren berufen haben.

Mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Zeitgeschichte und der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, bringen wir aus den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" (Nr. 1/Januar) den nachfolgenden Artikel zum Abdruck.

Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ist ein Stück der deutschen Katastrophe in der jüngstvergangenen Geschichte. Als Gegenstand der historischen Betrachtung enthält sie die ganze Problematik, die mit jeder zeitgeschichtlichen Forschung verbunden ist, ja diese Problematik ist noch vielfältig gesteigert: ein Ereignis, das in das Schicksal von Millionen unbarmherzig eingegriffen, seit Jahrhunderten gefügte Lebensordnungen zerstört und die Geschichte von Generationen annulliert hat, ist bei uns allen, die wir Miterlebende waren, so mit Gefühlsmomenten beladen, daß für ruhige wissenschaftliche Einsicht noch kein Raum zu sein scheint. Die Schwierigkeiten zeitgeschichtlicher Arbeit komplizieren sich aber auch noch in anderer Weise: der Historiker begegnet, sooft er Ereignisse der nahen Vergangenheit behandelt, nicht selten dem Vorwurf von Mithandelnden, ihm fehle die Kompetenz, die persönliche Erfahrung, um Entscheidungen zu beurteilen, an denen er nicht selbst beteiligt gewesen sei. Der Handelnde will nicht nur als historischer Zeuge, als Quelle gehört werden, er glaubt auch, sein eigener Geschichtsschreiber sein zu können. Ich will die Billigkeit dieses Anspruchs hier nicht prüfen, sondern nur darauf hinweisen, daß die Diskussion zwischen Historikern und Mithandelnden der Zeitgeschichte so lange auf einen kleinen Kreis beschränkt bleibt, als es um Fragen der hohen Politik geht. Dies wird anders, wenn das Lebens-schicksal von Tausenden und Millionen auf die Waage gelegt wird. Hier ist jeder Zeuge gewesen und beansprucht als Sachverständiger gehört zu werden; jeder hat ein tiefes Mißtrauen gegen jene Art von innerer Neutralität, wie er sie bei jeder wissenschaftlichen Behandlung einer von ihm leidvoll erduldeten Wirklichkeit beargwöhnt. Niemand wird einem Historiker der alten Geschichte vorwerfen, er sei nicht bei Cäsars Tod dabei gewesen, über den er schreibt. Dem Historiker der Zeitgeschichte indessen, noch dazu wenn er Massenschicksale behandelt, bleibt ein entsprechender Vorwurf für die von ihm geschilderten Ereignisse nicht erspart. Es zeigt sich, daß die Geschichte, wenn sie noch nicht ganz dem gegenwärtigen Leben entrückt ist, wenn sie noch ein Stüde lebendiges Dasein ist, andere Maßstäbe verlangt als die geistige Wiedererweckung, die Verlebendigung einer restlos dem Tode verfallenen Vergangenheit.

Hier liegt das tiefste Problem des Zeithistorikers: kann er der Geschichte seiner Zeit gegenüber, mit der er durch viele Bande verknüpft ist, das wunderbare Schauspiel, wie Jacob Burckhardt sagt, genießen, „deut Geist der Mensdiheit erkennend nadtzugehen“, ja kann er es überhaupt genießen wollen? Ich meine, es wäre falsch, sich den Gegensatz zwischen Erlebnis und Einsicht, zwischen anteilnehmender Empfindung und verstandesmäßiger Analyse als einen unüberbrückbaren vorzustellen. Täten wir das, dann würden wir unser Geschäft als Historiker verfehlen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, nicht nur andere Zeiten und Völker, sondern auch uns selbst ständig „historisch“ zu nehmen, d. h. unter das Gesetz der forschenden Kritik zu stellen. Eine reine „Erlebnishistorie“ wäre keine wissenschaftliche Historie mehr; das alte Wort „Erkenne dich selbst" gilt auch für den Bereich der geschichtlichen Forschung als ein oberstes Gebot. Wir müssen auch die schrecklichen Erlebnisse, die tiefen Gemütseindrücke auf eine höhere Stufe des Bewußtseins zu heben versuchen, indem wir sie in den großen geschichtlichen Zusammenhang stellen, aus dem sie für unser Bewußtsein gerade durch ihre alles Maß überschreitende Furchtbarkeit herausfallen. Der Historiker kann dabei den ehrlichen Makler spielen in dem Gegeneinander der Empfindungen und Leidenschaften, von denen die Mithandelnden verzehrt werden. Er wird ein geläutertes Bild der Wirklichkeit — und sei es die entsetzlichste — als Ziel vor Augen haben und von der Überzeugung nicht lassen, daß von diesem geläuterten Bild stärkere Strahlen ausgehen als von einer aus den Impulsen des Moments entworfenen Skizze.

Die Vertreibung — eine europäische Katastrophe

Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten war ein Massenvorgang, zusammengesetzt aus unzähligen Einzelschicksalen, gelenkt von Kräften, die wir bis heute nur unvollkommen erfassen können. Sie stand am Ende eines Krieges, der in seiner fast sechsjährigen Dauer nicht nur die größten bis dahin gezählten Menschenverluste, sondern auch die größten Menschenbewegungen seit Jahrhunderten in Gang gebracht hat. Dieser Krieg wich aber nicht nur im quantitativen Sinne von aller bisherigen historischen Erfahrung ab, in ihm ist auch eine qualitative Veränderung sichtbar geworden; der Mensch wird in einem Maße Herr von technischen Mitteln, daß ihm alles planbar erscheint: jede Art von Zerstörung, jede Veränderung des Menschenschicksals im Dienste der Macht, jede Verpflanzung und Verschiebung der Bevölkerung. Das moralische Bewußtsein, daß auch den Krieg nur als ein Instrument für die Schaffung neuer politischer Ordnungen im Rahmen der durch die Geschichte gezogenen Grenzen gelten läßt, geht verloren; der Krieg setzt vielmehr die hybride Vorstellung frei, aus jeder geschichtlichen Überlieferung herausspringen und etwas im Sinne einer beliebigen Machträson Endgültiges schaffen zu können. In diesem Irrglauben wurde der Zweite Weltkrieg von Hitler ausgelöst und wurde er von ihm vor allem in Osteuropa geführt; aber dieser Irrglaube ergriff auch seine Gegner, von denen manche glaubten, sie könnten die Existenz eines hochentwickelten, industriell und technisch erfahrenen Volkes auslöschen und an seine Stelle ein „pastoralisiertes", will heißen: auf die Stufe ländlicher Wirtschaft zurückgeführtes Deutschland setzen. Wir haben dafür bisher nur Belege von einzelnen Politikern des Westens wie von dem amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau; wir ahnen aber, daß in den Planungen der kommunistischen Vormacht noch ganz andere Pläne zum Vorschein kommen würden. Schließlich hat wiederum Hitler dem Gedanken der Manipulierbarkeit von Bevölkerungen, der schon im militärisch-strategischen Denken des Ersten Weltkriegs eine bedeutsame Rolle gespielt hatte durch seine Rückführungspolitik von deutschen Volksgruppen, aber auch durch gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen aller Art bis zu Plänen der Aussiedlung ganzer Völker: der Tschechen, der Polen, ganz abgesehen einmal von der Behandlung der Juden, neuen Auftrieb gegeben. Er hat damit gleichsam den Startschuß gegeben für all das, was nachher kam und was nun über das deutsche Volk hereinbrach. Sicherlich kann die Vertreibung der Deutschen aus ihren vielhundertjährigen Wohngebieten nicht allein daraus abgeleitet werden: im Kriege liegt immer und überall die radikalste Lösung, die mit Gewalt erzwingbar ist, in der Luft, und aus vielfältigen Quellen ist der Gedanke des sog. Bevölkerungstransfers entstanden, wie wir noch sehen werden. Vorerst sei nur der ganze geschichtliche Hintergrund abgeleuchtet, vor dem die Ereignisse seit 1944/45 stehen und ohne den man sie nicht richtig würdigen kann. Die Austreibung nach 1945 ist, wie ich am Anfang schon sagte, ein Stück der deutschen Katastrophe, sie ist aber noch viel mehr; sie ist eine europäische Katastrophe, ein Eingeständnis dafür, daß die europäischen Völker, die sich in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen als eine Einheit im Gegensatz, eine coincidentia oppositorum erwiesen hatten, nicht mehr miteinander leben zu können glaubten, ohne sich gegenseitig zu vernichten.

Aber ich eile mit Überlegungen und Ergebnissen voraus und muß mich zuerst auf die Vorfragen konzentrieren; daß dies nicht in theoretischen Erwägungen geschieht, sondern aus sehr praktischen Erfahrungen, hat seine Gründe in der Tatsache einer nun schon acht Jahre dauernden Arbeit, die eine Gruppe von Historikern dem Gegenstand der Vertreibung als einer wissenschaftlichen Aufgabe gewidmet hat

Am Beginn dieser Arbeit stand die Grundlegung einer wissenschaftlichen Methode, einer Methode sowohl für die Quellensammlung wie für die Auswertung dieser Quellen in einer ersten zusammenfassenden Darstellung.

Die methodische Problematik lag vor allem bei der Quellensammlung, und es ist nötig, sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Quellensammlungen und daraus hervorgehende Editionen von Dokumenten sind in der auf Zeitgeschichte gerichteten modernen Geschichtsschreibung, in der modernen Publizistik und auch in der offiziellen Publizistik der Staaten zuerst vor allem im Zusammenhang mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges veranstaltet worden. Diese Dokumentensammlungen waren aber samt und sonders auf amtlichem Material aufgebaut, d. h. es war möglich, auf den reichen Inhalt der Archive zurückzugreifen und dort den Niederschlag der politischen Ereignisse an Hand von Akten festzustellen und nun nach einem bestimmten Auswahlverfahren diese Dokumente zu publizieren. Dieses Unternehmen hat vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach der Kriegsschuld von 1914 auch eine unmittelbare politische Bedeutung gehabt. Kurz nach dem Umschwung im Frühjahr 1919 ist in Deutschland der Entschluß gefaßt worden, der These von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands, wie sie im Versailler Frieden ihren Niederschlag fand, dadurch entgegenzutreten, daß man das Material des Auswärtigen Amtes über die Vorgeschichte des Weltkrieges bis zurück zur Gründung des Bismarckschen Reiches von 1871 veröffentlichte. Ein in der Zielsetzung völlig richtiges und großartiges und in seiner Durchführung bei allen Mängeln und zu erhebenden Einwänden im allgemeinen auch gelungenes Unternehmen. Deutschland hatte mit diesem Unternehmen das Eis gebrochen und den Anstoß dazu gegeben, daß nun alle Groß-mächte — mit alleiniger Ausnahme Italiens, das erst jetzt nach dem Zweiten Weltkrieg den Anfang gemacht hat — ähnliche Dokumenten-veröffentlichungen einzuleiten begannen. Wir fußen infolgedessen nicht nur auf einer breiten Quellengrundlage für die wissenschaftliche Erforschung der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, sondern besitzen auch einen wertvollen Beitrag für die Bildung eines allgemeinen politischen Bewußtseins, das sich in der Geschichtswissenschaft über die Grenzen der Nation hinweg auszubilden begann. Daß dieses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges zum großen Teil wieder zerstört wurde, steht auf einem anderen Blatt, aber bis in den Anfang der 30er Jahre hat diese große Editionswelle, die von Deutschland ausgegangen ist, erheblich zur Klärung der Zusammenhänge und — man muß auch sagen — zur Klärung der Atmosphäre beigetragen. Ich betone das so ausdrücklich, weil ich glaube, daß eine gewisse Parallelität zu dem Unternehmen vorliegt, das wir jetzt nah dem Zweiten Weltkrieg begonnen haben: der Dokumentation der Vertreibung. Diese Parallelität liegt allerdings nur im Bereiche der politischen Bedeutung und viel-leiht auh der zu erhoffenden reinigenden Wirkung. Dagegen waren die methodishen Voraussetzungen diametral entgegengesetzte. Der bequemere Weg, in die Arhive zu gehen, erwies sih als unbegehbar, da es Akten über den Vertreibungsvorgang auf deutsher Seite überhaupt niht gibt und die Akten der Länder, die die Vertreibung vorbereitet und ausgeführt haben, uns niht zur Verfügung stehen. Wir standen vor der Tatsahe, daß ein großer, in unserer bisherigen europäishen Geshichte ganz unerhörter Vorgang geshehen war, ohne daß die Geshichtsshreibung auh in Zukunft eine Möglihkeit hätte, Quellen dafür zu finden und daraus eine Darstellung aufzubauen.

Das Unternehmen, das der deutshen Wissenshaft aufgegeben war, mußte also zweierlei zum Ziele haben. Es mußte erst einmal die Quellen sozusagen hervorbringen, d. h. aus der Verborgenheit in der Erinnerung von Tausenden ans Tageslicht bringen, um sie dann publizieren zu können. Eine gegenüber der Quellenveröffentlichung zur Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs völlig andersartige Aufgabe, die damit gestellt war. Wie sollte ein Massenvorgang, der in seiner ersten Phase — der Fluchtbewegung — kaum einer Steuerung von oben unterlag und der dann in seiner weiteren Entwicklung — während der Phase der Aus-treibung — von fremden, bis heute ungreifbaren politischen Mächten erzwungen war, dokumentarisch belegt werden? Man mußte auf die Betroffenen, die Opfer dieser gewaltsamen Entscheidungen, zurückgreifen und aus der Vielzahl einzelner Äußerungen das Ganze zu rekonstruieren suchen.

Übliche Befragungsmethoden reichen nicht aus

Nun hat die sogenannte Meinungsforschung eine ganz neue Form der soziologisch-statistischen Erfassung von Haltungen und Einstellungen, die nicht einzelne, sondern ganze Massen, große Gruppen betreffen, herausgebildet. Sie entwickelt ein Verfahren, das durch die systematische Befragung repräsentativer Bevölkerungsgruppen glaubt, sichere Ergebnisse über die Auffassung, die Meinung einer großen Gruppe, ja einer ganzen Nation, zu bestimmten Fragen eruieren zu können. Man fragt 4000 Menschen, die in ihrer sozialen Zusammensetzung etwa dem soziologischen Aufbau eines ganzen Volkes entsprechen, und man tut dies immer mit ganz konkreten Fragen. Man wird dadurch instand-gesetzt, bestimmte Reaktionen zu registrieren, kann aber niemals darstellende Berichte über große Ereigniszusammenhänge auf diesem Wege gewinnen. Gelegentlich sind auch im Zusammenhang der Erforschung der Vertreibung Versuche unternommen worden, ähnliche Formen der Befragung auf die Rekonstruktion von Erinnerungsbildern anzuwenden. Dies ist äußerst gefährlich und beruht auf dem Mißverständnis, daß man Meinung und Erinnerung auf die gleiche Weise ermitteln könne. Wenn man nämlich, wie dies geschehen ist, mit einem Schema ganz präzis gestellter Fragen an den einzelnen, der die Erinnerung an ein schweres Schicksal in sich trägt, herantritt, dann wird auch die Antwort sehr schematisch ausfallen. Der einzelne wird in der Reihenfolge der ihm gestellten Fragen antworten. Er wird über bestimmte Dinge sicherlich eine bestimmte Anschauung haben, soweit er wirklich etwas erlebt hat, über andere dagegen nur sehr unbestimmte Vorstellungen; der Unterschied zwischen beiden wird aber durch schematische Befragung verwischt. Wir haben es gelegentlich erlebt, daß unbestimmte Vorstellungen von dem Befrager sehr oft fälschlicherweise in konkrete Antworten verwandelt werden. Ich nenne ein Beispiel, das sehr charakteristisch ist: In einem der jugoslawischen Lager ist eine bestimmte Zahl von Personen gestorben, die auf Grund eines genau belegten Berichtes eines Arztes, der darüber Buch geführt hat, bekannt geworden ist.

Merkwürdigerweise geben nun alle anderen, die über dieses Lager befragt worden sind, fast dieselbe Zahl an: der eine etwas mehr, der andere etwas weniger. Hier ist ganz eindeutig gerade die genaue Antwort ohne Aussagewert, denn der einzelne Insasse des Lagers kann sie gar nicht wissen. Er kann sie auch kaum schätzen, sondern es ist offensichtlich so, daß die präzise Zahl des Arztes auch dem Vernehmer bekannt war, und dieser sie durch die Art seiner Fragen ins Spiel gebracht hat. Die Angabe divergierender Zahlen, die bei einem Befragten ruhig eine Verschätzung durchgehen läßt, hätte hier die Glaubwürdigkeit des Aussagenden, erhöht. Die von der Soziologie oder Meinungsforschung entwickelten Befragungsmethoden reichen für die Rekonstruktion geschichtlicher nicht aus; denn der Problemkreis, Ereignisabläufe mit dem wir es hier zu tun haben, ist bei diesen ein ganz anderer. Wir wollen bestimmte Vorgänge mit bestimmtem Schwergewicht kennenlernen und müssen uns also überlegen, wie es gelingt, dafür den gültigen Ausdruck zu finden, der sowohl repräsentativ ist für einen größeren Kreis, wie auch spezifisch für das bestimmte Ereignis, um das es sich handelt. Das Spezifische eines besonderen Ereignisses in einer individuellen Ausprägung muß festgehalten werden, was nur in deskriptiver Form und nicht statistisch möglich ist, und es muß bei einer Massendokumentation im individuellen Vorgang etwas Allgemeineres erfaßt werden. Es genügt aber andererseits auch nicht, individuelle Schicksale nebeneinander zu reihen. Individuelle Schicksale sind wohl für den einzelnen, seine Familie, seinen Nachbarschafts-und Freundschaftskreis wesentlich, aber man kann nicht einfach einen Vorgang, der an einer großen Gruppe von Menschen geschehen ist, additiv aus Einzelschicksalen zusammensetzen.

Auch das repräsentative Verfahren, statistisch errechnete Querschnitte des soziologischen Aufbaus einer Bevölkerung in kleinen Befragungsgruppen zu erfassen, versagt gegenüber Ereignissen, deren Durchschlagskraft soziale Unterschiede auslöschte und gerade nicht heraustrieb. Von östlicher Seite ist der Dokumentation, wie es kaum anders zu erwarten war, der Vorwurf klassenmäßiger Befangenheit — von anderem zu schweigen — gemacht worden. Ein Kritiker der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft hat sich die Mühe gemacht, die soziologische Struktur der Berichterstatter der beiden ersten Bände zu ermitteln und kommt dabei zu dem Ergebnis, unter diesen Berichterstattern seien nur 1, 1 % „Arbeiter und Personen, die wöglidterweise als solche gelten können“. In den wenigen Berichten dieser Herkunft fände sich nichts, was die Besatzungsmacht belaste; dagegen könne man sagen „je höher die Klassenlage, desto greulicher die Schilderung“. Nun hat der Kritiker der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft offenbar übersehen, daß in den Berichten von deutschen Arbeitern u. a. erzählt wird, 50’/o der zurückgebliebenen Leute seien gestorben oder daß eine deutsche Landarbeiterfrau davon schreibt, ihr tägliches Morgen-und Abendgebet sei gewesen „wann fahren wir“ d. h„ wann kommen wir aus der polnisch gewordenen Umwelt heraus. Doch dies ist es eigentlich nicht, was man ihm entgegenhalten sollte, es geht um viel grundsätzlichere Dinge: es trifft einfach nicht zu, daß die Rote Armee bei ihrem Einmarsch in Ostdeutschland ein klassenkämpferisch gestuftes Auswahl-prinzip angewandt hat, weder in ihrer Behandlung der Frauen, noch in der Verhängung von Hunger und Entbehrungen, noch schließlich bei der Vertreibung selbst, die ausnahmslos alle Deutschen ohne Unterschied der Klasse und des Standes getroffen hat. Deutlicher als in den überwiegend agrarischen ostdeutschen Reichsgebieten läßt sich dies in dem hochindustriellen Sudetenland feststellen: gewiß wurden die sudeten-deutschen Antifaschisten bei der Vertreibung um einige Nuancen besser behandelt, vor dem Schicksal der gewaltsamen Entfernung aus ihrer Heimat wurden sie aber sowenig bewahrt wie alle andern Bevölkerungsgruppen So flüchteten sich die sozialistischen Arbeiter des Industriebezirks Tetschen-Bodenbach vor den Terrormaßnahmen der Tschechen in ein ehemaliges Konzentrationslager und bildeten dort eine Art „Antifa-Republik". Wenn die sowjetische Politik allerdings mindestens ein klassenkämpferisches Nebenziel mit der Mobilisierung von Millionen verfolgt hat, so war es dieses, aus den deklassierten Massen der Vertriebenen insgesamt einen Sozialrevolutionären Sprengstoff zu schaffen, der die Entwicklung zur kommunistischen Revolution vorantreiben sollte.

Niemand natürlich wird bestreiten wollen, daß die Menschen, einzelnen die ihre Erlebnisse niederschrieben, sehr verschiedenen Bevöl-kerungsgruppen angehören, wenn diese auch keineswegs in einem vorgefaßten Klassenschema untergebracht werden können. Das Erlebte, daß sie im Gedächtnis tragen, ist nicht nur deshalb nicht dasselbe, weil die erlebten Ereignisse verschieden waren, sondern auch, weil die Erlebnis-möglichkeit gestuft ist. Es gibt Menschen, die auf der untersten Stufe der Erlebnismöglichkeit — die gar nicht mit ihrer sozialen Stellung zusammenzufallen braucht — nur als Opfer eines solchen Ereignisses betroffen werden und auch nur diesen Charakter des Opfers darzustellen vermögen. Sie sind gar nicht in der Lage, etwa dahinterstehende Absichten eines Gegners zu erfassen. Sie sehen also nicht, was der Gegner politisch damit will, wenn er sie hungern läßt, sondern sie sehen nur den Hunger und seine Folgen. Aber es kann von einem Gegner mit Aushungerung etwas ganz Verschiedenes bezweckt werden. Er kann seine Opfer vernichten, er kann sie mürbe machen wollen, um sie zur Nachgiebigkeit gewillt zu machen und zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Dies ist aus dem subjektiven Erlebnis des Opfers nicht ohne weiteres zu erschließen. Die Häftlinge der nationalsozialistischen Konzentrationslager haben das „System“ der Lager mit ihren verschiedenen Kategorien selten durchschauen können; ähnliches gilt für die Insassen der Lager, in die in der Vertreibungsperiode Deutsche in vielen Ländern gebracht wurden. Ob es sich bei ihnen um Straflager, um Lager für Zwangsarbeit, um Sammellager für die Austreibung handelte, kann erst durch primäre Quellen neben den sekundären aufgehellt werden. Der Gedanke, geschichtliche Quellen als Niederschlag amtlicher, vor allem staatlicher Tätigkeiten in vollem Umfange durch nachträgliche Zeugen-protokolle ersetzen zu können, erweist sich gerade gegenüber allen Formen eines systematisierten Terrors als unausführbar, da dieser Terror auf Lenkung durch politische Zentralen beruht. Wir werden also immer versuchen müssen, auf den Boden primärer Zeugnisse zurückzukehren. Für die Austreibung ist dies bisher nur in sehr beschränktem Maße möglich: wir sind unter den heutigen wissenschaftlichen und politischen Bedingungen nur in der Lage, die subjektiven Erlebnisberichte mit der Gesetzgebung und dem Verordnungswesen der die Austreibung dirigierenden Staaten zu konfrontieren. Dieses Verfahren, das erst möglich geworden ist, seitdem die nötigen Texte aus den Nachkriegsjähren, zum Teil mit erheblichen Mühen, beschafft werden konnten, läßt bereits wichtige Aufschlüsse gewinnen. Mancher Vorgang, der dem duldenden und leidenden Einzelmenschen unverständlich blieb, kann jetzt auf eine allgemeine Ursache zurückgeführt werden.

Umgekehrt wird aber sehr viel öfter der Scheincharakter einer rechts-förmigen Verfahrensordnung nachweisbar, wenn man ihr die rauhe und brutale Wirklichkeit rechtloser Willkür gegenüberstellt, wie sie in den Erlebnisberichten erscheint. Die Verfolgungsgesetze stimmen im übrigen in allen Ländern in einigen Hauptpunkten überein, unterscheiden sich dagegen in manchen charakteristischen Einzelheiten. Fast durchgängig kann der Versuch festgestellt werden, die Austreibung rechtsförmig durch Ausstoßung aus der Rechtsgemeinschaft und durch Verlust der Staatsangehörigkeit vorzubereiten. Dies geschieht mit den Mitteln der politischen Strafgesetzgebung „gegen Volks-oder Staatsverrat''oder „gegen nazistisch-hitlerische Verbrechen“, die eine Verfolgung individueller Verbrechen und Vergehen mit kollektiven Strafmaßnahmen gegen Andersnationale vermengte. Es ist festzuhalten, daß dieses System gegenüber den Deutschen in den alten Reichsgebieten nicht anwendbar war, da man sie nicht des Verrats am polnischen Staat bezichtigen konnte; dagegen wurde es angewandt auf die Volksdeutschen in Polen. In der Tschechoslowakei war die Rechtsbasis besonders fragwürdig: die tschechische Regierung verneinte zwar die Rechtsgültigkeit des Münchner Abkommens und aller in diesem Zusammenhang stehenden Verträge und Verordnungen, aber sie erkannte ausdrücklich den Staatsangehörigkeitswechsel der Deutschen von 193 8 an; d. h. sie behandelte den Wechsel der Staats an; d. h. sie behandelte den Wechsel der Staatshoheit über das tschechoslowakische Territorium als nichtig, hielt aber an dem Wechsel der Staatsangehörigkeit von Personen fest, nur um diese wegen Verletzung der Staatsloyalität in der seit 21. Mai 1938 datierten „Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik“ nach dem sogenannten Retributionsedikt unter Anklage stellen zu können. Die Aussiedlung selbst erscheint in der Gesetzgebung Polens und der Tschechoslowakei bezeichnenderweise nicht, sondern sie wird als politische Konsequenz des Ausschlusses aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft stillschweigend unterstellt. Nur in Ungarn wurde eine ausdrückliche Aussiedlungsgesetzgebung unter Berufung auf den Alliierten Kontrollrat erlassen 7).

In der Hauptsache auf subjektive Quellen angewiesen

Außer den Gesetzen und Verordnungen der vertreibenden Staaten haben wir bis heute kaum ein anderes primäres Quellenmaterial, um die subjektiven Zeugnisse des Vertreibungsvorganges zu verifizieren, es sei denn die Verhandlungsergebnisse und Verträge der alliierten Militärregierungen in Deutschland und der Behörden Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei. Sie beziehen sich ausnahmslos auf die Organisation der Aussiedlung nach den Potsdamer Beschlüssen und sind für die Beurteilung dieser Phase, vor allem für die Datierung der Transporte und für die Zahl der Ausgewiesenen von großem Gewicht. Im allgemeinen bleiben wir aber auf die gegenseitige Korrektur der subjektiven Quellen, d. h.der Erlebnisberichte angewiesen und müssen eine besondere Art immanenter Kritik betreiben, um den Aussagewert dieser Quellen zu ermitteln. Das ist in der Regel von größtem Nutzen bei dem Versuch, ein richtiges und wahrheitsgetreues Bild von Greueln und Ausschreitungen zu gewinnen. Nirgends schießt die Legende so ins Kraut wie gerade hier und das Entsetzliche wird immer noch entsetzlicher, wenn es von einem zum anderen weitergetragen wird. Der Historiker wirkt hier im wahrsten Sinne wie ein Kriminalist; er muß das Verbrechen in seiner reinen Gestalt zu fassen versuchen. Die innere Glaubwürdigkeit einer Quelle ist aus vielen Indizien — und stets wo es möglich ist, aus dem Vergleich mit anderen Überlieferungen — herzuleiten; das entscheidende Indiz wird aber stets der unwägbare Eindruck der Echtheit und inneren Wahrheit sein. Er liegt bei manchen Dokumenten von größter Ausdruckskraft offen zutage. Mir steht dabei stets ein kurzer Bericht vor Augen, der im I. Teil der Dokumentation abgedruckt ist und einen Vorgang in Ostpommern beschreibt 8): „Gleich darauf kant ein großer Russe rein. Er sagte kein Wort, guckte sich int Zimmer um und ging bis nach hinten durch, wo alle jungen Mädchen und Frauen saßen. Er winkte nur einmal mit dem Finger nach meiner Schwester. Als diese nicht gleich aufstand, trat er dicht vor sie hin und hielt seine Maschinenpistole gegen ihr Kinn. Alle schrien laut auf, nur meine Schwester saß stumm da und vermochte sich nicht zu rühren. Da krachte auch schon der Schuß. Ihr Kopf fiel auf die Seite, und das Blut rann in Strömen. Sie war sofort tot, ohne nur einen Laut von sich zu geben. Der Scltuß war vom Kinn bis zum Gehirn gegangen, die Schädeldecke war völlig zertrümmert. Der Russe guckte uns alle an und verließ, ohne ein Wort zu sagen, das Zimmer.“

Dieser Bericht läßt die vorhin schon erörterten Möglichkeiten erkennen, die das Zeugenschrifttum als geschichtliche Quelle für Massen-ereignisse enthält: es kann typische Situationen in so prägnanter Form beschreiben, das im Einzelschicksal ein Gesamtschicksal sichtbar wird. Das gilt nun keineswegs nur für die dramatischen Vorfälle, die von den Deutschen im Osten während der Schreckenszeit bei Kriegsende erlebt und erduldet wurden; die Geschichte der Vertreibung kann sich nicht in ihrer Darstellung erschöpfen wollen. Sondern es gilt ebenso für die Beschreibung jenes düsteren Alltags, in dem sich die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen der in ihrer Heimat selbst entwurzelten Menschen abspielte. Auch für normale Zeiten fällt es dem Historiker schwer, die täglichen Lebensgewohnheiten und Lebensbedingungen als den Hintergrund der Taten und Entscheidungen aus den Quellen zu erfassen. Man hat eine Zeitlang sogar einen eigenen Zweig der Geschichtswissenschaft, die Kulturgeschichte dafür bemühen wollen; in Frankreich vor allem verlagert sich heute die Historie ganz auf diesen Bereich. Die unzähligen Mitarbeiter der Dokumentation der Vertreibung, ihre Zeugen und Berichterstatter neigten nun in der Mehrzahl dazu, den Ereignissen den Vorzug vor den Verhältnissen zu geben, und es bedurfte mandien Zuspruchs, dieses Vorurteil zu überwinden. Schließlich ist es aber doch gelungen, die Zeugnisse für die allgemeinen Lebensverhältnisse so zu vermehren, daß sie insgesamt, zusammen mit den hierfür besonders wichtigen Gesetzen, ein deutliches Bild geben. Wir kennen jetzt das trostlose Leben in den Städten wie Königsberg, oder in den verschiedenen Lagern, vor allem den jugoslawischen, um den Prozeß der Entfremdung der Heimat zu verfolgen, der sich für viele vor der Austreibung ereignet hat.

Auch sonst läßt sich in großen Zügen der geschichtliche Ablauf der Vertreibung von seinen ersten Anfängen bis in seine letzten Ausläufer fast ausschließlich auf Grund der Zeugnisse der Vertreibungsopfer ziemlich lückenlos verfolgen: die Evakuierung, die nur in einzelnen Gebieten wie im Memelland planmäßig ablief, in den meisten Landschaften aber zu spät kam oder im Wirbel der Ereignisse scheiterte — Ausdruck einer zusammenbrechenden Staatsgewalt ohne tiefere Autorität; die Fluchtbewegung vor dem Ansturm der sowjetischen Armeen von Südosteuropa bis an den Norden Ostpreußens, deren Wege wir auf Grund von Hunderten von Berichten nachzeichnen können; die Phase der „wilden“ Austreibungen vor der Potsdamer Konferenz, die wie z. B. in Ostbrandenburg oder in den sudetendeutschen Grenzgebieten dazu diente, vollendete Tatsachen vor den Entscheidungen der großen Politik über Grenzen und „Bevölkerungstransfer" zu schaffen; schließlich die organisierten Ausweisungen nach den Potsdamer Beschlüssen. Diese sind allerdings mit weit geringerer Erlebnisintensität beschrieben als die vorausgehenden Abschnitte im Ablauf der Vertreibung; von vielen, ja den meisten ist der Ausweisungsakt selbst als das Ende eines oft jahrelangen seelischen und körperlichen Zermürbungsprozesses empfunden worden, der in dumpfer Verzweiflung ertragen wurde. Das Vegetieren im Zustand völliger Rechtlosigkeit ließ den Willen, diesem System zu entrinnen, stärker werden als alles andere. —

Entstehung des Austreibungsgedankens während des Zweiten Weltkrieges

So wichtig die für die zeitgeschichtliche Forschung neu erschlossene Quellengattung der Zeugenberichte gerade für eine Dokumentation von Massenvorgängen ist, über den Zusammenhang der Vertreibung mit der großen Politik gibt sie keine Auskunft. Hier liegen aber eine Reihe ungelöster Probleme von größter historisch-politischer Bedeutung.

Ich möchte davon zwei herausgreifen: die Frage nach der Entstehung des Gedankens vom Bevölkerungstransfer während des Zweiten Weltkrieges und das Problem des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der nationalsozialistischen Volksgruppenpolitik und der Austreibung seit 1945. Was die erste Frage anlangt, so hat sie eine lange, meist untergründige, selten offen zutage tretende Vorgeschichte. Schon früh ist in der Gedankenarbeit der nationalstaatlichen Theoretiker des 19.

Jahrhunderts neben den beiden Grundmöglichkeiten, den Nationalstaat zu verwirklichen — der Assimilation fremdnationaler Gruppen oder irgendeiner Rechtsform ihrer kulturellen Tolerierung — eine dritte ins Blickfeld gerückt: die der Reinigung eines Nationalstaats von Bürgern eines fremden Volkstums, wie das vielleicht als erster Heinrich Luden im Jahre 1814 — allerdings noch als etwas Verabscheuungswürdiges — ausgesprochen hat Diese Idee nationaler Purifizierung steht hier noch im Zeichen der Erwägungen, wie der deutsche Nationalstaat geschaffen werden könne. Ein Jahrhundert später wird man sie als Mittel einer imperialen Sicherheitspolitik empfehlen hören, die die „Abtretung menschenleeren Landes“ und eine großzügige Politik der Evakuierung als „Hilfsmittel äußerster Not“ ins Auge zu fassen beginnt. So der Führer der Alldeutschen, Heinrich Claß, unter dem Pseudonym Daniel Frymann und nach ihm manch anderer im Laufe des Ersten Weltkriegs. Paul Schiemann war es dann, der auf einer Tagung des Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa unter den gänzlich veränderten Verhältnissen nach Versailles, als der Nationalstaatsgedanke auch Osteuropa ergriffen hatte, die großen Alternativen am klarsten herausstellte. Er suchte nach besseren Vermittlungsformen von Nation und Staat, als sie der Nationalstaat mit seinem Monopolanspruch des Staats-volks bieten konnte und sah bei der Forderung, daß der Staat nur von einem Volke geleitet wird, für seine andersnationalen Bürger keinen Lebensraum mehr übrig. „Die Konsequenz des so aufgefaßten Selbstbestintmungsgedankens ist entweder die gewaltsame und brutale Trans- plantation von ganzen Bevölkerungsteilen aus einem Staat in den anderen mit allen ihren verderblichen Folgen“ oder das Aufgehen der Minderheiten im Mehrheitsvolkstum

Diese Voraussage ist in schrecklicher Weise eingetroffen. Es ist nun aber kaum anzunehmen, daß an die ältere deutsche Diskussion dieses Problems im alliierten Lager während des Zweiten Weltkrieges angeknüpft wurde, vielmehr ist der Gedanke des Bevölkerungstransfers von einer Reihe anderer Voraussetzungen her aufgegriffen worden. Eduard Benes, der schon im Jahre 1919 einen Bevölkerungsaustausch zwischen Magyaren und Slowaken empfohlen hatte trat 1941/42 mit mehreren Aufsätzen in englischen und amerikanischen Zeitschriften hervor und forderte eine radikalere und systematischere Lösung des Nationalitätenproblems, worunter er den „transfer of populations“, ganz konkret die Austreibung der Sudetendeutschen, verstand. Seine Bemühungen als Exilpolitiker waren nicht nur darauf gerichtet, die Annullierung des Münchner Abkommens von 1938 durch die Großmächte zu erreichen, sondern diese auch zu einer Anerkennung des Transfer-Gedankens zu bringen. Dies ist ihm nur teilweise, am unverbindlichsten bei den Amerikanern gelungen. Der Transfer-Gedanke hat also eine Wurzel in der Sudetenfrage, eine andere ist die Verschiebung des Nachkriegspolens nach Westen und die damit verbundene, wie auf dem Reißbrett ausgeklügelte Verpflanzung von Millionenbevölkerungen gewesen. Der Schauder über solche Manipulationen und das schlechte Gewissen, das bei allen Verkündern ähnlicher Ideen im Ersten Weltkrieg noch zu spüren waren, ist jetzt ziemlich verschwunden. Man erinnert sich oft und gern an den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch nach 1922, um einen Präzedenzfall zu haben, und. glaubt, daß das leidige Nationalitätenproblem nur noch durch Radikallösungen entschieden werden könne. Andere als nationalstaatliche Lösungen wurden gar nicht mehr in Betracht gezogen. Es ist zudem eine unbestreitbare Tatsache, daß die nationalsozialistischen Bevölkerungsmanipulationen im Kriege bis hin zur sogenannten Endlösung der Judenfrage die moralischen Hemmungen gegen eine solche Politik, wo solche noch bestanden, beseitigt haben. Hier liegt der Anteil, den wir selbst an der Verursachung unseres eigenen Schicksals haben. Es sei hinzugefügt, daß eine dritte Komponente in der Vorgeschichte der Vertreibung, nämlich die sowjetisch-kommunistische, noch ganz im Dunkel liegt. Was ist von dieser Seite an alter russischer Staatspraxis, an kommunistischem Plandenken auch in Bevölkerungsfragen, an sozialrevolutionären Zielen eingedrungen in die große Bevölkerungskatastrophe seit 1945? Dies wissen wir vorläufig nicht, können es allerdings in Umrissen ahnen.

Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Volkstumspolitik und Vertreibung?

Der zweite Punkt: die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Volkstumspolitik und Vertreibung, den wir eben schon berührt haben, führt uns vor ein ernstes Problem, das in den vergangenen Jahren in der Presse hohe Wellen geschlagen hat. Da die mit der Herausgabe der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa“ betraute Wissenschaftliche Kommission in diesem Zusammenhang aufs schwerste angegriffen worden ist, bedarf es gerade hierzu einiger Bemerkungen. Niemand wird bestreiten wollen, daß’ die deutsche Gesamtsituation von heute — die Teilung Deutschlands vor allem — eine Folge der deutschen Politik vor 1945 ist. Dies gilt fürs Ganze sowohl wie für alle Einzelprobleme. Der deutsche Nationalsozialismus hat durch seine Politik eines unbegrenzten deutschen Herrschaftsanspruches und durch seine Absicht, die osteuropäischen Völker auf die Stufe von Kolonialvölkern herabzudrücken, einen Revanche-Nationalismus von äußerster Brisanz erzeugt. Dieser verband sich mit Elementen der kommunistischen Revolution und schlug auf das Deutschtum im Osten mit brutaler Gewalt zurück. Dies feststellen, heißt nicht die Fülle des Unrechts entschuldigen wollen, das jetzt erneut geschehen ist, aber dieses Unrecht erscheint in einem unauflöslichen historischen Zusammenhang. In den ostdeutschen Reichsgebieten wurde die deutsche Bevölkerung ohne Rücksicht auf ihren individuellen Anteil an der Politik des Nationalsozialismus, einschließlich der zu Widerstandsgruppen gehörigen Männer und Frauen, einschließlich der wenigen überlebenden deutschen Juden ausgewiesen, ohne daß auch nur der Versuch einer Klärung individueller Verantwortung gemacht wurde. In der Tschechoslowakei wurde zuerst die Fiktion aufrechterhalten, daß die Austreibung als Bestrafung der illoyalen Deutschen zu gelten habe, bis sich schließlich dieses von Benes aufgebaute Gebäude als ein haltloses Gerüst von Scheinmotivierungen erwies. In den ins Reich eingegliederten Gebieten Polens, wo Nationalitätenpolitik mit den vier Gruppen der deutschen Volksliste gemacht worden war, und in den Südoststaaten, wo die deutschen Volksgruppen den Status selbständiger Korporationenerhalten hatten, war es nachdem Zusammenbruchderdeutschen Herrschaft ein leichtes, die Kategorien der Privilegierung in solche der Bestrafung zu verwandeln. Auch hier schlug nicht anders als im deutschen Nationalstaat die Politik des Nationalsozialismus auf die Deutschen zurück, die sich ja gerade zur Idee der nationalen Solidarität mit dem nationalsozialistischen Reich nachdrücklich bekannt hatten. Das innere Dilemma der Volksdeutschen war kein anderes als das vieler Reichs-deutscher: es ergab sich aus der Ursupation oft durchaus legitimer nationaler Ziele durch den Nationalsozialismus zu Zwecken ganz anderer Art. Nur ist das Volksdeutschtum außerhalb der Reichsgrenzen unter den besonderen und schwierigen Bedingungen eines unbarmherzigen Krieges vor Entscheidungsfragen dieser Art gestellt worden und viel später als das Reichsdeutschtum in den Jahren 1933— 1938. Es hat vielfach im Nationalsozialismus den Retter seiner nackten Existenz gesehen und dabei nicht bemerkt, daß es nur Schachfigur in einem Spiel imperialer Machtplanung geworden war. Heute liegt das offen auf der Hand, und es ist deshalb schwer begreiflich, daß z. B. heute noch in einer Zeitung ohne Kritik und Distanz gesagt werden kann, das ungarländische Deutschtum habe das Wiener Abkommen vom 30. August 1940 über die deutsche Volksgruppe und den „Volksbund der Deutschen in Ungarn“ als die „ Wiedergutwadiung eines seit deut Ersten Weltkrieg währenden hiwntelschreienden Unrechts“ empfunden ein Abkommen, in dem nicht nur von der „Zugehörigkeit zur Volksgruppe“, sondern auch vom „Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung“ die Rede ist. Es ist eine sehr fragwürdige Entlastung, dafür allein den Regierungen Hitlers und Horthys die Schuld zuzuschieben, wie es hier geschieht. Wenn dem „gelehrten Redaktionskollegium“ durch den Kritiker vorgeworfen wird, es könne sich von dem „elementaren Aufbruch des deutsdien Volksbewufltseins“ keinen Begriff machen und werte ihn unter dem Eindruck des verlorenen Krieges aus, so ist die Gegenfrage zu stellen, welches politische Ereignis der jüngsten Vergangenheit eigentlich nicht unter diesem Eindrude steht? Von anderer Seite wurde das böse Wort gesprochen, die Dokumentation oder einzelne ihrer Bände seien „in wesentlichen Punkten nach dem Cesdtmack der Vertreiber“ ausgefallen oder gar als Propagandaschrift der Kommunisten zu werten Unterstellungen, die bei dem tatsächlichen Echo von jenseits des Eisernen Vorhangs geradezu grotesk wirken. Der offen bekannte Wille der Herausgeber, die Veröffentlichung nicht zum Anlaß zu nehmen, den Graben noch zu vertiefen, der zwischen uns und unseren östlichen Nachbarvölkern aufgerissen ist, sondern selbst bei der Betrachtung einer leidvollen Vergangenheit an ein Zusammenleben in der Zukunft zu denken, wurde als „politischer Opportunismus“ angeprangert Dies alles wurde gesagt, obwohl die Herausgeber der Dokumentation zwar den vorhin aufgezeigten Kausalzusammenhang zwischen nationalsozialistischer Politik und Vertreibung nicht unterschlagen wollen, aber doch nirgends die Meinung ausgesprochen haben, daß die Austreibung daraus allein und ausschließlich abgeleitet, geschweige denn gerechtfertigt werden kann; nirgends haben sie die — nationalistischen und Sozialrevolutionären — Motive der vertreibenden Staaten verkleinert Derartige Mißverständnisse und Unterstellungen sind beklagenswert, nicht etwa weil sie eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher und politischer Betrachtung anzeigen, sondern vielmehr weil sie verkennen, daß die Anwendung der strengen Grundsätze der wissenschaftlichen Wahrheitsforderung auch die beste Politik ist.

Die Ziele der Dokumentation

Um das zu erhärten, muß ich zum Schluß noch etwas weiter ausholen und auf die Ziele der Dokumentation eingehen. Ihr primitivster Zweck wäre es gewesen, eine Art von intellektueller Rache und Vergeltung zu üben für das, was Millionen von Angehörigen des deutschen Volkes erlitten haben. Diese Zielsetzung scheidet aber von selbst aus. Wie sie schon in der Charta der Heimatvertiebenen ausdrücklich verneint wird, haben auch die Herausgeber der Dokumentation am Anfang ihrer Arbeit diesen Verzicht auf Rache und Vergeltung ausdrücklich in allem als für sie bindend erklärt. Aber wir können uns auch nicht darauf beschränken, bloße Anklage zu erheben in der politischen Absicht, einen Gegner vor der Welt ins Unrecht zu setzen, d. h.sein Unrecht in den Mittelpunkt zu stellen. Wir wollen nicht den politischen Prozeß umkehren, der in der Welt gegen das nationalsozialistische Deutschland eröffnet wurde, indem wir nun zur Gegenklage schreiten und mit einem Aufrechnen der Opfer, des Leidens beginnen. Gegenüber manchen heute wieder unternommenen Versuchen, eine Politik zu rechtfertigen, die nicht zu rechtfertigen ist, soll die Dokumentation etwas von dem verspüren lassen, was wir als Gesamthaftung des deutschen Gesamtvolkes für seine Vergangenheit bezeichnen können und was als eine Konsequenz der früher so betonten nationalen Solidarität auf uns genommen werden muß.

Das wird von uns auch durch die psychologische Ausgangslage in der Welt gefordert. Diese Welt ist nun einmal erfüllt von den Greueln der nationalsozialistischen Zeit; das ist ein Grundtatbestand, an dem wir nicht vorbeisehen können. Sie ist erfüllt von den Nachrichten über die KZs und die sogenannte Endlösung der Judenfrage, wie sie der Nationalsozialismus betrieben hat. Das sind Grundtatsachen, die für uns entscheidend sein müssen. Wenn wir das alles bedenken, dann meine ich, ist die Wahrheit, zu der uns das wissenschaftliche Ethos verpflichtet, zugleich auch die beste Politik, und zwar die Wahrheit, die bemüht ist, eine nationale und eine europäische Katastrophe in allen ihren Wurzeln und Auswirkungen zu ergründen. Volle Offenlegung aller Umstände und Vorgänge ist daher das einzige Mittel, um das geschichtliche Ereignis der Vertreibung in Deutschland selbst und im Ausland bekannt zu machen. Ich möchte das Ziel ganz konkret formulieren: es kommt darauf an, daß wir angehört werden, und dies gelingt uns, wenn überhaupt, nur dann, wenn wir unbedingte Unbestechlichkeit und Sachlichkeit zur Richtschnur nehmen. Die zeitgeschichtliche Forschung erspart uns hier nichts: es ist immer leichter, sich an nationalen Glanzzeiten, die die Seele hochstimmen, zu erbauen als Niederlagen und Niedergang innerlich zu bewältigen. Es sind nicht nur die Deutschen, die angesichts einer solchen Aufgabe versagt haben.

Als die Herausgeber der Dokumentation vor nur sechs Jahren die ersten Bände ihres Werkes veröffentlichten, stellten sie vor das damals begonnene Gesamtwerk eine verpflichtende Erklärung, zu der sie sich heute noch ohne Einschränkung bekennen. Sie endet mit den Sätzen: „Die Herausgeber fühlen sich in ihrem Gewissen nur an das Ethos der wissenschaftlichen Forschung gebunden. Wenn sie darüber hinaus auf einen politischen Grundsatz verpftidttet sind, so ist es der in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen ausgesprochene Verzicht auf Rache und Vergeltung. Sie wollen mit der von ihnen betreuten Veröffentlichung nicht einem Willen Vorschub leisten, der diesem Verzicht entgegensteht, nicht Empfindungen auslösen, die selbstquälerisch im eigenen Leid wühlen. Dazu sind sie sidt viel zu sehr des deutschen Anteils an den Verhängnissen der beiden letzten Jahrzehnte bewußt. Sie hoffen vielmehr, daß durch ihre Arbeit die Einsicht gestärkt wird, daß sich Ereignisse wie die Vertreibung nicht wiederholen dürfen, wenn Europa noch eine Zukunft haben soll. Sie hoffen auf eine Neuordnung der Völkerbeziehungen in dem Raume, der zuletzt ein Inferno der Völker geworden war. Nicht aus einem Vorbeisehen an der jüngsten Vergangenheit, sondern nur aus der verantwortungsbewußten Auseinandersetzung mit ihr kann eine neue moralische Kraft geboren werden, um die Spannungen zwischen den Völkern des östlichen Mitteleuropas, ganz Europas zu überwinden, damit das unsagbare Leid unserer Generation nicht ganz sinnlos bleibt."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Darüber jetzt Werner Conze, Polnische Nation und deutsche Politik, im ersten Weltkrieg, 1958, vor allem S. 154 ff.

  2. 1951 wurde durch die Initiative des damaligen Bundesministers für Vertriebene Dr. Lukaschek und des Staatssekretärs Dr. O. Schreiber eine unabhängige Wissenschaftliche Kommission, bestehend aus Adolf Diestelkamp (f), Rudolf Laun, Peter Rassow, Hans Rothfels, Theodor Schieder unter dem Vorsitz des letzteren gebildet, der später Werner Conze hinzu-trat. Sie bearbeitet seitdem das Werk „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa“, von dem die Bände I, 1 u. 2, II, III, IV, 1 u. 2 und 2 Beihefte erschienen sind.

  3. Joachim Höppner, Die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den polnischen Westgebieten im Lichte neofaschistischer Geschichtsklitterung, Zeitschr. t. Geschichtswissenschaft VI, 1958, H. 2, S. 338 ff. — Vgl. dazu den Aufsatz von B. Ulbrich, Die Dokumentation der Vertreibung — aus kommunistischer Sicht, in: Ostbrief IV, H. 10, 1958, S. 428 ff.

  4. So Bericht Nr. 178 in Bd. I, 2, S. 143 ff der Dokumentation.

  5. A. a. O. I, 2, Nr. 360, S. 844 ff.

  6. Dazu Dokumentation IV, 1, S. 97 ff., und 2, S. 518 ff. Das folgende Beispiel nach Bericht Nr. 118 IV, 2, S. 522 ff.

  7. A. a. O. I, 1, Nr. 69, S. 269.

  8. Heinrich Luden, . Das Vaterland oder Volk und Staat“ in: Nemesis, Zeitschrift f. Politik u. Geschichte. Hier heißt es S. 321 über die . unglückseligen Verhältnisse“, daß .fremde Volksgenossen“ Bürger unseres Staates sind: „Einmal könnte man die Bürger eines fremden Volkstums über die Naturmarken unseres Staates entfernen und auf diese Weise unseren Staat reinigen; zweitens könnte man versuchen . . . die Eigentümlichkeit der fremden Bürger in unserer Eigentümlichkeit aufzulösen. Das erste aber würde schrecklich sein und unmenschlich! Wohin sollte man dann die Unglücklichen vertreiben, wenn man auch Gewalt genug hätte, und von ihren Volksgenossen keine Rache befürchten dürfte? . . . Die schönsten Gefühle der menschlichen Brust empören sich gegen eine solche Grausamkeit . .

  9. Daniel Frymann, „Wenn ich der Kaiser wär" — Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, 1914, 5. Ausl., S. 140. Hier wird von „großzügiger Politik der Evakuierung“ gesprochen, bei der sich dem, der historisch zu denken gelernt habe, „die Haaare sträuben“.

  10. Aus einer Rede P. Schiemanns auf einer Tagung des „Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa'in Wien im Juni 1928; Nation u. Staat, I, 1927/28, S. 894 f.

  11. Dazu: Documents on British Foreign Policy 1919— 1939, First Series, Vol. VI, 1919, London 1956, Nr. 257, S. 336; Bericht des englischen Gesandten in Prag, Gosling, an Außenminister Lord Curzon über eine Unterredung mit dem tschechoslowakischen Außenminister Benes am 6. November 1919.

  12. A. Tafferner, Geschichte der Ungarndeutschen in Dokumenten (1930— 50), in: . Der Donauschwabe", 9. Jg., 6. Sept. 1959. Text des Wiener Abkommens in: . Dokumentation der Vertreibung“ II, S. 73 E.

  13. So eine Äußerung von Dr. J. Weidlein zitiert in: . Donauschwäbische Rundschau“ 8. Jg., 16. März 1958. In . Der Danauschwabe“, 9. Jg. 6. Sept. 1959 wird eine Äußerung von Dr. Zimmermann aus „Burgenländisches Leben" abgedruckt, in der von „ungarischen Beratern" die Rede ist, die die deutschen Historiker, offenbar bei der Abfassung des Bandes „Das Schicksal der Deutschen in Ungarn", hinters Licht geführt hätten.

  14. So schreibt der „Vertriebenenanzeiger" vom 3. Juli 1958 über das als 2. Beiheft der Dokumentation erschienene „Tagebuch aus Prag 1945— 46" von Margarete Schell: „Es könnte viel besser eine Propagandaschrift der Prager Kommunisten sein, die darauf abzielt, die Vertriebenen in Westdeutschland, besonders die vertriebenen Deutschen aus Prag zu diskriminieren."

  15. So in einem'Artikel „Probleme der Dokumentation", erschienen in der „Kulturpolitischen Korrespondenz", 4. Jg. Nr. 61/62, 31. 3. 58, die ein Zitat aus dem „Eckartsboten" aufnimmt.

  16. J. Weidlein versteigt sich in seiner gegen die Dokumentation gerichteten Veröffentlichung „Geschichte der Ungarndeutschen in Dokumenten 1930— 50" (Schorndorf 1958) zu der Behauptung, die deutsche Geschichtsschreibung dürfe 12 Jahre nach dem Zusammenbruch die volle Wahrheit über die Vertreibung, „nur insofern sie mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt und somit eine deutsche Schuld darstellt“, aussprechen. „Was geschieht aber", fährt er fort, „wenn die Vertreibung auf ältere nationalistische Bestrebungen der Vertreiberstaaten zurückzuführen ist? Ist dann die deutsche Geschichtswissenschaft berechtigt, oder sogar verpflichtet, eine den Tatsachen nicht ganz entsprechende Vorgeschichte der Vertreibung zu konstruieren, nur, um die Geschehnisse vor einer internationalen Öffentlichkeit vertreten zu können?“ Hier werden Möglichkeiten unterstellt, gegen die jeder, der mit wissenschaftlichen Aufgaben aus dem Bereich der Zeitgeschichte befaßt ist, sich in aller Form verwahren muß.

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