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Das geschichtliche Deutschlandbild des Marxismus-Leninismus | APuZ 31/1960 | bpb.de

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APuZ 31/1960 Das geschichtliche Deutschlandbild des Marxismus-Leninismus

Das geschichtliche Deutschlandbild des Marxismus-Leninismus

10. In Erwartung des Sieges des Sozialismus

1. 2. 3. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 1. Einleitung Die Anwendung des historischen Materialismus in der Politik Der „Streit“ in der SBZ über den historischen Materialismus 1957 Über die Literatur des Marxismus-Leninismus II. Die Geschichte des deutschen Volkes — marxistisch-leninistisch betrachtet Der Eintritt der Deutschen in die Geschichte Mittelalter—Feudalzeit Die Periodisierung des Mittelalters Der Bauernkrieg — die „radikalste Tatsache der deutschen Geschichte“

Das ZeᄉI

Engels veröffentlichte 1885 in der Neuausgabe der Marxschen Schrift „Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln" zwei Ansprachen der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten an den Bund vom März bzw. Juni 1850. In ihnen wurde eine Analyse der politischen Verhältnisse in Deutschland gegeben. Die im „Kommunistischen Manifest" bereits zum Ausdruck gebrachte Erwartung, daß die deutsche liberale Bourgeoisie bald zur Herrschaft komme und ihre neu errungene Macht sofort gegen die Arbeiter kehren würde, wurde wiederholt, die kleinbürgerlich-demokratische Partei in Deutschland mit scharfen Worten verurteilt. Dabei wurde betont, daß die demokratischen Kleinbürger eine Änderung der gesellschaftlichen Zustände anstrebten, um sich die bestehende Gesellschaft möglichst erträglich und bequem zu machen. Marx und Engels forderten die Arbeiter auf, sich mit dem „Landproletariat" zu verbinden. Auch setzten sie sich mit dem Föderalismus auseinander, da nach ihrer Meinung die Demokraten entweder direkt auf die föderative Republik hinarbeiteten oder wenigstens, wenn sie der einen und unteilbaren Republik nicht entgehen könnten, die Zentralregierung durch möglichste Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinden und Provinzen zu lähmen versuchten; sie sagten dazu: „Die Arbeiter müssen diesem Plan gegenüber nidtt nur auf die eine und unteilbare deutsche Republik, sondern auch in ihr auf die entschiedenste Zentralisation der Gewalt in die Hände der Staatsmacht hinwirken. Sie dürfen sich durch das demokratische Gerede von Freiheit der Gemeinden, von Selbstregierung usw. nicht irre machen lassen. In einem Land wie Deutschland, wo noch so viele Reste des Mittelalters zu beseitigen sind, wo so vieler lokaler und provinzieller Eigensinn zu brechen ist, darf es unter keinen Umständen geduldet werden, daß jedes Dorf, jede Stadt, jede Provinz der revolutionären Tätigkeit, die in ihrer ganzen Kraft nur vom Zentrum ausgehen kann, ein neues Hindernis in den Weg lege.“ Das Ergebnis der Betrachtung war die Feststellung: „Wie in Frankreich 1793 ist heute in Deutschland die Durchführung der strengsten Zentralisation die Aufgabe der wirklich revolutionären Partei.“ Immer wieder schlug die Überzeugung von der führenden und wegbereitenden Aufgabe der deutschen Arbeiter durch. Marx und Engels riefen aus: „Wenn die deutschen Arbeiter nicht zur Herrschaft und Durchführung ihrer eigenen Klasseninteressen kommen können, ohne eine längere revolutionäre Entwicklung ganz durchzumachen, so haben sie diesmal wenigstens die Gewißheit, daß der erste Akt dieses bevorstehenden revolutionären Schauspiels mit dem direkten Siege ihrer eigenen Klasse in Frankreich zusammenfällt und dadurch sehr beschleunigt wird.“ In der zweiten Ansprache wurde die Situation des Bundes der Kommunisten geschildert, wobei ausführlich auf die Lage in Deutschland eingegangen wurde. Es ist für das Verhältnis der kommunistischen Taktik aufschlußreich, daß Marx und Engels in der Anweisung für die weitere Tätigkeit das Wirken in Organisationen empfehlen, die nicht dem Bund der Kommunisten zuzuzählen sind. Sie schrieben: „Es wird von den Lokalverhältnissen abhängen, ob die entsdcieden revolutionären Leute in den Bund ausgenommen werden können. Wo dies nicht möglich isf, muß aus den Leuten, welche revolutionär braucltbar und zuverlässig sind, welche aber noch nicht die kommunistischen Konsequenzen der jetzigen Bewegung verstehen, eine zweite Klasse von weiteren Bundesmitgliedern gebildet werden. Diese zweite Klasse, der die Verbindung als eine bloße lokale oder provinzielle darzustellen ist, muß fortwährend unter der Leitung der eigentlichen Bundesmitglieder und Bundesbehörden bleiben. Mit Hilfe dieser weiteren Verbindung kann der Einfluß namentlich auf die Bauernvereine und Turnvereine sehr fest organisiert werden“

Lenin befaßte sich mit beiden Ansprachen und interpretierte die Gedanken Marx’ in folgender Weise: „Wir deutschen Sozialdemokraten von 1850 sind nicht organisiert, wir haben in der ersten Periode der Revolution eine Niederlage erlitten, wir sind vollständig ins Schlepptau der Bourgeoisie geraten; wir müssen uns selbständig organisieren, auf jeden Fall unbedingt und unter allen Umständen selbständig — sonst werden wir auch bei dem künftigen Sieg der organisatorisch erstarkten und mächtigen kleinbürgerlichen Partei wieder ins Hintertreffen geraten.“ Lenin wies aber darauf hin, daß Marx und Engels im Jahre 1850 den Sozialismus als nahe bevorstehend bezeichnet und deshalb die demokratischen Errungenschaften unterstützt hatten. Er betonte, daß Marx 25 Jahre später, im Jahre 1875, die undemokratische Staatsordnung Deutschlands als einen mit parlamentarischen Formen verbrämten Militärdespotismus genannt und Engels 35 Jahre später, im Jahre 1885, prophezeit hatte, daß bei der nächsten europäischen Erschütterung die kleinbürgerliche Demokratie in Deutschland ans Ruder kommen werde Mit diesen Reminiszenzen wollte Lenin 1906 seinen russischen Gesinnungsgenossen Mut machen. Die geschichtliche Erfahrung ihrer deutschen Genossen sollte sie mit Hoffnung erfüllen.

11. Deutschland zwischen Frankreich und Rußland

In der „Ne w -York Daily Tribune" veröffentlichten Marx und Engels am 19. Mai 1854 eine Betrachtung über die „Preußische Politik", in der sie betonten, daß die herrschende Klasse Preußens, das Militär und das Land stolz sei, sich einen Militärstaat zu nennen. Der preußische „Expansionsdrang" wurde eingehend geschildert und versichert, daß Preußen von Natur aus nicht reich gewesen, durch Fleiß, Tätigkeit und Sparsamkeit jedoch reich geworden sei Während Marx im Winter 1858/59 für die „N ew-York Daily Tribune" eine Artikelserie über das Thema „Preußen unddie Hohenzollernum diejahreswende 1858/59“ erscheinen ließ, veröffentlichte Engels 1859 unter dem Titel „Po und Rhein“ eine anonyme Broschüre, in der er sich mit dem zeitgenössischen Schlagwort auseinandersetzte, der Rhein müsse am Po verteidigt werden. Das Ergebnis seiner umfassenden Betrachtung faßte er in die Feststellung zusammen, kein Mensch könne behaupten, die Karte von Europa sei definitiv festgestellt. Engels vertrat die Ansicht, alle Veränderungen, sofern sie Dauer haben, müssen im ganzen und großen darauf ausgehen, den großen und lebensfähigen Nationen mehr und mehr ihre wirklichen und natürlichen Grenzen zu geben, die durch Sprache und Sympathien bestimmt werden. Für das deutsche Volk er-klärte er: „Soll aber die Karte von Europa revidiert werden, so haben wir Deutsche das Recht zu fordern, daß es gründlich und unparteiisch geschehe und daß man nicht, wie es beliebte Mode ist, verlange, Deutschland allein solle Opfer bringen, während alle anderen Nationen von ihnen Vorteil haben, ohne das geringste aufzugeben..“ Er fuhr anschließend fort:

„Wir können manches entbehren, das an den Grenzen unseres Gebietes herumhängt und uns in Dinge verwickelt, in die wir uns besser nicht so direkt einmischen. Aber geradeso geht es anderen auch; mögen sie uns das Beispiel der Uneigennützigkeit geben oder schweigen. Das Endresultat aber dieser ganzen Untersuchung ist, daß wir Deutsche einen ganz ausgezeichneten Handel madten würden, wenn wir den Po, den Mincio, die Etsdi und den ganzen italieiüsdien Plunder vertausdten könnten gegen die Einheit, die uns vor einer Wiederholung von Warscha und Bronnzell schützt und die allein uns nach innen und außen stark machen kann. Haben wir diese Einheit, so kann die Defensive aufhören. Wir brauchen dann keinen Mincio mehr; . unser Genie'wird wieder sein, , zu attadderen ; und es gibt noch einige faule Fledte, wo dies nötig genug sein wird“

Ein Jahr später, 1860, erschien unter dem Titel „Savoyen, Nizza und der Rhein“ eine weitere anonyme Broschüre Engels’, die sich mit der politischen Entwicklung des vorhergegangenen Jahres auseinandersetzte. Dabei beschäftigte er sich mit der Haltung Rußlands und Frankreichs und betonte, beide hätten ein bleibendes und sich ergänzendes Interesse gegenüber Deutschland. Engels gab zu bedenken: „Zweimal in diesem Jahrhundert hat sidt Rußland mit Frankreich verbündet und jedesmal hatte die Allianz die Teilung Deutschlands zum Zwedk oder zur Basis.“ Zur Begründung dieser Auffassung führte er aus:

„Das erstemal auf dem Floß bei Tilsit. Rußland gab Deutsddand vollständig dem französisdten Imperator preis und nahm sogar, zum Unterpfand dafür, ein Stücke von Preußen an. Dafür erhielt es freie Hand in der Türkei; es beeilte sich, Bessarabien und die Moldau zu erobern und seine Truppen über die Donau zu schicken. Daß Napoleon bald nadther , die türkische Frage studierte'und seine Meinung über den Gegenstand bedeutend veränderte, war für Rußland einer der Hauptgründe zum Kriege von 1812. Das zweitemal 1829. Rußland schloß mit Frankreich einen Vertrag, wonach Frankreich das linke Rheinufer und Rußland dafür wieder freie Hand in der Türkei bekommen sollte. Diesen Vertrag zerriß die Julirevolution; die betreffenden Papiere fand Talleyrand vor, als die Anklage gegen das Ministerium Polignac vorbereitet wurde, und warf sie ins Feuer, um der französischen und russischen Diplomatie den kolossalen Skandal zu ersparen. Dem esoterischen Publikum gegenüber bilden die Diplomatien aller Länder einen Geheimbund und werden sich nie gegenseitig öffentlich kompromittieren.“

Von diesen Erwägungen ausgehend beschrieb er das gemeinsame Interesse Frankreichs und Rußlands, vor allem Österreich zu vernichten. Er stellte die Frage, welche Verpflichtungen Rußland mit Frankreich eingegangen sei und verwies unter Zitierung der historischen Beispiele von 1809 und 1829 darauf, die einzige Kompensation, die Rußland Frankreich bieten könne, sei das linke Rheinufer. Engels fährt fort: „Die Opfer müssen wieder von Deutschland getragen werden. Die nationale wie die traditionelle Politik Rußlands gegenüber Frankreich ist, Frankreich den Besitz des linken Rheinufers zu versprechen oder ihm dazu im gegebenen Falle zu verhelfen gegen die Gestattung und Unterstützung russisdter Forderungen an der Weichsel und der Donau; und dann Deutschland, das zum Dank die russischen Eroberungen anerkennt, in der Wiedereroberung des an Frankreich verlorenen Gebietes zu unterstützen“. Engels benützte die Gelegenheit, um sich eingehend mit der Haltung Rußlands gegenüber Deutschland zu beschäftigen. Er schloß mit einem beschwörenden Appell an die Deutschen:

„Was Rußland uns Deutschen gegenüber für eine Rolle zu spielen gedenkt, das sagt das bekannte Rundschreiben deutlich genug, das Fürst Gortschakow im vorigen Jahre an die deutschen Kleinstaaten richtete. scheu werden es hoffentlich nie vergessen, daß Rußland sich unterfing, ihnen verbieten zu wollen, einetn angegriffenen deutschen Staate zu Hilfe zu kommen. Die Deutschen werden hoffentlich Rußland noch vieles andere nicht vergessen. 1807 im Frieden von Tilsit ließ sich Ruß-land ein Stüde Gebiet seines Bundesgenossen Preußen, den Bezirk Bialystok, abtreten und überlieferte Deutschland an Napoleon. 1814, als sogar Österreich (sielte Castlereaghs Memoiren) die Notwendigkeit eines unabhängigen Polen vertrat, inkorporierte sich Rußland fast das ganze Großherzogtum Warschau (das heißt ehemals österreidtische und preußisdte Provinzen) und nahm dadurch eine Offensivstellung gegen Deutschland ein, die uns so lange bedroht, bis wir es daraus vertrieben haben werden. Die nodt 1831 erbaute Festungsgruppe Modlin, Warschau, Iwangorod erkennt sogar die Russophile Haxthausen als eine direkte Drohung gegen Deutschland an. 1814 bis 1815 hat Rußland alles aufgeboten, um die deutsche Bundesakte in der gegenwärtigen Form zustande zu bringen und dadurch die Ohnmacht Deutschlands nadt außen hin zu verewigen. 1815 bis 1848 stand Deutsdtland unter direkter Hegemonie von Rußland. Wenn Österreich ihm an der Donau opponierte, so führte es auf den Kongressen von Laibach, Troppau, Verona alle Wünsche Rußlands im Westen Europas aus. Diese Hegemonie Rußlands war direktes Resultat der deutschen Bundesakte. Als Preußen sich ihr 1841 und 1842 einen Moment zu entziehen suchte, wurde es sofort in seine frühere Stellung zurückgenötigt. Die Folge war, daß beim Ausbruch der Revolution von 1848 Rußland ein Zirkular erließ, worin die Bewegung in Deutsdtland als eine Revolte in der Kinderstube behandelt wurde. 1829 sdtloß Rußland mit dem Ministerium Polignac den seit 1823 durch Chateaubriand vorbereiteten (und von ihm öffentlich eingestandenen) Vertrag, der das linke Rheinufer an Frankreich verschacherte. 1849 unterstützte Rußland Österreich in Ungarn nur unter der Bedingung, daß Österreich den Bundestag herstelle und den Widerstand Sdtleswig-Holsteins vernichte; das Londoner Protokoll sicherte Rußland die Erbfolge in der ganzen dänischen Monarchie schon in nächster Zeit und gab ihm Aussicht zur Verwirklichung des schon seit Peter dem Großen gehegten Planes, in den Deutschen Bund (früher das Reich) zu kommen. 1850 wurden Preußen und Österreich in Warschau vor den Zaren vorgeladen, der zu Gericht über sie saß. Die Demütigung war nicht geringer für Österreich als für Preußen, obschon in den Augen der Welt die Kannegießerei Preußens sie allein zu tragen hatte. 1853, in der Unterhaltung mit Sir H (amiiton) Seymour, verfügte der Kaiser Nikolaus über Deutschland, als wenn es ihm erbeigentümlich gehöre. Österreich, sagte er, sei ihm sicher. Preußen tat er nicht einmal die Ehre der Erwähnung an. Und endlich 1859, als die Heilige Allianz ganz aufgelöst schien, der Vertrag mit Louis Napoleon, der Angriff Frankreichs auf Österreidt mit russischer Bewilligung und Unterstützung, und das Zirkular Gortschakows, um den Deutschen jede Hilfeleistung an Österreich in der unverschämtesten Weise zu untersagen. Das ist es, was wir seit dem Anfang dieses Jahrhunderts den Russen zu verdanken haben und was wir Deutschen hoffentlich nie vergessen werden“.

Am Ende seiner Betrachtung fragte Engels, ob das Rheinland keinen anderen Beruf habe, als vom Krieg überzogen zu werden, damit Ruß-land freie Hand an Donau und Weichsel bekomme. Er erwiderte: „Wir hoffen, daß Deutschland sie bald mit dem Schwert in der Hand beantwortet. Halten wir zusammen, dann werden wir den französischen Prätorianern und den russischen Kapuschtsdiiks schon heimleuchten“. Er verwies darauf, daß Deutschland in seinem Kampf gegen Rußland in den russischen Leibeigenen einen Bundesgenossen bekommen habe: “ Der Kampf, der jetzt in Rußland zwischen der herrschenden und der beherrschten Klasse der Landbevölkerung ausgebrochen ist, untergräbt jetzt schon das ganze System der russischen auswärtigen Politik. Nur solange Rußland keine innere politische Entwiddung hatte, war dies System möglich. Aber diese Zeit ist vorbei. Die von der Regierung und dem Adel in jeder Weise gehobene industrielle und agrikole Entwicklung ist auf einen Grad gediehen, der die bestehenden sozialen Zustände nicht mehr erträgt. Ihre Aufhebung ist eine Notwendigkeit einerseits, eine Unmöglichkeit ohne gewaltsame Veränderung andererseits. Mit dem Rußland, das von Peter dem Großen bei Nikolaus bestand, fällt auch die auswärtige Politik dieses Rußlands. Wie es den Anschein hat, ist es Deutschland vorbehalten, diese Tatsache den Russen nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Schwert klarzumachen.

Kommt es dahin, so ist das eine Rehabilitation Deutschlands, die Jahrhunderte politischer Schmach aufwiegt“

Marx schrieb in der Zeitschrift „Das Volk“ am 25. Juni 1859 die Betrachtung „Spree und M i n c i o in der er die Zukunft der Revolution in Europa untersuchte. Er erinnerte an Kossuth Klapka Vogt

und Garibaldi

und betonte, daß, wenn es gelingen sollte, eine orsinische Bombe in Italien zu erlöschen, eine andere in Frankreich, in Deutschland, in Rußland oder wo immer es sein möge, platze. Denn das Bedürfnis und die Notwendigkeit der Revolution sei so allgemein wie die Verzweiflung der niedergetretenen Völker. Dahinter stand die Hoffnung auf den Ausdruck der Revolution, in deren Verwirklichung Preußen eine besondere Rolle zugewiesen war: „Preußens bewaffnete Vermittlung, das heißt seine Allianz mit Österreich, bedeutet die Revolution“

Seinen Artikel „Quid pro Quo“ begann Marx mit einer Reverenz vor — Clausewitz; im übrigen ging er mit dem preußischen Standpunkt scharf ins Gericht. Vor allem mißfiel ihm Preußens Rücksicht auf England und Rußland

Diese Haltung untersuchte Lenin 1915 in einer Auseinandersetzung mit A. Potressow sehr eingehend. Die zur Diskussion gestellte Frage lautete: „Auf welcher Seite ein Sieg am ehesten erwünscht wäre“. Lenin trat der Auffassung Marx“ bei, der von Preußens Einmischung gegen Napoleon einen Anstoß der Volksbewegung in Deutschland erwartete. Auch hier wurde die Vorstellung von der besonderen Aufgabe Deutschlands in der allgemeinen ökonomischen Entwicklung transparent. Nicht ohne gefälliges Selbstbewußtsein stellte Engels in einer Rezension der Veröffentlichung Marx’ „Die Kritik der politischen Ökonomie“ die Anfänge der selbständigen deutschen wissenschaftlichen politischen Ökonomie rühmend heraus. Er gab zunächst einen bemerkenswerten Aufriß der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands: „Auf allen wissenschaftlichen Gebieten haben die Deutschen längst ihre Ebenbürtigkeit, auf den meisten ihre Überlegenheit gegenüber den übrigen zivilisierten Nationen bewiesen. Nur eine Wissenschaft zählte keinen einzigen deutschen Namen unter ihren Koryphäen: die politische Ökonomie. Der Grund liegt auf der Hand. Die politische Ökonomie ist die theoretische Analyse der modernen bürgerlichen Gesellschaft und setzt daher entwichelte bürgerliche Zustände voraus, Zustände, die in Deutschland seit den Reformations-und Bauernkriegen und besonders seit dem Dreißigjährigen Krieg auf Jahrhunderte lang nicht aufkommen konnten. Die Lostrennung Hoflands vom Reich drängte Deutschland vom Welthandel ab und reduzierte seine industrielle Entivicklung von vornherein auf die kleinlichsten Verhältnisse; und während die Deutschen sich so mühsam und langsam von den Verwüstungen der Bürgerkriege erholten, während sie alle ihre bürgerliche Energie, die nie sehr groß war, abarbeiteten im fruchtlosen Kampf gegen die Zollschranken und verrückten Handelsregulationen, die jeder kleine Duodezfürst und Reichsbaron der Industrie seiner Untertanen auflegte, während die Reichsstädte im Zunftkram und Patriziertum verkamen — währenddessen eroberten Holland, England und Frankreich die ersten Plätze im Welthandel, legten Kolonie auf Kolonie an und entwickelten die Manufakturindustrie zur höchsten Blüte, bis endlidt England durch den Dampf, der seinen Kohlen-und Eisenlagern erst Wert gab, an die Spitze der modernen bürgerlichen Entwicklung trat. Solange aber noch der Kampf gegen so lächerlich antiquierte Reste des Mittelalters zu führen war, wie sie bis 1830 die materielle bürgerliche Entivicklung Deutschlands fesselten, solange war keine deutsche politische Ökonomie möglich. Erst mit der Errichtung des Zollvereins kamen die Deutschen in eine Lage, in der sie politische Ökonomie überhaupt nur verstehen konnten“. Nach Kritik an den bürgerlichen Wirtschaftstheorien verwies Engels auf die Entstehung der proletarischen Partei in Deutschland, von der er sagte:

„Ihr ganzes theoretisches Dasein ging hervor aus dem Studium der politischen Ökonomie, und von dem Augenblidt ihres Auftretens datiert auch die wissensdtaftliche, selbständige deutsche Ökonomie. Diese deutsche Ökonomie beruht wesentlich auf der materialistischen Auffassung der Geschichte, deren Grundzüge in der Vorrede des oben zitierten Werks kurz dargelegt sind. Diese Vorrede ist der Hauptsache nach bereits im . Volk'abgedruckt worden, weshalb wir darauf verweisen. Es war nicht nur für die Ökonomie, es war für alle historischen Wissenschaften (und alle Wissenschaften sind historisch, welche nicht Naturwissenschaften sind) eine revolutionierende Entdeckung, dieser Satz: , daß die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt bedingt'; daß alle gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse, alle religiösen und Rechtssysteme, alle theoretischen Anschauungen, die in der Geschichte auftaudten, nur dann zu begreifen sind, wenn die materiellen Lebensbedingungen der jedesmaligen entsprechenden Epoche begriffen sind und erstere aus diesen materiellen Bedingungen abgeleitet werden. , Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern (umgekehrt) ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.'Der Satz ist so einfach, daß er für jeden sich von selbst verstehen müßte, der nicht in idealistischen Schwindel festgerannt ist. Aber die Sache hat nicht nur für die Theorie, sondern auch für die Praxis höchst revolutionäre Konsequenzen: , Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwiddungsformen der Produktiv-kräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um . . . Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus'. Die Perspektive auf eine gewaltige auf die gewaltigste Revolution aller Zeiten eröffnet sich uns als sofort bei weiterem Verfolgen unserer materialistischen These und bei ihrer Anwendung auf die Gegenwart"

12. Der ökonomische Charakter des preußischen Verfassungskonfliktes

Bei der Auseinandersetzung mit den Reformisten in der russischen Sozialdemokratie griff Lenin im September 1911 auf die preußische Verfassungskrise von 1862, mit der sich Marx und Engels eingehend beschäftigt hatten zurück. Er warf diesen vor, sie zögen Beispiele der Schwäche der Arbeiterklasse in anderen Ländern vor 40 und 50 Jahren heran, um i h r Renegatentum zu rechtfertigen und ihre Renegatenpropaganda zu begründen. Er führte aus, Österreich und Preußen der sechziger Jahre, auf die sich die Reformisten so gerne beriefen, seien das Beispiel, welches am besten beweise, daß ihre Argumentation theoretisch nicht stichhaltig sei und politisch auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen sei und fragte, warum sich die Krisen in Österreich und Preußen in den sechziger Jahren als „Verfassungs-‘‘krisen, nicht aber als revolutionäre Krisen erwiesen hätten. Die von ihm gegebene Antwort lautet: „Darum, weil eine Reihe besonderer Umstände die schwierige Lage der Monarchie erleichterte (die Revolution von oben'in Deutschland, seine Einigung mit , Blut und Eisen), darum, weil das Proletariat der genannten Länder damals noch äußerst schwach und unentwickelt war und die liberale Bourgeoisie sich durch ebensolche erbärmliche Feigheit und Verrätereien auszeichnete wie auch die russischen Kadetten“. Lenin untersuchte die Haltung der deutschen Sozialdemokratie und vor allem Bebels während des preußischen Verfassungskonfliktes. Er verwies auf den Gegensatz zwischen dessen Einstellung 1862 und deren späterer Beurteilung. Bebel habe, so versichert Lenin seinen russischen Lesern, in der Erinnerung an seine Jugend sein Bedauern am meisten darüber betont, daß die deutsche Arbeiterklasse während der Verfassungskrise keine genügend zielbewußte Führung gehabt habe, die die revolutionären Aufgaben begriffen hätten, d. h. daß es keine revolutionäre sozialdemokratische Partei gegeben habe, die die Aufgabe der Hegemonie begriffen hätte Auch die „Linksschwenkung“ der deutschen Bourgeoisie in den sechziger Jahren beschäftigte Lenin. Wieder wurde er durch russische Vorgänge auf das deutsche Beispiel verwiesen. Er stellte zunächst fest, die menschewistische Taktik sei eine Verfälschung des Marxismus, eine Tarnung des antimarxistischen Inhalts durch „marxistisches Gerede". Diese Taktik liege der Denkmethode nicht von Marxisten zugrunde, sondern von Liberalen, die sich als Marxisten ausgeben. Er fuhr fort: „Um sich davon zu überzeugen, genügt es, einen wenn auch nur kurzen Blick auf die Geschichte und die Ergebnisse der bürgerlichen Revolution in Deutsddand zu werfen.“ In der „Neuen Rheinischen Zeitung" schrieb Marx über die Ursachen der Niederlage der Revolution von 1848: „Die hohe Bourgeoisie, von jeher antirevolutionär, schloß aus Furcht vor dem Volk, d. h. vor den Arbeitern und der demokratischen Bürgerschaft, ein , Schutz-und Trutzbündnis mit der Reaktion'. Auf diesem Standpunkt stand Marx und stehen alle deutschen Marxisten in der Einschätzung des Jahres 1848 und der darauffolgenden Taktik der deutschen Bourgeoisie. Ihr konterrevolutionäres Wesen hinderte die Großbourgeoisie nicht, , nach links zu schwenken', zum Beispiel in der Periode des Verfassungskonflikts der sedtziger Jahre; da aber das Proletariat nicht selbständig und entsddossen auftrat, kam aus dieser , Linksschwenkung'keine Revolution, sondern nur eine schüchterne Opposition heraus, die dazu führte, daß die Monardtie immer bürgerlicher wurde, und die das Bündnis der Bourgeoisie mit den Junkern, das heißt mit den reaktionären Gutsbesitzern, nicht beseitigte“. Das Ergebnis seiner Betrachtung faßte Lenin in der Feststellung zusammen, daß dort, wo das Proletariat nicht selbständig auftrete, die Linksschwenkung der Bourgeoisie nicht zur Revolution, sondern lediglich zu weiteren Schritten auf dem Wege der Wandlung der Monarchie zur bürgerlichen Monarchie führe

In der erstmals 1906 veröffentlichten Broschüre „Der Sieg der Kadetten und die Aufgabe der Arbeiterpartei“ verwies Lenin darauf, daß Marx und Engels zwar die bürgerlich-demokratischen Paktierer in Deutschland im Jahre 1848 gegeißelt, jedoch fünfzehn Jahre später während des preußischen Verfassungskonflikts der Arbeiterpartei geraten hätten, die bürgerlichen Demokraten, die Fortschrittler, zu unterstützen. Lenin erklärte den scheinbaren Widerspruch mit der Feststellung: „Tatsächlich gibt es hier keinerlei Widersprüche: Am heftigsten geißelte Marx in der Periode des revolutionären Kampfes die Verfassungsillusionen und die Verfassungspaktierer. Als alle Kräfte des revolutionären , Wirbelwindes'ausgeschöpft waren, als es keinen Zweifel mehr darüber geben konnte, daß die deutschen Kadetten die Revolution verraten hatten, als der Aufstand gänzlich niedergeschlagen war und eine ökonomische Blütezeit ihre Wiederholung hoffnungslos machte — da, und nur da (Marx und Engels zeichneten sich nicht durch Kleinmut und nicht durch geringen Glauben an den Aufstand nach seiner ersten Niederlage aus), nur da erkannten sie als Hauptform des Kampfes den parlamentarischen Kampf an“

Lenin setzte sich immer wieder mit Ereignissen der deutschen Geschichte auseinander. 1902 fragte er nach dem historischen Verdienst Lassalles um die deutsche Arbeiterbewegung und antwortete darauf: „Darin, daß er diese Bewegung vom Weg des progressistischen Trade-Unionismus und Kooperativismus ablenkte, den sie spontan (unter gütiger Mitwirkung der Sdiultze-Delitzsdr und iUresgleidien) eingesMagen hatte“. Am Ende seiner Betrachtung stellte er fest, daß der Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse in Deutschland noch nicht abgeschlossen sei, da diese noch immer in mehrere Ideologien zersplittert sei und betonte, daß die sozialdemokratischen Verbände am größten seien; sie hätten diese Vorherrschaft nur erreichen und würden sie nur aufrecht erhalten können durch unbeugsamen Kampf gegen alle anderen Ideologien Bereits

vorher hatte er über Lassalle erklärt: „In Deutschland bestand das Verdienst Lassalles darin, daß er die Arbeiterklasse aus einem Anhängsel der liberalen Bourgeoisie zu einer selbständigen politischen Partei machte. Der Marxismus hat den ökonomischen und den politischen Kampf der Arbeiterklasse zu einem untrennbaren Ganzen verbunden“

Engels war bereits sehr früh bemüht, die Bedeutung Marx’ für die deutsche Arbeiterbewegung herauszustellen, wobei er sich gegen die Auffassung wandte, Lassalle sei der Urheber der deutschen Arbeiterbewegung. Er behauptete von diesem, weder der ursprüngliche Initiator 'der deutschen Arbeiterbewegung noch ein origineller Denker zu sein. Auch habe er seinen Vorgänger und intellektuellen Vorgesetzten verschwiegen, dieser sei Marx. Er gab von diesem einen kurzen Lebensabriß, den er mit der Bemerkung schloß: „Marx ist lange Jahre unbedingt der , bestverleumdete'deutsche Schriftsteller gewesen, wogegen ihm niemand das Zeugnis verwehren wird, daß er dafür auch tapfer um sich gehauen hat und daß seine Hiebe alle scharf saßen. Aber die Polemik, in der er doch soviel . gemacht'hat, war im Grunde doch nur Sache der Notwehr bei ihm. Sein eigentliches Interesse war schließlich doch immer bei seiner Wissenschaft, die er fünfundzwanzig Jahre mit einer Gewissenhaftigkeit studiert und durdrdacht hat, die ihresgleichen sucht, einer Gewissenhaftigkeit, die ihn verhindert hat, seine Schlußfolgerungen in systematischer Form vor das Publikum zu bringen, ehe sie ihm nach Form und Inhalt selbst genügten, ehe er darüber mit sich klar war, daß er kein Buch ungelesen, keinen Einwurf unerwogen gelassen, daß er jeden Punkt vollständig erschöpft habe. Originelle Denker sind in dieser Zeit der Epigonen sehr rar; wenn aber ein Mann nicht nur ein origineller Denker, sondern auch im Besitz einer in seinem Fache unerreichten Gelehrsamkeit ist, so verdient er doppelte Anerkennung. Außer seinen Studien beschäftigt sich Marx, wie nicht anders zu erwarten, mit der Arbeiterbewegung; er ist einer der Gründer der Internationalen Arbeiterassoziation, welche in letzter Zeit soviel von sich reden machte und bereits an mehr als einem Ort Europas bewiesen hat, daß sie eine Macht ist. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir sagen, daß auch in dieser jedenfalls in der Arbeiterbewegung Epoche madtenden Gesellschaft das deutsche Element — dank namentlich Marx’ — die ihm gebührende einflußreiche Stellung einnimmt“

In der zweiten Auflage seines Bauernkrieges, geschrieben 1870, gab Engels eine Skizze der industriellen Entwicklung Deutschlands. Er ging von dem verspäteten Eintritt Deutschlands in den Kreis der Industrie-völker aus und versicherte: „Mit dem Aufschwung der Industrie seit IS 48 hat Schritt gehalten die soziale und politische Aktion des Proletariats. Die Rolle, die die deutschen Arbeiter heute in ihren Gewerkvereinen, Genossenschaften, politischen Vereinen und Versammlungen, bei den Wahlen und im sogenannten Reichstag spielen, beweist allein, welche Umwälzung Deutschland in den letzten zwanzig Jahren unvermerkt erlitten hat. Es gereidit den deutschen Arbeitern zur höchsten Ehre, daß sie allein es durdcgesetzt haben, Arbeiter und Vertreter ins Parlament zu schicken, während weder Franzosen noch Engländer dies bis jetzt fertigbrachten“

Lenin warnte in seinem Brief vom 16. Dezember 1909 an I. I. Skwor-zow-Stepanow vor dem Fehler einer (mechanischen) Übertragung des in vielem richtigen und in jeder Hinsicht äußerst wertvollen deutschen Musters auf Rußland, stellte die Entwicklung in Rußland von 1905 bis 19?? und die Spanne Deutscher Geschichte von 1848 bis 1871 auf die gleiche ideologische Stufe und betonte: „Unsere Epoche der Jahre 1905 bis ?? ist die Epoche des revolutionären und konterrevolutionären Kampfes um diese Wege, ähnlidt wie die Jahre 1848 bis 1871 in Deutsddand die Epoche des revolutionären und konterrevolutionären Kampfes der zwei Wege zur Vereinigung (= Lösung des nationalen Problems der bürgerlichen Entwiddung Deutsddands), des Weges über die großdeutsdce Republik und des Weges über die preußisdce Monardiie, waren. Erst 1871 hatte der zweite Weg endgültig (hierauf bezieht sidi mein . vollauf) gesiegt. Und damals gab Liebknedtt den Boykott des Parlaments auf. Und damals erstarb der Streit der Lassalleaner mit den Eisenachern. Und damals erstarb die Frage der allgemein-demokratischen Revolution in Deutschland — die Naumann, David und Konsorten aber haben in den neunziger Jahren (zwanzig Jahre später!) einen Leichnam zum Leben erwecken wollen“

13. Der Deutsch-Französische Krieg in der Wertung von Marx, Engels und Lenin

Am Vorabend des Krieges 1870/71 befaßte sich Engels in einem Brief an den Braunschweiger Verleger Bracke mit der Lage in Deutschland. Er wies die Behauptung, die deutschen Arbeiter seien stumpf, zurück und versicherte, er finde, daß die Sache in Deutschland unverhofft flott vorangehe. Die einzelnen Erfolge mußten natürlich mühsam erkämpft werden. Bei einem Vergleich zwischen 1860 und 1870 sei der Vorsprung, den die Arbeiterbewegung Deutschlands vor der Frankreichs und Englands erreicht habe, zu erkennen. Engels fügte an: „Die deutschen Arbeiter haben über ein halbes Dutzend Leute in das Parlament gebracht, die Franzosen und Engländer keinen einzigen. Darf ich mir dabei die Bemerkung erlauben, daß wir alle es hier für höchst wichtig halten, daß bei den Neuwahlen soviel Arbeiterkandidaten aufgestellt werden, wie möglich und soviel durchgebracht werden wie möglich“

Nadi Ausbruch des deutsch-französischen Krieges korrespondierte Engels mit Marx über die europäische Situation. Engels vertrat dabei die Ansicht, Deutschland sei durch „Badinquet" durch Louis Napoleon, in einen Krieg um seine nationale Existenz hineingeritten worden. Unterliege es gegen „Badinquet", sei der Bonapartismus auf Jahre gefestigt und Deutschland auf Jahre, vielleicht auf Generationen, kaputt. Über die Auswirkung einer solchen Entwicklung erklärte Engels: „Von einer selbständigen deutschen Arbeiterbewegung ist dann auch keine Rede mehr, der Kampf um Herstellung der nationalen Existenz absorbiert dann alles, und bestenfalls geraten die deutschen Arbeiter ins Schlepptau der französischen. Siegt Deutschland, so ist der französische Bonapartismus jedenfalls kaputt, der ewige Krakeel wegen Herstellung der deutschen Einheit endlich beseitigt, die deutschen Arbeiter können sich auf ganz anders nationalem Maßstab als bisher organisieren, und die französischen, was auch für eine Regierung dort folgen mag, werden sicher ein freieres Feld haben als unter dem Bonapartismus. Die ganze Masse des deutschen Volkes aller Klassen hat eingesehen, daß es sich eben um die nationale Existenz in erster Linie handelt, und ist darum sofort eingesprungen“ Marx versicherte, Engels umgehend antwortend, weitgehend mit dessen Auffassung übereinzustimmen. Bedenken äußerte er über das „Elsaß-Lothringen-Gelüst“, das nach seiner Ansicht in zwei Kreisen vorherrsche, in der „preußischen Cammerilla" und im „süddeutschen Bierpatriotismus“. Vom deutschen Verlangen an Elsaß-Lothringen sagte er, dessen Erfüllung wäre das größte Unglück, welches Europa und ganz speziell Deutschland treffen könnte. Auf Grund der Haltung der russischen Presse befürchtete er eine russische Intervention zur Herstellung des europäischen Gleichgewichts Um den 1. September richtete Marx an den „Braunschweiger Ausschuß" der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei eine Adresse, in der er sich mit der europäischen Situation befaßte. Er warnte vor allem vor dem Anschluß Elsaß-Lothringens an Deutschland. Das Streben danach bezeichnete er als das probateste Mittel, den gegenwärtigen Krieg in eine europäische Institution zu verwandeln. Marx bestritt, daß sich die Lothringer und Elsässer die Segnungen deutscher Regierung wünschten. Er versicherte, daß der augenblickliche Krieg notwendig einen Krieg zwischen Deutschland und Rußland im Schoße trage, so wie der Krieg zwischen Preußen und Österreich von 1866 den Krieg zwischen Frankreich und dem außer-österreichischen Deutschland von 1870 im Schoße getragen habe. Es hänge ganz vom jetzigen Verhalten der deutschen Sieger ab, ob dieser Krieg nützlich oder schädlich sei. Nehmen die Deutschen Elsaß-Lothringen, so werde Frankreich mit Rußland Deutschland bekriegen. Schließen sie einen ehrenvollen Frieden mit Frankreich, würde jener Krieg Europa von der moskowitischen Diktatur emanzipieren, Preußen in Deutschland aufgehen machen, dem westlichen Kontinent friedliche Entwicklung erlauben und endlich der russischen sozialen Revolution, deren Elemente nur eines solchen Stoßes von außen zur Entwicklung bedürfen, zum Durchbruch verhelfen. Marx wies dem deutsch-französischen Krieg auch für die Arbeiterbewegung entscheidende Bedeutung zu: „Der jetzige Krieg eröffnet dadurch eine neue weltgeschichtlidie Epodte, daß Deutsdiland bewiesen hat, daß es selbst mit Ausschluß von Deutsdt-Österreidi fähig ist, unabhängig vom Auslande, seine eigenen Wege zu gehen. Daß es zunädtst seine Einheit in der preußisd-ien Kaserne findet, ist eine Strafe, die es reichlich verdient hat. Aber ein Resultat ist selbst so unmittelbar gewonnen. Die kleinlichen Lumpereien, wie z. B. der Konflikt zwisdten nationalliberalen Norddeutsdren und volksparteilichen Süddeutsdten, werden nicht länger nutzlos im Wege stehen. Die 'Verhältnisse werden sich auf großem Maßstab entwickeln und vereinfachen. Wenn die deutsche Arbeiterklasse dann nidit die ihr zukommende historische Rolle spielt, ist es ihre Sdruld. Dieser Krieg hat den Schwerpunkt der kontinentalen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegt. Damit haftet größere Verantwortlichkeit auf der deutsdten Arbeiterklasse“

Marx verfaßte auch zwei Adressen des „Generalrates der internationalen Arbeiterassoziation" über den Deutsch-Französischen Krieg. In der ersten machte er Louis Bonaparte für die Entwicklung zum Krieg und für dessen Ausbruch verantwortlich. Er sprach davon, daß die Totenglocke des zweiten Kaiserreichs in Paris bereits geläutet habe und dieses enden werde, wie es begonnen habe, mit einer Parodie. Leidenschaftlich ergriffen fuhr er fort: „Aber vergessen wir nidit, daß es die Regierungen und die herrsdienden Klassen Europas waren, die es Louis Bonaparte ermöglid-iten, achtzehn Jahre lang die grausame Posse der Restauration des Königsreidtes zu spielen.“ Im Anschluß daran würdigte er die deutsche Situation: „Von deutscher Seite ist der Krieg ein Verteidigungskrieg. Aber wer brachte Deutschland in den Zwang, sich verteidigen zu müssen? Wer ermöglichte Louis Bonaparte, den Krieg gegen Deutschland zu führen? Preußen! Bismarck war es, der mit demselben Louis Bonaparte konspirierte, um eine volkstümliche Opposition zu Hause niederzusdtlagen und Deutsdiland an die Hohenzollern-dynastie zu annexieren. Wäre die Schladts bei Sadowa verloren worden anstatt gewonnen, französische Bataillone hätten Deutsdiland überschwemmt als Verbündete Preußens. Hat Preußen nach dem Siege auch nur für einen Augenblick geträumt, dem versklavten Frankreidi ein freies Deutsdiland gegenüberzustellen? Gerade das Gegenteil! Es hielt ängstlich die angeborenen Schönheiten seines alten Systems aufrecht und fügte obendrein alle Kniffe des zweiten Kaiserreidts hinzu, * seinen wirklichen Despotismus und seine Scheindemokratie, seine politisdien Blendwerke und seine finanziellen Schwindeleien, seine hoditrabenden Phrasen und seine gemeinen Tasdtenspielerkünste. Das bonapartistische Regime, das bisher nur auf einer Seite des Rheins blühte, hatte damit auf der andern sein Gegenstüdt erhalten. Und standen die Dinge so, was anders konnte daraus folgen als der Krieg?“ Mit großer Genugtuung verzeichnete Marx den Umstand, daß die Stimme der französischen Arbeiter aus Deutschland zurückgehallt sei. Eine Arbeitermassenversammlung vor Braunschweig habe sich am 16. Juli mit dem „Pariser Manifest" vollständig einverstanden erklärt, jeden Gedanken eines nationalen Gegensatzes gegen Frankreich von sich gewiesen und Beschlüsse gefaßt, worin es heißt: „Wir sind Gegner aller Kriege, aber vor allem dynastischer Kriege . . . Mit tiefem Kummer und Schmerz sehen wir uns hineingenötigt in einen Verteidigungskrieg als ein unvermeidliches Übel; aber gleichzeitig rufen wir die gesamte denkende Arbeiterklasse auf, die Wiederholung eines solchen ungeheuren sozialen Unglücks unmöglich zu machen, indem sie für die Völker selbst die Macht verlangt, über Krieg und Frieden zu entscheiden und sie zu Herren ihrer eigenen Geschicke zu machen.“ Tief beunruhigt richtete Marx die Aufmerksamkeit der im Kriege stehenden europäischen Völker auf die Drohung aus dem Osten: „Im Hintergrund dieses selbstmörderischen Kampfs lauert die unheimliche Gestalt Rußlands. Es ist ein böses Vorzeichen, daß das Signal zum gegenwärtigen Krieg gegeben wurde gerade in dem Augenblick, als die russische Regierung ihre strategischen Eisenbahnen vollendet hatte und bereits Truppen konzentrierte in der Richtung auf den Pruth. Welche Sympathien die Deutschen auch mit Recht beanspruchen mögen in einem Verteidigungskrieg gegen bonapartistischen Überfall, sie würden sie alsbald verlieren, erlaubten sie der deutschen Regierung, die Hilfe der Kosaken anzurufen oder auch nur anzunehmen. Mögen sie sich erinnern, daß nach seinem Unabhängigkeitskrieg gegen den ersten Hapoleon Deutschland jahrzehntelang hilflos zu den Füßen des Zaren lag“

In der zweiten Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-assoziation setzte sich Marx vor allem mit der deutschen Forderung nach Elsaß-Lothringen auseinander. Er polemisierte gegen den Gedanken, die alte Karte von Europa nach dem historischen Recht umzuarbeiten. Wenn solches geschehe, dürfe nicht vergessen werden, daß der Kurfürst von Brandenburg seinerzeit für seine preußischen Besitzungen der Vasall der polnischen Republik war. Auch die militärischen Argumente, mit denen die Forderung nach Elsaß-Lothringen begründet wurde, ließ er nicht gelten. „Denn“, so fuhr er fort, „wenn die Grenzen durch militärische Interessen bestimmt werden sollen, werden die Ansprüche nie ein Ende nehmen, weil jede militärische Linie notwendig fehlerhaft ist und durch Annexion von weiterem Gebiet verbessert werden kann.“ Marx kritisierte heftig den deutsch-tümlichen Patriotismus und wandte die Aufmerksamkeit erneut auf die Gefahr aus dem Osten. So wie Louis Napoleon sich 1866 geschmeichelt habe, der Krieg zwischen Österreich und Preußen werde ihn zum obersten Schiedsrichter über Deutschland machen, so schmeichle sich Alexander, der Krieg von 1870 werde ihn durch gegenseitige Erschöpfung Deutschlands und Frankreichs zum obersten Schiedsrichter des europäischen Westens erheben. Zur Begründung seiner These führte Marx aus: „Das ist das Gesetz des alten politischen Systems. Innerhalb seines Bereichs ist der Gewinn des einen der Verlust des anderen. Des Zaren überwiegender Einfluß auf Europa wurzelt in seiner traditionellen Oberherrlichkeit über Deutschland. Im Augenblick, wo vulkanische soziale Kräfte in Rußland selbst die tiefsten Grundlagen der Selbstherrschaft zu erschüttern drohen, kann sidt da der Zar eine Schwächung seiner Stellung gegenüber dem Ausland gefallen lassen? Schon wiederholen die Moskauer Blätter dieselbe Sprache wie die bonapartistischen Zeitungen nach dem Kriege von 1866. Glauben die Deutschtümler wirklich, daß Freiheit und Frieden Deutschlands gesichert sei, wenn sie Frankreich in die Arme Rußlands hineinzwingen? Wenn das Glück der Waffen, der Übermut des Erfolgs und dynastische Intrigen Deutschland zu einem Raub an französischem Gebiet verleiten, bleiben ihm nur zwei Wege offen. Entweder muß es, was auch immer daraus folgt, der offenkundige Knecht russischer Vergrößerung werden, oder aber es muß sich nach kurzer Rast für einen neuen , defensiven Krieg rüsten, nicht für einen jener neugebackenen . lokalisierten Kriege, sondern zu einem Rassenkrieg gegen die verbündeten Rassen der Slawen und Romanen.“ Im übrigen entbot Marx der französischen Republik seinen Gruß. Er ließ zwar keine Zweifel, daß die französische Arbeiterklasse in äußerst schwierige Umstände versetzt sei, war jedoch der Überzeugung, daß dieser neue herkulische Kräfte zuwüchsen für die Wiedergeburt Frankreichs und für die gemeinsame Aufgabe — die Befreiung des Proletariats

Auch Engels befaßte sich ausführlich mit dem deutsch-französischen Krieg. Er untersuchte seine politischen und geschichtlichen Ursachen, verlangte die Entfaltung der vollen nationalen Kraft für die Verteidigung und wünschte eine allgemeine Wehrpflicht, von der er sich militärische und politische Wirkung erhoffte: „Wie das preußische Landwehrsystem ein Fortschritt war, verglichen mit dem französischen Kader-system, weil es die Dienstzeit herabsetzte und die Zahl der Männer, die ihr Land zu verteidigen fähig sind, erhöhte, so wird dieses neue System der wirklichen allgemeinen Wehrpflicht wieder ein Fortschritt über das preußische System sein. Die Rüstungen für einen Krieg werden immer größer, aber die Friedensarmeen immer kleiner werden. Jeder einzelne Bürger eines Landes wird die Streitigkeiten seiner Regierung persönlich auskämpfen müssen und nicht mehr einen Ersatzmann stellen können. Die Verteidigung wird stärker und der Angriff schwieriger werden, und der große Umfang der Armeen wird schließlich in eine Verminderung der Ausgaben und eine Garantie für den Frieden umschlagen“

Engels griff immer wieder die Annexion Elsaß-Lothringens auf, in der er ein Verbrechen nicht nur gegen Deutschland, sondern gegenüber Europa sah. Durch diese Maßnahme, die in Frankreich eine tiefe, nie verheilende Wunde geschlagen habe, werde dieses in die Arme des zaristischen Rußlands getrieben. Engels benützte auch diese Gelegenheit, seine These vom Zuwarten Rußlands auf die Erschöpfung der westlichen Mächte Europas vorzutragen: „Der Krieg 1859 hatte auch Preußen aufgeschreckt. Es hatte seine Armee fast verdoppelt und einen Mann ans Ruder gestellt, der es mit der russischen Diplomatie wenigstens in einem Punkt aufnehmen konnte: in der Rücksichtslosigkeit in betreff der anzuwendenden Mittel. Dieser Mann war Bismarck. Während des polnischen AufStandes 1863 nahm er, gegenüber Österreich, Frankreich und England, in theatralischer Weise Partei für Rußland und tat alles, um diesem den Sieg zu verschaffen. Das sicherte ihm den Abfall des Zaren von seiner gewohnten Politik in der schleswig-holsteinischen Frage; die Herzogtümer wurden 1864 mit zarischer Erlaubnis von Dänemark losgerissen. Dann kam der preußisch-österreichische Krieg 1866; hier freute sich der Zar wieder über die erneute Züchtigung Österreichs und die wachsende Macht Preußens, des allein treuen — selbst nach den Fußtritten von 1849/50 noch treuen Vasallen. Der Krieg von 1866 zog den Deutsch-Französischen Krieg 1870 nach sich, und wieder trat der Zar auf die Seite seines preußischen , Dja-dja Molodez'; er hielt Österreich direkt im Schach und beraubte so Frankreich des einzigen Bundesgenossen, der es vor vollständiger Niederlage retten konnte. Aber wie Louis Bonaparte 1866, so wurde Alexander 1870 geprellt dureh die raschen Erfolge der deutschen Waffen. Statt eines langwierigen, beide Kämpfer auf den Tod erschöpfenden Krieges erfolgten die raschen Schläge, die in fünf Wochen das bonapartistische Kaiserreich stürzten und seine Armeen nach Deutschland gefangenführten."

Engels sah durch den Krieg 1870/71 das deutsch-russische Verhältnis verändert. Die Deutschland erwachsende Gefahr beschrieb er mit der Feststellung: „Das neue Deutsche Reich tat Rußland den Gefallen, Elsaß-Lothringen von Frankreich loszureißen und damit in der Tat Frankreich in die Arme Rußlands zu jagen. Die zarische Diplomatie war nun in der beneidenswerten Lage, die beiden durch diese Losreißung auf den Tod verfeindeten Länder, Frankreich wie Deutschland, von Ruß-land abhängig zu wissen“

Durch Marx und Engels nachdrücklich auf den deutsch-französischen Krieg aufmerksam gemacht, untersuchte Lenin unter dem Eindruck des Weltkrieges 1915 dessen Charakter. Er begann seine Betrachtung mit der Feststellung, die große französische Revolution habe eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit eröffnet. Von dieser Zeit bis zur Pariser Kommune, von 1789 bis 1871 hätten die bürgerlich-fortschrittlichen nationalen Befreiungskriege einen besonderen Typus von Kriegen dargestellt. Er versicherte, daß im Deutsch-Französischen Krieg Frankreich durch Deutschland beraubt worden sei, betonte jedoch, daß dieser Umstand nichts an der grundlegenden historischen Bedeutung dieses Krieges ändere, der Dutzende Millionen Deutsche von feudaler Zersplitterung und von der Unterdrückung durch zwei Despoten, durch den russischen Zaren und Napoleon III., befreite. Unter Zurückweisung der Ansichten der russischen Sozialchauvinisten bemerkte er, daß Marx und Engels den Krieg in dem Augenblick entschieden verurteilt hätten, in dem sich dieser zur Beraubung Frankreichs ausgewachsen habe. Mit dieser Argumentation versuchte Lenin der 1915 weit verbreiteten Ansicht das Recht auf die „Berufung von Marx und Engels“ zu entziehen, die deutschen Sozialisten hätten im Falle eines Krieges mit Rußland und Frankreich zugleich ihr Vaterland zu verteidigen. Lenin erinnerte an Marx'Wort, daß „die Arbeiter kein Vaterland haben“, und verurteilte alle, die Marx verfälschten und die sozialistische Auffassung vom Kriege durch die bürgerlichen Anschauungen ersetzten Im März 1916 wandte er sich erneut gegen Versuche, den I. Weltkrieg mit Marx-Engels zu rechtfertigen. Er bezeichnete dabei den Krieg als die Fortsetzung der Politik, die die herrschenden Klassen der kriegführenden Mächte lange vor dem Kriege getrieben haben mit den Mitteln der Gewalt: „Der Friede ist die Fortsetzung der gleichen Politik, unter Berücksichtigung jener Veränderungen im Kräfteverhältnis der Gegner, die durch Kriegshandlungen entstanden sind. Der Krieg ändert an sich nicht die Richtung, in der sich die Politik vor dem Kriege entwickelt hat, er beschleunigt nur diese Entwicklung." Der Krieg von 1870/71 ist nach dieser Definition Lenins die Fortsetzung der bürgerlich-fortschrittlichen (jahrzehntelang währenden) Politik der Befreiung und Einigung Deutschlands. Daß Napoleon III. aufs Haupt geschlagen und entthront worden sei, habe diese Befreiung beschleunigt. Das Friedensprogramm der Sozialisten jener Epoche habe diesem fortschrittlich-bürgerlichen Resultat Rechnung getragen und die demokratische Bourgeoisie unterstützt: kein Raub an Frankreich, ehrenvoller Friede mit der Republik. Den Versuch, dieses Beispiel auf die Situation des 1914 ausgebrochenen imperialistischen Krieges sklavisch zu übertragen, nannte Lenin eine Farce, denn dieser habe die Politik der überreifen reaktionären Bourgeoisie fortgesetzt, die die Welt ausplünderte, sich Kolonien aneignete usw. Der in Übung gekommene Vergleich zwischen den Kriegen 1870/71 und 1914/18 veranlaßte Lenin zu der dialektischen Synopse: „Jener Krieg beschleunigte die Entwicklung in demokratischer, bürgerlich-progressiver Richtung: Sturz Napoleons III., Einigung Deutschlands. Dieser Krieg beschleunigt die Entwicklung nur zur sozialistischen Revolution. Damals hatte das Programm des demokratischen (bürgerlichen) Friedens eine objektive geschichtliche Grundlage. Jetzt fehlt diese Grundlage, und das leere Geschwätz vom demokratisdien Frieden ist ein bürgerliches Lügengewebe, dessen objektiver Sinn die Ablenkung der Arbeiter vom revolutionären Kampf für den Sozialismus ist! Damals unterstützten die Sozialisten durch ein demokratisches Friedensprogramm die vorhandene, tiefgehende, jahrzehntelang sich offenbarende demokratisch-bürgerliche Bewegung der Massen (zum Sturz-Napoleons III., zur Einigung Deutschlands). Jetzt unterstützten die Sozialisten durch ein demokratisches Friedensprogramm auf dem Boden bürgerlicher Verhältnisse die Irreführung des Volkes durch die Bour- geoisie, die das Proletariat von der sozialistischen Revolution ablenken möchte“

Lenin hatte eine große Vorliebe für das Zeitalter Bismarcks. Er gestand letzterem zu, in seiner Art, auf junkerliche Weise, eine historisch fortschrittliche Sache vollbracht zu haben und betonte: „Aber der wäre ein schöner . Marxist', der auf Grund dessen, die Unterstützung Biswarcks durch Sozialisten zu rechtfertigen gedächte. Dabei förderte Bismarc die ökonomische Entwicklung, indem er das zersplitterte Deutschland, das von fremden Nationen unterdrückt wurde, vereinigte. Der ökonomische Aufschwung und die rasche Entwicklung Groflrußlands aber erfordern die Befreiung des Landes von der Vergewaltigung anderer Nationen durdt die Großrussen“ Das 1871 konstituierte Deutsche Reich bezeichnete er als ein Deutschland der „gegenüber dem Adel waditlosen Bourgeoisie“. Zur Begründung dieser Ansicht berief er sich auf Marx:

„In ihrem schonungslosen, unerhört scharfen und ein allgemeines Geheul der Liberalen ... hervorrufenden Kampf gegen die Liberalen von 1848 waren Marx und die Marxisten bei weitem keine Menschen der , Schimäre', wenn sie den . Plan'eines großdeutschen dewokratisdten Staates verteidigten. Im Gegenteil, indem sie diesen . Plan'verteidigten und unentwegt propagierten, indem sie die Liberalen und Demokraten geißelten, die diesen Plan verraten hatten, erzogen Marx und die Marxisten eben jene Klasse, in der die lebendigen Kräfte des , neuen Deutschlands'liegen und die jetzt — dank der konsequenten, aufopferungsvollen und entschiedenen Propaganda von Marx — für ihre historische Rolle des Totengräbers nicht nur der Biswarckschen Bourgeoisie, sondern der Bourgeoisie überhaupt wohlgerüstet und geschult ist“

Lenin stieß in der Beschäftigung mit dem Bismarckschen Reich auch zu dessen Verfassung vor, über die er in seinen im Juli 1913 geschriebenen „Lehrreichen Reden“ sagte: „Noch einige Worte über eine rein geschichtliche Frage. Warum wurde in Deutschland gerade eine soldte Verfassung . möglich', die dem konterrevolutionären Liberalismus noch mehr als die französische gefällt? Nur deshalb — erzürnter, aber wenig einfallsreicher Herr Isgojew —, weil diese Verfassung den Bestrebungen Bismardis und der Liberalen entsprach, die Furcht hatten vor Freiheiten der Arbeiter, die Furcht hatten vor dem Streben der Arbeiter in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren nach weitestgehender Demokratisierung Deutschlands. Die Arbeiter Deutschlands erwiesen sich damals als schwach. Daher konnten Bismarck und die preußischen Liberalen zur Hälfte siegen. Wären die Arbeiter Deutsdrlands stärker gewesen, hätte Bismarck zu einem Viertel gesiegt. Wären sie noch stärker gewesen, hätte Bismarck überhaupt nicht gesiegt. Deutschland hat Freiheiten erhalten, trotz Bismarcks, trotz der preußischen Liberalen, nur dank dem nachdrüddichen und hartnäckigen Streben der Arbeiterklasse (teilweise, aber zu sehr geringem Teil, der dewokratisdten Kleinbourgeoisie) nach weitestgehender Demokratisierung“

Auch auf Bismarcks Kulturkampf und seine Folgen ging Lenin in der Beschäftigung mit der zeitgenössischen Entwicklung Deutschlands ein. Er folgte dabei den Ansichten und der Argumentation Engels', der sich sowohl gegen die Zugeständnisse an den Idealismus, als auch gegen ein Verbot der Religion durch die sozialistische Gesellschaft ausgesprochen hatte. Lenin interpretierte dessen Auslassungen mit der Feststellung: „Engels verurteilte wiederholt die Versuche von Leuten, die , linker'oder . revolutionärer'sein wollten als die Sozialdemokratie, in das Programm der Arbeiterpartei ein direktes Bekenntnis zum Atheismus im Sinne einer Kriegserklärung an die Religion hineinzubringen. Im Jahre 1874, bei der Besprechung des berühmten Manisests der blanquistischen Kommune-Flüdttlinge, die als Emigranten in London lebten, behandelt Engels ihre lärmende Kriegserklärung an die Religion als eine Dummheit und erklärt, eine solche Kriegsansage sei das beste Mittel, das Interesse für die Religion zu beleben und das wirkliche Absterben der Religion zu erschweren. Engels wirft den Blanquisten vor, sie vermöchten nicht zu begreifen, daß nur der Klassenkampf der Arbeitermassen, der die breitesten Schichten des Proletariats allseitig in die bewußte und revolutionäre gesellschaftliche Praxis hineinzieht, imstande sei, tatsächlich die unterdrückten Massen vom Joch der Religion zu befreien, wogegen es eine anarchistische Phrase sei, den Krieg gegen die Religion zur politischen Aufgabe der Arbeiterpartei zu proklamieren. Und im Jahre 1877 verurteilt Engels im . Anti-Dühring', die geringsten Zugeständnisse des Philosophen Dühring an den Idealismus und die Religion schonungslos geißelnd, nicht minder entschieden die angeblich revolutionäre Idee Dührings, in der sozialistischen Gesellschaft die Religion zu verbieten. Der Religion einen derartigen Krieg ansagen, heißt nach Engels .den Bismarck überbismarclcen', d. h. die Dummheit des Bismarckschen Kampfes gegen die Klerikalen wiederholen (der berüchtigte . Kulturkampf, d. h.der Kampf, den Bismarck in den siebziger Jahren durch polizeiliche Verfolgungen des Katholizismus gegen die deutsche Partei der Katholiken, die . Zentrums'partei führte). Durdr diesen Kampf hat Bismarck den streitbaren Klerikalismus der Katholiken nur gestärkt, hat der Sache der wirklichen Kultur nur Abbruch getan, denn statt der politischen Scheidung rückte er die religiösen Scheidungen in den Vordergrund und lenkte so die Aufmerksamkeit gewisser Sdtichten der Arbeiterklasse und der Demokratie von den dringenden Aufgaben des revolutionären und des Klassenkampfes auf einen ganz oberflächlidten und bürgerlidt-verlogenen Antiklerikalismus ab. Engels erhob gegen Dühring, der darauf erpicht war, ultrarevolutionär zu sein, den Vorwurf, in anderer Form dieselbe Dummheit Bismarcks wiederholen zu wollen, und von der Arbeiterpartei forderte er, sie müsse verstehen, geduldig an der Organisierung und Aufklärung des Proletariats zu arbeiten, einem Werk, das zum Absterben eines politischen Krieges gegen die Religion führe, sie dürfe sich aber nicht in das Abenteuer eines politischen Krieges gegen die Religion stürzen. Diese Auffassung ist der deutschen Sozialdemokratie in Fleisch und Blut übergegangen, die sich zum Beispiel für die Freiheit der Jesuiten, für ihre Zulassung in Deutschland, für die Aufhebung aller polizeilichen Kampfmaßnahmen gegen diese oder jene Religion ausgesprochen hat. . Erklärung der Religion zur Privatsache'— in diesem berühmten Punkt des Erfurter Programms (1891) 15ist die dargelegte politische Taktik der Sozialdemokratie verankert. . . "

14. Situation und Funktion der Arbeiterklasse im Zeitalter Bismarcks

In der 1872/73 erschienenen Broschüre „Zur Wohnungsfrage“ entwarf Engels ein Bild der ökonomisch-gesellschaftlichen Verhältnisse Deutschlands nach der Reichsgründung. Er sprach vom „Übergang Preußens zum Bonapartismus“, verursacht durch die Gleichgewichte zwischen Bourgeoisie und Proletariat, verneinte die Fähigkeit Preußens, die soziale oder auch nur eine Wohnungsfrage zu lösen und versicherte unter Hinweis auf die Verwendung der französischen Kriegsreparationszahlungen, daß die Arbeiter vom preußischen Staat nichts zu erwarten hätten. „Ist auch nur ein Taler dieser Milliarden verwendet worden“, fragt Engels, „um die auf die Straße geworfenen Berliner Arbeiterfamilien unter Dach zu bringen? Im Gegenteil. Als der Herbst herangekommen, ließ der Staat selbst die paar elenden Baracken einreißen, die ihnen im Sommer als Notdach gedient hatten. Die fünf Milliarden gehen flott den Weg alles Fleisches, in Festungen, Kanonen und Soldaten“

Marx hatte sich bereits auf der im September 1871 vor der Internationalen Arbeiterassoziation gehaltenen Rede mit der Situation der Arbeiterklasse in Deutschland befaßt. Er betonte, daß während des Krieges 1870/71 die Haltung der deutschen Arbeiter über alles Lob erhaben gewesen sei. Er erinnerte daran, daß das ganze Braunschweiger Arbeiterkomitee verhaftet und auf eine Festung nahe der russischen Grenze gebracht worden sei. Auch gab er zu bedenken, daß die Arbeiter während der „Kommune" in Versammlungen ihre Solidarität mit den Pariser Revolutionären bekundet hätten. Beim feierlichen Siegeseinzug Kaiser Wilhelms und seines Heeres in Berlin, sei der Ruf „Es lebe die Kommune“ erklungen

In der mit dem 1. Juli 1874 datierten Vorbemerkung zur dritten Auflage seines „Deutschen Bauernkrieges" erläuterte Engels die Aufgabe der deutschen Arbeiter. Er beschrieb die durch die Entscheidungen von Königgrätz-Sadowa und Versailles ausgelösten wirtschaftlichen Entwicklungen: „Für den zukünftigen Geschichtsschreiber wird in der Geschickte Deutschlands von 1869 bis 1874 der Schlachtendonner von Spichern, Mars-la-Tour und Sedan, und was daranhängt, weit weniger Bedeutung haben als die anspruchslose, ruhig, aber stetig fortschreitende Entwicklung des deutschen Proletariats. Gleich 1870 trat eine schwere Prüfung an die deutschen Arbeiter heran: die bonapartistische Kriegsprovokation und ihre natürliche Wirkung: der allgemeine nationale Enthusiasmus in Deutschland. Die deutschen sozialistischen Arbeiter ließen sich keinen Augenblick irremachen. Nicht eine Regung von nationalem Chauvinismus trat bei ihnen hervor. Mitten im tollsten Siegestaumel blieben sie kalt, verlangten , einen billigen Frieden mit der französischen Republik und keine Annexionen , und selbst der Belagerungszustand konnte sie nicht zum Schweigen bringen. Kein Schlachtenruhm, kein Gerede von deutscher , Reichsherrlichkeit‘ zog bei ihnen; ihr einziges Ziel blieb die Befreiung des gesamten europäischen Proletariats. Man darf wohl sagen: einer so sdtweren, so glänzend bestandenen Probe sind die Arbeiter keines andern Landes bisher unterworfen worden.“ Mit sichtlichem Stolz berichtete er über die Verfolgung der deutschen Arbeiterbewegung im und vor allem nach dem Kriege 1870/71. Er freute sich darüber, daß die deutschen Arbeiter den Kampf vorwiegend mit Humor führten, da dieser dem Westen Beweis sei, wie sehr sie ihrer Sache sicher und ihrer Überlegenheit sich bewußt seien. In den Wahlen zum Reichstag vom Januar 1874 sah Engels eine Bestätigung seiner hochgespannten Erwartungen, die sich unvermindert auf die deutsche Arbeiterbewegung richteten. Unter den zahlreichen Auslassungen, die er über die wegbahnende Aufgabe des deutschen Proletariats machte, nehmen seine anschließend gemachten Feststellungen einen überragenden Platz ein: „Die deutschen Arbeiter haben vor denen des übrigen Europas zwei wesentliche Vorteile voraus. Erstens, daß sie dem theoretischsten Volk Europas angehören und daß sie sich den theoretischen Sinn bewahrt haben, der den sogenannten , Gebildeten Deutschlands so gänzlich abhanden gekommen ist. Ohne Vorausgang der deutschen Philosophie, namentlich Hegels, wäre der deutsche wissenschaftliche Sozialismus — der einzige wissenschaftliche Sozialismus, der je existiert hat — nie zustande gekommen. Ohne theoretischen Sinn unter den Arbeitern wäre dieser wissenschaftliche Sozialismus nie so sehr in ihr Fleisch und Blut übergegangen, wie dies der Fall ist. Und welch ein unermeßlicher Vorzug dies ist, zeigt sich einerseits an der Gleichgültigkeit gegen alle Theorie, die eine der Hauptursachen ist, weshalb die englische Arbeiterbewegung, trotz aller ausgezeichneten Organisation der einzelnen Gewerke, so langsam vom Flecke kommt, und andererseits an dem Unfug und der Verwirrung, die der Proudhonismus in seiner ursprünglichen Gestalt bei Franzosen und Belgiern, in seiner durch Bakunin weiter karikierten Form bei Spaniern und Italienern angerichtet hat. Der zweite Vorteil ist der, daß die Deutschen in der Arbeiterbewegung der Zeit nach ziemlich zuletzt gekommen sind. Wie der deutsdie theoretische Sozialismus nie vergessen wird, daß er auf den Schultern Saint-Simons, Fouriers und Owens steht, dreier Männer, die bei aller Phantasterei und bei allem Utopismus zu den bedeutendsten Köpfen aller Zeiten gehören und zahllose Dinge genial antizipierten, deren Richtigkeit wir jetzt wissenschaftlid-t nachweisen — so darf die deutsche praktische Arbeiterbewegung nie vergessen, daß sie auf den Schultern der englischen und französischen Bewegung sich entwickelt hat, ihre teuer erkauften Erfahrungen sich einfach zunutze machen, ihre damals meist unvermeidlichen Fehler jetzt vermeiden konnte. Ohne den Vorgang der englischen Trade-Unions und der französischen politisdten Arbeiterkämpfe, ohne den riesenhaften Anstoß, den namentlich die Pariser Kommune gegeben, wo wären wir jetzt?“. Engels sprach am Ende der siegesgestimmten Betrachtung den Wunsch aus, daß die deutsche Arbeiterklasse nicht nur einen Wahlkreis nach dem andern dem Feind entreiße, sondern auch den echt internationalen Sinn bewahre, der keinen patriotischen Chauvinismus aufkommen lasse und der jeden neuen Schritt in der proletarischen Bewegung mit Freuden begrüße, einerlei von welcher Nation er ausgehe. Er erklärte: „Wenn die deutsdien Arbeiter so vorangehen, so werden sie nidit gerade an der Spitze der Bewegung marschieren — es ist gar nicht im Interesse dieser Bewegung, daß die Arbeiter irgendeiner einzelnen Nation an ihrer Spitze marschieren —, aber doch einen ehrenvollen Platz in der Schlachtlinie einnehmen; und sie werden gerüstet dastehen, wenn entweder unerwartet schwere Prüfungen oder gewaltige Ereignisse von ihnen erhöhten Mut, erhöhte Entschlossenheit und Tatkraft erheischen“

Marx beschäftigte sich im Nachwort zur zweiten Auflage seiner Broschüre „Enthüllungen über den Kommunistenprozeß in Köln“ mit der Haltung Bismarcks gegenüber der Arbeiterpartei und erklärt, dieser habe sich stark genug gewähnt, die Arbeiterpartei aus der Welt Stiebern zu können. Er beschloß seine rückschauenden Überlegungen mit einem Hinweis auf die Preußens militärischen Ruhm begrabende Schlacht von Jena und Auerstedt und versicherte „Jena . . . das ist das letzte Wort für eine Regierung, die solcher Mittel zum Bestehen, und für eine Gesellschaft, die solch einer Regierung zum Schutze bedarf.“ Marx hielt nicht nur den „Kölner Kommunistenprozeß“ für ein „politisches Jena", er war auch überzeugt, daß ein neues Jena dem Staate drohe, der sich mit der Arbeiterpartei anlege. Audi Engels ist dieser Auffassung. In einem Brief an Friedrich Albert Sorge erklärte er: „In Deutschland gingen die Sachen famos trotz aller Verfolgung, teilweise eben wegen der Verfolgung“

So hochgestimmt diese Erwartungen waren, sie konnten die aufkommenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Marx/Engels und der ihnen entsprechenden Arbeiterbewegung in Deutschland weder verhindern noch überbrücken. Bekanntlich flossen 1875 die beiden Ströme der deutschen Arbeiterbewegung ineinander, „Lassalleaner" und „Eisenacher“ vereinigten sich Die ersten Beratungen über Form und Zeitplan der Verschmelzung fanden am 14. und 15. Februar in Gotha statt. Als deren Ergebnis wurden zwei Vorlagen, eine über die Organisation, eine zweite über das Programm der Gesamtpartei, veröffentlicht. Letzteres veranlaßte M a r x zu einer scharfen Kritik, die den Anfang eines noch nicht beendeten Entfremdungsprozesses bezeichnet. Seine „Kritik des Gothaer Programms“ erst 1891 der Allgemeinheit zugängig gemacht, gibt eine Zusammenfassung der Theorie des politischen und wirtschaftlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus; sie spielt noch immer eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung zwischen den gegensätzlichen Richtungen der sozialistischen Bewegung. Franz Mehring spricht in seiner „Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie" davon, das Schicksal des Programmbriefes Marx'zeige klar, daß die Wege, auf denen sich in Deutschland eine mächtige und unbesiegbare Arbeiterpartei als Trägerin der sozialen Revolution entwickeln konnte, von Lassalle richtig erkannt worden seien Für das Deutschlandverständnis des Marxismus-Leninismus öffnet die Kontroverse über das „Gothaer Programm“ den Zugang zu den meist verschlossenen Kammern des Unbehagens, der Ablehnung und der Feindschaft. Während sich Marx bis zu seinem Tode am 14. Mai 1883 von seiner Enttäuschung über Deutschland nicht mehr frei machen konnte, setzte Engels, die theoretischen Fragen anders, wenn auch nicht geringer als Marx beurteilend, weiter auf Deutschland. Beide waren jedoch mit der weiteren Entwicklung in ihrem Geburtsland nicht zufrieden. Marx stellte in einem Brief an Sorge vom 19. Oktober 1877 fest, in Deutschland mache sich nicht so sehr in der Masse, als unter den Führern, ein fauler Geist geltend. Der Kompromiß mit den Lassalleanern habe zum Kompromiß auch mit anderen Halbheiten geführt. Er mokierte sich über die ideologische Betätigung von Arbeitern und bemerkte: „Die Arbeiter selbst, wenn sie wie Herr Most et Cons, das Arbeiten aufgeben und Literaten von Profession werden, stiften stets . tbeoretisclr Unheil an und sind stets bereit, sich an Wirrköpfe aus der angeblich , gelehrten Kaste anzuschließen. Namentlich, was wir seit Jahrzehnten mit soviel Arbeit und Mühe aus den Köpfen der deutschen Arbeiter gefegt und was selben das theoretische Übergewicht (daher auch das praktische) über Franzosen und Engländer gab — der utopistische Sozialismus, das Phantasiegespiel über den künftigen Gesellschaftsbau — grassiert wieder und in einer viel nichtigeren Form, nicht nur verglichen mit den großen französischen und englischen Utopien, sondern mit — Weitling. Es ist natürlich, daß der Utopismus, der vor der Zeit des materialistisch-kritischen Sozialismus letzteren in nuce in sich barg, jetzt, wo er post festum kommt, nur noch albern sein kann, albern, fad und von Grund aus reaktionär“

Der Kritik an der Entwicklung der deutschen Arbeiterpartei trat auch Engels bei, der am 11. Januar 1878 an Johann Philipp Becker schrieb: „Auch in Deutschland sind große Fehler begangen worden, besonders das — ganz im bakunistischen Geist gehaltene — Auftreten gegenüber der französischen Krisis. Und doch hat sich wieder bei dieser Gelegenheit gezeigt, wieviel weiter Frankreich in der Praxis ist als wir. So lausig die Lösung bis jetzt auch ist, so ist es doch das erstemal, daß dort etwas ohne gewaltsamen Umschwung durchgesetzt ist — und Gewalt, so bald nach dem Blutbad von 1871, konnte dort nur zu neuer Unterdrückung und neuem Bonapartismus führen. So aber ist alle Aussicht da, daß die Arbeiter sich in kurzem Pressefreiheit, Vereins-und Versammlungsrecht und die übrigen Mittel zur Organisation und zum Kampf erobern, und das ist zunächst alles, was sie brauchen . . . Ein fernerer großer Fehler in Deutschland ist, daß man dem Studenten und sonstigen unwissenden . Gelehrten erlaubt, als wissenschaftliche Repräsentanten der Partei den größten Blödsinn massenhaft in die Welt zu schieben. Das ist indes eine Kinderkrankheit, die überstanden sein will, und gerade um sie abzukürzen, habe ich an dem Dühring so ausführlich ein Exempel statuiert“

Engels wurde nicht müde, zu betonen, daß Deutschlands industrielle Entwicklung noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Er griff Bemerkungen Brakes über eine Reichseisenbahn und über das Tabak-monopol auf, indem er erläuterte, alle Übertragung industrieller und kommerzieller Funktionen an den Staat könne einen doppelten Sinn und doppelte Wirkung haben, je nach den Umständen. Einen reaktionären, einen Rückschritt zum Mittelalter und einen progressiven, einen Fortschritt zum Kommunismus. Engels fuhr fort: „Wir sind aber in Deutschland erst eben aus dem Mittelalter heraus-gekrochen und stehn erst in diesem Augenblick im Begriff, vermittelst der großen Industrie und des Krachs in die moderne bürgerliche

Gesellschaft einzutreten. Was bei uns der höchstmöglichen Entwicklung bedarf, ist grade das bürgerliche wirtschaftliche Regime, das die Kapitale konzentriert und die Gegensätze auf die Spitze treibt, namentlich im Nordosten. Die ökonomische Auflösung der feudalen Zustände östlich der Elbe ist nach meiner Ansicht für uns der notwendigste Fortschritt. Daneben die Auflösung des Kleinbetriebs in der Industrie und dem Handwerk im ganzen Deutschland und ihre Ersetzung durch die große Industrie. Und das ist am Ende die einzige gute Seite am Tabak-monopol, daß es mit einem Schlage eine der infamsten Hausindustrien in große Industrie verwandeln würde. Dagegen würden aber auch die Staatstabakarbeiter sofort unter Ausnahmegesetze gestellt, der Koalitions-und Streikfreiheit beraubt werden, was noch schlimmer wäre. Reichseisenbahnen und Tabakmonopol sind bei uns nicht mit Notwendigkeit Staatsindustrien — die Eisenbahnen wenigstens noch nicht, sie werden es erst jetzt in England; Post und Telegraf dagegen sind es“

Am 1. Juli 1879 setzte sich Engels mit der politischen Entwicklung-in Deutschland auseinander, wobei er Liebknechts Sanftmut im Reichstag tadelte Marx’ Aufmerksamkeit galt in diesem Zeitpunkt dem Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland. Die Spannungen zwischen Bismarck und den Leitern der russischen Politik veranlaßten ihn zu dem Kommentar: „Für unsere Bewegung und für Europa im allgemeinen könnte nichts Schädlicheres sich ereignen als die Ausführung von B(ismarck) s Plan. Solange der alte Wilhelm lebt, wird das immerhin nicht so leicht gehn; möglich bleibt es immer, daß Bismarck selbst Opfer der Reaktion wird, die er mit dem Sozialistengesetz eingeleitet. En attendant tut schon der schwarze Punkt im Osten ihm seinen Dienst; er ist wieder der , notwendige Mann', und die Liberalen haben jetzt die . patriotische'Pflichtempfindung, ihm den Arsch küssen zu müssen. Nicltt nur das eiserne Militärbudget wird in der nächsten Reichstagssitzung erneuert werden; es wird vielleicht . perpetuelP gemacht, wie Wilhelm ursprünglich wollte“ Die kurze Zeit später eingetretene europäische Situation, bestimmt durch die Konstituierung des „Zweibundes“ am 7. Oktober 1879, wurde von Stalin auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (Bolschewiki) am 18. Dezember 1925 eingehend untersucht. Der Nachfolger Lenins gab dabei nicht nur eine für den Marxismus-Leninismus aufschlußreiche Wertung des Bündnisses des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns, er machte auch seine Vorstellungen über die Vertragspraxis nichtkommunistischer Staaten bekannt. Stalin führte aus: „Wir wissen aus der Geschichte Europas, daß jedesmal, wenn Verträge über Kräftegruppierungen für einen neuen Krieg abgeschlossen wurden, sie, diese Verträge, als Friedensverträge bezeichnet werden. Man schloß Verträge, die Elemente eines kommenden Krieges enthielten, und stets begleiteten Friedensdrommeten und Friedensgeschrei den Abschluß solcher Verträge. An falschen Friedensaposteln hat es bei diesen Anlässen nie gefehlt. Ich rufe geschidttlid'ie Tatsadren aus der Zeit nadt dem Deutsdi-Französisdien Krieg ins Gedädttnis, aus dem Deutsdiland als Sieger und Frankreidi als Besiegter hervorgegangen waren. Damals gab sich Bismardt alle Mühe, den . Status quo'aufrechtzuerhalten, das heißt den Zustand, der nadt dem siegreichen Krieg Deutsdtlands gegen Frankreidt entstanden war. Damals trat Bismards für den Frieden ein, weil ihm dieser Frieden eine ganze Reihe von Privilegien gegenüber Frankreidt sicherte. Frankreidt trat ebenfalls für den Frieden ein, zumindest in der ersten Zeit, solange es sich noch nicht von dem verlorenen Krieg erholt hatte. In dieser Periode also, als alle von Frieden redeten und falsdte Apostel die friedlidten Absidtten Bismardcs besangen, sdrlossen Deutsdtland und Österreich einen Vertrag, einen durchaus friedlidten, durdtaus pazifistischen Vertrag, der später eine der Grundlagen des kommenden imperialistischen Krieges bilden sollte. Ich spreche von dem 1879 geschlossenen Vertrag zwischen Österreich und Deutschland. Gegen wen war dieser Vertrag gerichtet? Gegen Rußland und Frankreich. Wovon war in diesem Vertrag die Rede? Man höre: , In Erwägung, daß ein inniges Zusammengehen von Deutschland und Österreich-Ungarn niemanden bedrohen kann, wohl aber geeignet ist, den durch die Berliner Stipulationen geschaffenen europäischen Frieden zu konsolidieren, haben Ihre Majestäten'(d. h. die beiden Kaiser) . einen Bund des Friedens und der gegenseitigen Verteidigung zu knüpfen beschlossen.'Sie hören: ein inniges Zusammengehen Deutschlands und Österreichs um des europäischen Friedens willen. Der Vertrag wurde als . Bund des Friedens'bezeichnet, indessen sind alle Historiker darin einig, daß dieser Vertrag der direkten Vorbereitung des imperialistischen Krieges von 1914 diente. Die Folge dieses Vertrages über den Frieden in Europa, in Wirklichkeit aber über den Krieg in Europa, war ein anderer Vertrag, und zwar der Vertrag zwisdten Rußland und Frankreich von 1891 bis 1893, natürlich gleichfalls über Frieden — worüber denn sonst! Und wie heißt es in diesem Vertrag? Darin heißt es, daß Frankreich und Rußland, von dem gleichen Bestreben beseelt, den Frieden aufredttzuerhalten, folgende Vereinbarung getroffen haben". Weldte V ereinbarung — das wurde damals nicht offen ausgesprodten. Indessen hieß es in einer Geheimklausel des Vertrags: Im Falle eines Krieges hat Rußland gegen Deutsd-iland 700 000 Mann und Frankreidt (sdteint's) 1 300 000 zu stellen. Beide Verträge wurden offiziell als Verträge des Friedens, der Freundschaft und der Ruhe in ganz Europa bezeichnet"

Nach dem Erlaß des Sozialistengesetzes (21. Oktober 1878) traten Marx und Engels mit den emigrierten Führern der deutschen Sozialdemokratie in eine heftige Auseinandersetzung über politische und ideologische Fragen ein. Sie übten in einem „Zirkularbrief“ an den im Höchbergschen „Jahrbuch" veröffentlichten „, R ückblickeaufdie sozialistische Bewegung in Deutschland" leidenschaftliche Kritik. Sie wandten sich gegen die Bewertung des Klassenkampfes und gegen die Auffassung, die Arbeiterklasse bedürfe der Leitung der gebildeten und besitzenden Bourgeoisie. Auch verdammten sie die kleinbürgerlichen Vorstellungen, die in dem kritisierten Aufsatz vertreten wurden. Von dessen Verfassern sagten sie: „Jene Herren aber, wie nachgewiesen, stecken über und über voll bürgerlicher und kleinbürgerlicher Vorstellungen“. Sie fuhren dann fort: „In einem so kleinbürgerlichen Land wie Deutschland haben diese Vorstellungen sicher ihre Berechtigung. Aber nur außerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Wenn die Herren sidt als sozialdemokratische Kleinbürgerpartei konstituieren, so sind sie in ihrem vollen Recht; man könnte dann mit ihnen verhandeln, je nach Umständen Kartell schließen etc. Aber in einer Arbeiterpartei sind sie ein fälschendes Element. Sind Gründe da, sie vorderhand darin zu dulden, so besteht die Verpflichtung, sie nur zu dulden, ihnen keinen Einfluß auf Parteileitung zu gestatten, sich bewußt zu bleiben, daß der Broich mit ihnen nur eine Frage der Zeit ist. Diese Zeit scheint übrigens gekommen. Wie die Partei die Verfasser dieses Artikels noch länger in ihrer Mitte dulden kann, erscheint uns unbegreiflich. Gerät aber solchen Leuten gar die Parteileitung mehr oder weniger in die Hand, so wird die Partei einfaclt entmannt, und mit der proletarischen Schneid ist's am End. Was uns betrifft, so steht uns nadt unserer ganzen Vergangenheit nur ein Weg offen. Wir haben seit fast 40 Jahren den Klassenkampf als nächste treibende Macht der Gesdrichte, und speziell den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat als den großen Hebel der modernen sozialen Umwälzung hervorgehoben; wir können also unmöglich mit Leuten zusammengehn, die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen. Wir haben bei Gründung der Internationalen ausdrücklidt den Schlachtruf formuliert. Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Wir können also nicht zusammengehn mit-Leuten, die es offen ausspredren, daß die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien, und erst von oben herab befreit werden müssen durdt philanthropisdte Groß-und Kleinbürger“

In einem im März 1880 veröffentlichten Aufsatz attackierte Engels den „Sozialismus“ Bismarcks. Er wies darauf hin, daß Deutschland bis 1848 keine eigentliche Großindustrie besessen habe. Erst nach 1871 habe Deutschlands Industrie einen bemerkenswerten Aufschwung genommen; sie habe, da sie zuletzt auf dem Weltmarkt erschien, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Bismarck habe mit der ihm eigenen Eigenwilligkeit auf diese Entwicklung Einfluß genommen und damit eine Wirtschaftspolitik eingeleitet, deren Ergebnis unschwer zu erraten sei. Engels schloß seine Betrachtung mit der Feststellung: „Das deutsdie Kaiserreich ist ebenso vollständig unter dem Joch der Börse wie das französische Kaiserreich zu seinen Lebzeiten. Die Börsianer bereiten die Projekte vor, welche — zugunsten ihres Geldbeutels — von der Regierung ausgeführt werden müssen. Dabei haben sie in Deutschland noch einen Vorteil, der dem bonapartistischen Kaiserreich fehlte: Wenn die Reichsregierung auf Widerstände von seifen der kleinen Fürsten stößt, verwandelt sie sich in die preußische Regierung, die bestimmt keinen Widerstand in ihren Kammern finden wird, die ja wahre Filialen der Börse sind“ '

Im Jahre 1881 befaßte sich Engels in einem in England erschienenen Aufsatz mit dem Verhältnis Bismarcks zur deutschen Arbeiterbewegung. Er gab zu bedenken, daß diese aus jeder allgemeinen Wahl mit gewachsenen Stimmenzahlen hervorgegangen sei. Das Sozialistengesetz habe diese Entwicklung nicht aufgehalten, sondern im Gegenteil, das Volk erbittert. Leute, denen alle legalen Möglichkeiten, sich geltend zu machen, abgeschnitten sind, werden eines Tages zu illegalen Mitteln greifen; niemand kann ihnen daraus einen Vorwurf machen. Lenin und Stalin haben sich sowohl mit der inneren als auch mit der äußeren Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung beschäftigt

Lenin nahm die deutsche Entwicklung nach 1871 zum Anlaß einer Betrachtung der beiden Methoden des Kampfes der Bourgeoisie. Er wies darauf hin, daß eine außerordentlich wichtige Ursache unter den Mitgliedern der Arbeiterbewegung Differenzen erzeugt habe, nämlich die Veränderungen in der Taktik der herrschenden Klassen im allgemeinen und der Bourgeoisie im besonderen. Er betonte, daß die Taktik der Bourgeoisie nicht immer gleichförmig oder gleichartig sei. Wäre sie dieser Art, würde die Arbeiterklasse rasch lernen, sie mit einer entsprechenden gleichförmigen oder gleichartigen Taktik zu beantworten. Er sagte im Anschluß: „In Wirklichkeit bildet die Bourgeoisie in allen Ländern unvermeidlich zwei Systeme des Regierens heraus, zwei Methoden des Kampfes für ihre Interessen und für die Verteidigung ihrer Herrschaft, wobei diese beiden Methoden bald einander ablösen, bald sich miteinander in verschiedenartigen Kombinationen verflechten. Die erste Methode ist die Methode der Gewalt, die Methode der Verweigerung aller Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung, die Methode der Unterstützung aller alten und überlebten Institutionen, die Method» der unversöhnlichen Ablehnung von Reformen. Darin besteht das Wesen der konservativen Politik, die in Westeuropa immer mehr aufhört, die Politik der Grundbesitzerklassen zu sein, die immer mehr zu einer der Spielarten der allgemeinen bürgerlichen Politik wird. Die zweite Methode ist die Methode des . Liberalismus', der Schritte in der Richtung auf die Entfaltung politischer Rechte, in der Richtung puf Reformen, Zugeständnisse usw.“ Als Beispiel für die liberale Methode der Bourgeoisie führte Lenin England, als Beispiel der Methode der Gewalt Deutschland des Zeitalters Bismarcks an. Bei dessen Beurteilung erklärte er: „Als diese Methode in Deutschland herrschte, war der einseitige Widerhall dieses einen der Systeme des Regierens der Bourgeoisie das Anwachsen des Anarchosyndikalismus oder, wie es damals hieß, des Anarchismus in der Arbeiterbewegung (die Jungen zu Beginn der neunziger, Johann Most zu Beginn der achtziger Jahre)“ In seinem für das enzyklopädische Wörterbuch „Granat“ geschriebenen Beitrag über Karl Marx versicherte Lenin, dieser habe seine Thesen immer wieder an der deutschen Entwicklung geprüft und durch sie bestätigt gefunden. Er habe die Auswirkung der legalen Kampf-mittel in Epochen politischer Stagnation und der Herrschaft der bürgerlichen Legalität sehr wohl zu würdigen gewußt und nach Erlaß des Sozialistengesetzes die revolutionäre Phase heftig verurteilt

Stalin nahm in seinem, auf dem VII. erweiterten Plenum des F. KKI am 7. Dezember 1926 gehaltenen Referat „Noch einmal über die sozialdemokratische Abweichung in u ns e r e r P a r t ei “ auf die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung Bezug und erläuterte daran die Behauptung, daß die Überwindung der innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten auf dem Wege des Kampfes ein Entwicklungsgesetz unserer, d. h.der Kommunistischen Partei sei. Er verwarf die Ansicht, dieses Gesetz gelte nur für die KPdSU, dieses Gesetz sei ein Entwicklungsgesetz für alle einigermaßen große Parteien, ganz gleich, ob es sich um die proletarische Partei der UdSSR oder um die proletarischen Parteien des Westens handelt. Stalin fuhr, diese unerläßlichen Parteikämpfe ansprechend,. fort: „Ich möchte mich hier auf die Autorität von Engels berufen, der zusammen mit Marx jahrzehntelang die proletarischen Parteien im Westen leitete. Es handelt sich um die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als in Deutscldand das Ausnahmegesetz gegen die Sozialisten herrschte, als Marx und Engels in London in der Emigration lebten und das illegale Auslands-organ der deutschen Sozialdemokratie , Der Sozialdemokrat'faktisch die Arbeit der deutsdteit Sozialdemokratie leitete. Bernstein war damals ein revolutionärer Marxist (er war noch nidtt zu den Reformisten hinübergewechselt), und Engels stand mit ihm in regem Briefwechsel über die aktuellsten Fragen der Politik der deutschen Sozialdemokratie. Folgendes sdtrieb er damals an Bernstein (1882): , Es sdteint, jede Arbeiterpartei eines großen Landes kann sidt nur in innerm Kampf entwickeln, wie das in dialektischen Entwicklungsgesetzen überhaupt begründet ist. Die deutsdie Partei wurde, was sie ist, im Kampf der Eisenacher und Lassalleaner, wo ja die Keilerei selbst eine Hauptrolle spielte. Einigung wurde erst möglich, als die von Lassalle absichtlich als Werkzeug gezüdttete Lumpenbande sich abgearbeitet hatte — und auch da gesdtah sie unserseits mit viel zu großer Übereilung. In Frankreidt müssen die Leute, die zwar die bakunistische Theorie geopfert, aber die bakunistischen Kampfmittel fortführen und gleidtzeitig den Klassencharakter der Bewegung ihren Sonderzwecken opfern wollen, sidt audt erst abarbeiten, ehe wieder Einigung möglich. Unter soldten Umständen Einigung predigen wollen, wäre reine Torheit. Mit Moral-predigten ridttet man nidtts aus gegen Kinderkrankheiten, die unter heutigen Umständen nun einmal durchgemacht werden müssen; (Siehe Archiv K. Marx und F. Engels, Bd. I, S. 324/325

Denn, wie Engels an anderer Stelle sagt (1885): , Die Gegensätze werden nie auf die Dauer vertuscht, sondern stets ausgefodtten.'(Ebenda, S. 371) Dadurdt vor allem ist das Vorhandensein von Gegensätzen innerhalb unserer Partei und die Entwicklung unserer Partei durch die Überwindung dieser Gegensätze auf dem Wege des Kampfes zu erklären“

Im Vorwort zur Broschüre „Karl Marx vor den Kölner Geschworenen, Prozeß gegen den Ausschuß der rheinischen Demokraten wegen Aufrufs zum bewaffneten Widerstand (9. Februar 1349)“ untersuchte Engels die an die deutsche Arbeiterbewegung gerichtete Zumutung, ihre revolutionäre Natur abzulegen. Die „offiziellen“ Parteien warfen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei vor, sie sei eine revolutionäre Partei, sie wolle den Rechtsboden, der 1866 und 1871 geschaffen wurde, nicht anerkennen. Engels erwiderte mit der Bemerkung, daß der Rechtsboden von 1866 ein revolutionärer Boden sei.

Bismarck habe die Bundesverfassung gebrochen und den Bundesgenossen den Krieg erklärt. Wenn die Krone Preußens versuche, ihre Gegner mit dem Donnerwort „revolutionär“ niederzuschmettern, so könne sie damit höchstens Philister schrecken, denn es halle ihr aus ganz Europa entgegen „selbst revolutionär". Er urteilte in diesem Zusammenhang scharf über die politische Situation in Deutschland: „Grundkomisch aber wird die Zumutung, man solle die aus den geschichtlichen Verhältnissen unumgänglich folgende revolutionäre Natur ablegen, wenn sie an eine Partei geridttet wird, die man erst außerhalb des gemeinen Rechts, das heißt außerhalb des Gesetzes stellt und von der man dann verlangt, sie solle den Rechtsboden anerkennen, den man grade für sie abgeschafft hat. Daß man über so etwas nur ein Wort zu verlieren hat, beweist wieder den politisdt zurückgebliebenen Zustand Deutschlands. In der übrigen Welt weiß jedermann, daß die gesamten gegenwärtigen politisdten Zustände das Ergebnis von lauter Revolutionen sind.“ Engels hielt die Gelegenheit günstig, sich seine Verachtung und seinen Haß über den deutschen Spießbürger von der Seele zu schreiben. Er gab dabei einen höchst eigenwilligen und wohlbedachten Überblick über die verfassungsgeschichtliche Entwicklung Deutschlands, wobei er die Absicht verfolgte, das revolutionäre Verhalten Preußens deutlich zu machen. Engels erklärte: „Aber der deutsche Spießbürger — und seine Meinung ist noch immer die öffentliche Meinung Deutschlands — ist ein eigner Mann. Er hat nie eine Revolution gemacht. Die von 1848 machten die 'Arbeiter für ihn — zu seinem Entsetzen. Dafür hat er um so mehr Revolutionen erlitten. Denn wer in Deutsddand seit dreihundert Jahren 'die Revolutionen machte — sie waren audt danach —, das waren die Fürsten. Ihre ganze Landeshoheit und endlich ihre Souveränität war die Frucht von Rebellionen gegen den Kaiser. Preußen ging ihnen mit gutem Beispiel voran. Preußen konnte erst ein Königreidt werden, nachdem der . große Kurfürst'gegen seinen Lehnsherrn, die Krone Polen, eine erfolgreiche Rebellion durdtgeführt und so das Herzogtum Preußen von Polen unabhängig gemacht hatte. Seit Friedrich II. wurde die Rebellion Preußens gegen das deutsdie Reich in ein System gebradtt; er . pfiff auf die Reichsverfassung noch ganz anders als unser braver Bracke auf das Sozialistengesetz. Dann kam die Französische Revolution, und sie wurde von den Fürsten wie von den Spießbürgern unter Tränen und Seufzern erlitten. Das deutsche Reich wurde im Reichsdeputationshauptsdtluß 1803 von Franzosen und Russen hödrst revolutionär unter die deutschen Fürsten verteilt, weil diese selbst über die Teilung sich nicht einigen konnten. Dann kam Napoleon und erlaubte seinen ganz besonderen Schützlingen, den Fürsten von Baden, Bayern und Württemberg, sich aller innerhalb und zwischen ihren Gebieten liegenden reichsunmittelbaren Grafschaften, Baronien und Städte zu bemächtigen. Gleich darauf machten dieselben drei Hochverräter die letzte erfolgreiche Rebellion gegen ihren Kaiser, machten sich mit Napoleons Hilfe souverän und sprengten damit endgültig das alte deutsche Reich. Seitdem verteilte der faktische deutsche Kaiser, Napoleon, Deutschland ungefähr alle drei Jahre wieder neu unter seine getreuen Knechte, die deutschen Fürsten und andere. Endlich kam die glorreiche Befreiung von der Fremdherrschaft, und zum Lohne wurde Deutschland vom Wiener Kongreß, das heißt von Rußland, Frankreich und England, als allgemeines Entschädigungsgebiet für heruntergekommene Fürsten verteilt und verschachert, und die deutschen Spießbürger wie soviel Hämmel in ungefähr 2000 abgesonderten Gebietsfetzen den verschiedenen sechsunddreißig Landesvätern zugewiesen, vor deren Mehrzahl sie noch heute als vor ihren angestammten Landesvätern . untertänigst ersterben'. Alles das soll nicht revolutionär gewesen sein — wie recht hatte doch Schnapphahnski-Lichnowsky, als er im Frankfurter Parlament ausrief: Das historische Recht hat keinen Datum nicht! Es hatte nämlich nie einen gehabt!“.

Engels schloß seine Betrachtung mit einer Zurückweisung der Aufforderung, die Deutsche Arbeiterpartei möge ihren revolutionären Charakter ablegen: „Und wenn die durch Konterrevolution und Revolution zur Macht gekommene Regierung dieselbe Zumutung stellt, so heißt das nur, daß die Revolution gut ist, solange sie von Bismarck für Bismarck und Konsorten gemacht wird, aber verwerflich, wenn sie gegen Bismarck und Konsorten gemacht wird“

Im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Broschüre „Zur Wohnungsfrage'ging Engels auf die Lage der Hausindustrie in Deutschland ein. Er wiederholte.seine These, daß in weiten Gebieten Deutschlands noch ein industrieller Zustand herrsche, der auf den ersten Blick der Situation gleiche, wie sie vor Einführung der Maschinenindustrie allgemein war und erinnerte daran, daß nach dem Dreißigjährigen Krieg als einzige deutsche Industrie die Textilindustrie für den Weltmarkt gearbeitet habe. Diese sei durch Steuern und Feudallasten so niedergedrückt worden, daß sie die webenden Bauern nicht über das sehr niedrige Niveau der übrigen Bauernschaft erhoben habe. Engels sagte im Anschluß daran: „Mit der Einführung der Maschinerie änderte sich das alles. Der Preis wurde nun bestimmt durch das Maschinen-produkt, und der Lohn des hausindustriellen Arbeiters fiel mit diesem Preise. Aber der Arbeiter mußte ihn nehmen oder andre Arbeit suchen, und das konnte er nicht, ohne Proletarier zu werden, d. h. ohne sein Häuschen, Gärtchen und Feldchen — eigen oder gepachtet — aufzugeben.

Und das wollte er nur im seltensten Fall. So wurde der Garten-und Feldbau der alten ländlichen Handweber die Ursache, kraft deren der Kampf des Handwebstuhls gegen den mechanischen Webstuhl sidt überall so sehr in die Länge zog und in Deutsddand noch nidtt ausgefochten ist . Engels würdigte die deutsche Hausindustrie, die er als die breite Grundlage des deutschen Ausfuhrhandels und damit der ganzen Großindustrie Deutschlands bezeichnete. Durch diesen Vorgang werde eine Bauerngegend nach der andern in die industrielle Bewegung der Gegenwart hineingerissen. Er erklärte auch, warum in Deutschland im Gegensatz zu England und Frankreich die revolutionäre Arbeiterbewegung eine Verbreitung über den größten Teil des Landes gesunden habe; in anderen Ländern sei sie ausschließlich an städtische Zentren gebunden. Ihre große Streuung berechtigte, einen ruhigen, sicheren und unaufhaltsamen Fortschritt der Bewegung zu erwarten: „In Deutschland leuditet es von selbst ein, daß eine siegreidte Erhebung in der Hauptstadt und den anderen großen Städten erst dann möglich wird, wenn audt die Mehrzahl der kleinen Städte und ein großer Teil der ländlichen Bezirke für den Umschwung reif geworden ist. Wir können, bei einigermaßen normaler Entwicklung, nie in den Fall kommen, Arbeitersiege zu erfechten wie die Pariser von 1848 und 1871, aber eben deshalb auch nicht Niederlagen der revolutionären Hauptstadt durch die reaktionäre Provinz erleiden, wie Paris sie in beiden Fällen erlitt. In Frankreich ging die Bewegung stets von der Hauptstadt aus, in Deutschland von den Bezirken der großen Industrie, der Manufaktur und der Haus-industrie; die Hauptstadt wurde erst später erobert. Daher wird vielleicht auch in Zukunft die Rolle der Initiative den Franzosen vorbehalten bleiben; aber die Entscheidung kann nur in Deutschland ausgekämpft werden“

Auch bei anderer Gelegenheit brachte Engels seine Auffassung von der besonderen Eignung Deutschlands für die Entfaltung und Durchsetzung des Sozialismus zum Ausdruck. Diesen bringe am meisten die zurückgebliebene industrielle Lage Deutschlands voran. In England und Frankreich sei der Übergang zur großen Industrie beinahe beendet. Die Verhältnisse, in denen sich das Proletariat befindet, seien schon stabil geworden. Die bürgerlich-kapitalistische Entwicklung habe sich stärker erwiesen als der revolutionäre Gegendruck. In Deutschland datiere die große Industrie erst von 1848 an. Die industrielle Umwälzung gehe noch immer vor sich, und zwar unter den ungünstigsten Bedingungen. Deutschland werde deshalb viel gründlicher revolutioniert als England oder Frankreich. Engels betonte: „Diese gesellschaftliche Revolution, die schließlich auf Enteignung des kleinen Bauern und Handwerkers hinausläuft, vollzieht sich aber zu einer Zeit, wo es grade einem Deutschen, Marx, vergönnt war, die Resultate der englischen und französischen praktischen und theoretischen Entwicklungsgeschichte theoretisch zu verarbeiten, die ganze Natur und damit das geschichtliche Endschicksal der kapitalistischen Produktion klarzulegen und damit dem deutschen Proletariat ein Programm zu geben, wie es die Engländer und Franzosen, seine Vorgänger, nie besessen. Gründlichere Umwälzung der Gesellschaft einerseits, größere Klarheit in den Köpfen andererseits — das ist das Geheimnis des unaufhaltsamen Fortschritts der deutschen Arbeiterbewegung. .

Wenige Tage nach Abfassung dieses Briefes entwickelte Engels gegenüber Bebel seine Ansichten über den politischen Zustand Europas, den er das Ergebnis von Revolutionen nannte. Der Rechtsboden, das historische Recht und die Legitimität, sei überall tausendmal durchlöchert oder ganz umgestoßen worden. In Deutschland beruhe der bestehende Zustand auf der Revolution, die 1848 begann und 1866 endete: „Das deutsch-preußische Reich, als Vollendung des durch 1866 gewaltsam geschaffenen Norddeutschen Bundes, ist eine durchaus revolutionäre Schöpfung. Ich beklage mich nicht darüber. Was ich den Leuten vorwerfe, die es gemacht haben, ist, daß sie nur armselige Revolutionäre waren, nicht viel weitergingen und nicht gleich ganz Deutschland an Preußen annexierten. Aber wer mit Blut und Eisen operiert, ganze Staaten verschluckt, Throne umstürzt und Privateigentum konfisziert, der soll nicht andere Leute als Revolutionäre verdammen. Wenn die Partei nur das Recht behält, nicht mehr und nicht minder revolutionär zu sein, als die Reichsregierung gewesen, so hat sie alles, was sie braucht. Vor kurzem hieß es offiziös: Die Reichsverfassung sei kein Vertrag der Fürsten mit dem Volk, sie sei nur einer zwischen den Fürsten und Freien Städten, die ihn jederzeit durch einen neuen ersetzen könnten. Die Regierungsorgane, die dies lehrten, verlangten also für die Regierungen das Recht, die Reichsverfassung umzustoßen. Man hat kein Ausnahmegesetz gegen sie gemacht, sie nidtt verfolgt. Nun gut, mehr verlangen wir auch nicht für uns im alleräußersten Fall, als hier für die Regierungen verlangt wird“. Engels beschloß seinen Brief an Bebel mit einer eindringlichen Warnung vor Konzessionen an die Gegner der Sozialisten. Letztere hätten sich nur durch einen trotzigen Widerstand in Respekt gesetzt und seien dadurch eine Macht geworden. Er zählte zu den deutschen Sozialisten, weshalb er mahnend sagte: „Das deutsche Proletariat ist eine mächtige Partei geworden, mögen seine Repräsentanten seiner würdig sein.“

Doch war Engels mit der Entwicklung der Sozialdemokratie vornehmlich in Deutschland nicht zufrieden. Er empfand Unbehagen sowohl über Deutschland, als auch über die sozialistische Bewegung. Am 15. Juni 1885 schrieb er an Johann Philipp Becker: „In einem Spießbürgerland wie Deutschland muß die Partei auch einen spießbürgerlich . gebildeten rechten Flügel haben, den sie im entscheidenden Moment abschüttelt. Der Spießbürger-Sozialismus datiert von 1844 in Deutschland und ist schon im . Kommunistischen Manifest'kritisiert. Er ist so unsterblich wie der deutsche Spießbürger selbst. Solange das Sozialistengesetz dauert, bin ich nidtt dafür, daß wir die Spaltung provozieren, da die Waffen nicht gleich sind. Sollten aber die Herren die Spaltung selbst hervorrufen, indem sie den proletarischen Charakter der Partei unterdrücken und durch eine knotig-ästhetisch-sentimentale Philanthropie ohne Kraft und Saft ersetzen wollen, so müssen wir's eben nehmen, wie es kommt.“

Den Tod Kaiser Wilhelms 1. (9. März 1888) betrachtete Engels als eine Wende der deutschen Politik. Mit dem Kaiser der Reichsgründung sei der Schlußstein des Gebäudes ausgebrochen, die Wackelei mache sich stark fühlbar. Die innere Politik zeige ein krampfhaftes Anklammern Bismarcks & Co. an ihre Stellung. Die Sozialisten macht er darauf aufmerksam, daß ihre Stellung nicht gleich geblieben sei, sondern sich verschlimmert habe. Unter Hinweis auf die Erkrankung des neuen Kaisers vertrat er die Meinung, daß es sich bei dessen Regierung nur um ein Interregnum handle, „mit sehnsüchtiger Hoffnung des Bismarcks auf Fritzens Abfahrt und des neuen Wilhelms Einfahrt.“ Über die Lage nach der Thronbesteigung des Kronprinzen Wilhelm, des nachmaligen Kaisers Wilhelm II., sagte Engels: „Dann aber ist es (erst) recht nidtt mehr beim alten. Dann wird's toll. Unser Bonapartismus ist jetzt etwa bei seiner mexikanischen Periode angekommen. Wenn der kommt, so kommt unser 1866 und bald 1870, das heißt vom Innern, ein inneres Sedan. Meinetwegen!“

Im Februar 1890 befaßte sich Engels in einem Brief an Bebel mit den sozialpolitischen Erlassen Wilhelms II, den er spöttisch stets „JungWilhelm“ nannte. Er sah darin die Zeichen einer neuen Entwicklung in Deutschland und erwartete eine Kollision zwischen dem Herrscher-willen des jungen Kaisers und dem scheinbar stabilen Regierungssystem Bismarcks. Engels konnte sich nicht versagen, über Wilhelm II. beißenden Spott auszugießen. „Der Ainu« ist uns“, so versicherte er, „zweimal sein Gewicht in Gold wert, der braucht sich vor Attentaten nicht zu fürchten, den zu erschießen wäre nicht nur ein Verbredten, sondern eine riesige Dummheit. Im Notfall sollten wir ihm eine Garde stellen, gegen anardtistische Eseleien". Engels äußerte in diesem Zusammenhang, daß Bismarcks Gepflogenheit, an die Furcht des Philisters vor der drohenden Arbeiterbewegung zu appellieren, wirkungslos geworden sei. Die Morgenröte des sozialistischen Sieges sah er bevorstehend, mahnte jedoch gleichzeitig zu Zurückhaltung, da zunächst eine allgemeine Verwirrung entstehe: „Was aus dieser Konfusion wird, ist bei der Feigheit unserer Bourgeoisie nidtt zu sagen. Jedenfalls ist das Alte auf ewig kaputt, nicht wiederherzustellen, ebensowenig wie eine ausgestorbene Tierspezies. Es kommt wieder Leben in die Bude, das ist alles, was wir braudten. Zunächst werdet Ihr es besser haben, ob aber nicht schließlich Puttkamer mit dem großen Belagerungszustand recht erhält, ist fraglidt. Audt das wäre ein Fortsdiritt: das letzte, allerletzte Rettungsmittel — sehr fatal für Euch, während es dauert, aber der entschiedene Vorabend unseres Sieges. Bis dahin fließt aber noch allerlei Wasser den Rhein hinab.“

Im „Sozialdemokrat“ stellte Engels am 8. März 1890 die Frage „Was nun?“ Er bezeichnete den 20. Februar 1890 als den Anfang vom Ende der Ära Bismarcks. Die Allianz zwischen Junkern und Goldprotzen zur Ausbeutung der deutschen Volksmassen trage ihre Früchte. Engels bezweifelt die Möglichkeit, eine neue Majorität für das alte System zusammenzustümpern. Er räumte ein, daß es unter den Freisinnigen Angstmeier gäbe, die lieber selbst Kartell spielten, als die bösen Sozialdemokraten aufkommen zu lassen. Auch im Zentrum seien Junker vorhanden, die vor Begierde darauf brennen, in die Arme ihrer ostelbischen Brüder zu sinken. Bei der eingehenden Charakterisierung des Zentrums kam er zu der Auffassung, dieses halte nicht der Katholizismus, sondern der Preußenhaß zusammen. Es setze sich aus lauter preußenfeindlichen Elementen zusammen, die in den katholischen Gegenden selbstredend am stärksten seien, aus rheinischen Bauern, Kleinbürgern und Arbeitern, aus süddeutschen, aus hannoverschen und westfälischen Katholiken; um diese gruppierten sich die übrigen bürgerlichen und bäuerlichen antipreußischen Elemente, die Welfen und andere Partikularisten, die Polen, die Elsässer. Auch von einer Regierungsunterstützung durch das Zentrum erwartete Engels keine Stabilisierung der politischen Lage im Reich. Das Vertrauen des Philisters sei erschüttert. Keine Macht der Welt sei in der Lage, diesen Vorgang rückläufig zu machen. Engels untersuchte die Frage, ob ein Staatsstreich diese Entwicklung anhalten könnte. Er verneinte sie mit dem Hinweis, daß ein Staatsstreich nicht nur das Volk, sondern auch die Reichsfürsten von ihrem Gehorsam gegen die dann gebrochene Reichsverfassung entbinde; das aber bedeute Sprengung des Reiches. Auch einen Krieg hielt Engels nicht für ein geeignetes Mittel, um die eingetretene Labilität der deutschen Innenpolitik zu überwinden. Er bemerkte: „Geht Krösus über den Halys oder Wilhelm über den Rhein, so wird er ein großes Reich vernichten — aber welches? Sein eigenes oder das feindliche?“ Engels verwarf auch diese Möglichkeit und schloß mit einem Ausblick auf einen Sieg der Arbeiterklasse: „Die deutschen sozialdemokratischen Arbeiter haben soeben einen Triumph erfochten, wie ihre zähe Standhaftigkeit, ihre eiserne Disziplin, ihr heiterer Humor im Kampf, ihre Unermüdlichkeit ihn nidtt anders verdient haben, der aber wohl ihnen selbst unerwartet gekommen ist und der die Welt in Erstaunen versetzt hat. Mit der Unwiderstehlichkeit eines Haturprozesses ist der Zuwachs der sozialdemokratischen Stimmen bei jeder Neuwahl vor sich gegangen; Vergewaltigung, Polizeiwillkür, richterliche Niedertracht, alles prallte wirkungslos ab, vorwärts und immer rascher vorwärts bewegte sich die stets anschwellende Angriffs-kolonne, bis sie jetzt dasteht, die zweitstärkste Partei im Reich, indem da sollten die deutschen Arbeiter sich ihr eigenes Spiel verderben, indem sie sich zu einem aussichtslosen Putsch verleiten ließen, einzig und allein, um Bismarck aus der Todesnot zu erretten? In dem Augenblid^, wo ihre eigene, über alles Lob erhabene Tapferkeit unterstützt wird durdt das Zusammenwirken aller äußeren Umstände, wo die ganze gesellschaftliche und politische Lage, wo sogar alle ihre Feinde für die Sozialdemokratie arbeiten müssen, als würden sie von ihr bezahlt — in dem Augenblick sollte die Disziplin, die Selbstbeherrschung versagen und wir selbst uns in das vorgehaltene Sdtwert stürzen? Nimmermehr. Dazu hat das Sozialistengesetz unsere Arbeiter zu gut eingeschult, dazu haben wir viel zu viel alte Soldaten in unseren Reihen und unter ihnen zu viele, die Gewehr bei Fuß im Kugelregen ausharren gelernt haben, bis der Augenblick reif für den Angriff.“

15. Engels'Erwartungen auf die Regierungszeit Wilhelms II

Angesichts der eingetretenen Situation zeigte sich Engels am 19. April 1890 am Verlauf des 1. Mai interessiert. Er betonte, in Deutschland sei es Pflicht der Reichstagsfraktion, den übertriebenen Gelüsten entgegenzutreten: „Die Bourgeois, die politische Polizei, bei der es jetzt ums Brot geht, die Herren Offiziere, sie alle möchten gerne dreinschlagen und schießen und suchen jeden Vorwand auf, dem jungen Wilhelm zu beweisen, daß er nicht rasch genug schießen lassen kann. Das würde aber unser ganzes Spiel verderben. Erst müssen wir das Sozialistengesetz los sein, das heißt, den 30. September überstanden haben. Und dann machen sich die Dinge in Deutschland gar zu prächtig für uns, als daß wir sie uns durch pure Renommage verderben sollten. Im übrigen ist die Proklamation der Fraktion schlecht, sie ist von Lieb-knecht, und der Blödsinn vom . allgemeinen Streik'ganz überflüssig. Aber einerlei wie, die Leute sind durdt den 20. Februar so gehoben, daß sie einer gewissen Zügelung bedürfen, um keine Dummheiten zu zu machen.“

Im September 1890 schrieb Engels einen Abschiedsbrief an die Leser der Zeitung „Der Sozialdemokrat". Er gab zunächst einen Über-blick über die Wirksamkeit sowohl der „Neuen Rheinischen Zeitung“ als auch des „Sozialdemokraten". Letzteren feierte er mit pathetischen Worten: „ , Der Sozialdemokrat'war die Flagge der deutschen Partei; nach zwölfjährigem Kampf ist die Partei siegreich. Das Sozialistengesetz ist gefallen. Bismarck ist gestürzt. Das mächtige Deutsdie Reich hat alle seine Machtmittel gegen uns in Bewegung gesetzt; die Partei hat ihrer gespottet, bis endlich das Deutsche Reich seine Flagge hat streichen müssen vor der unsren. Die Reichsregierung will es uns gegenüber einstweilen wieder mit dem gemeinen Recht versuchen, und so wollen wir es einstweilen mit den gesetzlichen Mitteln versuchen, die wir uns, vermittelst kräftigen Gebrauchs der ungesetzlichen, wiedererobert haben. Ob dabei die . gesetzlichen'Mittel wieder ins Programm ausgenommen werden oder nicht, ist ziemlich gleichgültig. Versucht muß werden, vorderhand mit den gesetzlidten Kampfmitteln auszukommen. Das tun nicht nur wir, das tun alle Arbeiterparteien aller Länder, wo die Arbeiter ein gewisses Maß gesetzlicher Bewegungsfreiheit haben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dabei am meisten für sie herauskommt. Das hat aber zur Voraussetzung, daß die Gegenpartei ebenfalls gesetzlich verfährt. Versucht man, sei es durdt neue Ausnahmegesetze, durch rechtswidrige Urteile und Reichsgerichtspraxis, durch Polizeiwillkür oder durch sonstige ungesetzliche Übergriffe der Exekutive, unsre Partei wieder tatsächlich außerhalb des gemeinen Rechts zu stellen, so treibt man die deutsche Sozialdemokratie abermals auf den ungesetzlichen Weg als den einzigen, der ihr noch offensteht.“ Engels beschloß seine, von Wehmut nicht freie Betrachtung mit der Versicherung, die Partei der deutschen Arbeiterklasse werde keine Barrikaden bauen und nicht an die Gewalt der Waffen appellieren. Davor bewahre sie die Erkenntnis ihrer eigenen Machtstellung, die ihr jede Reichstagswahl gebe. Engels versichert, die Partei habe ein viel besseres, gründlich erprobtes Mittel. Zur Einstellung des „Sozialdemokraten“ sagte er: „An dem Tage, wo uns das gemeine Recht streitig gemacht wird, erscheint der . Sozialdemokrat'wieder. Die alte Masdtinerie, in Reserve gehalten für diesen Fall, tritt wieder in Tätigkeit, verbessert, vermehrt, neu eingeölt. Und eins ist sidter: Zum zweitenmal hält das Deutsche Reich das keine zwölf Jahre aus.“

Durch seine Kritik am Erfurter Parteiprogramm wurde Engels in die sich ausweitenden Auseinandersetzungen der deutschen Sozialdemokraten verwickelt. Dieser Umstand hielt ihn jedoch nicht ab, immer wieder seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen, daß Deutschland und der deutschen Arbeiterbewegung eine besondere Aufgabe zukomme. Gerne griff er auf die Entwicklung des Sozialismus in Deutschland zurück, überzeugt, daß hinter dem offiziellen Deutschland das sozialistische Deutschland, die „deutsche Partei“ des Sozialismus stehe, der die Zukunft, die nahe Zukunft des Landes, gehöre. Sobald diese an die Macht gekommen sei, könne sie diese weder ausüben noch festhalten, ohne die Ungerechtigkeiten wieder gut zu machen, die ihre Amtsvorgänger gegen andere Nationen beginnen: „Sie wird die Wiederherstellung des heute so schnöde von der französischen Bourgeoisie verratenen Polens vorbereiten, sie wird Nordschleswig und Elsaß-Lothringen in die Lage versetzen müssen, frei über ihre politische Zukunft zu entscheiden. Alle diese Fragen lösen sich also leicht und in naher Zukunft, vorausgesetzt nur, daß Deutschland sich selbst überlassen bleibt. Zwischen einem sozialistischen Frankreich und einem sozialistischen Deutschland kann keine elsaß-lothringische Frage aufkommen, der Fall ist im Handumdrehen erledigt. Nur handelt es sich darum, etwa zehn Jahre länger zu warten. In Frankreich, England, Deutschland wartet das gesamte Proletariat noch auf seine Befreiung; sollten die elsaß-lothringischen Patrioten nicht auch etwas warten können? Soll wegen ihrer Ungeduld ein ganzer Kontinent, verwüstet und schließlidt der zarischen Knute ausgeliefert werden?“ Bei dieser Gelegenheit machte Engels seine Ansicht über den Verlauf eines europäischen Krieges bekannt. Er glaubte, zunächst werde Deutschland, sodann Frankreich Hauptschauplatz sein. Die beiden Länder hätten vor allem anderen Kriegskosten und Verwüstungen zu tragen. Er nahm an, daß weder Frankreich noch Deutschland angesichts des ungewissen Ausgangs den offenen Kampf provozieren werden. Rußland dagegen, durch seine geographische und ökonomische Lage gegen die vernichtendsten Folgen einer Reihe von Niederlagen gedeckt, könne bei einem so furchtbaren Krieg sein Interesse finden und deshalb direkt auf ihn hinarbeiten. Aber in jedem Fall sei, wie die politischen Dinge lägen, zehn gegen eins zu wetten, daß beim ersten Kanonenschuß an der Weichsel die französischen Armeen an den Rhein marschieren. Engels entwarf ein als visionär zu bezeichnendes Bild eines deutschen Zweifrontenkrieges. Er fügte diesem, auch ihn beunruhigenden Blick in die Zukunft Gedanken über die Notwendigkeit der Einheit Deutschlands zur Wahrnehmung seiner europäischen Aufgabe bei: „Und dann kämpft Deutschland einfadt um seine Existenz. Siegt es, so findet es nirgends Annexionsstoff vor; im Westen wie im Osten trifft es nur auf fremdsprachige Provinzen, und deren hat es sdton mehr als genug. Wird es besiegt, zermalmt zwisdten dem französisdien Hammer und dem russischen Amboss, so verliert es an Rußland Altpreußen und die polnisdten Provinzen, an Dänemark ganz Schleswig, an Frankreich das ganze linke Rheinufer. Selbst wenn Frankreidt diese Eroberung zurüdkwiese, Rußland würde sie ihm aufzwingen. Denn Rußland braudrt vor allem einen ewigen Zankapfel, einen Grund unaufhörlidter Entzweiung zwisdten Frankreich und Deutschland. Versöhnt diese beiden großen Länder, und es ist aus mit der russischen Vorherrsdiaft in Europa. Ein so zerstüdteltes Deutsdiland wäre aber außerstande, die ihm in der europäischen geschichtlidten Entwicklung zukommende Rolle durdtzuführen. Herabgedrüdtt auf den Stand, den ihm Napoleon nadt Tilsit aufzwang, könnte es sich am Leben erhalten nur in der Vorbereitung eines neuen Krieges zur Wiederherstellung seiner nationalen Lebensbedingungen.“

Engels begnügte sich nicht, dieses Bild zukünftiger Entwicklung zu entwerfen. Er fragte sich auch, was in diesem Falle die deutsche sozialdemokratische Partei tun müsse. Zunächst, betont er, weder der Zar, noch die französischen „Bourgois''-Republikaner und die deutsche Regierung selbst, würde eine so schöne Gelegenheit zur Unterdrückung der einzelnen Partei, die für sie alle drei „der Feind“ sei, sich entgehen lassen. Wie sich Thiers und Bismarck über den Ruinen des „Paris der Kommune" die Hand gereicht hätten, würde sich der Zar, Constans und Caprivi oder ihre beliebigen Nachfolger, über der Leiche des deutschen Sozialismus in die Arme sinken. Die Möglichkeit einer solchen Situation veranlaßte Engels zu der Feststellung:

„Nun aber hat die deutsdte Sozialdemokratisdte Partei, dank den ununterbrodtenen Kämpfen und Opfern von dreißig Jahren, eine Stellung erobert wie keine andere sozialistische Partei der Welt, eine Stellung, die ihr binnen kurzer Frist den Heimfall der politisdten Macht sichert. Das sozialistische Deutschland nimmt in der internationalen Arbeiterbewegung den vordersten, den ehrenvollsten, den verantwortlichsten Posten ein; es hat die Pflicht, diesen Posten gegen jeden Angreifer bis auf den letzten Mann zu behaupten. Wenn aber der Sieg der Russen über Deutschland die Erdrüdtung des deutsdten Sozialismus Aussidit, bedeutet, was wird dann, gegenüber einer solchen die Pflicht der deutsdten Sozialisten sein? Sollen sie die Ereignisse passiv über sidt ergehen lassen, die ihnen Vernidttung drohn, sollen sie widerstandslos den Posten räumen, für den sie die Verantwortung übernommen haben vor dem Proletariat der ganzen Welt? Keineswegs. Im Interesse der europäisdten Revolution sind sie verbunden, alle eroberten Stellungen zu behaupten, nidit zu kapitulieren, ebensowenig vor dem äußeren wie vor dem inneren Feind. Lind das können sie nur, indem sie bis aufs äußerste Rußland bekämpfen und alle seine Bundesgenossen, wer sie auch seien. Sollte die französische Republik sich in den Dienst Seiner Majestät des Zaren und Selbstherrschers aller Reußen stellen, so würden die deutsdten Sozialisten sie mit Leidwesen bekämpfen, aber bekämpfen würden sie sie“

Engels ließ sich in seinem Glauben an den Primat des deutschen Sozialismus nicht beirren. In der Einleitung zur englischen Ausgabe der Broschüre „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ stellte er fest: „... hängt der Sieg der europäischen Arbeiterklasse nicht von England allein ab. Er kann nur sichergestellt werden durch das Zusammenwirken von, mindestens, England, Frankreidt und Deutsdtland. In den beiden letzteren Ländern ist die Arbeiterbewegung der englisdten ein gutes Stück voraus. In Deutschland steht sie sogar innerhalb meßbarer Entfernungen vom Triumph. Der Fortsdiritt, den sie dort seit 25 Jahren gemacht, ist ohne gleidten. Er bewegt sich voran mit stets wachsender Geschwindigkeit, Hat die deutsche Bourgeoisie bewiesen, weldten jammervollen Mangel sie leidet an politischer Fähigkeit, Disziplin, Mut, Energie, so hat die deutsche Arbeiterklasse gezeigt, daß sie alle diese Eigenschaften in reichlichem Maß besitzt. Vor fast vierhundert Jahren war Deutsdiland der Ausgangspunkt der ersten großen Erhebung der europäischen Mittel-klasse; wie die Dinge heute liegen, sollte es unmöglich sein, daß Deutsdtland auch der Sdtauplatz sein wird für den ersten großen Sieg des europäisdten Proletariats?“

Wenn sich auch Engels mit der Entwicklung innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung intensiv beschäftigte, — sein Hauptinteresse galt der allgemeinen Entwicklung Deutschlands. Er war, wie er in einem Brief an Bebel vom 19. Februar 1892 zum Ausdruck brachte, der Überzeugung, daß sich die Dinge in Deutschland zuspitzten. Die kapitalistische Gesellschaft, wie sie in Deutschland situiert sei, wackle zwischen zwei Strömungen, zwischen der Allianz aller offziellen und besitzenden Gesellschaftsschichten gegenüber dem Proletariat und einer Strömung, die den alten, aus Feigheit unausgekämpften Konflikt zwischen der Monarchie und der industriellen Bourgeoisie immer wieder auf die Tagesordnung setze. Als Ursache dieser Spannung bezeichnete er die Unmöglichkeit, der Industrie auf die Dauer die von den Junkern gewünschten Rohstoff-und Lebensmittelzölle tragen zu lassen. Charakteristisch sei das Handeln nach der alten Praxis: Man schlägt den Sade und meint den Esel. Man schlage auf die Sozialdemokratie, treffe aber nebenbei die Bourgeoisie tüchtig mit, zunächst politisch, in ihren seit 60 Jahren prunkend zur Schau gestellten liberalen Prinzipien und in dem bißchen Anteil, das sie direkt an der Staatsgewalt besitze, dann später, wenn es gut gehe, auch ökonomisch und opfere ihre Interessen denen des Grundbesitzes. Als politisches Ergebnis dieser Entwicklung nahm Engels eine starke Schwenkung nach rechts an. Diese erfolgte unter dem Vorwand, den Aufschwung des Sozialismus anzuhalten Seine Freude über die Regierungspolitik Wilhelm II. war unverhohlen. Zynisch bemerkte er: „Wilhelmchen war von Anfang an ein Prachtexemplar von einem Letzten des Stammes, der die Dynastie und Monarchie er die Minister als Leute zweitenruiniert wie keiner“.

und dritten Ranges ansehe, sei er der Überzeugung, daß, wenn die Sache so voranginge, bald eine Krise einsetze. Unter Hinweis auf den geisteskranken Bayernkönig Ludwig bemerkte er: „In Preußen und im preußisdt-deutsdien Reich kann man sidt einen horntollen Monardten nidit jahrelang gefallen lassen wie in Bayern, und es sollte midi nicht wundern, wenn man Wilhelmchen demnädist ein eigenes Narrenhaus einriditet und dann eine Regentsdiaft — das wäre gerade was wir brauchten" Die Kritik Bismarcks an der Politik seines Nachfolgers im

Reichskanzleramt, die in dem von ersterem der Wiener „Neuen Freien Presse“ gewährten Interview ihren Höhepunkt erreichte, veranlaßte Engels, gegenüber Bebel Kritik an der Parteipresse zu üben, weil sie zusammen mit den bürgerlichen Zeitungen nach dem Strafrichter schrien. „Müssen wir denn", fragte Engels Bebel am 6. Juli 1892, „mit Gewalt ebenso bürokratisdi-polizistisdi-staatsanwältlidi auftreten wie unsere Gegner? Können nidit einmal w i r dem alten krackbrüchigen Esel Bismarck erlauben, daß er sich nach Herzenslust selbst blamiert? Und würde nicht drei Tage Gefängnis hinreichen, ihn zum Märtyrer zu machen? Man sollte nicht glauben, wie tief den Leuten der Preuß in . .“ Seine strengen, als orthodox zu bezeichnenden Knochen steckt.

Auffassungen vom Charakter einer proletarisdien Partei bestimmten ihn, sich intensiv mit dem Führer der bayerischen SPD, von Vollmar auseinanderzusetzen. Dabei vertrat er die Auffassung: „Du sagst, V(ollmar) sei kein Verräter. Mag sein. Daß er selbst sich für einen hält, glaube ich audi nicht. Aber wie nennst Du einen Menschen, der einer proletarischen Partei zumutet, sie soll den oberbayerischen Groß-und Mittelbauern, Eignern von 10 bis 30 Hektar, ihren jetzigen Zustand verewigen, der zur Grundlage hat, die Ausbeutung von Gesinde und Tagelöhnern? Eine proletarische Partei expreß ge- stiftet zur Verewigung der Lohnsklaverei! Der Mann wag ein Antisemit sein, ein bürgerlicher Demokrat, ein bayerischer Partikularist, was weiß ich, aber ein Sozialdemokrat?! Übrigens ist die Zunahme des kleinbürgerlichen Elements in einer wachsenden Arbeiterpartei unvermeidlich und auch kein Schaden. Ebenso wie die Zunahme der , Akademiker, durchgefallener Studenten etc. Vor ein paar Jahren waren sie noch eine Gefahr. Jetzt können wir sie verdauen. Aber man muß auch dem Verdauungsprozeß seinen Lauf lassen. Dazu gehört Salzsäure; wenn nicht genug vorhanden ist (wie Frankfurt konstatiert), soll man B(ebel) danken, wenn er sie zugießt, damit wir die nichtproletarischen Elemente eben gut verdauen. Darin besteht eben die Herstellung der wirklichen Harmonie in der Partei, nicht darin, daß man jede wirkliche innere Streitfrage wegleugnet und totschweigt“

In einer sozialdemokratischen Versammlung in Berlin am 22. September 1893 schilderte Engels, sich selbst als Mitarbeiter, Mitstreiter und Kampfgenosse von Karl Marx vorstellend, nicht ohne Rührung die Eindrücke seiner Begegnung mit Deutschland. Er bemerkte, vor 51 Jahren das letzte Mal in Berlin und vor 16 Jahren das letzte Mal in Deutschland gewesen zu sein. Die inzwischen eingetretene Entwicklung beschrieb er mit folgenden Worten: „Vor einem Menschenalter war Deutschland ein ackerbauendes Land mit einer zu zwei Dritteln ländlichen Bevölkerung; heute ist es ein Industrieland ersten Ranges, und den ganzen Rhein entlang, von der holländischen bis zur Schweizer Grenze, habe ich nicht ein einziges Fleckchen gefunden, wo man um sich schauen kann, ohne Dampfschlote zu sehen. Das scheint allerdings zunächst nur die Kapitalisten anzugehen. Aber die Kapitalisten, indem sie die Industrie steigern, schaffen nicht nur Mehrwert, sie sdtaffen auch Proletarier, sie zerstören die kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Mittelstände, sie treiben den Klassen-gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf die Spitze, und wer Proletarier schafft, der schafft auch Sozialdemokraten. Die Bourgeoisie ist bestürzt bei jeder neuen Reichstagswahl über das unaufhaltsame Anschwellen der sozial-dewokratisdten Stimmen, sie fragt: Woher kommt das? Ja, hätte sie einigen Verstand, so wüßte sie sehn, daß dies ihr eigenes Werk ist! So ist es gekommen, daß die deutsche Sozialdemokratie die einigste, die geschlossenste, die stärkste in der ganzen Welt ist und von Sieg zu Sieg schreitet dank der Ruhe, der Disziplin und dem guten Humor, womit sie ihre Kämpfe führt. Parteigenossen, ich bin überzeugt, Sie werden auch fernerhin Ihre Schuldigkeit tun, und so sdtließe ich mit dem Rufe: Hoch 'die internationale Sozialdemokratie!“

Am 6. März 1895 beschloß Engels seine Einleitung zu der Schrift von Marx „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850", wobei er betonte, daß der Krieg von 1870/71 und die Niederlage der Kommune den Schwerpunkt der europäischen Arbeiter-bewegung von Frankreich nach Deutschland verlegten. Er rühmte zwei besondere Verdienste der deutschen Arbeiter. Sie hätten die stärkste, die disziplinierteste, die am raschesten anschwellende sozialistische Partei geschaffen; sie hätten gleichzeitig ihren Genossen aller Länder eine neue, eine der schärfsten Waffen geliefert, in dem sie ihnen zeigten, wie man das allgemeine Stimmrecht gebraucht. Auch wies er darauf hin, daß die Rebellion alten Stiles, der Straßenkampf mit Barrikaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung herbeiführte, überholt sei. Resigniert stellte er fest: „Heißt das, daß in Zukunft der Straßenkawpf keine Rolle wehr spielen wird? Durchaus nicht. Es heißt nur, daß die Bedingungen seit 1848 weit ungünstiger für die Zivilkämpfer, weit günstiger für das Militär geworden sind. Ein künftiger Straßenkawpf kann also nur siegen, wenn diese Ungunst der Lage durch andere Momente ausgewogen wird. Er wird daher seltener im Anfang einer großen Revolution Vorkommen als iw weiteren Verlauf einer solchen und wird wit größeren Kräften unternommen werden müssen. Diese aber werden dann wohl, wie in der ganzen großen französisdten Revolution, am 4.

September und 31. Oktober 1870 in Paris, den offenen Angriff der passiven Barrikadentaktik vorziehen.“ Engels schloß eine Würdigung der neuen Form der Auseinandersetzung zwischen den Inhabern der staatlichen Macht und der Arbeiterklasse an, wobei er versicherte, daß alle Magazingewehre Europas und Amerikas nicht ausreichten, um eine Partei, die Millionen zählt, aus der Welt zu schießen, und sprach den Regierungen, vor allem der Reichsleitung, das moralische Recht ab, neue Gesetze gegen den Umsturz zu machen, weil diese 1866 den König von Hannover, den Kurfürsten von Hessen, den Herzog von Nassau aus ihren angestammten legitimen Erblanden vertrieben und die Erblande annexiert habe. „Und diese Umstürzler“, fuhr Engels fort, „des Deutschen Bundes und dreier Kronen von Gottes Gnaden beklagen sich über den Umsturz?“ Er ermahnte seine Leser, nicht zu vergessen, daß das Deutsche Reich, wie alle modernen Staaten, ein Produkt von Verträgen sei; nämlich eines Vertrages der Fürsten untereinander und eines Vertrages der Fürsten mit dem Volk. An diese Interpretation hängte er die Bemerkung an: „Bricht der eine Teil den Vertrag, so fällt der ganze Vertrag, der andere Teil ist dann auch nicht wehr gebunden." Bismarck habe diese Verhaltensweise 1866 vorgemacht. Zur Illustrierung dieses Vorganges erinnerte er an eine gefährliche Umsturzpartei, die vor 1600 Jahren das römische Reich beunruhigt habe: „Sie untergrub die Religion und alle Grundlagen des Staates; sie leugnete geradezu, daß des Kaisers Wille das höchste Gesetz, sie war vaterlandslos, international, sie breitete sich aus über alle Reichslande von Gallien bis Asien und über die Reichsgrenzen hinaus. Sie hatte lange unterirdisch, iw verborgenen gewühlt; sie hielt sich aber schon seit längerer Zeit stark genug, offen ans Licht zu treten“. Engels meinte damit das junge Christentum, dessen Sieg über das Imperium Romanum für ihn Vorbild und Unterpfand dafür war, daß die von ihm mitinspirierte Umsturzpartei erfolgreich sein werde

/16. Stalins Kritik an Engels

Deutschlandvorstellungen

Diese Auslassungen tragen das Datum 6. März 1895; fünf Monate später, am 5. August 1895, starb Engels. Sein Vergleich zwischen der von ihm mitgeprägten und propagierten Ideologie und dem Christentum ist nicht für das ihm eigene Selbstbewußtsein aufschlußreich, er führt in die Brunnenstube des Sendungs-und Überlegenheitsglaubens derer, die ihn als „Klassiker“ ihrer Weltanschauung feiern und studieren. Der Marxismus-Leninismus wünscht, nicht nur die Religion zu verdrängen und zu ersetzen, erklärt sich dieser überlegen und trägt keine Bedenken, deren Formen zu übernehmen. Seine Wandlungen haben an dieser Zielsetzung keine bemerkenswerte Veränderungen vorgenommen; der Marxismus-Leninismus tritt auch heute mit der Überzeugung seines totalen Sieges auf. Dieser verschafft -begreiflicherweise -der Umstand Unbehagen, daß die Erwartungen auf Deutschland bisher unerfüllt blieben. Zur Beruhigung der dadurch ausgelösten Zweifel verweisen die Interpreten des Marxismus-Leninismus auf den Widerstand der „reaktionären Kräfte in Deutschland und deklarieren die gewaltsame Einbeziehung Mitteldeutschlands in die ideologisch-politische Sphäre der Sowjetunion als „Befreiung Es handelt sich dabei nicht nur um Propaganda, die machtpolitische Ansprüche tarnen soll; ideologisch bedingte Vorstellungen über Deutschland sind dabei im Spiele, als deren Kronzeuge Lenin gelten kann. Im Sammelband „Rabodnik" (Der Arbeiter) veröffentlichte dieser 1896 eine Kurzbiographie Engels’. Mit pathetischen Worten rühmte er die Verdienste Marx’ und Engels’, die er als die bedeutendsten Gelehrten und Lehrer des modernen Proletariats in der ganzen zivilisierten Welt pries und versicherte: „Seif der Zeit, da das Schicksal Karl Marx und Friedrich Engels zusawwenführte, wurde die Lebensarbeit der beiden Freunde zu ihrer gemeinsamen Sache. Um zu verstehen, was Friedrich Engels für das Proletariat geleistet hat, muß man sich daher über die Bedeutung der Lehre und des Wirkens von Marx für die Entwidrlung der modernen Arbeiterbewegung völlig im klaren sein. Marx und Engels wiesen als erste nach, daß die Arbeiterklasse wit ihrenForderungen ein notwendigesProdukt der wodernen Wirtschafts-* Ordnung ist, die mit der Bourgeoisie zwangsläufig auch das Proletariat erzeugt und organisiert; sie zeigten, daß nicht wohlgemeinteVersuche einzelner edelgesinnter Persönlichkeiten, sondern der Klassenkampf des organisierten Proletariats die Menschheit von den Drangsalen erlösen wird, die sie heute bedrücken. Marx und Esgels haben in ihren wissenschaftlidren Arbeiten als erste klargestellt, daß der Soziodismus keine Erfindung von Phantasten ist, sondern Endziel nttd sotwendiges Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte in der modernen Gesellschaft.“ Lenin bemerkte fortfahrend, daß die Ansichten von Marx und Engels Gemeiagut des um seine Befreiung kämpfenden Proletariats wurde. Deren Ver dienste faßte er in der Feststellung zusammen: „Sie erzogen die As beiterklasse zu Selbsterkenntnis und Selbstbewußtsein, und setzten an die Stelle von Träumereien die Wissenschaft.“ Lenin forderte, jeder Arbeiter müsse Engels'Namen und Leben kennen. Er rühmte dessen Anteil an der von Marx 1864 gegründeten „Internationale Arbeiterassoziation", die für die Entwicklung der Arbeiterbewegung von ungeheurer Tragweite gewesen sei. Auch nach deren Auflösung hätten Marx und Engels nicht aufgehört, als Einiger der Arbeiterklassen zu wirken. Nach Marx’ Tod habe Engels allein fortgefahren, Berater und Führer der europäischen Sozialisten zu sein: „Sowohl die deutschen Sozialisten, deren Kraft trotz der Regierungsverfolgung schnell und ununterbrochen zunahm, als auch die Vertreter zurüdtgebliebener Länder, beispielsweise Spanier, Rumänen, Russen, die ihre ersten Schritte überlegen und erwägen mußten, wandten sich an ihn um Rat und Anleitung. Sie alle schöpften aus der reichen Schatzkammer der Kenntnisse und Erfahrungen des alten Engels.“ Nicht ohne Stolz erklärte Lenin, daß Marx und Engels mit der russischen Sprache vertraut gewesen waren und mit Sympathie die russische revolutionäre Bewegung verfolgt hatten. Er betonte dabei — was Stalin später abzuschwächen versuchte, daß das absolutistische Rußland von jeher das Bollwerk der gesamten europäischen Reaktion gewesen sei. Die außerordentlich vorteilhafte internationale Lage Rußlands infolge des Krieges 1870/71 habe seine'Bedeutung als reaktionäre Macht nur gesteigert: „Nur ein freies Rußland, das weder die Unterdrückung der Polen, Finnen, Deutschen, Armenier und anderer kleiner Völker noch die ständige Aufhetzung Frankreichs und Deutschlands gegeneinander nötig hat, wird dem heutigen Europa die Möglichkeit geben, frei von Kriegsnöten aufzuatmen, wird alle reaktionären Elemente in Europa schwächen und die Kraft der europäischen Arbeiterklasse mehren. Aus diesem Grunde hegte Engels, auch im Interesse der Erfolge der Arbeiterbewegung im Westen, den heißen Wunsch, in Rußland möge die politische Freiheit ihren Einzug halten. Die russischen Revolutionäre haben in ihm ihren besten Freund verloren“

Während Lenin also keine Bedenken hatte, sich zu der Kritik Engels an Rußland zu bekennen, sah sich Stalin veranlaßt, an Engels Artikel „Die auswärtige Politik des russischen Zarentums" kritische Bemerkungen anzubringen. Seine Feststellungen tragen das Datum 19. Juli 1934. Sie sind erstmals im Mai 1941 im „Bolschewik" veröffentlicht worden. Dessen Redaktion hatte, wie den Ausführungen Stalins zu entnehmen ist, sich mit der Absicht getragen, Engels Aufsatz als einen richtung-gebenden oder jedenfalls höchst lehrreichen Artikel abzudrucken. Stalin stellte fest, daß die Studie Engels’ ungeachtet ihrer Vorzüge eine Reihe von Mängeln aufweise, die, wenn sie ohne kritische Bemerkung veröffentlicht wird, den Leser verwirren könnten. Er ging in seiner Kritik an Engels so weit, zu erklären, dieser habe sich in seinem Pamphlet gegen den russischen Zarismus ein wenig hinreißen lassen und dabei auf kurze Zeit einige elementare, ihm gut bekannte Dinge vergessen. Er warf diesem vor, die Rolle des Dranges des zaristischen Rußlands nach Konstantinopel im Heranreifen des Weltkrieges überschätzt zu haben: „Wohl hat Engels als Kriegsfaktor anfangs die Annexion von Elsaß-Lothringen an Deutschland an die erste Stelle gesetzt, aber dann schiebt er dieses Moment in den Hintergrund und die Eroberungsbestrebungen des russischen Zarismus in den Vordergrund, wobei er behauptet, daß die . ganze Gefahr eines Weltkrieges an dem Tag verschwindet, wo eine Wendung der Dinge in Rußland dem russischen Volk erlaubt, durch die traditionelle Eroberungspolitik seiner Zaren einen dicken Strich zu machen'. Das ist natürlich eine Übertreibung.“ Auch die Ansicht Engels, der Sturz des Zarismus sei das einzige Mittel zur Verhütung des Weltkrieges, nannte Stalin eine offensichtliche Übertreibung. Auch wies er dessen Behauptung, die zaristische Macht sei die letzte starke Festung der gesamteuropäischen Reaktion, zurück. Vor allem bezweifelte er, daß Rußland die letzte Festung in dieser Reaktion sei. Er betonte, daß die von ihm fixierten Mängel des Engels’schen Artikels nicht nur historische sondern auch eine sehr wichtige praktische Bedeutung hätten, über die er sagte: „In der Tat: Wenn der imperialistische Kampf um Kolonien und Einflußsphären als Faktor des herannahenden Weltkrieges außer acht gelassen wird, wenn die imperialistischen Widersprüche zwischen Eng-

and und Deutschland ebenfalls außer acht gelassen werden, wenn die Annexion Elsaß-Lothringens an Deutschland als Kriegsfaktor in den Slintergrund, der Drang des russischen Zarismus nach Konstantinopel als der wichtigste und sogar bestimmendste Kriegsfaktor aber in den Vordergrund geschoben wird, wenn schließlich der russische Zarismus die letzte Stütze der gesamteuropäischen Reaktion ist — ist es dann nicht klar, daß ein Krieg — sagen wir — des bürgerlichen Deutschlands gegen das zaristische Rußland kein imperialistischer, kein räuberischer, kein volksfeindlicher Krieg, sondern ein Befreiungskrieg oder fast ein Befreiungskrieg ist? Es ist kaum zu bezweifeln, daß ein analoger Gedankengang den Sündenfall der deutschen Sozialdemokratie am 4. August erleichtern mußte, als sie beschloß, für die Kriegskredite zu stimmen und die Losung der Verteidigung des bürgerlichen Vaterlandes gegen das zaristische Rußland, gegen die . russische Barbarei'usw. verkündete."

Stalin vertrat weiter die Auffassung, Engels sei bei der Niederschrift dieses Aufsatzes von dem sich anbahnenden französisch-russischen Bündnis, das seine Spitze gegen die österreich-deutsche Koalition richtete, beunruhigt gewesen, und habe sich das Ziel gesetzt, in seinem Artikel die Außenpolitik des russischen Zarismus zu attakieren und der öffentlichen Meinung Europas und vor allem Englands jedes Vertrauen zu ihr zu nehmen. Diese Ausstände bewogen Stalin, von einem Druck des Aufsatzes abzuraten Es ist nicht auszumachen, ob der Zeitpunkt dieser Veröffentlichung, das Frühjahr 1941, bewußt gewählt wurde. Die Vermutung liegt nahe, daß die harte Kritik, die Marx und Engels an Rußland übten, von Stalin als verletzend und kränkend empfunden wurde. Während Lenin immer bereit war, den ideologischen Primat bei Marx und Engels anzuerkennen, schob Stalin diese und Lenin in den Hintergrund, um allein an der Rampe des Weltkommunismus zu stehen. Seine Kritik an Engels am Vorabend der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der UdSSR wird zur Demonstration der zum Abschluß gebrachten Rezeption des Marxismus durch Stalin-Rußland, verbunden mit dem Anspruch auf ideologische Infalli-bilität.

17. Lenins und Stalins Hoffnung auf die deutsche Arbeiterbewegung

Bereits vor dem Tode Engels'ging die Entwicklung im Sozialismus verschiedene Wege, danach gab es keine allgemein anerkannte ideologische und politische Autorität mehr. Im „Revisionismus" nahm der Prozeß der Abkehr von Marx seinen Anfang. Wegen seiner organisatorischen Stärke und seiner politischen Erfolge fand der politische Sozialismus in Deutschland auch weiterhin große Beachtung, vor allem bei den verwandten Gruppen in Rußland. Lenin beobachtete dessen Entfaltung nicht nur während seines Aufenthaltes in Deutschland. Seine Schriften sind durchzogen von Hinweisen, Vergleichen und Beurteilungen geschichtlicher und politisch-wirtschaftlicher Gegebenheiten, womit er nicht nur die Entwicklung der sozialistischen Gruppen in Rußland kommentierte, sondern auch zu den Vorgängen in Mitteleuropa vornehmlich in Deutschland Stellung bezog. Die 1907 erfolgte Veröffentlichung der Briefe von J. Ph. Becker, J. Ditzken, F. Engels, K. Marx u. a. an F. A. Sorge u. a. in russischer Sprache veranlaßte ihn, in dem von ihm dazu geschriebenen Vorwort auf die Allgemeingültigkeit der darin zum Ausdruck gebrachten Auffassungen und Ansichten hinzu-weisen. Am Ende seiner Übersicht erklärte er: „Daraus sehen wir, daß Marx und Engels mehr als zehn Jahre systematisdi, unentwegt gegen den Opportunismus in der deutschen Sozialdemokratischen Partei kämpften und das intelligenzlerische'Philistertum und Spießbürgertum tm Sozialismus verfolgten. Das ist eine äußerst wichtige Tatsache.“ Der nachfolgende Satz bedarf besonderer Beachtung, bringt er doch Lenins Haltung unmißverständlich zum Ausdruck: „Weitere Kreise wissen, daß die deutsche Sozialdemokratie als ein Vorbild marxistischer Politik und Taktik des Proletariats gilt. Aber sie wissen nicht, welchen ständigen Krieg die Begründer des Marxismus gegen den . redtten Flügel'(ein Ausdruck von Engels), dieser Partei zu führen hatten. Daß dieser Krieg bald nach Engels Tod aus einem versteckten zu einem offenen wurde, ist kein Zufall. Das ist das unvermeidlidte Ergebnis der jahrzehntelangen historischen Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie.“ Er betonte weiter, Marx und Engels seien nicht müde geworden, die deutschen Sozialdemokraten mit größter Beharrlichkeit zu lehren: „Verfallt nidtt in Philistertum, in , parlamentarisdien Idiotismus'(ein Ausdrudt von Marx im Brief vom 19. September 1879) in kleinbürgerlidiintelligenzlerisdten Opportunismus.“ Als Ergebnis dieser Erwägungen formulierte Lenin: „Heute, wo die internationale Arbeiterbewegung Symptome einer tiefen Gärung und großer Sdtwankungen offenbart, wo die Extreme des Opportunismus, des , parlamentarisdten Idiotismus'und des philisterhaften Reformismus entgegengesetzte Extreme des revolutionären Syndikalismus ausgelöst haben — heute erlangt die allgemeine Linie der Marx'schen und Engels'schen . Korrekturen'am englisch-amerikanischen und am deutschen Sozialismus hervorragende Bedeutung“

Obwohl die schriftlichen Auslassungen Stalins für die Zeit vor 1917 unerheblich sind, müssen sie erwähnt werden. Bei zwei Gelegenheiten setzte sich Stalin mit der Stellung Deutschlands in der sozialistischen Weltbewegung auseinander. 1907 schrieb er einen Bericht über den Londoner Parteitag der SDAPR. Er erwähnte darin sowohl die Ausführungen Rosa Luxemburgs als auch das Schreiben, das der Parteivorstand der SPD an den Parteitag in London gerichtet hatte. Stalin führte aus:

„Besonders aufschlußreich waren die Reden der Genossin Rosa Luxemburg, die den Parteitag im Namen der deutsdien Sozialdemokraten begrüßte und die Auffassung entwidtelte, die unsere deutschen Genossen von unseren Meinungsverschiedenheiten haben. ... In den Fragen nadt der Rolle des Proletariats als des Führers der Revolution, nach der Rolle der liberalen Bourgeoisie als einer antirevolutionären Kraft usw. usw. erklärte Rosa Luxemburg ihre volle Übereinstimmung mit den Bolschewiki, kritisierte sie die Führer des Menschewismus, Plechanow und Axelrod, die sie als Opportunisten bezeichnete und deren Haltung sie mit der der Jauresisten in Frankreidt verglidt. Ich weiß, sagte Rosa Luxemburg, daß auch die Bolschewiki manchmal danebenhauen, manchmal sonderbar und allzu felsenfest sind, aber ich verstehe und redttfertige sie durdtaus: angesidtts der zerfließenden, gallertartigen Masse des mensdiewistischen Opportunismus muß man felsenfest sein. Bei den Guesdisten in Frankreidi ist gleichfalls zu verzeichnen gewesen, daß sie allzu felsenfest sind, hat doch ihr Führer, Genosse Guesde, in dem bekannten Wahlplakat verkündet: . Kein Bourgeois wage es, für 4uich zu stimmen, denn idt werde im Parlament nur die Interessen der Proletarier gegen alle Bourgeois vertreten.'Und ungeadttet dessen, ungeachtet dieser Schroffheiten, standen wir deutschen Sozialdemokraten stets an der Seite der Guesdisten in ihrem Kampf gegen die Verräter am Marxismus, die Jauresisten. Das gleidie muß hinsichtlich der Botsdiewiki gesagt werden, die wir deutsdien Sozialdemokraten in ihrem Kampfe gegen die Opportunisten, die Mensdtewiki unterstützen werden ... So ungefähr spradt Genossin Rosa Luxemburg. Nodt interessanter ist der berühmte Brief, den der Parteivorstand der Sozialdemokratisdten Partei Deutsdilands an den Parteitag geriditet und den Rosa Luxemburg verlesen hat. Interessant ist er deshalb, weil er durch den Rat an die Partei, gegen den Liberalismus zu kämpfen, und durdt die Anerkennung der besonderen Rolle des russisdien Proletariats als des Führers der russisdien Revolution zugleich auch alle grundlegenden Leitsätze des Bolschewismus anerkennt. Es ist also offenbar geworden, daß die erprobteste und revolutionärste sozialdemokratische Partei Europas, die deutsche Sozialdemokratie, offen und klar die Bolschewiki, als die wahren Marxisten, in ihrem Kampf gegen die Verräter am Marxismus, gegen die Menschewiki unterstützt“

Es ist notwendig, die Formulierung Stalins in ihrer Bedeutung zu bedenken. Er nannte die deutsche Sozialdemokratie die erprobteste und revolutionärste sozialdemokratische Partei Europas, deren Entscheidungen er für verbindlich erklärte. Eine ähnliche Auffassung bekundete er in einer Proklamation, die zum Tode Bebels erschien. Er bezeichnete diesen als den Führer der deutschen Arbeiter, dessen Worten Millionen und Abermillionen Proletarier Deutschlands wie den Worten eines Präfekten gelauscht hätten und schloß nach einem Überblick mit dessen Leben mit dem jugendlich-pathetischen Ausruf: „So sieht das Leben, so sieht das Wirken des alten, ja sehr alten, aber seelisch noch äußerst jungen Bebel aus, der nach wie vor auf seinem Posten steht und auf neue Schladtten und neue Siege wartet.

Nur das kämpfende Proletariat konnte einen Bebe! gebären, so lebendig, ewig jung, ständig vorwärtsblickend, wie es audt selbst ist.

Nur die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus konnte der rastlosen Natur Bebels, der unermüdlidt zur Zerstörung der alten, verfaulenden, kapitalistisdten Welt drängt, diesen weiten Sdiwung verleihen.

Bebel zeugt mit seinem Leben und seinem Werk von der Kraft und der Unbesiegbarkeit des Proletariats, von der Unvermeidlichkeit des Triumphs des Sozialismus ...

Laßt uns denn, Genossen, unserem treuen Lehrmeister, dem Drechsler August Bebel, unseren Gruß entbieten!

Möge er uns russisdien Arbeitern, die soldie Bebels der Arbeiterbewegung besonders nötig haben, als Vorbild dienen!“

Auf der Linie dieser Vorstellungen bewegten sich auch die Ansichten Lenins bis zu dem Tag des Sommers 1914, an dem nach einem, im Tone tiefer Sorge gesprochenen Wort des britischen Außenminister Lord Grey „die Lidtter in Europa ausgingen“ dieser war in eine nicht abreißende Auseinandersetzung mit Marx/Engels verwickelt, die für ihn zu einer ständigen Begegnung mit der deutschen Geschichte, zu einer immer neuen Beschäftigung mit Deutschland, wurde. Die dabei gewonnenen Ansichten und Einblicke wurden durch die Mächtegruppierung des I. Weltkrieges nicht im Grundsätzlichen, im Taktischen nur während einzelner Phasen und Vorgänge verändert. Zur Charakterisierung und Beurteilung der russischen Entwicklung nahm er immer wieder Ereignisse der deutschen Geschichte und deren Darstellung und Bewertung durch Marx und Engels auf. Der vorrevolutionäre Leninismus ist ohne Kenntnis des von Marx und Engels entworfenen Bildes der deutschen Geschichte unverständlich. Bei zahlreichen Ereignissen hat Lenin auf einen deutschen Parallel-und Modellfall verwiesen. Die Geschichte des Sozialismus ist für ihn eine Art „Altes Testament“. Seine Leser müssen sich, wollen sie ihn verstehen, mit Deutschland und deutscher Geschichte vertraut machen. Die vorrevolutionäre Ideologie Lenins steht nicht nur in der Nachfolge Marx’ und Engels’; sie ist ganz beeinflußt von Verweisen, Vergleichen und Bildern der deutschen Entwicklung, wie sie von ersteren gegeben worden sind, was zuzugeben Lenin keine Bedenken trug. Für ihn stand außer Zweifel, daß der Primat des wissenschaftlichen und auch des politischen Sozialismus in Deutschland lag. Es ist wohl nicht zufällig, daß er als Emigrant etliche Jahre in Deutschland zubrachte und dessen Situation genau studierte. Er war im Sinne der Aussagen Marx’ und Engels’ der Überzeugung, daß die sozialistische Revolution in Deutschland ihren Anfang nehme und von hier aus sich nach Westen und Osten ausbreite; er sah darin keine Benachteiligung Rußlands, sondern die Folge der Deutschland zukommenden sozialistischen Erstgeburt. Als typisch für diese Haltung ist Lenins Betrachtung des Jenaer Parteitages der SPD (17. bis 23. September 1905) anzusehen: „Die Parteitage der deutidten Sozialdemokraten sind sekon längst zu Ereignissen geworden, deren Bedeutung weit über die Grenzen der deutsdien Arbeiterbewegung hinausgeht. Die deutsche Sozialdemokratie steht in bezug auf Organisiertheit, Einheit und Gesddossenheit der Bewegung, Reidrtum und Reichhaltigkeit der warxistisdien Literatur an der Spitze aller sozialdemokratischen Parteien. Es ist nur natürlidi, daß unter solchen Umständen auch die BesMüsse der deutschen sozialdemokratischen Parteitage häufig geradezu internationale Bedeutung erlangen.“ Im Verlauf seiner Ausführungen bemerkte Lenin: „Die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie ist in dieser Hinsicht für uns Russen außerordentlich lehrreich. Die organisatorisdren Fragen haben bei uns vor kurzem unter den aktuellen Fragen des Parteilebens einen unverhältnismäßig großen Raum eingenommen, und das ist zum Teil auch heute noch der Fall“ Der Internationale Sozialistenkongreß in Stuttgart (18. bis 24. August 1907) fand seine besondere Beachtung Der inneren Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie widmete er zahlreiche Veröffentlichungen, in denen er die zum demokratischen Sozialismus hinführende Bewegung scharf verurteilte. Im Frühjahr erklärte er in einem Aufsatz: „Was man der deutschen Arbeiterbewegung nicht nachahmen soll“: „Die deutsche Sozialdemokratie hat gewaltige Verdienste. Dank dem Kampfe Marx’ gegen alle die Hödtberg, Dühring und Konsorten besitzt sie eine streng durchgearbeitete Theorie, die zu umgehen oder opportunistisch zu korrigieren unsere Volkstümler vergeblich versuchen. Sie hat eine Massenorganisation, Zeitungen, Gewerkschaften, politisdte Verbände, sie verfügt über jene die Massen erfassende Organisiertheit, die jetzt audt bei uns in Gestalt des allgemeinen Sieges der marxistischen , Prawda'-Ridttung sowohl bei den Dumawahlen als auch auf dem Gebiet der Tagespresse, sowohl bei den Wahlen zum Versicherungsrat als auch in den Gewerkschaften so deutlich sichtbar in Erscheinung tritt. Die krampfhaften Bemühungen unserer von den Arbeitern , abgesagten Liquidatoren, die Frage dieser den russischen Verhältnissen angepaßten und die Massen erfassende Organisiertheit in Rußland zu umgehen, sind ebenso vergeblich wie die Bemühungen der Volkstümler und bedeuten ebenso wie diese nur eine intelligenzlerische Absplitterung von der Arbeiterbewegung“ Die darnach gemachten Erklärungen und Interpretierungen können nicht allein gesehen werden, — sie müssen im Zusammenhang mit der weltpolitischen Entwicklung, die mit dem Ausbruch des I. Weltkrieges in einen Wendekreis trat, beurteilt werden. Lenin, nach Rußland zurüdegekehrt, appellierte unter Berufung auf die sozialistische Tradition Deutschlands im Herbst 1917 an die deutschen Soldaten: „Brüder, deutsdte Soldaten! Das große Beispiel eures Kameraden, Karl Liebknechts, des ansehnlichsten Führers des internationalen Sozialismus, der beharrliche und langwierige Kampf, den ihr gegen den Krieg mit der Herausgebung von Zeitungen und Flugblättern, mit zahlreichen Demonstrationen und Streiks geführt habt, der Kampf, für welchen eure Regierung Hunderte und Tausende eurer Kameraden ins Gefängnis geworfen hat, endlich der heidenmäßige Aufstand eurer Matrosen der Flotte bürgen uns dafür, daß innerhalb breiter Massen des Arbeiterstandes eurer Nation die Fertigkeit für einen entscheidenden Kampf für den Frieden schon gereift ist. Brüder, leistet uns Hilfe! Wenn ihr es tut, dann Itann nicht einmal der geringste Zweifel darüber bestehen, daß die Friedenssache, wenigstens auf dem Kontinente Europas, in (ein) paar Tagen die Oberhand ergreift, daß der schnellste und gerechteste Friede verbürgt wird und der Anschluß an einen solchen Frieden seitens auch der übrigen kriegführenden Mächte am schmerzlosesten vor sich geht. Wenn ihr uns bei unserer Aufgabe behilflich sein werdet, die Einigung der Arbeiter mit den Bauern und den allmählichen Über-gang zum Sozialismus in Rußland zu bewerkstelligen, bei der Aufgabe, die für Rußland allein unheimliche Schwierigkeiten darbietet, dann werden eure Organisationsfähigkeit, eure Erfahrung, eure Vorbereitung zur Bildung der Arbeitermassenorganisationen uns den Übergang zum Sozialismus unfehlbar sichern“

III. Zusammenfassung

Der Versuch, die Ergebnisse dieser Aussagen über Deutschland und über dessen Verhältnis zum wissenschaftlichen und politischen Sozialismus festzulegen und zusammenzufassen, hat einige nicht unbedeutende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen, die — ungeachtet der inzwischen eingetretenen Rezeption des Marxismus-Leninismus durch den großrussischen Imperialismus — auf das marxistisch-leninistische Leitbild von Deutschland Einfluß genommen haben. Dieses läßt sich in folgenden Feststellungen zerlegen: 1. Deutschland ist das Geburtsland Marx’ und Engels’.

2. Deutschland ist, wie Stalin formulierte, das „Geburtsland des wissenschaftlichen Sozialismus“.

3. Deutschland war die ursprüngliche Hoffnung des Sozialismus. Über die russische Oktober-Revolution hinaus wurde die von Marx und Engels begründete Vorstellung hochgehalten, daß die Weltrevolution in Deutschland ihren Anfang nimmt.

4. Die deutsche Geschichte ist für Marx und Engels und auch für Lenin Lehrmaterial. Wer die Grundlagen der von diesen entwickelten Ideologie studiert, stößt auf Deutschland und die deutsche Geschichte.

5. Auf die deutsche Geschichte wird die Schablone des marxistischleninistischen Geschichtsdenkens, der „materialistischen Geschichtsauffassung“, gelegt, wodurch diese als „ungelöst“ und „unerfüllt“

scheint. Sie bietet sich als Abfolge zwangsläufiger Ereignisse dar, an deren Ende der Sieg der Arbeiterklasse nicht steht, sondern stehen muß. Deutschland ist im Advent des Kommunismus. Diese Ansicht bedeutet bei der gegebenen Situation: Die Bundesrepublik Deutschland steht — nach dieser Überzeugung — vorm Übergang zum Marxismus-Leninismus, dem sie als der größere Teil Deutschlands auf besondere Weise verbunden ist. 6. Die angestrebte Perfektion der Glaubwürdigkeit des Marxismus-

Leninismus ist solange nicht erreicht, solange dieser nicht in Deutschland, in ganz Deutschland, dem „Gebuitsland des wissenschaftlichen Sozialismus“, durchgesetzt und realisiert ist. Der Widerstand des deutschen Volkes vermehrt das — in der Regel nicht direkt eingestandene — Unbehagen und die darüber empfundene Ungeduld der zelotischen Missionare des Marxismus-Leninismus.

c Diese Feststellungen verweisen auf das eigentümliche Verhältnis zwischen dem Marxismus-Leninismus und Deutschland, das ohne Beispiel ist, und charakterisieren das Fundament der Vorstellungen, die der Marxismus-Leninismus von Deutschland entworfen hat. Jeder in Deutschland unternommene Versuch, sich mit diesem und den politischen Systemen, die vorgeben, ihn zu vollstrecken und anzuwenden, auseinanderzusetzen, muß davon ausgehen. Es besteht zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein besonderes Verhältnis, das bisher zu wenig beachtet und untersucht worden ist. In diesem Zusammenhang müssen die Beziehungen zwischen der deutschen Arbeiterbewegung und dem Marxismus strenger Observanz gesehen und gedeutet werden; auch der deutsche Anteil an dem sehr früh einsetzenden Schisma im Sozialismus verdient Berücksichtigung. Dadurch wird zwar jede deutsche Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus beschwert, erschließt sich jedoch die Möglichkeit, entscheidend zu dessen geistiger Bewältigung beizutragen.

Es ist nicht zulässig, bei Betrachtung und Beurteilung der nachrevolutionären Entwicklungen des ideologischen Leitbildes „Deutschland“ das politisch-diplomatische Verhältnis zwischen der entstehenden Sowjetmacht und dem Deutschen Reich unbeachtet zu lassen; das schwankende Gewicht des ideologischen Einflusess ist dafür ohne Bedeutung. Zahlreiche Vorgänge der deutsch-sowjetischen Beziehungen zwischen 1917 und heute sind nur verständlich, wenn sowohl die ideologischen Vorstellungen als auch die politischen Gegebenheit eingesehen werden. Die eingangs zitierte Auslassung Stalins auf der Konferenz von Teheran bringt einen ideologischen Unwillen, der durch die Konstituierung der SBZ nur teilweise rückgängig gemacht wurde, zum Asdruck. Die ideologische Interpretierung der Konstituierung des „Ersten Arbeiter-und Bauern-Staates auf deutschem Boden" verweist auf die sehr früh einsetzenden Bemühungen, aus der militärischen Besetzung Ost-und Mitteldeutschlands eine Befreiung der deutschen Arbeiter und Bauern zu machen, die angesichts der Stärke und Verschlagenheit der Kapitalisten dazu nicht fähig waren. Dazu wurde zunächst zögernd, mit zunehmendem zeitlichen Abstand jedoch laut und vernehmlich erklärt, die Rote Armee habe mit dieser Befreiung den Dank der Sowjetunion an das Geburtsland Marx’ und Engels’ abgestattet. Sowohl die weltpolitische Kuriosität als auch die ideologische Fragwürdigkeit dieser These liegen auf der Hand. Sie stellt eine bewußte Verdrehung der geschichtlichen Wirklichkeit dar, ein Umstand, der Propaganda und Publizistik der SBZ nicht davon abhält, sie geduldig zu wiederholen. Dabei spielt die gewaltsame Hinordnung der deutschen Geschichte, durch Marx, Engels und Lenin vorbereitet, auf die Praktizierung der von diesen ntwickelten Anschauungen eine nicht unerhebliche Rolle. Politische, militärische, geographische und wirtschaftliche Erwägungen und Erwartungen sind darin unausscheidbar eingeschmolzen; sie machen zusammen das besondere Verhältnis Deutschlands zum Marxismus-Leninismus aus, das dem deutschen Volk, vor allem aber den deutschen Geisteswissenschaften, eine besondere Aufgabe stellt. Weil der Marxismus-Leninismus „politische Kirche" ist, ist für ihn die Tatsache, daß sein Ursprungsland sich seiner Annahme widerstrebt, von besonderer Bedeutung. Die ideologischen Vorstellungen des Marxismus-Leninismus über Deutschland und Deutschlands geschichtlichen Weg legen ein zwar wenig gewürdigtes, in den Bereich des Emotionellen stark einwirkendes Element der weltpolitischen Situation frei.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur deutschen Geschichte II/l, 593 ff., mit dem Vermerk: „Veröffentlicht von Friedrich Engels in der Neuausgabe der Marxschen Schrift . Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln', Hottingen-Zürich 1885, S. 75— 87.". Vgl. dazu: WINKLER, Gerhard, Uber die historische Stellung des „Bundes der Kommunisten" in der deutschen Arbeiterbewegung. ZfGW. II. Jahrg. (1954), 538 ff.: FÖRDERER, Herwig, Die politischen und taktischen Richtlinien von Marx und Engels für den allgemein-demokratischen Kampf der Kölner Kommunisten im Jahre 1846. ZfGW. IV Jahrg. (1956), 291 ff.

  2. Zur deutschen Geschichte II/l, 609 ff., mit dem Vermerk: „Aus: „Uber die provisorische revolutionäre Regierung', Erster Artikel: . Plechanows historische Fragestellung', Proletari’ Nr. 2 vom 3, Juni (21. Mai) 1905. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 8, S. 430— 440, russ. Aus dem Russischen." /Lenin, Deutschland 39 ff.

  3. Zur deutschen Geschichte II/l, 636 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in englischer Sprache. , New-York Daily Tribune'vom 19. Mai 1954. Aus dem Englischen.“

  4. Zur deutschen Geschichte II/l, 643 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in englischer Sprache als Artikelserie für die , New-York Daily Tribune'. Aus dem Englischen.“

  5. Zur deutschen Geschichte II/l, 689 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben Ende Februar/Anfang März 1859. Erschien 1859 als anonyme Broschüre bei Franz Duncker, Berlin. Nach dieser Ausgabe."

  6. Zur deutschen Geschichte 11/1, 733 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben im Januar 1860. Erschien 1860 als anonyme Broschüre (vom Verfasser von und bei " Po Rhein') G. Behrend (Falckenbergsche Verlagsbuchhandlung), Berlin. Nach dem Nachdruck des Verlags J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, Stuttgart 1915.“

  7. KOSSUTH, Ludwig, 1802— 1894, Führer des ungarischen Aufstandes 1848 49, nach dessen Niederwerfung er über die Türkei nach Großbritannien floh.

  8. KLAPKA, Georg 1820— 1892, General in der ungarischen Revolutionsarmee 1848/49; lebte danach als Emigrant in der Schweiz.

  9. VOGT, Karl, 1817— 1895, Naturforscher, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.

  10. GARIBALDI. Guiseppe, 1807— 1882, Führer der nationalen Volksbewegung ftaliens.

  11. Zur deutschen Geschichte II/l, 775 ff., mit dem Vermerk: .. Das Volk’ (London) Nr. 8 vom 25. Juni 1859.“

  12. Zur deutschen Geschichte 11/1, 778 ff., mit dem Vermerk: „Das Volk'(London) Nr. 13— 16 vom 30. Juli, 6., 13. und 20. August 1859."

  13. Zur deutschen Geschichte II/l, 800 ff., mit dem Vermerk: „Aus einer Rezension: Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie', Erstes Heft, Berlin, Franz Duncker, 1859’, , Das Volk'(London) Nr. 14 vom 6. August 1859."

  14. Zur allgemeinen Beurteilung vgl.: ENGELBERG, Ernst, Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1850— 1871). In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. II. Jahrg. (1954), 428 ff.

  15. Vgl. vor allem: Friedrich Engels, Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei. In: Zur deutschen Geschichte II/l, 813 ff..

  16. Zur deutschen Geschichte II/l, 804 ff., mit dem Vermerk: „Aus: „Der Reformismus in der russischen Sozialdemokratie', . Sozialdemokrat'Nr. 23 vom 14. (1.) September 1911. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 17, S. 204— 207, russ. Aus dem Russischen“ /Lenin, Deutschland 58 ff.

  17. Zur deutschen Geschichte II/l, 808 L, mit dem Vermerk: „Aus: Die „Linksschwenkung" der Bourgeoisie und die Aufgaben des Proletariats', Proletari’ Nr. 44 vom 8. (21.) April 1909. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 15, S. 366/367, russ. Aus dem Russischen.“ /Lenin, Deutschland 62 f.

  18. Zur deutschen Geschichte II/l, 810, mit dem Vermerk: „Aus: . Der Sieg der Kadetten und die Aufgaben der Arbeiterpartei', zuerst als Broschüre veröffentlicht im April 1906. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 10, S. 235/236, russ. Aus dem Russischen." /Lenin, Deutschland 64.

  19. Zur deutschen Geschichte II/l, 844, mit dem Vermerk: „Aus: , Was tun? -, geschrieben 1902. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 5, S. 356/357, russ. Deutsch nach: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1953, S. 208/209.“ /Lenin, Deutschland 65.

  20. Zur deutschen Geschichte II/l, 845. mit dem Vermerk: „Aus dem 1899 geschriebenen . Protest russischer Sozialdemokraten-. Werke, 4. Aus-gäbe, Bd. 4, S. 157, russ. Aus dem Russischen." /Lenin, Deutschland 66.

  21. Zur deutschen Geschichte II/l, 854 ff., mit dem Vermerk: „, Die Zukunft-Nr. 185 vom 11. August 1869 und . Demokratisches Wochenblatt’ Nr. 34 vom 21. August 1869. Nach dem Text der . Zukunft-."

  22. Zur deutschen Geschichte 11/1, 870 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben 1870. Aus: Vorbemerkung zur zweiten Auflage des . Deutschen Bauernkriegs-, Leipzig 1870. Nach der letzten von Friedrich Engels besorgten Ausgabe, Leipzig 1875.“

  23. Zur deutschen Geschichte II/l, 882 f., mit dem Vermerk: „Aus dem Brief an I. I. Skworzow-Stepanow, geschrieben am 16. Dezember 1909; Erst-veröffentlichung: , Proletarskaja Rewoluzija-. (Die proletarische Revolution) Nr. 6 (28), Jahrg. 1924. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 16, S. 103/104. russ. Aus dem Russischen." /Lenin, Deutschland 70 f.

  24. Zur Deutschen Geschichte II/2, 1265, mit dem Vermerk: „Nach: . Der Volksstaat(Braunschweig) Nr. 39 vom 14. Mai 1870.“

  25. Polemische Bezeichnung für Louis Bonaparte (1808— 1873).

  26. Zur deutschen Geschichte II/2, 1266 ff., mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Briefwechsel, IV. Band: 1868— 1883, Berlin 1950, S. 438— 441.“

  27. Zur deutschen Geschichte II/2, 1269, mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Briefwechsel, S. 443.“ IV. Band: 1868— 1833, Berlin 1950,

  28. Zur deutschen Geschichte 11/2, 886 f., mit dem Vermerk: „Der Volks-staat'Nr. 73 vom 11. September 1870.“

  29. Die zeitgenössische, meist polemisch gebrauchte Bezeichnung für die Schlacht von Königgrätz (3, Juli 1866),

  30. Die am 12. Juli 1870 im „Reveil" von den Pariser Mitgliedern der Internationale veröffentlichte Kundgebung. Zur deutschen Geschichte II/2, 889 f gibt davon folgenden Auszug: „Abermals bedroht politischer Ehrgeiz den Frieden der Welt unter dem Vorwand des europäischen Gleichgewichts und der Nationalehre. Französische, deutsche und spanische Arbeiter! Vereinigen wir unsre Stimmen zu einem Ruf des Abscheus gegen den Krieg .. • Krieg wegen einer Frage des Übergewichts oder wegen einer Dynastie kann in den Augen von Arbeitern nichts sein als eine verbregherische Torheit. Gegenüber den kriegerischen Aufrufen derjenigen, die sich von der Blutsteuer loskaufen und im öffentlichen Unglück nur eine Quelle neuer Spekulationen sehn, protestieren wir laut, wir, die wir Frieden und Arbeit nötig haben! ... Brüder in Deutschland! unsere Spaltung würde nur im Gefolg haben den vollständigen Triumph des Despotismus auf beiden Seiten des Rheins ... Arbeiter aller Länder! was auch für den Augenblick das Ergebnis unsrer gemeinsamen Anstrengungen sein möge, wir, die Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation, für die es keine Grenzen gibt, wir schicken euch, als Pfand unauflöslicher Solidarität, die guten Wünsche und die Grüße der Arbeiter Frankreichs."

  31. Zur deutschen Geschichte II/2, 888 ff., mit dem Vermerk: „Gebilligt vom Generalrat am 23. Juli und 9. September 1870. Zur selben Zeit als Flugblätter in englischer, deutscher und französischer Sprache erschienen. Nach: Der Bürgerkrieg in Frankreich', Berlin 1891, S. 19— 26.“

  32. Zur deutschen Geschichte II/2, 892 ff., mit dem bei Anmerkung 148 wiedergegebenen Vermerk.

  33. Zur deutschen Geschichte H/2, 901 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in englischer Sprache. , Pall Mall Gazette'(London) Nr. 1703 vom 29. Juli 1870, Nr. 1714 vom 11. August 1870, Nr. 1740 vom 10. September 1870, Nr. 1746 vom 17. September 1870. Deutsch nach: Der Deutsch-Französische Krieg', Sammelband, Wien-Berlin 1931, S. 85/86, 115/116, 180— 182, 189 193.“

  34. Zur deutschen Geschichte II/2, 913 ff., mit dem Vermerk: „Aus: Die auswärtige Politik des russischen Zarentums', „Die Neue Zeit', VIII. Jahrg. (1890), S. 198/199."

  35. Zur deutschen Geschichte II/2, 909 ff., mit dem Vermerk: „Aus: . Sozialismus und Krieg', Erstveröffentlichung Genf 1915. Werke. 4. Ausgabe, Bd. 21, S. 271/272 u. 279/280, russ. Deutsch nach: . Sozialismus und Krieg', Berlin 1952, S. 6. u. 16/17." /Lenin, Deutschland 72 ff.

  36. Zur deutschen Geschichte H/2, 911 f., mit dem Vermerk: „Aus: . über das „Friedensprogramm", . Sozialdemokrat'(Genf) Nr. 52 vom 25. März 1916. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 22, S. 152/153, russ. Aus dem Russischen. ” /Lenin Deutschland 74 f.

  37. Zur deutschen Geschichte II/2, 919, mit dem Vermerk: „Aus: . über den Nationalstolz der Großrussen', . Sozialdemokrat'(Genf) Nr. 35 vom 12. Dezember 1914. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 21, S. 87, russ. Deutsch nach: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1953, S. 748.“ /Lenin, Deutschland 77.

  38. Zur deutschen Geschichte II/2, 921 ff., mit dem Vermerk: „Aus: . über die politische Linie', . Newskaja Swesda, (Der Newski-Stern) Nr. 26 vom 16. September 1912. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 18, S. 302— 304, russ. Aus dem Russischen.“ /Lenin, Deutschland 79 ff.

  39. Zur deutschen Geschichte II/2, 923, mit dem Vermerk: „Aus: . Lehrreiche Reden', geschrieben Anfang Juli 1913; . Krasnaja Now'(Rotes Neuland), Heft 1/1925. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 19, S. 224, russ. Aus dem Russischen.“ /Lenin, Deutschland 81.

  40. Gedruckt u. a. bei: Treue, Wolfgang, Deutsche Parteiprogramme 1861— 1954. Göttingen 1954, 72 ff.

  41. Zur deutschen Geschichte II/2, 924 L, mit dem Vermerk: „Aus: Das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion', . Proletari'Nr. 45 vom 13. (26.) Mai 1909. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 15, S. 372/373. Aus dem Russischen." /Lenin, Deutschland 82 f.

  42. Zur deutschen Geschichte II/2, 926 ff., mit dem Vermerk: „Aus der Broschüre , Zur Wohnungsfrage'(zuerst 1872/73 im . Volksstaat'erschienen), 2. Auflage, Hottingen-Zürich 1887, S. 49— 51.“

  43. ur deutschen Geschichte 11/2, 929 ff., mit dem Vermerk: „Rede, ge-halten in französischer Sprache. Nach dem Sitzungsprotokoll der Londoner Konferenz der IAA am 22. September 1871 über die Lage der IAA in Deutschland und Irland. Aus dem Französischen.“

  44. Zur deutschen Geschichte II/2, 940 ff., mit dem Vermerk: „Aus: Vorbemerkung zur dritten Auflage des . Deutschen Bauernkriegs', Leipzig 1875. Nach der letzten von Friedrich Engels besorgten Ausgabe. Leipzig 1875."

  45. Doppelschlacht bei Jena und Auerstädt am 14. Oktober 1806.

  46. Zur deutschen Geschichte II/2, 997 f., mit dem Vermerk: „Aus dem Nachwort zur zweiten Auflage der . Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln', Leipzig 1875. Nach: . Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln', Hottingen-Zürich 1885, S. 73/74."

  47. Mehring, Franz, Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie. 4 Bde. 3. Bd. 4. Ausl. Stuttgart 1909, 349 ff.

  48. Vgl. dazu: Zur deutschen Geschichte II/2, 956 f.

  49. Mehring, Franz, Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie. 4 Bde. 4. Bd. 3. Ausl. Stuttgart 1906, 87 ff.

  50. Zur deutschen Geschichte II/2, 1280 f., mit dem Vermerk: . Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 364/365."

  51. Zur deutschen Geschichte II/2, 1281 f., mit dem Vermerk: . Nach einer Fotokopie des Originals.“

  52. Anmerkung der Vorlage: „Mit dem Krach von 1873 endete die Periode der sogenannten Gründerjahre, die Periode toller Spekulationen und Börsenmanipulationen, die nach der Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 in Deutschland eingesetzt hatte.“

  53. Zur deutschen Geschichte II/2, 1282 ff., mit dem Vermerk: . Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Briefe an A. Bebel, W. Liebknecht, K. Kautsky und andere, Teil I: 1870— 1886, Moskau-Leningrad 1933, S. 173— 175.“

  54. Engels an Johann Philipp Becker, vgl.: Zur deutschen Geschichte II 2, 1283, mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausqewählte Briefe, Berlin 1953, S. 383.“

  55. Marx an Engels, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1284, mit dem vermerk: „Nach: Karl Marx, Friedrich Engels, Briefwechsel, IV. Band: 1868 bis 1883, Berlin 1950, S. 593.“

  56. Zur deutschen Geschichte II/2, 999 ff., mit dem Vermerk: . Aus dem . Politischen Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees an den XIV. Parteitag der KPdSU (B) ‘ vom 18. Dezember 1925. Werke, Bd. 7, S. 274— 276, russ. Deutsch nach: Werke, Bd. 7, S. 238— 240."

  57. Zur deutschen Geschichte II/2, 1002 ff., mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 384— 390."

  58. Zur deutschen Geschichte II/2, 1009 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in französischer Sprache. L’Egalit’ (Die Gleichheit) (Paris) Nr. 7 u. 10 vom 3. u. 24. März 1880. Aus dem Französischen.“

  59. Zur deutschen Geschichte 112, 1018 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in englischer Sprache , The Labour Standard (Das Banner der Arbeit) (London) vom 23. Juli 1881. Aus dem Englischen "

  60. Zur deutschen Geschichte II/2, 1023 f., mit dem Vermerk: „Aus: . Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung. Swesda’ (Der Stern) (Petersburg) Nr. 1 vom 16 Dezember 1910 Werke, 4 Ausgabe Bd 16, S. 320/321, russ. Aus dem Russischen." /Lenin Deutschland 88. f.

  61. Zur deutschen Geschichte 11'2, 1025 t . mit dem Vermerk: „Aus:

  62. Anmerkung der Vorlage: »Siehe Engels'Brief an Bernstein vom 20. SO. k 4to 2b 3. e“ r 1882; enthalten in Marx/Engels. Ausgewählte Briefe, Berlin 1953

  63. Anmerkung der Vorlage: »Stalin zitiert hier aus Engels'Brief an Bernstein vom 8. Oktober 1885; enthalten in Marx/Engels, Werke, Bd. XXVII, S. 490, russ.“

  64. Zur deutschen Geschichte II/2, 1021 f., mit dem Vermerk: „Aus: . Noch einmal über die sozialdemokratische Abweichung in unserer Partei', Referat auf dem VII. erweiterten Plenum des EKKI, gehalten am 7. Dezember 1926. Werke, Bd. 9, S. 8/9, russ. Deutsch nach: Werke, Bd. 9, S. 7/8."

  65. Zur deutschen Geschichte II/2, 1033 ff., mit dem Vermerk: „Aus dem , orwort zur Broschüre Karl Marx vor den Kölner Geschworenen, Prozeß gegen den Ausschuß der rheinischen Demokraten wegen Aufrufs zum bewaffneten Widerstand (9. Februar 1849)', Hottingen-Zürich 1885, S. 5— 8.'

  66. Zur deutschen Geschichte II/2, 1037 ff., mit dem Vermerk: „Vorwort ig 72eiten Auflage der Broschüre Zur Wohnungsfrage', Höttingen-Zürich .

  67. Engels an Kautsky, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1300 ff., mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Briefe an A. Bebel, W. Liebknecht, K. Kautsky und andere, Teil I: 1870— 1886, Moskau-Lenin- grad 1933, S. 371— 373.“

  68. Engels an Bebel, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1304 ff., mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Moskau-Leningrad 1934, S. 345— 348."

  69. Engels an Becker, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1309, mit dem Vermerk: „Nadi: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Moskau-Leningrad 1934, S. 356.“

  70. Engels an Bebel, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1310 ff., mit dem Vermerk: „Nach einer Maschinenabschrift des Origina. ."

  71. Engels an Bebel, vgl.: Zur deutsdien Geschichte 11/2, 1312 ff., mit dem Vermerk: „Nadi einer Maschinenabschrift des Originals."

  72. Zur deutschen Geschichte II/2, 1116 ff., mit dem Vermerk: „Der Sozialdemokrat'(London) Nr. 10 vom 8. März 1890."

  73. Engels an Sorge, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1314, mit dem Vermerk: „Nach einer Fotokopie des Originals.

  74. Zur deutschen Geschichte II/2, 1127 ff., mit dem Vermerk: „ „Der Sozialdemokrat'(London) Nr. 39 vom 27. September 1890.“

  75. Gedruckt u. a. bei: Treue, Wolfqanq, Deutsche Parteiprogramme 1861— 1954. Göttingen 1954, 78 ff.

  76. CONSTANS, Jean-Antoine-Ernest, 1833-1913. Französischer Innenminister 1880— 1881 und 1889— 1892.

  77. CAPRIVI, Leo Graf von, 1831— 1899. Reichskanzler 1890— 1894, Ministerpräsident Preußens 1890— 1892.

  78. Zur deutschen Geschichte II/2, 1137 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben in französischer Sprache. Deutsch von Friedrich Engels. , Die Neue Zeit’, X. Jahrgang (1891/92), Bd. I, S. 580— 587.“

  79. Zur deutschen Geschichte II/2, 1146, mit dem Vermerk: „Geschrieben in englischer Sprache. Aus der Einleitung zur englischen Ausgabe der Broschüre , Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft’. Deutsch nach: Die Neue Zeit’, XI. Jahrgang (1892/93), Bd. 1, S. 51.“

  80. Zur deutschen Geschichte II/2, 1323 f., mit dem Vermerk: „Nach: Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 528/529. ”

  81. Engels an Sorge, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1324 f„ mit dem Vermerk: „Nach einer Fotokopie des Originals."

  82. Zur deutschen Geschichte II/2, 1326 f., mit dem Vermerk: „Nach einer Maschinenabschrift des Originals."

  83. Vgl. dazu: JANSEN, Reinhard, Georg von Vollmar. Eine politisch« Biographie. Düsseldorf 1958.

  84. Engels an Liebknecht, vgl.: Zur deutschen Geschichte II/2, 1327 ff., mit dem Vermerk: „Nach einer Maschinenabschrift des Originals. *

  85. Zur deutschen Geschichte 11/2, 1157 f., mit dem . Vermerk: .. Vorwärts’ Nr. 226, I. Beilage, vom 26. September 1893.

  86. Zur deutschen Geschichte II/2, 1159 ff., mit dem Vermerk: „Aus der Einleitung, zu der Marxschen Schrift Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 his Jone ‘ Erstveröffentlichung in gekürzter Fassung in der Neuausgabe Berlin 1895. Nach den erhalten gebliebenen Setzereifahnen mit dem ursprünglichen Text.

  87. Beispielhaft dafür: ULBRICHT, Walter, Zur Geschichte der neuesten Zeit. Bd. I, 1. Halbband. Berlin 1955; DOERNBERG, Stefan, Die Geburt eines neuen Deutschland 1945— 1949. Berlin 1959.

  88. Zur deutschen Geschichte II/2, 1194 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben im Herbst 1895. Erstveröffentlichung in dem Sammelband . Rabotnik’ (Der Arbeiter) Nr. 1/2, 1896, russ. Werke, 4. Ausgabe, Bd. 2, S. 5— 13, russ. Aus dem Russischen."

  89. Zur deutschen Geschichte II/2, 1210 ff., mit dem Vermerk: „Erstveröffentlichung: . Bolschewik’ Nr. 9, Mai 1941. Aus dem Russischen."

  90. Die damit verbundenen Rückwirkungen auf die Deutschlandpolitik des originären Marxismus können in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. Die Ausprägung nationaler Eigenständigkeiten des Sozialismus verdunkelt die Bedeutung Deutschlands für dessen Anfang und Entfaltung.

  91. Gedruckt in: Zur deutschen Geschichte II/2, 1284 ff.

  92. Zur deutsdien Geschichte II/2, 1185 ff., mit dem Vermerk: . Erst-veröffentlichung in dem Buch . Briefe von J. Ph. Becker, J. Dietzgen, F. Engels, K. Marx u. a. an F. A. Sorge u. a.', Petersburg 1907, russ. Werke, 4 Ausgabe, Bd. 12, S. 321— 323, 325— 330 u. 331/332, russ. Deutsch nach: , Marx-Engels-Marxismus', Moskau 1947, S. 155— 157, 159— 164 u. 165/166."

  93. J. W. STALIN, Werke, Bd. 2 (1907— 1913). Berlin 1950, 42 ff., mit dem Vermerk: . Zuerst veröffentlicht im Bakinski Proletari’ (Der Bakuer Proletarier). Nr. 1 und 2, 20. Juni und 10 Juli 1907. Unterschrift: Koba Jwanowitsch."

  94. August Bebel starb am 13. August 1913 in Passugg bei Chur.

  95. J. W. STALIN, Werke. Bd. 2 (1907— 1913). Berlin 1950, 182 ff., mit dem Vermerk: »Erschienen als besondere Proklamation am 23. März 1910. Nach dem russischen Wortlaut der Proklamation. ”

  96. GREY, Lord Edward, Fünfundzwanzig Jahre Politik 1892— 1916. 2 Bde. München 1926. Bd. 2, 18.

  97. LENIN, Deutschland 144 ff, mit dem Vermerk: „Geschrieben im September 1905. Zuerst veröffentlicht 1924 in der Zeitschrift , Pod Snamenem Marxisma" (Unter dem Banner des Marxismus) Nr. 2. Werke, 4. Ausgabe. Bd. 9, S. 264— 268, russ."

  98. LENIN, Deutschland 156 ff.

  99. LENIN, Deutschland 193 ff., mit dem Vermerk: . . Prosweschtschenije'(Die Aufklärung) Nr. 4 vom April 1914. Werke. 4. Ausgabe, Bd. 20, S. 231— 235, russ."

  100. LENIN, Deutschland 414 ff., mit dem Vermerk: „Geschrieben Ende November/Anfang Dezember 1917. Als Flugblatt veröffentlicht und verbreitet. Deutsch nach dem Text des Flugblatts.“

  101. Zum Begriff der „politischen Kirche” vgl.: NELL-BREUNING, Oswald von. Was hat die Kirche mit der Politik zu tun? Frankfurt am Main 1948, 26 ff.

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