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Kapitalistische Ausdrücke mit sozialistischem Inhalt in der Sowjetwirtschaft - Günther wagenlehner | APuZ 32-33/1960 | bpb.de

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APuZ 32-33/1960 Die Französische Revolution und Deutschland im Vorfeld der europäischen Integration Kapitalistische Ausdrücke mit sozialistischem Inhalt in der Sowjetwirtschaft - Günther wagenlehner

Kapitalistische Ausdrücke mit sozialistischem Inhalt in der Sowjetwirtschaft - Günther wagenlehner

schlag, zielt auf den Vertrag, auf die Zustimmung (Renan: la nation un Plebiscite de tous les jours), während die deutsche Auffassung, begründet von Herder und der Romantik, sich umgekehrt an das Unbewußte, das von Gott und der Natur Gegebene, an das Schicksalhafte hält; es sei zwecklos, sagte Droz, eine Brücke zwischen ihnen schlagen zu wollen. Aber beide Universalismen haben darin etwas Gemeinsames, daß sie zur Exaltation neigen, wenn sich der Nationsbegriff mit einer Missionsidee verbindet; dann finden die gefährlichen, unkontrollierbaren Übergänge von der Sphäre des Geistes in die Sphäre der Macht statt, die keine Verständigung mehr zulassen. Hier können und müssen, so meinen Vermeil und Droz übereinstimmend, die notwendigen Restriktionen auf beiden Seiten erfolgen.

Das aber setzt, so möchten wir hinzufügen, ein hohes Maß von Selbsterkenntnis und Selbsterziehung voraus, das nur aus einem gegenseitigen besseren Kennenlernen gewonnen werden kann, in einer ständigen Ausdehnung der persönlichen Kontakte und dem Zusammenwirken beider Völker in gemeinsamen europäischen Institutionen. Die Montanunion, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, das Euratom, die NATO, der Europarat — sie alle sind unschätzbare Hilfen auf diesem Wege. Denn nichts Schlimmeres könnte uns, Europa, ja der ganzen Welt zustoßen als der Rückfall in eine antiquierte nationale Prestige-Politik.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepenheuer u. Witsch, Köln-Berlin, veröffentlichen wir aus der demnächst erscheinenden Untersuchung „Das sowjetische Wirtschaftssystem und Karl Marx“ das nachfolgende Kapitel.

Die sozialistische Produktionsweise

1951 1953 1954 1955 1956 kurzfristige Kredite 194 203 208 217 227 langfristige Kredite 76 • i 116

Seitdem am 5. Dezember 1936 die sogenannte Stalinsche Verfassung Gültigkeit erlangte, bezeichnet man in der Sowjetunion dieses Wirtschaftssystem als sozialistisch. Angeblich ist der Sozialismus in der Sowjetunion verwirklicht, und die sowjetische Wirtschaftstheorie beschäftigte sich in den Jahren nach 1936 ausgiebig mit dem Versuch, diese Behauptung zu rechtfertigen. Eine fast unübersehbare Fülle von Artikeln und Einzeldarstellungen ist inzwischen zur Begründung des sowjetischen Sozialismus geschrieben worden, bis im Jahre 1954 die erste umfassende Darstellung als Lehrbuch von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR herausgeben wurde: Politische Ökonomie, an die wir uns auch weiterhin halten wollen.

Nach der Beschäftigung mit der sowjetischen Praxis soll nun im Mittelpunkt der folgenden Untersuchungen die sowjetische Theorie stehen — insbesondere die Behauptung, der Sozialismus sei in der Sowjetunion in Übereinstimmung mit den Voraussagen von Karl Marx als Übergangsstadium zum Kommunismus verwirklicht worden.

Wahrscheinlich ist in den letzten Jahrzehnten kein Begriff so häufig gebraucht worden wie das Wort: Sozialismus. Und da Gegner wie Anhänger es in so verschiedener Weise verwenden, erscheint es unzweckmäßig, nach einer allgemeingültigen Regel zu suchen, was eigentlich'unter Sozialismus zu verstehen ist. Das Ergebnis der bisherigen Bemühungen in Ost und West, zu einer verbindlichen Definition zu gelangen, läßt keinen Zweifel daran, daß es eine solche, von allen Seiten anerkannte Auffassung nicht gibt.

Wir müssen feststellen, daß — um nur die Hauptgegensätze zu nennen — die verschiedenen Vorstellungen zwischen den westlichen Sozialisten und den Kommunisten zu einer Polemik geführt haben, bei der jede Seite ihre besten Argumente ins Feld führt, ohne die andere Seite von der Richtigkeit der eigenen überzeugen und noch viel weniger zu ihrer Anerkennung zwingen zu können.

Weil also niemand den Sowjets vorschreiben kann, ob sie berechtigt sind, sich sozialistisch zu nennen oder nicht, ist es besser, auf jede nutzlose Polemik zu verzichten. Der Ausgangspunkt der weiteren Betrachtungen besteht folglich in der Frage: Was verstehen die Sowjets unter Sozialismus?

Ein Kapitel der Politischen Ökonomie trägt die Überschrift: „Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln — die Grundlage der Produktionsverhältnisse des Sozialismus."

Wir erfahren daraus, daß die Beschaffenheit der Eigentumsverhältnisse das Hauptkriterium für den Sozialismus ist. Die Inbesitznahme der Produktionsmittel durch den Staat und die Bildung von Kollektivwirtschaften in der Landwirtschaft — das sind nach sowjetischer Ansicht die entscheidenden Taten für die Errichtung des Sozialismus in der Sowjetunion gewesen. Folgerichtig waren 1936 nach Abschluß der Enteignungsmaßnahmen „die Grundlagen des Sozialismus gelegt“.

Aber die Eigentumsverhältnisse sind nicht das alleinige Kriterium für den Sozialismus. Wären sie das, so müßte die Sowjetunion jede Vergesellschaftung von Produktionsmitteln als sozialistische Maßnahme ansehen. Wenn also zur Anerkennung sozialistischer Eigenschaften nur maßgebend sein soll, ob die Produktionsmittel privaten Eigentümern gehören oder Gruppen-bzw. Staatseigentum sind, dann müßte sich die Sowjetunion zwangsläufig bereitfinden, die Nationalisierung von Post, Eisenbahn oder Großbetrieben der Stahlindustrie im westlichen Ausland genau so als Sozialisierung anzuerkennen, wie die Bildung von Aktiengesellschaften. Sie denkt nicht daran, weil außer dem Hauptkriterium — dem Eigentum an den Produktionsmitteln — weitere Kriterien beachtet werden müssen: Die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Produktionsweise.

Im Kapitalismus verfügt über die Produktionsmittel die Ausbeuterklasse oder der Ausbeuterstaat: die Bourgeoisie. Sie erzielt durch die Arbeit der besitzlosen Klasse ein Mehrprodukt, das sie nach eigenem Gutdünken verwendet.

In der Sowjetunion — so wird behauptet — verfügt über die Produktionsmittel der Staat im Auftrage der Arbeiter und Bauern. Zu ihrem Wohl verwaltet er die Wirtschaft und nach der jeweiligen Leistung verteilt er die erzeugten Güter. Da der Staat also nur die Funktionen der Gesellschaft wahrnimmt, Eigentümer der Produktionsmittel und der Fertigprodukte jedoch das Volk ist, kann keine Ausbeutung der Arbeiter erfolgen, weil sie sich schließlich nicht selbst ausbeuten können. (Wir werden uns mit diesen Behauptungen noch ausführlich auseinandersetzen müssen und begnügen uns deshalb, sie vorläufig kommentarlos zur Kenntnis zu nehmen.)

Die sowjetische Argumentation läuft also darauf hinaus, daß durch Liquidierung des Privateigentums die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum übergegangen sind und der Staat mit dem Wirtschaftssystem der Planungsepoche die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus geschaffen hat. „Das sozialistische Wirtschaftssystem und das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln, das sich infolge der Liquidierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Beseitigung der Ausbeutung der Menschen durch den Mensdten durchgesetzt haben, sind die ökonomische Grundlage der sozialistischen Gesellschaft.“

Mit diesem lapidaren Satz wird nicht gesagt, wie diese ökonomische Grundlage beschaffen ist, d. h. worin sich die sozialistische Produktionsweise der Sowjetunion von der kapitalistischen unterscheidet.

Folglich haben wir uns damit zu befassen, wie in der Sowjetunion die sozialistische Produktion vor sich geht, und welche Unterschiede zur kapitalistischen Produktion vorhanden sind. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, daß es sich um einen Vergleich mit der kapitalistischen Produktionsweise des 19. Jahrhunderts handelt, wie sie von Karl Marx beschrieben worden ist. Das ist nicht nur deshalb notwendig, weil sich die kapitalistische Produktionsweise seither wesentlich verändert hat, sondern weil die Sowjets Marx wohl für kompetent genug halten werden, die kapitalistische Wirtschaft richtig zu beurteilen.

Der Ansatzpunkt für eine solche Untersuchung der Produktionsweise in der Sowjetunion ist dadurch gegeben, daß einige ökonomische Kategorien, die von Marx als typisch kapitalistisch bezeichnet wurden, in der sowjetischen Wirtschaft weiterhin Verwendung finden.

Warenproduktion, Geld und Kredit als sozialistische Kategorien

Marxistische Einteilung fixes Kapital zirkulierendes Kapital Bestandteile des Kapitals (der Fonds) Fabrikgebäude und Baulichkeiten Einrichtungen, Maschinen Roh-, Brennund Hilfsstoffe Arbeitslohn Sowjetische Einteilung Produktionsanlagefonds Umlaufmittel des Betriebes Einteilung des Kapitals nach dem Charakter des Umschlages

Keinem Beobachter des sowjetischen Wirtschaftslebens kann entgehen, daß in der Sowjetunion Waren produziert werden, die einen bestimmten, in Geld ausgedrückten, Wert haben, und daß sich ein weitverzweigtes Bank-und Kreditwesen entwickelt hat. So bleibt auch der sowjetischen Wirtschaftstheorie nichts anderes übrig, als diese Tatsachen festzustellen. Man tut das mit kaum verhülltem Unbehagen, denn immerhin handelt es sich dabei um Merkmale eines Systems, das von den Sowjets selbst als kapitalistisch bezeichnet wird.

Die Entschuldigung für diese fatale Gemeinsamkeit der sozialistischen Wirtschaft mit dem Kapitalismus durch Gebrauch derselben Bezeichnungen besteht in der Behauptung, daß es sich zwar um kapitalistische Ausdrücke handelt, deren Inhalt sich aber grundsätzlich gewandelt habe.

Für uns ergibt sich daraus die Frage: Was zwingt die Sowjets dazu, kapitalistische Ausdrücke für angeblich sozialistische Erscheinungen zu verwenden?

Uber die Warenproduktion im sowjetischen Wirtschaftssystem heißt es in der Politökonomie „Die Notwendigkeit der Warenproduktion im Sozialismus entspringt der Existenz der beiden Grundformen der sozialistischen Produktion: der staatlichen und der kollektivwirtsdtaftlidten Form.“ Das scheint auf den ersten Blick eine plausible Erklärung zu sein; denn in der Tat wird sowohl in Staats-wie auch in Kollektivbetrieben produziert. Folglich müssen die produzierten Güter ausgetauscht werden. Allerdings muß der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden, daß außerdem auch in den privaten Nebenwirtschaften Waren erzeugt werden. Und schließlich findet ein außerordentlich wichtiger Umstand überhaupt keine Erwähnung, nämlich die Tatsache, daß sämtliche produzierten Konsumgüter als Waren an die Konsumenten — die sowjetische Bevölkerung — verkauft werden. Wenn also die Notwendigkeit der Warenproduktion in der Sowjetunion allein damit begründet wird, daß zwei verschiedene Grundformen der Produktion bestehen, so läßt diese Begründung viele Fragen unbeantwortet — vor allem die Hauptfrage: Aus welchem Grunde müssen auch in der Sowjetunion, genauso wie in der kapitalistischen Produktionsweise, Waren für den Tausch und Verkauf produziert werden? Immerhin ist nach sowjetischer Meinung diese Tatsache im Kapitalismus nicht gerade unwichtig: „Um das Wesen der kapitalistisdten Produktionsweise zu verstehen, muß man vor allem in Betracht ziehen, daß die kapitalistische Ordnung auf der Warenproduktion beruht.“ Und es kann nicht befriedigen, wenn zum Unterschied von der kapitalistischen Warenproduktion die sowjetische eine „besondere“ sein soll, wie die Politökonomie meint: „Im Sozialismus ist die Warenproduktion keine gewöhnliche, sondern eine Warenproduktion besonderer Art. Es handelt sich um eine Waren-produktion ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln und ohne Kapitalisten.“

Natürlich gibt es in der Sowjetunion keine Privateigentümer von Produktionsmitteln; aber das ändert nichts daran, daß alle produzierten Güter die Form von Waren haben, die — wie im Kapitalismus — einen zweifachen Wert besitzen: den Gebrauchswert und den Tauschwert, zu dem sie verkauft werden. Bei der Herstellung von Produktionsmitteln kann der Staat nicht auf die Warenform verzichten, weil die Betriebe in ihrer Rechnungslegung über ihre Produktion Rechenschaft ablegen müssen. Hier hätte vor 195 8 noch mit einigem Recht behauptet werden können, daß die produzierten Waren nur der Form nach welche sind, da ihr Eigentümer der Staat bleibt, während sie unter den Betrieben nur ausgetauscht — also nicht verkauft werden. Aber nachdem seit 1958 Traktoren und Maschinen, also Produktionsmittel, an die Kollektiv-wirtschaften verkauft werden, ist auch dieser Einwand hinfällig.

Für den Verkauf dieser Konsumgüter kann diese Einschränkung ohnehin nicht erhoben werden; denn sie werden vom Staat, von Kosumgenossenschaften oder von Einzelpersonen an die Konsumenten verkauft. Sie wechseln also ihren Eigentümer und sind folglich nach Form und Inhalt Waren — in der (kapitalistischen) Bedeutung dieses Wortes.

Man hat in der Sowjetunion verschiedentlich den Versuch unternommen, bei Konsumgütern die Warenform aufzuheben, indem zum Beispiel Brot unentgeltlich an die Bevölkerung abgegeben wurde. Nach kurzer Zeit stellte sich aber heraus, daß sich der Versuch nicht bewährte, und so wurde er wieder eingestellt.

Ein solcher Versuch konnte auch nicht glücken, zumal er sich nicht auf alle Warenkategorien erstreckte. Die sowjetischen Wirtschaftstheoriker würden zu ihrer Überraschung feststellen müssen, daß die Warenproduktion auch dann nicht aufgehoben wäre, wenn die „beiden Grundformen der sozialistischen Produktion" — Staats-und Kollektiveigentum — beseitigt und zu einer Form verschmolzen würden. Karl Marx sah nicht im Privateigentum an den Produktionsmitteln die einzige Voraussetzung für die Tatsache, daß Waren produziert werden. Er hätte sie genausowenig in der Koexistenz von Staats-und Kollektiveigentum gesehen.

Nach Marx war die Voraussetzung der Warenproduktion, d. h.der Tatsache, daß in einem Wirtschaftssystem Waren poduziert werden, die Teilung der Arbeit.

Er war der Ansicht, daß die Notwendigkeit, Waren zu produzieren, auszutauschen und zu verkaufen, sich aus der Entwicklung der Arbeitsteilung zu einem komplizierten System der Verzweigung in viele Berufsarten und in unübersehbare, ineinander verschachelte Herstellungsund Verkaufsprozesse ergeben hat. Je mehr Menschen in den Produktionsprozeß eingespannt wurden, desto größer wurde ihre gegenseitige Abhängigkeit. Keiner kann das, was er zum Leben braucht, selbst herstellen. Es interessiert ihn gar nicht mehr, wer an der Herstellung der für ihn nötigen Güter mitwirkt. Es braucht ihn auch nicht zu interessieren, weil er sich das Notwendige als Ware kaufen kann.

Solange die komplizierte und unentwirrbar verästelte Teilung der Arbeit besteht, bei der niemand weiß, für wen er produziert und wer für seinen Bedarf produziert, müssen Waren hergestellt werden, die ausgetauscht und verkauft werden. Marx meinte, daß man dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis der Menschen als eine Vergesellschaftung der Arbeit bezeichnen kann, das im Gegensatz zur privaten Aneignung der Produkte durch die Privat-eigentümer der Produktionsmittel steht. Daher fordert er die Liquidierung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Aufhebung der Teilung der Arbeit.

Die Sowjetunion beseitigte zwar das Privateigentum an den Produktionsmitteln, die verstaatlicht oder kollektiviert wurden; aber die Teilung der Arbeit wurde nicht aufgehoben. Sie konnte gar nicht aufgehoben werden, weil auch die Sowjetunion auf die Spezialisierung in verschiedenen Berufen nicht verzichten kann. Es muß sogar hinzugefügt werden, daß sie die Aufhebung der Teilung der Arbeit nicht nur in der Vergangenheit als undurchführbar ansah, auch für die Zukunft nicht vorhat.

Man könnte einwenden, daß es in der modernen Industriegesellschaft ohnehin unmöglich ist, auf die Spezialisierung in verschiedene Berufe zu verzichten. Dieses Argument würde also das Verhalten der Bolschewisten rechtfertigen, und es ist vielleicht nicht zu entkräften. Aber letzten Endes richtet es sich dann gegen Marx, dessen Forderung nach Aufhebung der Teilung der Arbeit in der modernen Industriegesellschaft eben nicht zu realisieren ist.

Wir brauchen uns jedoch nicht in diesem Zusammenhang mit dem Widerspruch zwischen der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung und den marxistischen Thesen nicht zu befassen. Das sollten seine angeblichen Nachfolger in der Sowjetunion tun.

Uns interessiert lediglich die Tatsache, daß Marx die Aufhebung der Teilung der Arbeit forderte, um die Widersprüche zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und der pivaten Aneignung ihrer Produkte zu beseitigen, und daß damit auch die Warenproduktion — „das Wesen der kapitalistischen Produktion" — wie die Politökonomie meint, beseitigt worden wäre.

Wir können also feststellen, daß in der Sowjetunion deshalb Waren produziert werden, weil die marxistische Forderung nach der Aufhebung der Arbeitsteilung nicht erfüllt wurde. Und es ist zunächst unwichtig, ob es sich hier um eine „gewöhnliche" oder um eine „besondere“ Warenproduktion handelt. Das bedeutet, daß eine Hauptvoraussetzung der kapitalistischen Wirtschaft: die Teilung der Arbeit, auch für das sowjetische Wirtschaftssystem besteht. Die Konsequenz daraus ist, daß in beiden Wirtschaftsformen Waren produziert werden müssen.

Die sowjetische Wirtschaftstheorie leugnet das Vorhandensein von Warenproduktion in der Sowjetwirtschaft nicht; aber sie verschweigt, daß ihre Voraussetzung die Teilung der Arbeit ist. So wird also die für Kapitalismus und sowjetischen Sozialismus gemeinsame Voraussetzung mit Stillschweigen übergangen, während die Tatsache der Warenproduktion der Ausgangspunkt zur Rechtfertigung anderer kapitalistischer Merkmale in der sozialistischen Wirtschaft ist.

So begründet die Politökonomie das Vorhandensein des Geldes folgendermaßen:

„Da es in der sozialistischen Gesellschaft Warenproduktion und Warenzirkulation gibt, ist auch das Geld notwendig.“

Gegen diese Feststellung ist nichts einzuwenden. Allerdings hatte einst Marx aus der Entwicklung der Warenproduktion die Notwendigkeit des Geldes für die kapitalistische Wirtschaft gefolgert. Und gleichzeitig war es für ihn selbstverständlich, daß in der sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaftsform durch die Aufhebung der Teilung der Arbeit die Warenproduktion beseitigt, d. h. auch das Geld überflüssig werden würde.

Im sowjetischen Sozialismus benötigt man das Geld, weil ein Wert-maß für die produzierten Waren vorhanden sein muß. Angeblich kann sich aber das Geld nicht in Kapital verwandeln. Es dient lediglich zur Kontrolle für den Staat, damit der Wirtschaftsaufbau im Einklang mit den Interessen des Volkes steht.

„In der sozialistischen Wirtschaft verändern sich der Inhalt und die Bestimmungen der Geldfunktionen im Vergleich zu den Funktionen des Geldes im Kapitalismus von Grund auf.“

Es liegt also nahe, diese verschiedenen Bestimmungen zu vergleichen. Hören wir nun, welche Funktionen die sowjetischen Wirtschaftstheoriker dem Geld in der kapitalistischen Warenproduktion zuweisen: „In der entwickelten (kapitalistischen) Warenproduktion dient das Geld als:

1. Maß der Werte, 2. Zirkulationsmittel, 3. Akkumulationsmittel, 4. Zahlungsmittel und 5. Weltgeld.“

Welche Funktionen das Geld in der sowjetischen Wirtschaft zu erfüllen hat, lassen wir uns wiederum von den kommunistischen Experten erzählen:

„Das Geld fungiert vor allem als Maß der Werte . . .“

„Im Sozialismus übt das Geld die Funktion des Zirkulationsmittels der Waren aus.“

„Das Geld übt in der sozialistischen Wirtschaft die Funktion des Zahlungsmittels aus.“ 1°)

„Im Sozialismus übt das Geld die Funktion des Mittels der sozialistischen Akkumulation und des Sparmittels aus.“

„In der Funktion als Schatz und als Weltgeld tritt in der sozialistischen Gesellschaft das Geld auf.“

Wie nicht anders zu erwarten war, sind die Funktionen des Geldes im Kapitalismus und im sowjetischen Sozialismus dieselben. Das kann gar nicht anders sein, da in beiden Wirtschaftssystemen Warenproduktion besteht.

Die Tatsache, daß der Staat durch den Rubel die Wirtschaft kontrolliert, soll nicht bestritten werden. Das schließt aber nicht aus, daß der wirtschaftliche Aufbau anderen Zielen dienen kann als den Interessen des Volkes, da diese Entscheidung allein in den Händen des Staates liegt.

Mit der gleichen Rechtfertigung, die für das Geld im sowjetischen Wirtschaftssystem gefunden wird, warten die kommunistischen Experten für das Kredit-und Banksystem auf.

Wie die anderen ökonomischen Kategorien des Kapitalismus erhielt der Kredit ebenfalls einen „sozialistischen Inhalt", und nun vermag die Sowjetunion stolz zu melden, daß Bank-und Kreditwesen im sowetischen System eine größere Rolle spielen als in jedem anderen Land. Man verwendete dabei die Erfahrungen der kapitalistischen Wirtschaft; denn es ist unbestreitbar, daß die schnelle Ausdehnung der kapitalistschen Wirtschaft nur durch die Entwicklung des Kreditwesens möglich wurde.

Zwei Dinge bewirkte sie vor allem: Die Zirkulation des Kapitals wurde beschleunigt, und es wurde weitaus besser genutzt. Zum anderen verminderte sich die Bargeldsumme, die der Wirtschaft ständig zur Verfügung stehen muß.

Bekanntlich erfolgen die meisten Kauf-und Verkaufsaktionen durch die Vermittlung von Bankinstituten, ohne daß die jeweilige Summe in bar zu entrichten ist. Wäre das nicht der Fall, so müßte faktisch A den Gegenwert einer Ware, die er für die Produktion benötigt, in Geld an B zahlen. Nach der Fertigstellung wäre ein erhöhter Geldbetrag nötig, damit C die Ware von A kaufen kann, und bei jedem weiteren Verkauf in Groß-, Zwischen-und Kleinhandel müßte wiederum die entsprechende Geldsumme vorhanden sein, sodaß für den Sachwert der Ware der vielfache Geldbetrag erforderlich wäre, um ihr die Zirkulation zu ermöglichen. Der Gesamtbedarf an Geldmitteln müßte also unvorstellbar groß sein, und es hätte sich eine Grenze für die Ausdehnung der Produktion ergeben, die für sie unüberschreitbar gewesen wäre.

Dank der Entwicklung des Kreditwesens hat diese Grenze für die kapitalistische Wirtschaft nie bestanden, und die Sowjetunion zog es vor, das kapitalistische Kreditsystem in ihre Wirtschaftsform zu übernehmen, damit seine Vorzüge auch ihr zugute kommen können.

Allerdings war der Kredit nun zu einem Instrument des Staates geworden, um die zeitweilig freien Geldmittel dahin zu lenken, wo sie gerade gebraucht werden. Die Verteilung des freien Kapitals geht nach einem vorher ausgearbeiteten „Kreditplan" vor sich: Der Empfänger ist verpflichtet, für den geliehenen Betrag Zinsen zu bezahlen und ihn in der vereinbarten Frist wieder zurückzugeben.

Der Staat entnimmt diese Summe den Fonds, die nicht sofort benötigt werden — dem Amortisationsfonds, der von Anfang an in Geldform be-steht, aber nur in bestimmten Zeitabständen für die Anschaffung neuer Maschinen, für die Instandsetzung von Baulichkeiten usw. verausgabt wird; oder aus Investitionsmitteln. Als weitere Kreditquellen stehen Lohnfonds und momentan freie Betriebsmittel zur Verfügung.

Da jeder sowjetische Betrieb seine gesamten Geldmittel bei der Staats-bank deponieren muß, hat die Staatsbank genügend Übersicht, welche Summen als Kredite vergeben werden können. Sie ist andererseits durch den Kreditplan darüber orientiert, welcher Betrieb aus saisonbedingten Gründen Bedarf an Geldmitteln hat, um seine zeitweilig größeren Ausgaben decken zu können.

Außer den geplanten Krediten werden auch sogenannte Notstands-darlehen gewährt, die für besondere Engpässe gedacht sind. Für sie berechnet man 6 v. H. Zinsen per annum und beschränkt die Ausleihefrist auf 45 Tage.

Im allgemeinen unterscheidet man langfristige Kredite zu 2 bis 4 v. H. Zinsen per annum und kurzfristige Darlehen mit einem Zinsfuß von 2 v. H. Bei Verzögerungen in der Rückzahlung erhöhen sich die Zinsen automatisch auf 6 v. H. Außerdem hat die Bank jederzeit das Recht, die Geldmittel des betreffenden Betriebes zu sperren, so daß ihr Risiko gering ist. Sie kann sogar zur Beschlagnahme von Vorräten des Betriebes greifen, falls andere Methoden nicht ausreichen sollten.

In der Regel werden Kredite nur an Staats-oder Kollektivbetriebe vergeben. Es besteht allerdings auch für Einzelpersonen die Möglichkeit, Darlehen bis zu 10 000 und teilweise 25 000 Rubel aufzunehmen, wenn sie zum Bau von Häusern oder zur Beschaffung von Hausrat, Vieh u. ä. verwendet werden. Die Laufzeit beträgt dann durchschnittlich 10 Jahre bei 2 bis 3 v. H. Zinsen. Wird die Tilgungsfrist nicht eingehalten, so ist die Bank berechtigt, 25 v. H.des Lohnes einzubehalten.

Kommerziellen Kredit, das heißt Abgabe von Waren von einem Betrieb an den anderen auf Kredit, gibt es nicht, sondern lediglich Bankkredite für bestimmte wirtschaftliche Zwecke, beispielsweise für die Beschaffung von Rohstoffen oder für die Bildung zeitweiliger Vorräte an Halbfabrikaten. Damit ist der Kredit also unmittelbar an die Produktion gebunden.

Zum kurzfristigen Bankkredit heißt es in der Politökonomie:

„Der direkte kurzfristige Bankkredit an Betriebe und Wirtsdiaftsorganisationen beruht auf folgenden Grundprinzipien:

1. Rüdtzahlbarkeit der geliehenen Mittel in einer besthnntten Frist, 2. Zweckgebundenheit des Darlehens, 3. Sicherheit des von der Bank gewährten Darlehens durch Sachwerte. Die Rüd^zahlbarkeit und Befristung der Darlehen hält die Wirtschaftsorganisation und Betriebe dazu an, die UntsMaggeschwindigkeit der Mittel zu beschleunigen und erleichtert die Kontrolle durch den Rubel seitens der Bank. Die Sicherung des Kredits durch bestimmte Sachwerte ermöglicht es-der Bank, die richtige, zweckentsprechende Verwendung des Kredits zu kontrollieren, und verbindet den Kredit mit der Bewegung der materiellen Mittel.“

Langfristige Kredite kommen vor allem für Investitionen in Frage, die in den Kollektivbetrieben notwendig sind. Die staatlichen Unternehmen erhalten ihre Investitionsmittel als nichtrückzahlbare Haushaltsanweisungen.

Die Gesamtsumme der Bankkredite in der Sowjetunion betrug jeweils am 1. Januar (in Milliarden Rubel)

Als Notenbank fungiert in der Sowjetunion die Staatsbank. Sie vergibt außerdem kurzfristige Kredite und ist das Verrechnungszentrum des Landes.

Für langfristige Kredite sind die staatlichen Spezialbanken zuständig (Hypothekenbanken vergleichbar). Und zwar für die Industrie und für das Transportwesen: die Industriebank; für die Land-und Forstwirtschaft: die Landwirtschaftsbank; für den Handel und die Genossenschaften: die Handelsbank; für die Finanzierung der Kommunalwirtschaft und des Wohnungsbaus: die Kommunalbank.

Alle Geldmittel, die planmäßig für die Investitionen Verwendung finden, werden in diesen Banken je nach der Zuständigkeit konzentriert. Ihnen obliegt die gesamte Abrechnung über die Investitionen, die Ausgabe der für die Durchführung von Bauarbeiten notwendigen Mittel und die Kontrolle über ihre planmäßige Verwendung.

Die staatlichen Sparkassen nehmen Einlagen sowohl der einzelnen Bürger wie auch der Kollektivwirtschaften und der gesellschaftlichen Organisationen entgegen und zahlen dafür einen bestimmten Zins. Die Sparkassen erledigen ferner Geschäfte, die mit der Staatsanleihe verbunden sind, so die Auszahlung der Anleihe-Auslosungsgewinne und der Zinsen.

Die Spareinlagen der Bevölkerung stiegen im Jahre 1956 auf über 50 Milliarden Rubel. Sie bilden für den Staat eine willkommene Quelle, um die Investitionen finanzieren zu können.

So umfast das sowjetische Banksystem also drei Arten von Banken: die Staatsbank, die staatlichen Spezialbanken und die Sparkassen. Die Staatsbank ist das Zentrum der sowjetischen Finanzwirtschaft, indem ihr die wichtigsten Funktionen zufallen:

Erstens reguliert sie den Geldumlauf, die Bewegung des Bargeldes im Lande, zieht Geld aus dem Umlauf und übernimmt die Geldemissionen; dies erfolgt nach einem von der Regierung der UdSSR festgelegten Plan und Verfahren.

Als Deckung dient der sowjetischen Währung — neben der Warenmenge — seit dem 1. März 1950 ein bestimmter Geldvorrat. Mit diesem Tage wurde der Kurs des Rubels nicht mehr wie früher (seit 1937) auf Dollarbasis errechnet, sondern unmittelbar auf Goldbasis festgelegt — entsprechend dem von der Regierung veranschlagten Goldgehalt des Rubels.

Nach den einzelnen Elementen des Wirtschaftsplanes — Lohnfonds, Warenumsatz, Staatshaushalt usw. — wird die Höhe des Geldumlaufs bemessen. Das heißt, daß im voraus geplant werden muß, welche Auszahlungen im Verlaufe eines Jahres für Löhne und Gehälter, Gewinne aus der Staatsanleihe usw. bevorstehen und welche Einzahlungen der Bevölkerung (Mieten, Steuern, Spareinlagen) zu erwarten sind.

Während die Planung des Geldumlaufs im Rahmen der gesamten Wirtschaftsplanung von den staatlichen Plankomitees vorgenommen wird, ist es die Aufgabe der Staatsbank, die operative Regulierung des Geldumlaufs zu bewerkstelligen.

In sogenannten „Kassenplänen" werden alle Kassenumsätze der einzelnen Glieder des Systems der Staatsbank festgelegt. Dieser Kassen-plan sieht im Maßstab des ganzen Landes die Emission und die Einziehung des Geldes vor — je nach dem Verhältnis zwischen dem Zu-und Abgang an Bargeld bei den Kassen der Staatsbank. In ihm werden alle für die Planperiode veranschlagten Bareingänge der Staatsbank und alle Bezahlungen aus der Kasse der Bank ausgewiesen.

Die Hauptmenge des von der Staatsbank ausgegebenen Bargelds dient im Einklang mit dem Plan der Auszahlung der Löhne, sowie der Einkünfte der Kollektivbauern und der Bezahlung der bei den Kollektiv-wirtschaften erfaßten oder aufgekauften Produkte.

Der Hauptposten, in dem das Bargeld in die Bank zurückfließt, ist der Erlös der Handelsorganisationen (einschließlich der Umsatzsteuer), auf den mehr als 4/5 aller Kasseneingänge der Staatsbank entfallen, dazu kommen die Einkünfte der Kommunalbetriebe sowie des Verkehrs-und Fernmeldewesens, die täglich an die Bank abzuführen sind.

Die zweite Aufgabe der Staatsbank besteht darin, in ihren Kassen das Bargeld der staatlichen und kollektiven Betriebe und Organisationen aufzubewahren, sowie die für ihre laufenden Zahlungen notwendigen Barmittel auszugeben.

Da ausnahmslos alle Betriebe ein Konto unterhalten müssen, ist die Bank das beste und wirksamste Kontrollorgan des Staates für die Einhaltung der staatlichen Finanzpläne. Bleibt ein Betrieb mit seinen laufenden Zahlungen in den Staatshaushalt in Verzug, so werden ihm von der Bank die Geldmittel gesperrt, so daß er sich außerstande sieht, seinen Verpflichtungen anderen gegenüber nachzukommen.

Drittens obliegt der Staatsbank die kurzfristige Kreditierung der Betriebe und Wirtschaftsorganisationen aller Zweige der Volkswirtschaft — mit Ausnahme der Bauorganisationen.

Dadurch ist eine weitere Möglichkeit der Kontrolle gegeben, denn die Kreditgewährung ist mit der vorangehenden und laufenden Überprüfung der Finanzlage des Betriebes verbunden. Die Kreditorgane überprüfen dabei die Erfüllung des Einnahme-und des Akkumulationsplans, die zweckentsprechende Verausgabung der eigenen und geliehenen Umlauf-mittel usw. Darüber hinaus treffen die Kreditorgane Maßnahmen, um die Zahlungsdisziplin, die wirtschaftliche Rechnungsführung und das Sparsamkeitsregime in den Betrieben zu fördern.

Sie haben das Recht, sich auch in die innerbetrieblichen Angelegenheiten einzumischen, falls ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Viertens ist die Staatsbank das Verrechnungszentrum für alle Transaktionen zwischen den Betrieben und Wirtschaftsorganisationen. Sie wickelt den Zahlungsverkehr zwischen ihnen und den staatlichen Institutionen ab, indem sie die jeweiligen Beträge vom Konto des einen auf das andere umbucht. Auf diese Weise wird die Bargeldmenge wesentlich vermindert und der Umschlag des Kapitals beschleunigt.

Fünftens ist die Staatsbank für die Kassenführung des Haushalts verantwortlich. Sie nimmt die Zahlungen an den Staatshaushalt entgegen und zahlt Haushaltsmittel in dem bewilligten Umfange je nach ihrer Zweckbestimmung aus.

Sechstens obliegt ihr die Aufbewahrung des Valutafonds und die Abwicklung des internationalen Zahlungsverkehrs aus Handelsgeschäften und sonstigen Wirtschaftsoperationen der UdSSR mit dem Ausland. Ein Teil dieses Verrechnungsverkehrs wird auch über die Außenhandelsbank der UdSSR abgewickelt. Man kann nicht widersprechen, wenn die Politökonomie erklärt: „Die Staatsbank der UdSSR ist die größte Bank der Welt.“

Ihr stehen etwa 4000 Filialen in allen größeren und mittleren Städten zur Verfügung, und infolge der Vielzahl der Aufgaben ist sie sehr wohl als das größte Finanzinstitut der Welt anzusehen.

Unsere Untersuchung über die Rolle der ökonomischen Kategorien: Geld und Kredit und ihrer Voraussetzung: der Warenproduktion, zv Ingt zu dem Schluß, daß das sowjetische Wirtschaftssystem von diesen Faktoren entscheidend geprägt ist. Weder haben sich ihre Funktionen im Hinblick auf das von Marx beschriebene kapitalistische System grundlegend verändert, noch liegt es im Ermessen des sowjetischen Staates, sie einfach abzuschaffen, solange die Arbeitseinteilung nicht aufgegeben ist.

War es auf diese Weise ausgeschlossen, die Erscheinungsformen selbst zu ändern, so mühte sich die sowjetische Wirtschaftstheorie darum, den Begriffen wenigstens einen sozialistischen Inhalt zu geben.

Als Hauptargument dient ihr die Behauptung, in der Sowjetunion habe die Arbeit unmittelbar gesellschaftlichen Charakter, weil es keine Privatproduzenten wie im Kapitalismus mehr gibt, sondern der Staat der Eigentümer von Produktionsmitteln ist.

Mit dieser Behauptung werden wir uns nun auseinanderzusetzen haben. Und zur Klärung der Frage, ob die Produktion in der Tat unmittelbar gesellschaftlichen Charakter hat, ist es notwendig, auf die Marxsche Theorie vom Kreislauf des Kapitals zurückzugreifen.

Der Kreislauf des Kapitals

Marxistische Einteilung konstantes Kapital variables Kapital -Bestandteile des Kapitals Fabrikgebäude und Baulichkeiten Einrichtungen Maschinen Roh-, Brennund Hilfsstoffe Arbeitslohn • Sowjetische Einteilung Produktionsfonds Lohnfonds Was bisher über den Kreislauf des Kapitals und seine verschiedenen Einteilungen gesagt worden ist, dürfte als Beweis dafür genügen, daß Einteilung nach der Rolle des Kapitals im Ausbeutungsprozefl

Nicht jede Geldsumme ist Kapital, sondern zu Kapital wird das Geld erst dann, wenn ein Unternehmer es benutzt, um damit zu produzieren. Er kauft mit dem Geldkapital Waren für die Produktion (Maschinen, Roh-und Brennstoffe) und die Arbeitskraft der Lohnarbeiter. Dadurch verwandelt sich das Geldkapital in produktives Kapital.

Nachdem das Ziel der Produktion, Waren herzustellen, erreicht ist, hat sich das produktive Kapital in Warenkapital verwandelt. Die Waren werden von dem LInternehmer verkauft, und somit wird aus dem Waren-kapital wieder Geldkapital, mit dem der neue Produktionsprozeß begonnen werden kann.

Marx stellte also fest, daß Kapital in verschiedenen Formen anzutreffen ist: als Geldkapital, als produktives Kapital und als Warenkapital. Soll der Produktionsprozeß nicht unterbrochen werden, muß das Kapital ständig von einer Form in die andere umschlagen. Es vollzieht einen Kreislauf, beginnend mit der Geldform über die produktive Form zur Warenform und wieder in Geldform. Je schneller dieser Umschlag erfolgt, d. h. je schneller die Produktion vonstatten geht und die hergestellten Waren verkauft werden können, um so besser kann das angelegte Kapital ausgenutzt werden.

Natürlich bestehen bei der Vielzahl der Produktionsprozesse die verschiedenen Formen des Kapitals nebeneinander, fließen ineinander über und sind nicht immer in ihrer jeweiligen Größe genau zu bestimmen.

Trotzdem kann dieser Kreislauf oder Umschlag des Kapitals für jeden Produktionsprozeß verfolgt und das gleiche Schema darüber hinaus auch auf die gesamte Volkswirtschaft eines Landes angewandt werden.

Was Marx als innere Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Wirtschaft erkannte, wird im sowjetischen Wirtschaftssystem bewußt angewandt. Man verzichtet allerdings tunlichst auf den Begriff „Kapital“, der nur als Kennzeichen der Investitionen in der Sowjetwirtschaft Verwendung findet und spricht statt dessen von Fonds.

„Die Produktionsfonds vollziehen einen planmäßigen kontinuierlichen Umschlag, sie durdtlaufen nacheinander das Stadium der Produktion und das der Zirkulation. Dementsprechend verändern sie ihre Form: Die Geldform geht in die produktive Form, die produktive Form in die Warenform, die Warenform in die Geldform über usw“.

Bei diesem Umschlag des Kapitals (oder der Fonds) ist zu berücksichtigen, daß er in der Produktionssphäre nicht für die verschiedenen Kapitalarten gleichmäßig vor sich geht. Es wurde bereits erwähnt, daß mit dem Geldkapital Maschinen und Arbeitskraft gekauft werden. Jetzt sollen die einzelnen Bestandteile des produktiven Kapitals präziser dargestellt werden.

Die Faktoren der Produktion, deren Wert in das Produkt eingeht, sind:

1. Fabriken und Baulichkeiten, Einrichtungen und Maschinen. 2. Roh-, Brenn-und Hilfsstoffe, Arbeitslohn.

Die Einteilung erfolgte nach dem Gesichtspunkt, ob sie in einem einzigen Produktionsprozeß verarbeitet werden oder ob sie mehrere Produktionsprozesse überdauern.

Fabriken, Gebäude, Einrichtungen und Maschinen nutzen sich nicht so schnell ab. Sie können in vielen Produktionsprozessen verwendet werden. Marx bezeichnet sie daher als „fixes Kapital".

Roh-, Brenn-und Hilfsstoffe sowie der Arbeitslohn gehen in ihrem Wert völlig in das Produkt eines Produktionsprozesses ein. Sie werden folglich „zirkulierendes Kapital“ genannt.

Die gleiche Einteilung wird in der Sowjetunion vorgenommen. Und zwar heißt hier das fixe Kapital: Produktionsanlagefonds.

„Zu den Produktionsanlagefonds des Betriebes gehören die Arbeitsmittel:

das Betriebsgebäude, Ausrüstungen, Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungsgegenstände mit längerer Nutzungsdauer sowie die Transportmittel.

Die Anlagefonds stellen den Produktionsapparat der sozialistischen Gesellschaft dar.“

Das zirkulierende Kapital nennt man in der Sowjetunion Umlauf-mittel des Betriebes. Sie umfassen den Produktionsumlauffonds (Rohstoffe, Material, Brennstoffe) und den Zirkulationsfonds (Geldmittel für Arbeitslohn und zum Ankauf bzw. Verkauf).

Die veränderten Bezeichnungen, mit denen in der Sowjetunion der Kreislauf des Kapitals in einem Umschlag der Fonds verwandelt wurde, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um den gleichen Vorgang handelt. Es soll uns dabei gar nicht darauf ankommen, den Begriff „Fonds“ für Kapital zu akzeptieren, da sich dadurch kein Unterschied in der Sache ergibt und außerdem klar zum Ausdrude gebracht wird, daß die Verteilung des Kapitals vom Staat vorgenommen wird, der nach seiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung den Betrieben entsprechende Fonds zuteilt.

Der folgende Vergleich des von Marx beschriebenen Kreislaufes des Kapitals mit dem Umschlag der Fonds soll die Übereinstimmung noch deutlicher zeigen. Trotz der klaren Übereinstimmung weigert sich die sowjetische Wirtschaftstheorie, diese Tatsache zuzugeben. Noch viel weniger Bereitschaft zeigt sie, für die Sowjetwirtschaft die Einteilung des Kapitals nach dem Ausnutzungsgrad der Arbeit zu übernehmen.

Marx hatte seine Produktionsformel c + v + m = p (konstantes Kapital + variables Kapital + Mehrwert = Gesamtprodukt) als Beweis angeführt, daß die Arbeiter durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft an die Kapitalisten einen bestimmten Mehrwert erzeugen. Mit der Formel läßt sich die Höhe des Mehrwertes berechnen, wenn die anderen Faktoren — also das konstante und variable Kapital — bekannt sind.

Bei einer solchen Einteilung nach der Rolle des Kapitals im Prozeß der Ausbeutung der Arbeiter, spielen zwei Faktoren die wichtigste Rolle: Fabriken, Maschinen, Roh-und Brennstoffe als sogenanntes „konstantes Kapital" auf der einen und die Arbeitskraft als „variables Kapital" auf der anderen Seite.

Es handelt sich hier also nicht um die vorher beschriebene Einteilung des Kapitals nach dem Charakter des Umschlages in fixes und zirkulierendes Kapital. Sie ist ungefährlicher, weil sie keine Folgerungen über die Ausbeutung der Arbeitskraft zuläßt. Und so beeilt sich die Politökonomie denn auch festzustellen:

„Non der bürgerlichen politischen Ökonomie wird nur die Einteilung des Kapitals in fixes und zirkulierendes anerkannt, weil diese Einteilung des Kapitals an sich nodt nichts über die Rolle der Arbeitskraft bei der Schaffung des Mehrwertes aussagt, sondern im Gegenteil den grundlegenden Unterschied zwischen den Aufwendungen des Kapitalisten für die Entlohnung der Arbeitskräfte und den Aufwendungen für Rohstoffe, Brennstoffe usw. vertusdit.

Es wäre müßig, den Sowjets vorzuhalten, daß sie durch die Umbenennung des zirkulierenden Kapitals in „Umlaufmittel des Betriebes“ — deren wichtigster Faktor: der Arbeitslohn, ganz bescheiden am Schluß aufgezählt wird — den wahren Sachverhalt nicht nur vertuschen, sondern verfälschen. Denn offenbar verbietet es ihnen ihr „sozialistisches Gewissen" auch nur die Einteilung in fixes und zirkulierendes Kapital zuzugeben — ganz zu schweigen von der folgenschweren Einteilung in konstantes und variables Kapital.

Wir können ihnen die Arbeit, die sie selbst nicht machen wollen, abnehmen, da sich auch in dieser Beziehung die der marxistischen Analyse des Kapitalismus entsprechenden Begriffe in der sowjetischen Wirtschaftstheorie finden lassen.

Fabriken, Einrichtungen und. Maschinen zählen in der Sowjetunion zum Produktionsanlagefonds; Roh-, Brennund Hilfsstoffe zum Produktionsumlauffonds.

Beide Fonds werden zusammengefaßt als Produktionsfonds bezeichnet. Der Arbeitslohn ist mit dem Lohnfonds identisch.

Folglich entspricht bei einer Einteilung nach dem Ausnutzungsgrad der Arbeitskraft das konstante Kapital dem Produktionsfonds, das variable Kapital dem Lohnfonds.

Zum beseren Verständnis greifen wir auf unsere Tabelle zurück. der Umschlag der Fonds in der Sowjetunion samt den dazugehörigen Einteilungen mit der marxistischen Darstellung identisch ist. Es bleibt nur noch die Frage offen, wer in der Sowjetunion die Rolle der Kapitalisten übernommen hat?

Im Kapitalismus eröffnet der kapitalistische Unternehmer den Kreislauf des Kapitals, in dem er es in Geldform zum Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft verwendet und damit in die produktive Form verwandelt. Nach der Produktion erscheint das Kapital in Warenform und schließlich werden diese Waren verkauft, d. h. wieder in Geldform verwandelt.

In der Sowjetunion beginnt der Umschlag der Fonds damit, daß der Staat den Betrieben Produktionsmittel als Produktionsfonds und Geld-kapital als Lohnfonds zur Verfügung stellt. In der Produktionssphäre entsteht aus der Geld-die produktive Form, und schließlich werden die erzeugten Waren nach Anweisung des Staates realisiert, indem sie entweder als Produktionsmittel an andere Betriebe geliefert oder als Konsumgüter an die Bevölkerung verkauft werden. Durch die Rück-Verwandlung in Geldform erhält der Staat die Mittel für den neuen Produktionsprozeß.

Anfang und Ende des Umschlages der Fonds ist in der Sowjetunion also der Staat, der damit an die Stelle der kapitalistischen Einzelproduzenten getreten ist.

Das bedeutet, daß von einer unmittelbar gesellschaftlichen Produktion nicht gesprochen werden kann, da der Staat das Mittel darstellt, ohne das keine Produktion stattfindet. Die Gesellschaft kann ohne ihn nicht produzieren.

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele gemeinsame Züge der sozialistischen und kapitalistischen Produktionsweise in diesem Kapitel aufgezeigt wurden, dann liegt die Vermutung nahe, den sowjetischen Sozialismus als Staatskapitalismus zu klassifizieren. So sehr diese Behauptung auch zutreffend erscheint — vor allem hinsichtlich des staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, so ist es dennoch nicht möglich zu übersehen, daß in der Epoche der Fünfjahrespläne die Konkurrenz der Produzenten als wesentliches kapitalistisches Merkmal völlig fehlt. Daher kann dieses Wirtschaftssystem nicht als Staatskapitalismus angesehen werden; wohl aber scheint es angebracht, von „Staatswirtschaft“ zu sprechen. Denn in der Tat ist der sowjetische Staat der ausschlaggebende Faktor der Wirtschaft. Das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln und die staatliche Planung sind in dieser Epoche die Hauptmerkmale des sowjetischen Wirtschaftssystems.

Der Begriff Staatswirtschaft soll auch klar zum Ausdruck bringen, daß die Sowjetunion keinen Anspruch erheben kann, die sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsform nach marxistischen Voraussagen verwirklicht zu haben, weil ihre unabdingbaren Voraussetzungen nicht erfüllt sind: die Aufhebung der Arbeitsteilung und die unmittelbar gesellschaftliche Produktion. Die sowjetische Wirtschaftstheorie hätte vielleicht gegen den Ausdruck Staatswirtschaft gar nichts einzuwenden. Gegen die Feststellung, daß in der Sowjetunion die Teilung der Arbeit nicht aufgehoben worden ist, kann sie nichts einwenden, wenn das auch wegen der Folgerungen, die daraus zu ziehen sind, nicht weiter erörtert wird.

Wir haben durch die Gegenüberstellung mit der Marxschen Analyse die notwendigen Konsequenzen ziehen müssen: daß nämlich im sowjetischen Wirtschaftssystem Warenproduktion herrscht, daß entscheidende Merkmale des kapitalistischen Systems (Geld, Kreditwesen) vorhanden sind und daß die Gesellschaft weder unmittelbar produziert noch konsumiert. Mir scheint, dem kann nicht viel entgegengehalten werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Politische Ökonomie, S. 445.

  2. Politische Ökonomie, S. 445.

  3. Politische Ökonomie, S. 501.

  4. Politische Ökonomie, S. 81.

  5. Politische Ökonomie, S. 502.

  6. .

  7. .

  8. Politische Ökonomie, S. 88.

  9. Politische Ökonomie, S. 510.

  10. Politische Ökonomie, S. 511.

  11. Politische Ökonomie, S. 512.

  12. Politische Ökonomie, S. 604.

  13. Economic Survey of Europe 1955, Genf 1956.

  14. Politische Ökonomie, S. 606.

  15. Politische Ökonomie, S. 532.

  16. Politische Ökonomie, S. 533.

  17. Politische Ökonomie, S. 176.

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