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Der Abfall vom roten Gott | APuZ 38/1960 | bpb.de

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APuZ 38/1960 Freiheit.., Einige Gedanken zu einem alten Problem Der Abfall vom roten Gott

Der Abfall vom roten Gott

Jürgen Rühle

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepenheuer & Witsch, Köln, wird aus dem im Oktober erscheinenden Buch „Literatur und Revolution" folgendes Kapitel abgedruckt.

Vorwort

Literatur, die soziale Zustände kritisiert und ihre Veränderung fordert, hat es immer gegeben und wird es immer geben. Die Sozialkritik entspringt der künstlerischen Intention, welche die Wirklichkeit mit ihren Widersprüchen und Gebrechen am Ideal der göttlichen oder kosmischen Ordnung, am Absoluten, mißt. Die bolschewistische Oktoberrevolution hat insofern etwas Neues in die Literatur gebracht, als sie den Schriftstellern die Möglichkeit bot, das Ideal auf einen irdischen Ort zu projizieren. Der eine erhoffte von Moskau die klassenlose Gesellschaft, der andere eine neue Hierarchie. Der eine wurde vom Atheismus angezogen, der andere glaubte an die Neugeburt des Christentums. Dieser erwartete die Befreiung des Individuums, jener feierte den Triumph des Kollektivs. Im Namen des Kommunismus wurde die bäuerliche Scholle besungen und die Industrialisierung, der ewige Friede und der gerechte Krieg. Heimweh nach dem Paradies trieb die Schriftsteller ebenso wie Hoffnung auf Apokalypse. Seinen größten Einfluß auf das intellektuelle Leben gewann der Kommunismus in den dreißiger Jahren, der Roten Dekade, als das kapitalistische System in die Weltwirtschaftskrise stürzte und die faschistischen Diktaturen zur Eroberung der Welt antraten. Die Partei öffnete weit ihre Arme und proklamierte die Volksfront. Die Moskauer Prozesse, die hinterhältige Erdrosselung der um ihr Leben kämpfenden spanischen Demokratie und der Hitler-Stalin-Pakt haben dann den Abfall der Schriftsteller vom roten Gott ausgelöst, der durch Große Allianz und Resistance, durch die Machtausweitung der Sowjetunion in der Nachkriegszeit und die Weltfriedensbewegung verzögert nicht aufgehalten werden konnte. Das einmal zerstörte Ideal war nicht zu reparieren, das Imperium bot keinen Ersatz für die verlorengegangene Utopie. Nach Stalins Tod erhoben sich die Intellektuellen von Ostberlin, Warschau und Budapest bis Peking, nun vom Bolschewismus wenigstens jene relative Vermenschlichung der Gesellschaft fordernd, die der Kapitalismus längst zugestehen mußte. „Kunst und Revolte“, sagt Camus, „werden erst mit den letzten Menschen sterben.“

Die Wahrheit gilt mehr als die Partei

Die Begegnung zwischen linker Literatur und linker Politik fand ihren spektakulären Höhepunkt im Kongreß zur Verteidigung der Kultur, den Münzenberg Ende Juni 1935 in Paris mit Kominterngeldern inszenierte. Es war, begünstigt durch die Weltangst vor dem Faschismus, das stärkste Aufgebot an Prominenz, das die kommunistischen Funktionäre je mobilisieren konnten.

Vor Tausenden von Menschen, die sich im Riesensaal der Mutualite drängten, verlas Andre Gide mit leidenschaftsloser, beinahe kalter Stimme sein Glaubensbekenntnis zum Kommunismus. Außer Gide präsidierten Waldo Frank, Heinrich Mann, Henri Barbusse, E. M. Forster, Martin Andersen Nexö, Carlo Sforza, Andre Malraux, Alexej Tolstoi mit Andre Chamson den zehn öffentlichen Kundgebungen des Kongresses, an denen Persönlichkeiten aus aller Welt teilnahmen wie Robert Musil, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Ernst Bloch, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Anna Seghers, Johannes R. Becher, Egon Erwin Kisch, Klaus Mann, Alfred Kerr, Emil Ludwig, Max Brod, Erich Maria Remarque, Bruno Frank, Ernst Gläser, Robert Neumann, Albert Ehrenstein, Ferdinand Bruckner, Annette Kolb, Else Lasker-Schüler, Alfred Kantorowicz, Ernst Weiß, Bodo Uhse, Erich Weinert, Willi Bredel, Rudolf Leonhard, George Grosz, Gustav Regler, Louis Aragon, Jean Richard Bloch, Julien Benda, Aldous Huxley, John Strachey, Michael Gold, Karin Michaelis, Karel apek, Vitezslav Nezval, Ilja Ehrenburg, Wsewolod Iwanow, Nikolai Tichonow, Michail Kolzow, Wladimir Kirschen, Iwan Mikitenko.

In seiner Autobiographie „Das Ohr des Malchus“ (1958) erinnert sich der Exkommunist Regler, wie er damals, hingerissen von der kämpferischen Stimmung des Kongresses, einen unerwünschten Zwischenfall provozierte. Er ließ seinen vorbereiteten Text beiseite und hielt eine zündende Rede, an deren Ende er Gide und Barbusse Broschüren überreichte, die für die illegale Arbeit in Deutschland bestimmt waren. „Sie sind in diesem Augenblidt schon drüben“, rief er in den Saal. „Etwas Merkwürdiges geschah. Mit einem seltsam trodtenen Geräusch erhob sich die Menge im Saal, so, als hätte ich den Taktstock gezückt und wollte, daß sie alle den Chor der neunten Symphonie sängen. Sie sangen aber etwas ganz anderes.

Aus der Kulisse winkte mir der deutsd-te Dichter Johannes R. Bedter •• Aufgeregt rief er mich mit stummen Gesten an. Idi trat zu ihm hinter die gemalten Wände. , Du bist wahnsinnig!“ zischte er. . Hörst du nicht, was sie singen!“ sagte ich; meine Stimme war belegt vor Erregung. . Aber das ist es ja doch! brüllte er, nun gedeckt von dem mächtigen Chor, der anschwoll. , Du hast alles verfuscht, du hast uns demaskiert. Jetzt ist es kein neutraler Kongreß mehr. Das sdiöne Geld!“ Er hämmerte mit beiden Eäusten gegen seine Stirn. . Die Internationale!“ kreisdite er. . Du wirst aus der Partei ausgeschlossen werden!“

Idi sah das blasse Gesidit und wußte nicht, ob ich weinen oder ladien sollte. Draußen sangen sie: . Völker hört die Signale — auf zum letzten Gefedu! Die Luft zitterte von den tausend ernsten Stimmen. Gide und der ganze Vorstand hatten sich erhoben, sie verstanden, daß dies kein Theater, kein Programmpunkt, nichts Inszeniertes, sondern ein wahrer Ausbruch war. Barbusse sang mit . . . , Das wird man bis über den Rhein hören“, sagte ich ergriffen.

Kritik an der menschlichen und geistigen Unterdrückung

Zum Zeitpunkt dieses äußersten Triumphes hatte die Absage der Schriftsteller an den Kommunismus, die eines Tages alle Akklamationen übertönen sollte, schon eingesetzt.

Zur Zehnjahresfeier der Oktoberrevolution 1927 war Panait Istrati, Vizepräsident ehrenhalber der französischen Gesellschaft der Freunde Sowjetrußlands, nach Moskau gefahren. Gewohnt, sich das Leben von unten anzusehen, begnügte Istrati sich nicht wie viele andere mit dem Staatsbesuch. Die Tantiemen aus seinen Büchern machten ihn finanziell unabhängig, so daß er, zusammen mit seiner Frau, sechzehn Monate lang das Land durchstreifen konnte — mit der Bahn, im Auto, zu Schiff, zu Pferde und im Karren, vom Eismeer bis zum Kaukasus. Da er etwas Russisch und zwei Dialekte der Republiken am Schwarzen Meer, Moldawisch und Griechisch, sprach, konnte er sich zumindest in einigen Teilen des Landes mit der Bevölkerung ohne Dolmetscher verständigen. Tief betroffen kehrte er zurück.

„Ich bin jetzt ein Besiegter“, schrieb er im Vorwort zu seinen drei Büchern über Sowjetrußland „Auf falscher Bahn“, „So geht es nicht“, „Rußland nackt“ (1929). „Diejenigen, ans die ich bante wie auf Fels, sind gleichfalls ein Gezücht, ein Ungeziefer, das alles aufopfern würde zum Heile ihrer teuren Doktrin, die Unschuldige zermaltut... Bürokratengesindel ... Sie haben ganz bewußt die Ungerechtigkeit in Amt und Würden eingesetzt, haben weite soziale Schiditen korrumpiert und ganz besonders die Elenden, um sich Mehrheit zu schaffen und an der Herr-

sdraft zu bleiben. Ihre Art der Korruption ist die unmensddidtste:

Willst du zu essen haben, wenn audh mager, so mußt du in der . Bewegung'

sein; du mußt sogar den Kameraden denunzieren, der sidt dazu nicht hergibt... Wohlan, idt sage midi von meinen kommunistisdien Freunden los, selbst in dem, was ihren Stolz in Rußland ausmadit: dem Aufbau des Sozialismus.“

Istratis Sympathien gehörten der trotzkistischen Parteiopposition, den von Stalin gestürzten Helden des Roten Oktober, deren Verbannung er während seiner Rußland-Reise miterlebt hatte. Immer, wenn er von Trotzki spricht, schlägt sein Herz schneller. Dabei hatte er ihn nur einmal gesehen, in einem Hotel in Bukarest vor dem Ersten Weltkrieg.

Politisch noch unerfahren, keiner Weltsprache mächtig, konnte Istrati den schon damals berühmten Revolutionsführer nur anschauen „wie ein Kalb“. Immerhin fragte er ihn, warum er ein schwarze Bluse trage.

„Weil ich ein Pessimist bin“, antwortete Trotzki spöttisch.

Mit der Neigung zum Trotzkismus hängen einige Schwächen der drei Bücher über Sowjetrußland zusammen, die übrigens, wie der Dichter im Vorwort mitteilt, nur zum Teil von ihm selbst, zum Teil von Mitarbeitern, offensichtlich Trotzkisten, verfaßt wurden. Nicht nur, daß aller Anklage der stalinistischen Verbrechen zum Trotz die Meinung vertreten wird, die Sowjetunion müsse als Bollwerk des Sozialismus verteidigt werden. Die Kritik, soweit sie praktisch-politische, soziale und wirtschaftliche Fragen betrifft, ist oberflächlich, teilweise ungerecht.

Viele Mängel der Sowjetunion, die in den Büchern gerügt werden, waren tatsächlich Geburtswehen, die durch Stalins Rigorismus eher überwunden werden konnten als durch Trotzkis krampfhaftes Klammern an die Utopie.

Weit tiefer und wirklich vernichtend ist die Kritik an der menschlichen und geistigen Unterdrückung in Sowjetrußland, wie sie im ersten Buch und in Teilen des zweiten geübt wird, in jenen Teilen, die des Dichters eigene Handschrift verraten. Wie es scheint, hat Istrati sogar gespürt, daß in diesen Punkten, die ihm am meisten am Herzen lagen, seinen trotzkistischen Freunden nicht mehr zu trauen war als ihren stalinistischen Konkurrenten; denn er bemerkt an dieser Stelle: „Audi die Opposition soll von mir wissen: Wenn sie eine Neuauflage dieses Bol-

sdtewismus plant, so wird sie in mir einen unversöhnlichen Feind finden, einen einsamen Feind, der bereit ist, für das zu sterben, was er für das höchste Gut des Menschen hält: vor aller Welt seine Meinung frei verkünden zu dürfen, sei es als Genosse oder als Gegner.“

Am Ende des dritten Buches wird die Frage aufgeworfen, die von nun an wie ein Richtschwert über dem Kommunismus schwebt: „Die Ge-

sdiidite stellt die Werktätigen vor die Frage, nicht ob sie den Sozialismus in fünfzehn Jahren, sondern ob sie sofort ihre Freiheit wollen.“

Es versteht sich, daß Istrati fortan für die Kommunisten nicht mehr der „Gorki des Balkans“, sondern ein „internationaler Abenteurer" war.

Als der todkranke Mann aus dem französischen Exil in seine Heimat zurückkehrte und von der Bukarester Akademie eine bescheidene Pension empfing, verleumdete man ihn, er habe sich derSigüranza verkauft.

Ein Jahr nach dem denkwürdigen Kongreß in Paris, 1936, fuhr Andre Gide zur Beisetzung Gorkis nach Moskau. Nun hatte auch er Gelegenheit, das Land seiner Träume in Augenschein zu nehmen. Wie Istrati, Rolland und zahllosen anderen Besuchern vorher und nachher wurde ihm ein wohldurchdachtes und wohlorganisiertes Programm vorgesetzt: Er wurde mit Ehrerbietung und Herzlichkeit überschüttet. Er wurde durch Musterbetriebe, Arbeitersiedlungen, Kindergärten, Erholungsheime und Klubs geführt. Ihm standen die komfortabelsten Autos zur Verfügung, Sonderwagen der Eisenbahn, die besten Zimmer in den besten Hotels, das üppigste Essen. Die Funktionäre waren unablässig um ihn bemüht.'

Gide, zwar kein Proletarier wie Istrati, aber von Natur aus kritischer als Rolland und marxistisch gebildet, wurde rasch stutzig. Auch er entzog sich dem offiziellen Programm und blickte hinter die Fassade. Da entdeckte er, der in die Sowjetunion gegangen war, „um keinen Armen mehr zu begegnen“, Armut im Übermaß. Er hätte das vielleicht hingenommen und mit den Aufbauschwierigkeiten des jungen Staates entschuldigt, wäre nicht als Kontrast dazu das Leben der Priviligierten gewesen, an dem man ihn teilnehmen ließ. Abend für Abend gab man ihm Bankette mit mehr als sechs Gängen, die volle vier Stunden in Anspruch zu nehmen pflegten; allein die Vorspeisen hätten genügt, den stärksten Appetit zu befriedigen.

Entsetzt sah Gide die Entrechtung der Arbeiter und Bauern, die Vergewaltigung der Kunst, die Überflutung des öffentlichen Lebens mit Lüge, die vollkommene Uniformität. Einmal besichtigte er eine besonders musterhafte Kolchose. „Ich wünsdite“. so berichtete er später, „idi könnte meinen Lesern nur annähernd einen Begriff vermitteln von dem niederdrückenden Eindrud^, den ausnahmslos alle diese Behausungen machen, weil ihnen jede persönliche Note fehlt. In jeder Wohnung stehen die gleichen häßlidten Möbel, hängt das gleidie Stalinbiid. Idi sah nicht den geringsten Zimmersdimuck, keine privaten Besitztümer. Jedes Haus könnte mit einem beliebigen anderen des Kollektivs vertauscht werden, ohne daß die Insassen es bemerken würden. Selbstverständlich ist in einem Kollektiv auch das Vergnügen Gemeinschaftssache, die Häuser sind nichts als Schlafstellen, das Lebensinteresse der Kollektivmitglieder konzentriert sidi auf den Klub.“

Diese Uniformität erstreckt sich über das ganze Land. „In der Sowjetunion steht ein für allemal fest, daß es über jede Frage — ganz gleich um was es sich handelt — nur eine Meinung geben kann: die ridt-

tige. Jeden Morgen trichtert die Prawda dem Volk ein, was es wissen, glauben und denken muß . . . Wenn man mit einem Sowjetbürger gesprochen hat, ist es, als hätte man mit allen gesprochen.“ Beklommen resümierte er: „Wenn der ganze Chor unisono singt, kann von Harmonie nidit mehr die Rede sein.“

Ekel erregte ihm der Stalinkult, auf den er überall stieß. Als er auf seiner Reise durch Stalins Geburtsort kam, das Dorf Gori im Kaukasus, wollte er seinem Gastgeber zum Dank für die großzügige Aufnahme eine persönliche Botschaft senden. Er setzte ein Telegramm auf, das folgendermaßen begann: „Im Augenblick, da unsere herrlidte Reise uns nach Gori geführt hat, empfinde ich das Bedürfnis Ihnen zu ..." Hier hielt der Übersetzer inne und erklärte, es sei nicht schicklich, einfach „Ihnen“ zu schreiben, wenn man sich an Stalin wende. Man müsse unbedingt ein Epitheton hinzufügen, etwa: „Ihnen, dem Lehrmeister der Werktätigen“ oder „Ihnen, dem Führer des Sowjetvolkes“. Der Dolmetscher war nicht zu bewegen, das Telegramm ohne Berichtigung abzuschicken.

Gide kam zu dem Schluß, daß in der Sowjetunion nicht eine Diktatur des Proletariats herrsche, sondern eine Diktatur der Bürokratie, und daß nicht einmal in Hitler-Deutschland Geist und Gemüt der Menschen so versklavt seien wie unter dem Bolschewismus. Seine Abrechnung „Zurück aus Sowjet-Rußland“ (1936) schlug wie eine Bombe ein, obwohl er sich um ausgewogenes Urteil und zurückhaltende Formulierung bemühte, auch die positiven Seiten des Sowjetregimes nicht verschwieg. Alle Parteigänger der Sowjetunion fielen über ihn her. In einem zweiten Band, „Retuschen zu meinem Rußlandbuch" (1937), in dem er sich gegen die Hetzkampagne zur Wehr setzte, bemerkte er bitter: „Die Publikation meines Buches . Zurück aus Sowjet-Rußland'hat mir eine Flut von Br leidigungen eingebradtt. Diejenigen, die von Romain Rolland kamen, haben mir weh getan ..." Die Kommunisten haben Gide bis an sein Lebensende mit ihrem Haß verfolgt. Im Juli 1944 interpellierte ein Abgeordneter namens Giovoni in der Assemblee Consultative Provisoire, der in Algier versammelten Vertretung des freien Frankreich, den Commissaire de Tlnformation, welche Maßnahmen er gegen Gide zu treffen gedenke, der in seinem Tagebuch gewagt hatte, die Haltung eines Teiles der Franzosen in den Tagen des Zusammenbruchs 1940 zu kritisieren. „Dieser giftmischerische Sdiriftsteller, der ans den Geist der ]ngend einen verhängnisvollen Einfluß ausgeübt hat, madtt in Defätismus mitten im Kriege. Seine Sucht nach Originalität und Exotischem, seine Unmoral und seine Perversität stempeln ihn zu einem gefährlichen Individuum.“ Zu Zeiten des Tigers Clemenceau, meinte Giovoni, wäre der Verfasser derart infamer Schriften längst vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen worden. Es hätte kaum des Satzes bedurft, daß Gide die Bauern Frankreichs ebenso schwer beleidigt habe wie seinerzeit die Bauern Sowjetrußlands, um deu Patrioten Giovoni als Vertreter der Kommunistischen Partei auszuweisen.

Der Commissaire de l’Information antwortete mit Würde: „Mit großer Befriedigung hat die Welt feststellen können, wie gering die Zahl der französisdten Schriftsteller war, die sich Vidiy anschlossen. Fast alle, und Gide unter ihnen, hatten die wahre Aufgabe Frankreichs erkannt . . . und die Rückkehr unseres Landes in die erste Reihe der Weltliteratur vorbereitet.“

Ein Gleichnis für das technische Zeitalter

1936 schrieb Karel apek (1890— 1938), der Freund Masaryks Staatspreisträger und literarischer Repräsentant der tschechoslowakischen Demokratie, Meister des utopischen Romans und Erfinder der Roboter (RUR, 1920), ein Buch, das in die Reihe der großen antitotalitären Utopien gehört: „Der Krieg mit den Molchen“. Über die Tendenzen dieses ironisch-hintergründigen Buches streiten sich bis auf den heutigen Tag die Gelehrten. „Eine Satire auf die fortschrittliche Wissensdtaft“ — meint der Westen. „EineSatire auf den Imperialismus“ —sagt der Osten.

Der biedere Kapitän van Toch entdeckt in der Südsee eine Salamanderart, die sich dressieren, zum Perlenfischen, Dammbauen abrichten läßt. Die intelligenten Tiere lernen sogar denken und sprechen. Film, Funk und Presse stürzen sich auf die Sensation. Doktorarbeiten und wissenschaftliche Kongresse werden ihnen gewidmet. Geschäftstüchtige Manager gründen Salamander-Syndikate zur Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte. Die Regierungen stellen Molche in den Dienst ihrer Armeen und Flotten. Eine glänzende Prosperität, das Molch-Zeitalter beginnt. Bis die Molche, dank menschlicher Hilfe klug und stark geworden zur Rebellion übergehen. Sie sprengen die Küsten, unterwühlen die Kontinente und bedrohen die Existenz der Menschen. Ein Fünftel Europas ist überflutet. Aus den Wassern der Elbe bei Prag taucht ein Molchkopf auf — Menetekel des bevorstehenden Unterganges der goldenen Stadt.

Eine Satire auf die fortschrittliche Wissenschaft ist es insofern, als apek den Sinn eines hemmungslosen wissenschaftlich-technischen Fortschritts in Frage stellt. Er sieht in der Wissenschaft (Entdeckung, Erforschung und Domestizierung der Molche) einen Akt der menschlichen Selbstzerstörung. Legt man diese Deutung zugrunde, könnte man den Krieg der Molche als Entfesselung der Elemente, als Sinnbild des Atom-krieges auffassen.

Eine Satire auf den Imperialismus ist es insofern, als Capek die Banalität unserer Zivilisation, die Barbarei der Ausbeutung und des Kolonialismus, den absurden und selbstmörderischen Charakter des Konkurrenzkampfes enthüllt. Der Roman illustriert den Gedanken von Marx, daß die Bourgeoisie im Proletariat seinen eigenen Totengräber schafft. Legt man diese Deutung zugrunde, könnte man den Krieg der Molche als Sinnbild der Weltrevolution auffassen.

Da es sich bei apeks Buch nicht um eine Allegorie, sondern um eine dichterische Vision handelt, sind beide Deutungen möglich (und noch einige andere). In unserem Zusammenhang interessiert uns vor allem der zweite, der politische Aspekt, der von der kommunistischen Kritik betont wird. Dabei ergeben sich sofort Weiterungen, die schlecht in das kommunistische Konzept passen.

apek begrüßt keineswegs den Untergang der imperialistischen Menschenwelt, er empfindet den Triumph der Molche als ein Unglück, wenn auch ein verdientes.

„Hör mal, willst du wirklidi die ganze Menschheit zugrunde gehen lassen?

Des Autors Gesicht verfinsterte sich. Frag mich nicht, was ich will.

Meinst du, es ist mein Wille, daß die menschlidten Festländer in Trüm-

tner fallen, meinst du, ich habe dieses Ende gewollt? Das ist einfadt Logik der Ereignisse; kann idt denn in sie eingreifen? Idi habe getan, was idt konnte; habe die Mensdten reditzeitig gewarnt ... Idi predigte: liefert den Molchen keine Waffen undSprengstoffe, stellt den widerlichen Handel mit den Salamandern ein und so fort — du weißt, wie es ausgefallen ist. Alle brachten tausenderlei absolut richtige wirtsdiaftlidte und politisdte Einwände vor, warum es nicht geht. Ich bin weder Politiker noch Wirtschaftler; ich kann sie noch nicht überzeugen. Was tun, die Welt wird vielleicht untergehen und versinken-, dann aber geschieht es wenigstens aus allgemein anerkannten politischen und wirtschaftlichen Gründen, dann wird es wenigstens mit Hilfe der Wissenschaft, der Technik und der öffentlichen Meinung unter Aufwand allen menschlichen Scharfsinns vor sich gehen! Keine kosmische Katastrophe, sondern nichts als staatliche, machtpolitische, wirtschaftliche und andere Gründe. Dagegen läßt sich nichts machen.“ Und selbst wenn die Welt nicht zugrunde ginge — apek sieht in der Revolution auf keinen Fall eine Errungenschaft. „Es muß doch nicht die ganze Menschheit aussterben. Die Molche brauchen bloß mehr Küsten, damit sie sich ansiedeln und ihre Eier legen können. Vielleicht werden sie nur an Stelle der zusammenhängenden Festländer aus den trockenen Erdteilen lange Streifen schneiden, damit der Küsten mehr sind. Nehmen wir an, daß sich auf diesen Landstreifen auch einige Menschen werden halten können, nicht wahr? Die werden Metalle und andere Dinge für die Salamander herstellen. Die Molche können doch selbst nicht mit Feuer arbeiten, weißt du? Die Menschen werden also den Molchen dienen? Ja, wenn du es so nennen willst. Sie werden einfach in den Fabriken arbeiten wie jetzt. Nur werden sie andere Herren haben. Schließlich und endlich wird sich vielleicht gar nicht so viel ändern —“ Die Deutung wird weiter dadurch kompliziert, daß Capek Anspielungen auf den Nationalsozialismus hineinbringt. Er läßt einen nordisch-langschädeligen Edelsalamander auftauchen („Solche Erfolge erreichen nur deutsche Molche“). Der atlantische Diktator Chief Salamander, „der große Eroberer, Techniker und Soldat, der Dschingis Khan der Molche und Zerstörer der Kontinente“, ist in Wirklichkeit ein Mensch namens Andreas Schultze und war im Weltkrieg Feldwebel. Das Auftauchen dieser Art Molche vor Prag war eine Prophezeiung von unmittelbarer Aktualität und nur um wenige Jahre vorweggenommen. Die Kommunisten loben die antifaschistische Tendenz des Romans und sehon darin ein weiteres Argument, den Dichter für sich in Anspruch zu nehmen. „In einigen phantastischen Szenen von der Schaffung des , Molchstaates'“, schreibt Sowjetkritiker Molotschikowski, „ist gezeigt, wie die kapitalistische Ordnung zwangsläufig faschistische Regime hervorbringt, wie diese alle möglichen aggressiven politischen Doktrinen, Theorien vom . Lebensraum'und von . rassischer Minderwertigkeit' aufstellen“ . . .“ Damit schlägt die kommunistische Interpretation einen Salto mortale. Sie bricht mit dem Klassenkampfschema, das für den ersten Teil des Romans so gut paßte (Bourgeoisie — Proletariat), und bedient sich, um den Schlußteil zu erklären, des antifaschistischen Klischees (Demokratie — Faschismus) Die solange rechtschaffenen Tiere werden flugs verteufelt. Der Krieg der Molche wäre dann nicht die Weltrevolution, sondern die Aggression der Faschisten. Wo aber bleiben die Kommunisten? Sollte Capek, dieser soziologisch und politisch versierte Schriftsteller, die Sowjetmacht, eine für das Schicksal Mitteleuropas und überhaupt der modernen Welt entscheidende Kraft, einfach vergessen haben? apek hat die Kommunisten nicht vergessen. Es gibt nämlich nicht nur die Edelsalamander im Westen (Atlantis), sondern auch noch die primitiven, halbbarbarisdien Molche im Osten (Lemurien), ursprüngliche Schüler des alten Kapitäns van Toch, der die Molche entdeckt und als 'erster dressiert hat -wie Marx das Proletariat. Aus dieser Zweiteilung der Molche entspringt die überraschende SchlußWendung des Romans:

„Also Hier ist Atlantis und Lemurien. Diese Einteilung hat geographische, verwaltungstechnische und kulturelle Gründe ...

. . . und nationale. Vergiß nicht die nationalen Gründe. Die lemu-

rischen Salamander sprechen Pidgin-English, während die atlantischen Basic-English sprechen.

Nun gut. Im Laufe der Zeit dringen die Atlanten durch den ehemaligen Suezkanal in den Indischen Ozean.

Natürlich der klassische Weg nach Osten.

Richtig. Dagegen werden sich die lemurischen Molche über das Kap der Guten Hoffnung an die Westküste des ehemaligen Afrikas drängen.

Sie werden nämlich behaupten, daß ganz Afrika zu Lemurien gehöre.

Natürlich . . .

Die Atlanten verachten die Lemuren und heißen sie schmutzige Wilde;

die Lemuren wiederum hassen fanatisch die atlantischen Molche und sehen in ihnen Imperialisten, westliche Teufel und Störer des alten, reinen, ursprünglichen Molchtums. Der Chief Salamander erlangt Konzessionen an den lemurischen Küsten, anoeblich im Interesse des Exports und der Zivilisation. Der ehrwürdige Greis King-Salamander muß, wenn auch ungern, nachgeben; er ist nämlich weniger gut gerüstet. In der Bucht von Tigris, unweit des einstigen Bagdad, bricht es aus: die eingeborenen Lemuren überfallen die atlantische Konzession und töten zwei atlantische Offiziere, angeblich einer nationalen Beleidigung wegen.

Infolgedessen ... ... kommt es zum Krieg. Ganz natürlich. Ja, es kommt zum Weltkrieg der Molche gegen die Molche. Im Namen der Kultur und des Rechts. Und im Namen des echten Molchtums. Im Namen der nationalen Ehre und Größe. Die Losung ist: Entweder wir oder sie! Die Lemuren, mit malaiischen Krisen und Yoga-Dolchen bewaffnet, schneiden den atlantischen Eindringlingen unbarmherzig die Kehlen durch; dafür lassen die fortgeschritteneren, europäisch gebildeten Atlanten chemische Gifte und kulturzerstörende Bakterien in die lemurisdten Gewässer und zwar mit soldtem Kriegserfolg, daß sie dadurch sämtliche Weltozeane verseuchen. Das Meer ist mit künstlich gezüchteter Kiemenpest infiziert. Und das ist das Ende, mein Lieber. Die Molche sterben aus ..." Diesem Schluß ist weder mit dem Klassenkampf-Schema noch mit dem Antifa-Schema beizukommen. Es handelt sich um eine Prognose des Hitler-Stalin-Paktes und des Hitler-Stalin-Krieges — wenn auch der Pessimist Capek den Ausgang zu optimistisch gesehen hat. Das ganze Buch erklärt sich zwanglos als Gleichnis für das Heraufkommen des technischen Zeitalters: Die Produktion der Vernichtungswaffen wie der Ansturm der Massen gegen die bürgerliche Gesellschaft sind zwei Aspekte derselben Sache. Die Molche: das können Atombomben, Faschisten und Bolschewisten, Kolonialvölker, amerikanische und sowjetische Massengesellschaft sein. Das Festland: das ist die abendländische Kultur und Humanität, die einen verdienten und dennoch beklagenswerten Tod stirbt. Von politischer Depression und Geisteskrankheit heimgesucht, nahm sich Karel Capek Weihnachten 193 8 das Leben. Der tote Demokrat wurde einverleibt in das Pantheon der Volksdemokratie.

Lehren aus dem spanischen Bürgerkrieg

Im spanischen Bürgerkrieg sammelten sich die Schriftsteller noch einmal um die roten Fahnen. Der zweite Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur fand 1937 in Madrid und Valencia statt. Hemingway, Malraux, Dos Passos, Orwell, Spender, Auden, Koestler, Louis Fischer, Jef Last, Anand, Guillen, Simone Weil, Renn, Kantorowicz, Bredel, Weinert, Regler und viele andere verteidigten die Republik; Ralph Fox, John Cornforth und Mate Zalka (General Lukäcs) fielen in den Reihen der Internationalen Brigaden. Angesichts der kurzsichtigen und beschämenden Nichteinmischungspolitik der westlichen Demokratien gewann die Sowjetunion, die als einziges Land außer Mexiko die legitime Regierung Spaniens unterstützte, neues Ansehen. Dieses Ansehen brach allerdings zusammen, als offenbar wurde, wie eigennützig und hinterhältig die Hilfe aus Moskau war. Der Kreml hat sich jedes Gewehr und jeden Mann in harter Währung bezahlen lassen, nicht nur mit dem spanischen Goldschatz, sondern auch mit immer neuen politischen Zugeständnissen, wodurch die Kommunisten von einer Splitterpartei schließlich zu absoluten, terroristisch regierenden Machthabern der Republik wurden.

Bei einem Treffen in Madrid einigten sich Andre Malraux und Ernest Hemingway scherzhaft, die Darstellung des Krieges zwischen sich aufzuteilen. Malraux übernahm es, die Ereignisse bis zum März 1937, bis zum Sieg der Internationalen Brigaden über die Mussolini-Truppen bei Guadalajara zu gestalten. Noch im selben Jahr legte er seinen Roman „Die Hoffnung“ vor. Das Buch enthält nüchterne, unerbittliche Tatsachenberichte vom Krieg, der als Schauplatz menschlicher Bewährung verstanden wird. Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ist bei Malraux Teil einer umfassenden Problematik: der Fragwürdigkeit humaner Bestrebungen überhaupt.

„Ihr seid Pfarrer geworden“ sagt ein Anarchist zu den kommunistischen Genossen. „Damit will ich nicht sagen, daß der Kommunismus eine Religion ist; aber ich sage, daß die Kommunisten im Begriffe sind, Pfarrer zu werden. Revolutionär sein, heißt für euch schlau sein . . . Ihr werdet von der Partei aufgefressen, von der Disziplin aufgefressen, von der Mitgliedschaft aufgefressen. Dem gegenüber, der nicht zu eurer Partei gehört, kennt ihr weder Rechtschaffenheit noch Pflichten, noch sonst etwas. Für euch gibt es keine Treue mehr . . Ein Kommunist antwortet: „Vom sachlichen Standpunkt aus ist es besser, untreu als unfähig zu sein.“ Der Anarchist: „Die Parteien sind für die Menschen gemacht, nicht die Menschen für die Parteien. Wir wollen weder einen Staat schaffen noch eine Kirche, noch eine Armee, sondern Männer.“ Der Kommunist: „Ihr werdet leider nur allzubald erfahren, daß, sachlich gesprochen, mit eurer Moral keine Politik zu machen ist." Ein anderer: „Noch sonst mit irgendeiner Moral.“ Kommandant Garcia, der den Anschauungen des Autors wohl am nächsten steht, setzt hinzu: „Die Schwierigkeit, ja vielleicht die Tragödie der Revolution besteht darin, daß man sie ebensowenig ohne Moral machen kann ..." Ein kommunistischer Führer meditiert: „Ich nehme diese Hinrichtungen auf mich, sie sind erfolgt, um andere Menschen zu retten, um die Linsern zu retten. Freilich muß ich eines gestehen: mit jeder Stufe, die ich in dem Bestreben nach größerer Leistungsfähigkeit, nach besserem Kommandieren erklimme, entferne ich mich mehr und mehr von den Menschen. Mit jedem Tage bin ich weniger und weniger menschlich . . .“ Und er sagt sich: „Die Annäherung an die Partei hat keinen Wert, wenn sie zugleich die Trennung von denen bedeutet, für die die Partei sich müht.“ Ihm antwortete sein Vorgesetzter, ein roter General: „Vom Tage an, da du ein hohes Kommando in der Armee des Proletariats übernimmst, hast du kein Recht auf deine Seele mehr.“ Er packt ihn mit hartem Griff: „Von nun an darfst du niemals mehr Mitleid mit einem verlorenen Menschen haben.“ „Es gibt eine Politik der gerechten Sache“, sagt Garcia, „aber es gibt keine gerechte Partei.“ Der Berufsoffizier Hernandez, der aus Loyalität und Fairneß die Republik verteidigt, fragt ihn: „Warum sollte die Revolution nicht von den humansten unter den Menschen gemacht werden?“ Garcia: „Weil, mein lieber Freund, die humansten unter den Menschen keine Revolution machen. Sie bringen Bibliotheken zustande oder Totenäcker...“ Er prophezeit dem Idealisten, der wenig später in die Hände der Faschisten fällt und erschossen wird: „Die Partie, die Sie spielen, ist von vornherein verloren, weil Sie politisch leben — das heißt: in einer politischen Aktion, als Inhaber einer militärischen Kommandostelle, die in jedem Augenblick in die Politik mündet — und weil Ihr Verhalten nicht politisch ist. Sie stellen einen Vergleich an zwischen dem, was Sie sehen, und dem, was Sie erträumten. Die Aktion denkt nur in Begriffen der Aktion. Es gibt keinen politischen Gedanken, es sei denn in dem Vergleich einer konkreten Sache mit einer anderen konkreten Sache, einer Möglichkeit mit einer anderen Möglichkeit. Entweder die Unsern oder Franco — entweder eine Organisation oder eine andere Organisation. Nicht aber eine Organisation im Gegensatz zu einer Sehrtsucht, einem Traum oder einer Apokalypse ... Es ist eine aussichtslose Partie, mein lieber Freund. Moralische Vervollkommnung und Edelmut sind persönliche Probleme, zu denen die Revolution keinerlei unmittelbare Beziehung hat . .

AIs Malraux „Die Hoffnung" niederschrieb, bekannte er sich noch zum Kommunismus. Er brach damit nach dem Hitler-Stalin-Pakt — als er erkannte, daß die ungerechte Partei auch für eine ungerechte Sache kämpfte.

Zusammenstoß zweier Totalitarismen

Hemingway legte sein Spanienbuch „Wem die Stunde schlägt" 1940 vor. Deutlicher noch als Malraux zeichnete er in den grauenvollen Bildern vom Terror auf weißer wie roter Seite den spanischen Krieg als Zusammenstoß zweier Totalitarismen. Die balladeske Geschichte eines Liebespaares der letzten Stunde, des amerikanischen Freiwilligen Robert Jordan und des geschändeten spanischen Mädchens Maria, spielt vor politischem Hintergrund: Das Schicksal der Liebenden, das Schicksal der versprengten Partisanen hinter den faschistischen Linien, ja das Schicksal Spaniens wird im Hotel Gaylord in Madrid entschieden, so wie der Trojanische Krieg auf dem Olymp entschieden wurde. Hotel Gaylord ist das sowjetische Hauptquartier, der geheime Generalstab, weniger zur Verteidigung als zur Eroberung der Republik. Dort gehen die sowjetischen „Berater“ ein und aus, die auf der Moskauer Frunse-Akademie und den Komintern-Schulen gedrillten Bürgerkriegshelden, die kommunistischen Literaten aus allen Ländern, die Geheimpolizisten und Kommissare, deren düsteres, unseliges Wirken Hemingway in einem psychopathischen Typ inkarniert sieht, den er mit Namen und Adresse nennt. „Ich sollte dich eigentlich übern Haufen schieflen, Andre Marty“, denkt der General Golz über seinen Kommissar. „Der Teufel soll dich holen, daß du so viele Menschen umgebracht hast, weil du dich in Dinge einmischst, von denen du nichts verstehst. Verflucht der Tag, da man Traktorenfabriken und Dörfer und Kollektivgüter nach dir benannt hat, so daß du ein Symbol geworden bist, das ich nicht antasten kann! Geh woanders hin, verdächtigen, ermahnen, intervenieren, denunzieren und schlachten . . .“ Und der sowjetische Journalist Karpow, ein intelligenter Zyniker mit Resten von Humanität, in dem Hemingway offenbar Kolzow porträtiert hat, sagt dem französischen Parteiveteranen ins Gesicht:

„Ich werde schon noch herausfinden, ob Sie wirklich so unantastbar sind, Genosse Marty . . . Ich möchte gerne wissen, ob es nicht möglich wäre, den Namen dieser Traktorenfabrik zu ändern.“

Fünfzehn Jahre später wurde Marty tatsächlich aus der Kommunisti-.

sehen Partei Frankreichs ausgestoßen — aber da hatten die Kommunisten Hemingways „Wem die Stunde schlägt“ längst als Hetzschrift klassifiziert.

Der Lyriker Stephan Spender (* 1909) erzählt in seiner Autobiographie „Welt zwischen Welten“ (1951) von seinen Erlebnissen und Begegnungen in Spanien. Enttäuscht von der Ohnmacht und Ratlosigkeit der Demokratie gegenüber dem aufkommenden Faschismus, hatte sich der Dichter von dem englischen Kommunistenführer Harry Pollit zum Eintritt in diePartei bewegen lassen. Welsch ein Mißverständnis das war, wird durch den Umstand illustriert, daß er als erstes im Parteiorgan Daily Worker einen Artikel gegen die Moskauer Prozesse schrieb. Er übernahm journalistische Aufträge im spanischen Krieg, um seinen Beitrag zum Sieg der Brüderlichkeit in der Welt zu leisten. Es traf ihn tief, als ihm ein achtzehnjähriger Landsmann, Freiwilliger in den Internationalen Brigaden, sein Herz ausschüttete, daß der Kampf gar nicht um die Freiheit ginge, die zu verteidigen er ausgezogen war, sondern um die Machtergreifung der Kommunisten. Spender wollte dem verzweifelten Jungen zur Heimkehr verhelfen, doch der sträubte sich. Sechs Wochen später fiel er. Ein anderer junger Mann, der unter dem Einfluß Spenders Kommunist geworden und nach Spanien gegangen war, floh von der Front, nachdem er alles Vertrauen zur roten Sache verloren hatte. Er wollte nach Hause, wurde aber von einer Kommunistin verraten, verhaftet und ohne Gerichtsverfahren verurteilt. Er kam ins Straflager, dann als „Trotzkist“ ins Gefängnis, wo in überfüllten Zellen halbverhungerte Häftlinge einem ungewissen Schicksal entgegendämmerten. Spender, der sich für den Freund verantwortlich fühlte, nahm Kontakt mit der britischen Botschaft auf und intervenierte beim Außenminister der Spanischen Republik. Es gelang ihm, den jungen Freund zu retten, aber die englischen Kommunisten der Internationalen Brigade warfen ihm vor, sich mit dem „Klassenfeind" eingelassen zu haben. Ähnliche Gründe, die Liquidierung seines spanischen Übersetzers, bewogen Dos Passos zum Bruch mit dem Kommunismus („Abenteuer eines jungen Mannes“, 1939).

An anderer Stelle („Der Gott, der keiner war“) faßte Spender seine spanischen Erfahrungen zusammen:

„Sogar die Kommunisten begriffen, was Spanien zur Aktion und zum Symbol dieses Jahrhunderts werden ließ, und stritten entrüstet ab, daß die Republik kommunistisch sei. Doch taten sie das nur, weil sie es für gute Propaganda hielten, gleichzeitig setzten sie alles daran, ihre Propaganda Lügen zu strafen und in Spanien wie in den ausländischen Hilfsorganisationen die Macht zu bekommen. Damit trieben sie die Liberalen, die Männer guten Willens, die die Volksfront unterstützten, in einen Gewissenskonflikt und zerrissen die Einheit der republikanischen Reihen. Für die Kommunisten war der Krieg in Spanien eine Phase in ihrem Kampf um die Macht. Wenn sie auch mit ihrer Einseitigkeit und ihrem Fanatismus die treibende Kraft der Volksfront waren, hemmten sie doch die anderen Kräfte, die letzten Endes vitaler waren als sie, denn sie waren komplizierter und legten mehr Wert auf Freiheit und Vielfalt. Fast die gesamte Literatur über den spanischen Krieg schätzt die Energie des wiederauflebenden Liberalismus mehr als die kommunistische Orthodoxie, die in den verwickelten Vorgängen, die man durchlebte, jede geistige Auseinandersetzung tötete. Die besten Bücher über den Krieg, die von Malraux, Hemingway, Koestler und Orwell, schildern die spanische Tragödie vom liberalen Gesichtspunkt und legen Zeugnis gegen die Kommunisten ab."

Manes Sperber (* 1905), gebürtiger Österreicher, der heute in Paris lebt und seine Manuskripte teils deutsch, teils französisch schreibt, verließ 1937 — nach jahrelangem Einsatz in der kommunistischen Untergrundbewegung Mittel-und Osteuropas — die Partei. Wie Silone, Koestler und Orwell begann er erst nach dem Bruch mit dem Kommunismus zu schreiben. „Dies war der einzige Augenblick meines Lebens, in dem ich an Selbstmord dachte . . . In dieser Lage machte ich mich auf die Suche nach meiner verlorenen Zeit.“ In den drei Bänden „Der verlorene Dorn-busch“ (1940 begonnen, 1949 erschienen), „Tiefer als der Abgrund“ (1950), „Die verlorene Bucht" (1953) bereit Sperber die von Terror und Verrat überschattete Landschaft des europäischen Bürgerkrieges aus, das von Paris bis Moskau, von Berlin bis Belgrad sich erstreckende Trümmerfeld der Hoffnung. Es ist ist kein Zufall, daß Malraux sich zu dem Werk bekannt hat (er hat das Herzstück der „Verlorenen Bucht“, „Eine Träne im Ozean", herausgegeben und eingeleitet). Sperber fährt fort, wo Malraux aufgehört hat. Er beschreibt nicht mehr die Helden und Märtyrer im Angesicht des Todes, die Unbesiegbaren der „Condition humaine", sondern diejenigen, die dazu verdammt sind, die Revolution zu überleben, die für immer Geschlagenen, die Versprengten und Verzweifelten im Angesicht des Nichts. „Es war wie mit einer ersten Liebe, in die der Tod eingegriffen hat: man weiß, man wird nimmer mehr so lieben.“

Die Trilogie setzt 1931 in Berlin ein mit einer Beratung der Führungsspitze der illegalen Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Am Beispiel dieser unter furchtbaren Opfern kämpfenden, von Moskau skrupellos preisgegebenen Partei wird deutlich, mit welchen Mitteln Stalin die kommunistische Weltbewegung unter seine Kontrolle zwang, wird deutlich, daß es nicht nur eine Internationale der Revolutionäre gibt, sondern auch eine Internationale der Henker, die quer durch die Parteien geht. Der Weg Dojno Fabers, des autobiographischen Helden der Trilogie, und der anderen heimatlosen Revolutionäre führt über die Schädelstätten der Totalitarismen — den weißen Terror auf dem Balkan, die Kapitulation der KPD vor Hitler, den aussichtslosen Kampf der österreichischen Arbeiter, die'Moskauer Prozesse, Spanien, den Pakt der Diktatoren zur Aufteilung der Welt, Hitlers Siege und Niederlagen, die Jugendvernichtung, den Partisanenkrieg und die sogenannte Befreiung — an die Schwelle der Nachkriegszeit mit ihrem „bitteren Geschmack der Hoffnung". Der Weg Dojno Fabers und der anderen heimatlosen Revolutionäre ist ein Weg der Heimsuchungen Irrtümer und Opfer, eine inbrünstige, besinnungslose Hetzjagd durch den Maquis aller Länder, ein Sich-Aufbäumen und Sich-Betäuben, ein Immer-Wieder-Hinausschieben der doch unausweichlichen Einsicht: daß die große Liebe, zu der jeder Mensch nur einmal im Leben fähig ist, vergeudet war. „Im diesem Werk“, sagt Malraux, „begegnen uns todbringende Wahrheiten, die zu Leidenschaften und Sdiicksalsniächten wurden und deren verheerende Wirkungen das gleichsam herausfordern, was nach dem Willen des Autors an ihre Stelle zu treten hat und was nichts mit Glauben oder Unglaube zu tun hat, sondern vielleicht das eigentlidte Mensd-tsein betrifft, das hier erhellt wird.“ Sperber ist durch den Kommunismus gegangen und weiß um die Fragwürdigkeit der Ideologie. Er hat zu Füßen des Individualpsychologen Alfred Adler gesessen und weiß um die Fragwürdigkeit des Menschen. Er stammt, das ist vielleicht das Wichtigste, aus Galizien, der Heimat chassidischer Lehre, und weiß um die Fragwürdigkeit der Welt. „Nur langsam erfasse ich“, so schreibt er am Ende der Trilogie, „dass den Menschen verleugnet, wer ihm das Recht abstreitet, schwach zu sein, für sich und die Seinen zu fürdtten . .. Wer die Menschheit nicht mit liebewoller Geduld betrachtet, der hat nichts von ihr verstanden und wird unausweichlich ihr Feind werden.“

Jedes Mittel ist recht, wenn es der Partei nützt

Die Moskauer Prozesse versetzten den Freunden der Sowjetunion einen furchtbaren Schock. Nicht nur die Morde selbst, die Liquidierung einer Generation von Revolutionären, lösten Empörung aus, vor allem erregten die unfaßbaren Selbstbezichtigungen und Selbstbefleckungen der oppositionellen Parteiführer das Entsetzen der gesitteten Welt.

Heute haben diese Geständnisse, nicht zuletzt dank den Enthüllungen Chruschtschows, viel von ihrer Rätselhaftigkeit eingebüßt. Wir wissen, daß dazu keine Wunderdrogen nötig waren. Die Angeklagten waren unmenschlichen Foltern ausgesetzt, deren geringste die pausenlosen Nacht-verhöre waren, bei denen die Untersuchungsrichter einander bis zum Zusammenbruch des Opfers ablösten. Einige Angeklagte wurden dadurch gefügig gemacht, daß man ihnen ihr Leben oder das ihrer von Sippen-haft bedrohten Angehörigen zu schonen versprach. Die für die einzelnen Prozesse willkürlich zusammengestellten Gruppen von Angeklagten wurden mit Polizeispitzeln durchsetzt, um die Solidarität zu brechen. Im übrigen wurde überhaupt nur ein geringer Prozentsatz der Todgeweihten in Schauprozessen vorgestellt; die meisten wurden auf administrativem Wege liquidiert.

Immerhin bleibt das erstaunliche Phänomen, daß einige der prominentesten Revolutionsführer, die ihr Leben oft genug in die Schanze geschlagen und Verfolgungen aller Art durchgestanden haben, in aller Öffentlichkeit und ohne Versuch eines Widerrufs Verbrechen auf sich nahmen, von deren Absurdität sie selber wie die ganze Welt überzeugt waren.

Die Schriftsteller der Linken haben den stalinistischen Terror in nun schon klassisch gewordenen Werken analysiert: Koestler in „Sonnenfinsternis", Sartre in „Die schmutzigen Hände“ und Orwell in „ 1984“.

Arthur Koestler (* 1905), aus Ungarn stammend, doch in der ganzen Welt zu Hause, war als Journalist jahrelang Mitarbeiter im Apparat Münzenbergs. Während des Spanienkrieges gab er ein Schwarzbuch über die Greueltaten der Faschisten heraus, wurde bei der Eroberung Malagas von den Francotruppen gerangengenommen und nur durch Intervention der englischen Regierung vor der Erschießung bewahrt. Unter dem Eindruck seiner Erlebnisse in Spanien löste er sich von den Kommunisten.

„Sonnenfinsternis“ erschien 1941.

Am fiktiven Fall des Volkskommissars Rubaschow, eines bolschewistischen Revolutionärs vom Schlage Buharins oder Radeks, exerziert Koestler, wie ein Geständnis für den Schauprozeß präpariert wird. Eine Behandlungsmethode, die physischen Terror und Gehirnwäsche auf raffinierte Weise mixt, trifft auf eine für Bolschewiken charakteristische politish-psyhologishe Disposition: eine ersatzreligiöse Bindung an die Partei und die in Fleisch und Blut übergegangene Vorstellung, daß jedes, aber auch jedes Mittel heilig ist, wenn es der Partei nützt.

„Ihre Fraktion“, sagt der Untersuchungsrichter zu Rubaschow, „ist geschlagen und vernichtet. Sie wollten die Parteispaltung, obgleich sie wussten, dass die Spaltung der Partei den Bürgerkrieg bedeutet. Sie wußten von der Unzufriedenheit unter den Bauern, die noch nicht gelernt haben, den Sinn der ihnen auferlegten Opfer zu verstehen. Im Kriegsfall, von dem uns möglicherweise nur einige Monate trennen, können solche Strömungen zur Katastrophe führen. Daher die absolute Notwendigkeit für die Partei, gereinigt dazustehen. Sie muß aus einem Guß sc‘n, ein einziger Block, gefüllt mit blinder Disziplin und absolutem Vertrauen. Sie und Ihre Freunde, Bürger Rubaschow, haben einen Riß im Körper der Partei verursacht. Wenn Ihre Reue echt ist, dann müssen Sie uns helfen, diesen Riß zu heilen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß dies der letzte Dienst ist, den die Partei von Ihnen verlangt.“

Der Untersuchungsrichter fährt fort: „Ihre Aufgabe ist daher die Opposition verächtlich zu machen; den Massen vor Augen zu führen, daß Opposition ein Verbrechen und jeder Oppositionelle ein Verbrecher ist. Das ist ule einfache Sprache, die die Massen verstehen. Wenn Sie anfangen, über komplizierte Motive zu reden, stiften Sie nur Verwirrung. Ihre Aufgabe, Bürger Rubaschow, ist, zu vermeiden, daß Sie Sympathie und Mitleid erwecken. Sympathie und Mitleid für die Opposition bedeuten eine Gefahr für unser Land.“ Und er schließt: „Genosse Rubaschow, ich hoffe, daß Sie die Aufgabe, die die Partei Ihnen setzt, verstanden haben.“ Es war das erste Mal, daß Rubaschow wieder Genosse genannt wurde. Er fühlte eine heiße Welle in sich emporsteigen, gegen die er wehrlos war ...

Die Perversion der Moral, die nicht nur die Haltung von Richtern und Angeklagten in den Schauprozessen bestimmte, sondern der ganzen bolschewistischen Parteigeschichte ihr Stigma eingeprägt hat, legte Sartre in „Die schmutzigen Hände“ (1948) bloß. Hugo, ein junger Intellektueller, erschießt im Auftrage der Partei einen kommunistischen Führer, der von der Linie abgewichen ist. Als er nah Jahren aus dem Gefängnis kommt, hat die Partei ihren Kurs geändert, und er wird nun selber für die Tat liquidiert, die er einst im Parteiauftrag begangen hat.

Hugo ist ein heimatloser Bürgersohn, der die Parteidisziplin brauht, um die Gedanken, die ihm im Kopf herumgehen, die Gedanken an die Fragwürdigkeit der Welt zu verjagen. „Ich muß andere Gedanken in meinen Kopf hineinbringen. Parolen: , Tu dies. Geh. Halt an. Sag das und das." Ich brauche Gehorsam. Gehorchen ist alles. Essen, schlafen, gehorchen.“

Sein Opfer, der Parteiführer Hoederer, verfiht selber die Prinzipien, denen er geopfert wird: „Idi werde lügen, wenn es nötig ist . . . Nicht ich habe die Lüge erfunden; sie ist entstanden aus einer in Klassen aufgeteilten Gesellschaft, und jeder von uns hat sie schon bei der Gebürt geerbt. Wir werden die Lüge nicht dadurch abschaffen, daß wir sie persönlich ablehnen, sondern dadurdt, daß wir mit allen Mitteln die Klassen zum Verschwinden bringen . . . Alle Mittel sind gut, wenn sie wirksam sind . . . Reinheit ist eine Idee für Fakire und Mönche. Ihr Intellektuellen und bürgerlichen Anarchisten macht euch einen Vorwand daraus, um überhaupt nichts zu tun. Nichts tun, unbeweglich dastehen, die Ellbogen angelegt, Handschuhe an den Händen. Ich habe schmutzige Hände. Bis zu den Ellbogen hinauf. Ich habe meine Hände in Dreck und Blut getaucht. Und wenn? Meinst du, man kann regieren und kinderrein dabei bleiben?“

Hugo ist der Intellektuelle, der der „Verführung des Denkens" erliegt, der sih selber und andere auf dem Altar des neuen Gottes zu opfern bereit ist, dann aber erleben muß, daß sein Gottesdienst nihts weiter war als eine kleine und niht einmal seltene Shmutzerei in der Prosa des politishen Alltags. Am Shluß nimmt er auf eht Sartreshe Weise seine Tat auf sih: „Ich weiß nicht, weshalb ich Hoederer getötet habe, aber ich weiß, weshalb ich ihn hätte töten sollen: weil er schlechte Politik machte, weil er den Genossen die Unwahrheit sagte und weil er die innere Gesundheit der Partei aufs Spiel setzte ... Ein Mensch wie Hoederer kommt nicht zufällig um. Er stirbt für seine Ideen, für seine Politik;

er ist verantwortlich für seinen Tod.“

George Orwell (1903— 1950), der aus Protest gegen das britishe Kolonialregime zu den Kommunisten gestoßen war, aber shon in Spanien niht mehr in ihren Reihen kämpfte, sondern in der von ihnen verleumdeten und blutig verfolgten Trotzkisten-Gruppe POUM, hat das tiefste Buh über den Totalitarismus geshrieben, „ 1984“ (1949) gestaltet die Liebe Winstons und Julias, die vom totalitären Regime als Akt der Revolte aufgefaßt und in den Mühlen der Diktatur zerrieben wird.

Orwell beshreibt niht, wie man aus dem Titel shließen könnte, eine zukünftige Welt, sondern die Stalins, Hitlers und Mao Tse-tungs.

Dadurch freilih, daß er die Vorgänge mit greller Shärfe beleuhtet, ersheinen die Menshen und Ereignisse geisterhaft, irreal wie Schattenbilder, die man an eine Kalkwand wirft. Orwell dringt ins Innere des Systems, wo Politik und Ideologie sih als Metaphysik enthüllen. Wo die Logik in den Abgrund des Absurden stürzt. Bespitzelung und Terror sind in dieser Welt von 1984 bis zur äußeren Perfektion getrieben, sie sind Instrumente, um die psychischen Strukturen und damit das Sein der Menschen zu ändern. Erst wenn der Widerstand nicht nur unterdrückt, sondern erloschen ist, hat die Partei gesiegt.

„Sie sind hier“, sagt O'Brien, der Ingenieur der Seele, zu dem im „Liebesministerium" inhaftierten Winston Smith, „weil sie es an Demut, an Selbstdisziplin haben fehlen lassen. Sie wollen den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der die geistige Gesundheit erkauft. Sie haben es vorgezogen, ein Verrüdtter, eine einköpfige Minderheit zu sein. Nur der geschulte Geist erkennt die Wirklichkeit, Winston. Sie glauben, Wirklichkeit sei etwas Objektives, äußerlich Vorhandenes, aus eigenem Redtt Bestehendes. Auch glauben Sie, das Wesen der Wirklichkeit sei an sich klar. Wenn Sie sich der Selbsttäuschung hingeben etwas zu sehen, nehmen Sie an, jedermann sehe das gleiche wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, die Wirklichkeit ist nicht etwas an sich Vorhandenes. Die Wirklichkeit existiert im menschlichen Denken und nirgendwo anders. Nicht im Denken des einzelnen, der irren kann und auf jeden Fall bald zugrunde geht: nur im Denken der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit hält, ist Wahrheit. Es ist unmöglich, die Wirklichkeit anders als durch die Augen der Partei zu sehen. Diese Tatsache müssen Sie wieder lernen, Winston. Dazu bedarf es eines Aktes der Selbstaufgabe . . . Sie müssen sich demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können.“

Winston und Julia sind, einmal auf ihren Abwegen ertappt, bereit, alles zu gestehen und in allem zu gehorchen. Aber das ist nicht genug. Sie sollen glauben. Sie sollen den Seinsbereich, dem sie verhaftet sind, die Humanität mit allen ihren Werten und Maßstäben verlassen und sich kopfüber in den Abgrund fallen lassen, in den dunklen Mutterschoß der Partei. Der totalitäre Staat nimmt dem Menschen alles, woran er sich halten könnte: die Familie wird zerstört, die Freundschaft vergiftet, die Liebe verboten, Religionen und Traditionen versinken, die Erinnerung fällt ins Gedächtnisloch, die Vernunft dreht sich im Kreise, und die sittlichen Normen werden auf den Kopf gestellt. Der Mensch wird gedemütigt und entwürdigt, ein Nichts, kaum werfes anzuspucken, ohne Charakter und ohne Anstand. „Nie wieder werden Sie einer normalen menschlichen Empfindung fähig sein. In Ihnen ist alles gestorben. Nie wieder werden Sie der Liebe, der Freundschaft, der Lebensfreude, des Lachens, der Neugierde, des Mutes oder der Lauterkeit fähig sein. Sie werden ausgehöhlt sein. Wir werden Sie vollkommen auspressen und dann mit unserem Gedankengut füllen.“

O'Brien spricht aus, was die Diktatoren nur selten aussprechen, aber um so häufiger praktizieren: „Es wird keine Treue mehr geben, außer der Treue zur Partei. Es wird keine Liebe geben, außer der Liebe zum Großen Bruder. Es wird kein Lachen geben, außer dem Triumphgelächter über einen besiegten Feind. Es wird keine Kunst geben, keine Literatur, keine Wissenschaft. Wenn wir allmächtig sind, werden wir die Wissenschaft nicht mehr brauchen. Es wird keinen Unterschied geben zwischen Schönheit und Häßlichkeit. Es wird keine Neugier, keine Lebenslust geben. Alle Freuden des Wettstreits werden ausgetilgt sein. Aber immer — vergessen Sie das nicht, Winston — wird es den Rausch der Macht geben, die immer mehr wächst und immer raffinierter wird. Dauernd, in jedem Augenblick, wird es den aufregenden Kitzel des Sieges geben, das Gefühl, auf einem wehrlosen Feind herumzutrampeln. Wenn Sie sich ein Bild der Zukunft ausmalen wollen, stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt — immer und immer wieder. “

" Meinetwegen“, sagt Winston. „Aber am Schluß werden sie euch abtun. Früher oder später werden sie euch als das erkennen, was ihr seid, und dann werden sie euch in Stücke reißen.“ O'Brien: „Sehen Sie irgendein Anzeichen dafür?“ Smith: „Nein. Ich glaube einfach daran. Ich weiß, daß es euch fehlsddagen wird. Es gibt etwas in der Welt — ich weiß nicht, einen Geist, ein Prinzip —, das ihr nie überwinden werdet . .

Die Gespräche zwischen O'Brien und Winston Smith in den Folter-kellern des Totalitarismus korrespondieren, so seltsam es anmutet, mit den Gesprächen, die in Audens Poem „Zeitalter der Angst“ (1947) einige Nachtbummler in einer New Yorker Bar führen — in beiden Fällen wird die Problematik der modernen technischen Welt debattiert. Wystan Hugh Auden (* 1907) war das Haupt der Oxforder Lest wing, einer Gruppe junger, vom Zeitgeist radikaler Dichter wie Spender, Isherwood und McNeice, die in symbolhaltigen, kühnen Versen die Großstadt, den technischen Fortschritt und die Maschinen besangen, Marxismus und Psychoanalyse studierten und sich für den Kommunismus begeisterten. Auden hat, ohne Parteigenosse zu sein, in Spanien und China gekämpft, was ihn zu den großen Poemen „Spanien" (1937) und „Reise in den Krieg“ (1939, mit Isherwood) anregte; im Zweiten Weltkrieg war er Flieger. Nachdem er alle politischen, weltanschaulichen und künstlerischen Abenteuer ausgekostet hatte, ließ er sich in Amerika nieder und wurde katholisch. Das Poem „Zeitalter der Angst", in dem Auden ein Fazit seines Lebens und Erlebens zieht, handelt am Allerseelenabend 1944. Der Krieg, aber auch der fragwürdige Friede, der heraufkommt, werfen ihren Schatten über das Gespräch. „Gespannt konferieren Vier, die bekannt sind, Nachts in einem Schloß über Völker. Sie sind nicht von gleichem Rang: drei Stehn in Gedanken auf einem dicken Teppich, Erwarten den Vierten, der ihnen befiehlt, Bis dieser durch eine Wandtür plötzlich Hereintritt. Lautlos, rasch, unansprechbar Wie Tod, Schmerz oder Schuld; er grüßt sie Und setzt sich: Herr über dieses Leben. Er lächelt, er ist natürlich, er riecht Nach Zukunft, nach der Zeit ohne Duft, einer Welt Geplanter Vergnügen und Ausweiskontrollen, Patrouillen, Beruhigungsmittel, milder Getränke, gesteuerter Gelder, ein Planet, Vom Terror gezähmt: Sein Telegramm Setzt graue Massen in Gang, Wenn der Morast zu trocknen beginnt. Viele gingen zugrunde, mehr werden folgen.“ Für Auden sind die Krisen, Kriege und Diktaturen, die unsere Zelt peinigen, Ausgeburt unserer Vermessenheit, der Hybris des modernen Menschen, der auch er selbst einmal verfallen war. „Alkohol, Sinnlichkeit, Ermüdung und die Sehnsucht, gut zu sein, hatten sie mittlerweile in jenen Zustand der Schwärmerei versetzt, in dem es einem vorkommt, als ob nur eine Kleinigkeit, ein leicht zurechtzustellender Irrtum, un-gemäße Ernährung, unzulänglidte Erziehungsmethoden oder ein überholter Sittenkodex der Menschheit das tausendjährige Paradies auf Erden versperrte. Nur noch eine ganz kleine Anstrengung, vielleicht nur die Entdeckung der Worte, um es zu beschreiben — und grenzenlose Freude mußte sofort auf die erstaunten Armeen dieser Welt herunterkommen und für immer ihren Haß und ihre Leiden zerstören.“ Am Ende des Gedichts taucht dann der Gedanke an IHN auf, den wahren Gott, der „all seine Kinder im Wahn ihres Zweifels Umfaßt und sich ihrer erbarmen wird, Die unbewußt warten, daß sein Reich komme.“ In „Ein Gott,.der keiner war“ (1950) haben Koestler, Silone, Wright, Gide, Louis Fischer und Spender Rechenschaft gegeben, was sie zum Kommunismus hin und was sie wieder von ihm weg führte. „rch wurde bekehrt“, schreibt Koestler, „weil ich reif dafür war und weil ich in einer sich auflösenden Gesellschaft lebte, die verzweifelt nach einem Glauben verlangte . . . Reif für die erschütternde Entdechung, daß Weizen verbrannt und Obst vorsätzlich vernidttet wurde und daß Schweine ertränkt wurden, damit in den Jahren der Krise die Preise stabil blieben . . . während Europa unter dem Gedröhn der Hunger-märsche erzitterte und mein Vater seine abgeschabten Manschetten unter dem Tisdt verbarg . . . Man sang die . Internationale', aber es hätten ebensogut die älteren Worte sein können: . Wehe den Hirten, die sich selbst geweidet haben, sollten nidtt die Hirten die Sdtafen weiden.'" Silone: „Ich bin in einer Gebirgsgegend Süditaliens aufgewadtsen. Was mich, sobald ich begann, meinen Verstand zu gebraudten, am meisten beeindruckte, war der schreiende Kontrast zwischen der privaten Sphäre, dem Familienleben, das vorwiegend sittsam, ernsthaft und ehrbar war, und den sozialen Verhältnissen, die von Roheit, Haß und Betrug strotzten . . . Der Arzf aus einem Nachbardorf erklärte mir des öfteren: , Wer hier geboren wird, ist wirklidt vom Unglüch gesdtlagen. Es gibt hier keinen Mittelweg: entweder muß man sidt auflehnen oder mitschuldig werden.'“ Wright: „Als ich bei den Ämtern um Brot hatte betteln müssen, war mir immer wieder unklar durdt den Kopf gegangen, ob sidt die Ausgestoßenen nicht mit ihrem Handeln, Denken und Fühlen zusammenschließen könnten. Nun wußte ich es. Es gesdtah ja bereits in einem Sechstel der Erde. Die revolutionären Reden sprangen mir aus den Druckseiten entgegen und trafen mich mit ungeheurer Macht ... Es sdtien mir, daß hier endlidt, in diesem revolutionären Ausdrucksbereidt, die Erfahrun-gen der Neger einen Platz finden, einen praktischen Wert haben und eine Rolle spielen könnten. Aus den Zeitschriften, die ich las, klang wir das leidenschaftliche Verlangen nach den Erfahrungen der Enterbten entgegen, und nichts war darin von dem lahmen Gerede der Missionare.“

Gide: „Warum sehne ich mich nach dem Kommunismus? Weil ich ihn für gerecht halte, weil ich unter den in der Welt herrschenden Ungerechtigkeiten um so Intensiver leide, als ich selbst zu den Bevorzugten gehöre . . . Weil ich an den Fortschritt glaube, weil ich das Zukünftige dem Vergangenen vorziehe . . . Weil ich der Überzeugung bin, daß der Kommunismus uns befähigt, den Gipfel der Kultur zu erreichen, weil nur der Kommunismus zu einer neuen und höheren Form der Kultur führen kann und muß.“

Fischer: „Zum ersten Male wagte sich eine Regierung daran, die Träume der Reformatoren, Bilderstürmer und Vorkämpfer aller Zeiten zu erfüllen. Ein Glücksschauer durchfuhr die Menschheit. Furcht ergriff alle diejenigen, die alte Vorrechte, Tradition, Militarismus und die Vorherrschaft der weißen Rasse sowie den Status quo beibehalten wollten;

ihre Befürchtungen spornten die Hoffnung bei den anderen an."

Spender: „Was mich in den Evangelien am meisten beeindruckt hatte, war der Satz, daß alle Menschen vor den Augen Gottes gleich sind und daß die Reichtümer der wenigen ein Unrecht an den vielen sind. Mein Sinn für : Gleichheit der Menschen gründete sich nicht so sehr auf ein bewußtes Erkennen der Massen, als auf die Erkenntnis der Einsamkeit.

Ich kann mich darauf besinnen, daß ich nachts wach lag und über diesen menschlichen Zustand nachdachte, in den jeder Lebende, ohne gefragt zu werden, auf Erden hingeworfen wird, wo er in sein eigenes Wesen eingeschlossen ist, für den Rest der Menschheit ein Fremdling bleibt, der Liebe braucht und seinen eigenen Tod vor Augen hat . .

Dieselbe Lauterkeit, die die Schriftsteller zum Kommunismus führte, bewegte sie zur Umkehr; ihr Abfall hat dadurch doppeltes Gewicht.

Der Wahrheitsfanatiker Koestler verteidigte die kleine, tapfere Schar der POUM, die den Schützengräben gegen Franco wie in den Kellern der GPU verblutete.

Der Bauernsohn Silone erkannte, daß die Komintern nicht für die ausgebeuteten Cafoni der Abruzzen, sondern für die Weltherrschaft Moskaus kämpft.

Der Neger Wright begegnete der schlimmsten Entwürdigung des Menschen in der Kommunistischen Partei, als er die beschämende Selbstkritik eines der Abweichung bezichtigten Genossen anhören mußte Der Bürger mit schlechtem Gewissen Gide entdeckte in der Sowjetunion einen Klassenstaat, der den, aus dem er kam, an Ungerechtigkeit weit übertraf.

Louis Fischer war entsetzt, als die Regierung, die ihm Vorkämpfer gegen Imperialismus, Militarismus und Rassenwahn schien, mit Hitler ein Bündnis beschloß.

Und Spender, der an der Seite der Kommunisten die Liebe gesucht hatte, sah sich treiben in einer Flut von Haß „Die Sowjetunion", klagt Gide, „hat unsere teuersten Hoffnungen enttäuscht; sie hat uns gezeigt, wie eine ehrliche Revolution von trügerischem Flugsand zugeschüttet werden kann.“ Tiefe Erschütterung spricht aus den letzten Worten Wrights: „Einsam wandte ich mich heimwärts, nun wirklich ganz allein, und sagte mir, daß in all der sich weithin dehnenden Unendlichkeit unseres mächtigen Kontinents der wohl am wenigsten bekannte Lebensfaktor, das menschliche Herz sei, das am wenigsten begehrte Ziel des Daseins die Gelegenheit, ein Menschenleben zu leben.

Vielleicht so dachte ich, könnte ich aus meinem gemarterten Gefühl heraus einen Funken in dieses Dunkel werfen . .

Die exkommunistischen Schriftsteller hoben die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf eine neue Stufe. Sie zerstörten die Legende, wonach Kapitalismus und Kommunismus die Gegensätze unserer Zeit sind, also jede Kritik an der alten Gesellschaftsordnung in den Kommunismus mündet, andererseits jeder Abfall von Moskau in die Arme der finsteren Reaktion führt. Die abgefallenen Schriftsteller blieben die Sozialisten, die sie waren, ja, sie konnten es nur bleiben, weil sie ab-fielen.

Sie blieben Antifaschisten, aber sie kamen zu der Ansicht, daß Konzentrationslager unter jedem Regime vom Übel sind.

Sie wurden Liberale neuen Typs. Das bedeutete zugleich, daß sie eine neue Einstellung zur Demokratie gewannen, daß sie die Idee der Freiheit nicht mehr mit dem Prinzip „leben und leben lassen" verbanden, an dem so viele Republiken verdarben. Sie sind durch die Hölle gegangen und haben gelernt, daß man gegen den Teufel kämpfen muß, gegen den roten, braunen oder sonstwie geschminkten Teufel, der sich auf Gottes leerem Thron breitmacht, ebenso wie gegen die tausend kleinen und großen Teufeleien, an denen es auch der freien Welt nicht mangelt. Die Freiheit wird nicht durch Verfassung eingeführt, sie muß täglich erobert werden.

Die Wendung der Intellektuellen zur Demokratie fand ihren Höhepunkt wieder in einem Kongreß, dem Kongreß für kulturelle Freiheit, der in den ersten Tagen des Korea-Krieges 1950 im umkämpften Berlin stattfand. Der Kongreß, der von einem ehemaligen Generalsekretär der KPD, dem Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, eröffnet wurde, stand unter der Ehrenpräsidentschaft von Benetto Croce, John Dewey, Karl Jaspers, Jaques Maritain und Betraud Russel. Zu den Teilnehmern zählten, um nur einige Namen zu nennen, G. A. Borgese, James Burnham, Werner Egk, James T. Farrell, Sidney Hook, Hermann Kesten, Arthur Koestler, Eugen Kogon, Melvin J. Lasky, Hans Leisegang, Franco Lombardi, Golo Mann, Walter Mehring, Hermann J. Muller, Nicolas Nabokow, Guido Piovene, Theodor Plievier, Charles Plisnier, Jules Romain, Eugen Rosenstock-Huessy, Denis de Rougemont, David Rousset, Ignazio Silone, Rene Sintenis, Hans Thirring, Ernst Tillich, Alfred Weber. Zustimmungserklärungen sandten Raymond Aron, Hermann Broch, Louis de Broglie, Ralph Bunche, John Dos Passos, Georges Duhamel, Louis Fischer, Andre Gide, Victor Gollancz, George Grosz, Julian Huxley, Carlo Levi, Salvador da Madariaga, Andre Malraux, Gabriel Marcel, Carson McCullers, Alexander Mitscherlich, Jules Monnerot, Reinhold Niebuhr, Eleanor Roosevelt, Reinhold Schneider, Upton Sinclair, Tennessee Williams, Carl Zuckmayer.

Es blieb dem Dichter Johannes R. Becher vorbehalten, die Gefühle seiner Partei angesichts dieses Kongresses auszudrücken:

„Mit Spitzeln und Kriegsverbrechern gibt es keinerlei Art von Diskussion. Solche Leute sind für uns keine Gesprächspartner. Wir setzen uns mit ihnen auseinander nur im wörtlichen Sinne. Wir setzen uns mit ihnen soweit wie möglich auseinander, um nicht in Tuchfühlung mit ihnen zu geraten, die ja längst keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr sind, sondern die sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt haben, in literarisch getarnte Gangster.

Wir hassen diese Leute, die sich zu Schreibern der Kriegshetzer erniedrigt haben, aber wir hassen sie nicht nur, wir empfinden Abscheu und Ekel vor diesem antibolschewistischen Gesindel, widerwärtig ist uns das Geschwätz dieser kriminellen Clique von der Freiheit der Persönlichkeit, hinter dem nidets anderes steckt als der Versuch, die Entfaltung der Persönlichkeit in einem freien Volk zu verhindern und wieder Millionen von Persönlichkeiten auf den Schlachtfeldern den Heldentod der freien Persönlichkeit sterben zu lassen.

Nein, wir werden es nicht zulassen, daß solch ein Schund und Schmutz in der Deutschen Demokratischen Republik verbreitet wird, eure soge-nannten Probleme interessieren uns nicht. Eure Verwicklungen, Kompliziertheiten, die Ihr mehr oder weniger literarisch routiniert darstellt, sind für uns wertlos. Wir wollen nichts mehr wissen von euch, weder sehen noch hören. Zwar müssen wir vorerst noch von euch Kenntnis nehmen, aber wir nehmen nur in dem Sinne von euch Kenntnis, wie man von einem Geschwür Kenntnis nimmt, das darauf wartet, operiert zu werden.“

Bechers Behauptung, Kongreßteilnehmer hätten das Haus des kommunistischen Kulturbundes in Ostberlin in Brand gesteckt, mutet fast wie ein aus dem Unbewußten aufsteigendes Symbol an.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Kolzow, Kirschon und Mikitenko wurden bald darauf in der Großen Säuberung liquidiert

  2. Gründer und erster Präsident der Tschechoslowakei (t 1937). Sein Sohn Jan, Außenminister, stürzte bei der kommunistischen Machtergreifung 1948 aus dem Fenster.

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