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Die Propagandamaschinerie des NS-Systems | APuZ 41/1960 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 41/1960 Die Propagandamaschinerie des NS-Systems

Die Propagandamaschinerie des NS-Systems

Hermann Glaser

Mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlages, Freiburg, wird nachstehendes Kapitel aus dem Anfang 1961 erscheinenden Taschenbuch DAS DRITTE REICH, Anspruch und Wirklichkeit, zum Vorabdruck gebracht.

Vermassung des Volkes

„Was dem Nationalsozialismus dient, ist gut und muß gefördert, was ihm schadet, ist schlecht und muß beseitigt werden. Propaganda dagegen ist ehrlichste Verkündung bester Wahrheit!“ In diesem Sinne sucht Dr. Joseph Goebbels die Agitation der Nationalsozialisten nach außen hin abzuschirmen. In Wirklichkeit kam es der NS-Propaganda-

maschinerie nicht im geringsten darauf an, durch „Werben für die Wahrheit“ der Bewegung Anhänger zuzuführen. Man wollte vielmehr Massen mobilisieren. Dies wiederum konnte nur erreicht werden, wenn man „Massen“ schuf. So erstrebte Hitler die „Vermassung“ des Volkes an; er brauchte „Stimmvieh“ („Mein Kampf“) und er stellte dementsprechend die Propaganda auf diese Aufgabe ein. Der Mensch sollte seiner von Geist und Verstand bestimmten, überlegenden und abwägenden Verhaltensweise beraubt werden; er sollte nicht mehr „vernünftig“, sondern „gefühlsmäßig denken"; keine Urteile sich bilden, aus dem Für und Wider zur Entscheidung gelangen — sondern vorgegebene Standard-Überzeugungen übernehmen und verfechten. Persönlichkeit und Individualität waren auszuschalten; die Menschen als Reflexbündel vom Instinkt, Trieb, „Rückenmark“ zu manipulieren. Die NS-Propaganda glaubt sich am Schaltbrett der menschlichen Seele; sie laboriert mit den Gefühlen des Volkes, setzt sie in Rage und schürt den Haß — da gerade Haßgefühle am besten geeignet sind, die Menschen in ein Kollektiv umzuformen. „Wenn wir die Partei intakt halten, dann müssen wir jetzt wieder an die primitivsten Masseninstinkte appellieren", notiert Goebbels am 4. September 1932 in sein Tagebuch.

Nach Hitler hat die Masse kein Gefühl für Freiheit, für Toleranz und Menschlichkeit; sie bedarf der Terrorisierung und kann gar nicht brutal genug behandelt werden. Ihre Aufnahmefähigkeit ist gering. Die wirkungsvollste Propaganda bestehe somit darin, daß man sich auf wenige Punkte beschränkte und diese unentwegt einhämmerte. Wille und Kraft, auch Hysterie des Propagandisten bestimmten den Elan der Masse.

In „Mein Kampf“ hat sich Hitler zu Massenlenkung und -Stimulierung immer wieder geäußert. „Gleich dem Weibe, dessen seelisches Empfinden weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt wird, als durch solche einer undefinierbaren, gefühlsmäßigen Sehnsucht nadr ergänzender Kraft, und das sich deshalb lieber dem Starken beugt, als den Sdtwädtling beherrsdtt, liebt audt die Masse mehr den Herrscher Ns den Bittenden, und fühlt sich im Inneren mehr befriedigt durdt eine Lehre, die keine andere neben sich duldet, als durch die Genehmigung liberaler Freiheit; sie weiß mit ihr auch meist nur wenig anzufangen und fühlt sich sogar leicht verlassen. Die Unverschämtheit ihrer geistigen Terrorisierung kommt ihr ebensowenig zum Bewußtsein, wie die empörende Mißhandlung ihrer mensddidten Freiheit, ahnt sie doch den inneren Irrsinn der ganzen Lehre in keiner Weise. So sieht sie nur die rücksichtslose Kraft und Brutalität ihrer zielbewußten Äußerungen, der sie sich endlich immer beugt . . . Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese sdrlagwortartig solange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag . . . Sowie durch die eigene Propaganda erst einmal nur der Schimmer eines Rechtes auch auf der anderen Seite zugegeben wird, ist der Grund zum Zweifel an dem eigenen Rechte schon gelegt. Die Masse ist nicht in der Lage, nun zu unterscheiden, wo das fremde Unrecht endet und das eigene beginnt . . . Die gefühlsmäßige Einstellung (der Masse) bedingt zugleich ihre außerordentliche Stabilität. Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Haß ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissensdtaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärts-jagenden Hysterie. Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft . . . Je bescheidener dann ihr wissenschaftlicher Ballast ist und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksidit nimmt, um so durchschlagender der Erfolg. Dieser aber ist der beste Beweis für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Propaganda und nidit die gelungene Befriedigung einiger Gelehrter oder ästhetischer Jünglinge . . . Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll. . .

Die junge Bewegung stand dabei vom ersten Tage an auf dem Standpunkt, daß ihre Idee geistig zu vertreten ist, daß aber der Schutz dieser Vertretung, wenn notwendig, auch durdt brachiale Mittel gesichert werden muß. . . In der ewig gleichmäßigen Anwendung der Gewalt allein liegt die allererste Voraussetzung zum Erfolge."

Totale Propaganda

Die nationalsozialistische Propaganda war eine „totale“ Propaganda; jede Möglichkeit einer Entwicklung wurde wahrgenommen —kein Gebiet des öffentlichen wie privaten Lebens, das sich nicht agitatorisch durchforsten ließ. In diesem Sinne hatte auch der Künstler — wie noch zu zeigen sein wird — seine „öffentliche Aufgabe“; „Wie es dem Soldaten nidtt erlaubt sein kann, zu schlagen und zu schießen, wann und wo er will, wie man es dem Bauern nicht gestatten darf, zu säen und zu ernten, was und wo er will“, so besitze — meint Goebbels am 25. Oktober 1936 in Weimar zur Eröffnung der „Woche des deutschen Buches“ — „auch der schreibende Mensch nicht das Recht, die Grenzen des Volkswohles zu sprengen, um sein individuelles Eigenleben auszuleben.“

Vorwiegend jedoch sollten Rundfunk und Presse die Hauptlast der Propaganda tragen; sie waren die Medien, mit Hilfe derer jede kleinste „Zelle" an das große Kollektiv angeschlossen werden konnte. In einer Ansprache an die Rundfunkintendanten (25. März 1933): „Wir sind heute die Herren von Deutschland, und an dieser Tatsache wird nichts mehr geändert . . . Der Geist der pöbelhaften individualistischen Massen-Anbetung wird ersetzt durch den Geist eines neuen Heroismus, eines Heorismus, der sich durchgekämpft hat in den Fabriken, in den Straßen, in den Städten, in den Provinzen, in den Ländern, im ganzen Reich, und der nun Kommunen, Länder und das Reich in seiner Hand hat. Dieser Geist wird auch in den Häusern des Rundfunks Einzug halten. Und es wäre nun naiv zu glauben, daß irgendein Mensch die Kraft oder die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen, zu glauben, er könne das sabotieren oder durch kleine Ranküne aufhalten oder behindern . . . Ich würde deshalb schon von vornherein wünschen mögen, daß jeder, der uns innerlich noch nicht hundertprozentig verstanden hat, dann, wenn er seinem Gefühl nicht folgt, wenigstens dem Gebot der Klugheit zu folgen. Denn er kann nichts daran ändern, das ist so und das bleibt so. Und so, wie sich die geistige Revolution auf dem Gebiet der Politik schon durdtgesetzt hat, so wie sie sich demnächst auf dem Gebiet der Wirtsdtaft durdisetzen wird, so wie sie das Kulturleben durdttränken muß, so wird sie audt die Rundfunkhäuser erobern.“ Von der Presse hieß es; „Die Idee und damit die Existenz der Presse beruht schlechthin nur darin, daß sie als Mittel der Volkserziehung Führungsmittel wird im Dienst des Staates und der Nation. Sie wird damit Kampfmittel und Kampftruppe in der Hand der Führung zum Einsatz bei dem Ringen um die Seele des einzelnen Volksgenossen.“ (Deutsches Kulturrecht, Hamburg 1936).

In diesem Sinne interpretierte auch Hitler am 10. November 193 8 in einer Rede vor der deutschen Presse die Aufgaben einer nationalsozialistischen Publizistik: „Das deutsche Volk muß erzogen werden zu dem absoluten, sturen, selbstverständlichen, zuversiditlichen Glauben: Am Ende werden wir alles das erreichen, was notwendig ist. Das kann nur gelingen durch einen fortgesetzten Appell an die Kraft der Nation, durch das Hervorkehren der positiven Werte eines Volkes und durch das möglidte Außerachtlassen der sogenannten negativen Seiten. Dazu aber ist es notwendig, daß gerade die Presse sich ganz blind zu dem Grundsatz bekennt, die Führung handelt richtig. Meine Herren, wir alle müssen für uns in Anspruch nehmen, die Genehmigung, Fehler zu machen. Auch Zeitungsmenschen sind vor dieser Gefahr nicht gefeit. Aber wir alle können nur bestehen, wenn wir der Welt gegenüber nicht gegenseitig die Fehler beleuchten, sondern wenn wir das Positive beleudtten. Das heißt mit anderen Worten, es ist notwendig, daß — ohne überhaupt die Möglichkeit von Fehlern zu bestreiten oder überhaupt zu diskutieren_ grundsätzlidt die Richtigkeit der Führung immer betont wird.“

Durch das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 und die entsprechenden Bestimmungen für den Rundfunk war die Publizistik sofort nach der Machtübernahme gleichgeschaltet worden. „Jetzt haben wir auch eine neue Handhabe gegen die Presse, und nun knallen die Verbote, daß es nur so eine Art hat.“ „ Ich fliege nachmittags mit dem Führer nach Stuttgart . . . Da wir in der Nacht nicht zurüdtfliegen können, lasse ich gleidt die verantwortlidten Herren vom Rundfunk im Hotel antan- zen und geige ihnen die Meinung in einer Art und Weise, daß ihnen Hören und Sehen vergeht. Gleich am anderen Tage sollen zwei von ihnen telegraphisch ihres Amtes enthoben werden. Jetzt wird den anderen wohl die Lust vergehen, uns durch Sabotage zu stören. Es scheint sich im übrigen in Deutschland noch nicht herumgesprochen zu haben, daß eine Revolution im Gange ist.“ Die „Sprachregelungen", die von da an regelmäßig auf den Pressekonferenzen ausgegeben wurden, bestimmten die Nachrichten-und Kommentargebung bis ins kleinste Detail hinein. An die Stelle einer gewissenhaften Information, Kritik, Meinungsäußerung trat die durch die Führung vorherbestimmte, oft auch schon vorherformulierte Weisung. Die Publizistik war zum Vollzugs-organ der NS-Propaganda geworden, zur Propagandamaschinerie.

Mit welcher Skrupellosigkeit die Propaganda das Volk und seine Gefühle manipulierte, zeigt die von Hitler am 10. November 1938 vor Pressevertretern gehaltene Rede auch noch in einem anderen Sinne. Hitler spricht davon, daß verschiedene Umstände dazu geführt hätten, daß das Jahr so erfolgreich verlaufen sei (Anschluß Österreichs, Abtretung des Sudetenlandes): außenpolitische wie wirtschaftliche Verhältnisse hätten die Entwicklung begünstigt. Besonderen Anteil am Erfolg aber habe die Propaganda: sie hätte es fertig gebracht, das Volk Schritt um Schritt auf das „Kriegsdenken“ umzustellen, nachdem man jahrelang notwendigerweise habe vom Frieden reden müssen. „Die Umstände haben midi gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter fortgesetzter Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, das deutsche Volk Stück für Stück zu befreien, um ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für einen nächsten Sdtritt als Voraussetzung notwendig war. Es ist selbstverständlidi, daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda audt ihre bedenklidten Seiten hat, und es kann nur zu leicht dahin führen, daß sich im Gehirn vieler Mensdten die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren. Das würde aber nicht nur zu einer falschen Beurteilung der Zielsetzung dieses Systems führen, sondern es würde vor allem audt dahin führen, daß die deutsche Nation, statt den Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein, mit einem Geist erfüllt wird, der auf die Dauer als Defätismus gerade die Erfordernisse des heutigen Regimes lähmen würde und lähmen müßte.

Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war deshalb notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm nach und nach zu sagen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht durch friedliche Mittel durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu aber war es notwendig, nicht etwa die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimmedes Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann, das heißt also, bestimmte Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde, wenn der Staat das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß man eben es mit Gewalt abstellen. So kann es aber auf keinen Fall bleiben.“

Mit Hilfe einer solchen Propaganda sollten nicht nur die Eingliederungen ehemals deutscher Gebiete vorgenommen werden; sie sollte auch den Krieg vorbereiten, zu dem Hitler von Anfang an entschlossen war. „Die Befreiung unterdrüchter abgetrennter Splitter eines Volkstums oder von Provinzen eines Reiches findet nicht statt auf Grund eines Wunsches der Unterdrückten oder eines Protestes der Zurückgebliebenen, sondern durch Machtmittel der mehr oder weniger souverän gebliebenen Reste des ehemaligen gemeinsamen Vaterlandes.“ („Mein Kampf“) Neben der wirtschaftlichen und militärischen Vorplanung der jeweiligen Einzel-oder Großaktion kriegerischer Art (eine Vorausschau $Hitler den Oberbefehlshabern des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe am 5. November 1937; „Hoßbach-Niederschrift"), war es Aufgabe der Propaganda, die entsprechende psychologische Aufput-schung vorzunehmen. Verhältnismäßig einfallsarm bediente man sich dabei konstruierter, fingierter oder provozierter „anti-deutscher Ausschreitungen“, die stereotyp aus den Ländern berichtet wurden, die als nächste der nationalsozialistischen Aggression zum Opfer fielen. Die „Aktion Grün“, die „Zerschlagung der Rest-Tschechei" etwa, sollte ausgelöst werden „durdi einen Zwischenfall in der Tschechei, der Deutschland Anlaß zum militärischen Eingreifen gibt. Die Bestimmung des Zeitpunktes dieses Zwischenfalls nach Tag und Stunde ist von größter Bedeutung. Er muß in einer für den Kampf unserer überlegenen Luftwaffe günstigen Großwetterlage liegen und der Stunde nach zweckmäßig so gelegt werden, daß er am X— 1 Tag mittags authentisch bei uns bekannt wird. Er kann dann spontan mit der Ausgabe des X-Befehls am X— 1 Tag 14 Uhr beantwortet werden." Dementsprechend wurden die Sprachregelungen für die Presse ausgegeben; Tag um Tag häuften sich die Greuel-Meldungen. Es ging darum, „zu zeigen, was für eine barbarisdie Nation die Tschedten sind, und daß dieser Staat unmöglidi ist. Die Außenpolitik interessiert weniger, sie gehört auf die dritte Seite.“ (Pressekonferenz vom 19. September 1938.) Ähnlich verlief die Vorbereitung des Polenfeldzuges, der dann zum Weltkrieg führen sollte. Hitler, der in einer Ansprache an die Ober-befehlshaber am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg seine Gegner als „kleine Würmchen“ bezeichnete und seiner Angst Ausdrude verlieh, daß ihm noch „im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Nermittlungsplan“ vorlege, ließ laufend in der deutschen Presse von antideutschen Ausschreitungen in Polen berichten, die zum größten Teil (wie der Angriff auf den Gleiwitzer Sender) von der NS-Führung selbst organisiert wurden; eine friedliche Lösung sollte allein dadurch schon unmöglich gemacht werden. Die künstlich geschaffene „Siedehitze nationalen Zornes“ war notwendig, um das Volk nach der Gewalt „sdtreien zu lassen“. „Aufmachung bleiben die polnischen Terrormeldungen“, hieß es in den Anweisungen an die deutsche Presse vom 29. August 1939. „Das Maß der Herausstellung der polnischen Terrormeldungen ist für das Ausland der Maßstab, an dem man die Festigkeit der deutsdten Haltung mißt. Es ist gleidtgültig, was von diesen Meldungen geglaubt wird oder nidtt, sie müssen die Aufmachung der Presse bestimmen, weil damit die Haltung der deutschen Politik kundgetan wird.“ Am 1. September gab man dann die Sprachregelung aus: „Keine Über-schriften, in denen das Wort , Krieg'enthalten ist. Der Rede des Führes zufolge . sMagen wir nur zurück'.“

Lüge und Phrase

Im Rahmen der nationalsozialistischen Propaganda spielte das gesprochene Wort eine sehr große Rolle. In der NS-Rhetorik lassen sich ein paar hervorstechende, immer wiederkehrende Züge feststellen.

Da ist zunächst die allgemeine Tatsachenscheu. Der Redner vermeidet es, entscheidenden Fragen auf den Grund zu gehen; er ersetzt das mangelnde Wissen oder die fehlende Bereitschaft, dieses Wissen kundzutun bzw. ein Problem gründlich zu durchdenken, durch Schlagworte, deren Gefährlichkeit vor allem darin liegt, daß in ihnen eine Halbwahrheit oder Viertelswahrheit enthalten sein kann. Diese Teilwahrheit aber wird verabsolutiert und als alleinige Wahrheit ausgegeben. Der nichtkritische, zum Denken nicht bereite „Volksgenosse“ läßt sich durch die Einfachheit des Vorgetragenen düpieren und glaubt, daß der Redner eine wahre Lösung bereit halte. So hat schon Jakob Burckhardt die Demagogen als terribles simplificateurs bezeichnet. In den Worten Hitlers lautet das: „]e bescheidener dann der wissenschaftliche Ballast der Propaganda ist, und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rüdtsicht nimmt, um so durdtschlagender wird ihr Erfolg sein.“

Der Mangel an Wahrheit und Gedankenfülle wie -tiefe wird beim NS-Propagandisten überdeckt durch eine eindrucksvolle Gestik (die Hitler bekanntlich vor dem Spiegel einstudierte und in Standphotos festhalten ließ) und eine gleichbleibende große Lautstärke, die auch das Banalste und Unwichtigste mit demselben Furor vorträgt. Hitler und die meisten der nationalsozialistischen Führer beanspruchten ihre Stimme bis jeweils an den Rand des Kreischens; auch ein Umkippen in den Diskant nahm man — offenbar bewußt — in Kauf. Schließlich werden durch die NS-Rhetorik immer wieder die gleichen Schlagworte und Wortverbindungen eingehämmert — eine Monotonie primitiver Begriffe und Phrasen, die kaum eine Abwandlung erfahren. Die Metaphern dienen den braunen Agitatoren dazu, die Wahrheit zu umgehen und den Zuhörer und Leser „ins Bild" zu setzen — ins falsche Bild auf Grund falscher Tatbestände.

Diese „Kunst“ mußte sich besonders verderblich auswirken bei der antisemitischen und antidemokratischen Propaganda, da gerade hier der deutsche Bürger durch tief verwurzelte Vorurteile bestimmt und so von vorneherein am Wahrheitsbeweis wenig interessiert war; leichtfertig akzeptierte er die bildreiche Abgründigkeit der NS-Demagogen.

Hitler erweist sich in „Mein Kampf“ als Meister des wort-verbre-

cherischen Metiers: „Sowie man nur vorsichtig in ein solches Gesdiwulst hineinschnitt, fand man plötzlich, wie die Made im faulenden Leibe, oft genug geblendet vom plötzlichen Lidtte, ein Jüdlein . . . Man bedenke, daß auf einen Goethe die Natur immer noch leicht zehntausend solcher Sdimierer der Mitwelt auf den Pelz setzt, die nun als Bazillen-träger sdilimmster Art die Seelen vergiften . . . Überhaupt war die sittlidie und sonstige Reinlichkeit dieses Volks ein Punkt für sich. Daß es sich hier um keine Wasserliebhaber handelte, konnte man ihnen ja schon am Äußeren ansehen, leider sehr oft sogar bei geschlossenem Auge. Mir wurde bei dem Gerüche dieser Kaftanträger später sogar manchmal übel. Dazu kam noch die unsaubere Kleidung und die wenig heldische Erscheinung . . . So wenig eine Hyäne vom Aas läßt, so wenig ein Marxist vom Vaterlandsverrat ... So wie der Engerling nichts anderes kann, als sich zum Maikäfer verwandeln, so verlassen diese parlamentarischen Raupen das große gemeinsame Puppenhaus und flattern flügelbegabt hinaus zum lieben Volke . . . Würde nicht die körperliche Schönheit heute vollkommen in den Hintergrund gedrängt durch unser lässiges Modewesen, wäre die Verführung durdt krummbeinige widerwärtige Judenbankerte gar nicht möglich.“

Der Primitive, bzw.derjenige, dessen Denken und individuelles Fühlen ausgeschaltet ist, saugt solche Bilder gierig in sich hinein, da sie ihm leicht und ohne Mühe zu einem Weltbild verhelfen: man „sieht“ alles vor sich — und somit muß es wahr sein: ein dicker Jude, der in einer Eiterbeule nistet, Parlamentarier als Raupen, Marxisten als Hyänen, widerwärtige Juden, die Hundertausende von schönen deutschen Mädchen verführen (.'). Auf solche Karikaturen waren auch die NS-Blätter, allen voran der „Stürmer" und das „Schwarze Korps“ ausgerichtet. Natürlich ging die NS-Propaganda auch im „Positiven“ allen Tatsachen möglichst weit aus dem Wege. Im Rahmen der optimistischen Fortschritts-Phraseologie ließ man sich nicht festlegen: man versprach allen alles und jedem jedes. Die utopistischen Versprechungen mußten vor 1933 gerade auf jene wirken, die durch die wirtschaftliche und politische Krise der 30er Jahre besonders schwer getroffen waren. Wahlaufrufe der NSDAP und ihre Parteiprogrammpunkte zeichneten sich durch eine allgemeine Verschwommenheit aus; das Tatsachen-vakuum wurde durch agitatorisch geschickt gewählte Meatphern „aufgefüllt“. „Hitler ist die Parole aller, die an Deutsddands Wiederauferstehung glauben . . . Hitler ist die letzte Hoffnung derer, denen man alles nahm . . . Hitler ist für Millionen das erlösende Wort . . . Hitler erfüllt das Vermächtnis von zwei Millionen toten Kameraden des Weltkriegs . . . Hitler ist der seinen Feinden verhaßte Mann aus dem Volk, weil er das Volk versteht und für das Volk kämpft . . . Hitler — das ist der stürmisdte Wille der deutschen Jugend, die inmitten eines müden Gesddedits nadt neuer Gestaltung ringt . . . Hitler wird siegen, weil das Volk seinen Sieg will!“ Ähnlich nichtssagend ist das 25-Punkte-Pro-gramm der NSDAP vom 24. Februar 1920. Konkret ist es nur dort, wo es sich um die geplante Ausrottungsund Vernichtungspolitik, um die Zerstörung des deutschen Rechts wie der deutschen Moral handelt.

Freilich werden selbst hier die Forderungen noch so geschickt getarnt, daß sich nur wenige damals vorgestellt haben dürften, zu welchen Folgen und Folgerungen die einzelnen Punkte führen sollten. „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutsdien Blutes ist, ohne Rüdtsidtt auf Konfession.

Kein Jude kann daher Volksgenosse sein . . . Wir fordern Er- satz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinredit . . . Die Lehrpläne aller Bildungsanstalten sind den Erfordernissen des praktisdren Lebens anzupassen. . . Sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutscher Sprache erscheinen, müssen Volksgenossen sein. . . Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits-und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. : .

An die Stelle nachprüfbarer Tatsachen setzt der NS-Propagandist gern die „mythische Lüge“ — gigantische Fälschungen, die allein durch ihre Größe aus psychologischen Gründen beim „Gläubigen" den Anschein der Wahrheit hervorrufen. So waren beliebte Propaganda-Schlager für die Nationalsozialisten die „Protokolle der Weisen von Zion“ (ein besonders plumpes Machwerk aus dem französisch-russischem Antisemitismus) und die „Dolchstoßlegende“, die der Verdrängung des nationalen Minderwertigkeitskomplexes entgegenkam. Vermaßte Menschen glauben an die Realität der sichtbaren Welt nicht mehr; sie entwickeln eine Einbildungskraft, die durch jegliches Gerücht und jegliche Fiktion in Bewegung gesetzt werden kann. „Massen werden so wenig durch Tatsachen überzeugt, daß selbst erlogene Tatsachen keinen Eindruck auf sie machen.“ (Hannah Arendt). Aus diesem Grunde konnten auch die „reinen Lügen“ der NS-Führer so erfolgreich sein, etwa die völlig sinnlosen und absurden Aushalte-und Siegesparolen während des Krieges, zu einer Zeit, da dieser bereits eindeutig verloren war. Man vertraute blind einem Manne, der seine offizielle politische Karriere mit einem Meineid, dem Legalitätseid auf die Weimarer Verfassung, begonnen hatte. — „Wer kann uns retten? Der Feind? Nein! Er läßt uns verelenden und verhungern. Der Führer? Ja! Er hat alle seine Versprechungen eingelöst. Er wird uns auch den Sieg bringen. Daher glaube und vertraue dem Führer“ heißt es in einem Aufruf des Gauleiters Holz in der „Fränkischen Tageszeitung“ am 14. April 1945, kurz vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Nürnberg. Und im „Kampfblatt für die Verteidiger Großberlins" am 29. April 1945 „Wo der Führer ist, ist der Sieg.“

Auch das Ausland ließ sich durch die notorische Verlogenheit Hitlers und seiner Führer-Elite immer wieder hinters Licht führen. N. Chamberlain etwa glaubte, durch offenes und entgegenkommendes Diskutieren der Probleme zu einer Lösung der ausstehenden Fragen auf der Basis eines Gentleman-Agreement zu kommen; in Wirklichkeit aber wurde die Ehrenhaftigkeit des englischen Premierministers nur schamlos ausgenützt, als Zeichen für die Schwäche Englands und des Westens überhaupt gewertet. Was die Infamie und Lügenhaftigkeit der nationalsozialistischen Außenpolitik betrifft, so ist die „Lösung der Tschechoslowakischen Frage“ ein besonders eklatantes Beispiel. Hitler hatte am 30. Mai 1938 seinen Entschluß im engsten Kreise kundgetan, „die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen"; am 15. September traf er mit Chamberlain auf dem Obersalzberg „gemäßigte“ Vereinbarungen; acht Tage später nahm er bei der Zusammenkunft in Godesberg seine Versprechungen zurück; die Sportpalastrede vom 26. September war die unverhüllte Aufforderung zum Krieg. „Das ist die neue Lage für Herr Benesch (Gelächter). Was hat der Mann in seinem Leben nicht alles versprochen und nichts hat er gehalten (Pftti-Rufe und Lachen) und jetzt soll zum ersten Mal von ihm etwas gehalten werden (stürmisches Lachen) . . . Herr Benesch wird nach zwanzig Jahren endlich zur Wahrheit gezwungen (Beifall und Lachen) . . . Nun treten zwei Männer gegeneinander auf, dort ist Herr Benesch und hier bin ich (minutenlanger Beifall; Sprechchor , Sieg Heil!') — nur daß wir zwei verschiedene Personen sind: als sich Herr Benesch in der Welt herumdrückte im großen Völkerringen, da habe ich als anständiger Soldat meine Pflicht erfüllt (minutenlanger Beifall) und heute stehe ich vor diesem Mann nun wieder als der Soldat meines Volkes (Stürmischer Beifall) ..." Auf Wunsch und Druck Mussolinis kam die Münchner Konferenz mit der bekannten Regelung — Abtretung des Sudetenlandes — zustande. Hitler erklärte, „daß in dem Augenblick, indem die Tschechen mit ihren anderen Minderheiten sich auseinandergesetzt haben, daß ich dann am tschechischen Staat nicht mehr interessiert bin. Und das wird ihm garantiert. Wir wollen gar keine Tschechen!“ Vier Wochen später wurde die geheime Weisung über die „Erledigung der Resttschechei" ausgegeben. Ähnlich inszenierte Hitler den Kriegsausbruch 1939. Am Abend des 29. August erklärte sich die deutsche Regierung bereit, Vertreter des polnischen Staates als Unterhändler mit absoluter Vollmacht am nächsten Tag zu empfangen — was eine technische und politisch-diplomatische Unmöglichkeit war. Als am 31. August der nationalsozialistische Außenminister dem englischen Botschafter die verhältnismäßig zurückhaltenden Forderungen Deutschlands im Hinblick auf eine Lösung der polnischen Frage vorlas, tat er es so schnell, daß der Vertreter Englands nicht folgen konnte; das Schriftstück wurde diesem nicht ausgehändigt. Die am Nachmittag des gleichen Tages erscheinenden Unterhändler Polens wurden nicht mehr akzeptiert; der „Führer“ hatte den Kriegs-befehl für den 1. September schon ausgegeben.

Pathos und Führerkult

Neben der allgemeinen Tatsachenscheu bzw.dem vorherrschenden Ersatz der Tatsachen durch Phrasen, ist die nationalsozialistische Rhetorik weiter gekennzeichnet durch ein Pathos, das seinesgleichen sucht. Dieses Pathos ist häufig sentimentaler Art, wobei wiederum die verschiedensten Nuancen zu unterscheiden sind.

Man beachte in diesem Zusammenhang, wie Hitler schon zur Eröffnung seines Buches „Mein Kampf“ in diesem Sinne seinen Lesern ans Herz und Gemüt zu gehen sucht. Er setzt seine zerütteten Familienverhältnisse ins Licht biedermeierlicher Verklärung: „In diesem von den Strahlen deutsdren Märtyrertums vergoldeten Innstädtchen, bayrisch dem Blute, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts meine Eltern; der Vater als pflichtgetreuer Staatsbeamter, die Mutter im Haushalt ausgehend und vor allem uns Kindern in ewig gleicher liebevoller Sorge zugetan ..." Da ist schon alles „drin", was einem in der Enge seiner freiwilligen oder aufgezwungenen Unbildung verkümmerten Spießer ans Herz griff; die in breiten Sentenzen dahinrollende wehmütige Erinnerung an die gute alte Zeit, die Idyllik des Familienlebens, die Mutterliebe, das Vaterglück, der Sohnesdank, der Anklang patriotischer Feierlichkeit. Das ist im Stil schief, Klischee, voller unstimmig-gefühlvoller Metaphern — einschließlich wirkungsvoller Partizipien. — Oder jene Stelle aus der Münchner Zeit, da Hitler als Spitzel der Reichswehr tätig war und beschlossen hatte Politiker zu werden. „Ich hatte mir die Spielerei angewöhnt, den Mäuslein, die in der kleinen Stube ihre Unterhaltung trieben, ein paar Stücklein harter Brotreste oder -rinden auf den Fußboden zu legen und nun zuzusehen, wie sich die possierlichen Tierchen um diese paar Leckerbissen herumjagten. Ich hatte in meinem Leben schon so viel Not gehabt, daß ich mir den Hunger und daher audt das Vergnügen der kleinen Wesen zu gut vorstellen vermochte.“ Auf dem Umweg über den Appell ans goldne Herz der Tierliebe sollen die Leser gewonnen werden; wenig später kann Hitler dann umso ungenierter über das „jüdische Ungeziefer“ toben, das ausgerottet werden müßte.

Ein Meister des sentimentalen Pathos war auch Goebbels — ein Organisator und Aufputscher der Massenseele, besonders befähigt für die Produktion von Hysterien und Ekstasen durch Wort-rausch. „Ein Revolutionär muß alles können“, heißt es in Goebbels „Aufsätzen aus der Kampfzeit“; „Beweis für revolutionäre Gesinnung ist nicht allein das Schlagen, sondern das Sdtlagen zur rechten Zeit. Bereit sein ist alles. In die Gefängnisse wandern, verboten und niedergeknüppelt werden, das kann schließlich jeder. Aber vulkanische Leidenschaften entfesseln, Zornesausbrüche wecken, Menschenmassen in Marsch setzen, Haß und Verzweiflung organisieren, mit eiskalter Berechnung, sozusagen mit legalen Mitteln, das unterscheidet den Revolutionär vom Revoluzzer. Ich weiß, das stinkt nach Kompromiß. Aber sagt mir einen anderen Weg, dem Feind an den Kragen zu gehen, und — wenn er zusdtlagen will — freundlich den Hut zu lüften und zu flüstern: Was habe ich dir Böses getan?“ Goebbels Aufsätze im „Angriff" sind Ausdruck dieses propagandistischen Wollens, zugleich eine einmalige Sammlung von abgegriffenen, unechten, aufgeschminkten Wortklischees. „Wir grüßen Euch, Ihr Toten. Deutschland beginnt neu zu glänzen int Morgenrot Eures Blutes. Wir schlagen den Scharlachwantel Eurer Hingabe um dieses geknechtete Volk, das selbst im tiefsten Unglück in seinen besten Söhnen, in Eudt, seinen königlichen Adel bewahrt. Soldaten der deutschen Revolution! Bindet den Helm fester! Im Totentanz klingt eine Fanfare. Trommeln schlagen hinein. Dumpf und schwer. In den Lüften klingt und schlägt es wieder. Die Armee der Toten gibt Antwort. Laßt dröhnen den Marschrhythmus der braunen Bataillone: Zur Freiheit! Das Heer der Toten marschiert mit Euch, Ihr Sturmsoldaten, in eine bessere Zukunft hinein.“ (7. Nov. 1927). „Einmal im Jahr kommt der Tag, da denken sie der toten Kameraden. Dann binden sie Trauerbänder um die leuchtenden Fahnen und legen grüne Kränze des Glaubens und der Hoffnung auf die einsamen Gräber. Sie nehmen die Mützen ab und heben die Hand zum Schwur. Sie sagen nicht was sie schwören, aber alle wissen sie es ... Und dann schmettern die Trompeten und im gleichen Schritt und Tritt marschieren sie wieder ins Leben hinein. Ins große, leuchtende Leben. In jenes Leben, das sie meistern und gewinnen wollen, indem sie es einsetzen. SA marschiert! Fahne hoch!“ (10. November 1929).

Als Musterbeispiel für die — Würde und Erhabenheit vortäuschende — beweihräuchernde Abart des sentimentalen Pathos, deren sich die Nationalsozialisten bei bestimmten Gelegenheiten (z. B. anläßlich von Staatsakten) gern bedienten, bietet sich der Kult an, den Hitler mit dem greisen Feldmarschall von Hindenburg trieb.

Höhepunkt dieses Kultes war der Tag von Potsdam (21. März 1933), da Hitler unter Glockengeläute und mit einem Frack, dem Zeichen bürgerlicher Honorigkeit, angetan, dem greisen Marschall über dem Grabe Friedrich des Großen entgegen trat — dem gleichen Manne, den er kurz vorher im Wahlkampf um das Reichspräsidentenamt verunglimpft hatte — und mit einer Fülle von Genitiven, Konjunktiven und Inversionen „seine Ehrfurcht zu Füßen“ legte. . . . „In unserer Mitte befindet sich heute ein greises Haupt. Wir erheben uns vor Ihnen, Herr Generalfeldmarschall . . . Sie erlebten einst des Reiches Werden, sahen vor sich noch des großen Kanzlers Werk, den wunderbaren Aufstieg unseres Volkes, und haben uüs endlich geführt in der großen Zeit, die das Schidtsal uns selbst miterleben und mit durchkämpfen ließ.“ „Heute, Herr Generalfeldmarschall, läßt Sie die Vorsehung Schirmherr sein über die neue Erhebung unseres Volkes. Dieses Ihr wundersames Leben ist für uns alle ein Symbol der unzerstörbaren Lebenskraft der deutsdren Nation. So dankt Ihnen heute des deutschen Volkes Jugend, und wir alle mit, die wir ihre Zustimmung zum Werk der deutschen Erhebung als Segnung empfinden. Möge sich diese Kraft auch mitteilen der nunmehr eröffneten neuen Vertretung unseres Volkes. Möge uns dann aber auch die Vorsehung verleihen jenen Mut und jene Beharrlichkeit, die wir in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raume um uns spüren, als für unseres Volkes Freiheit und Größe ringende Menschen zu Füßen der Bahre seines größten Königs.“ (Echter mag Hitlers Gefühl gewesen sein, als er beim Begräbnis Hindenburgs ins Mikrophon über Tannenberg hinwegrief — nun war das letzte Hindernis auf dem Weg zur Alleinherrschaft gefallen — „Und nun, toter General, tritt ein in Walhall!“)

Ein selbst in der Geschichte der nationalsozialistischen Propaganda einmaliges Beispiel für „frenetischen" Beifall und Massenekstase ist Goebbels'Sportpalastrede am 18. Februar 1943 gewesen. Mit kühler Berechnung und psychologisch geschickter Demagogie verstand es der Redner, wahre Beifallsorgien von minutenlanger Dauer hervorzurufen — wobei er in zehnfacher Wiederholung und Steigerung jeweils inhaltlich gleiche Fragen den Zuhörern vorlegte nach folgender Art: „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk habe den Glauben an den Sieg verloren.

Ich frage euch: Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen totalen Sieg des deutsdten Volkes? Idt frage euch: Seid ihr entschlossen, dem Führer in der Erkämpfung des Sieges durch dick und dünn und unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen zu folgen?

Viertens: Die Engländer behaupten, das deutsche Volk wehrt sidh gegen die totalen Kriegsmaßnahmen der Regierung. Es will nicht den totalen Krieg, sondern die Kapitulation. (Zuruf: Niemals! Niemals! Niemals!)

Ich frage eudt: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können? . . .

Ich frage euch neuntens: Billigt ihr, wenn nötig, die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern, die mitten im Kriege Frieden spielen und die Not des Volkes zu eigen-süchtigen Zwecken ausnutzen wollen? Seid ihr damit einverstanden, daß, wer sich am Krieg vergeht, den Kopf verliert? . . .

Zweitens: Die Engländer behaupten, das deutsdte Volk ist des Kampfes müde.

Ich frage euch: Seid ihr bereit, mit dem Führer als Phalanx der Heimat hinter der kämpfenden Wehrmacht stehend diesen Kampf mit wilder Entschlossenheit und unbeirrbar durch alle Schicksalsfügungen fortzusetzen, bis der Sieg in unseren Händen ist?

Drittens: Die Engländer behaupten, das deutsche Volk hat keine Lust mehr, sich der überhandnehmenden Kriegsarbeit, die die Regierung von ihm fordert, zu unterziehen.

Ich frage euch: Seid ihr und ist das deutsche Volk entschlossen, wenn der Führer es befiehlt, zehn, zwölf und, wenn nötig, vierzehn und sechs-zehn Stunden täglich zu arbeiten und das Letzte herzugeben für den Sieg?

Der Höhepunkt des Pathos wurde von den NS-Propagandisten in der Verherrlichung des „Führers“, Adolf Hitlers selbst, erreicht. „Das ist es, was diese Bewegung so eigenartig und für den Fernstehenden fast unverständlich macht — wie sie sich mit dem Namen des Führers grüßen, so sterben sie mit seinem Namen auf den Lippen“, schrieb der 1945 nach Ägypten entflohene Johann von Leers. „Warum liebt der deutsche Mensch Adolf Hitler? Weil er sich bei ihm geborgen fühlt! Der Führer nimmt ihm seine Sorgen ab und gibt ihm Kraft!“ meinte Robert Ley. Dieser Führerkult, der in Anbetung und Vergötzung eines Idols als Ersatzreligion diente, war zugleich der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Man mag dabei an die Fragebogen denken, die man BDM-Führerinnen vorlegte — „Ist Gott oder Hitler größer, mächtiger und stärker?“; an die verdrängten Gefühle vieler „deutschen Frauen“ die in Hitler bei einer sehr starken erotischen Bindung eine pseudo-religiöse Offenbarung zu erleben glaubten. Daß aber diese Hysterie, denn anders läßt sich die grenzenlose Verehrung eines selbst Manisch-Besessenen nicht bezeichnen, allgemein fast aufs ganze Volk Übergriff, läßt uns im Dritten Reich ein einmaliges Kapitel in der Geschichte des Massenwahns sehen.

In seinen „Gesammelten Reden“ sagt Hans Schemm vom „Führer“: „Adolf Hitler hat zum erstenmal ein ganzes Volk für die kosmischen Einwirkungen empfänglich gestaltet, und nun, da unser deutsches Volk die ewigen Harmonien in immer intensiverer Weise willig in sich hineintrinkt, wird es auch in den kommenden Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten immer befähigter werden, sein Leben und Wirken dem Kosmos entsprechend, sich nach oben entwickelnd zu gestalten."

Oder — als ein anderes Beispiel — Ausführungen der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink (in einem Vortrag vor der Politischen Akademie): Angelesen Volkskundliches über das „Gewordensein des deutschen Volksgutes und Blutes“ verbindet sie mit Kochrezepten im Rahmen des Vierjahresplans („ . . . nun werden wir einmal Küchen-zettel auftsellen, in denen wir eben am Abend Kartoffel kochen und schöne Sachen dazu machen . . . das Fleisch denen lassen, die durch harte Schwerarbeit eben darauf angewiesen sind . . das Ganze gipfelt in der Beweihräuscherung des Führers: „Daß, wenn wir doch nur bedächten, was Gott dem Führer, was er jedem einzelnen von uns Tag für Tag rein an körperlichen und seelischen Kräften schenkt, wir sagen müßten, daß das allein schon ein unendlicher Beweis der Liebe und des Segens Gottes sei, für den wir froh und dankbar sein müßten."

„Dem Führer habt ihr alles zu danken, die Lohntüte, den blauen Himmel über euch, überhaupt das Leben“, hieß es in der NS-Frauen-warte: und ein Gebet der von der NSV betreuten Kinder lautete: „Führer, mein Führer, von Gott wir gegeben, beschütz und erhalte noch lange wein Leben! Hast Deutschland gerettet aus tiefster Not, Dir danke ich heute wein täglich Brot. Bleib lange nodt bei wir, verlaß mich nicht, Führer, mein Führer, wein Glaube, wein Licht! Heil mein Führer!“

Baldur von Schirach dichtete: „Das ist an ihm das Größte, daß er nicht nur unser Führer ist und vieler Held, sondern er selber, gerade, fest und schlicht, daß in ihm ruhn die Wurzeln unsrer Welt und seine Seele an die Sterne strich, und er doch Mensch blieb, so wie du und ich.“

In einer Rundfunkrede (25. Juni 1934) verkündete Rudolf Heß: „Mit Stolz sehen wir: Einer bleibt von aller Kritik ausgeschlossen, das ist der Führer. Das kommt daher, daß jeder fühlt und weiß: Er hat immer recht und er wird immer recht haben. In der kritiklosen Treue, in der Hingabe an den Führer, die nach dem Warum im Einzelfalle nidtt fragt, in der stillschweigenden Ausführung seiner Befehle liegt unser aller Nationalsozialismus verankert.“

Und selbst am 31. Dezember 1944 (!) schrieb Goebbels noch in der Wochenzeitung „Das Reich“: „Hitler ist der größte unter den Persönlichkeiten, die heute Geschichte machen; ihnen allen steht er weit voran in der Voraussicht der Dinge, die kommen. Er überragt sie nidtt nur an Genie und politisdiew Instinkt, sondern auch an Wissen, Charakter und Willenskraft Nie kommt ein Wort der Falsdtheit oder einer niedrigen Gesinnung über seine Lippen. Er ist die Wahrheit selbst. Er hat den sechsten Sinn, das heißt, die Gabe, zu sehen, was den Augen anderer Menschen verborgen bleibt ... Er ist das Wunder der Deutschen; er allein ist das Unerklärlidte, das Geheimnis und der Mythos unseres Volkes. Der große Empörer gegen eine lügenhafte feindliche Welt, gegen die Welt der Phrase und des falsdten Scheins schreitet er unter dem Donner der Schlachten der Vollendung seines geschichtlichen Werkes entgegen.“

Akustische und optische Mittel

Neben der im Wort und durch das Wort sich vollziehenden Agitation verwendeten die Nationalsozialisten im Rahmen ihrer Propaganda eine Reihe akustischer und optischer Mittel, die das rhetorische Bemühen vorbereiten, begleiten oder ihm nachfolgen sollten. Diese Mittel waren vor allem auch dazu geeignet, die Menschen in ein Kollektiv umzuformen, ohne das der NS-Redner nicht auskommen konnte. Dabei war es wichtig, daß die Beeinflussung stetig und mit großer Intensität erfolgte, der Volksgenosse nie zur Ruhe kam und innerhalb der ihm auferlegten oder freiwillig vollzogenen Aktivität immer seelisch erreichbar blieb. ’ Die vielen Organisationen der Partei und der angeschlossenen Formationen sorgten dafür, daß eine „propagandistische Beruhigung“ nicht eintreten konnte. Eine Vielzahl von Partei-Feiern und -Gedenktagen taten zudem ein Zusätzliches im Sinne der angestrebten Volksvermassung. Das NS-Feierjahr zeigte als besonders wichtige Daten: 30. Januar, Tag der Machtergreifung; Heldengedenktag und Verpflichtungstag der Jugend im März; Geburtstag Hitlers am 20. April: Nationaler Feiertag des deutschen Volkes am 1. Mai; Muttertag am 2. Maisonntag; Sommersonnwende; Reichsparteitag im September; Erntedanktag; Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung am 9. November; Wintersonnwende; Volksweihnacht.

Auch die Freizeit wurde durchorganisiert. Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ arbeitete nach dem Grundsatz „daß sinn-und zweckvolle Freizeitgestaltung nur dort möglich ist, wo das Prinzip der Gemeinschaft gewahrt ist. Freizeitgestaltung , privat', die sich beschränkt auf das egoistisch individualistische , lch‘, hat für die Gesamtheit eines Volkes und der Menschheit keinen Sinn und Wert. Erst in das Leben der Gemeinschaft eingefügt, hat Freizeitgestaltung positiven Sinn und Wert, weil sie nun zum Erlebnis lebendiger Gemeinschaft führt, aus dem Neues, Zukünftiges geboren wird.“ (H. Krapfenbauer: Die sozialpolitische Bedeutung der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, Zirndorf 1937.) So gab es in der KdF Ämter für Reisen. Wander, Urlaub, für Würde und Schönheit, für körperliche Ertüchtigung, Sport, Werken, Feierabend (!) etc. in „gemeinschaftsförderndem“ Sinne. Wer die Zeitung aufschlug, konnte sich auch in fast jeder Nummer von der erfolgreichen Arbeit der anderen Organisationen überzeugen. Es gab wohl keine Gruppe, keinen Verein, der nicht irgendwie gleichgeschaltet und ans ideologische Zentrum angeschlossen war: der deutsche Kaufmanns-, Bienenzucht-und Kaninchenzuchtverein; der NS-Studenten-und NS-Fliegerbund; die braunen Sportler, Jäger, Fischer, Angler, Radfahrer und Briefmarkensammler; der Bund der Kinderreichen, und der Bund der Hobbyisten — alle standen im Zeichen des Hakenkreuzes.

Die Stätten und Orte, da die Trupps und Formationen bei größeren Veranstaltungen zusammenkamen, waren sorgsam ausgewählt: sie sollten entweder besonders feierlich-bedrückend und ehrfurchtsgebietend wirken (der große Remter der Marienburg, der Quedlinburger Dom, der Römer in Frankfurt), oder — was viel wichtiger war — die zusammengekommenen Menschen möglichst eng aneinander drängen („Aufrükken!"); damit war im wörtlichen wie übertragenen Sinne der „Raum“ zur individuellen Entscheidung (des Weggehens etwa) verloren gegangen. Außerdem ist eine eingeferchte Menschenmenge, wenn sie dann entsprechend mit Worten, Scheinwerfern, Spruchbändern, Musik bearbeitet wird, besser für den Vermassungsvorgang disponiert. „Die Gemeinschaft der großen Kundgebung ... stärkt nicht nur den einzelnen, sondern sie verbindet auch und hilft mit, Korpsgeist zu erzeugen. . .. Wenn er aus seiner kleinen Arbeitsstätte oder aus dem großen Betrieb, in dem er sich recht klein fühlt, zum ersten Male in die Massenversammlung hineintritt und nun Tausende und Tausende von Menschen gleidter Gesinnung um sich hat, wenn er als Suchender in die gewaltige Wirkung des suggestiven Rausches und der Begeisterung von drei-bis viertausend anderen mitgerissen wird, wenn der sidttbare Erfolg und die Zustimmung von Tausenden ihm die Richtigkeit der neuen Lehre bestätigen und zum erstenmal den Zweifel an der Wahrheit seiner bisherigen Überzeugungen erwecken — dann unterliegt er selbst dem zauberhaften Einfluß dessen, was wir mit dem Wort Massensuggestion bezeidmen. Das Wollen, die Sehnsucht, aber audt die Kraft von Tausenden akkumuliert sich in jedem einzelnen. Der Mann, der zweifelnd und sdtwankend eine soldte Versammlung betritt, verläßt sie innerlich gefestigt: er ist zum Glied einer Gemeinschaft geworden.“ (Adolf Hitler in „Mein Kampf“.)

Besonders wichtig war die Geräuschkulisse von Beifall, Gelächter, Begeisterung; die bestellten oder freiwilligen Claqueure, die den Großveranstaltungen abhörbare und damit evidente Resonanz gaben, förderten die Hysterie des Publikums und damit die Ausschaltung individueller Reaktionen.

Richtig angesetzte Marschrhytmen versetzten auf rein motorische Weise die Menschen in einen triebhaft-reflexartigen Zustand latenter Aggressionsbereitschaft. Die musikalische Bewegung verführte zum Mit-marschieren in den Reihen der „Bewegung"; vor allem aber sollte die Marschmusik den Menschen über schwierige und schwere Situationen propagandistisch hinwegtäuschen — also z. B. in Krisen-und Kriegszeiten ihn nicht zu Sorge, Angst, Vorsicht kommen lassen; dabei erwies sich der Einsatz überdimensionaler musikalischer Mittel besonders wirksam bei dem Versuch, die nationale und kämpferische Begeisterung zu erhalten. Die Schallplatte mit dem Fanfarenruf der Sondermeldung war von einem hundert Mann starkem Blasorchester bespielt worden. Nach einer Vorankündigung erklang zunächst mehrere Minuten lang — zur Einstimmung — Blasmusik; nach der Meldung erscholl der Marsch des jeweiligen Kriegsschauplatzes, auf dem der Erfolg erzielt worden war; bei Niederlagen, die gelegentlich (Stalingrad!) durch Sondermeldung bekannt gegeben wurden, ertönten Trauermärsche. Bei Siegen von großer Bedeutung spielte man noch die Nationalhymne und nach einer Funk-stille von drei Minuten wieder Marschmusik.

Was die optischen Mittel betrifft, so spielten Scheinwerfer eine große Rolle; gleißendes und grelles Licht erwies sich als gutes Stimulans für die Erregung frenetischen Beifalls und wilder Haßausbrüche. Hitler hatte sich ein Rednerpult in fünffacher Ausführung anfertigen lassen, von dem er aus durch einen Signalknopf die Scheinwerfer in der Licht-stärke regulieren und die Filmberichter zur Aufnahme veranlassen konnte.

Für Veranstaltungen im Freien eigneten sich im besonderen flackernde und lodernde Flammen, aus riesigen Gefäßen gespeist — wodurch den angetretenen oder vorbeimarschierenden Formationen der Schein des Gewaltig-Erregenden verliehen werden sollte.

So wurde für die Vereidigung der neu ernannten politischen Leiter, die auf dem Königlichen Platz in München stattfand, stets von den NS-Regisseuren die Nacht gewählt. Während die Fahnen von den Scheinwerfern immer wieder angestrahlt wurden, die Trommeln dröhnten, die Fanfaren schmetterten, die Kolonnen aufmarschierten, entzündete man riesige Flammen in den Pylonen der Ehrentempel und der rundum verteilten Feuerpfannen. Der angetretenen Mannschaft sollte der Eidschwur „ins Herz gebrannt werden".

Besonders beliebt waren natürlich auch Fackelzüge. Vom Fackelzug anläßlich der Berufung Hitlers zum Reichskanzler (Hindenburg sah von seinem Fenster aus mit Begeisterung auf die marschierenden Kolonnen) berichtet Goebbels in seinem Tagebuch (30. 1. 1933): „Und dann beginnt der Fackelzng. Endlos, endlos, von 7 Uhr abends bis 1 Ukr nachts ntarsdiieren unten an der Reichskanzlei die Menschen vorbei. SA-Männer, SS-Männer, Hitler-Jugend, Zivilisten, Männer, Frauen, Väter, die ihre Kinder auf dem Arm tragen und zum Fenster des Führers emporheben. Es herrscht ein unbeschreiblicher Jubel. Hundertausende und Hundertausende ziehen im ewigen Gleichschritt unten an den Fenstern vorbei. Das ist der Aufbruch der Nation! Deutschland erwacht!“

Einen „mitreißenden Anblick" sollten überhaupt angetretene und vorbeidefilierende Kolonnen geben. Die in 8er oder 12er Reihen marschierenden Verbände wirkten „gigantisch“ und forderten dadurch zur Begeisterung heraus. Anfangs schien dieses ewige Marschieren eine merkwürdige Marotte des Nationalsozialismus: Nachtmärsche, Tag-märsche, Stemmärsche, Marschieren zu jeder Zeit und aus jedem Grund. Doch war damit eine richtige massenpsychologische Erkenntnis verwirklicht worden: Marschieren lenkt ab vom Denken und Überlegen, es tötet die Individualität — erweist sich als eine Art Zauberritus, der die Mechanisierung und Uniformierung der Menschen heraufbeschwört: „Die deutsche Nation“, meinte ein NS-Funktionär, „ist eben drauf und dran, endlich einmal ihren Lebensstil zu finden, einen Lebensstil, der sich grundsätzlich von dem untersdceidet was man britischen Liberalismus nennt. Es ist der Stil einer marschierenden Kolonne, ganz gleich wo und zu welchem Zweck diese marschierende Kolonne eingesetzt sein mag.“

Geometrische Spielereien waren gleichermaßen beliebt. So zogen etwa zur Feier des 1. Mai 1938 die angetretenen BDM-Mädchen in Berlin zu Tausenden ihre Kletterwesten aus und ließen dadurch in riesigen, aus weißen Blusen gebildeten Lettern das Wort „Großdeutschland“ entstehen. 1939 hieß das so gezeigte Gelöbnis der Jugend an Hitler: „Wir gehören Dir“. All das wurde als „unvergeßliches Erlebnis" in Erinnerung behalten.

Neben den Spruchbändern, die reichlich, aber mehr sekundär Verwendung fanden, war es vor allem der Anblick der „Fahne", der in einer Art Fetischismus die Menschen der Vernunft berauben und ihre Gefühle und Triebe organisieren sollte. Eine schier unerschöpfliche Vielfalt von Fahnen kam in Frage — Sturmfahnen, Blutfahnen, Standarten, Wimpel, Banner, Transparentfahnen etc., mit immer neuen Bezeichnungen, Symbolen, Runen, Etikettierungen. Schon 1933 marschierten in Nürnberg auf der Zeppelinwiese am 2. September mit den 150 000 Amtswaltern nicht weniger als 10 000 Fahnenträger auf und hüllten die Tribüne, über die ein silbern glänzender Hoheitsadler 25-Meter weite Schwingen breitete, in „flammendes Rot".

Das psychologisch aufreizende Rot der NS-Fahnen wurde mystisch verehrt, in pseudoreligiösen Riten geradezu angebetet: rot sei die Fahne, rot das Blut der Blutzeugen — „Das Blut, das sie vergossen haben, ist Taufwasser geworden für das Reich“, sagte Hitler vor „Alten Kämpfern“ im Bürgerbräukeller 1934.

Vom Hakenkreuz schrieb Rosenberg im „Mythos des 20. Jahrhunderts“: „Wird dies Zeichen entrollt, so ist es Gleichnis für altneuen Mythos. Die es schauen, denken an Volksehre, an Lebensraum, an nationale Freiheit und soziale Gerechtigkeit, an Rassenreinheit und lebenserneuernde Fruchtbarkeit.“ In „Mein Kampf“ entwickelte Hitler seine eigene und eigenwillige Farbensymbolik: „Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung, im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der sdtaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird.“

Die Feier sollte in erster Linie Fahnenfeier sein, Gottesdienst vor dem „heiligen Tuch der Bewegung“. Ein Josef Bauer gibt z. B. in der NS-Broschüre „Feiern des Jahres“ folgende bezeichnende Richtlinien: „Wenn der Weg nicht weit ist, soll der Anmarsch zum Fahnenmast Schweigemarsch sein, Sammlung. Feier unter der Fahne kennt keine besondere Dekoration. Der Tag und die Nadtt, Sonnenlicht und Wolkenschleier, Sturm und Stille, sommerliche Fülle und verschneite Flur sind ja doch nicht zu überbieten und geben Stimmung genug . .. Zur Führerfeier im Innenraum gehören Bild oder Büste Adolf Hitlers, ein paar Blumen fehlen wohl nirgendwo. Und die Fahne muß da sein, das Symbol, in dem wir uns alle finden. Ein Wimpel mitten in einer Kinderschar bindet diese schon zusammen und kann gelegentlich genügen. Im übrigen gilt hier, was allgemein zu gelten hat: Hineinsuchen und Hineintasten in den Sinn der Stunde, sich anwehen lassen von ihrem Geist und Gehalt, ehrlich Stellung dazu nehmen, dann anerkennen ohne Hinterhalt, bejahen ohne Pathos, ehrfürchtig sein!“

Konzentration der Propagandamittel

Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich hatte — vor allem durch die methodische Arbeit von Goebbels — eine erstaunliche Perfektion erreicht: die Propagandamaschinerie lief bis in die letzten Tage des Nationalsozialismus hinein auf Hochtouren und ohne größere Pannen. Die Planung der großen effektvollen Ereignisse (des Potsdamer Tages, der Olympiade, der Reichstagssitzungen, vor allem der Parteitage) war bis ins letzte Detail durchgeführt und lief wie am Schnürchen ab. Eine genaue Betrachtung dieser „Höhepunkte" zeigt auch, mit welchem Raffinement die einzelnen Elemente und Methoden der Propaganda miteinander verflochten und zusammen zum „Einsatz" gebracht wurden.

Als der Tag von Potsdam, der vor aller Welt den Führer in seiner neuen Rolle als Reichskanzler und Biedermann herausstellen sollte, geplant wurde, erließ Goebbels den folgenden bezeichnenden Aufruf: „Am Dienstag, den 21. März 1933 tritt auf dem geheiligten Boden von Potsdam der vom deutschen Volk gewählte neue Reichstag zum ersten Male zusammen. Die Abgeordneten versammeln sidt in der Garnisonskirche, um an der geschichtlidt geweihten Ruhestätte unserer gro ßen preußischen Könige Bekenntnis für die Einheit und für die Freiheit des deutschen Volks und Reiches abzulegen . . . Männer und Frauen, zeigt Eure Freude und innere Ergriffenheit über das große historische Gesdtehen, das sich in diesen Wochen in Deutschland abspielt, indem Ihr an den nationalen Feiern, die aus Anlaß des Zusammentritts des Reichstags in Potsdam, in Berlin und im ganzen Reich stattfinden, tätigen Anteil nehmet. Beflaggt Eure Häuser und Wohnungen mit den stolzen schwarz-weiß-roten und Hakenkreuzfahnen und legt damit Bekenntnis ab für die Wiedergeburt der deutschen Nation.“ Goebbels wußte, was gerade an diesem Tage zu erreichen war, und er legte deshalb größten Wert auf seine propagandistische Ausgestaltung: Durch eine Kombination von bürgerlicher Gediegenheit, prunkvoller Machtentfaltung, national-preußischen Stolzes — das ganze in eine sentimental-pathetische Reportage gefaßt (die Rundfunksprecher waren sorgfältig ausgewählt) — konnte der größte Teil des Volkes erfaßt werden; untermalt von Trommeldröhnen und Marschmusik, dem Klang der Kir-

chenglocken und dem Glockenspiel „Üb immer Treu und Redlichkeit" sollte das Ganze — wie der Tagebucheintrag vom 27. Februar 1933 ver-merkt — „als eine herrliche Schau in ganz Deutschland abrollen". Am 2. März schrieb Goebbels: „Wir stecken tief in den Vorbereitungen für den Tag der erwachenden Nation; wir werden in einer noch nie dagewesenen Konzentration alle unsere Propagandawöglichkeiten ausspielen. Das ganze deutsche Volk wird daran Anteil nehmen.“ Am 18. März: „Der Potsdamer Tag geht in Ordnung. Er wird von nachhaltiger Wirkung sein.“ Am 19. März: „Ich orientiere mich in Potsdam an Ort und Stelle, ob alle Vorbereitungen getroffen sind. Bei solchen großen Staatsfeiern kommt es auf die kleinsten Kleinigkeiten an.“ Am 22. März: „Der große Tag von Potsdam wird unvergeßlich sein in seiner historischen Bedeutsamkeit. Dann spricht der Führer. Er redet mit harter und bezwingender Eindringlichkeit. Am Schluß sind alle auf das tiefste erschüttert. Ich sitze nahe bei Hindenburg und sehe, wie ihm die Tränen in die Augen steigen. Alle erheben sich von ihren Plätzen und bringen dem greisen Feldmarschall, der dem jungen Kanzler seine Hand reicht, jubelnde Huldigungen.“

Was die Parteitage in Nürnberg betrifft, so sollten sie — nach der Parteiterminologie — „ein Hochzeitsfest mit dem deutschen Volk sein.“ Tagelang standen Mitwirkende wie Beobachter unter dem konzentrierten Bombardement propagandistischer Mittel, akustischer, optischer und rhetorischer. Am ersten Tag erfolgte (wie bei einer WagnerOper) der Einzug des Führers: Wenn er von der Burg herab im großen offenen Wagen fuhr, neben dem Fahrer stehend, „brandete ihm ein unbeschreiblicher Jubel“ entgegen. Jedes kleinste Plätzchen war gefüllt, überall Menschen, die aus allen Fenstern und Gucklöchern heraus, von jedem Dadi, Monument, Brunnen etc. herabschauten und wie Zehntausende, die die Straßen säumten, ihm „Begeisterungswogen entge genschleuderten". 7— 8 Stunden dauerte dann der Vorbeimarsch der SA und der anderen Verbände. Bei der Eröffnung in der Luitpoldhalle, am 2. Tag, war die ganze Halle mit weißer Seide ausgeschlagen. Von der tiefrot gehaltenen Stirnwand, vor der ein Podium für die gesamte hohe Führerschaft der Partei errichtet war, leuchtete ein eichenlaubumkränztes, goldenes Hakenkreuz. Der „Führer" betrat die Halle unter den Klängen der Fanfaren und des Badenweiler Marsches; unter brausendem Zuruf schritt er zum Podium. Dann wurden — während das „Reichssymphonieorchester“ einen Wagnermarsch spielte — Hunderte von Fahnen und Standarten, voran die Blutfahne, in den Raum getragen. Die Standarten bezogen — angestrahlt von den Scheinwerfern — an der Stirnwand Posten. Das Niederländische Dankgebet wurde — begleitet von Orgelklängen — angestimmt. (Vgl. Karlheinz Schmeer: Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich, München 1956.) „Erstaunlich und nicht zu beschreiben ist die Atmosphäre der allgemeinen Begeisterung, in die die alte Stadt eingetaucht ist“, notierte selbst ein so kritischer Beobachter wie Andre Froncois Poncet, der französische Botschafter in Berlin; „dieser eigenartige Rausch, von dem Hunderttausende von Männern ergriffen sind, die romantische Erregung, mystische Ekstase, eine Art heiliger Wahn, dem sie verfallen. Während acht Tagen ist Nürnberg eine Stadt, in der die Freude herrscht, eine Stadt, die unter einem Zauber steht, ja fast eine Stadt der Entrückten. Diese Stimmung, verbunden mit der Schönheit der Darbietungen und der großzügigen Gastfreundschaft, die man bietet, beeindruckt die Ausländer stark und das Regime verfehlt nie, sie zu seiner jährlichen Tagung einzuladen.“

Die öffentlichen Verleumder

Es gibt ein Gedicht von Gottfried Keller, das seinerzeit im Dritten Reich von den Oppositionellen verbreitet und immer wieder vervielfältigt worden ist; es gibt in visionärer Schau ungemein eindrucksvoll und realistisch auch Wesen und Methode, Absicht und Ziel der NS-Propaganda wieder, so daß es zum Schluß als eine Art Resume zitiert werden kann: „Ein Ungeziefer ruht in Staub und trocknem Schlamme verborgen, wie die Flamme in leichter Asche tut.

Ein Regen, Windeshauch erweckt das schlimme Leben und aus dem Nichts erheben sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt ein Schächer, um zu schweifen; nach Beuteln möcht er greifen und findet bessern Wert:

er findet einen Streit um nichts, ein irres Wissen, ein Banner, das zerrissen, ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht, die Leere dürft’ger Zeiten, da kann er schamlos schreiten, nun wird er ein Prophet;

auf einen Kehricht stellt er seine Schelmenfüße und zischelt seine Grüße in die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht gleichwie in einer Wolke, ein Lügner vor dem Volke, ragt bald er groß an Macht mit seiner Helfer Zahl, die, hoch und niedrig stehend, Gelegenheit erspähend, sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort, wie einst die Gottesboten getan mit den fünf Broten, das klecket fort und fort! Erst log allein der Hund, nun lügen ihrer tausend;

und wie ein Sturm erbrausend, so wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat, verwandelt sind die Lande, die Menge lebt in Schande und lacht der Schofeltat! Jetzt hat sich auch erwahrt, was erstlich war erfunden: die Guten sind verschwunden, die Schlechten stehn geschart.

Wenn einstmals diese Not lang wie ein Eis gebrochen, dann wird davon gesprochen wie von dem schwarzen Tod; und einen Strohmann baun die Kinder auf der Heide und brennen Lust aus Leide und Licht aus altem Graun.“

Fussnoten

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