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Lenin und Clausewitz | APuZ 7/1961 | bpb.de

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APuZ 7/1961 Lenin und Clausewitz Leben in Workuta

Lenin und Clausewitz

SCHMITT WALTHER E

1. Die Politik der Revolution als Kriegführung

1. 3. Revolution Die Der Aktion Psychologische Kriegführung als 2. 4. Inhalt Die Politik der Kriegsführung „doppelte Art des Krieges“ Krieg als fortgesetzte

Es ist eine bekannte Tatsache, daß Lenin in seinen Schriften und Reden im Zusammenhang mit seiner Revolutionslehre gerne militärische Begriffe verwendete. Man mag darin eine stilistische Eigenart sehen, der Wahrheit näher dürfte man aber kommen, wenn man gerade auch in dieser Übertragung militärischer Vorstellungen auf die Politik einen Ausdruck dafür erkennt, daß für Lenin das Wesen der Politik weder in demokratisch zu handhabenden Interessensausgleichen noch in einer Berufsbetätigung von Staatsbeamten bestand, sondern in einer Kriegführung mit revolutionären Mitteln, mit der Bildung unerbittlicher Fronten und dem Ziel der Vernichtung des Gegners und der totalen Machteroberung. Die Verwendung militärischer Begriffe erleichterte ihm die Vermittlung dieser Grundhaltung an andere. Vor allem verdeutlichte er dadurch dem Arbeiter, an den er sich wandte, die besondere Stellung und Aufgabe, die dieser im „Klassenkampf" zu übernehmen hat, und machte ihm zugleich die Gebote unbedingter Disziplin und jederzeitiger Einsatzwilligkeit plausibel.

Aber noch mehr. Die Anwendung militärischer Begriffe und Vergleiche auf die innerpolitischen Auseinandersetzungen läßt den Über-gang vom zivilen Klassenkampf zum bewaffneten Aufstand und zur Machtergreifung mit Waffengewalt nicht mehr als ordnungswidrig, sondern als selbstverständlich und logisch erscheinen. Ein Soldat ohne Waffen ist kein Soldat. Ein Klassenkämpfer, der stets als Soldat und Angehöriger einer proletarischen Armee angesprochen wird, muß schließlich wie von selbst und auch ohne politische Beweisführung dazu kommen, nach Waffen zu verlangen. Die Bewaffnung der Arbeiter in der Revolution ist daher die logische Konsequenz der agitatorischen Methode, die Belegschaften schon bei Streiks und Lohnkonflikten als Stoßtruppen des Proletariats anzusprechen.

Endlich lag in der Übertragung militärischer Verhältnisse auf die bolschewistische Partei für Lenin selbst noch eine besondere Bedeutung. Denn wie eine Armee auf Disziplin und Gehorsam ruht, so setzt sie Befehlsgewalt und operative Planung voraus. Indem Lenin den Arbeiter zum Soldaten der Revolution machte, wuchs er selbst in den Augen seiner Anhänger in die Rolle eines Befehlshabers der Revolution hinein. Das Wort des Parteiführers erhielt militärischen Rang.

Militärische Begriffe schon in den Frühschriften

Die militärischen Begriffe tauchen in den Veröffentlichungen Lenins schon früh auf. Die Idee vom „Klassenkampf" ist ja an sich schon militärischer Art und die dabei von Lenin verlangte „deutliche Abgrenzung des Proletariats von jeglicher Bourgeoisie“ (L. I, 7 1) vermittelt bereits die Vorstellungen von Front und Truppe. Das „Proletariat" tritt damit als die Infanterie des Klassenkampfs auf die historische Bühne und sieht sich hier alsbald gezwungen, „iw Feuer des Kawpfes Feind von Freund zu scheiden und die sd-tlechten Bundesgenossen von sich abzuschütteln, uw entscheidende Schläge gegen den Feind zu führen." (L. I, 81).

Solange die revolutionäre Organisation noch in den Anfängen steckte, hielt Lenin ein Theoretisieren über die Art, wie später die Revolution gehandhabt werden sollte, für „leeren Doktrinarismus", und illustrierte auch dies durch einen militärischen Vergleich. Im voraus darüber Betrachtungen anzustellen, so sagte er, wie man später dem Feind „den entsdteidenden Schlag“ versetzen werde, „wäre ungefähr dasselbe, wie wenn Generäle den Kriegsrat einbe- riefen, bevor sie die Truppen gesawwelt, sie wobilisiert und gegen den Feind ins Feld geführt hätten.“ (L. I, 166). Ähnlich erläuterte er, was statt dessen zunächst zu geschehen hatte. Als erstes galt es, durch die Agitation, die das Klassenbewußtsein der Industriearbeiterschaft zu formen hatte, die „Mobilisierung“ der Truppen durchzuführen, wobei die Schulung in den Begriffen des Klassenkampfs die Erziehung zum proletarischen Soldaten zu erbringen hatte. Die anschließende organisatiorische Erfassung für die Partei war sodann gewissermaßen die Rekrutierung. Lenin forderte: „. . . in dew Maße, wie sidt bei uns eine wirklidte Partei herausbildet, wuß der klassenbewußte Arbeiter lernen, die Mentalität eines Soldaten der proletarisdien Armee von der Mentalität eines bürgerlidten Intellek- tuellen zu uMtersdieiden .. (L. I, 398). Demgemäß waren die Aktionen dieser proletarischen Armee nichts anderes als „Kriegshandlungen" Schon die Agitationsliteratur, die zum ersten-mal planmäßig Enthüllungen über die sozialen Zustände im zaristischen Rußland brachte, bezeichnete Lenin als „Keiniforw des Krieges gegen die gesamte heutige Gesellschaftsordnung“ (L. I, 220). „Und die, Flugblätter'“, fuhr er fort, „waren in der übergroßen Mehrzahl der Fälle wirklich eine Kriegserklärung, denn die Enthüllung übte eine kolossal aufreizende Wirkung aus und rief bei den Arbeitern die allgemeine Forderung, die himmelschreienden Mißstände zu beseitigen, sowie die Bereitschaft hervor, diese Forderungen durch Streiks zu unterstützen. Die Fabrikbesitzer selber sahen sich schließlich ge- zwungen, die Bedeutung dieser Flugblätter als Kriegserklärung so sehr anzuerkennen, daß sie häufig den Krieg selbst gar nicht erst abwarten wollten.“ (L. I, 220). Kein Zweifel aber, daß auch diese Kennzeichnung der Auseinandersetzungen in den Betrieben als „Kriegserklärung“ und „Krieg“ den Vorgängen noch eine besondere Schärfe und Unerbittlichkeit verlieh. „Die politisdien Enthüllungen“, betonte Lenin, „sind ebenso eine Kriegsansage an die Regierung, wie die ökonomischen Enthüllungen eine Kriegsansage an den Fabrikbesitzer sind. Und diese Kriegsansage ist von um so größerer moralisdter Bedeutung, je umfassender und wuchtiger diese Enthüllungskampagne ist, je stärker an Zahl und entsdtlossener die gesellsdtaftliche Klasse ist, die den Krieg ansagt, um den Krieg zu eröffnen.“ (L. I, 248).

Bedeutung der Organisation

Stärke und Schwäche der militärischen Organisation zeigen sich dem Soldaten meist erst im Krieg. Die ersten Kriegshandlungen sind daher eine wichtige Materialprobe für Armee und Rüstung. Lenin übertrug auch diese Erfahrungssätze auf seine Revolutionslehre. Im Jahr 1902 kritisierte er: „. . . sobald ernste Kriegshandlungen einsetzten (und sie setzten eigentlich sdion mit den Streiks im Sommer 1896 ein), da machten sich die Mängel unserer Kriegsorganisation immer stärker und stärker fühlbar." (L. I, 25 8). Die revolutionäre Organisation zeigte sich den Gegenaktionen der russischen Polizei nicht gewachsen, so daß sie bald zerschlagen werden konnte. Ihre Stärkung mußte also als vordringlich erkannt werden. Lenin folgerte: um auch dem „mit kleinen Funktionen Beauftragten den Glauben an die Notwendigkeit und die Bedeutung seiner Arbeit, ohne den er überhaupt nie arbeiten wird, zu geben — bedarf es eben einer festen Organisation von erprobten Revolutionären. Besteht eine solche Organisation, so wird der Glaube an die Kraft der Partei sich um so mehr festigen und um so mehr ausbreiten, je konspirativer diese Organisation sein wird — und bekanntlich ist es ja im Kriege das wichtigste, den Glauben an die eigene Kraft nicht nur der eigenen Armee, sondern auch dem Feinde und allen neutralen Elementen einzuflößen; eine wohlwollende Neutralität kann zuweilen für die Sadie entscheidend sein.“ (L. I 282).

Zugleich mußten Spezialisten für alle Formen der Kriegführung ausgebildet werden: „Haben wir erst Kolonnen speziell geschulter Revolutionäre aus der Arbeiterklasse, die eine lange Lehrzeit durchgemacht haben (und zwar natür-lidt von Revolutionären . aller Waffengattungen), dann wird keine politische Polizei der Welt mit diesen Kolonnen fertig werden können ..." (L. I, 285). Trotzdem mußten sich die Anhänger aber auch bewußt sein, daß jede Schlacht „die Möglichkeit einer Niederlage" in sich schließt: „... und es gibt kein anderes Mittels diese Möglichkeit zu verringern, als die Schladts organisiert vorzubereiten.“ (L. I, 288). Vor allem mußten sich „die Leute daran gewöhnen, die Kraft eines gegebenen Angriffs dem gegebenen Zustand der Kräfte des bestimmten Truppenteils der Gesamtarmee anzupassen . . .“ (L. I, 314). Was aber bedeutete das Wort von den Revolutionären „aller Waffengattungen“? Lenin erläuterte weiter: „Jeder wird zugeben, daß das Verhalten einer Armee unvernünftig, ja verbrecherisch ist, die sich nicht darauf vorbereitet, alle Waffenarten, alle Kampfmittel und Kampfmethoden zu beherrschen, über die der Feind verfügt bzw. verfügen kann. Das gilt aber für die Politik noch mehr als für das Kriegs-wesen. In der Politik ist es noch weniger möglich, im voraus zu wissen, welches Kampfmittel unter diesen oder jenen künftigen Umständen für uns anwendbar und vorteilhaft sein wird. Beherrschen wir nicht alle Kampfmittel, so können wir eine gewaltige — mitunter sogar ent- scheidende — Niederlage erleiden ..." (L. II, 740).

In seiner Schrift „Was tun?“ sagte Lenin über die Lage im Jahre 1902, „daß unsere . Taktik als Plan'in der Ablehnung des sofortigen Aufrufs zum Sturmangriff besteht, in der Forderung, eine . regelrechte Belagerung der feind-lichen Festung'zu unternehmen, oder mit anderen Worten in der Forderung, alle Anstrengungen darauf zu richten, daß ein stehendes Heer gesammelt, organisiert und mobilisiert werde.“ (L. I, 316). Für die Operationen selbst sollte im übrigen die „notwendige Elastizität“ gewährleistet sein, „d. h. die Fähigkeit, sich den verschiedenen und rasch wechselnden Bedingungen des Kampfes sofort anzupassen, die Fähigkeit, . einerseits einer offen Feldschlacht gegen einen an Kraft überlegenen Feind, wenn er alle seine Kräfte an einem Punkt gesammelt hat, auszuweichen, und andererseits die Schwerfälligkeit dieses Feindes auszunutzen und ihn dann und dort anzugreifen, wo der Überfall am wenigsten erwartet wird.'“ (L. I, 319).

Wenn der Feind in einer „Festung" saß, dann mußte umgekehrt auch das Proletariat seine Festungen haben. Also die Losung: „Jeder Betrieb muß unsere Festung sein“ (L. 1, 359). Aber drei Jahre später, im Zeichen der Revolutionsunruhen von 1905, ging die taktische Planung schon weiter. Jetzt war nach Meinung Lenins die Epoche des Verteidigungskampfes mit bloßen Aktionen „von unten“ vobei: „Die Periode der politischen Erschütterungen und Revolutionen hat begonnen“, und somit muß man „ die Idee der Aktion von oben propagieren, man muß sich auf die energischsten Angriffsaktionen vorbereiten .. (L. 1, 432). Gleichzeitig durfte aber auch der Druck „von unten" nicht aufhören, und „um derart von unten drüdeen zu können, muß das Proletariat bewaffnet sein — denn im revolutionären Moment treiben die Dinge besonders schnell zum offenen Bürgerkrieg ...“ (L. 1, 432).

Waffen für die proletarische Armee

Damit war die „Militarisierung" des Revolutionsprogramms bis zum letzten Punkt geführt, in ihrer letzten Konsequenz enthüllt: die „proletarische Armee“ sollte Waffen erhalten. Lenin gab (August 1905) bekannt: „Die Organisierung des Proletariats für den Aufstand ist als eine der wesentlichen, hauptsächlichen und notwendigen Aufgaben der Partei auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist der Auftrag erteilt, die energischsten Maßnahmen zur Bewaffnung des Proletariats und zur Sicherung der Möglichkeit einer unmittelbaren Leitung des Aufstandes zu treffen." (L. I, 472). Dabei hatte die Bewaffnung die neueste Technik zu berücksichtigen, denn „die militärische Taktik hängt von dem Niveau der militärischen Technik ab ...“ (L. I, 549). Lenin erläuterte und forderte: „Der japanische Krieg hat die Handgranate hervorgebracht. Die Gewehrfabriken haben das Selbstladegewehr auf den Markt geworfen. Beide werden in der russisdien Revolution zwar sdion erfolgreich aber bei weitem noch nicht in genügendem Uw-fang angewandt. Wir können und müssen uns tedmisdie Vervollkommnungen zunutze Madien, müssen die Arbeiterabteilungen lehren, Bomben in Massen zu erzeugen, müssen ihnen und unseren Kampfgruppen helfen, sich genügende Vorräte an Sprengstoffen, Zündern und Selbstladegewehren zu besorgen. Wenn sich die Arbeitermassen am Aufstand in der Stadt beteiligen. wenn sidi die Massen auf den Feind stürzen, wenn der Kampf um die Truppen . .. ent-sdilossen und geschickt geführt und die Teilnahme des Dorfes am gemeinsamen Kampfe gesichert sein wird, dann werden wir im nächsten bewaffneten Aufstand, der ganz Rußland ergreifen wird, den Sieg davontragen!“ (L. I, 550).

Mit diesen Anweisungen vom Herbst 1906 war schon die Oktoberrevolution von 1917 vor-gezeichnet. Die bis ins einzelne gehenden Anordnungen zur bewaffneten Machtergreifung in Petersburg, die Lenin im September 1917 in einem Schreiben an das Zentralkomitee gab, waren im Kern nichts anderes als die konkrete Anwendung dieser taktischen Grundgedanken und bewiesen, daß der Taktiker der Revolution auch den Straßenkampf zu lenken verstand „Wir müssen“, so wies er das Zentralkomitee, an „die Kräfte verteilen, die ergebenen Regimen ter an den wichtigsten Punkten einsetzen, das. Alexandertheater umzingeln, die Peter-Pauls-Festung besetzen, den Generalstab und die Regierung verhaften, gegen die Offiziersschüler und gegen die Wilde Division solche Truppen schicken, die eher zu sterben bereit sind, als den Feind in die Zentren der Stadt vordringen zu lassen; wir müssen die bewaffneten Arbeiter mobilisieren, sie zum letzten verzweifelten Kampf aufrufen-, wir müssen sofort das Tele graphen-und das Telephonamt besetzen, unseren Aufstandsstab beim zentralen Telephonamt unterbringen, mit ihm alle Fabriken, alle Regimenter, alle Punkte des bewaffneten Kampfes usw. telephonisch verbinden.“ (L. II, 137). Die politische Kriegslehre Lenins als „Anweisung zum Handeln“ hatte hier ihre letzte Phase erreicht; ihr Programmatiker war zum Befehlshaber des Bürgerkriegs geworden.

2. Die „doppelte Art des Krieges"

Es gibt zahlreiche Belege dafür, daß sich Lenin — wie vor ihm auch schon Friedrich Engels — eingehend mit den Schriften des preußischen Generals Carl von Clausewitz, insbesondere mit dessen hinterlassenem Werk „Vom Kriege“ beschäftigt hat. Erläuternd bemerkte Stalin über dieses Interesse Lenins an Clausewitz: „Er hat die Arbeiten von Clausewitz nicht vom militärischen Standpunkt aus erörtert, sondern als Politiker, und an den Arbeiten von Clausewitz interessierten ihn jene Fragen, welche die enge Verbindung von Krieg und Politik nach-wiesen“. Daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, „daß damit wichtige und zwar zeitlose Elemente des Werkes . Vorn Kriege'gleichsam zu Quellen des Leninismus wurden“ (Hahlweg), erscheint aber doch wohl als eine Verkennung des tatsächlichen 'Zusammenhangs

Die Quellen des Leninismus liegen, wie schon seine ursprüngliche Herkunft von Karl Marx zeigt, in den Bereichen der Sozialkritik und Wirtschaftstheorie, wobei vor allem die programmatische Schrift Lenins über den Imperialismus dem Ziel diente, die Vorstellungen auf diesen Gebieten über die nicht mehr zeitgerechten Thesen von Marx hinauszuführen. Offenkundig haben aber die Gedanken von Clausewitz einen hervorragenden und vielleicht entscheidenden Einfluß dort auf Lenin ausgeübt, wo er sein System als besondere politische Kriegslehre gestaltete und eine regelrechte Kunst der revolutionären Taktik entwickelte. Hier begegnet man Clausewitzschen Begriffen und Gedankengängen in der verschiedensten Anwendung; ja einzelne Formulierungen von Clausewitz sind bei Lenin sogar wörtlich wiederzufinden, so wenn er z. B. — in Anlehnung an Engels — sagt, daß seine Lehre kein Dogma sei, „sondern eine Anleitung zum Handeln“ (L. I, 576). Vor Engels und Lenin hatte schon Clausewitz den Unterschied gemacht zwischen Theorie und „positiver Lehre“ als „Anweisung zum Handeln“ (C. 188).

Die Feststellung dürfte berechtigt sein, daß das Werk des preußischen Generals dem Revolutionär Lenin vor allem plastische Einsichten in die Grundkategorien der Kriegführung vermittelte, ohne indes zu übersehen, daß der Ausgangspunkt Lenins auch hier nicht in einer allgemeinen Kriegslehre lag, wie sie Clausewitz ausarbeitete, sondern in den Vorstellungen vom Klassenkampf und in der Ausdeutung des Aufstands der Pariser Kommune. Bei Clausewitz fand Lenin aber dann die praktische „Anweisung zum Handeln“, sobald er von hier aus weiterging und die sozialen Auseinandersetzungen planmäßig zu einer revolutionären kommunistischen Kriegführung um die Macht im Staate entwickelte.

Denken aut die Erfordernisse des Handelns ausrichten

Darüber hinaus sah Lenin bei Clausewitz jenes Grundprinzip in klarster Weise auseinandergesetzt, welches das Denken auf die Erfordernisse des Handelns zu orientieren lehrt und andererseits das Handeln nicht nach theoretischen Begriffen, sondern nach der konkreten Wirklichkeit auszurichten fordert. Lenin hat möglicherweise in dieser Hinsicht weniger von Marx als von Clausewitz gelernt. Jedenfalls könnte eine Bemerkung des Clausewitz-Kenners Hahlweg über den preußischen Denker ebenso auf Lenin angewandt werden: „Für ihn kommt es . . . darauf an, der Theorie die Lebensnähe zu erhalten ... Er legt sich nicht von vornherein im Sinne bindender, verengender Regeln fest, erhält vielmehr die Theorie , elastisdt‘, schafft , Spielraum'und vermeidet dadurch Widersprüche mit der Praxis“ (C. 9).

Für Marx wie für Lenin war das Verhältnis der Theorie zur Praxis eine wichtige Frage, deren Lösung Marx bekanntlich nie überzeugend gelang. Bei ihm blieb immer der Widerspruch zwischen der theoretischen Konstruktion einer bestimmten gesetzmäßigen Entwicklung und dem Wunsch nach revolutionärer Initiative offen. Natürlich konnte dies auch Lenin nicht verborgen bleiben, und die Ausarbeitung seiner eigenen Revolutionslehre bedeutete insofern ein Ausweichen aus dem Marxschen Dilemma. Lenin ließ die Kategorien des Marxschen Systems dort in den Hintergrund treten, wo sie geeignet sein konnten, die „Anweisung zum (revolutionären) Handeln" zu entwerten, um dafür eine engere Anpassung der Theorie an die Erfordernisse der Praxis vornehmen zu können. Dies entsprach aber auch wiederum einem Prinzip von Clausewitz, der hervorgehoben hat, daß es nur von der „verständigen Behandlung“ der Theorie abhängt, „sie mit dem Handeln so zu befreunden, daß der widersinnige Unterschied zwisd^en Theorie und Praxis ganz verschwinde, den oft eine unvernünftige Theorie hervorgerufen, und womit sie sich von dem gesunden Menschenverstand losgesagt hat.. .“ (C. 190). Allerdings wird man nicht so weit gehen dürfen, zu behaupten, daß Lenin die Marxsche Theorie deswegen „behandelte", weil er in ihr eine teilweise Lossagung vom „gesunden Menschenverstand“ gesehen hätte; für ihn war jedoch wichtig, jene ihrer Elemente zurückzudrängen, die sich nicht mit seiner Taktik der Revolution verbinden ließen.

Mit dem in verschiedenen Variationen in seinen Schriften wiederkehrenden Satz, daß „der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln“ (C. 77), hat Clausewitz den inneren Zusammenhang zwischen Krieg und Politik hervorgehoben. Als militärischer Denker ging er dabei vom Kriege aus, doch die Einsicht, daß der Krieg als eine Konsequenz der Politik zu betrachten ist, führte ihn auch immer wieder über die bloße Darstellung des Krieges hinaus in den Bereich seiner Entstehung. Besonders anschaulich erscheint dies in folgenden Sätzen: „Wir sagen also, der Krieg gehört nidtt in das Gebiet der Künste und Wissensdtaften, sondern in das Gebiet des gesellsdiaft-lichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den anderen verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst ließe er sich mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art Handel in größerem Maßstab angesehen werden kann“ (C. 201).

Es ist leicht einzusehen, daß derartige Gedankengänge bei Lenin auf unmittelbare Sympathie stoßen mußten, denn sie bedurften offenbar nur der Ergänzung durch die Klassenkampf-idee, um sie auf das kommunistische Revolu-tionsprogramm anwenden zu können. In nächster Nachbarschaft zu diesen Sätzen von Clausewitz steht infolgedessen auch die Bemerkung von Lenin: „Der Charakter des Krieges wird dadurch bestiruwt, weldte Politik der Krieg fortsetzt (, der Krieg ist die Fortsetzung der Politik'), welche Klasse den Krieg führt und welche Ziele sie dabei verfolgt" (L. II, 128). Es ist dies der durch den Klassenbegriff erweiterte Grundgedanke, der bei Clausewitz noch knapper lautet: „Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen“ (C. 890). Nebenbei bemerkt ist jener Satz mit dem in Klammern angeführten Zitat auch eine der wenigen Stellen, wo Lenin direkt auf Clausewitz Bezug nimmt, ohne ihn jedoch mit Namen zu nennen. Dies ließ sein Klassen-denken offenbar doch nicht zu.

Ziel der Revolution: Vernichtung des Gegners

Lenin griff das Prinzip von Clausewitz auf, aber er machte zugleich etwas ganz anderes daraus. Während Clausewitz den Krieg von der Politik ableitet und ihm daher von der Politik auch die Grenzen setzen läßt, leitet Lenin umgekehrt die Politik der Revolution von den Vorstellungen und Begriffen des Krieges ab und gibt ihr das Ziel, das dem Clausewitzschen „abstrakten“ Krieg entspricht, nämlich die Vernichtung des Feindes. Daraus ergeben sich aber schwerwiegende Konsequenzen.

Bei Clausewitz besteht immer die Möglichkeit, den Krieg durch eine kluge Politik, durch das geschickte Ins-Spiel-bringen gemäßigter politischer Absichten einzudämmen und kleinzuhalten. „Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen“, betont Clausewitz, „wird sich nach der Größe unserer und seiner politi-

schen Forderungen richten“ (C. 85 8). Daher kann ein mäßiges politisches Ziel auch die baldige Beendigung des Krieges bewirken. Der preußische General betont ausdrücklich: der „Zweck des abstrakten Kriegs . . ., das Wehr-losmachen des Gegners, ist in der Wirklichkeit keineswegs allgemein vorhanden, ist nicht die notwendige Bedingung zum Frieden . .. Es gibt eine zahllose Menge von Friedensschlüssen, die erfolgt sind, ehe einer der beiden Teile als wehrlos angesehen werden konnte . . (C 114) In der politischen Kriegslehre Lenins dagegen gibt es diese Beschränkung des revolutionären Kriegs durch mäßige politische Forderungen wohl auch, aber nur als taktisch bedingtes Zwischenstadium. Das Endziel — die Vernichtung des Gegners und die Eroberung der Macht im Staat — bleibt daneben bestehen, weil sich anders die Revolutionslehre um ihren letzten Sinn bringen würde. Und während somit bei Clausewitz die Politik jederzeit als mäßigendes Element im Krieg auftreten kann, ist es bei Lenin gerade das politische Prinzip, das zu einer ständigen Kriegführung mit allen revolutionären Mitteln treibt, bis eben die Vernichtung des Gegners erreicht ist. Bei Clausewitz ist der Krieg nur ein vorübergehender Zustand, gewissermaßen ein Zwischenstadium der politischen Entwicklung: bei Lenin wird er zum Dauerprinzip der revolutionären Politik. Die Beunruhigung, die in vielen Teilen der Welt durch das Auftreten des Leninismus und die zielbewußte Anwendung seiner politischen Kriegslehre vor dem machtpolitischen Hintergrund der Sowjetunion ausgelöst wird, findet nicht zuletzt darin ihre Erklärung.

Doch wird die angesichts der politischen Kriegslehre Lenins heute bestehende Situation durch eine zweite Definition von Clausewitz noch klarer beleuchtet. In der „Nachricht“, mit der Clausewitz im Jahr 1827 auf die beabsichtigte Umarbeitung der ersten sechs Bücher seines Werks hinwies, machte er auf die „doppelte Art des Kriegs“ aufmerksam, die noch schärfer im Auge behalten werden sollte. Dazu erläuterte er: „Diese doppelte Art des Kriegs ist nämlich diejenige, wo der Zwedt das Nieder-werfen des Gegners ist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos madten und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will, und diejenige, wo man bloß an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen madren will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tausdtmittel beim Frieden geltend zu madten“ (C. 77).

Diese Clausewitzsche Unterscheidung liefert eine letzte Erhellung der Rolle, die die politische Kriegslehre Lenins im Geschehen der letzten vier Jahrzehnte spielt. In einem Satz zusammengefaßt hat Lenin mit seiner Revolutionslehre die eine Art des Kriegs, deren Zweck das Niederwerfen des Gegners ist, indem man ihn politisch vernichtet, verselbständigt und zum Motto der innerpolitischen Auseinandersetzungen gemacht, während er den Krieg mit dem Ziel territorialer Eroberungen weiterhin den Militärs überläßt. Genaugenommen braucht der Leninismus diesen traditionellen Krieg gar nicht mehr. Er ist ein viel zu unsicheres Mittel, um die totale Vernichtung und Unterwerfung des Feinds zu erreichen. Und ebenso ist für den unverfälschten Leninismus die Eroberung einiger Grenzgebiete nicht wesentlich, es sei denn, um sie im Sinne von Clausewitz als Tauschmittel zu verwenden. Der Tausch, um den es dabei allein geht, ist aber wiederum die innerpolitische Macht

Schließlich erklärt sich vor dem Hintergrund der Clausewitzschen Unterscheidung der zwei Arten des Kriegs auch die besondere Haltung, die der Leninismus in der Abrüstungsfrage einzunehmen vermag. Er kann die totale Abrüstung befürworten, weil für“ ihn der Krieg der Militärs tatsächlich schon eine überholte Methode ist, um dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen. Er braucht den Krieg als Mittel der Politik nicht mehr, weil er die Politik zu einem so zielbewußt gehandhabten System geistiger und agitatorischer Kriegführung samt der letzten Etappe des bewaffneten Aufstands entwickelt hat, daß ihm auf diesem Wege die Erfolge winken, die bisher im allgemeinen nur auf dem Schlachtfeld zu erreichen waren. Lenin hat durch seine Revolutionslehre den Krieg der Militärs politisch überwunden, an seine Stelle aber eine andere, für die Völker nicht weniger bedrohliche Existenzprobe gesetzt.

3. Der Krieg als fortgesetzte Aktion

Wenn Clausewitz in seinen Schriften mehrfach das „Vernichtungsprinzip" deä Krieges betont hat, wenn er „die blutige Entladung der Krise, das Bestreben zuj Vernichtung der feindlichen Streitkraft“ den „erstgeborenen Sohn des Krieges“ nannte (C. 127), wenn er schrieb:

. Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen’ (C. 92), dann erscheinen derartige Formulierungen auf den ersten Blick als Maxime eines recht schlichten Haudegens. Es dauerte aber über hundert Jahre, bis sie in die Praxis umgesetzt wurden -und zwar von der Politik. Die von Roosevelt auf der Konferenz von Casablanca zum erstenmal öffentlich erhobene, im State Dapartement schon 1942 ausgearbeitete Forderung auf „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands, war nicht anderes als das zur Friedensbedingung erhobene Vernichtungsprinzip. Hier war der Wille nach völliger Wehrlosigkeit und Unterwerfung der Gegner ausgesprochen, den Churchill am 30. Juni 1943 in einer Rede in der Londoner Guildhall in bezug auf die Deutschen folgendermaßen zum Ausdruck brachte: ,... ihre W iderstandskraft und ihr Widerstandswille müssen vollständig gebrodten werden, sie haben sidt unbedingt auf Gnade und Ungnade zu unterwerfen“.

Im Gegensatz zu diesen, allein vom „Wunsch nach Vergeltung“ (Churchill) und nicht von politischer Mäßigung bestimmten Forderungen, stand bei Clausewitz der Gedanke der Vernichtung des Feindes nur am Endpunkt eines rein theoretischen Durchdenkens des Kriegs. Clausewitz sah in ihm vornehmlich das Prinzip des „Zweikampfs verkörpert, bei dem jeder der Gegner bemüht ist, „den anderen durdt physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen und es demgemäß sein „nädtster ^wedc ist, „den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen“ (C. 89). Clausewitz nannte dies „das Gesetz des Äußersten" (C. 98), das damit im Krieg erscheine. Doch war dieses Gesetz für ihn nur eine theoretische Vorstellung, weil er stets den Krieg der Politik untergeordnet sah, so daß nicht die Vernichtung das Entscheidende wurde, sondern das „Aufzwingen des Willens“, das desto rascher geschehen konnte, je besonnener die politischen Forderungen waren. War der Gegner bereit, den politischen Willen der überlegenen Macht anzuerkennen, dann war auch ohne weitere Vernichtung seiner Streitkräfte der Zweck des Kriegs erreicht. Nur in diesem Sinne verstand Clausewitz das „Vernichtungsprinzip" (C. 113).

Nun ist es möglich, daß ein auf diese Weise erreichter Friedensschluß unter Umständen nur von bedingter Dauer ist. Wenn der Gegner nicht „vernichtet“, sondern nur gezwungen wird, den politischen Willen des Siegers anzuerkennen, kann es geschehen, daß er unter veränderten Verhältnissen den Kampf wieder aufnimmt. Auch Clausewitz beschäftigte sich mit dieser Möglichkeit, maß ihr jedoch keine größere Bedeutung bei. Sie beweise nichts weiter, so meinte er, „als daß nicht jeder Krieg eine vollkommene Entscheidung und Erledigung in sich trägt“ (C. 113), um anschließend hoffnungsvoll fortzufahren, auch wenn dies der Fall sei, „so ersterben doch im Friedensschluß selbst jedesmal eine Menge Funken, die im Stillen fortgeglüht hätten, und die Spannungen lassen nach, weil alle dem Frieden zugewandten Gemüter ... sich aus der Richtung des Widerstandes ganz abwenden" (C. 113).

Völlig andere Struktur der Kriegslehre Lenins

Betrachtet man von hier aus wiederum die politische Kriegslehre Lenins, so tritt erneut ihre völlig andere Struktur zutage. Lenin akzeptierte die Beschränkung des Vernichtungsprinzips für den Fall eines Sieges der Revolution keinesfalls, weil nach marxistischer Auffassung die Angehörigen der feindlichen Klasse zwangsläufig eine der Revolution feindliche Haltung einnehmen. Infolgedessen wäre nichts gelöst, wenn die Vertreter der Bourgeoisie auf die Forderungen der Revolution eingingen, aber ihre Macht in Gestalt der dreifachen „Unterdrückungsmaschine" Heer, Polizei und Beamtenschaft behalten würden. Nur ihre Beseitigung und gegebenenfalls auch ihre physische Vernichtung, in jedem Fall aber die restlose Zerstörung des alten Staats-apparats und seine Ersetzung durch einen völlig neuen, kann die Garantie für einen dauernden Frieden geben. In diesem Sinn erklärte Lenin in seiner Schrift „Staat und Revolution": „Die Arbeiter werden nach Eroberung der politischen Macht den alten bürokratischen Apparat zer-sdtlagen, ihn bis auf den Grund zerstören, von ihm nicht einen Stein auf dem anderen lassen; sie werden ihn durch einen neuen, aus densel- ben Arbeitern und Angestellten gebildeten Apparat ersetzen ...“ (L. II, 243).

Im Anwendungsbereich der politischen Kriegslehre Lenins gibt es also — im Gegensatz zur militärischen Kriegslehre Clausewitz — keine „gebremste Vernichtung“, keinen frühen Friedensschluß infolge politischer Mäßigung und Übereinkunft. Umgekehrt wie bei Clausewitz läßt bei Lenin gerade das politische Prinzip es nicht dabei bewenden, „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ (C. 112), sondern fordert die konsequente Vernichtung des Feindes, ja seine Liquidierung auch noch nach der Eroberung des Staats, weil er stets ein von seinen Klasseninteressen gelenkter Gegner bleibt. Der politische Krieg ist bei Lenin „ganz das ungebundene Element der Feindschaft“ (C. 889), so daß auch von dieser Seite wieder die Besorgnis erklärbar wird, die von jedem zahlenmäßig starken Auftreten einer kommunistischen Partei in einem nichtkommunistischen Land auszugehen vermag. Die anderen Parteien wissen: die Kommunisten lehnen einen dauerhaften Friedensschluß im Kampf um die Macht ab, im Falle ihres Sieges aber verfolgen sie das Vernichtungsprinzip bis zum Ende Das „Gesetz des Äußersten“ wird bei ihnen verwirklicht.

So konsequent wie die leninistische Kriegs-lehre das Vernichtungsprinzip verfolgt, so kon-sequent ist sie ferner hinsichtlich der Stetigkeit der revolutionären kriegerischen Aktionen. Clausewitz hat mit Beispielen aus der Kriegsgeschichte in Auseinandersetzung mit einer verbreiteten Auffassung gezeigt, „daß ganz offenbar Stillstehen und Nichtstun der Grundzustand der Heere mitten im Kriege ist und das Handeln die Ausnahme“ (C. 305). Er sah darin einen Widerspruch zum Sinn und Wesen des Kriegs, weil „die Verschiedenheit der politischen Zwecke“ doch eigentlich die „Möglichkeit eines Stillstandes“ aufheben müsse (C. 305), und meinte daher: „Der kriegerische Akt sollte . . . wie ein aufgezogenes Uhrwerk in stetiger Bewegung ablaufen“. Er wußte aber auch, daß aus dem Krieg die menschlichen Faktoren nicht eliminiert werden können: „. .. so wild die Natur des Krieges ist, so liegt sie doch an der Kette der menschlichen Schwächen, und der Widerspruch, der sich hier zeigt, daß der Mensch die Gefahr sucht und schafft, die er gleichwohl fürchtet, wird niemand befremden“ (C. 305). ’ Trotzdem fordert das Prinzip des Krieges als „Pulsieren der Gewaltsamkeit“ (C. 108) offenbar die „Kontinuität des kriegerischen Aktes“ (C. 101), während „jeder Stillstand im kriegerischen Akt widersinnig erscheint“ (C. 100). Auch ist diese Kontinuität für den Sieg von großer Bedeutung, weil sie „das Ermüden des Gegners“ bewirken kann, das Clausewitz als „eine durch die Dauer der Handlung nach und nach hervorgebradtte Erschöpfung der physischen Kräfte und des Willens“ bezeichnet. (C. 118).

Lenin hat diese Regeln voll in sein System der innerpolitischen Kriegführung übernommen. Auch für ihn ist der Kampf kein einzelner Akt, sondern besteht nach einem Clausewitzschen Satz „aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner, in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen“ (C. 168). Bei Lenin erscheint dieser Gedanke in folgender Form: „Wir müssen unsere tägliche Arbeit ständig führen und immer zu allem bereit sein, denn sehr oft ist es fast unmöglich, vorauszusehen, wann die Periode der Windstille durch eine Periode des Sturms abgelöst wird ... Auch die eigentlidte Revolution darf man sich keineswegs in der Form eines einmaligen Aktes vorstellen .. sondern in der Form eines rasch aufeinanderfolgenden Wechsels von mehr oder weniger starken Ausbrüchen und mehr oder weniger anhaltender Stille. Darum muß der Hauptinhalt der Tätigkeit unserer Parteiorganisation, der Brennpunkt dieser Tätigkeit die Arbeit sein, die sowohl in der Periode des stärksten revolutionären Ausbruchs, als auch in der Periode der vollständigen Windstille möglich und notwendig ist, und zwar: die Arbeit der politischen Agitation, die . .. einheitlich zusammengefaßt sein muß, die alle Seiten des Lebens beleuchtet und an die breitesten Massen gerichtet ist“

(L. I, 320).

Gesetz des rationellsten kriegerischen Einsatzes

Wie Clausewitz den Stillstand der Operationen mit dem eigentlichen (abstrakten) Wesen des Krieges für unvereinbar hielt, so fordert das konkrete Revolutions-Reglement Lenins die „fortgesetzte Aktion“, die ständige Agitation, um den Gegner zu ermüden und schließlich zum Nachgeben bereit zu machen. Dabei ergibt sich aber noch eine weitere Überlegung. Wenn nach den Gedankengängen von Clausewitz ein direkter Zusammenhang zwischen dem Krieg als Mittel und dem politischen Ziel als Zweck besteht, so muß es offenbar eine Art Gesetz des rationellsten kriegerischen Einsatzes geben; d. h. es sollte sich das beste bzw. vorteilhafteste Verhältnis zwischen den kriegerischen Opfern und den durch sie zu erreichenden politischen Vorteilen berechnen lassen — selbstverständlich unter Berücksichtigung der Fülle von Friktionen, die laut Clausewitz gerade den Krieg begleiten. So schrieb Clausewitz: „Je kleiner das Opfer ist, welches wir von unserem Gegner fordern, um so geringer dürfen wir erwarten, daß seine Anstrengungen sein werden, es uns zu versagen. Je geringer aber diese sind, um so kleiner dürfen audt die unsrigen bleiben. Ferner, je kleiner unser politischer Zweck ist, um so geringer wird der Wert sein, den wir auf ihn legen, um so eher werden wir uns gefallen lassen, ihn aufzugeben: also um so kleiner werden auch aus diesem Grunde unsere Anstrengungen sein. So wird also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind“ (C. 98).

Dies gilt aber nicht nur für die Abschwächung des Krieges durch Verminderung der Forderungen, söndern auch für seine mögliche Verschärfung durch weitestgesteckte Ziele. Clausewitz sagt hierzu: „Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Ge- statt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen ... (C. 109).

Man kann sagen, daß Lenin beide Möglichkeiten in die Überlegungen seiner Kriegslehre einbezogen hat. Viel von dem was er über die Taktik der Kompromisse äußerte, war im Kern nichts anderes als die Anwendung der Clausewitzschen Einsicht, daß je kleiner das Zugeständnis ist, das vom Gegner gefordert wird, desto geringer sein voraussichtlicher Widerstand gegen die Erfüllung sein wird. Daher hofft der Leninismus auch nicht zuletzt auf diesem Wege zu Erfolgen zu kommen. Die schrittweise Eroberung der Macht soll erfolgen, indem von den gegnerischen politischen Kräften nur kleine Opfer verlangt werden, so daß es ihnen nicht der Mühe wert erscheint, sie abzulehnen. Es handelt sich gewissermaßen um ein Infinitesimalsystem der Machtpolitik, bei dem die Strecke bis zum Endziel in unendlich viele, kleine Etappen aufgeteilt wird, die dem Gegner als Einzelveränderungen der ursprünglichen Situation zunächst gar nicht bewußt werden.

Andererseits geht neben dieser Taktik der kleinen Forderungen keineswegs eine Abschwächung oder Verminderung der eigenen letzten Zielsetzung einher. Lenin hat vielmehr gerade seine Erklärungen über die Taktik der Kompromisse immer mit den Hinweisen begleitet, daß zeitbedingte Übereinkünfte keinerlei Abstriche am Endziel der Revolution bedeuten dürfen. Nach seinen Weisungen ist die Taktik der Kompromisse stets nur so anzuwenden, „daß sie zur Hebung und nicht zur Senkung des allgemeinen Niveaus des proletarischen Klassenbewußtseins, des revolutionären Geistes, der (L. II. Kampf-und Siegesfähigkeit beiträgt“

720). Auch hier handelte er gemäß den Einsichten von Clausewitz. Während er gegenüber dem Gegner die Taktik der kleinen Opfer an-wandte, machte er im eigenen Lager die Motive des innerpolitischen Kriegs „großartig“ und ließ sie „das ganze Dasein der Völker umfassen“. Er proklamierte die Befreiung der Menschheit und die Weltrevolution und gab seinem Krieg damit die letztmögliche „abstrakte Gestalt“. Die Kompromißbereitschaft nach außen verbindet sich mit der höchsten Leidenschaft für die eigene Sache.

Damit öffnet sich zum Schluß ein weiterer, beunruhigender Ausblick auf das System des Leninismus: die Weite des Ziels, das schließlich im Umsturz der ganzen Weltordnung gipfelt, verleiht der leninistischen Revolutionslehre trotz aller unter Umständen möglichen taktischen Mäßigung eine stete hohe Explosivkraft, eine Art „abstrakter“ Gefährlichkeit. Sie bewegt sich bis zu dieser letzten Gipfelung stets auf einem schmalen Grat, auf dem der politische Krieg jederzeit in einen militärischen Krieg umschlagen kann. So betonte Chruschtschow in seiner Rede in Budapest am 1. Dezember 1959 in aller Offenheit: „Zu gewissen Zeiten kann der Klassenkampf aufflammen und äußerst scharfe Formen annehmen bis zu einem bewaffneten Zusammenstoß, wie dies 1956 der Fall war“ Und da die Außenpolitik nach kommunistischer Auffassung nichts anderes ist als der Klassenkampf auf internationaler Ebene, kann dieser plötzliche Durchbruch zur Gewalt auch in der Weltpolitik erfolgen. Zudem wird dort, wo die bestehenden Verhältnisse und ihre Ordnung in keinem Punkt mehr anerkannt werden, schließlich auch der Entschluß zum blutigen Krieg leichter fallen als dort, wo nicht der Umsturz, sondern Reformen angestrebt werden. Eines Tages kann der Fanatismus der von der gelenkten „Entlarvungs" - Agitation erregten Massen genügen, um die Grenzscheide, die den politischen vom militärischen Krieg trennt, zu überfluten und wegzureißen. Die leninistische Revolution, die zunächst im Gefühl der stärkeren politischen Taktik den Krieg der Militärs ausgeschaltet hat, ruft ihn nun doch wieder herbei: die Revolution drängt auf das Schlachtfeld; das „großartige“ politische Ziel fordert auch das kriegerische Mittel.

4. Psychologische Kriegführung

Wenn Clausewitz betont, daß das unbedingte Kampfprinzip des „abstrakten" Kriegs durch die menschlichen Faktoren gemildert wird, so gibt es auch noch andere Einflüsse, die als gewissermaßen objektive Einschränkungen die . Wirksamkeit dieses Prinzips begrenzen. Sie kommen in der Beziehung zur Geltung, „in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht“ und wodurch „die Wirkungen aller Kräfte modifiziert, zuweilen total verändert“ werden (C 144/5). Diese Modifizierung durch Gegend und Boden kann sich so sehr auswirken, daß die kriegerischen Möglichkeiten stark gehemmt werden.

Gibt es auch für den Revolutionskrieg Leninscher Prägung derartige Modifizierungen? Die Verneinung dieser Frage scheint zunächst angesichts der zum absoluten Geschichtsprinzip erhobenen Klassenkampfidee nahezuliegen, und doch wirken auch auf den inneren politischen Krieg Gegend und Boden stark und unter Umständen beherrschend ein: allerdings nicht in geographischer Formation, sondern in sozialer. Für den Klassenkampf sind die sozialen Verhältnisse, unter denen er begonnen und ausgetragen wird, von entscheidender Bedeutung. Wenn der Soldat sein Verhalten im Krieg nach Gegend und Boden ausrichten muß, so orientiert sich die Taktik der Revolution nach dem sozialen Grund und Boden, den sie antrifft. Dabei können diese sozialen Bedingungen für eine revolutionäre Zielsetzung so ungünstig werden — weil sie für die betreffende Bevölkerung effektiv günstig sind —, daß durch ihren Einfluß, durch die Hemmungen, die von hier ausgehen, Aktionen überhaupt aussichtslos werden und der innere Krieg sich totläuft. Andererseits können die sozialen Verhältnisse — genau so wie Gegend und Boden im Krieg der Soldaten — der revolutionären Entfaltung auch so günstig sein, daß sie zum direkten Anreiz für den inneren Krieg werden und ihn fast zwangsläufig herauf-rufen. Günstige soziale Verhältnisse spielen somit für die leninistische Kriegstaktik die Rolle natürlicher Hindernisse, und die Gegenwirkung, die von ihnen ausgeht, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Umgekehrt bilden schlechte soziale Bedingungen Anreize für die revolutionäre Aktion. Sie spielen im inneren Krieg die gleiche Rolle, die offenen, ungeschützten Grenzen und weiten Ebenen in der militärischen Kriegsgeschichte zukommt.

In Gegend und Boden hat man objektive Bedingungen der Kriegführung zu sehen, die als soziale Verhältnisse auch im innerpolitischen Krieg auftreten. Daneben gibt es noch besondere subjektive Bedingungen, deren Wirksamkeit gleichfalls von Bedeutung ist. Es sind die „Gemütskräfte und Leidenschaften", wie sie Clausewitz nennt und in seinem Werk an mehreren Stellen behandelt hat. Dabei kann man etwa folgende Einteilung vornehmen: einmal sind es die psychischen Faktoren, die im Entschluß und in der Bereitschaft zum Krieg, wie in der Art, in der er geführt wird, zum Ausdruck kommen und in der Clausewitzschen Ausdrucksweise vielleicht am besten als die kriegerischen „Leidenschaften" bezeichnet werden; und zum anderen die moralischen Kräfte, die im Krieg miteinander ringen und als die kriegerischen „Tugenden“ bezeichnet werden können. „Den stärksten Anlaß zum Handeln“, schreibt Clausewitz, „bekommt der Mensch im-mer durdt Gefühle ..." (C. 150), weshalb es nicht richtig sei, den Krieg auf einen „bloßen Verstandesakt der Regierungen“ zurückzuführen (C. 91). „Ist der Krieg ein Akt der Gewalt, so gehört er notwendig audt deut Gemüt an“, vermerkt er; das „Mehr oder Weniger“ an Gemüt aber hänge dabei „nidit von dem Grad der Bildung, sondern von der Wichtigkeit und Dauer der feindseligen Interessen ab“ (C. 91).

Infolgedessen gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem politischen Zweck des Kriegs und dem Grad der Leidenschaft, mit dem die Massen auf den Krieg reagieren. Wir müssen uns, betont Clausewitz, den politischen Zweck des Krieges „in Einwirkung auf die Massen denken, die er bewegen soll, so daß also die Natur dieser Massen in Betrachtung kommt“; und fährt weiter fort: „Daß dadurch das Resultat ein ganz anderes werden kann, je nachdem sich in den Massen Verstärkungsoder Schwächungsprin-zipe für die Handlung finden, ist leidet einzusehen“ (C. 98/9). Clausewitz ist auch hier ein äußerst realistischer Beobachter. Die Stärke der kriegerischen Leidenschaft, die bei den Massen in Erscheinung tritt, hängt, so urteilt er illusionslos, von den Interessen ab, die sie mit dem Krieg verbinden und in den Kriegszielen formuliert sehen wollen.

Ob und wieweit nun mit dem Grad dieser Leidenschaft die moralischen Tugenden der im Krieg befindlichen Völker in Wechselwirkung stehen, ist ein weiteres Problem. Clausewitz hat es in dieser Form nicht aufgeworfen, aber wiederholt und nachdrücklich betont, daß man die persönlichen Kräfte nicht von der kriegerischen Tätigkeit trennen könne (C. 182). Im gleichen Sinn hob er hervor, daß, wenn von Vernichtung der feindlichen Streitmacht gesprochen werde, „die moralische (Streitmacht) notwendig darunter mitverstanden werden muß“ (C. 124). Überhaupt könne „das verlorene Gleidrgewicht der moralischen Kräfte ... von einem so überwiegenden Gewicht werden, daß es mit der unwiderstehlidisten Gewalt alles niederwirft“ (C. 329).

Weitere Umformung der Ideen von Clausewitz

Von allen Clausewitzschen Lehren vom Kriege hat Lenin diese Einsichten in die psychisehen Bedingtheiten der Kriegführung wohl im breitesten Umfang für sein System nutzbar gemacht und zugleich am deutlichsten weiterentwickelt. In wichtigen Teilen ist die politische Kriegslehre Lenins nichts anderes als eine Anweisung zur psychologischen Kriegführung, mag es sich dabei um die Mobilisierung der Klassenkampfkräfte durch die planmäßig angesetzte Agitation oder um die Bildung einer besonderen „proletarischen Moral“ im Kampf um die Macht handeln. Doch erfolgt hier auch nochmals eine bedeutsame Umformung der Clausewitzschen Ideen. Denn während der preußische Offizier betont hatte, daß im Krieg „dem einzelnen ... kein feindseliges Gefühl gegen den einzelnen beizuwohnen“ pflegt, vielmehr der Nationalhaß die individuelle Feindschaft ersetze (C. 184), und — wo auch dieser Haß anfangs fehle — „sich das feindselige Gefühl an dem Kampfe selbst“ entzünde, steht die Erweckung „feindseliger Gefühle“ zur Konstituierung des Klassenkampfs und künstlichen Schaffung einer revolutionären Situation am Anfang der Leninschen Revolutionsanweisungen. Die Agitation, die zu diesem Ziel organisiert wird und besonders die Methode der „Entlarvungen" zu handhaben hat, ist die erste „Kriegshandlung" der Revolution und mit Absicht darauf gerichtet, sowohl persönliche Haßgefühle gegen den einzelnen, etwa einen Unternehmer oder Politiker, zu entfachen, wie auch gegen ganze Gruppen in Gestalt einer „feindlichen Klasse“. An die Stelle des Nationalhasses tritt der Klassenhaß und beginnt, weil er sich am täglichen sozialen Zusammensein entzündet, viel intensiver, als es der Nationalhaß jemals tat, das Leben der vom Leninismus angegriffenen Nation zu durchdringen. Ihm ist die Rolle zugedacht, die Massen zu „bewegen“ und zur Revolution anzustacheln.

Wo immer der Kommunismus auftritt, wirkt er als ein System gelenkter sozialer Feindseligkeit, als eine Quelle steten Haders, der entfacht wird, um den Berufsrevolutionären des Bolschewismus ihre „raison d'etre" zu geben; und es ist diese Spalterrolle des Kommunismus, gegen die sich daher auch der tiefste, instinktive Widerstand der von ihm angegriffenen Völker richtet. Wenn Clausewitz „Enthusiasmus, fanatischen Eifer, Glaube, Meinung“ als die soldatischen Tugenden bezeichnet hat (C. 257), dann finden sich diese Triebkräfte zweifellos auch in der kommunistischen Revolutionsarmee, aber überlagert durch den, von der ersten „Kriegshandlung“ des Klassenkampfs an systematisch gezüchteten Haß, der die Gefühls-kräfte der Massen zum Vorspann für die politische Machtergreifung der kommunistischen Funktionäre machen soll. Gegen dieses planmäßige Aufreißen ihrer Lebensgemeinschaft, die trotz aller inneren Interessengegensätze besteht, wehren sich alle Völker, die noch den Willen zu gemeinsamer Lebensgestaltung haben. Hier ist der seelische Kampfplatz, auf dem die letzten, entscheidenden Schlachten mit der politischen Kriegslehre Lenins ausgetragen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Zitierung der Schriften Lenins erfolgt nach: W. I. Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Berlin 1954.

  2. Vgl. dazu: Carl von Clausewitz: „Vom Kriege", 16. Ausl. 1952, mit einer Einführung von Werner Hahlweg. Hier auch der zitierte Satz von Stalin. — Den folgenden Zitaten aus dem Werk " Vom Kriege* liegt diese Clausewitz-Ausgabe zugrunde.

  3. Dieser Analyse des leninistischen Prinzips brauchen die territorialen Eroberungen, die Stalin bei Ende des Zweiten Weltkrieges vornahm, nicht zu widersprechen. Sie beweisen lediglich, daß die Sowjetpolitik im Besitz des Sieges trotz Lenins V erurteilung des Imperialismus ebenfalls rein imperialistisch handelte und die innere Dynamik der Lehre Lenins dem augenblicklichen äußeren Macht-gewinn opferte. Die Sowjetpolitik hat dadurch den schwersten und voraussichtlich unheilbaren Bruch erlitten.

  4. S. Ernst Deuerlein: . Die Einheit Deutschlands. Ihre Erörterung und Behandlung auf den Kriegs-und Nachkriegskonferenzen 1941— 1949. * Frankfurt 1957. Zur Frage der . bedingungslosen Kapitulation* s. ferner: Günter Moltmann: »Die Genesis der Unconditional-Surrender-Forderung“ in: Wehr-wissenschaftliche Rundschau 6 Jahrgang 1956. — Zur Frage, wie die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation auf den Kriegsverlauf gewirkt hat, macht Lord Ismay, von 1940 bis 1946 Stabschef Churchills, in seinen Erinnerungen folgende Bemerkung: . Niemand wird behaupten wollen, daß die V erwendung der Formel von der . bedingungslosen Kapitulation'in Casablanca sich irgendwie förderlich erwiesen habe. Aber ich gehöre zur Minderheit, die nicht recht daran glaubt, daß dies einen erheblichen Einfluß auf die Dauer der Feindseligkeiten ausgeübt habe. Jedenfalls hinderte es die Italiener nicht daran, bei der ersten Gelegeneit um Frieden zu bitten. Es hätte die Deutschen aran ebensowenig gehindert, wenn nicht Hitler mächtig gewesen wäre, der weder selber kapiu ieren noch irgendeinem anderen erlauben wollte, es zu tun.'(Vgl. Lord Ismay: . Zeuge großer Dinge*, auszugsweise Übersetzung der Erinnerungen in •Neue Zürcher Zeitung*, 2. Oktober 1960.

  5. Die Geschichte der Tscheka bietet auch ohne die Epoche Stalins ein eindrückliches Beispiel für dieses . ungebundene Element der Feindschaft* der leninistischen . Diktatur des Proletariats*. Die Grundlage zur Tscheka wurde durch das von Lenin selbst ausgearbeitete Dekret über die . Außerordentliche Kommission* vom 20. Dezember 1917 gelegt Ergänzend dazu verfügte Lenin als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare am 9. August 1918: «Man muß rücksichtslos einen Massenterror gegen Kulaken, Priester und Weißgardisten durchführen. Alle Personen, die Mißtrauen erwecken, müssen in Haft genommen und in ein Konzentrationslager außerhalb der Stadt eingesperrt werden. Strafexpeditionen müssen unverzüglich ausgesandt werden. * (Zit. b. Shub . Lenin*, s. Olberg a. a. O..).

  6. S. , D. S. h. *, B. Nr. 35 v. 10. Dezember 1959.

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