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Eine antisemitische Äußerung aus den Vortagen des Hitler-Putsches von 1923 | APuZ 16/1961 | bpb.de

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APuZ 16/1961 „Aber die Frau geht in die Kirche" Bericht über die Religionsausübung in der UdSSR Eine antisemitische Äußerung aus den Vortagen des Hitler-Putsches von 1923

Eine antisemitische Äußerung aus den Vortagen des Hitler-Putsches von 1923

DOKUMENTATION

Die nachstehend mitgeteilte Korrespondenz fand sich unter den Akten des Generalstaatskommissars von Kahr im Hauptstaatsarchiv Mündten. Sie besteht aus der Original-Ausfertigung eines Schreibens des jüdischen Frontkämpferbundes Augsburg an den Generalstaatskommissar vom 30. Oktober 1923, eigenhändig von dem Vorsitzenden unterzeichnet, mit dem abschriftlich diesem Schreiben beigefügten Briefwechsel, der zwischen dem jüdischen Frontkämpferbund in Augsburg und dem dortigen Obmannsbezirk des Bayerischen Kriegerbundes vorausgegangen war. Die Schriftstücke bedürfen keines speziellen Kommentars und sprechen für sich selbst. Es wäre nur noch zu vermerken, daß aus den Akten nicht zu ersehen ist, daß irgendeine Antwort oder sonstige Reaktion auf das Schreiben vom 30. Oktober 1923 von Seiten des Generalstaatskommissars erfolgt ist. Wie weit die damalige Haltung des Bayerischen Kriegerbundes Obmannsbezirk Augsburg auf die antisemitische Propaganda der nationalsozialistischen Bewegung selbst zurückzuführen ist, genauer gesagt: welche Verbände jenen „Druck" auf den Bayerischen Kriegerbund damals ausgeübt haben, läßt sich nicht einwandfrei feststellen. Fest steht jedoch, daß ein solcher „Druck" von keiner Seite in den vorausgegangenen Jahren erfolgte, in denen sich der jüdische Frontkämpferbund Augsburg ganz selbstverständlich und ohne daß daran Anstoß genommen worden wäre, an der üblichen Gefallenen-Ehrung beteiligt hatte, und weiter, daß das Nichthaltmachen eines sonst wohl auch in anderen rechtsradikalen Kreisen verbreiteten Antisemitismus vor den Frontsoldaten jüdischen Glaubens ein auszeichnendes Kennzeichen des nationalsozialistischen Rassen-

Antisemitismus gewesen ist, der sich später in der uns bekannten Weise geäußert hat. Dieses Auftreten eines solchen ausgesprochenen Ras-sen-Antisemitismus in den Vortagen des Hitler-putsches vom November 1923 ist deshalb ebenso wie die demgegenüber seitens des jüdischen Frontsoldatenbundes eingenommene Haltung wert festgehalten zu werden, und es ist nach allem, was seitdem aus jenem Antisemitismus heraus geschehen ist, unsererseits eine geschichtliche Pflicht, den Text dieses Briefwechsels bekannt zu machen.

Prof. Dr. Eberhard Kessel

1923 Sept. 15.

Augsburg. Bayerischer Kriegerbund, Obmannsbezirk Augsburg an den Reichsbund der Israelitischen Frontsoldaten.

Ortsgruppe Augsburg.

Wie in den Vorjahren soll auch heuer wieder ein Gedenktag für die Gefallenen der Stadt Augsburg stattfinden, aus welchem Anlaß am kommenden Dienstag, d. 18. September abends 8 Uhr im Cafe Luitpold (Bismarckstr.) Besprechung stattfindet, wozu wir ganz ergebens einladen. Hochachtungsvoll Jos. Mannes Bezirksobmann 2 1923 Okt. 26.

Augsburg. Bayerischer Kriegerbund, Obmannsbezirk Augsburg an Herrn Ingenieur Sänger, Vorsitzender der Vereinigung Jüdischer Frontsoldaten Augsburg.

Wir bekommen heute von verschiedenen Seiten die Mitteilung, daß, wenn Ihre Vereinigung sich am Trauertag beteiligt, andere Organisationen fern bleiben. Weiter wurde uns berichtet, daß sogar Zugstörungen geplant seien. Um nun diesem allem auszuweichen, bitten wir Sie heuer von einer Beteiligung abzusehen.

Wir bitten, dieses Ersuchen nicht als Beleidigung aufzufassen, denn wir hätten keinen Grund dazu. Wir nehmen an, daß Sie mit uns einverstanden, und zeichnen mit vorzüglicher Hochachtung i. A.

W. Hubmair 3.

1923 Okt. 27.

Augsburg. Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten an den Bayerischen Kriegerbund, Obmannsbezirk Augsburg.

Wir bestätigen den Empfang Ihres Schreibens vom 26. Oktober.

Für uns hat es sich lediglich um die Erfüllung der menschlichen und soldatischen Pflichten gehandelt, die gemeinsamen Toten zu ehren.

Sie geben selbst zu erkennen, daß Sie sich dem Drucke derjenigen fügen müssen, deren Haß selbst vor den Juden nicht Halt macht, die im Kriege als Kameraden gekämpft, die Liebe zum Vaterlande mit dem Tode besiegelt haben.

Uns sind die Toten so heilig, daß wir denjenigen, die sich als unsere Feinde betrachten, nicht die Gelegenheit geben wollen, eine Trauerfeier zum Schauplatz antisemitischer Pöbeleien herabzudrücken.

Das ist der Grund, der uns von der Trauerfeier fern hält.

Sie bitten uns Ihr Ersuchen nicht als Beleidigung aufzufassen.

Nehmen Sie bitte auch von unserer Auffassung Kenntnis:

Wir haben ein Gefühl der Beschämung für diejenigen, die einst Ihren Schritt vor der deutschen Geschichte verantworten müssen.

Mit vorzüglicher Hochachtung Reichsbund jüdischer Frontsoldaten Ortsgruppe Augsburg Fritz Sänger Dipl. -Ing. 4.

1923 Okt. 30.

Augsburg. Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Augsburg an den Herrn Generalstaatskommissar Exzellenz von Kahr, München.

Euer Hochwohlgeboren beehren wir uns die Abschrift eines Briefwechsels 1) zu übermitteln, der zwischen dem Bayerischen Kriegerbund Obmannsbezirk Augsburg und dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten geführt worden ist.

Wollen Euer Hochwohlgeboren daraus entnehmen, daß es nicht an uns liegt, wenn wir uns von nationalen Veranstaltungen fern halten müssen.

Wir haben das Vertrauen, daß Euer Hoch-wohlgeboren die Mittel zur Verfügung stehen, die es in Zukunft verhindern mögen, daß wir von neuem zurückgestoßen werden, wenn es sich darum handelt, daß Juden, die als Front-soldaten gekämpft haben, von ihrer nationalen Gesinnung Zeugnis ablegen wollen.

Und selbst wenn dieser Versuch vergeblich sein sollte, dann haben wir — in dem wir Euer Hochwohlgeboren dies unterbreiten — eine geschichtliche Pflicht erfüllt, die darin besteht, daß Euer Hochwohlgeboren von einem Vorgang Kenntnis erhalten, der in der neueren deutschen Geschichte bis jetzt ohne Beispiel gewesen ist.

Mit vorzüglicher Hochachtung Reichsbund jüdischer Frontsoldaten Ortsgruppe Augsburg Fritz Sänger Dipl. -Ing.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die oben unter 1. bis 3. wiedergegebenen Schreiben.

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