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Die Weimarer Republik Grundlagen und politische Entwicklung | APuZ 22/1961 | bpb.de

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APuZ 22/1961 Die Weimarer Republik Grundlagen und politische Entwicklung

Die Weimarer Republik Grundlagen und politische Entwicklung

Radikalismus in Mitteldeutschland

Parteipolitisch besserte sich die Lage der Sozialdemokraten bald. Die Unabhängige Partei verfiel schon wenige Monate nach ihrem Wahlsieg der Spaltung. Auf einem Parteitag in Halle im Oktober 1920 beschloß die Mehrheit ihre Vereinigung mit den Kommunisten. Dies war der erste direkte große Sieg Lenins in Deutschland. Denn sein Beauftragter Sinowjew, ein Meister revolutionärer Beredsamkeit, trug durch sein Auftreten in Halle maßgeblich zu dem Beschluß der Parteimehrheit bei. Im Dezember folgte in Berlin der gemeinsame Parteitag mit den Kommunisten, der den Zusammenschluß zur „Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands“ unter dem Doppelvorsitz von Däumig und Levi vollzog. Der überwiegende Einfluß in dieser Partei fiel sehr bald an die Altkommunisten. Vor allem aber war es ein entscheidender Sieg der Moskauer Komintern und der Strategie der Weltrevolution. Der Berliner Parteitag beschloß ein Gelöbnis, „mit allen Mitteln Sowjetrußland, den Vorkämpfer der Internationale der Tat, zu unterstützen, in der Erkenntnis, daß der Sieg der russischen Revolution in Deutschland vollendet werden muß, daß das Schicksal der Weitrevolution aufs engste mit diesem Sieg verknüpft ist“. Die Entscheidung in Halle und Berlin verschaffte der bis dahin nur kleinen Kommunistischen Partei Deutschlands erst größere Bedeutung. Der Parteiapparat der Unabhängigen wurde von der beträchtlichen Minderheit, die in Halle übrig blieb, aufrechterhalten. Doch schloß sich dieser rechte Flügel 1922 wieder mit den Sozialdemokraten zusammen, von denen er ausgegangen war. In der Vereinigten Kommunistischen Partei aber wollten die sogenannten „Turkestaner“, das heißt die Komintern-Leute wie Bela Kun und Rakosi, unterstützt von der deutschen „Sowjetfraktion (Brandler, Thalheimer. Frölich, Stoecker) möglichst bald zeigen, was sie vermochten. Sie machten Halle-Merseburg-Mansfeld, Sachsen und Thüringen zum Aufmarschgebiet eines von Moskau dirigierten roten Imperialismus. Im März 1921 bewaffneten sie ihre Anhänger im Mansfeld-Merseburger Gebiet und im Vogtland, wo Max Hölz, der schon nach dem Kapp-Putsch hier eine Art Bandenherrschaft organisiert hatte, zum zweitenmal auftrat. Außerdem versuchte Thälmann in Hamburg durch Streik die Werften stillzulegen. Auf Be-fehl des Magdeburger Oberpräsidenten Hörsing griff die preußische Polizei ein, ehe in Mansfeld richtig losgeschlagen wurde. Doch kam es auch so noch zu tagelangen blutigen Kämpfen, die schließlich am 28. März zur Erstürmung der revolutionären Hauptbastion, des Leunawerkes, führten. So erlitten die Kommunisten eine schwere Niederlage. Levi benutzte sie, um in einer Broschüre „Unser Weg — Wider den Putschismus“ peinliche Hintergründe aufzudecken.

Aufstandsbefehle aus Moskau

Die Aufstandsbefehle waren aus der Moskauer Internationale gekommen, wo man sich völlig falschen Vorstellungen über die Machtverhältnisse in Deutschland hingab. Letzten Endes wurde Lenins eigene Strategie durch die Kritik berührt. Daher traf sein Verdammungsurteil, das im Mai erging, nicht nur die Planer des verfehlten Aufstands, sondern auch den Kritiker. Levi wurde ausgeschaltet, und ein Jenaer Parteitag der deutschen Kommunisten versicherte ihre weitere Ergebenheit gegen Moskau. Lenin mußte sich damals im eigenen Lande zu einem Rückzug entschließen. Er verordnete die sogenannte „Neue Ökonomische Politik“ (NEP), eine Pause in der Entwicklung zum Sozialismus. Schon im nächsten Jahre wurde er krank und erholte sich nie wieder ganz bis zu seinem Tode im Januar 1924. In der Moskauer Internationale aber blieb man entschlossen, Mitteldeutschland weiter zur Basis für die Revolution auszubauen. Hier war auch unter den sozialdemokratisch gesinnten Arbeitern der Glaube an die „Einheit der Arbeiterklasse“ weit verbreitet. Er bewirkte eine gewisse Bereitschaft, den Kommunisten die „Bruderhand“ zu reichen, sobald sie sich den Anschein gaben, den Klassenkampf ohne Blutvergießen, mehr mit legalen Mitteln auszufechten. In Sachsen und Thüringen besaßen die Arbeiterparteien die Mehrheit. Wenn es gelänge, die Kommunisten zum Parlamentarismus zu bekehren, sagten sich die nach links neigenden Sozialisten, dann würde es möglich werden, die Landesregierungen zu Machtpositionen der Arbeiterschaft gegen die bürgerliche Reichs-regierung in Berlin und gegen die Reichswehr zu machen, die als Machtinstrument der Bourgeoisie empfunden wurde. Die russische Strategie aber begann allmählich auf diese Gedankengänge einzugehen, freilich nicht um die sächsisch-thüringischen Sozialdemokraten zu unterstützen, sondern um sie auszunutzen und der eigenen Revolutionstaktik bei der nächsten Gelegenheit bessere Aussichten zu verschaffen. Von dieser Zeit an entstand ein besonderes Moskauer Interesse an den sächsisch-thüringischen Ländern und selbständigen Landesregierungen, das in Stalins Zeiten nie erlosch und noch 1945 auf die Bestimmung des Verlaufs der Zonengrenzen und 1949 auf die Einrichtung eines sowjetdeutschen Staatswesens einwirkte.

Trotz wirtschaftlicher Fortschritte keine Beruhigung

Diese radikale Entwicklung in Mitteldeutsch-land gehörte mit vielen andern Momenten zusammen zu den Faktoren, die Deutschland seit 1921 allmählich einer neuen Staatskrise entgegentrieben. Die wirtschaftliche Lage war nicht allzu schlecht. Die industrielle Produktion überwand den Tiefstand, in dem sie sich bei Kriegsende befunden hatte. Sie stieg im ganzen von 1919 bis 1922 wieder an. Die Arbeitslosigkeit war niedrig. Die Entwertung der Währung machte eine Zeitlang nur geringe Fortschritte. Aber die politische Zerklüftung und der ungeduldige Trotz gegen das Friedensdiktat vereitelten die Beruhigung, die von der wirtschaftlichen Seite her möglich gewesen wäre. Die schon bestehende Spannung zwischen dem Reich und Bayern verschärfte sich seit 1920 zum offenen Konflikt. Die Bayerische Volkspartei, obwohl die stärkste des Landes, hatte noch bis zum Kapp-Putsch die sozialdemokratische Landesregierung bestehen lassen, dann aber bei dieser Gelegenheit im Zusammenwirken mit den „Selbstschutzverbänden" der „Einwohnerwehr“ des Forstrats Escherich (Orgesch) die Bildung einer neuen Regierung verlangt. Die Einwohnerwehr war aus der Gegenwehr des Radien Landes gegen die Münchner Räteherrschaft entstanden. Der neue Ministerpräsident von Kahr, vorher Regierungspräsident von Oberbayern, war ihr besonderer Vertrauensmann. Sein Kabinett stützte sich auf die Bayerische Volkspartei, den Bauernbund und zunächst die Demokraten, später aber statt ihrer auf die Deutschnationalen. Bayern bekam also als erstes deutsches Land wieder eine „sozialistenreine“ Regierung, die auf diese Eigenschaft stolz war. Es war auch keine echt parlamentarische Regierung, denn Kahr fühlte sich als Beamter und verstand seine Position im Sinne der konstitutionellen Vorkriegsministerien. Sein eigentliches Ideal war denn auch die Wiederherstellung der Monarchie zunächst in Bayern und dann, wenn möglich, die Wiedererrichtung eines Deutschen Reiches nach wilhelminischen Muster, in dem sich Bayern bei seinen alten Reservatrechten hätte wohlfühlen können. Die Führung der Bayerischen Volkspartei hatte durch ihre Zurückhaltung von Anfang an bewiesen, daß ihr am Prinzip des Parlamentarismus nicht viel lag. Statt daß etwa ihr Gründer Dr. Heim die Zügel der Regierung ergriff, überließ er die Staatsgewalt lieber einem Beamten und behielt dem Landtag die Kontrolle vor, wie es im konstitutionellen System gewesen war. Daß dieser Charakter der bayerischen Regierung auf alle republikfeindlichen und restaurativen Kräfte in Deutschland höchst anziehend wirken und alle möglichen höchst unbayerischen Elemente ins Land locken werde, war von der Volkspartei nicht beabsichtigt. Aber es war die unvermeidliche Folge. Die ehemalige Brigade Ehrhardt sammelte sich als „Organisation Consul" in Bayern, ebenso andere Freikorps und „nationale Verbände“. Sie fanden Unterstützung beim Münchner Polizeipräsidenten Pöhner und seinem ersten Mitarbeiter Frick, aber auch bei der Münchner Reichswehr. Diese hatte es nach der Niederwerfung der Räterepublik für nötig gehalten, eine lebhafte politische Aufklärungstätigkeit zu entfalten, die von Hauptmann Mayr geleitet wurde und an der auch Hauptmann Röhm beteiligt war. Im Rahmen dieser Arbeit wurde der Gefreite Hitler verwendet; er kam auf diese Weise in Fühlung mit der kleinen Gruppe der „Deutschen Arbeiterpartei“, aus der die Nationalsozialistische Partei hervorging. Auch andere spätere Nationalsozialisten, wie Esser und Feder, der „Brecher der Zinsknechtschaft", waren an dieser politischen Arbeit der Reichswehr beteiligt. Der Kommandierende General von Möhl wirkte im März 1920 beim Regierungswechsel mit. Er stand also auch hinter der Regierung Kahr.

Entschluß zur „Erfüllungspolitik"

Wie früher erwähnt, mußte die Reichsregierung Fehrenbach im August 1920 gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrags das Entwaffnungsgesetz erlassen, das auch Seeckts Billigung fand. Ohne Zweifel fiel die bewaffnete Einwohnerwehr Bayerns mit darunter, aber da verweigerte Ministerpräsident Kahr aufs strikste die Durchführung. Die Siegermächte warfen der Reichsregierung vor, daß ihr entweder die Macht oder der gute Wille mangele. Auf der Londoner Konferenz von Anfang 1921 mußte der Reichsaußenminister Simons Vorwürfe wegen schuldhafter Vertragsverletzung entgegennehmen. Da außerdem Deutschland seine Leistungsfähigkeit zu Reparationszahlungen nach Ansicht der Westmächte viel zu niedrig einschätzte, gingen diese zu Drohungen über und machten sie auch wahr, indem sie am 8. März die drei Rhein-häfen Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzten. Am 21. März fand die Volksabstimmung in Oberschlesien statt. Die Mehrheit der Bevölkerung stimmte zwar für Deutschland, eine beträchtliche Minderheit aber für Polen. Die Reichsregierung mußte befürchten, daß das Ergebnis zum Naditeil für Deutschland ausgelegt werden könnte. Die nationalistische Trotz-politik, die an dem bayerischen Ministerpräsidenten einen Rückhalt gefunden hatte, konnte unmöglich Nutzen bringen. Am 27. April setzte die Reparationskommission der Westmächte die Gesamtsumme der Zahlungen, die Deutschland zu leisten habe, auf 132 Milliarden Goldmark fest. Die Reichsregierung war außerstande, ihre Politik fortzuführen, und trat am 4. Mai zurück. Fast gleichzeitig wurde die Annahme der Reparationsforderungen ultimativ verlangt (5. Mai). Auf deutscher Seite blieb nichts übrig, als sich zur „Erfüllungspolitik“ zu entschließen. Der Finanzminister Wirth erklärte sich bereit, den notwendigen Weg zu beschreiten, bis auch die Siegermächte sich von der Undurchführbarkeit der Leistungen in der verlangten Höhe überzeugen würden. Er wurde am 10. Mai Reichskanzler und bildete sein Kabinett wieder mit Einschluß der Sozialdemokraten und ohne die Deutsche Volkspartei. Deren Führer Stresemann hatte innerlich, wie es scheint, seine Bekehrung zur Erfüllungspolitik inzwischen schon erlebt. Denn er hatte eigene Sondierungen bei englischen Diplomaten unternommen, die auf seine Bereitschaft hindeuten, selbst „Erfüllungskanzler“ zu werden. Die Zusagen, die er in bezug auf die Räumung der drei Rheinhäfen und die Grenzziehung in Oberschlesien erbeten hatte, liefen nur zu spät ein. Die Deutsche Volkspartei folgte der Sinnesänderung ihres Vorsitzenden nur sehr zögernd und auch später kaum wirklich aufrichtig. Stresemann hatte von nun an bis an sein Lebensende seine eigene Partei immer nur sehr bedingt hinter sich.

Nach der Annahme des Erfüllungs-Ultimatums war in Bayern die Niederlage Kahrs besiegelt. Er mußte die Entwaffnung der Einwohnerwehr jetzt zulassen. Natürlich wurden viele Waffen versteckt und gerieten so erst recht in die Hände der um so gefährlicheren extrem-nationalistischen Organisationen, die in der bayerischen Regierung und Verwaltung hohe Protektoren hatten. Die „Organisation Consul“ organisierte den politischen Mord. Am 26. August wurde im Schwarzwald auf einem Spaziergang Erzberger von zwei Offizieren erschossen. Er war seit dem Frühjahr 1920 ohne wesentlichen Einfluß, aber Haß und Verleumdung verfolgten ihn, als sei er der schlimmste Landesverräter. Die Mörder konnten sich unter Beihilfe des Münchner Polizeipräsidiums der Strafe entziehen und ins Ausland gelangen. Der Reichskanzler Wirth erwirkte sofort eine Verordnung des Reichspräsidenten, die die Behörden ermächtigte, gegen die landauf, landab betriebene hemmungslose Hetze gegen die Reichsverfassung und die republikanischen Politiker einzuschreiten.

Da war es wiederum Ministerpräsident Kahr, der sich der republikanischen Abwehr widersetzte. Er weigerte sich, die Verordnung des Reichspräsidenten in Bayern durchzuführen. Aber jetzt kündigten ihm die Führer der Bayerischen Volkspartei, denen das nationalistische Treiben durchaus nicht lieb war, die Gefolgschaft auf. Kahr verlor das Vertrauen des Landtags und trat zurück. Sein Nachfolger, Ministerpräsident Graf Lerchenfeld, erreichte eine Verständigung mit dem Reichskanzler Wirth. Die Ausführung der Verordnung des Reichspräsidenten wurde in die Hände der Landesbehörden gelegt, womit die anstößige Form vermieden war, daß sie einen Eingriff in die Polizeihoheit der Länder darstelle. Lerchenfeld enthob den Poli-zeipräsidenten Pöhner, der die Mörder begünstigt hatte, seines Amtes. Er zog sich damit freilich den Haß der extremistischen „Vaterländischen Verbände“ zu, die Kahr nach der Entwaffnung der Einwohnerwehren mit Wohlwol-len bedacht hatte, obwohl sie dem Wesen nach so unbayerisch wie möglich waren. Von dieser Protektion hatte auch Hitlers damals anwachsende Nationalsozialistische Partei reichlich profitiert.

Von Cannes nach Rapallo

Reichskanzler Wirth bemühte sich nicht ganz ohne Erfolg um eine Verbesserung der Beziehungen Deutschlands zu seinen Gläubiger-mächten. Reparationsraten, die fällig waren, wurden gestundet. Auf einer Konferenz in Cannes im Januar 1922 verstand es der deutsche Sachverständige Rathenau zum ersten Male, auf die westlichen Verhandlungspartner guten Eindruck zu machen. Es wurde beschlossen, die zahlreichen internationalen Probleme auf einer europäischen Konferenz in Genua zu behandeln, zu der nicht nur Deutschland, sondern auch die Sowjetunion zugezogen werden sollten. Wirth hatte den Berliner Großindustriellen Rathenau schon im Mai 1921 als Wiederaufbau-Minister in sein Kabinett geholt: jetzt machte er ihn zum Außenminister. Die große „Wirtschafts" -Konferenz in Genua im April, die in Wirklichkeit hochpolitisch war, wurde aber zu einem Fehlschlag. Der russische Außenkommissar Tschitscherin gewann die deutschen Vertreter während der Konferenzpause an den Osterfeiertagen zu einer geheimen Zusammenkunft in Rapallo und zum Abschluß eines deutsch-sowjetischen Sondervertrages. Man verzichtete gegenseitig auf alle etwaigen Schaden-ersatzansprüche, sicherte sich Wirtschaftsaustausch nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zu und nahm die diplomatischen und konsularischen Beziehungen wieder auf. Eine eigentliche politische Allianz stand nicht zur Debatte, aber selbstverständlich nahm der Argwohn der Westmächte sofort an, daß die Sonderverständigung darauf hinauslaufen werde. Es war ein Mißklang, und die Konferenz von Genua endete in einer Atmosphäre verstärkten gegenseitigen Mißtrauens. „Rapallo“ ist bis zum heutigen Tage, ähnlich wie „Tauroggen“, ein Schlagwort für die Politik der „Ostorientierung“ Deutschlands, das heißt für dessen Parteinahme zugunsten der Sowjetunion in der weltpolitischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Berufsdiplomaten, vor allem der Botschafter von Maltzan, damals Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes, waren die hauptsächlichen Ratgeber, die 1922 zur Annahme der Anerbietungen Tschitscherins drängten. Sie schreckten die verantwortlichen Leiter der deutschen Politik mit der Befürchtung, die Sowjetunion werde sich, wenn man nicht zugreife, auf Kosten Deutschlands mit dem Westen verständigen. Unterstützung Rußlands oder sogar Anlehnung an Rußland zu suchen, war eine Grundregel der Außenpolitik Preußens seit Friedrich dem Großen, um deren Befolgung auch Bismarck stets bemüht gewesen war. Die Verschlechterung der Beziehungen zum Zarenreich hatte zu dessen Entente mit Frankreich und England und schließlieh zu dem Zweifrontenkrieg geführt, in dem Deutschland 1918 seine Großmachtstellung einbüßte. Wollte man das Verlorene wiedergewinnen, so mußte man für eine bessere Konstellation der Mächte sorgen, und da man sich gegen das drückende Friedensdiktat des Westens zu wehren hatte, erschien diese Denkweise eine Rückensicherung im Osten dringend notwendig. Man muß aber dagegen einwenden, daß eben diese ganze Denkweise falsch war. Denn es war die Denkweise einer vergangenen Zeit, von der sich Diplomaten wie Maltzan nicht hatten lösen können. Ihnen fehlte die Vorstellung von der Größe des weltgeschichtlichen Umschwungs von 1918. Als „besiegt" nach weltgeschichtlichem Maßstab blieben damals auf der Strecke nämlich nicht nur das Deutsche Reich und seine Verbündeten, sondern auch die westeuropäischen Nationen, die sich für „Sieger" hielten.

Die Italiener merkten das gleich in Versailles selbst, wo sie ihrer Meinung nach von den Verbündeten um die besten Früchte ihrer Kriegs-politik betrogen wurden. Die Franzosen merkten es später, als Hitler ihren Gewinn zerpflückte. Die Engländer nahmen es wahr, als sie in der weiten Welt den Vorsprung den Amerikanern lassen mußten. Die Vorstellung deutscher Diplomaten, Offiziere und Politiker, daß das Reich wieder eine führende Macht werden könne, war als solches überholt: damit zugleich aber auch die Vorstellung, daß Deutschland derart wichtig sei, daß es sich für die Sowjetunion lohnen könne, sich auf deutsche Kosten mit ihrem einzigen wirklichen Hauptfeind, dem Kapitalismus des Westens, zu verständigen. Lenin glaubte an eine entscheidende Bedeutung Deutschlands für den Sieg der Weltrevolution in Europa; aber er glaubte nicht an eine mit Amerika oder dem Britischen Imperium vergleichbare Bedeutung Deutschlands als Weltmacht. Maltzan hätte, was ihm als Berufsdiplomaten allerdings fernlag, bei General Groener in die Schule gehen können, der in Kolberg zu seinen Offizieren sagte, er habe sich damit abgefunden, daß Deutschland in Zukunft nur noch eine Macht zweiten Ranges sein könne. Nur wer dies nicht anerkannte — was aber doch eine weltgeschichtliche Tatsache war —, konnte noch von der Idee einer erstrangigen Wichtigkeit des Deutschen Reiches in der Großen Politik ausgehen, wie sie der Rapallopolitik letzten Endes zugrunde lag. Ein gründliches Studium des Kommunismus hätte deutsche Diplomaten wohl auch davon überzeugen können, daß man mit dem Bolschewismus nur dann zusammengehen kann, wenn man entschlossen ist, ihn bei sich selbst einzuführen, was auch schon Groener in Kolberg gesagt hatte. Ohne jenes Studium konnte niemand mehr ein guter Ratgeber für die deutsche Politik sein. Denn es war ein Irrtum, daß man sich noch nach Art der diplomatischen Tradition des 19. Jahrhunderts mit „Rußland" verbünden könne, sondern man verbündete sich jetzt mit der proletarischen Weltrevolution.

In der deutschen Berufsdiplomatie gab es auch Gegner der Maltzanschen Ratschläge. Der frühere Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau gehörte dazu; aber bezeichnenderweise ließ er sich später umstimmen. Das, was man die „Bismarcktradition" in der Außenpolitik nannte, hatte große Macht über die Geister, wobei es aber sehr dahingestellt bleiben muß, was Bismarck selbst für „realpolitisch“ ratsam gehalten hätte, wenn er die Niederlage von 1918 hätte reparieren sollen. Zur Zeit der Weimarer Republik aber hielt zum Beispiel auch der Reichswehrminister Geßler, der an sich kein Vorkämpfer des illusionsreichen Russenkurses war, ihn doch für „beste Bismarcktradition in zeitgemäßer Form". Als Stresemann später als Außenminister dennoch eine Annäherung an den Westen erreichte, staunte Geßler über diese staatsmännische Leistung, weil es ihm fast wie ein Wunder erschien, daß „über so tiefe und breite Abgründe hinweg eine Brücke geschlagen werden konnte“. Dieser Reichswehrminister gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie weit man von der wahren Erkenntnis entfernt blieb, daß die Abgründe im Osten viel tiefer und breiter waren.

Ostkontakte von der Armee begrüßt

Auszunehmen ist von dieser Feststellung vor allem der Reichspräsident. Eberts Politik blieb seit 1918 unbeirrbar auf der Linie, die Gefahr aus dem Osten abzuwehren; er war ein Gegner auch der Rapallopolitik, die er nur deshalb nicht verhindern konnte, weil die Regierung Wirth sie betrieb. Lenin mußte schon kurz nach Rapallo infolge schwerer Erkrankung vom politischen Schauplatz abtreten. Daß seine Prognosen über den Sieg der Revolution in Deutschland nicht eingetroffen waren, war gutenteils Eberts Verdienst. Rathenau und Seeckt dagegen, nunmehr Außenminister und Wehrmachts-Chef der Republik, hatten schon 1919 mit Radek in der Moabiter Gefängniszelle verhandelt. Auf den Rapallopakt ging Rathenau zwar nur etwas zögernd ein, ließ sich aber von seiner Nützlichkeit überzeugen. Seeckt war daran unbeteiligt, aber er begrüßte ihn, denn die Ostorientierung entsprach der russenfreundlichen Tradition der preußischen Armee. Er sah in der Sowjetunion den natürlichen Verbündeten gegen Polen, dessen Existenzberechtigung als selbständige Nation er, wie seine Denkschrift an den Reichspräsidenten vom 11. September 1922 beweist, einfach verneinte. Seeckt hätte am liebsten getan, was 1939 Hitler tat, nämlich Polen im Bündnis mit der Sowjetunion wieder aufzuteilen. In den folgenden Jahren ließ er die Reichswehr systematisch mit der Roten Armee zusammenarbeiten, um die Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrags zu umgehen. Auf russischem Boden konnten deutsche Soldaten an Flugzeugen, Tanks und schweren Geschützen ausgebildet werden, ohne daß es die Kontrollkommissionen der Westmächte hindern konnten. Ohne Zweifel überschritten die einschränkenden Bestimmungen des Friedensvertrags für die deutsche Wehrmacht das sachlich gerechtfertigte Maß und wirkten daher auf die Reichswehr als Anreiz, sie zu sabotieren, nach dem berühmten Vorbild aus der preußischen Geschichte, dem „Krümpersystem" Scharnhorsts nach dem Tilsiter Frieden.

Diese ganze Politik der „Ostkontakte“ der Reichswehr, begleitet auch von mancher heimlichen Verstärkung der Truppen im eigenen Lande durch „Arbeitskommandos" („Schwarze Reichswehr"), konnte natürlich nur im Einverständnis mit der Reichsregierung betrieben werden. Reichskanzler Wirth war keineswegs, wie Seeckt, ein preußischer Monarchist, sondern ein katholischer badischer Demokrat, aber ebenfalls ein Anhänger der Ostorientierung. Er war darin entschiedener als Rathenau, mit dem er sich eng verbunden fühlte. Er empfand es als schweren Schlag, daß Rathenau am 24. Juni 1922 das Opfer nationalistischer Mörder wurde, die in ihm wieder einmal einen vermeintlich „Hauptschuldigen" der Erfüllungspolitik und außerdem den Vertreter des „Weltjudentums" zu treffen glaubten, jener sagenhaften „Weisen von Zion“, die nach Ansicht der Ludendorff-Anhänger die Weltverschwörung gegen Deutschland organisierten und finanzierten. Wirth war entschlossen, mit ganzer Energie gegen die unbelehrbaren Feinde der Republik vorzugehen. „Der Feind steht rechts“, rief er im Reichstag aus. Er legte einen Gesetzesentwurf „zum Schutz der Republik“ vor, der am 18. Juli mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen wurde. Er sah die Einrichtung eines Staatsgerichtshofs beim Reichsgericht vor, der einheitlich für Verbrechen gegen die Staatssicherheit zuständig sein sollte. Es war ein Eingriff in die Justizhoheit der Länder, aber aus berechtigtem Anlaß und in verfassungsmäßig einwandfreier Form zustandegekommen. Er führte gleichwohl wieder zu einem schweren Konflikt mit Bayern, wo man „anstelle des Reichsgesetzes“ eine eigene „Verordnung zum Schutz der Republik“ durchführen wollte. Bayern versuchte also „Reichsrecht“

durch „Landesrecht“ außer Kraft zu setzen, was der ausdrücklichen Bestimmung des Artikels 13 der Weimarer Verfassung widersprach. Wirth wollte, da er den Feind „rechts" stehen sah, die republikanische Ordnung Deutschlands entschlossen mit Hilfe der Linken befestigen und kam dadurch, daß er sogar die Kommunisten nicht gern ganz von seiner Front ausschließen wollte, aus ganz anderen Motiven als Maltzan oder Seeckt auch zu einer außenpolitischen Ost-orientierung, denn die Kommunistische Partei Deutschlands war von der Moskauer Komintern-Zentrale nicht mehr zu trennen. Schon ein Jahr zuvor, nach der Ermordung Erzbergers, hatte die Berliner „Rote Fahne“ geschrieben: „Das Kabinett Wirth, das sein Leben dem Schutz der Proletarierfäuste dankt, wird Farbe bekennen müssen, ob es mit den Arbeitern oder gegen die Arbeiter regieren will.“ Wirth wollte „mit den Arbeitern" regieren. Nur erkannte er die Grenze nicht, die hier für Deutschland gezogen war und bis auf den heutigen Tag gezogen ist: daß näm-lieh die parlamentarische Demokratie, die ohne Zweifel ein politisches System des Westens ist, nicht neben östlich ausgerichteter Außenpolitik bestehen kann. Die Diplomaten und Soldaten aus der preußischen Schule trafen sich mit Wirth in der Ostorientierung. Aber ihre Ausgangspunkte waren grundlegend verschieden, und im Irrtum über die Bündnisfähigkeit des Bolschewismus befanden sich beide.

Ruhrbesetzung und passiver Widerstand

Wirth wurde am 14. November 1922 kurioserweise von den Sozialdemokraten gestürzt. Der „Erfüllungskanzler“ hatte den Westmächten soeben wieder einmal die Unmöglichkeit der „Erfüllung“ angezeigt und um ein Moratorium fälliger Zahlungen bei der Reparationskommission gebeten. Um der Schwierigkeiten, die zu erwarten waren, besser Herr zu werden, wollte er sich im Reichstag eine stabile Mehrheit verschaffen, die nur möglich war, wenn man die Deutsche Volkspartei einbezog. Der Reichspräsident ermächtigte Wirth dazu, die Volkspartei erklärte sich bereit, aber die Sozialdemokratie entzog daraufhin dem Kanzler das Vertrauen. Sie sah in der Partei Stresemanns die Schutz-truppe des Klassenfeinds, der Großindustrie, was zwar zum Teil zutraf, aber staatspolitisch zu diesem Zeitpunkt nicht hätte ins Gewicht fallen dürfen. Ebert mußte wieder einmal erkennen, daß die Mehrheit seiner Parteifreunde unfähig war, dem politisch Notwendigen Rechnung zu tragen, wenn sie fürchtete, bei den Arbeitern schlechten Eindruck zu machen und den Kommunisten einen Propagandavorteil zu verschaffen.

Man bildete die neue Regierung „überparteilich", weil man so die Verlegenheit, daß sich die Parteien nie zu einer ausreichenden stabilen Mehrheit zusammenfinden konnten, zu überwinden hoffte, und stellte als Kanzler den Hapagdirektor Cuno an die Spitze. Von der französischen Regierung unter Poincare war zu erwarten, daß sie das Zurückbleiben in der Erfüllung der Reparationsleistungen als Böswilligkeit auslegen und mit Zwangsmaßnahmen beantworten werde. In der Tat setzte Poincare in der Reparationskommission am 9. Januar 1923 mit italienischer und belgischer Unterstützung gegen die britische Stimme durch, daß offiziell festgestellt wurde. Deutschland sei für 1922 mit der Lieferung von Telegraphenstangen und Kohlen im Rückstand geblieben. Darauf gründete er die Befugnis Frankreichs, sich selbst „produktiver Pfänder" zu versichern. Fünf französische Divisionen, unterstützt von einem kleinen belgischen Kontingent, rückten am 11. Januar ein und besetzten das Industriegebiet der Ruhr. Die Reichsregierung protestierte und proklamierte den allgemeinen passiven Widerstand. Solange die Besetzung dauerte, sollte gerade alle produktive Arbeit ruhen. Das, was sich daraus entwickelte, war eine Art Kriegszustand, in dem es auch nicht an aktivem Widerstand, Sabotage, Überfällen und dergleichen fehlte. Das Deutsche Reich suchte sich dem französischen Zwang zur Erfüllung widerwillig übernommener Verpflichtungen zu widersetzen. Das ganze Volk, Unternehmer und Arbeiter und alle Parteien, sollten dabei zusammenstehen und den Geist des innerpolitischen Burgfriedens von 1914 erneuern. In der Tat gaben selbst die Kommunisten eine Zeitlang Parolen aus, die sich anließen, als habe Deutschland aufgehört, vom kapitalistischen Klassenfeind regiert zu werden, als sei es ein vom französischen Imperialismus unterdrücktes Kolonialland, in dem sich die Kommunisten an die Spitze des Befreiungskampfes stellen müßten. Radek trat im Namen der Kommunistischen Internationale auf und redete deutsch-patriotische Töne. In Berlin erschien ein Buch des nationalistischen Schriftstellers Moeller van den Bruck mit dem chiliastisch klingenden Titel „Das Dritte Reich“, den später die Nationalsozialisten für ihr Werk okkupierten. Moeller war der Gründer des „Juniklubs" von 1919, der zum Kampf gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrags aufgerufen hatte. Er war ein fanatisch antiwestlich eingestellte Ideologe, der behauptete, am demokratischen Liberalismus und Parlamentarismus „stürben die Völker", und nachdem Deutschland durch den Dolchstoß den Krieg verloren habe, müsse „die Revolution gewinnen“. Dazu empfahl er das Rezept eines Sozialismus nach „preußischem Stil“ und, wenn möglich, das Zusammengehen mit anderen aufsteigenden „jungen Völkern“, besonders den Russen. Es hatte seit 1918 auch schon andere Fanfaren eines deutschen Nationalbolschewismus gegeben. Die Moellersche fand das nachhaltigste Echo. Sie wurde später von Otto und Gregor Straßer gehört, als sie 1925 ihre politische Tätigkeit in Berlin aufnahmen. Von da aus befruchteten Moellers Ideen den Hitierschen Nationalsozialismus, obwohl sich Hitler nie dazu bekannte. Dagegen war der Akkord zwischen deutschem Nationalismus und Kommunismus im Ruhrkampf nur sehr vorübergehend, da die Kommunisten, als die Widerstandskraft Deutschlands sichtlich abnahm, aus Moskau andere Direktiven bekamen.

Der Ruhrkampf ging für die Regierung Cuno vor allem deshalb verloren, weil sie die langst entwertete deutsche Währung nicht vor dem völligen Zusammenbruch bewahren konnte. In folgedessen drohte alles im wirtschaftlichen Chaos zu versinken. Am 11. August 1923 ver sagte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion dem Kanzler das Vertrauen. Cuno trat sofort zurück. Wenn ein Mann diesen Kampf vielleicht mit einer gewissen Erfolgsaussicht hätte unternehmen können, so wäre das sein Vorgänger Wirth gewesen. Denn er hätte sich wahrscheinlich nicht gescheut, revolutionäre Energien gegen die Franzosen aufzubieten. Da hätten freilich die Herren von Kohle und Stahl den Weg zur Verständigung mit Poincare, den sie später sowieso noch beschritten, gewiß früher gefunden. Aber es ist nicht ganz undenkbar, daß die Kräfte der Arbeiterschaft, hinter dem Kanzler zusammengeschlossen, wenigstens die vollendete Niederlage Deutschlands abgewendet hätten. Wenn es ein Fehler war, daß die Sozialdemokraten vor Beginn des Kampfes Wirth stürzten, so konnten sie die Vollendung der Niederlage jedenfalls nun nicht mehr verhindern, indem sie Cuno beseitigten. Sie waren jetzt, anders als im November 1922, bereit, in Regierungsgemeinschaft mit der Deutschen Volkspartei zu treten, und zwar unter dem volksparteilichen Führer Stresemann als Kanzler. Verständigungsversuche mit dem französischen Gegner glückten aber nicht. Poincare bestand darauf, daß erst der passive Widerstand ausdrücklich aufgegeben werden müsse. Stresemann fand die Kraft, dies am 26. September mit einer Proklamation zu tun.

Die Folge war, daß sich die psychologische Katastrophe von 1918 im Volke wiederholte. Im besetzten Rheinland bekam eine separatistische Bewegung, die schon lange schwelte und von den französischen Kommandostellen begünstigt oder direkt unterstützt wurde, Auftrieb. Die Großindustrie selbst verhandelte, wie schon erwähnt, mit den Franzosen und unterwarf sich ihren Bedingungen. In Berlin kam eines Tages der Plan auf, das Rheinland und das Industriegebiet „versacken" zu lassen, also ihrem Schicksal preiszugeben, weil man fürchtete, die neue Währung der „Rentenmark“, die man vorbereitete, werde sofort wieder verfallen, wenn man sie zur Stützung der völlig zerrütteten Wirtschaft der Westprovinzen einsetzen müsse. Im übrigen drohte der Zerfall des Reiches nicht nur vom Rhein her, sondern auch von Bayern und von Sachsen.

Verhängung des Ausnahmezustandes

Am gleichen Tage mit der Stresemannschen Proklamation, am 26. September, verhängte der bayerische Ministerpräsident von Knilling den Ausnahmezustand über sein Land und übertrug die vollziehende Gewalt dem oberbayerischen Regierungspräsidenten von Kahr als „Generalstaatskommissar". Damit kam noch einmal der Mann ans Ruder, der in einer nicht mehr möglichen Weise gleichzeitig die weißblaue und die schwarzweißrote Vergangenheit restaurieren wollte und damit in die Gegenwartspolitik Verwirrung trug. Knilling war seit November 1922 Ministerpräsident, nachdem es dem Druck der Vaterländischen Verbände und gewissen Intrigen gelungen war, Lerchenfeld zum Rücktritt zu zwingen. Die Bayerische Volkspartei beging wiederum, sowohl mit Knilling wie mit Kahr, den Fehler, ehemaligen königlichen Beamten die Macht zu übertragen, statt sie selbst auszuüben. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Dr. Held, hatte im September 1923, als man den Ausbruch der deutschen Staatskrise voraussehen konnte, eine Unterredung mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht, bei der vielleicht an eine spätere Wiederherstellung des Königstums gedacht, zunächst aber nur die Sicherung des Staates vor den Machenschaften Ludendorffs und einem rechtsradikalen Putsch erörtert wurde. Merkwürdig ist nur, daß man Kahr für den rechten Mann hielt, den Gefahren von dieser Seite zu begegnen. Es erklärt sich wohl daraus, daß man in Bayern nicht glaubte, daß sich in Berlin die Regierung Stresemann werde halten können. Kahr erschien geeignet zur Zusammenarbeit mit einem unparlamentarischen „überparteilichen Direktorium“ im Reiche, das sich auf die Reichswehr unter Seeckt und auf die „Wirtschaft“ werde stützen können. Es war die Ruhrindustrie, geführt von Generaldirektor Minoux vom Stinneskonzern, die diese Idee des Reichsdirektoriums vertrat. Stresemann ließ sich aber nicht verdrängen. Im Einvernehmen mit ihm verhängte der Reichspräsident den Ausnahmezustand über das ganze Reich; die vollziehende Gewalt erhielt der Reichswehrminister Geßler. Das bedeutete, daß sich General Seeckt nicht mit den Plänen von Minoux, sondern dem Reichsoberhaupt Ebert zur Verfügung stellte. Geßler verlangte von Kahr ein Verbot des „Völkischen Beobachters“, der nationalsozialistischen Zeitung in München, weil darin ein Artikel erschienen war, der Beleidigungen Seeckts enthielt. Kahr verweigerte die Ausführung, weil er vermutlich noch mit der Ablösung der Reichsregierung durch das Direktorium rechnete. Doch kam jetzt der Befehl Geßlers an den Kommandeur der bayerischen Division, General von Lossow, die Berliner Anordnungen zu vollstrecken. Damit war ein Konflikt zwischen dem Münchner und dem Berliner Ausnahmezustand gegeben. Lossow optierte für München und ließ sich am 21. Oktober von Kahr „in Pflicht nehmen“. In den Augen Geßlers und Seeckts beging er damit eine Meuterei. Seeckt strebte zweifellos für seine eigene Person nach der vollziehenden Gewalt, und Ebert war so klug, sie von Geßler auf ihn zu übertragen, sobald er seiner sicher war. Es fehlte natürlich nicht an Aufforderungen an Seeckt, daß er sich ihrer eigenmächtig durch Staatsstreich bemächtige. Dazu wollte ihn vor allem Claß, der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, bestimmen. Seeckt erwartete wohl auch, das Amt des Reichskanzlers zu bekommen; aber dazu bot Ebert nicht die Hand. Auf Eberts Frage, ob die Reichswehr hinter der verfassungsmäßigen Regierung stehe, hatte Seeckt geantwortet: „Die Reichswehr, Herr Präsident, steht hinter mir.“ Er selber aber entschloß sich, hinter dem Präsidenten zu stehen. Die Direktoriumspläne oder die Nachfolge Stresemanns hatten sich für ihn erledigt, als Ebert seine Mitwirkung dabei versagte. So bewährten sich die beiden Faktoren, die wir als Stützen der Republik schon kennen-gelernt haben; nur waren es nicht mehr, wie zu Groeners Zeiten, das Heer und die Sozialdemokratie oder die demokratischen Parteien, sondern die Reichswehr und der Präsident. Bei allem damit gekennzeichneten Wandel waren es grundsätzlich immerhin die gleichen Kräfte, deren Zusammenwirken die Staatskrise von 1923, wie die von 1918, überwand.

Auch der stärkste und der gefährlichste Gegner blieb der gleiche, und er saß nicht in Bayern oder bei den Franzosen und rheinischen Separatisten, sondern er kam vom Osten, von der Zentrale der proletarischen Weltrevolution. Die neuen Direktiven aus Moskau befahlen den deutschen Kommunisten das, was 1921 mißglückt war, die Machtübernahme durch bewaffneten Aufstand. Brandler und einige andere Führer wurden nach Moskau gerufen und sieben Wochen lang instruiert, wie sie vorzugehen hätten. Als Aufmarschraum waren natürlich wieder Sachsen und Thüringen vorgesehen.

Die Leitung wurde einem Revolutionskomitee (Revko) unter dem Kommando russischer Offiziere übertragen. Die Beauftragten des Komitees bereisten Deutschland, um Waffen zusammenzutragen. Man hoffte rote Truppen in der Stärke von 50 000 bis 60 000 Mann aufstellen zu können. Wenn von Bayern aus, wo man mit der Machtergreifung durch Ludendorff rechnete, die „faschistischen" Streitkräfte nach Norden vorrückten, dann wollte man sie zwischen Sachsen/Thüringen und dem Ruhrgebiet einkeilen und erdrücken. Die Vorbereitungen hielt man insbesondere in Sachsen für politisch gesichert, weil die sozialdemokratische Landesregierung unter Dr. Zeigner alle linksradikalen Tendenzen beschützte. Als Brandler Anfang Oktober aus Moskau zurückkehrte, führte er Verhandlungen wegen Eintritts der Kommunisten in die Dresdener Regierung, die am 10. Oktober zum Ziel führten. Am 16. traten sie auch in die thüringische Regierung ein. Aber wenn auch die bayerischen Putschplaner ihre Leute im Norden des Landes vor den Grenzen Sachsens und Thüringens aufmarschieren ließen, so verzögerte sich doch ihr „Aufmarsch auf Berlin" und damit das Startzeichen für die Kommunisten. Am 21. Oktober, als Lossow in München sich Kahr unterstellte, rückten die Reichswehrtruppen Seeckts auf Befehl der Reichsregierung in Sachsen ein. Die Regierung Zeigner verschwand, ohne Widerstand zu versuchen. Anfang November wiederholte sich dieser Vorgang in Thüringen. Damit hatte Moskau den Kampf verloren. Am 23. November wurde die Kommunistische Partei in Deutschland verboten. Nach Beendigung des Reichsausnahmezustands wurde sie zum 1. März 1924 wieder erlaubt. Nach Zeigners Sturz war aber auch die „nationale Revolution" in Bayern erledigt. Der Hitler-putsch im Bürgerbräukeller am Abend des 8. November war völlig aussichtslos. Er wurde deswegen auch insbesondere von General Lossow, der am besten über die wirkliche Lage im Bilde war, abgelehnt. Er fügte sich, zusammen mit Kahr und den Polizeikommandeur von Seisser, nur scheinbar den Drohungen des nationalsozialistischen Abenteurers, um der Falle, in die sie alle gegangen waren, zu entrinnen. Am folgenden Tage brach Hitlers kopfloses Unternehmen unter den Kugeln der Polizei zusammen. Der braune Demagoge hätte ein für allemal erledigt sein sollen. Unglücklicherweise gab man ihm im Hochverratsprozeß im März 1924 neue Gelegenheit, Hetzreden zu halten. Seinen späteren Aufstieg verdankte er allerdings anderen, nicht mehr bayerischen Gönnern.

Allmähliche Rechtsschwenkung

Als unerläßliche Voraussetzung zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung hatte das Kabinett Stresemann die Beendigung der verheerenden, den Wohlstand breiter Schichten vernichtenden Inflation erkannt. Man hätte längst der Geldentwertung Herr werden können, wenn man sich nicht von Interessenten hätte vorspielen lassen, Deutschland könne es hinter dem Schleier des unstabilen Geldes den Reparationsgläubigem erschweren, den Grad seiner Zahlungsfähigkeit zu erkennen. Mit dem Ruhrwiderstand brach auch diese Illusion zusammen. Der sozialdemokratische Reichsfinanzminister Hilferding und ebenso sein bürgerlicher Nachfolger Luther arbeiteten im September und Oktober 1923 an der Schaffung einer neuen Währung. Am 13. Oktober beschloß der Reichstag ein Ermächtigungsgesetz für die Regierung Stresemann, Verordnungen mit Gesetzeskraft für die Wirtschaft, die Finanzen und die Sozialpolitik zu erlassen.

Am 15. November wurde die neue Währung der „Rentenmark“ (= einer Billion Papiermark) eingeführt und damit der Grundstein zur wirtschaftlichen Erholung Deutschlands gelegt. Die politische stieß noch auf viele Hindernisse. Am 23. November wurde die Regierung Stresemann, die bereits seit drei Wochen — wegen der Reichs-exekution gegen Sachsen und Thüringen — von den Sozialdemokraten verlassen worden war, im Reichstag gestürzt. Doch trat Stresemann in die folgende Regierung des Zentrumsführers Marx, die ein Ermächtigungsgesetz erhielt, als Außenminister wieder ein. Die Lösung des Konflikts mit Frankreich wurde durch die Einschaltung Amerikas in die Reparationsfrage und schließlieh auch durch eine Wahlniederlage Poincares, die zu seinem Sturz führte, erleichtert. Die Einschaltung Amerikas erfolgte unter dem Vorsitz des Generals Dawes, der genau die deutschen Leistungsmöglichkeiten und den Transfer der Reparationen prüfte und darüber ein Gutachten vorlegte. Im August 1924 wurde der „Dawesplan" auf einer Londoner Konferenz unter Beteiligung der deutschen Reichsregierung gutgeheißen. Es gelang Stresemann mit englischer Vermittlung, von der französischen Regierung Herriot Zusagen über die Räumung des Ruhrgebiets binnen Jahresfrist zu erlangen. Nur die innerpolitische Beruhigung in Deutschland ließ noch zu wünschen übrig. Zwar war die Staats-krise im wesentlichen überwunden. Ende Februar 1924 gab Seeckt die vollziehende Gewalt an die verfassungsmäßige Regierung zurück. Ebenso wurde das Generalstaatskommissariat in Bayern aufgelöst und zum erstenmal eine richtige parlamentarische Regierung in Bayern unter Dr. Held von der Bayerischen Volkspartei gebildet. Aber die Reichstagswahlen im Mai brachten den Deutschnationalen fast hundert und den Deutschvölkischen, in denen die Nationalsozialisten vorübergehend aufgegangen waren, über dreißig Mandate, während die Sozialdemokraten große Verluste erlitten. Als die für den Dawesplan notwendigen Gesetze Ende August vom Reichstag zu genehmigen waren, stellte sich heraus, daß die Verpfändung der Reichsbahn verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit bedurfte. Diese war ohne die Deutschnationalen nicht zu erreichen. Deren Partei hatte sich mit dem lautesten nationalen Pathos gegen die „Reparationsversklavung" festgelegt. Als Ebert aber nun mit Reichstagsauflösung drohte, wenn der Dawesplan abgelehnt werde, fiel die Hälfte der Deutschnationalen um und sagte ja. Das Manöver machte sich insofern nicht bezahlt, als die Auflösung wegen der Schwierigkeiten bei der Regierungsumbildung, die der Reichskanzler Marx vornahm, im Oktober doch noch erfolgte. Am 7. Dezember wurde ein neuer Reichstag gewählt. Die Mandatszahl der Völkischen wurde halbiert, die der Kommunisten vermindert, die der Sozialdemokraten wieder erhöht. Die Deutschnationalen aber blieben stark wie zuvor und verlangten mit Erfolg ihre Aufnahme in die Regierung des neuen Reichskanzlers Luther. Insgesamt war eine Rechtsschwenkung in der deutschen Innenpolitik unverkennbar. Die Sozialdemokraten hatten ihren früheren Einfluß verloren. Ihre stärkste Position war fortan die preußische Staatsregierung, die auf der Grund-läge einer knappen Mehrheit der Weimarer Koalition gebildet werden und sich so bis 1932 behaupten konnte. Im Reich verloren sie bald darauf die einflußreichste Stelle, weil am 28. Februar 1925 Reichspräsident Ebert starb.

Bei der Wahl des neuen Reichsoberhaupts bedeutete die Aufstellung des preußischen Ministerpräsidenten Braun nur eine Zählkandidatur, da die Spaltung der Arbeiterschaft in Sozialdemokraten und Kommunisten jede Siegesaussicht zerstörte. Hingegen hätte die Benennung des Reichswehrministers Geßler als bürgerlichen Sammelkandidaten gute Chancen eröffnet. Sie wurde durch Stresemann vereitelt, der nach der Annahme des Dawesplanes gerade begann, die Außenpolitik auf Westorientierung umzustellen, und nun befürchtete, daß ihn der Vertrauensmann der ostorientierten Heeresleitung im westlichen Ausland seiner Trümpfe berauben werde. So gab es bei der ersten Volkswahl zum Präsidenten lauter Zählkandidaten, weil alle Parteien ihre Favoriten vorschickten und keiner eine Mehrheit erreichen konnte. Ludendorff kandidierte für die Völkischen und Nationalsozialisten und erlitt die schwerste Niederlage. Er war fortan nur noch eine Art Sektenoberhaupt, da bald auch die extremen Nationalisten überwiegend zu Hitler gingen, der vor kurzem vorzeitig aus seiner Haft entlassen worden war. Im zweiten Wahlgang wurde am 26. April 1925 der Generalfeldmarschall von Hindenburg mit 14, 6 Millionen Stimmen gewählt gegen den Zentrumsführer Marx mit 13, 7 Millionen. Dieses Ergebnis war nur möglich, weil die Bayerische Volkspartei, deren Verstimmung gegen das Zentrum noch immer nicht überwunden war, Hindenburg vor Marx bevorzugte. Diese Entscheidung erwies sich später als verhängnisvoll, auch für die Bayern selbst. Sie war aber noch eine Folge gewisser bayernblinder, allzu unitaristischer Tendenzen in der Weimarer Demokratie.

Von Hindenburg enttäuscht

Zunächst erfüllten sich die Befürchtungen nicht, die den Republikanern bei der Wahl des monarchistischen alten Heerführers natürlich kommen mußten. Hindenburg nahm den Verfassungseid ernst, den er beim Amtsantritt geleistete hatte. Einem guten Teil seiner Wähler von der „nationalen Opposition“, die von der Verfassung und der parlamentarischen Demokratie nichts wissen wollten, bereitete er damit eine empfindliche Enttäuschung. Diese erreichte einen noch höheren Grad, als Hindenburg auch in der Außenpolitik dieser Opposition zuwider handelte. Er unterschrieb im Herbst 1925 den Eintritt Deutschlands in den Genfer Völkerbund. Stimmführend im Kampf gegen diese Außenpolitik war der Alldeutsche Verband unter seinem Vorsitzenden Justizrat Claß. Einer seiner Angehörigen war auch der Geheimrat Hugenberg, der mächtige Herr des größten deutschen Presse-und Filmkonzerns. Er begann im Winter 1925/26 daran zu arbeiten, die Deutschnationale Volkspartei seinem Einfluß zu unterwerfen. Der Flügel dieser Partei, der für den Dawesplan gestimmt hatte, stellte mehrere Minister im Reichskabinett Luther. Sie schieden später aus, gehörten aber 1927 einem Kabinett Marx wieder an. Ein Teil der politischen Rechten neigte also mit Hindenburg dazu, eine staats-bejahende Haltung in der Republik einzunehmen. Mehr und mehr bildeten sich zwei Richtungen der Deutschnationalen, die man als Hindenburg-und Hugenbergflügel bezeichnen kann. Ähnlich lagen die Dinge in der großen Frontkämpferorganisation „Stahlhelm" unter Franz Seldte. Hindenburg gehörte ihr als Ehrenmitglied an, aber viele Stahlhelmer waren von sei'ner Haltung als Reichspräsident enttäuscht. Am 21. Oktober 1928 entschied sich Hugenbergs Sieg in der Deutschnationalen Partei, indem er zum Vorsitzenden gewählt wurde. Der scharfe Kurs gegen die Verfassung und auch gegen den Reichspräsidenten persönlich, den er einschlug’ führte in den beiden nächsten Jahren zur Ab-spaltung aller Gruppen, die damit nicht einverstanden waren. Hugenbergs Finanzmacht aber sorgte dafür, daß Parteiapparat, Zeitungen und der größere Teil der Wähler in seiner Gefolgschaft blieben.

Stresemann, der in sämtlichen Reichsregierungen dieser Zeit als Außenminister blieb, gehörte zu den Politikern, die von den Anhängern von Hugenberg, Claß und Seldte am schärfsten bekämpft wurden. Der Pakt von Locarno, der am 27. November 1925 vom Reichstag angenommen wurde, enthielt eine gegenseitige Garantie der bestehenden Grenzen zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien, die von Großbritannien bekräftigt wurde. Er bedeutete also den Verzicht Deutschlands auf Elsaß-Lothringen und Eupen-Malmedy. Für die Westmächte war es wertvoll, daß Deutschland die westlichen Landabtretungen, die ihm in Versailles auferlegt worden waren, jetzt freiwillig anerkannte. Stresemann erreichte damit den Abzug der Besatzungstruppen aus der Kölner Zone. Die nächste Konsequenz war am 8. September 1926 der Eintritt des Reiches in den Völkerbund, wo ihm ein ständiger Ratssitz eingeräumt wurde. Dies wieder führte im Januar 1927 zur Zurückziehung der Kontrollkommissionen über die deutsche Entwaffnung. Diesen Kommissionen war natürlich die Umgehung der Bestimmungen bei der Reichswehr nicht entgangen. Die Ententeregierungen ließen aber ihre Berichte unbeachtet und verzichteten auf die Kontrollen. Die Reichswehr wußte den Vorteil, der ihr damit zufiel, zu schätzen. Seeckt nahm daher Stresemanns Politik hin, die freilich seiner Ostorientierung widersprach. Es hing nicht mit der Außenpolitik zusammen, daß der Chef der Heeresleitung im Oktober 1926 plötzlich seinen Abschied nahm. Den äußeren Anlaß lieferte die Beteiligung eines preußischen Prinzen an den Herbstmanövern. Die tieferen Gründe lagen darin, daß Seeckts Verhältnis zu Hindenburg lange nicht so gut war wie das zu Ebert. Unter Ebert hatte er sagen können: „Die Reichswehr steht hinter mir." Unter einem Präsidenten aber, der selbst Generalfeldmarschall war, ergab sich die Konsequenz, daß sie hinter diesem stehen sollte.

Aufstieg des Generals v. Schleicher

Seit Hindenburgs Wahl begann im Reichswehrministerium der Aufstieg des Obersten und späteren Generals von Schleicher. Er war befreundet mit dem Oberst Oskar von Hindenburg, der seines Vaters Adjutant geworden war. Beide Offiziere und der Präsident selbst waren Regimentskameraden; sie waren alle drei aus dem 3. Garderegiment zu Fuß hervorgegangen. Solche Kameradschaft bedeutete im preußischen Offizierskorps sehr viel. Im übrigen kam Schleicher aus Groeners Schule, besonders in seiner politischen Haltung. Er hatte viel selbständiger politisch denken gelernt als der Durchschnitt der Offiziere, und er hatte schon seit 1918 an wichtigen politischen Maßnahmen teilgenommen. Vor allem war er als Offizier in der Obersten Heeresleitung in Spa bei Groeners Entscheidung für Ebert unmittelbar dabei. Noch in einem Brief von Ende 1932, als Groener Grund hatte, Schleicher zu zürnen, erkannte er doch an, Schleicher sei sein „Freund, Schüler und Wahlsohn" gewesen. Schleichers Hand war im Spiele, daß zum Nachfolger Seeckts der General Heye berufen wurde, der ebenfalls Mitglied der Heeresleitung in Spa gewesen war. Einige Jahre später, Anfang 1930, wurde Heye durch den General von Hammerstein-Equord abgelöst, der aus dem 3. Garde-regiment zu Fuß stammte und Schleicher durch persönliche Freundschaft verbunden war. Zwei Jahre vorher aber, im Januar 1928, fand der Wehrminister Geßler Anlaß, sein Amt zur Verfügung zu stellen, das er acht Jahre lang verwaltet hatte. Zum Nachfolger wurde niemand anders als Groener berufen. Die bisher mit einem Zivilisten besetzte Stelle kam also an einen General. Groener war allerdings schon früher Mitglied der Reichsregierung gewesen, denn er hatte 1920 bis 1923 den Kabinetten Fehrenbach, Wirth und Cuno als Fachminister für Verkehr angehört. Jetzt aber kam er als Vertrauensmann der Reichswehr wieder. Beim Amtsantritt führte er sich bei seinen Mitarbeitern im Ministerium durch eine Ansprache ein, in der er auffallend stark betonte, daß seine Berufung das Werk des Reichspräsidenten sei: „Das ist der Boden, auf dem ich stehe, das Vertrauen Hindenburgs." Alles in allem sehen diese Vorgänge aus wie eine Machtübernahme durch die alte Oberste Heeresleitung des Weltkrieges, denn die wesentlichen Männer von Spa: Groener, Schleicher, Heye und Hindenburg selbst hatten sich wieder zusammengefunden. Für Schleicher schuf Groener eine neue Stellung, die seine Wichtigkeit nach außen hin kennzeichnete: das „Ministeramt" im Reichswehrministerium, das die Verbindung zwischen den Reichswehreinheiten und zu den Ministerien und Parteien zu pflegen hatte. Man denkt daran, wie Groener seine Haltung vom 10. November 1918 begründete: „Wir hofften, durch unsre Tätigkeit einen Teil der Macht im neuen Staat an Heer und Offizierskorps zu bringen." Inzwischen hatte sich im Laufe von zehn Jahren das Machtverhältnis zwischen Heer und Sozialdemokratie verschoben; am stärksten, seit der Reichspräsident kein Mann der Sozialdemokratie mehr war, sondern des Heeres. Trotzdem war sich Schleicher darüber klar, daß die Position der Wehrmacht einer demokratischen Grundlage, der Stützpunkt durch eine Massen-partei bedurfte. Dazu war zunächst noch immer die Sozialdemokratie ausersehen. Jedoch die Zeit, wo sie überlegen hätte führen können, war vorbei.

Immerhin errang die Sozialdemokratie bei den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 einen schönen Erfolg. Das Kabinett wurde auf der Grundlage der Großen Koalition gebildet. Die Sozialdemokratie erlangte noch einmal die Führung in einer Reichsregierung mit parlamentarischer Mehrheit. Da die Deutsche Volkspartei beteiligt war, behielt Stresemann auch jetzt daß Außenministerium. Er war wegen seiner Westorientierung von der „nationalen Opposition“ sehr stark angefeindet, obwohl er bemüht gewesen war die Brüchen nach Osten ja nicht abzubrechen.

Das noch immer schwache Vertrauen der Westmächte zu Deutschland und zu seiner Mitarbeit im Völkerbund hätte sich gefestigt, wenn Stresemann auch zu einem „Ostlocarno“, zu einer Garantie der Grenze mit Polen, Litauen und der Tschechoslowakei, bereit gewesen wäre.

Aber die nationalen Ansprüche Deutschlands auf dieser Seite „preiszugeben", wie im Westen, wäre ganz unmöglich gewesen, auch wenn Stresemann selbst gewollt hätte. Er wollte vielmehr die Beziehungen zur Sowjetunion bekräftigen, die zwar keine ausdrückliche Spitze gegen Polen hatten, aber dort so aufgefaßt wurden. Unter dem Druck der nationalen Opposition und seiner eigenen Partei mußte er diese Bekräftigung schon vornehmen, ehe noch Deutschland in den Völkerbund ging. Am 24. April 1926 wurde der „Berliner Vertrag" abgeschlossen, eine Freundschafts-und Neutralitätsvereinbarung, in der festgestellt wurde, daß als Grundlage der deutsch-sowjetischen Beziehungen der Vertrag von Rapallo in Geltung bleibe. Als nun 1928 die neue, von dem sozialdemokratischen Reichs-kanzler Hermann Müller geführte Koalitionsregierung die Geschäfte übernahm, entschloß sie sich, eine Neuregelung der deutschen Reparationsverpflichtungen und die Aufhebung des Dawesplanes zu beantragen. Sie hatte damit Erfolg: am 7. Juni 1929 wurde der neue, für Deutschland vorteilhafte „Youngplan" veröffentlicht. Da hielten die Gegner auf der Rechten, Claß, Hugenberg und Seldte, die Gelegenheit für günstig, den Generalangriff auf die gesamte Außenpolitik zu eröffnen, und dabei auch keine Rücksicht auf Hindenburg mehr zu nehmen, der seit vier Jahren regelmäßig unterschrieben hatte, was ihm Stresemann vorlegte. Sie behaupteten, es gelte eine neue „Versklavung“ des deutschen Volkes abzuwehren. Für diesen mehr demagogischen als sachlichen Feldzug schien es ihnen zweckmäßig, die Bundesgenossenschaft Hitlers anzunehmen, der nach seinem Scheitern in München 1923 und nach seiner Haftzeit bisher nur mit kleinem Erfolg seine Partei wieder errichtet hatte. Bei den Wahlen von 1928 hatten die Nationalsozialisten 12 Sitze im Reichstag erobert. Am 9. Juli 1929 wurde nun in Berlin ein „Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren gegen den Youngplan und die Kriegsschuldlüge" gebildet, in dessen Präsidium Hitler als gleichberechtigter Partner von Hugenberg, Claß und Seldte ausgenommen wurde. Erst von diesem Tage an gelangte Hitler zu der politischen Bedeutung, die er früher aus eigener Kraft vergeblich erstrebt hatte. Nur durch die Teilnahme an jenem Reichsausschuß flossen ihm die reichen Geldmittel zu, ohne die seine Partei niemals in die Lage gekommen wäre, entscheidende Propagandaerfolge zu erzielen. Die „nationale Opposition“ bekam Unterstützung durch den Reichsbankpräsidenten Schacht, den früheren Demokraten, der im Dezember 1929 sehr scharf gegen den Youngplan Stellung nahm. Trotzdem erzielte die Opposition beim Volksentscheid vom 22. Dezember 1929 nicht einmal 6 Millionen Stimmen, während etwa 21 Millionen zur Annahme nötig gewesen wären. Aber Hitler gewann mit dieser Propaganda das Sprungbrett zu größeren Erfolgen. Der Youngplan wurde am 11. März 1930 im Reichstag angenommen und von Hindenburg unterschrieben, was die „nationale Opposition" nur noch mehr verstockte und verblendete. Ihre Aussichten stiegen, denn die Regierungskoalition war im Verfall. Am 3. Oktober 1929 war Stresemann gestorben, schon längst erschöpft durch schwere Krankheit. Viele in der Deutschen Volkspartei hatten auf sein Ausscheiden nur gewartet, um ins Lager der Opposition überzugehen. Um die Jahreswende begann man in Deutschland die Wirkungen der Weltwirtschaftskrise zu spüren, die im Herbst von Amerika ausgegangen war.

Deutschland war von Kreditkündigungen und Absatzstockungen bedroht. Rasch zunehmende Arbeitslosigkeit rief soziale Spannungen hervor, die sich im Parlament geltend machten. Der rechte Flügel der Regierungskoalition verlangte eine Herabsetzung der Sozialleistungen, zu der die Sozialdemokraten unter dem Einfluß der Gewerkschaften nicht bereit waren. Die Minister der Partei erkannten, was auf dem Spiel stand, staatspolitische Notwendigkeiten nicht hinter einseitige Arbeiterinteressen hintanzustellen. Aber die Entscheidung fiel gegen sie. Am 27. März 1930 zerbrach die Parlamentsmehrheit, und die Regierung mußte zurücktreten. Damit wurde, zumal eine starke Regierung gerade in der Krise unentbehrlich war, der Weg frei für die Anwendung außerparlamentarischer Methoden, mit denen schließlich die Weimarer Verfassung zerstört wurde.

Möglichkeit einer Präsidialregierung

Der General von Schleicher rechnete schon lange mit dem Versagen des Parlamentarismus, da schon während der ganzen Wahlperiode von 1924 bis 1928 keine Regierungsmehrheit zustande kam und immer mit Minderheiten regiert wurde. Er wollte diese Lage benutzen, um das Notverordnungsrecht des Präsidenten nach Artikel 48 der Reichsverfassung, von dem schon Ebert öfters hatte Gebrauch machen müssen, „auszuweiten" und für längere Zeit ein Kabinett zu bilden, das sich auf den Auftrag des Reichsoberhauptes stützte. Seine Absicht war nicht, die Verfassung zu beseitigen. Sie sollte später reibungsloser funktionieren, wenn erst einmal gewisse reale Entscheidungen gefallen wären, und der Staat dadurch gefestigt dastünde.

Auf den Reichspräsidenten wurde das Schlagwort vom „Hüter der Verfassung“ gemünzt. Er sollte sie für normale Zeiten „hüten", bis einiges als „abnorm" Empfundene überwunden sei.

Als abnorm galten besonders der Druck der Reparationsauflagen, die bis 1930 noch bestehende Besetzung der Koblenzer und Mainzer Zone durch fremde Truppen, die Begrenzung der deutschen Wehrmacht auf nur 100 000 Mann und die vielen Rüstungsbeschränkungen, denen sie unterworfen war. Schleicher erstrebte die Heraufsetzung der Truppenzahl etwa auf das Dreifache und war überzeugt, daß er dieses Ziel mit einer „Präsidialregierung“ leichter erreichen werde als mit einer parlamentarischen.

Groeners betonte Berufung auf das „Vertrauen Hindenburgs“ im Januar 1928 spricht dafür, daß die Vertreter der Reichswehrpolitik schon damals mit Hilfe des „Hüters der Verfassung“ voranzukommen hofften. Doch kam die Zeit dafür zunächst noch nicht, weil die Wahlen vom Mai 1928 eine regierungsfähige Koalition unter sozialdemokratischer Führung ans Ruder brachten. Seit dem Tode Stresemanns und dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Herbst 1929 aber war der Zerfall dieser Koalition vorauszusehen. Schon ehe es dahin kam, hatte Schleieher in dem Zentrumsabgeordneten Dr. Brüning den Mann gefunden, der bereit war, insoweit das Parlament versagte, auf der Grundlage des Vertrauens Hindenburgs zu regieren.

Sowohl Brüning wie Groener und Schleicher rechneten zeitweise mit einer monarchistischen Endlösung, aber nicht durch Bruch, sondern durch Fortbildung der Verfassung. Vorerst wollten sie der Republik über den Berg helfen. Der Versuch, dies durch eine „Präsidialregierung“ zu erreichen, hatte manches für sich und konnte glücken, wenn und solange sich der Inhaber der präsidialen Vollmachten als eine zuverlässige Stütze bewährte. Die Halteseile, an denen das Staatsschiff festgemacht war, rissen erst, als Machenschaften verschiedener Art, die auf den Sturz Brünings ausgingen, im Mai 1932 zum Ziel gelangten. Gelegenheiten zu diesen Machenschaften lieferten besonders die persönlichen Verhältnisse im Hause Hindenburgs. An den Anfang setzen muß man die wohlberechnete Bestrebung des ostpreußischen Gutsbesitzers Elard von 01denburg-Januschau, den Präsidenten von der Politik der alten Obersten Heeresleitung zu lösen und in das Lager reaktionärer Agrarier hinüberzuziehen. Oldenburg war der Mann, der einst öffentlich geäußert hatte, daß der Kaiser den Reichstag, wenn er nicht pariere, durch einen Leutnant mit zehn Mann einfach ausräumen lassen könne. Im Jahre 1927 regte er eine Nationalspende zu Hindenburgs achtzigstem Geburtstag an. Die leistungsfähigsten Spender stellte die Großindustrie. Verwendet aber wurden die Gelder zum Ankauf des ostpreußischen Gutes Neudeck, das früher Eigentum Hindenburgischer Vorfahren gewesen war und jetzt dem Präsidenten geschenkt wurde. Zweckmäßigerweise wurde der Besitz im Grundbuch gleich auf den jüngeren Hindenburg, den Adjutanten, eingetragen. Das Ziel, die Familie mit den Interessen des ostelbischen Grundbesitzes zu verbinden, konnte nicht besser erreicht werden. Als die Präsidialregierung Brüning gebildet wurde, wäre es schon an der Zeit gewesen, diese Umstände sehr aufmerksam ins Auge zu fassen.

Erdrutsch im Herbst 1930

Der neue Reichskanzler löste im Sommer 1930, als er für seine Notverordnungen keine Mehrheit fand, den Reichstag auf. Bei den Neuwahlen am 14. September ereignete sich der „Erdrutsch": die vorher bedeutungslose Hitler-partei zog mit über hundert Mandaten in den Reichstag ein. Es ist natürlich eine Legende, daß Hitlers überragende „Persönlichkeit“ oder gar seine Unentbehrlichkeit für die „vaterländische Sache“ die Wähler gleich millionenweise für ihn auf die Beine gebracht habe. Wir haben vermerkt, wie er 1929 vom „Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren“ emporgehoben und mit Propagandageldern versehen wurde. Diese konnte er im Wahlkampf einsetzen, und da gerade eine Zeit wirtschaftlicher Not hereinbrach und die Arbeitslosigkeit sich unheimlich ausbreitete, fand er in den Massen leicht Gehör. Nicht die Propaganda, wohl aber das Wahlergebnis vom 14. September machte auch auf die Politiker tiefen Eindruck. General von Schleicher begann mit dem Nationalsozialismus als dem nunmehr wichtigsten parteipolitischen Faktor zu rechnen. Von jeher hatte die Wehrmacht-führung nach einer breiten Grundlage für ihre Politik ausgeschaut. Von der Sozialdemokratie war sie enttäuscht. Sollten vielleicht die Nationalsozialisten sie liefern können? An zur Schau getragener „Wehrfreudigkeit" ließen sie nichts zu wünschen übrig. In der Reichswehr griff die Meinung um sich, daß man es mit „wertvollsten nationalen Kräften“ zu tun habe.

Schleicher selbst blieb skeptisch, aber er behielt sich vor, daß man es eines Tages vielleicht mit der Hitlerpartei „versuchen" müsse. Der Wehr-minister Groener war diesem Versuch abgeneigt;

er erkannte die politisch-soziale Verwandschaft der Nationalsozialisten mit den Kommunisten.

Doch bewies der Hochverratsprozeß, der 1930 gegen drei Offiziere der Garnison Ulm geführt werden mußte, daß die Reichswehr bereits angesteckt war. Hitler benutzte den Prozeß, in dem er als Zeuge auftrat, um eidlich seine „Legalität“ zu versichern, die Umsturzpläne seiner jungen Anhänger also kaltblütig zu verleugnen. In der Heeresleitung war Heye damals von General von Hammerstein abgelöst worden, der aus seiner Verachtung der Nationalsozialisten niemals ein Hehl machte. Er hätte bestimmt einen Putsch niedergeschlagen. Eben deshalb ging Hitler den Weg der „Legalität".

Als Bote der Legalität erschien gegen Ende 1930 der ehemalige Reichswehrhauptmann Röhm, Hitlers alter Mitverschworener, der vor Jahren nach Bolivien ausgewandert, aber jetzt zurückgekehrt war, im Reichswehrministerium und bot sich als Bürgen an, daß keine Versuche zur Zersetzung der Reichswehr unternommen werden würden. Er wurde von Hitler dadurch bevollmächtigt, daß er von ihm zum „Stabs-Chef“ seiner Parteitruppen, der „Sturm-Abteilungen" (SA), ernannt wurde. Das Wehrministerium machte gewisse Zugeständnisse, indem das strenge Verbot jeder Verbindung von Reichswehrangehörigen mit umstürzlerischen Parteien und Gruppen zugunsten der Nationalsozialisten gelockert wurde. Daraus ergaben sich einige Beziehungen Schleichers zu Röhm, die auch zur Förderung von militärischen Plänen dienen sollten. Das Wehrministerium wünschte das Hunderttausend-Mann-Heer durch die Aufstellung einer etwa dreimal so starken Miliz zu ergänzen. In diese könnten geeignete Angehörige der parteipolitischen Wehrverbände, auch der SA, ausgenommen werden. Man hoffte auf diese Weise sowohl die Bürgerkriegsgefahr zu bannen, wie auch die Sorge loszuwerden, mit ungenügenden Kräften einem polnischen Angriff gegenüberzustehen, den Schleicher beständig fürchtete. Ein gewisses Vertrauen zu Röhm, das vielleicht nicht ganz grundlos war, bestärkte ihn mit der Zeit in der Hoffnung, daß die Nationalsozialisten die Reichswehrpolitik unterstützen würden. Dementsprechend setzte sich bei Hitler ein Argwohn fest, daß ihn Röhm möglicherweise verraten werde. Es ist kein Zufall, daß er später bei der Aktion vom 30. Juni 1934 Schleicher und Röhm gleichzeitig hat umbringen lassen.

Der Reichskanzler Brüning und auch der Wehrminister Groener blieben Schleichers politischen Spekulationen fern. Brüning betrieb mit Eifer die verfassungsmäßige Verlängerung der Amtsperiode des Reichspräsidenten, und als er damit keinen Erfolg hatte, die Wiederaufstellung und Wiederwahl Hindenburgs. Dieses Ziel wurde am 10. April 1932 erreicht. Hitler war Gegenkandidat und unterlag. Aber gleich dar-nach entstand eine tiefe Meinungsverschiedenheit Schleichers mit Brüning und Groener über ein Verbot der SA, das von diesen beiden für notwendig erachtet wurde, nachdem die preußische Polizei schwer belastendes Material gefunden hatte. Schleicher widersetzte sich ganz unerwartet dem Verbot, und als es von Hindenburg unterschrieben worden war intrigierte er im Hause des Präsidenten gegen seine bisherigen politischen Weggenossen. Ihm war nicht klar, daß er damit anfing, seine eigene Politik zu untergraben.

Brüning erlitt 1931 eine außenpolitische Niederlage, indem eine von seinem Außenminister Curtius vorbereitete Zollunion mit Österreich am Widerspruch Frankreichs scheiterte. Dann verhandelte er vor und nach der Präsidentenwahl auf der Abrüstungskonferenz des Völkerbunds in Genf, die seit vielen Jahren vorbereitet und im Februar 1932 endlich zusammengetreten war. Nach einer Bestimmung des Versailler Vertrags sollte Deutschlands erzwungene Abrüstung nur der erste Schritt zu entsprechenden Rüstungsverminderungen auch der übrigen Länder sein. Es galt also auf der Konferenz die Beseitigung der bisherigen „Diskriminierung" und die Zusage der „Gleichberechtigung“ und militärischen Sicherung Deutschlands zu erreichen. Einen Kommentar dazu lieferte Schleicher später in einer Rundfunkansprache vom 26. Juli 1932, indem er darlegte, daß man jenes Ziel „theoretisch auf zwei Wegen“ anstreben könne: entweder durch die Ausführung des Völkerbund-programms, daß alle Mächte auf einen möglichst niedrigen Stand abrüsten müßten, so wie man 1919 Deutschland gezwungen habe abzurüsten, oder aber durch eine begrenzte Aufrüstung Deutschlands. Praktisch glaubte er nur an die zweite Möglichkeit. Ihm lag, wie wir gesehen haben, an der Verstärkung der eigenen Wehrmacht durch die Aufstellung einer starken Miliz-formation neben der Reichswehr, also an einer „Aufrüstung", und daher sah er es nicht ungern, daß Frankreich auf der Konferenz der allgemeinen „Abrüstung“ widerstrebte. Er stand in Ver-bindung mit französischen Stellen und hoffte, die französische Abneigung gegen Rüstungsverminderung zugunsten seiner deutschen Wehrpläne ausnutzen zu können. Während Brüning in Genf im Sinne der Völkerbundsprinzipien auftrat und damit den lebhaften Beifall Amerikas und Englands, ja sogar auch die Zustimmung Italiens gewann, ging Schleicher so weit, den Franzosen Winke zu geben, positive Beschlüsse zu verzögern, da sie nicht mehr mit einer langen Kanzlerschaft Brünings zu rechnen brauchten. Er scheint gemeint zu haben, daß den deutschen Wehrmachtsplänen die allzu „angelsächsische" Einstellung Brünings hinderlich sei und daß man einen mehr „französisch“ orientierten Kanzler brauche. Den glaubte er in Franz von Papen gefunden zu haben.

Papen -der Anfang vom Ende

Papen gehörte, gleich Brüning, zur Zentrumspartei. Schleicher war in der weitverbreiteten, aber allzu oberflächlichen Meinung befangen, das Zentrum sei eine konfessionell katholische Partei, der es nicht schwer falle, in rein politischen Dingen die Grundsätze zu ändern und dann einen beliebig andern Kurs zu steuern. Papen vertrat seit langem eine von seiner Partei weit nach rechts abweichende Politik. Er war Mitglied des Berliner „Herrenklubs", der aus dem „Juniclub“ Moeller von den Brucks hervorgegangen war und mit seinen Sympathien auf der Seite der „nationalen Opposition“ stand. Die Auswahl Papens zum Kanzlerkandidaten mußte Schleicher in Verbindung mit der Politik von Hugenberg, Claß und Seldte bringen, so wie er anderseits über Röhm eine Brücke zu den Nationalsozialisten zu besitzen glaubte. Das System der „Präsidialregierung“, das Brüning nach Kräften in Einklang mit der Verfassung gehalten hatte, wurde jetzt mißbraucht. Dem vierundachtzigjährigen Reichspräsidenten wurde eingeredet, sein Kanzler verfolge bei seiner Sanierungs-und Siedlungspolitik in den ostelbischen Provinzen das „agrarbolschewistische" Ziel der Enteignung des bodenständigen Grundbesitzes. Diese Stimmungsmache war nicht Schleichers Werk, sondern das gewisser unbelehrbarer Kreise des Junkertums, die in Neudeck auf Hindenburg einwirken konnten. Seiner Politik war es jedoch willkommen, daß Brüning das Vertrauen des Präsidenten verlor und daraufhin zurücktrat, ohne zu kämpfen, was er, gestützt auf ein kürzliches Vertrauensvotum des Reichstags, sehr wohl hätte versuchen können. Damit war die Bahn für die zweite Präsidial-regierung frei, die Papen als Kanzler leitete und in die Schleicher selbst als Wehrminister eintrat. Groener hatte diesen Platz schon vorher frei gemacht, weil ihm erklärt wurde, er besitze das „Vertrauen der Wehrmacht" nicht mehr.

Als Vertreter der Agrarier in der neuen Regierung galt der Reichsinnenminister von Gayl; das Zusammenspiel mit Frankreich sollte Papen gewinnen, Schleicher selbst aber wollte im Hintergründe der eigentliche „Kopf“ des Ganzen sein. Gayls Hauptaufgabe sollte eine „Reichsreform“ im Sinne der „nationalen Opposition“ sein. Die staatliche Schwäche der Weimarer Republik hatte ihre Ursache nicht nur im Versagen des Parlamentarismus, sondern auch in der Konstruktion der Verfassung. Das Verhältnis des Nationalstaats zu den Landesstaaten war unausgeglichen geblieben. Der langwährende Konflikt des Reiches mit Bayern war nur mühsam und unvollständig beigelegt worden. Sachsen war 1923 von Moskau aus als Basis des bolschewistischen Umsturzes benutzt worden. Auf dieser Erfahrung beruhten die Reformvorschläge des damaligen Reichswehrministers Geßler, die er auch später weiter verfocht. Er glaubte die Umsturzgefahr verringern zu können, wenn Sachsen und Thüringen ihre Eigen-regierungen verlören und von Preußen annektiert würden. Wäre die Rheinprovinz 1923 nicht preußisch gewesen, so meinte er, dann hätten dort mit französischer Hilfe die Separatisten gesiegt. Analog dazu würden auch die bolschewistischen Aussichten verringert, wenn in Dresden und Weimar keine rot orientierten Landes-regierungen mehr säßen. Geßler wollte nur die süddeutschen Länder und die Hansestädte selbständig bestehen lassen und alles übrige preußisch machen, dafür aber Preußen selbst mediatisieren, indem die Ressorts der Landesregierung mit denen der Reichsregierung in Personalunion vereii. igt würden. Geßler warnte die demokratischen Mittelparteien, ja nicht einen rechtzeitigen Umbau des Reiches zu versäumen, denn sonst werde ihn die reaktionäre Rechte auf ihre Weise besorgen. „Wenn die Rechte einmal in Preußen eingedrungen ist, wird sie es verstehen, Preußen als ihre Machtposition auszubauen . . . Dann wird mit einem Male der gefährlichste aller Partikularismen, der ostelbische, in seiner ganzen Stärke wiedererstanden sein.

Beim Sturz Brünings zeigte sich deutlich, daß er tatsächlich wiedererstanden war. Die preußische Landesregierung war bis zu den Landtagswahlen Ende April 1932 ein Stabilitätsfaktor in Deutschland gewesen, weil die Parteien der Weimarer Koalition, die im Reiche längst eine Minderheit waren, in Preußen erst jetzt die Mehrheit verloren. Da die Polizei-und Justiz-hoheit bei den Ländern lagen, war das demokratisch regierte Preußen seit Jahren das stärkste Hindernis, das die Hugenberg-Opposition vor sich sah. Der Kampf, der mit dem Volksbegehren von 1929 eingeleitet wurde, richtete sich nicht bloß gegen den Youngplan, sondern sollte die Machtpositionen der Demokratie erschüttern, vor allem auch die in Preußen. Dabei bedienten sich Hugenberg und seine Freunde der Bundesgenossenschaft Hitlers. Im Oktober 1931 wurde auf einer gemeinsamen Tagung in Bad Harzburg zum Generalsturm geblasen, nicht nur gegen Brüning, sondern vor allem auch auf Preußen. Die Berufung Papens zum Reichskanzler am 1. Juni 1932 bedeutete den Sieg der „Harzburger Front", wenn es gelang, nach der Reichsregierung auch die preußische zu erobern und dann die Reichsreform nach Plänen eines Innenministers wie Gayl zu machen.

Die preußische Regierung der Weimarer Koalition war nach den Landtagswahlen nur noch geschäftsführend, weil die Mandatsverteilung so ausgefallen war, daß keine Regierungsmehrheit zustande kam. Aber sie war der Verfassung entsprechend noch im Amte. Da erfüllte sich, was Geßler befürchtet hatte. Papen proklamierte eine Reichsexekution gegen Preußen, für die es keine zureichende rechtliche Begründung gab, und beseitigte am 20. Juli 1932 die preußische Regierung einfach mit Gewalt. Der Staatsstreich fand keinen Widerstand, auch keine Sühne vor dem Staatsgerichtshof, der von den Verdrängten angerufen wurde. Papen unterstellte Preußen einem Reichskommissar. Nur insofern ging Geßlers Voraussage nicht in Erfüllung, als es Papen nicht verstand, die preußische Machtstellung auszubauen. Von ihr aus hätte er nach dem 30. Januar 1933 Hitler Fesseln anlegen können. Aber er gab sie am 7. April 1933 freiwillig auf und ließ sich durch Göring verdrängen, den Hitler zum „Preußischen Ministerpräsidenten" ernannte.

Mit einem analogen Streich, der aber noch weit rascher mit einem Mißerfolg endigte, suchte Papen seine außenpolitische Aufgabe zu lösen, indem er auf der Reparationskonferenz von Lausanne im Juni und Juli 1932 den Franzosen nahelegte, mit den Deutschen gemeinsame Sache gegen die Angelsachsen zu machen. Er setzte sich damit nur einer Zurückweisung, ja sogar dem Spott aus, daß es solcher Plumpheit nicht gelingen könne, die altbewährte englisch-französische Entente zu zerstören. Er verzögerte nur die gänzliche Aufhebung der Reparationen, die sich während der Wirtschaftskrise als unhaltbar erwiesen hatten, und kam ziemlich bloßgestellt aus Lausanne zurück. Die Nationalsozialisten, die die Regierung Papen-Schleicher „tolerieren“ sollten, hatten es nicht schwer, ihre Versprechungen nun zu widerrufen. Papen hatte auf ihren Wunsch den Reichstag aufgelöst. Er löste ihn, als sie ihm keine Gefolgschaft leisteten, im September noch einmal auf. Aber nach der zweiten, für ihn wiederum erfolglosen Neu-wahl am 6. November blieb ihm nichts übrig, als dem Reichspräsidenten den Übergang zur reinen Diktatur vorzuschlagen, die sich nur auf die Bajonette der Reichswehr stützen konnte. Diesem Unternehmen versagte sich Schleicher und erzwang damit Papens Rücktritt am 2. Dezember. Er erkaufte aber diese Ausschaltung mit dem Verlust der Gunst Hindenburgs, denn in Papens „Kameradschaft“ hatte sich der sehr alt gewordene Präsident so wohl gefühlt, wie vorher noch bei keinem Kanzler.

Durchbruch zur Katastrophenpolitik

Schleicher mußte das dritte „Präsidialkabinett“ in sehr unsicher gewordener Position selbst bilden. Er wollte eine wieder mehr demokratische Regierung führen, die sich auf die Gewerkschaften aller Richtungen und den Strasser-Flügel der Nationalsozialisten stützen sollte, den er von der Hitlerpartei abzuspalten hoffte. Gregor Strasser hatte später, am 30. Juni 1934, seine Zusammenarbeit mit Schleicher, gleich Röhm, mit dem Leben zu bezahlen. Denn die Abspaltung mißlang. Schleichers Stellung bei Hindenburg aber konnte mit dem Argument, daß er die „präsidialen“ Rechte wieder beschränken und zur Demokratie zurückkehren wolle, vollends untergraben werden. Es bedurfte nur noch der Überwindung der persönlichen Abneigung des Präsidenten gegen Hitler, um den Weg zur Entlassung Schleichers und zur Berufung Hitlers zum Reichskanzler freizumachen. Am 30. Januar 1933 kam die neue Regierung zustande. Sie war dem Anschein nach eine Regierung der „nationalen Konzentration“, einerseits Hitlers, anderseits Papens, Hugenbergs und des neuen Reichswehrministers von Blomberg. In Wahrheit aber bedeutete sie die „Machtergreifung" des „Führers“ und den Durchbruch zu seiner Katastrophenpolitik.

Es ist nicht undenkbar, daß dieser Ausgang nach der Wahl vom 6. November und nach der Übernahme der Kanzlerschaft durch Schleicher noch hätte vermieden werden können. Nämlich dadurch, daß sich die Kommunisten, die es im Reichstag auf 100 Sitze gebracht hatten, während die Nationalsozialisten von 230 auf 196 zurückgegangen waren, entschlossen hätten, das von Schleicher erstrebte Bündnis mit den Gewerkschaften zu tolerieren. Das hätte die Sozialdemokraten ermutigt, den Kanzler zu unterstützen und seiner Regierung über den Berg zu helfen. Es ist ja fast unbegreiflich, daß die Kommunisten, die von Hitler. ihre Unterdrückung zu gewärtigen hatten, nichts taten, um ihn von der Macht fernzuhalten. Nur aus den Direktiven von Moskau ist ihre selbstmörderische Haltung zu erklären. Stalins Strategie der Weltrevolution rechnete damit, daß sich in Deutschland die Sozialrevolutionären Energien stärker in der Hitlerbewegung als bei den Kommunisten sammelten. Die Kommunistische Partei Deutschlands war von ihrem Ursprung her im ganzen eine Partei der Industriearbeiter geblieben. Aber die fachgebildete, politisch geschulte deutsche Arbeiterschaft war, wie auch die in den übrigen hochentwickelten Industrie-ländern, kein eigentliches Proletariat mehr, aus dem sich die geborenen Anhänger des sozialen Umsturzes rekrutieren. Das hatte sich gezeigt, als Lenin sich in bezug auf Deutschland als irrender Prophet erwies und Ebert recht behielt. Die wirklich proletarisierten Menschen, die nichts mehr zu verlieren hatten als ihre Ketten, sammelten sich in Deutschland hinter Hitler: nämlich zunächst seit 1919 die Inflationsgeschädigten und die entlassenen Soldaten, dann seit 1929 die Krisengeschädigten und Arbeitslosen. Stalin stand auf hoher Warte und erkannte, wo die Staaten des Bolschewismus am besten grünten. Trotz großen Risikos für seine eigene Macht und trotz der betonten Feindschaft Hitlers gegen Rußland durchschaute Stalin frühzeitig seinen wahren Charakter: daß er der Mann sei, der das meiste dazu tun werde, das deutsche Volk reif zu machen für das freiheit-lose Dasein des Ostens.

Der Kampf um dieses Volk zwischen West und Ost ist durch den zweiten Weltkrieg noch nicht entschieden worden. Vergleicht man das weit größere, wenn auch immer noch nicht ganz gefestigte Ansehen des demokratischen Gedankens von heute mit seinem Tiefstand während gewisser Jahre der Weimarer Republik, so wird man vielleicht sagen können, daß der Demokratie in Deutschland auf dem verhängnisvollen Umweg über Hitler wenigstens ein Gewinn an Selbstgewißheit zugefallen ist.

ZEITTAFEL

1914 1. August: Ausbruch des ersten Weltkriegs 4. August: Bewilligung der Kriegskredite durch die Sozialdemokraten 1916 29. August: Generalfeldmarschall v. Hindenburg wird Chef der Obersten Heeresleitung, General Ludendorff sein Erster Generalquartiermeister 1917 6. Juli: Der Abg. Erzberger regt im Hauptausschuß des Reichstags eine Entschließung für annexionslosen Frieden an 12. Juli: Sturz des Reichskanzlers v, Bethmann-Hollweg 19. Juli: Annahme der Friedensresolution durch die Parteien der späteren Weimarer Koalition 7. November: Lenin erobert durch bewaffneten Aufstand die Regierungsmacht in Petersburg 1918 28. September: Mehrheitsparteien des Reichstags für Einführung des parlamentarischen Regierungssystems

29. September: Ludendorff verlangt sofortigen Waffenstillstand

3. Oktober: Prinz Max von Baden wird Reichskanzler

4. Oktober: Deutsche Waffenstillstandsbitte an die amerikanische Regierung 9. November: Ausrufung der Deutschen Republik durch Scheidemann, Ebert wird Reichskanzler anstelle des Prinzen Max von Baden 10 November: Rat der Volksbeauftragten in Berlin.

Verständigung General Groeners mit Ebert nach der Abreise Kaiser Wilhelms II. nach Holland 11. November: Waffenstillstand 29. Dezember: Austritt der Unabhängigen Sozialdemokraten aus dem Rat der Volksbeauftragten 31. Dezember: Jahresabschlußerklärung Eberts an das deutsche Volk 1919 15. Januar: Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs

19. Januar: Wahl der Deutschen Nationalversammlung

6 Februar: Die Nationalversammlung in Weimar eröffnet 11. Februar: Ebert zum Rechspräsidenten gewählt 21. Februar: Ermordung Eisners 7. April— 1. Mai: Münchner Räterepublik 23. Juni: Annahme des Versailler Friedensvertrags 11. August: Inkrafttreten der Weimarer Verfassung 20. September: Auflösung der Obersten Heeresleitung.

Dafür Reichswehrministerium 13. Dezember: Erzbergers Reichsabgabenordnung 1920 10. Januar: Der Friedensvertrag tritt in Kraft 13. März: Kapp-Putsch 6. Juni: Reichstagswahlen; die Weimarer Koalition verliert die Mehrheit. Reichskabinett Fehrenbach 1921 10. Mai: Reichskabinett Wirth. Entschluß zur „Erlüllungspolitik" unter dem Druck der Sieger-machte 26. August: Ermordung Erzbergers 1922 17; April: Vertrag von Rapallo zwischen Deutschland und der Sowjetunion 24. Juni: Ermordung Rathenaus. Verordnung zum Schutze der Republik, die zur Einrichtung eines Staatsgerichtshofs führt 22. November: Rücktritt Wirths. Reichskanzler Cuno 1923 11. Januar: Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen 13. August: Rücktritt Cunos. Reichskabinett Stresemann 26. September: Abbruch des Ruhrwiderstands. In Bayern Kahr Generalstaatskommissar 21. Oktober: Münchner Reichswehrdivision v. Lossow unterstellt sich Kahr Einmarsch der Reichswehr in Sachsen. Verhinderung eines kommunistischen Aufstands 8. /9. November: Hitlerputsch in München 15. November: Einführung der Rentenmark 22. November: Reichskabinett Marx. Stresemann Außenminister 1924 29. August: Annahme des Dawesplans, er tritt 1. September in Kraft 1925 15. Januar: Reichskabinett Luther 28. Februar: Tod Eberts 26. April: Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten

5. /16. Oktober: Konferenz in Locarno. Annahme des Locarnovertrags 1926 24. April: Berliner Vertrag mit der Sowjetunion 8. September: Eintritt Deutschlands in den Völkerbund mit ständigem Ratssitz 6. Oktober: Rücktritt General v. Seeckts von der Leitung der Reichswehr. Nachfolger: General Heye 1927 31. Januar: Reichskabinett Marx unter Teilnahme der Leutschnationalen 1928 14. Januar: Rücktritt des Wehrministers Geßler.

Nachfolger: General Groener, der bald für seinen Vertrauensmann General v. Schleicher das „Ministeramt" im Reichswehrministerium begründet 20. Mai: Reichstagswahlen. Wiederkehr der Weimarer Koalition unter Beitritt der Deutschen Volkspartei 1929 7. Juni: Neuordnung der Reparationen. Youngplan 9. Juli: Reichsausschuß für Volksbegehren gegen den Youngplan. Bündnis Hugenbergs mit Hitler 3. Oktober: Tod Stresemanns Ende Oktober: Ausbruch der Wirtschaftskrise 1930 11. März: Annahme des Youngplans im Reichstag 27. März: Zerfall der Regierungskoalition Präsidialregierung Brüning 14. September: Hitlers Wahlsieg bei den Reichstagsneuwahlen 1931 11. Oktober: Harzburger Front 1932 10. April: Wiederwahl Hindenburgs zum Reichs-präsidenten 30. Mai: Rücktritt Brünings 1. Juni: Präsidialregierung v. Papen 20. Juli: Papens Staatsstreich gegen Preußen 2. Dezember: Präsidialregierung v. Schleicher 1933 28. Januar: Rücktritt Schleichers 30. Januar: Hitler als Reichskanzler berufen

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Karl Buchheim, Leidensgeschichte des zivilen Geistes oder Die Demokratie in Deutschland. München 1951.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Waldemar Besson: „Franklin D. Roosevelt, der New Deal und die neuen Leitbilder der amerikanischen Politik"

Walter Bußmann: „Der deutsche Reichs-und Nationsgedanke im 19. und 20. Jahrhundert"

Indira Gandhi: „Indien heute"

Charles de Gaulle: „Memoiren"

Philip E. Mosely: „Mythen und Realitäten"

Hans Friedrich Reck: „Die indischen Parteien"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Wolfgang Schlegel: „Preußisch-deutsche Geschichte als politisch-pädagogisches Problem"

Egmont Zechlin: „Separatfriedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche zur Ausschaltung Rußlands im 1. Weltkrieg" (II. Teil)

Fussnoten

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