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Ringen um Frankreich | APuZ 26/1961 | bpb.de

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APuZ 26/1961 Ringen um Frankreich

Ringen um Frankreich

1. Intermezzo

Im dritten Kriegsfrühjahr spricht das Schick-sal sein Urteil. Die Würfel sind gefallen. Das Zünglein an der Waage schlägt nach der anderen Seite aus. In den Vereinigten Staaten werden gewaltige Mengen Rohstoff in Kampfmittel umgewandelt. Rußland fängt sich; man wird es in Stalingrad sehen. Den Engländern gelingt es, in Ägypten wieder Fuß zu fassen. Das kämpfende Frankreich wächst drinnen und draußen. Der Widerstand der unterdrückten Völker, vor allem der Polen, der Jugoslawen, der Griechen, gewinnt militärischen Wert. Während die Anstrengung Deutschlands ihre Grenzen erreicht hat, in Italien die Moral verfällt, die Ungarn, Rumänen, Bulgaren und Finnen ihre letzten Illusionen verlieren, während Spanien und die Türkei sich in ihre Neutralität verkapseln, im Pazifik der Vormarsch Japans gebremst und die Verteidigung Chinas gestärkt wird, deutet alles darauf hin, daß die Alliierten schlagen werden anstatt Schläge hinzunehmen. Im Westen bereitet sich eine Aktion von bedeutender Tragweite vor.

Ich sehe dieses Unternehmen heranreisen. Ziemlich allein inmitten von Partnern mit großer Gefolgschaft, ein Armer unter Reichen, wiege ich mich zwar in Hoffnung, bin aber auch von Sorge erfüllt. Denn im Mittelpunkt der Operation wird auf jeden Fall Frankreich stehen. Für Frankreich geht es nicht nur um die Vertreibung des Feindes aus seinem Territorium, sondern um seine Zukunft als Nation und Staat. Wenn es bis zum Ende darniederliegt, dann ist es um seinen Glauben an sich selbst und mithin um seine Unabhängigkeit geschehen. Es wird unversehens aus dem „Schweigen des Meeres" in endgültige Ohnmacht gleiten, aus der vom Feinde auferlegten Knechtschaft in die Abhängigkeit von den Alliierten. Nichts ist dagegen verloren, wenn es sich in wiedergewonnener Einheit erneut einreiht. Diesmal kann noch die Zukunft gerettet werden, vorausgesetzt, daß Frankreich am Ende des Dramas kriegführende Macht und wieder um eine einzige Regierung versammelt ist.

Um welche? Gewiß nicht um das Vichy-Regime. In den Augen des Volkes und der Welt verkörpert es die Hinnahme des Desasters. Was sich auch immer zur Erklärung seines Fehlers anführen läßt, dieser ist so groß, daß der Dämon der Verzweiflung es nötigen wird, an ihm festzuhalten. Zweifellos könnte die eine oder andere seiner führenden Persönlichkeiten, indem sie sich von ihm distanziert, vorübergehend eine Rolle spielen. Aber in dieser späten Reue würde niemand etwas anderes als opportunistisches Kalkül sehen. Zweifellos würde auch ein großer Heerführer, indem er die Armee zum Kampf aufruft, Berufssoldaten mit sich ziehen, die im Grunde nichts anderes als das erwarten. Aber solch eine Initiative würde nichts an den im Volk bereits bestehenden Strömungen ändern. Es gibt keinerlei Aussicht mehr, daß sich in der Not Frankreichs der Glaube und die Hoffnung der Massen dem politischen System zuwenden, das soeben erst von dem Desaster hinweggefegt worden ist. Die Männer, die in diesem System die repräsentativsten waren, wissen besser als jeder andere, woran sie sind. Einige haben sich Vichy angeschlossen, viele stehen zu de Gaulle, andere halten sich noch zurück; aber kein einziger denkt daran, auf dem Schiff von ehedem das Ruder zu ergreifen.

Hoffnungen der KPF

Aber da ist die kommunistische Partei. Seit Hitlers Einfall in Rußland gebärdet sie sich als Champion des Krieges. Beteiligt an der Resistance, in der sie keine Verluste scheut, sich zugleich auf das Unglück des Landes und das Elend des Volkes berufend, um die nationale Erhebung mit der sozialen Revolution zu verschmelzen, ist sie bestrebt, sich mit der Gloriole des Retters des Volkes zu umgeben. Auf eine Organisation sich stützend, die keine Skrupel kennt und sich an abweichenden Meinungen nicht stört, die es hervorragend versteht, bei den anderen Zellen zu bilden und in allen Sprachen zu reden, möchte sie als das Element erscheinen, das imstande ist, an dem Tage, an dem die Anarchie über das Land hereinbrechen würde, eine Art Ordnung sicherzustellen. Würde sie nicht darüber hinaus dem verschmähten Frankreich die aktive Hilfe Rußlands, der größten europäischen Macht, bieten? So rechnet die kommunistische Partei damit, daß ihr der Zusammenbruch des Vichy-Regimes die Gelegenheit gibt, bei uns ihre Diktatur zu errichten. Aber die Rechnung geht nicht auf, wenn der Staat draußen neu aufgebaut wird, wenn eine nationale Regierung den ersten Platz im Herzen der Franzosen einnimmt, wenn ihr Chef im Glanze des Sieges plötzlich in Paris erscheint.

Das ist meine Aufgabe! Frankreich mitten im Kriege neu zu ordnen, ihm die Zerrüttung zu ersparen, ihm seine Geschicke selbst wieder in die Hand zu geben. Gestern genügte das Handeln einer Handvoll Franzosen auf dem Schlachtfeld, um sich den Ereignissen entgegenzustellen. Morgen wird alles davon abhängen, ob das Land eine Zentralgewalt gutheißt und ihr folgt. Für mich wird es in dieser entscheidenden Phase nicht darum gehen, einige Truppen in den Kampf zu werfen, hier und da Gebietsfetzen wieder zu sammeln und der Nation die Romanze ihrer Größe vorzusingen. Was ich um mich versammeln muß, wird das Volk sein, das ganze Volk. Gegen den Feind, trotz der Alliierten, trotz schrecklicher Spaltungen werde ich um mich her die Einheit des zerrissenen Frankreichs herstellen müssen.

Man wird verstehen, wie stark mein Verlangen war, in das Geheimnis einzudringen, in welches während des Zwischenspiels Amerikaner und Engländer ihre Pläne hüllten. Freilich gebührte es den Vereinigten Staaten, zu entscheiden, denn von nun an fiel ihnen die Hauptanstrengung zu. In Washington waren sich der Präsident, die Minister und die Militärchefs bewußt, daß sie die Führer der Koalition geworden waren. Ihr Ton und ihr Auftreten zeigten dies deutlich. In Großbritannien konnte man die Vorausabteilungen der amerikanischen Armee, Luftwaffe und Marine sich auf englischen Stützpunkten und in englischen Lagern einrichten sehen. Die Straßen, Geschäfte, Kinos, Lokale Londons füllten sich mit Yankeesoldaten, gutmütigen, aber saloppen Burschen. General Eisenhower, der Oberbefehlshaber, General Clark, Admiral Stark, General Spaatz, Kommandeure jeweils der amerikanischen Land-, Marine-und Luftstreitkräfte in Europa, richte-ten sich mit der ganz neuen Maschinerie ihrer Stäbe inmitten des traditionellen Apparats des War Office, der Admiralität und der Royal Air Force ein. Die Engländer, mochten sie sich auch noch so sehr beherrschen, verbargen nicht ihre Wehmut darüber, nicht mehr Herr im eigenen Flause zu sein und sich der ersten Rolle beraubt zu sehen, die sie in den ersten beiden Kriegsjahren — und mit welchen Verdiensten! — gespielt hatten.

Nicht ohne Beunruhigung sah ich, wie sie sich von den Neuankömmlingen ins Schlepptau nehmen ließen. Zwar war zu erkennen, daß es in der Öffentlichkeit und in den führenden Kreisen so manchen gab, dem diese Art von Bindung nicht behagte. Das traf vor allem auf das Foreign Office zu. Aber die Lieferungen nach dem „Leih-und Pachtvertrag“ lasteten mit erdrückendem Gewicht auf jedem Unabhängigkeitsbemühen. Churchill selbst übernahm, sei es aus taktischen, sei es aus Gefühlsgründen, die Rolle von „Roosevelts Statthalter“. Da Frank-reich nicht mehr den Flügelmann in den Reihen des alten Kontinents abgab, bedeutete ein solches In-den-Schatten-stellen Englands, das trotz seiner Insellage seinen festen Platz in dieser Reihe eingenommen hatte, kein gutes Vorzeichen für die Art und Weise, in der schließlich die Angelegenheiten Europas geregelt werden würden.

Unschlüssigkeit über die Strategie

Zur Stunde waren sich die Amerikaner über ihre Strategie noch nicht schlüssig. Roosevelt und seine Berater beschäftigten sich mit zwei verschiedenen Konzeptionen. Bisweilen hegte Washington, getrieben von der nationalen Dynamik, die gesteigert wurde durch die gewaltige Rüstungsund Organisationsanstrengung, den Plan einer baldigen Landung. Zudem forderten die Russen, die unter dem Druck der deutschen 'Armeen Höllenqualen litten, mit lautem Geschrei die Errichtung der „zweiten Front". Ihr beharrliches Verlangen beeindruckte die Angelsachsen, die im stillen eine mögliche Kehrtwendung Moskaus befürchteten. Mochten die amerikanischen Militärchefs ihre Pläne noch so geheimhalten, es entging uns doch nicht, daß sie eine Operation vorbereiteten, die darauf abzielte, gegen Ende des Jahres in Frankreich zumindest einen Brückenkopf zu etablieren.

Doch im gleichen Augenblick, in dem sie mit der Kühnheit liebäugelten, gehorchten die Amerikaner der Vorsicht. Sie faßten auch den Plan ins Auge, in Nordafrika zu landen und somit die großen Zusammenstöße auf dem Boden Europas auf später zu verschieben. In der Tat empfand die Führung der Vereinigten Staaten in dem Augenblick, als sie die Streitkräfte ihres Landes jenseits des Ozeans einsetzen, starke Besorgnis. Es war das erstemal in der Geschichte, daß sich die Amerikaner veranlaßt sahen, an die Spitze großer Operationen zu treten.

Selbst im Ersten Weltkrieg waren sie erst während der letzten Kämpfe in größerer Zahl auf den Schlachtfeldern erschienen, damals noch als Ergänzungskräfte und sozusagen in untergeordneter Stellung. Seit 1939 hatten sich indes die Vereinigten Staaten die Aufgabe gestellt, eine Militärmacht ersten Ranges aufzubauen. Aber während ihre Marine, bereits die stärkste der Welt, mühelos so viele Schiffe und Flugzeuge verschlang, wie man ihr nur anbot, brauchten ihre gestern noch embryonalen Land-und Luft-streitkräfte noch einige Zeit, um sich den gewaltigen Dimensionen anzupassen. Mochten auch auf Betreiben des im kaum fertiggestellten Pentagon sitzenden Generals Marshall in den Lagern zahlreiche Divisonen am Fließband hergestellt werden, so fragte man sich doch voller Sorge, ob sich diese in Eile aufgestellten Einheiten, die summarisch ausgebildeten Kader, die zusammengestückelten Stäbe gegenüber der deutschen Wehrmacht bewähren würden. Am Vorabend ihres Einsatzes neigte man daher dazu, in Etappen vorzugehen.

Um so mehr, als auch den Engländern wenig daran lag, die Dinge zu überstürzen. Da sie hatten verzichten müssen, die „leaders“ zu sein, verstand es sich für sie von selbst, daß ein Sieg, der im wesentlichen nicht mehr der ihre sein würde, sie auch nicht teuer zu stehen kommen dürfte. Durch ein Hinausschieben der großen Schlachten würde man Zeit zur Vermehrung der amerikanischen Armeen gewinnen und dabei die englischen Streitkräfte schonen. Außerdem rechnete London angesichts des Aufschwungs der amerikanischen Rüstung damit, daß die bereits vorhandene materielle Überlegenheit der Alliierten im Jahre 1943 beträchtlich und 1944 erdrückend werden würde. Und dann: wozu Risiken heraufbeschwören und vielleicht in ein neues Dünkirchen rennen, da sich ja der Feind an der russischen Front mit jedem Tag mehr abnutzte? Zudem begannen die englischen und amerikanischen Luftangriffe auf deutsche Städte große Lücken in die Industrie des Reiches zu reißen, während die deutsche Luftwaffe nur noch selten Angriffe auf England unternahm. Schließlich löste das beginnende Geleitzugfahren amerikanischer Schiffe das Transportproblem. Man muß noch hinzufügen, daß die Londoner Strategie mit ihrer Verzögerungspolitik vor allem auf den Mittelmeerraum gerichtet war, wo England in Ägypten, in den arabischen Ländern, auf Zypern, Malta und in Gibraltar bereits bestehende Positionen verteidigte und andere in Libyen, Syrien, Griechenland und Jugoslawien zu erlangen trachtete. So waren also die Briten darauf aus, die angelsächsische Offensive auf diesem Kriegsschauplatz anzule-gen.

Aber je nach der Hinneigung Washingtons, sei es zur Landung in Frankreich, sei es zur Besetzung Marokkos, Algeriens und Tunesiens, war das Verhalten, das es dem Kämpfenden Frankreich gegenüber einzunehmen gedachte, völlig verschieden. Im ersteren Fall hätte man sofort die französische Resistance zur Teilnahme am Kampf gebraucht. Man wußte genau, wenn man sich auch den Anschein gab, als hege man Zweifel, in welchem Maße General de Gaulle zu handeln imstande war. Also mußte man ihm einen Platz einräumen. Aber im zweiten Falle würde man auf das vom State Department seit 1940 verfolgte Projekt zurückgreifen: sich Nordafrikas versichern, indem man die Mitwirkung der lokalen Behörden erlangte und de Gaulle draußen ließ. Wir werden sehen, daß unsere amerikanischen Verbündeten tatsächlich diese beiden Verhaltungsweisen uns gegenüber abwechselnd praktizierten.

Symbol des französischen Widerstands

Gegen Ende Mai 1942 neigten sie zur Verständigung. Am 21. Mai konsultierte mich John Winant, ihr trefflicher Botschafter in London, in aller Form über die Aussichten, die eine über den Kanal hinausgetragene Offensive biete, über den direkten Anteil, den wir dabei übernehmen könnten, und über die Beziehungen, die demzufolge zwischen dem französischen Nationalkomitee und den alliierten Regierungen hergestellt werden müßten. Am 1. Juni bat mich der Botschafter zu einer zweiten Besprechung. Diesmal war auch Eden anwesend: die Engländer bestanden in der Tat darauf, an den Unter-redungen teilzunehmen. Am 29. Juni unterhielt ich mich mit Eden unter vier Augen über die Frage der Anerkennung, wobei er mir als ehrlicher Makler eine von der amerikanischen Regierung vorgeschlagene Formel unterbreitete. Am nächsten Tag hatte ich, diesmal in Begleitung von Pleven, eine neue Unterredung mit Winant. Zur selben Zeit drängte Churchill, der zur Erörterung strategischer Fragen in Washington war, den Präsidenten Roosevelt, mir gegenüber Entgegenkommen an den Tag zu legen.

Das Ergebnis von alledem war ein Memorandum, welches das State Department am 9. Juli an mich richtete, nachdem ich die Bedingungen gebilligt hatte. In dem Dokument, von dem, seiner Präambel zufolge, „General de Gaulle erfreut Kenntnis genommen hatte“, hieß es, „daß die Regierung der Vereinigten Staaten und das französische Nationalkomitee auf gewissen Gebieten bereits eng zusammenarbeiten .. • daß, um diese Zusammenarbeit wirksamer zu machen, Admiral Stark zum Vertreter der amerikanischen Regierung ernannt wurde, damit über alle mit der Kriegführung zusammenhängenden Fragen Übereinstimmung mit dem fran-zösischen Nationalkomitee erzielt werden kann . . ., daß die Regierung der Vereinigten Staaten den Beitrag General de Gaulles und die Bemühungen des französischen Nationalkomitees bei der Aufrechterhaltung des traditionellen Geistes Frankreichs und seiner Einrichtungen anerkennt. . .; daß unsere gemeinsamen Ziele leichter erreicht werden, wenn dem französischen Nationalkomitee als dem Symbol des französischen Widerstands gegen die Achsenmächte jede mögliche militärische Hilfe und jeder mögliche Beistand gewährt wird." Vier Tage später stellten die Briten ihrerseits durch eine öffentliche Erklärung ihre Beziehungen zu uns auf eine breitere Basis. Am 13. Juli akzeptierte die britische Regierung den Namen „France Combattante" für die Bewegung freier Franzosen und erkannte an, „daß das Kämpfende Frankreich der Zusammenschluß derjenigen französischen Staatsbürger, wo immer sie sich aufhalten, und derjenigen französischen Territorien ist, die sich vereint haben; um mit den Vereinten Nationen im Kriege gegen die gemeinsamen Feinde zu kämpfen . . . und daß das französische Nationalkomitee die Interessen dieses Frankreichs und dieser Territorien bei der Regierung Großbritanniens vertritt“. Wenn die Worte einen Sinn hatten, so wohnte dieser Erklärung zumindest seitens Englands die Zusicherung inne, daß es mich nicht daran hindern würde, meine Autorität in jenen Teilen Frankreichs und seines Imperiums auszuüben, die wieder in den Kampf eintraten.

Auch andere Anzeichen und Schritte ließen erkennen, daß bei den Alliierten die Stimmung für uns günstiger geworden war. Als ich zur Feier des 14. Juli in London die Parade der französischen Truppen abnahm, stellte ich fest, daß General Eisenhower und Admiral Stark erschienen waren. Am selben Tag sagte Eden in einer Rundfunkansprache, mit der er aus Anlaß des Nationalfeiertags dem französischen Volk seine guten Wünsche übermittelte: „Ich spreche zu Ihnen nicht allein als zu Freunden, sondern auch als Verbündeten ... Dank der Entschlossenheit General de Gaulles hat Frankreich niemals auf den Schlachtfeldern gefehlt ... England hat voller Hoffnung und Bewunderung den Widerstand des französischen Volkes wachsen sehen ... In unseren Augen ist die Wiederherstellung Frankreichs in seiner Größe und Unabhängigkeit nicht nur eine Verheißung, sondern auch eine Notwendigkeit, denn ohne Frankreich läßt sich Europa nicht wiederaufbauen.“ Am 23. Juli waren General Marshall und Admiral King wieder einmal in London, und diesmal baten sie mich um ein Zusammentreffen. Ich sprach sie dann auch in Anwesenheit von Arnold, Eisenhower und Stark. Im Verlauf unserer Unterredung erläuterte ich den amerikanischen Militärchefs unseren Standpunkt hinsichtlich der Errichtung einer zweiten Front, des Beitrags, den Frankreich hierbei innen und außen leisten könnte, und schließlich der Bedingungen, in die die Alliierten einwilligen müßten, wenn es zwischen ihnen und uns zu einer befriedigenden Zusammenarbeit kommen solle.

Für eine direkte Offensive in Europa

Ich war natürlich für die direkte Offensive in Europa, und zwar von Großbritannien aus. Keine andere Operation würde die Entscheidung herbeiführen. Im übrigen war für Frankreich diejenige Lösung die beste, welche die mit einer Invasion verbundenen Leiden abkürzen und die nationale Einheit beschleunigen, d. h.den Kampf auf den Boden des Mutterlandes tragen würde. Zweifellos würde sich Vichy weiterhin den Deutschen unterwerfen. Doch würde es damit auch sein letztes Ansehen verlieren. Zweifellos würden die Deutschen auch die freie Zone besetzen. Dann aber würden angesichts der nunmehr unzweideutigen Lage die Armee in Afrika und vielleicht auch die Flotte den Kampf wiederaufnehmen, während in Frankreich selbst viele zur Resistance stießen. Es würde möglich werden, die verschiedenen französischen Behörden zu einer einzigen zu vereinen, die Zerrüttung im Innern zu verhüten und nach außen hin eine eindrucksvolle Repräsentation Frankreichs zu sichern.

Noch einmal durften die Alliierten nicht ins Meer zurückgeworfen werden. Bei meinem Gedankenaustausch mit Churchill, Eden, Winant, Marshall usw. überschlug ich, welche Streitkräfte nach meiner Meinung für eine Landung erforderlich sein würden. „Nach den Auskünften unseres Nachrichtennetzes", sagte und schrieb ich, „haben die Deutschen zur Zeit in Frankreich 25, 26 oder 27 Divisionen stehen. Sie könnten aus Deutschland noch 15 weitere her-anschaffen. Das heißt, am Anfang würden es die Alliierten mit etwa 40 Divisionen zu tun haben. Zieht man die mangelnde Erfahrung eines großen Teils der angelsächsischen Truppen in Rechnung und bedenkt man, daß der Gegner den Vorteil hat, das Gelände vorzubereiten, so müßten anfänglich mindestens 50 Divisionen, darunter 6 oder 7 Panzerdivisionen, zur Verfügung stehen. Darüber hinaus müßte die Luftüberlegenheit erdrückend sein. Wenn die Offensive im kommenden Herbst stattfindet, werden die tief in Rußland gebundenen Deutschen nur schwerlich von dort Truppen abziehen können. Außerdem wird das gemäß dem vom Kämpfenden Frankreich aufgestellten . Grünen Plan'empfohlene Zusammenwirken zwischen alliierter Luftwaffe und französischer Resistance die deutschen Ersatz-und Materialtransporte auf französischem Gebiet ernsthaft behindern.“

Ich erklärte den alliierten Militärchefs, daß wir, die Freien Franzosen, in der Lage wären, vorerst eine aus dem Orient kommende Division, eine in Äquatorialafrika ausgehobene gemischte Brigade, Kommandoabteilungen und Luftlandetruppen, 4 Flugzeugstaffeln und alle uns verfügbaren Kriegs-und Frachtschiffe zu stellen. Im übrigen hatte ich bereits Anfang Juli die gewünschten Instruktionen erteilt, damit diese verschiedenen Einheiten für ihren eventuell notwendig werdenden Transport bereitstanden. Außerdem rechnete ich damit, daß unsere Streitkräfte, sobald der Brückenkopf in Frankreich errichtet wäre, aus dem Menschen-material der befreiten Gebietsteile ergänzt werden würden. Idi hielt es für wahrscheinlich, daß bei einer zweiten, an unserer Mittelmeerküste und in Italien stattfindenden Landung die in Nord-und Westafrika zusammengestellten 8 Divisionen und 15 Flugzeugstaffeln sowie viele der zur Zeit in Toulon, Alexandrien, Bizerta, Casablanca, Dakar und Fort-de-France stillgelegten Schiffe nach einigen Wochen der Wiederinstandsetzung teilnehmen wollten und könnten. Schließlich würde nach Maßgabe des alliierten Vormarsches auf französischem Boden um den Kern der Geheimarmee eine dritte Staffel französischer Streitkräfte gebildet werden. Am 21. Juli hatte ich Churchill und General Marshall in einer Note, von der ich auch Moskau in Kenntnis setzte, mitgeteilt, welchen militärischen Beitrag Frankreich bei den einzelnen Phasen der Schlacht zu leisten imstande sei, und präzisiert, welches Kriegsmaterial ich von den Alliierten fordern müsse.

Indes zeigte sich bald, daß die Angelsachsen in diesem Jahr die Landung in Frankreich nidnt riskieren wollten. Sie faßten also Nordafrika ins Auge, wobei sie uns von der Teilnahme aus-schlossen. Wahrhaftig, wie aus vielen Tatsachen eindeutig hervorging, wollten die Amerikaner nicht zulassen, daß sich die Freien Franzosen mit Marokko, Algerien und Tunesien befaßten. Bis zum Frühjahr 1941 hatten wir dort noch einen Geheimdienst aufrechterhalten können, doch seitdem waren wir von jeder direkten Verbindung mit diesen Gebieten abgeschnitten. Niemals trafen dort unsere Emmissäre am Bestimmungsort ein. Niemals erreichten uns die Botschaften, die von dort, vor allem von Oberst Breuillac in Tunesien, Luizet in Algerien, Oberst Lelong und Funck-Brentano in Marokko, an uns abgingen. Im vorliegenden Falle war es klar, daß hier eine von Washington erlassene Verfügung durchgeführt wurde. Doch unter Benutzung von Umwegen waren wir über die Bemühungen der Vereinigten Staaten, sich in Nordafrika wie in Vichy Mithelfer zu verschaffen, nicht minder auf dem laufenden.

Wir wußten, daß Robert Murphy, amerikanischer Generalkonsul in Algier, die in Frankreich von der amerikanischen Botschaft in Vichy, von den dortigen Konsulaten und dem Geheimdienst der Vereinigten Staaten durchgeführte „Sonderaktion“ angeregt hatte. Murphy, ein geschickter und resoluter Mann, schon seit langem in der guten Gesellschaft bekannt, glaubte offenbar, daß die Leute, mit denen er außerhalb dinierte, Frankreich seien, und organisierte in Nordafrika eine Verschwörung zur Unterstützung der Landungen. Er versuchte auch, in Vichy selbst eine Palastrevolution anzuzetteln. So hatte Murphy zunächst den General de La Laurentie unterstützt, der bei seiner Rückkehr nach Paris danach trachtete, die Resistance unter seine Fittiche zu nehmen, um damit Druck auf den Marshall auszuüben und in die Regierung'zu gelangen. „Und de Gaulle?“ fragte man ihn. „Eh bien, wir werden ihn amnestie-ren!“ Andererseits hatte Murphy gewisse Offiziere aus Weygands Umgebung gedrängt, diesen zu einer Art Pronunciamiento zu bewegen, damit er an Lavals Stelle treten könne. Da nun La Laurentie niemanden fand, der sich ihm anschloß, und Weygand es ablehnte, sich gegen Petain zu erheben, nahm Murphy schließlich Fühlung mit General Giraud auf, der aus der Gefangenschaft entwichen war und darauf brannte, aufs neue zu kämpfen. Murphy hielt ihn für den geeigneten Mann, die Armee in Afrika mit sich zu reißen, sobald er sich nur an ihre Spitze stelle.

Kein Zusammengehen mit Giraud möglich

Audi ich meinerseits hatte versucht, mit General Giraud in Verbindung zu treten. Schon im Mai 1942 hatte ich ihn in einer Pressekonferenz in den höchsten Tönen gelobt. Im Juni und Juli hatten ihn mehrere meiner Korrespondenten aufgesucht und wiederaufgesucht, um ihm zu sagen, wie sehr ich darauf hoffte, daß wir uns vereinigen könnten. Diesem großen, von mir sehr geschätzten Heerführer war 1940 an der Spitze der VII. Armee der Erfolg versagt geblieben. Danach unverhofft zum Kommandeur der IX. Armee ernannt, die sich bereits in voller Auflösung befand, sah er sich vom Gegner umringt und entführt, ehe er überhaupt etwas hatte tun können. Aber man durfte annehmen, daß er, in eine ganz andere Lage versetzt, seine Rache am Schicksal nehmen würde. Nun, nach seiner glänzenden Flucht aus einer deutschen Festung bot sich ihm die Gelegenheit. Ginge er zur Resistance über, meinte ich, dann wäre das ein bedeutsames Ereignis. Da ich es für wesentlich hielt, daß Nordafrika wieder in den Krieg eintrat, glaubte ich, Giraud könnte bei diesem Umschwung eine große Rolle übernehmen, und ich war bereit, ihm dabei im Rahmen meiner Mittel zu helfen, vorausgesetzt, daß er gegenüber Vichy und dem Ausland eindeutig Stellung bezog. War dies geschehen, dann würde es sich von selbst verstehen, daß er im Befreiungskampf die Führung der wiedervereinigten französischen Armee erhielte. Das waren die ihm von meiner Seite aus eröffneten Perspektiven. Ich hoffte, er würde in der einen oder anderen Weise darauf eingehen und denjenigen seine Hochachtung erweisen, die seit zwei Jahren die Fahne hochhielten. Er tat nichts dergleichen. Meine Avancen beantwortete er mit Schweigen. Da er aber hinter den Kulissen ebenso gesprächig wie mir gegenüber reserviert war, zögerte ich nicht, mich über seine Einstellung zu informieren.

Für ihn war das Problem nur ein militärisches.

Nach seiner Meinung genügte es, daß eine starke französische Streitmacht wieder auf dem Kampfplatz erscheine, um alle anderen Fragen zu Nebensächlichkeiten absinken zu lassen. Das Moralische und Politische an der Tragödie unseres Landes war für ihn von zweitrangiger Bedeutung. Er glaubte, allein mit der Tatsache, die größten Streitkräfte zu führen, stehe ihm alsbald auch die Macht zu. Er zweifelte nicht daran, daß sein Rang und sein Ansehen ihm den Gehorsam aller mobilisierten und zu mobilisierenden Kräfte sowie die willfährige Mitarbeit der Stäbe der Alliierten sichern würden. Folglich würde er, Giraud, wenn er sich an der Spitze einer Armee und damit des Landes befände, den Marschall wie einen sehr verehrungswürdigen Greis behandeln, der zwar notfalls befreit werden müsse, aber nur noch Anspruch auf ein Piedestal hätte. Was den General de Gaulle anging, so bliebe diesem nichts anderes übrig, als sich seinem Vorgesetzten zu unterstellen. So würde also die nationale Einheit dadurch zustande kommen, daß sie in der militärischen Hierarchie aufgehe.

Die Art und Weise, wie General Giraud die Dinge betrachtete, mußte mich beunruhigen. Wenn sie auch einer keineswegs einfältigen Konzeption in bezug auf Armee und Politik entsprach, so rührte sie doch offensichtlich aus einer Illusion in bezug auf die natürliche Autorität her, die Giraud sich selber beimaß, und ich sah in ihr die mögliche Quelle nationaler Spaltungen und ausländischer Einmischungen. Denn der größte Teil der französischen Resistance würde sicherlich nicht eine Macht akzeptieren, die einzig und allein auf der schönen Karriere eines Soldaten beruhte. Andererseits würde Petain nicht versäumen, ihn zu verdammen. Schließlich würden die Alliierten, die mit solch einer Regierung ohne konstitutionelle Basis nach Belieben verfahren konnten, darauf aus sein, sie zum Schaden Frankreichs zu mißbrauchen.

Freilich glaubte General Giraud imstande zu sein, einen kapitalen Vorteil in die Koalition einzubringen. Aus den Berichten, die mich in London erreichten, ging hervor, daß er seinen eigenen Plan hatte. Giraud zufolge existierte bereits der Brückenkopf, und zwar in Gestalt der sogenannten freien Zone. Es ginge nur darum, daß die Angelsachsen an einem zu vereinbarenden Tag landeten; er selbst machte sich stark, mit Hilfe der Waffenstillstandsarmee, deren Befehl er übernehmen und durch Kontingente der Resistance verstärken würde, das Landungsunternehmen zu decken. Aber nach meiner Ansicht hatte dieses Projekt keine Aussicht auf Erfolg. Wenn man sich allenfalls auch vorstellen mochte, daß hier und da ein paar Einheiten der „freien“ Zone General Giraud trotz der ausdrücklichen Befehle und der Verwün-schungen des Marschalls folgen würden, so war es doch mehr als zweifelhaft, ob diese zerstreuten Haufen mit ihrer aufs äußerste beschnittenen Bewaffnung den Schlägen der deutschen Wehrmacht und Luftwaffe Widerstand leisten könnten. Darüber hinaus würden die Alliierten keinen Plan gutheißen, der für sie das denkbar größte Risiko mit sich brachte. Der Erfolg der Landung und der sich anschließenden Operationen erforderte in der Tat den Einsatz beträchtlicher Luft-und Flottenverbände und infolgedessen die Benutzung vieler und nahegelegener Flugplätze und Häfen. Wenn aber die Alliierten in Südfrankreich landeten, ohne sich vorher Nordafrika gesichert zu haben, würden ihnen nur Stützpunkte wie Gibraltar und Malta zur Verfügung stehen, also sehr kleine, ungenügend ausgestattete und verletzliche Basen. Lind schließlich, wie würde sich im Rahmen dieser Hypothese die Flotte in Toulon verhalten? Im Augenblick gehorchte sie Petain und Darlan. Widersetzte sie sich, deren Befehlen folgend, auch nur im geringsten den Alliierten, würde das Unternehmen noch riskanter werden.

Ende Juli ahnte ich, was bevorstand. Obwohl man uns sorgfältig verbarg, welche Pläne man hatte, hielt ich es für sehr wahrscheinlich, daß die Amerikaner in diesem Jahr ihre Anstrengungen auf Nordafrika beschränken würden, daß die Engländer sich gern damit abfanden, daß die Alliierten sich dort des Generals Giraud bedienen und mich aus der Sache heraushalten würden, und daß damit diese ersten Schritte zu unserer Befreiung, mochten sie auch in mancher Hinsicht glücklich sein, für uns Franzosen innere Prüfungen mit sich bringen würden, die der nationalen Einheit neue Hindernisse in den Weg legten.

Innere Festigung des „Kämpfenden Frankreich"

Unter diesen Umständen hielt ich es für angebracht, nur an Frankreich zu denken, da ja die anderen auch nur an sich dachten. Vor allem mußte nach meiner Ansicht der Zusammenhalt des Kämpfenden Frankreich verstärkt werden, damit es sich mit allgemeiner Zustimmung durch jederlei Schicksalsfälle als fester Damm darbiete.

Ganz bewußt befleißigte ich mich der für diese Konzentration erforderlichen starren Haltung. Um schon während des Intermezzos voranzukommen, beschloß ich, das freie Französisch-Afrika und die Levante aufzusuchen und unsere im Tschad und im Orient liegenden Truppen zu besichtigen. Die Alliierten, die sich im Mai solch einer Reise glatt widersetzt und mich mit dem Hinweis auf die baldige Eröffnung der zweiten Front abgelenkt hatten, versuchten diesmal nicht, mich von der Reise abzuhalten, woraus ich außerdem entnahm, daß sie eine Operation vorbereiteten, in die sie mich nicht hineinziehen wollten. Andererseits gedachte ich, durch engere Verknüpfung der inneren Bande in den einzelnen Teilen des zu uns stehenden Imperiums und der Armee, die Vereinigung der Resistance in Frankreich zu beschleunigen. Da gerade Andre

Philip in London eingetroffen war, ernannte ich ihn am 27. Juli zum Kommissar des Innern im Nationalkomitee mit der Aufgabe, Jean Moulin bei der ihm übertragenen Mission mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln in bezug auf Material, Menschen und Propaganda zu unterstützen. Zur gleichen Zeit betraute ich Jacques Soustelle mit dem Informationskommissariat. Ich berief Frenay, d’Astier und Jean-Pierre Levy, die Führer der Resistancegruppen Cowbat, Liberation und Franc-Tireur nach London, um sie zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen. Zum Zwecke einer beschleunigten Verschmelzung der paramilitärischen Elemente setzte ich General Delestraint als Kommandeur der künftigen Geheimarmee ein. Schließlich appellierte ich, um unserer Organisation mehr Gewicht zu verleihen, an hervorragende Männer wie Vienot, Massigli, General d’Astier de La Vigerie, General Cochet usw., sich uns anzuschließen. Es oblag Moulins Zentralbüro in Passy, die Verbindungen herzustellen und die Transporte zwischen Frankreich und England in einer Weise zu regeln, die mir ermöglichte, nach meiner Rückkehr aus Afrika jedem seine Rolle zuzuteilen.

Reise in den Nahen Osten

Am 5. August reiste ich ab, nachdem ich vorher Churchill und Eden gesprochen hatte. Ihre etwas verlegenen Äußerungen bestätigten mein Gefühl, daß sie im Begriff waren, sich in ein Unternehmen einzulassen, das dem Pakt, der uns seit Juni 1940 verband, widersprach. Im Flugzeug nach Kairo befand sich auch Averell Harriman, den Roosevelt als Botschafter nach Moskau geschickt hatte. Dieser im allgemeinen offene und gesprächige Diplomat war diesmal verschlossen, als trage er an einem schweren Geheimnis. In Gibraltar, wo sich mir der Anblick von im Gange befindlichen riesigen Festungsarbeiten bot, fiel mir das sibyllinische Verhalten des dortigen Gouverneurs General Mac Farlane auf, der sonst stets so zwanglos gewesen war. Alle diese Anzeichen bestätigten mir, daß sich bald — ohne uns — im Mittelmeer eine große Sache abspielen sollte. Am 7. August traf ich in Kairo ein.

Die Stimmung war dort ebenso drückend wie die Hitze. Die jüngsten Rückschläge der VIII. Armee lasteten noch schwer auf den Gemütern. Mochte Rommel seinen Vormarsch auch vor sechs Wochen gestoppt haben, er stand doch in El-Alamein, von wo aus er in zwei Stunden beim ersten Vorstoß mit seinen Panzern in Alexandria sein konnte. Im Staatsministerium, in der Botschaft, im Hauptquartier der Briten beobachtete man mit Besorgnis die rätselhafte Haltung König Faruks und vieler ägyptischer Notabein, die sich auf einen Sieg der Achse einzustellen schienen. Zwar hatte sich Nahas-Pascha, der alte Widersacher der Engländer, mit ihnen zum Vorteil beider Seiten ausgesöhnt und war vom König auf die warme Empfehlung des britischen Botschafters Sir Miles Lampson hin an die Spitze der Regierung gestellt worden, wobei Sir Miles den Einfall gehabt hatte, sich mit einer Panzereskorte zur Audienz in den Palast zu begeben. Ein Jahr vorher hatte Nahas-Pascha zu mir gesagt: „Wir beide haben etwas gemeinsam. Jeder von uns hat in seinem Lande die Mehrheit, aber nicht die Macht." Er war jetzt an der Macht. Aber wie würde es mit seiner Mehrheit aussehen, wenn die deutsch-italienischen Streitkräfte in die Hauptstadt einmarschierten?

Was die britischen Militärs anging, so traf ich General Auchinleck wie zuvor ruhig, schlicht und aufrichtig und Luftmarschall Tedder im Vollbesitz seiner Kraft und Selbstbeherrschung an. Aber unterhalb der Spitze zeigten sich viele besorgt und verbittert. Sie rechneten mit großen Veränderungen in den oberen Rängen, waren verärgert über die Kritik des Parlaments und der Londoner Zeitungen und nervös wegen der unfreundlichen Gesten und Äußerungen der Ägypter, die zum Beispiel applaudierten, wenn auf der Straße oder in den Kinos einzelne französische Soldaten erschienen, und seit meiner Ankunft in Kairo immer wieder sagten, de Gaulle werde im Nahen Osten das Kommando übernehmen. Zum Ausgleich sahen allerdings die britischen Stäbe neben hervorragendem Material die prachtvollen Truppen, die helden-

mutigen Geschwader, die London ohne zu nausern schickte, für die in Aussicht stehende evanche nach Ägypten einströmen.

Schienen die Engländer zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit zu schwanken, so befanden sich unsere Leute in guter Stimmung. In Bir Hachim hatten sie nach ihrer eigenen Auffassung die Weihe erhalten. Ich fuhr zu ihnen hin; Larminat führte sie mir am 8. und 11. August vor. Im Laufe einer prachtvollen Parade der 1. leichten Division verlieh ich General Koenig und einigen anderen, darunter Oberst Amilakvari, das Kreuz der Liberation. Ich inspizierte auch die 2. leichte Division, die Cazaud befehligte, und Remys motorisierten Verband, lauter gut ausgestattete und kampffreudige Einheiten. Dann besuchte ich unsere Fliegerund Luftlandetruppen. Sie waren eine im Kampf gestählte Einheit, und ich war sicher, daß sie sich durch nichts von mir abbringen lassen würden. Der Anblick der in der glühenden August-sonne strahlend vorbeimarschierenden Bataillone, Batterien und Panzerverbände, in deren Reihen prächtige Soldaten aller Rassen standen, geführt von Offizieren, die alles dem Ruhm und dem Siege opferten, erfüllten mich mit Stolz und Zuversicht. Zwischen ihnen und mir entstand ein Kontakt, ein Gleichklang der Seelen, der in uns eine Woge der Freude aufbranden ließ und den Sand unter unseren Füßen elastisch machte. Aber als die letzten Reihen unserer Truppen vorbeimarschiert waren, erwachte ich aus diesem Rausch. Nun bemächtigte sich meines Geistes wieder der Gedanke an die französischen Soldaten, Matrosen und Flieger, die anderswo, absurden Befehlen folgend, gegen die „Gaullisten“ und die Alliierten kämpften.

In unserer Kairoer Delegation nahm ich Fühlung mit wichtigen Persönlichkeiten der französischen Kolonie in Ägypten auf. Baron de Benoist war ein würdiger Vertreter Frankreichs. Ihm, dem Baron de Vaux, Rene Filliol und Georges Gorse zur Seite standen, war es zu danken, daß unsere kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Interessen wirksam gewahrt wurden, in der Erwartung, die ägyptische Regie-rnug würde das französische Nationalkomitee anerkennen. Presse und Rundfunk Ägyptens erhielten von unserem Delegierten alle nützlichen Hinweise. Die meisten Franzosen Ägyptens standen hinter ihm. Zugleich war es Benoist gelungen, der Suezkanalverwaltung ihren französischen Charakter zu erhalten, obwohl die britische Admiralität sie gern unter ihre Fittiche genommen hätte. In der Tat sind es die Franzosen gewesen, die die Inbetriebhaltung des Kanals während der ganzen Dauer des Krieges sicherstellten; ein wichtiger und verdienstvoller Beitrag zur Anstrengung der Alliierten, da ja die Verbindung zu den Flotten und Armeen im Nahen Osten wie auch der Nachschub für Syrien, Libanon, Palästina und Transjordanien über Port Said ging, während die Deutschen beständig die Konvois und Schleusen bombardierten. Auch besuchte ich Ismailia, um das Personal der Kanalverwaltung zu begrüßen und das kleine Zimmer zu besichtigen, von dem aus Lesseps die Durchführung seines großartigen, in diesem Kriege so lebenswichtigen Werkes leitete.

Gespräche in Kairo

Zur gleichen Zeit, in der ich den Freien Franzosen den nötigen Auftrieb gab, erörterte ich mit unseren englischen Verbündeten die uns trennenden Fragen. Churchill befand sich nämlich in Kairo. Am 7. August frühstückten wir zusammen. „Ich bin hergekommen", sagte er zu mir, „um die Kommandoführung umzubauen. Gleichzeitig will ich mich um unsere Meinungsverschiedenheiten wegen Syrien kümmern. Dann fliege ich nach Moskau. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß meine Reise große Bedeutung hat und mir einige Sorgen bereitet." — „Allerdings", erwiderte ich, „handelt es sich um drei ernste Gegenstände. Der erste betrifft nur Sie. Der zweite geht mich an, und der dritte berührt vor allem Stalin, dem Sie zweifellos beibringen wollen, daß die zweite Front in diesem Jahr nicht mehr errichtet wird. Ich verstehe Ihre Sorgen. Sie werden leicht darüber hinwegkommen, sobald Sie ein reines Gewissen haben.“ — „Wissen Sie“, brummte Churchill, „mein Gewissen ist ein gutes Mädchen, mit dem ich mich immer einige.“

Ich konnte dann auch feststellen, daß England weiterhin die Syrienfrage ohne Skrupel behandelte. Am 8. August sah ich Casey, der, obwohl Australier, Staatsminister in der Londoner Regierung war und in dieser Eigenschaft die Angelegenheiten Englands im Orient zu koordinieren hatte. Er sprach alsbald von Wahlen in den Levante-Ländern, die er für dringend notwendig hielt. Ich glaubte, meinem sympathischen Gesprächspartner sofort Bescheid sagen zu müssen. „Das französische Nationalkomitee", sagte ich, „hat beschlossen, in diesem Jahr keine Wahlen in Syrien und im Libanon abhalten zu lassen, da die Mandatsmacht nicht gedenkt, die Leute wählen zu lassen, während Rommel vor den Toren Alexandrias steht. Wird etwa in Ägypten, im Irak, in Transjordanien gewählt?“

Ich ging dann zur Offensive über und zählte dem Staatsminister die Schäden auf, die für uns die von England entgegen den getroffenen Abmachungen verfolgte Politik verursacht hatte. Er begriff mich und zog seinerseits die gleiche Schlußfolgerung, die ich oft geäußert hatte. „Im Augenblick“, sagte ich, „sind Sie freilich in diesem Gebiet sehr viel stärker als wir. In Anbetracht unserer Schwäche und der fortgesetzten Krisen, die sich in Madagaskar, in Nordafrika und eines Tages in Paris noch zu der gesellen werden, über die wir uns jetzt unterhalten, sind Sie in der Lage, uns zum Verlassen der Levante zu zwingen. Aber Sie werden dieses Ziel nur dadurch erreichen, daß Sie die Fremdenfeindlichkeit der Araber erregen und Ihre Stärke auf Kosten Ihrer Verbündeten mißbrauchen. Die Folge wird sein, daß Ihre Position im Nahen Osten mit jedem Tag unsicherer wird und daß im französischen Volk ein unauslöschlicher Groll gegen Sie entsteht." Casey beteuerte seine guten Absichten, spielte aber gleichzeitig auf „die größere Verantwortung Großbritanniens in diesem Gebiet" an. Jedenfalls kam er an jenem Tag, wie am 11. August, als ich ihn wiedersah, nicht mehr auf die Wahlen zu sprechen.

Auch Marschall Smuts, der Premierminister der Südafrikanischen Union, befand sich in Kairo. Wir hatten eine lange Unterredung. Dieser hervorragende und anziehende, aber etwas seltsame Mann, dieser Held der Unabhängigkeit Transvaals, der Regierungschef eines Dominions Seiner Majestät geworden war, dieser Bure in britischer Generalsuniform war dank seiner Qualitäten über alle Probleme des Krieges im Bilde. Obwohl seine Hauptstadt Prätoria so weit abgelegen wie denkbar war, obwohl sein Land, in dem sich Weiße und Schwarze mischten, ohne sich zu vereinigen, mit außerordentlichen Rassenproblemen zu kämpfen hatte, obwohl er selbst mit einer mächtigen Opposition zu ringen hatte, übte Smuts auf die Regierenden in London wirklichen Einfluß aus. Er verdankte dieses Privileg nicht allein der Tatsache, daß er in den Augen der Engländer eine erfolgreiche Eroberung verkörperte, sondern auch der Freundschaft Churchills, der einst, im Burenkrieg, einige Monate lang sein Gefangener gewesen war und diese Gelegenheit benutzt hatte, ihn selbst für immer einzufangen.

Smuts drückte mir gegenüber seine Hochachtung für das Kämpfende Frankreich aus: „Wenn Sie, de Gaulle, nicht Äquatorialafrika um sich gesammelt hätten, hätte ich, Smuts, Südafrika nicht halten können. Denn hätte in Brazzaville der Geist der Kapitulation gesiegt, wäre ihm auch Belgisch-Kongo anheimgefallen, und die Elemente, die bei mir den Krieg an der Seite der Engländer verurteilen, würden dann sicher die Oberhand gewonnen und mit den Achsenmächten kollaboriert haben. Damit würde sich die deutsche Hegemonie von Algier bis zum Kap ausgedehnt haben. Mit Ihrem Vorgehen im Tschad und im Kongo haben Sie unserer Koalition einen großen Dienst erwiesen. Es ist für uns alle von wesentlicher Bedeutung, daß Ihre Autorität sich jetzt auf das ganze französische Imperium und hoffentlich bald auch auf Frankreich erstreckt." Ich dankte Marschall Smuts für diese freundliche Würdigung, gab ihm aber zu verstehen, daß andere Verbündete sie nicht immer zu teilen schienen. Als Beispiele nannte ich ihm zunächst das Vorgehen der Engländer in Syrien und im Libanon, dann die Ereignisse in Madagaskar und schließlich das bevorstehende Unternehmen der Angelsachsen in Nordafrika, wo sie eine Macht zu errichten gedächten, die nicht die meine sei.

Smuts pflichtet mir bei, daß darin eine Verletzung der Freien Franzosen liege. „Aber“, fügte er hinzu, „diese betrüblichen Vorgänge können nur episodischer Natur sein. Die Amerikaner geben sich zu Anfang immer Täuschungen hin. Doch sobald sie das erkannt haben, ziehen sie daraus die Konsequenzen. Was die Engländer angeht, so spielen bei der Führung ihrer Angelegenheiten stets zwei verschiedene Gesichtspunkte mit: einmal der der Routine, vertreten durch die Ämter, die Komitees, die Stäbe, zum anderen der des größeren Weitblicks, der von Zeit zu Zeit in einem vom Volksempfinden getragenen Staatsmann Gestalt annimmt — heute ist es Churchill. Was Sie gegen sich haben, ist der erste der beiden Gesichtspunkte. Aber glauben Sie mir, der zweite ist Ihnen günstig, und zu guter Letzt ist er es, der sich immer durchsetzt.“

Als wir dann zu den praktischen Fragen in bezug auf Madagaskar übergingen, sagte Smuts, daß die Engländer immer noch der Illusion an-hingen, sich mit dem vichyhörigen Gouverneur der Insel zu einigen, daß sie, wenn sie erst einmal diese Illusion verloren hätten, die nach der Einnahme von Diego Suarez gestoppten Operationen wiederaufnehmen würden, daß sie dann versuchen würden, auf der Insel eine ihnen direkt unterstellte Verwaltung zu errichten, und daß sie sie schließlich dem französischen übergeben würden, eine Losung, die er, Smuts, vom ersten Tag an empfohlen habe. Er ließ mich verstehen, daß die Briten in dem Spiel, das sie mit mir trieben, Madagaskar als einen wertvollen Trumpf zurückbehielten, um im gegebenen Augenblick das Hissen des Kreuzes von Lothringen über der Insel zu akzeptieren. London habe damit ein Mittel in der Hand, um Unannehmlichkeiten, die anderswo dem Kämpfenden Frankreich durch die Politik der Alliierten entstünden, auszugleichen. Zum Schluß versprach mir Marschall Smuts, daß sich Südafrika nicht dazu hergeben würde, Madagaskar Frankreich wegzunehmen, sondern im Gegenteil London drängen würde, General de Gaulle dort seine Autorität etablieren zu lassen. Ich muß sagen, daß Prätoria dieser Zusicherung entsprechend handelte.

Begeisterter Empfang in Beirut

Am 12. August reiste ich nach Beirut weiter. Ich wollte einen Monat in Syrien und im Libanon verbringen, die Dinge wieder in die Hand bekommen, die Kontakte mit den Regierungen und führenden Kreisen erneuern, die Bevölkerung aufmuntern und ihr das Übergewicht Frankreichs ins Bevzußtsein zurückrufen. Der Empfang, den mir das Land bereitete, war eine eklatante Demonstration. Als ich in Begleitung von Alfred Naccache, dem Präsidenten der libanesischen Republik, Beirut betrat, strömte eine ungeheure Menschenmenge zu meiner Be-

grüßung zusammen. Nicht anders war es im Sidlibanon, vor allem in Saida und bei den im Gebirge wohnenden Maroniten, die in Massen nach Bekerbe gekommen waren, um ihren Patriarchen, dem ich einen Besuch abstattete, zu umrinoen. In Begleitung von General Catroux durchfuhr ich den jetzt friedlichen und loyalen Hauran. Dann erreichte ich den Dschebel Drus, ein in jeder Hinsicht vulkanisches Gebiet. In Es Suweda empfing ich nach der Parade der Drusen-Schwadronen im Maison de France die Behörden und Notabein, dann im Serail die malerische Menge der Delegierten aller Kantone. Dort versicherten mich die Redner unter Beifallsstürmen der Anhänglichkeit einer Bevölkerung, von der die Franzosen bisweilen weniger gut behandelt worden waren.

Den Scheich El-Tageddine, Präsidenten der syrischen Republik, an meiner Seite, zog ich in Damaskus ein, das von einer selten oezeioten Begeisterung vibrierte. Der offizielle Empfang durch den Staatschef und die Regierung sowie die Besuche, die mir die einzelnen Körperschaften, die Oberhäupter der verschiedenen Sekten, die Vertreter aller Parteien und Berufe abstatteten, ließen erkennen, wie sehr sich die junge Republik seit dem vergangenen Jahr in ihrer ehrwürdigen Hauptstadt konsolidiert hatte. Darauf begab ich mich nach Palmyra, wo ich die Huldigung der Beduinenstämme entgegen-nahm. Anschließend fuhr ich in das antike, doch mittlerweile modernisierte Euphratgebiet. In Deir es Sor wie auch anderswo war die politische, administrative und wirtschaftliche Situation nicht mit der zu vergleichen, die ich am Vorabend der betrüblichen Kämpfe des Jahres 1941 dort angetroffen hatte. Aleppo, seit Jahrhunder-Nationalkomitee ten Mittelpunkt des Handels, an dem die religiösen und Völkerströme Kleinasiens zusammentrafen, überschüttete mich mit Kundgebungen. Im Alauitenstaat wiederum sparte man, um mich zu ehren, nicht mit Beweisen traditioneller Freundschaft für Frankreich. Aber es war in den Städten Homs und Hama, die zu allen Zeiten als Hochburgen islamischen und syrischen Mißtrauens galten, wo die Glut der Begeisterung am hellsten loderte, wofür der Empfang durch den greisen Präsidenten Hakem-Bey-el-Atassi ein anmutiges Beispiel gab. Auf der Rückfahrt schenkten mir Tripolis und Batrun Beweise ergreifenden Vertrauens.

Indes traten unter den Wogen der Volks-kundgebungen die Aufgaben und Pflichten zutage, die Frankreich als Mandatsmacht oblagen. Es konnte nicht für immer die Bürde dieser Gebiete tragen, die ihm nicht gehörten und ihm nach den Verträgen nicht zustanden. Außerdem war deutlich zu erkennen, daß die syrische und libanesische Elite, so gespalten sie auch sein mochte, sich in dem Wunsch einig war, die Unabhängigkeit zu erlangen, zu der hinzuführen Frankreich sich von jeher verpflichtet und die ich selbst feierlich versprochen hatte. Dieses Verlangen war so stark, daß es absurd gewesen wäre, sich ihm zu widersetzen. Freilich mußten die wirtschaftlichen, diplomatischen und kulturellen Interessen, die Frankreich seit Generationen mit der Levante verbanden, bewahrt bleiben. Aber das schien durchaus mit der Unabhängigkeit der Staaten vereinbar.

Gleichwohl gedachten wir nicht, in Damaskus und Beirut das Prinzip unserer Autorität aufzugeben. Natürlich hätten dann die Engländer unter Berufung auf strategische Notwendigkeiten unsere Stelle eingenommen. Außerdem glaubte ich nicht das Recht zu haben, auf das Mandat zu verzichten. Ganz abgesehen davon, daß ich hierfür wie für alles andere dem Lande Rechenschaft schuldete, konnte Frankreich, sofern es sich nicht selbst aufgab, die ihm als Mandatsmacht übertragene internationale Verantwortung nur auf Grund einer Vereinbarung mit den Mandanten niederlegen, einer Vereinbarung also, die bei den gegebenen Umständen nicht zu erzielen war. Daher wollte ich, mochten wir auch den Regierungen in Damaskus un Beirut die von uns selbst wegen des Kriegs-zustands nicht wahrzunehmenden Befugnisse übertragen, mochten wir auch entschlossen sein, den öffentlichen Gewalten, sobald Rommel zurückgeschlagen sein würde, durch Veranstaltung von Wahlen eine normale Grundlage zu verschaffen, mochten wir uns auch der Verpflichtung bewußt sein, sobald wie möglich die internationalen Abkommen zu erfüllen, auf Grund deren die Unabhängigkeit dieser Staaten Gültigkeit erhalten sollte, im Augenblick nicht auf Frankreichs Hoheitsrechte in Syrien und im Libanon verzichten. Wir stellten zwar durch solchen Aufschub die Geduld der Berufspolitiker auf eine harte Probe, waren uns jedoch sicher, die notwendigen Umwandlungen ohne schwere Schäden vollziehen zu können, sofern uns England nicht hineinpfuschte.

Einmischungen der Engländer in Syrien

Aber es pfuschte uns kräftig hinein. So war Naccadre den Angriffen Spears'ausgesetzt, der ganz offen dessen Gegner aufhetzte und sogar den Präsidenten bedrohte, weil einige seiner Minister den Briten nicht gefielen oder weil er es ablehnte, im Libanon baldige Wahlen abzuhalten. Außerdem hatte Catroux unter dem Druck der Engländer, die von nichts Geringerem als von einer vollständigen Unterbindung des Außenhandels gesprochen hatten, darin 'eingewilligt, daß sie in die französisch-syrisch-libanesische Getreidekammer eintraten. Sie benutzten dies, um die Tätigkeit der Kammer zu behindern und die Regierung in Damaskus zu provozieren. Unter Mißachtung unseres Optionsrechtes hatten sie überdies den Bau der Eisenbahn Haifa—Tripolis in die Hand und die Bahn in ihren Besitz genommen. Da die französische Behörde in der Nähe von Tripolis, an der Mündung der Pipeline der irakischen Petroleum-Gesellschaft, eine Raffinerie betrieb, die ihr gestattete, durch Entnahme des Frankreich gehörenden Teiles des Erdöls die Levante mit Benzin zu versorgen, versuchten die Briten mit allen Mitteln, unser Werk zu schließen, um uns wie auch die Staaten der Levante in dieser Hinsicht von ihnen völlig abhängig zu machen. Endlich beanspruchten sie unter Berufung auf das Finanzabkommen, das ich mit ihnen am 19. März 1941 getroffen hatte und auf Grund dessen ihr Schatzamt uns in Form von Vorschüssen einen Teil unserer öffentlichen Geldmittel lieferte, die Kontrolle über die Verwendung des Geldes in Syrien und im Libanon und somit über die Budgets der Regierungen in Damaskus und Beirut. Auf allen Gebieten kam es Tag für Tag und allerorts durch die Handlungsweise unserer Verbündeten zu zahlreichen Einmischungen seitens einer Armee uniformierter Agenten.

Ich war fest entschlossen, mich dieser Abdrosselung zu widersetzen und, falls wir dennoch unterlagen, dafür zu sorgen, daß die Verstöße in ein grelles Licht gesetzt wurden. Nachdem ich mich an Ort und Stelle über den Stand der Dinge unterrichtet hatte, begann ich meine Kampagne mit einem formellen Protest, den ich am 14. August an Churchill richtete: „Seit Beginn meines Aufenthaltes in den un-ter französischem Mandat stehenden Levantländern mußte ich zu meinem Bedauern feststellen, daß die zwischen der britischen Regierung und dem französischen Nationalkomitee in bezug auf Syrien und den Libanon getroffenen Abmachungen ständig verletzt werden ... Die fortgesetzten Einmischungen von Vertre-tern der britischen Regierung. . . sind weder mit der politischen Uneigennützigkeit Großbritanniens in Syrien und im Libanon, noch mit der Achtung vor der Stellung Frankreichs, noch mit der Mandatsverwaltung vereinbar . .. Darüber hinaus erwecken diese Einmischungen und die Reaktionen, die sie hervorrufen, in allen arabischen Ländern den Eindruck, als bestünden zwischen Großbritannien und dem Kämpfenden Frankreich, die ja doch Verbündete sind, schwere Divergenzen ... Ich sehe midi zu der Bitte an Sie veranlaßt, dafür zu sorgen, daß in diesen Ländern die zwischen uns getroffenen Vereinbarungen wieder eingehalten werden..

Churchill erhielt meine Botschaft während seines Aufenthaltes in Moskau. Er beantwortete sie am 23. August von Kairo aus, auf dem Rückweg nach London: „Wir streben in keiner Weise die Zerrüttung der französischen Stellung in der Levante an... Wir erkennen vollauf an, daß auf politischem Gebiet die Initiative bei den französischen Behörden bleiben muß .. Wir geben vollkommen zu, daß die Mandats-verwaltung, technisch gesehen, nicht plötzlich aufhören kann.. Aber nachdem er den getroffenen Abmachungen Reverenz gezollt hatte, berief sich Churchill, um sie zu umgehen, wie üblich auf die einseitigen Ansprüche, auf die Großbritannien pochte: „Syrien und Libanon bilden Teil eines lebenswichtigen Kriegsschauplatzes, d. h., jeder Vorgang in diesem Gebiet berührt direkt oder indirekt unsere militärischen Interessen ... Wir sind sehr darauf bedacht, daß die von Catroux proklamierte und von uns garantierte Unabhängigkeit dieser Länder wirklich in die Tat umgesetzt wird... In meiner Unterhausrede vom 9. September 1941 habe ich deutlich erklärt, daß die Stellung der Freien Franzosen in Syrien nicht diejenige sein kann, deren sich vorher Vichy erfreute ..." Churchill schloß auf eine geflissentlich banale, besänftigende Art: „Ich begreife vollauf die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen unsern beiderseitigen Vertretern in der Levante ... Unser oberstes Ziel ist die Niederringung des Feindes ...“

Angesichts dieser unverhüllt abschlägigen Antwort war ich auf einen politischen Kurs-wechsel der Engländer gefaßt. Aber ich war entschlossen, ihn aus der Zweideutigkeit, hinter der er sich zu verbergen suchte, ans Licht zu ziehen. Die Folgen bedenkend, hielt ich es außerdem für richtig, eine allgemeine, Kompromisse ausschließende Haltung einzunehmen. Abermals telegrafierte ich an Churchill: „Ich kann unmöglich Ihre Auffassung hinnehmen, die politischen Einmischungen britischer Vertreter in der Levante seien vereinbar mit den von der britischen Regierung hinsichtlich der Stellung Frankreichs und seines Mandats eingegangenen Verpflichtungen ... Zudem ist die durch die Einmischungen und Pressionen Ihrer Vertreter dort geschaffene französisch-britische Rivalität der Kriegsanstrengung der Vereinten Nationen abträglich... Ich bitte dringend, Ihre Auffassung über diese Angelegenheit gründlich zu überprüfen.“

Indem ich solche Sprache führte, dachte ich weniger an die Gegenwart, die mir kaum Mittel bot, den Streit durchzuhalten, als an die Zukunft, in der Frankreich vielleicht in der Lage sein würde, ihn wieder aufzunehmen, sofern diejenigen, die dann in seinem Namen sprechen würden, die erforderliche Festigkeit hatten, um eine Verzichtleistung abzulehnen. Ich dachte um so mehr an die Zukunft, als zur gleichen Zeit ähnliche Vertrauensbrüche in Madagaskar begangen wurden, die morgen in Nordafrika und eines Tages gar in Paris geschehen konnten. Wenn wir uns nicht den ersten Vertrauensbrüchen widersetzten, würden wir es bei den künftigen auch nicht tun können. Im übrigen bestand für uns kein Grund, uns Schweigen aufzuerlegen, wenn man uns Stück für Stück beraubte. Ich hielt es also für notwendig, Amerika und Rußland auf dem laufenden zu halten. Unternahmen jedoch deren Regierungen nach gebührender Unterrichtung nichts, um die Briten zur Sinnesänderung zu bringen, so würde doch wenigstens der Streit in der ganzen Welt widerhallen. Am 16. August hatte mich der amerikanische Generalkonsul Gwynn ausgesucht, der ziemlich beunruhigt gewesen war. Ich tat nichts, um ihn zu beschwichtigen. Am 24. August bat ich ihn erneut zu mir und übergab ihm eine für seine Regierung bestimmte Note. Das Dokument stellte die Zusammenhänge der Affäre und ihre möglichen Folgen dar. Am folgenden Tag kam Gwynn wieder. Er teilte mir den Wortlaut eines Telegrammes mit, das Cordell Hull an den amerikanischen Botschafter in London, John Winant, gesandt und mit dem er ihn angewiesen hatte, die Frage direkt mit den Engländern zu besprechen. Das war genau, was ich wünschte. Der amerikanische Außenminister ließ seinen Botschafter wissen: „Wir sind uns vollkommen des Ernstes der Lage bewußt... Der britische Gesandte in Beirut (Spears) legt allem Anschein nach seine Aufgabe in einem Sinne aus, der über die üblichen Befugnisse eines diplomatischen Vertreters weit hinausgeht... Besprechen Sie bitte diese Angelegenheit erneut mit Mr. Eden... Unsere Regierung kann einer Kontroverse gegenüber, die die gemeinsame Kriegsanstrengung berührt, nicht gleichgültig bleiben.“

Außerdem wurde Gwynn von Cordell Hull beauftragt, „General de Gaulle für seine ausführliche Information zu danken". Aber da die Botschaft zum Schluß wohl auch ein bißchen Galle enthalten mußte, wurde Gwynn aufgefordert, „dem General mit gleichem Freimut die große Bedeutung klarzumachen, die die Vereinigten Staaten der peinlichen Einhaltung der in bezug auf Syrien und den Libanon gegebenen Zusicherung beimessen ...“

Inzwsichen hatte Dejean in London unsere Beschwerden Bogomolow vorgetragen und unsere Delegation in Moskau entsprechend unterrichtet. Am 11. September sagte ihm der so-

wjetische Botschafter, „seine Regierung sei be-reit, uns zu unterstützen, soweit es ihre Mittel erlaubten“.

Ich fühlte mich um so weniger zur Behutsamkeit geneigt, als mir jetzt mit Sicherheit die von den Angelsachsen in bezug auf Nordafrika getroffenen Beschlüsse bekannt waren. Nicht, daß die Alliierten mich von ihren Plänen etwas hätten wissen lassen. Im Gegenteil, alle, die mit den Vorbereitungen befaßt waren, wahrten nach wie vor absolutes Schweigen. Aber diese Geheimnistuerei war uns gegenüber nicht allein unfreundlich, sie war zu alledem noch überflüssig. Denn aus Amerika, aus England, aus Frankreich erhielten wir eine Flut von Informationen. Ein gewisses Gerücht lief uni die Welt, während aus allem, was man im Nahen Osten beobachten konnte, deutlich hervorging, daß es sich um einen afrikanischen Feldzug handelte. In Kairo hatte Churchill während seines dortigen Aufenthaltes General Alexander zum Oberbefehlshaber und Montgomery zum Kommandeur der VIII. Armee ernannt. Aus Großbritannien trafen fortlaufend Verstärkungen ein, vor allem Panzereinheiten. Tedder, der Chef der RAF im Nahen Osten, erhielt gewaltige Mengen an Flugzeugen. Alles deutete auf ein großes Vorhaben hin, das wohl kaum auf Europa abzielte.

Am 27. August konnte ich unserer Londoner Delegation mitteilen: „Die Vereinigten Staaten haben jetzt beschlossen, Truppen im französischen Nordafrika zu landen ... Die Operation wird in Verbindung mit einer bevorstehenden Offensive der Briten in Ägypten stattfinden ... Die Amerikaner haben sich auf dem Turnier-platz häuslich enigerichtet, wobei sie sich des guten Willens unserer Anhänger bedienen und sie glauben lassen, sie handelten im Einvernehmen mit uns... Im gegebenen Fall wird Marschall Petain fraglos den Befehl geben, in Nordafrika gegen die Alliierten zu kämpfen ... Die Deutschen werden die Sache zum Vorwand nehmen, um herbeizueilen...“ Ich fügte hinzu: „Die Amerikaner glaubten zunächst, es würde ihnen möglich sein, noch in diesem Jahr eine zweite Front in Frankreich zu eröffnen. Weil sie uns dafür nötig gehabt hätten, waren sie anfänglich dem in ihrem Memorandum vom 9. Juli vorgesehenen Weg gefolgt. Inzwischen hat sich ihr Plan geändert..

Fortdauer der Kontroversen

Von nun an war alles klar. Die Strategie der Alliierten lag fest. Was jedoch ihre politische Haltung anging, so beruhte sie auf dem heiligen Egoismus. Weniger denn je war ich geneigt, den ideologischen Formeln, unter denen sie ihn zu verbergen trachteten, Glauben zu schenken. Wie sollte man die zur Schau getragenen Skrupel Washingtons ernst nehmen, dieses Washingtons, das sich von General de Gaulle unter dem Vorwand distanzierte, die Franzosen müßten die Freiheit haben, eines Tages selbst ihre Regierung zu wählen, und das gleichzeitig offizielle Beziehungen zu der Diktatur in Vichy unterhielt und sich darauf vorbereitete, mit jedem zu paktieren, der den amerikanischen Truppen die Pforten Nordafrikas öffnete? Wie sollte man an die Aufrichtigkeit der Erklärungen Londons glauben, das sich, um sein Eingreifen in den unter französischer Mandatsverwaltung stehenden Levantegebieten zur rechtfertigen, auf das Unabhängigkeitsrecht der Araber berief, während die Engländer im gleichen Augenblick Gandhi und Nehru ins Gefängnis warfen, im Irak die Anhänger Raschid Alis hart bestraften und dem ägyptischen König Faruk die Zusammensetzung seiner Regierung diktierten? Allons! Heute wie gestern galt es, an nichts anderes zu denken als an Frankreichs Interessen.

Unterdessen glaubte Casey sich bemerkbar machen zu müssen. Aber er tat es, mochten seine Absichten noch so gut sein, auf eine Art und Weise, mit der die Dinge nicht in Ordnung gebracht werden konnten. Am 29. August schlug er mir eine „offene Aussprache" vor, um im Interesse beider Länder befriedigendere Beziehungen herzustellen, „denn“, schrieb er, „ich habe das Gefühl, daß diese Beziehungen in Syrien und im Libanon einen kritischen Punkt erreicht haben.“ Unglücklicherweise glaubte der britische Staatsminister hinzufügen zu müssen: „Ich bitte Sie, nach Kairo zu kommen ... Wenn Sie es nicht tun, würde ich mich gezwungen sehen, dem Premierminister die Situation so zu unterbreiten, wie sie sich mir darstellt.“ Der Ton seines Telegramms zwang mich, ihm zu antworten, „daß ich bereit wäre, diese ernsten Angelegenheiten mit ihm zu besprechen, aber hier in Beirut, da wir uns bei den beiden Besuchen, die ich ihm in Kairo zu machen das Vergnügen gehabt hätte, nicht hätten einigen können..."

In diesem Augenblick trat Churchill erneut auf den Plan. Am 31. August telegrafierte er mir aus London, „daß er ebenso wie ich die Lage für ernst halte ..., daß es nach seiner Mei- wesentlich wäre, sie sobald wie möglich mit mir zu besprechen..., daß er mich bitte, meine Rüdekehr nach London zu beschleunigen und ihn wissen zu lassen, wann er mich erwarten könne." Ich konnte dem britischen Premierminister nur „für die freundliche Einladung* danken und ihm sagen, daß „ich mich selbstverständlich sobald wie möglich auf die Reise begeben würde, daß mir aber die Situation im Augenblick nicht erlaube, die Levante zu verlassen...“ „In jedem Fall“, fügte ich hinzu, „bin ich auch heute noch bereit, mit Mr. Casey die Sache in Beirut zu verhandeln." Am 7. September schließlich ließ ich, die Spannung auf die Spitze treibend, durch den aus Teheran zu mir gekommenen Botschafter Helleu Casey ein Memorandum überreichen, das unsere Beschwerden präzisierte.

Während ich so die Kontroverse in Gang hielt, begab ich mich daran, die inneren Angelegenheiten des Landes zu klären. Es ging darum, bei den beiden Regierungen zu erreichen, daß sie entschlossen vorgingen, vor allem auf den im argen liegenden Gebieten der Finanzen und der Versorgung. Außerdem geziemte es sich, sie über unsere Ansichten bezüglich der Wahlen zu informieren. Alfred Naccache suchte mich am 2. September, Scheich Tageddine am 4. September auf. Ich empfing sie mit großem Gepränge. Beide sparten nicht mit Versicherungen ihres guten Willens. Sie fühlten sich durch die Festigkeit der französischen Autorität für ihre eigenen Aufgaben erneut gestärkt und zögerten nicht mehr, Maßnahmen ins Auge zu fassen, die geeignet waren, das Etatgleichgewicht herzustellen, die Getreidekammer zum Funktionieren zu bringen und die Spekulation zu beschränken. Im Einvernehmen mit ihnen und mit General Catroux blieb ich bei der vom Nationalkomitee getroffenen Entscheidung, nicht vor dem nächsten Sommer in Beratungen über die Wahlen einzutreten. Aber auch nur dann, wenn sich die strategische Lage bis dahin günstig entwickle.

Stärkung des französischen Einflusses in der Levante

Während der Zeit, die ich in Beirut verbrachte, nahm ich zahlreiche Verbindungen auf, wobei ich die Sitten des Orients befolgte, wo es zugleich als taktlos und unschicklich gilt, zu richten und zu entscheiden, ohne vorher Rat entgegengenommen und Aufmerksamkeiten verschwendet zu haben. In der Residenz empfing ich viele Besucher, die alle den Wunsch ausdrückten, in ihrem Land einen Staat zu sehen, der seinen Verpflichtungen nachkam, aber jeder machte sich auch zum Apostel des einen oder anderen Partikularismus, dieses Hindernisses für jeden Staat seit Anbeginn der Geschichte. Das alles bestärkte mich in der Überzeugung, daß Syrien und der Libanon auf dem Wege zur Unabhängigkeit von Frankreichs Anwesenheit alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatten.

Die Vorteile, die diese Anwesenheit beiden Ländern brachte, waren unbestreitbar und auch unbestritten. Ob es sich um die Verwaltung, um öffentliche Bauten, um Schulen und Krankenhäuser, um den Anteil französischer Berater an der Verwaltung, dem Erziehungswesen, dem Genung richtswesen, der öffentlichen Ordnung und dem Straßenbau oder um die beruflichen, geistigen, familiären Beziehungen zwischen Franzosen und Syriern und Libanesen handelte, diese tausend Bande entsprangen dem Interesse und dem Empfinden beider Seiten. In allen Büros, Werken, Schulen, Krankenhäusern und Vereinen, die ich besuchte, wurde mir einhellig erklärt, daß diese Bande, gleich welcher Art die künftigen politischen Beziehungen zwischen Paris, Damaskus und Beirut sein würden, aufrechterhalten werden müßten.

Selbstverständlich bemühte ich mich auch, der militärischen Organisation den stärkstmöglichen Auftrieb zu geben. Von den eigentlich französischen Elementen der Armee befanden sich die meisten damals in Ägypten. Wir hatten nur ein paar Abteilungen in Syrien und im Libanon belassen. Im übrigen bewies die äußerst geringe Anzahl französischer Soldaten, daß die französische Autorität andere Grundlagen hatte als die bloßer Gewalt. Es oblag also den „Sondertruppen", d. h.den syrischen und libanesischen Einheiten, für die Sicherheit der beiden Länder Sorge zu tragen, die jeden Augenblick bedroht werden konnte. Denn gegen Ende des Sommers 1942 stieß die deutsche Wehrmacht bis tief in den Kaukasus vor, während die deutsch-italienische Wüstenarmee das Nildelta bedrohte. Trug der Gegner auf dem einen oder anderen dieser Kriegsschauplätze den Sieg davon, dann lag Kleinasien ungeschützt da. Daher unterließen wir nichts, um den Kampfwert der einheimischen Truppen zu erhöhen.

So entstand der Kern einer Armee: Syrien stellte 9 Infanteriebataillone, 1 Kavallerieregiment, 3 teilweise motorisierte Abteilungen; der Libanon 3 Schützenbataillone, während von beiden Ländern gemeinsam 8 Batterien Artillerie, 1 Panzerbataillon, Pionier-, Transport-und Nachrichteneinheiten gestellt wurden. Aus der Kriegsschule in Homs ging alljährlich ein neuer Lehrgang hervor. Zwar wirkten einige französische Offiziere bei der Eingliederung dieser Sondertruppen mit, aber man sah auch aus deren Reihen tüchtige Offiziere hervorgehen, seien es Syrer, wie die Obersten Znaim und Schi-

schakli, seien es Libanesen, wie die Obersten Schelab und Naufal. Das Material, das wir Dentz abgenommen hatten, erlaubte uns, diese Truppen aus dem sehr gut versehenen Artilleriepark von Beirut gebührend zu bewaffnen und auszurüsten. Ich machte es mir zur Ehre, die zum Schutz der Levante unter General Humblot für die Landtruppen, unter Fregattenkapitän Kolb-Bernard für die Marine und unter Oberstleutnant Gence für die Luftwaffe belassenen französischen, syrischen und libanesischen Soldaten zu inspizieren. Es waren 25 000 zuverlässige Leute, die die beiden Länder gegen jeden Handstreich des Gegners beschützten und, zusammen mit den örtlichen Polizeitruppen, genügten, die Ordnung in einem Gebiet aufrechtzuerhalten, das seit Jahrtausenden aus unversöhnlichen Elementen bestand, etwa so groß wie ein Drittel Frankreichs war, eine 2500 km lange Grenze und als Nachbarn den Irak, Transjordanien und Palästina hatte, wo es ständig gärte. Die Tatsache, daß die unter französischem Mandat stehende Levante in diesem Abschnitt des Krieges so ruhig blieb und daß ihre Truppen so zuverlässig waren, trug erheblich zum Erfolg der alliierten Strategie bei. Dadurch waren die Alliierten, deren Armeen sich in Ägypten, Libyen und Abessinien schlugen, jeder Sorge um ihr rückwärtiges Gebiet enthoben, wurden die Türken in ihrer Weigerung, die Deutschen durchzulassen, bestärkt und die arabischen Völker insgesamt von feindseligen Handlungen, zu denen sie sich angesichts der Ereignisse hätten hinreißen lassen können, abgehalten.

So erfolgreich nun auch meine Reise war, die Probleme blieben in der Schwebe. Ich hatte zwar eine andere Atmosphäre zu schaffen und für Zeitgewinn zu sorgen vermocht. Was aber hätte ich darüber hinaus erlangen können, da ich weder Menschen noch Geld zur Verfügung hatte? Eine Politik steht und fällt mit ihren Machtmitteln. Das gilt im Orient gewiß noch mehr als anderswo.

Ein distinguierter Besucher aus Amerika sollte mir dies bestätigen. Es war Wendell Wilkie. Er war von den Republikanern bei den Präsidentenwahlen im November 1940 als Kandidat gegen Roosevelt aufgestellt worden. Jetzt hatte Roosevelt, um die durch den Krieg geschaffene heilige Einheit zu demonstrieren, seinen Gegner von damals beauftragt, sich in der ganzen Welt bei denen, die das große Spiel betrieben, zu informieren. Wendell Wilkie machte auf seiner Reise zu Stalin und Tschiang Kai-schek Station in der Levante. Er traf am 10. September ein und blieb 24 Stunden, während deren er mein Gast war.

Auf seine Bitte hin erläuterte ich ihm, wieso und warum Frankreich an der Levante stand. Aber Wendell Wilkie, der zum erstenmal die Levante besuchte, hatte offenbar schon vorher eine feste Meinung über alle Punkte. Nach Washington zurückgekehrt, erklärte er in der summarischen Art, in der Amerikaner ihre Meinung äußern, er sei überzeugt, daß die Reibungen in Beirut lediglich eine Episode der Rivalität zwischen zwei gleicherweise verabscheuungswürdigen Kolonialmächten seien. Hinsichtlich meiner Person scheute er sich nicht, in seinem nach der Rückkehr geschriebenen Buch in die böswillige Ironie anderer miteinzustimmen. Da wir uns in Beirut im Amtszimmer des Hohen Kommissars unterhalten hatten, das kürzlich von de Martel im Empirestil eingerichtet worden war, stellte er mich als Nachäffer Napoleons dar. Da ich die für französische Offiziere während des Sommers vorgeschriebene weiße Leinenuniform trug, sah er darin eine ostentative Imitation Ludwigs XIV. Da jemand aus meiner Umgebung von „der Mission General de Gaulles“ gesprochen hatte, meinte er, ich hielte mich für Jeanne d'Arc. In dieser Hinsicht war er nicht nur Roosevelts Konkurrent, sondern auch dessen Nacheiferer.

Die Landung auf Madagaskar

Doch am selben Tag, an dem ich mich mit dem Abgesandten des amerikanischen Präsidenten unterhielt, erschien auf der Leinwand ein neues Ereignis, das Frankreich anging. Im Morgengrauen des 10. September hatten die Engländer ihre Aktion in Madagaskar wiederaufgenommen. AIs ihnen nach fünfmonatigem Verhandeln aufgegangen war, daß sie von dem Generalgouverneur Annet keinerlei ernsthafte Garantie erlangen konnten, daß Vichy jeden Augenblick fähig war, die Insel den Japanern als Stützpunkt zu überlassen und daß Laval entsprechende Anweisungen gegeben hatte, beschlossen unsere Verbündeten, die Insel selbst zu besetzen.

Auch diesmal noch operierten sie ohne Mitwirkung der Freien Franzosen. Aber im Gegensatz zu dem Angriff auf Diego-Suarez setzten sie uns wenigstens in Kenntnis, ehe sie vollendete Tatsachen schufen. Am 7. September ließ Eden, nachdem er Pleven und Dejean die Verstimmung seiner Regierung über mein Verhalten an der Levante zum Ausdruck gebracht hatte, durchblicken, daß in Madagaskar ein Ereignis bevorstehe, über das man sich verständigen müsse. Am 9. September berief er unsere beiden Nationalkommissare zu sich und erklärte ihnen, „daß am folgenden Tage britische Truppen in Majunga landen sollten, daß seine Regierung die feste Absicht habe, auf Madagaskar die Autorität des französischen Nationalkomitees anzuerkennen, sobald die militärischen Operationen abgeschlossen wären, und daß es wünschenswert sei, möglichst bald mit mir über eine Vereinbarung dieserhalb zu verhandeln". Am 10. Sep-tember gab London bekannt, daß die britischen Truppen in Majunga Fuß gefaßt hätten und daß „eine befreundete Verwaltung, die den Wunsch habe, mit den Vereinten Nationen vollauf zusammenzuarbeiten und an der Befreiung Frankreichs mitzuwirken, auf der Insel errichtet werden würde“. Am 11. September sagte Strang zu Maurice Dejean: „Bei der in der Verlautbarung erwähnten . befreundeten Verwaltung'denkt die britische Regierung an das französische Nationalkomitee. Ob es so wird, hängt von Ihnen ab. Wir unsererseits sind überzeugt, daß wir zu einer Verständigung gelangen können.“

Ich beschloß, nach London zurückzukehren. Zweifellos würde ich dort eine unangenehme Stimmung vorfinden. Zweifellos hätte es für mich in mancher Hinsicht Vorteile gehabt, meinen Sitz in einem unter französischer Souveränität stehenden Gebiet aufzuschlagen, ehe die amerikanische Operation in Nordafrika vonstat-ten ginge. Zweifellos würde sich die Madagaskar-Affäre nicht unverzüglich und reibungslos regeln lassen. Aber bei allem, was auf dem Spiele stand, konnte ich nicht länger zögern. Also sandte ich Eden ein Telegramm, mit dem ich ihm meinen guten Willen bekundete und ihm sagte, „ich hätte Plevens und Dejeans Berichte zur Kenntnis genommen und würde seiner und des Premierministers freundlicher Einladung bald Folge leisten“. Er antwortete umgehend: „Ich werde mich freuen, mit Ihnen unsere Beziehungen in der Levante sowie die künftige Zivilverwaltung Madagaskar im Sinne meiner Unterredung mit Pleven und Dejean vom 9. September besprechen zu können.“

Mit der Air-France nach Zentral-Afrika

Ehe ich mich nach England begab, wollte ich etwa zehn Tage im freien Französisch-Afrika verbringen. Dort gedachte ich, ebenso wie im Orient, den Zusammenhalt des Kämpfenden Frankreich am Vorabend von Ereignissen, die Erschütterungen bringen konnten, zu stärken und unseren Streitkräften klarzumachen, welche Aufgabe sie bei dem bevorstehenden großen Unternehmen zu erfüllen hatten. Zum erstenmal konnte ich von Syrien aus zum Kongo fliegen, ohne mich britischer Maschinen bedienen zu müssen. Unter der Leitung von Oberst de Mar-mier, dem Oberst Vachet zur Seite stand, verkehrten schon wieder mehrere französische Fluglinien, z. B. von Aleppo und Deir es-Sor nach Damaskus und Beirut, von Damaskus nach Brazzaville und zwischen Fort-Lamy, Bangui, Brazzaville, Pointe-Noire und Duala. Ein paar Flugzeuge waren in der Levante überholt worden, aber darüber hinaus hatten wir aus Amerika 8 Lockhead-Maschinen als Gegenleistung für die Benutzung des Stützpunktes Pointe-Noire erhalten. So hatten wir das Flugpersonal der Air France, das seit langem in Argentinien und Brasilien zur Untätigkeit verdammt gewesen war, heranholen können. Am 13. September flog ich ohne Unterbrechung die 3000-km zwischen Damaskus und Fort-Lamy und demonstrierte damit, daß es möglich war, von Taurus zum Atlantik zu gelangen, ohne nicht zum Freien Frankreich gehörigen Boden zu betreten.

In Fort-Lamy empfing mich Leclerc. Da er von der bevorstehenden Wiederaufnahme der Offensive in Libyen Wind bekommen hatte, standen seine Wüstentruppen in Bereitschaft. Noch einmal besichtigte ich motorisierte Kolonnen, begierig auf große Abenteuer, bereit, unter einem Ingold, einem Delange, einem Dio, einem Massu im Sandmeer zu manövrieren und zu kämpfen. Idi inspizierte das kleine motorisierte Korps, das sich anschickte, vom Ufer des Tschadsees aus Zinder zu erobern. In Duala, Libreville, Pointe-Noire, Bangui und Brazzaville nahm ich Fühlung mit den verschiedenen Abteilungen der beiden Brigaden, von denen die eine nach Tananarivo, die andere im gegebenen Augenblick nach Cotonu, Abidjan oder Dakar gehen sollte. Oberst Carrettier hatte den besten Teil des Fliegermaterials unter sich, das wir unterhalb des Äquators belassen hatten. Fregattenkapitän Charrier überwachte mit vier kleinen Schiffen und einigen Flugzeugen die lange Küste Kameruns, Gabons und des unteren Kongo. Die Artillerie, die Intendantur, der Sanitätsdienst hatten bei der Heranschaffung alles Notwendigen Wunder vollbracht, trotz Entfernung und trotz Klima. Jeder wartete ungeduldig auf die Operationen, die sich zwischen Nil und Atlantik entfalten würden und mit denen der Gegner rechnete, wie er mit der Bombardierung von Fort-Lamy bewiesen hatte.

Am 22. September wies ich Leclerc in Form einer „persönlichen und geheimen Instruktion" seine Aufgabe zu. Er sollte sich der Oase Fezzan bemächtigen, dort im Namen Frankreichs eine Verwaltung einsetzen, von da aus in Richtung Tripolis marschieren und dabei Gat und Gada-mes sicherstellen. Die Operation sollte beginnen, sobald die britische 8. Armee die Cyrenaika wiedererobert hatte und in Tripoli-tanien eindrang. Leclerc hatte sich erst dann den Generalen Alexander und Montgomery zu unterstellen, wenn er sich mit ihren Truppen vereinigt haben würde. Dann sollte er unter ihrer strategischen Führung an der Schlacht teilnehmen, die möglicherweise in Tunesien stattfinden würde. Für den Fall jedoch, daß die Vichy-Leute sich der Landung widersetzen oder, mit Hilfe der Deutschen, den Alliierten eine Schlacht lieferten, müßten wir ihnen die uns erreichbaren französischen Gebiete entreißen. Im übrigen würden uns unsere Missionen an der Goldküste, in Nigeria, in Obervolta, in Togo, in Dahomey und am Niger mit nützlichen Informationen versehen. In meiner Instruktion wies ich also Leclerc an, in diesem Falle vom Niger aus in Französisch-Westafrika vorzugehen. Schließlich sollte er die für Madagaskar bestimmten Einheiten als Kern einer künftigen militärischen Neugruppierung bereitstellen. Das waren viele Dinge auf einmal. Aber wir hatten keinerlei Bedenken. Die Freien Franzosen Afrikas bildeten eine Einheit, die jeder Probe standhalten konnte.

Was die eingeborenen Afrikaner anging, so ließ ihre Anhänglichkeit nichts zu wünschen übrig. Ob es sich um Stammesfürsten handelte, um die Sultane von Ouadai, Kanem und Fort-Lamy, um den ehrwürdigen Orahola in Fort-Archambault, um den Bey Achmed in Maho, den die Italiener kürzlich aus dem Fezzan vertrieben hatten, um den Häuptling Mamadu M'Baiki in Bangui, um die Königin der Bateken im Kongo, den König Vilis in Pointe-Noire, um den König der Abronen, der von der. Elfenbeinküste aufgebrochen war, mit den Seinen zu General de Gaulle zu stoßen, oder um die in Verwaltung, Armee, Handel und Schulen tätigen gebildeten Afrikaner oder um die Masse der Bauern, Soldaten und Arbeiter, sie alle hatten die Sache des Kämpfenden Frankreich zu der ihren gemacht und nahmen aus Überzeugung einen großen Teil der Opfer auf sich. Doch gleichzeitig ging durch die afrikanische Welt die Hoffnung, in menschlicher Hinsicht befreit zu werden. Das Drama, das die Welt erschütterte, das auf ihrem eigenen Kontinent die Daseins-bedingungen veränderte, ließ in den Hütten und Lagern, in den Steppen und im Busch, in der Wüste und an den Flußufern die Millionen schwarzer Menschen, die bisher im Elend gelebt, den Kopf erheben und nach ihrem künftigen Schicksal fragen.

Generalgouverneur Eboue hatte sich zur Aufgabe gemacht, diese aus der Tiefe kommende Bewegung zu lenken. Als überzeugter Humanist hielt er die Tendenz für heilsam, da sie darauf abzielte, die Bevölkerung über ihr bisheriges Dasein hinauszuheben; aber als großer Administrator war er der Ansicht, daß die französische Behörde dabei mitwirken müsse. Er wich in keiner Weise vor der materiellen, moralischen und politischen Umwandlung zurück, die sich anschickte, den undurchdringlichen Kontinent zu durchdringen. Aber er wollte, daß diese Revolution den eigenen Stempel Afrikas trage und die Veränderungen in Leben, Sitten und Gesetzen nicht die uralten Regeln beseitigten, sondern im Gegenteil die überkommenen Institutionen und den herkömmlichen Rahmen respektierten. Auf diese Weise, meinte Eboue, würde man gleichzeitig dem Fortschritt Afrikas, der Macht und dem Glanze Frankreichs und der Völkerverbindung dienen. Er selbst hatte der von ihm geleiteten Verwaltung diesen Weg gewiesen. In Brazzaville beglückwünschte ich ihn dazu. Seine Art, die Dinge zu sehen, entsprach der meinen. Auf diesem Gebiet, wie auf manchem andern, stand die Einheit des Kämpfenden Frankreich auf festen Füßen!

Auseinandersetzung mit Churchill

25. September, Ankunft in London! Mit einem Schlag ist alles anders. Sie liegen weit hinter mir, die treuen Gefilde, die kampfbegierigen Truppen, die begeisterten Mengen, die mich gestern noch mit ihrer tröstlichen Ergebenheit umgaben. Hier nun gibt es wieder Schwierigkeiten, harte Verhandlungen, die mühselige Wahl zwischen Menschen und Unannehmlichkeiten. Wiederum habe ich die Bürde zu tragen inmitten eines zwar befreundeten aber fremden Landes, wo alle Ziele verfolgen und eine Sprache sprechen, die nicht die uns-rigen sind, und wo alles mich spüren läßt, daß unsere armseligen Mittel in keinem Verhältnis zum Einsatz stehen.

Die Wiederaufnahme des Kontakts mit der britischen Regierung konnte nicht anders als unangenehm sein. Am 29. September begab ich mich in Begleitung von Pleven zur Downing Street 10, wo wir von Churchill und Eden empfangen wurden. Es war vorauszusehen, daß die englischen Minister ihrem Ärger über die Levante-Affären Luft machen würden. Wir waren geneigt, ihnen auch unseren Ärger zu zeigen. Danach würde sich, wie man annehmen konnte, die Unterhaltung praktischen Fragen zuwenden. Vielleicht würde dann insbesondere die Regelung der Madagaskar-Frage zumindest in Umrissen behandelt werden. Diesmal aber kam es von Seiten des Premierministers zu wachsender Schärfe. Zwar leitete Churchill die Unterredung damit ein, daß er mir dafür dankte, nach London gekommen zu sein. Ich nahm das Kompliment mit dem gleichen Humor entgegen, den er zur Schau trug. Dann begann der britische Premier mit der üblichen Gegenüberstellung unserer jeweiligen Beschwerden in bezug auf den Orient. Er sagte sogar, die britische Regierung verlange noch in diesem Jahr die Ab-haltung von Wahlen in Syrien und Libanon, worauf ich ihm erwiderte, es würden in diesem Jahr keine Wahlen stattfinden. Er beschloß diesen Wortwechsel mit der Bemerkung, daß mit mir auf dem Gebiet der britisch-französischen Zusammenarbeit in der Levante kein Einvernehmen möglich sei. „Wir nehmen das zur Kenntnis", sagte er. Wogegen ich nichts einzuwenden hatte.

Darauf schnitt er die Madagaskar-Frage an. Doch nur, um zu erklären: „In Anbetracht der Zustände in Damaskus und Beirut fühlen wir uns nicht bewogen, in Tananarivo einen neuen Schauplatz der Zusammenarbeit mit Ihnen zu eröffnen ... Ich sehe nicht ein, warum wir uns dort unter gaullistischen Befehl stellen sollen.“

Ich nahm diese Erklärung übel auf, denn sie schien mir zugleich die Ablehnung einer bindenden britischen Zusage und die Absicht zu bekunden, mit uns einen Handel abzuschließen, bei dem wir die Kosten zu tragen hätten. Pleven verhehlte nicht minder seine Gefühle in dieser Hinsicht, worauf sich Churchill in scharfem Ton mir zuwandte. Als ich darauf aufmerksam machte, daß die Errichtung einer britisch kontrollierten Verwaltung auf Madagaskar eine Verletzung der Rechte Frankreichs sei, fuhr er mich wütend an: „Wollen Sie damit sagen, Sie seien Frankreich? Sie sind nicht Frankreich! Idi erkenne Sie nicht als Verkörperung Frankreichs an!“ Dann, immer noch heftig: „Frankreich! Wo ist Frankreich? Ich gebe zwar zu, daß General de Gaulle und seine Anhänger ein wichtiger und beachtlicher Teil dieses Landes sind. Aber man könnte sicherlich auch eine andere Auto-rität finden, die ebenfalls ihren Wert hätte." Ich unterbrach ihn: „Wenn ich in Ihren Augen nicht der Repräsentant Frankreichs bin, warum und mit welchem Recht besprechen Sie dann mit mir seine Weltinteressen?" Churchill schwieg.

Nun mischte sich Eden ein und brachte das Gespräch wieder auf die Levante. Er wiederholte die Beweggründe, die England angeblich veranlaßten, in unsere Angelegenheiten einzugreifen. Dann beklagte er sich, seinerseits in Zorn geratend, bitter über mein Verhalten.

Churchill überbot ihn noch und rief, in meiner Englandfeindlichkeit ließe ich mich „von meinem Drang nach Prestige und von dem Wunsch leiten, meine persönliche Stellung unter den Franzosen stärker auszubauen". Mit diesen Anschuldigungen schienen mir die englischen Minister Vorwände schaffen zu wollen, um soweit wie möglich die Tatsache zu rechtfertigen, daß das Kämpfende Frankreich aus Französisch-Nordafrika herausgehalten werden sollte. Das sagte ich ihnen frei heraus. An diesem Punkte angelangt, war eine weitere Unterredung sinnlos; man war sich darin einig und trennte sich.

Drohung des Abbruchs der Beziehungen

In den folgenden Wochen herrschte äußerste Spannung. Wir waren umringt von Feindseligkeit. Die Engländer gingen sogar dazu über, elf Tage lang die Absendung von Telegrammen des Nationalkomitees an die französischen Behörden in Afrika, in der Levante und im Pazifik zu unterbinden. Das Foreign Office konzentrierte seinen Druck auf Maurice Dejean und hielt ihm das Gespenst des Abbruchs der Beziehungen — dieses Schreckbild der Diplomaten — vor Augen, was ihn dermaßen beeindruckte, daß er sich überlegte, welche Konzessionen wir machen könnten, um wieder ein gutes Verhältnis herzustellen. Konzessionen? Ich dachte nicht daran. Dejean legte daraufhin sein Amt nieder. Er tat es mit Würde, und einige Wochen später wurde er unser Vertreter bei den Exilregierungen in Großbritannien. Bis zur Ankunft Massiglis, den ich aus Frankreich kommen ließ, übernahm Pleven interimistisch die auswärtigen Angelegenheiten, während sich Diethelm der Finanzen annahm.

Jedoch legte sich, wie üblich, der Sturm bald. Die Londoner Funksender ließen wieder unsere Telegramme durchgehen. Churchill schickte am 23. Oktober seinen Kabinettschef Morton zu mir, um mir zum Erfolg des französischen U-Bootes Junon zu gratulieren, das soeben vor der norwegischen Küste zwei große feindliche Schiffe versenkt hatte, um mir den Dank der britischen Regierung für den am Tage vorher von unseren Truppen bei der alliierten Offensive von El Alamein geleisteten bedeutsamen Beitrag auszusprechen und um mich schließlich der freundschaftlichen Gefühle zu versichern, die er, Churchill, niemals aufgehört habe, mir entgegenzubringen. Am 30. Oktober suchte mich der in London weilende Marschall Smuts auf und sagte mir, die Engländer hätten beschlossen, die Autorität des Kämpfenden Frank-reich in Tananarivo anzuerkennen. Dasselbe, fügte er hinzu, werde früher oder später auch in Nordafrika geschehen. Ein paar Tage vorher hatte das Foreign Office tatsächlich beschlossen, mit uns in Verhandlungen wegen einer Vereinbarung über Madagaskar einzutreten.

Man schlug uns zunächst vor, daß das britische Kommando, sobald unsere Verwaltung auf der Insel eingesetzt sei, über sie ein Kontrollrecht haben solle und daß den Engländern darüber hinaus alle bestehenden Stützpunkte, Verkehrs-und Nachrichteneinrichtungen zur Verfügung zu stellen seien. Wir lehnten dieses Ansinnen ab. Nach unserer Auffassung mußte die französische Autorität in Madagaskar auf politischem und administrativem Gebiet souverän sein. Für den Fall, daß die Insel gegen den gemeinsamen Feind zu verteidigen war, schlugen wir vor, das strategische Kommando einem britischen General zu übertragen, solange die Engländer an Ort und Stelle stärkere Kräfte hätten als wir. Bei einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses würde dann ein Franzose die Führung übernehmen. Andererseits würde es sich die französische Behörde angelegen sein lassen, unseren Verbündeten je nach Bedarf unsere öffentlichen Einrichtungen und Anlagen zur Verfügung zu stellen. Ich hatte im voraus General Legentilhomme für das Gebiet des Indischen Ozeans zum Hohen Kommissar mit weitgehendsten zivilen und militärischen Vollmachten bestimmt. Zugleich hatte ich Pierre de Saint-Mart, Gouverneur von LIbangi, als Generalgouverneur für Madagaskar ausersehen. Beide sollten gleich nach Beendigung der Operationen auf der großen Insel nach dorthin abreisen und entsprechend dem, was wir mit den Engländern aushandeln würden, ihre Funktionen ausüben.

Allmähliche Entspannung und erfreuliche Ermutigungen

Die britische Regierung erklärte sich bald im Wesentlichen mit uns einig. Allerdings muß gesagt werden, daß die Engländer auf der Insel selbst, je mehr sich die Macht Vichys verflüch-tigte, bei den Franzosen wie auch bei den Eingeborenen das einstimmige Verlangen feststellten, sich General de Gaulle anzuschließen. Wenn das Londoner Kabinett die Lösung noch binausschob, so offenkundig in der Absicht, ein Beschwichtigungsmittel in der Hand zu haben, da die alliierte Landung in Algier und Casablanca unseren Beziehungen voraussichtlich einen schweren Stoß versetzen würde. Als mir am 6. November, dem Tage, an dem in Madagaskar der Waffenstillstand geschlossen wurde, Eden, ganz Zucker und Honig, den Vorschlag machte, mit einem gemeinsamen Kommunique der britischen Regierung und des französischen Nationalkomitees die baldige Abreise des Generals Legentilhomme bekanntzugeben, zog ich auch daraus den Schluß, daß man sich anschickte, in Nordafrika vollendete Tatsachen zu schaffen.

Es gab noch andere, die sich hierüber Gedanken machten und Wert darauf legten, uns ihre Bevorzugung zu beweisen. Am 6. August, während ich unterwegs zum Orient war, hatte Präsident Benesch unserm Außenkommissar Maurice Dejean feierlich erklärt, „er betrachte das französische Nationalkomitee unter Leitung von General de Gaulle als die legitime Regierung Frankreichs". Er bat Dejean, mich zu fragen, ob wir nicht den Augenblick für gekommen hielten, im Namen Frankreichs das Münchner Abkommen und die aus ihm resultierenden Amputationen der Tschechoslowakei zu widerrufen. Ich hatte in bejahendem Sinne geantwortet. Nach meiner Rückkehr sah ich Benesch, und wir verständigten uns rasch. Das Ergebnis war ein am 29. September stattfindender Notenaustausch zwischen mir und Monsignore Schramek, dem Präsidenten des tschechoslowakischen Rates. Idi schrieb: „Das französische Nationalkomitee, das die Münchner Abkommen ablehnt, erklärt diese Abkommen für null und nichtig ... und verpflichtet sich, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die tschechoslowakische Republik innerhalb der vor 193 8 bestehenden Grenzen alle Garantien in bezug auf Sicherheit, Integrität und Einheit erhält.“ Mit der Antwort von Monsignore Schramek verpflichtete sich die tschechoslowakische Regierung ihrerseits, nach Kräften alles zu tun, damit „Frankreich in seiner Macht, seiner Unabhängigkeit und der Integrität von Mutterland und überseeischen Gebieten wiederhergestellt wird". Am Tage darauf gab ich über den Rundfunk diese gegenseitigen Zusagen bekannt und unterstrich deren politische und moralische Bedeutung.

Auch aus Moskau kamen ermutigende Winke. Die Sowjetregierung, die wußte, was die Angelsachsen in Nordafrika vorhatten, die die Einstellung der Vereinigten Staaten uns gegenüber kannte und die den Berichten, die Litwinow aus Washington schickte, Roosevelts Absicht entnahm, sich zum Schiedsrichter zwischen den französischen Gruppen zu machen, zeigte sich ernsthaft beunruhigt über dieses Hegemonie-bestreben der Amerikaner. Bogomolow gab mir namens seiner Regierung zu verstehen, daß Ruß-land im Augenblick, durch seinen Kampf auf Leben und Tod mit dem Feinde im Lande gebunden, zwar nicht direkt intervenieren könne, aber nichtsdestoweniger diese angelsächsische Politik mißbillige und sich ihr bis zum äußersten widersetzen werde. Am 28. September machte Moskau durch ein Kommunique weithin bekannt, daß die Sowjetunion das Kämpfende Frankreich als „die Vereinigung von französischen Gebieten, die mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln und überall zur Befreiung Frankreichs beitrage", und das Nationalkomitee als „führendes Organ des Kämpfenden Frankreich, das allein berechtigt sei, die Teilnahme der französischen Bürger und Gebiete am Kriege zu organisieren“, anerkannte. Für die Russen konnte es also weder eine dritte Kraft noch eine dritte Macht zwischen Vichy und dem Kämpfenden Frankreich geben.

Erstarken der Resistance

Wenn auch Amerika, dieser neue Stern am Himmel der Weltgeschichte, imstande zu sein glaubte, Frankreich zu lenken, so hatten die Staaten Europas diese Illusion auf Grund jahrhundertealter Erfahrung kaum noch. Nun, Frankreich hatte seine Wahl selbst getroffen. Die täglich bei uns eingehenden Informationen bewiesen, daß die Resistance unaufhörlich an Umfang und Stärke zunahm, und das hieß, daß alle, die zu ihr stießen, moralisch hinter General de Gaulle standen und daß jede ohne ihn gebildete Regierung im Augenblick der Befreiung von der Masse der Bevölkerung abgelehnt werden würde.

Das Verhalten der Besatzung und ihrer Kollaborateure im Mutterland förderte im übrigen diese Entwicklung. Am 22. Juni erklärte Laval zu allgemeiner Empörung: „Ich wünsche den Sieg Deutschlands." Im Juli wurde aus jungen Franzosen eine „Legion" zusammengestellt, die man unter deutschem Kommando und in deutschen Uniformen nach Rußland schickte. Im August erließ Marschall Petain ein Gesetz, das der „Tätigkeit" der beiden Kammern, die bis dahin noch ein Scheindasein geführt hatten, ein Ende setzte. Plötzlich verwünschten die Parlamentarier das Regime, das sie selbst errichtet hatten. Der Senatspräsident Jeanneney und der Kammerpräsident Herriot schrieben dem Marschall einen öffentlichen Protestbrief. Herriot, der sein Kreuz der Ehrenlegion zurückschickte, zum Zeichen der Mißbilligung, daß „freiwillige" Rußlandkämpfer ausgezeichnet wurden, wurde bald darauf verhaftet, während Reynaud, Daladier, Blum, Mandel, General Gamelin usw. nach wie vor in den Gefängnissen blieben, in die sie Vichy ohne ordentliche Anklage und Gerichtsurteil gesteckt hatte. Im Laufe des Sommers verschlimmerte sich die Judenverfolgung, die von einer mit der Besatzungsmacht im Einvernehmen stehenden „Sonderkommission“ durchgeführt wurde. Da das Reich von Frankreich eine immer größer werdende Zahl von Arbeitskräften forderte und die freiwilligen Arbeiter nicht mehr ausreichten, ging man im September zur Zwangsaushebung über. Die ständig steigenden Besatzungskosten hatten Anfang September eine Höhe von 200 Milliarden erreicht, d. h. doppelt so viel wie im September des Vorjah-res. Verdoppelt hatten sich auch die deutschen Unterdrückungsmaßnahmen. Im Laufe des gleichen Monats September wurden 1000 Menschen erschossen, davon 116 auf dem Mont Valerien, und über 6000 kamen ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager.

Nach meiner Rückkehr von der Levante und aus Afrika erwarteten midi in London Zeugen und Zeugnisse, an deren Aufrichtigkeit und Wahrheit nicht zu zweifeln war. Frenay, Führer der Resistancegruppe Combat, und d'Astier, Führer der Liberation, erstatteten mir Bericht über die Tätigkeit in der nichtbesetzten Zone. Aus ihren Darstellungen gingen deutlich der Eifer der Organisationen und das Einheitsbestreben hervor, aber auch der starke Individualismus der einzelnen Führer, aus dem sich Rivalitäten ergaben. Doch angesichts der Hindernisse, die uns unsere Verbündeten in den Weg legten und an denen man in Frankreich kaum zweifelte, konnten die beiden Verantwortlichen ermessen, wie notwendig der Zusammenhalt im Mutterland war, zumal sie erfuhren, was in Algerien und Marokko vor sich gehen sollte.

Ich gab ihnen die Anweisung, die Bildung des die Vertreter aller Bewegungen, Gruppen und Parteien umfassenden Nationalrats der Resistance unter Jean Moulin zu beschleunigen. Ebenso bedrängte ich sie, ihre Kampfgruppen der im Entstehen begriffenen Geheimarmee zuzuführen. Diese Gruppen unterstünden dann in ihrer jeweiligen Region einer einzigen Autorität, nämlich dem von mir ernannten Militär-delegierten. Ich beauftragte Remy, unseren Bewegungen in der besetzten Zone die gleichen Richtlinien zu erteilen. Es handelte sich um „Organisation civile et militaire", „Ceux de la Liberation", „Ceux de la Resistance“, „Liberation-Nord“, „La Voix du Nord“ und sogar um die „Francs-Tireurs et Partisans“, die, obwohl von Kommunisten geführt, sich uns anschließen wollten.

Selbstverständlich versäumten wir es nicht, London und Washington über das, was uns aus Frankreich berichtet wurde, zu unterrichten. Frenay und d'Astier sprachen sowohl in den englischen Ministerien und Behörden wie bei den amerikanischen Diplomaten und Informationsstellen vor. Andre Philip reiste nach Washington, versehen mit einer Fülle von Unterlagen und Dokumenten und einem Brief General de Gaulles an Roosevelt, worin diesem die reale Lage in Frankreich dargelegt wurde. Der aus Frankreich entwichene Mendes-France unterzog sich der Aufgabe, in Amerika die Unwissenden aufzuklären. Felix Gouin, der " im August als Abgesandter der Sozialisten nach London kam, belehrte die Labour Party darüber, daß sich jetzt in Frankreich die frühere Linke unter dem Kreuz von Lothringen sammle. Kurz darauf brachte der aus der besetzten Zone Zurückkehrende Brossolette Charles Vallin mit sich, eine der Hoffnungen der früheren Rechten und der „Feuerkreuzler“. Vallin, bis vor kurzem noch Anhänger von Vichy, schwor jetzt seinen Irrtum ab. Dieser glühende Patriot und Apostel der Tradition schloß sich mir mit ganzer Seele an. Die Gründe hierfür gab er öffentlich bekannt; dann übernahm er die Führnug einer Kompanie. Die Fliegergenerale d'Astier de la Vigerie und Chochet gesellten sich ebenfalls zu uns. Die Kommunisten standen nicht zurück; aus Frankreich kam Fernand Grenier zu uns, während in Moskau Andre Marty mehrfach unseren Delegierten Garreau aufsuchte, um ihm zu sagen, daß er mir zur Verfügung stehe. Schließlich ließen mich so verschieden geartete Männer wie die von Vichy in Haft gehaltenen Mandel, Jou-haux, Leon Blum oder Jeanneney, Louis Marin, Jacqinot, Dautry, Louis Gillet usw. ihrer Zustimmung versichern.

So festigte sich unaufhörlich der Zusammenhalt der Resistance, obwohl es ungeheuer schwer war, angesichts der Gefahren und Verluste, der Rivalitäten und der getrennten Aktionen gewisser vom Ausland benutzter Gruppen in Frankreich zu handeln. Nachdem ich der Resistance die Begeisterung und Führung gegeben hatte, deren sie bedurfte, um nicht der Anarchie zu verfallen, sah ich in ihr ein gegebenenfalls wertvolles Instrument im Kampf gegen den Feind und — den Alliierten gegenüber — eine wesentliche Hilfe für meine Politik der Unabhängigkeit und Einheit.

So also steht es mit uns in den ersten Novembertagen 1942. Jeden Augenblick wird Amerika seinen Kreuzzug im Westen beginnen und seine Truppen, seine Schiffe, seine Flugzeuge in Richtung Afrika senden. Seit dem 18. Oktober sind die Briten mit Hilfe französischer Streitkräfte dabei, die Italiener und Deutschen aus Libyen zu vertreiben, um sich später in Tunesien mit der amerikanischen und vielleicht auch einer französischen Armee zu vereinigen. Hinten an der Wolga und tief im Kaukasus erschöpft sich der Gegner an der Standhaftigkeit der Russen.

Welche Chance bietet sich hier noch einmal Frankreich! Wie klar und einfach wäre jetzt alles für seine Kinder im Unglück, gäbe es nicht die Dämonen im Innern, die darauf erpicht sind, sie zu spalten, und gäbe es nicht den bösen Geist, der dem Ausland einflüstert, ihre Streitigkeiten auszunutzen. Nicht ohne Sorge warte ich darauf, daß der Vorhang vor dem nächsten Akt des Dramas aufgeht. Aber ich bin mir der Meinen sicher. Und ich glaube, sie sind sich meiner sicher. Ich weiß, wohin Frankreich blickt. Wohl-an, laßt den Gong ertönen! Den ganzen 7. November über wiederholten die Funkstationen Amerikas und Englands: „Robert kommt! Robert kommt!“ Beim Abhören zweifle ich nicht daran, daß „Robert" — der Vorname von Murphy — das verabredete Schlüsselwort ist, das den Franzosen in Afrika, deren Hilfe sich die Amerikaner bedienen, die Ankunft ihrer Streitkräfte meldet. Also beginnt die Landung. Am nächsten Morgen erhalten wir die Nachricht.

Mittags bin ich in der Downing Street, wohin Churchill midi gebeten hat. Eden ist bei ihm. Während der Unterredung überschüttet midi der Premierminister mit Liebenswürdigkeiten, verhehlt mir aber auch gleichzeitig nicht, daß er etwas verlegen ist. Wenn schon die englische Flotte und die RAF, sagt er, bei der im Gange befindlichen Operation eine wesentliche Rolle spielten, so nähmen doch die britischen Landtruppen nur als Ergänzungsstreitkraft daran teil. Für den Augenblick habe Großbritannien die ganze Verantwortung den Vereinigten Staaten überlassen müssen. Oberbefehlshaber sei Eisenhower. Nun ja, und die Amerikaner hätten den Ausschluß der Freien Franzosen verlangt. „Wir waren gezwungen nachzugeben“, erklärt Churchill, „doch seien Sie versichert, daß wir keine der mit uns getroffenen Abmachungen widerrufen. Sie sind es, dem wir seit Juni 1940 unsere Unterstützung versprochen haben. Wir gedenken, dabei zu bleiben, trotz der Zwischenfälle, die sich ereignet haben. Im übrigen werden wir Engländer, je nach Fortgang der Dinge, in die Schlacht eingreifen müssen. Wir werden also auch noch ein Wort mitzureden haben. Das wird zu Ihren Gunsten sein." Offensichtlich bewegt, fügt Churchill hinzu: „Sie haben bei uns die düstersten Stunden des Krieges mitgemacht. Wir werden Sie nicht im Stich lassen, wenn der Horizont sich aufhellt.“

Die englischen Minister erklären mir dann, daß die Amerikaner im Begriff sind, an verschiedenen Stellen Marokkos sowie in Oran und in Algier zu landen. Die Operation geht nicht schmerzlos vonstatten; vor allem in Casablanca leisten die französischen Truppen erbitterten Widerstand. General Giraud ist von einem britischen U-Boot an der Cöte d’Azur ausgenommen und nach Gibraltar gebracht worden. Die Amerikaner zählen darauf, daß er als Befehlshaber der französischen Truppen in Nordafrika die Lage zum Bessern wenden wird. Aber es scheint schon zweifelhaft zu sein, ob er Erfolg haben wird. „Wissen Sie übrigens", sagt Chur-

chill noch, „daß Darlan in Algier ist?“

Auf die Erklärungen meiner Gesprächspartner erwidere ich im wesentlichen folgendes: „Daß die Amerikaner in Afrika landen, wo Ihr Engländer und wir Freien Franzosen seit zwei Jahren kämpfen, ist an sich sehr befriedigend. Für Frankreich sehe ich darin auch die Möglichkeit, wieder eine Armee und vielleicht eine Flotte zu bekommen, die für seine Befreiung kämpfen werden. General Giraud ist ein großer Soldat. Meine guten Wünsche begleiten ihn bei seinem bemühen. Es ist schade, daß die Alliierten ihn daran gehindert haben sich vorher mit mir ins Benehmen zu setzen, denn ich hätte ihm mehr als nur gute Wünsche bieten können. Aber frü

2. Tragödie

her oder später werden wir uns verständigen, und das um so mehr, je weniger sich die Alliierten einmischen. Was die im Gange befindliche Operation angeht, so würde ich nicht überrascht sein, wenn es ein harter Kampf wird. In Algerien und Marokko gibt es viele militärische Elemente,, die im vergangenen Jahr in Syrien gegen uns gekämpft haben und die Sie trotz meiner Warnungen haben entschlüpfen lassen. Andererseits wollten die Amerikaner in Nordafrika Vichy gegen de Gaulle ausspielen. Ich habe niemals daran gezweifelt, la sie gegebenenfalls dafür würden zahlen müssen. Und in der Tat, sie zahlen schon dafür, und wir Franzosen müssen selbstverständlich ebenfalls dafür bluten. Bedenkt man jedoch, wie unsere Soldaten im Grunde ihres Herzens empfinden, dann glaube ich, daß der Kampf nicht lange dauern wird. Aber so kurz er auch sein mag, die Deutschen werden herbeieilen.“

Darauf äußere ich Churchill und Eden gegenüber mein Erstaunen, daß der alliierte Operationsplan nicht vor allem Bizerta einbegriffen habe. Denn es liege auf der Hand, daß die Deutschen und Italiener über Bizerta in Tunesien eindringen würden. Wenn die Amerikaner nicht das Risiko hätten eingehen wollen, dort direkt Fuß zu fassen, so hätte man mich doch fragen können und man hätte die Division Koenig dort gelandet. Die englischen Minister geben mir recht, weisen jedoch unaufhörlich darauf hin, daß die Amerikaner die Verantwortung übernommen hätten. „Ich kann nicht verstehen“, sage ich, „daß Ihr Engländer euch so völlig ein Unternehmen aus den Händen reißen laßt, das doch in erster Linie Europa angeht.“

Churchill fragt mich, 'welche Absichten ich bezüglich der Verbindungen des Kämpfenden Frankreich zu den Behörden Nordafrikas im Auge hätte. Ich erwidere, daß es für mich allein darum gehe, die Einheit herzustellen. Das bedeute, daß baldmöglichst Beziehungen hergestellt werden könnten. Das bedeute aber auch, daß in Algier das Vichy-Regime und seine prominenten Vertreter von der Bildfläche verschwinden müßten, denn die ganze Resistance würde dagegen sein, daß sie blieben. Wenn zum Beispiel Darlan in Nordafrika regieren sollte, wäre keine Verständigung möglich. „Wie dem auch sei“, sage ich schließlich, „im Augenblick gibt es nichts Wichtigeres, als den Kampf zu beenden. Alles übrige wird sich finden."

Am Abend halte ich eine Rundfunkansprache „an die französischen Offiziere, Soldaten, Matrosen, Flieger, Beamten und Siedler Nordafrikas“ und rufe ihnen zu: „Erhebt euch! Helft unseren Verbündeten! Schließt euch ihnen vorbehaltlos an! Kümmert euch nicht um Namen, noch um Parolen! Vorwärts! Der große Augenblick ist da . . . Franzosen Nordafrikas, beweist jetzt Klugheit und Mut, damit wir vom einen Ende des Mittelmeeres bis zum anderen wieder in vorderster Linie stehen — durch euch, damit dank der Franzosen der Krieg gewonnen wird!“

Erbitterte Kämpfe in Nordafrika

Die in Carlton Gardens eintreffenden Informationen deuten tatsächlich darauf hin, daß die Amerikaner weiterhin überall auf starken Widerstand stoßen. Zwar haben die Agenten, die sie sich im voraus sicherten, gute Arbeit geleistet. -Zwar konnten General Mast, Kommandeur der Division in Algier, und General du Monsabert, Kommandeur der Unterabteilung in Blida, wie auch die Obersten Jousse, Baril, Chretien und der Fregattenkapitän Barjot u. a. ihnen für ein paar Stunden die Dinge erleichtern, während es General Bethouart in Casablanca vergeblich versuchte. Zwar ist es den „gaullistischen" Gruppen unter Führung von Paufilet, Vanhecke, Achiary. Esquerre, Aboulker, Calvet, Pillafort und Dreyfus vorübergehend gelungen, gewisse Verwaltungsgebäude in Algier zu besetzen und sogar Admiral Darlan eine Nacht lang in der Villa des Oliviers unter Arrest zu halten. Zwar wird schließlich Girauds Proklamation — die mit keinem Wort das Kämpfende Frankreich erwähnt — von den Amerikanern mittels Rundfunk und Flugblättern weit verbreitet, während Offiziere und Widerständler, die Giraud ergeben sind, für ihn einen Kommandoposten in Dar-Mahidine bereithalten. Aber insgesamt gesehen ist es klar, daß der von Leahy, Murphy und Clark ausgearbeitete Plan einer Landung ohne Schwertstreich sowie die von Roosevelt an Petain, Nogues und Esteva gerichteten Botschaften nicht den gewünschten Erfolg gehabt hr’-en.

Am 9. November ist die Lage alles andere als glänzend. Die Vichy-Behörden haben überall die Oberhand behalten oder wiedergewonnen. Der Marschall hat offiziell Befehl zum Kampf gegen die „Angreifer" gegeben. General Giraud, der immer noch in Gibraltar sitzt, muß feststellen, daß die Alliierten nicht im geringsten daran denken, sich seinem Kommando zu unterstellen. Im übrigen hat in Nordafrika seine Proklamation keinerlei Wirkung erzielt. Darlan läßt, obwohl er der Garnison in Algier soeben „Feuereinstellung“ befohlen hat, überall anderswo den „Verteidigungsplan“ abrollen und beruft sich dabei nach wie vor auf Petain und Laval. In Oran wird schonungslos gekämpft. Aber die Schlacht ist vor allem in Marokko im Gange. Casablanca, Port-Lyautey, Fedala sind Schauplatz erbitterter Kämpfe. Der von Vichy entsandte Admiral Platon ist nach Tunis geflogen, um Admiral Esteva, dem Generalresidenten, und Admiral Derrien, dem Marinepräfekten in Bizerta, den Befehl zum Durchlässen der Deutschen zu überbringen. Im Laufe des Tages landen dann auch deutsche Luftlandetruppen, ohne einen Schuß abfeuern zu müssen, auf dem Gelände von El-Alauina.

Am Abend sieht man in den alliierten Kreisen Londons lange Gesichter. Man fragt sich, ob das Unternehmen nicht zu einem längeren Kampf zwischen Eisenhowers und den französischen Truppen und zum Einbruch feindlicher Streitkräfte im ganzen Gebiet führen wird, denen sich, sei es freiwillig oder gezwungen, die Spanier zugesellen könnten.

Der gesunde Menschenverstand setzt sich durch

Aber in Nordafrika selbst gewinnt der gesunde Menschenverstand die Oberhand. General Juin, der bis zum Eintreffen Darlans Oberbefehlshaber in Nordafrika gewesen und seitdem dessen Stellvertreter ist, erkennt, wie absurd der Kampf gegen die Alliierten ist und welch verheerende Folgen ein Vordringen der Deutschen und Italiener nach sich ziehen wird. Er weiß auch, wie seine Untergebenen im geheimen denken. Er bedrängt Darlan, eine allgemeine „Feuereinstellung“ anzuordnen, wozu sich dieser am 10. November entschließt. Juin nimmt dann Verbindung mit Giraud auf, der schließ-lich in Dar-Mahidine eintrifft. Er empfängt ihn in der Villa des Oliviers, wo er ihm andeutet, daß er sich bereit halte, ihm seinen eigenen Posten zu überlassen. Er gibt General Barre, dem Kommandeur der Truppen in Tunesien, den Befehl, seine Streitkräfte bei Medjez-el-Bab zu konzentrieren und sie zur Eröffnung des Feuers auf die Deutschen instand zu setzen. Am Morgen des 11. November wird der Kampf zwischen Franzosen und Alliierten allerorts eingestellt. Er ist beiden Seiten teuer zu stehen gekommen. Die Franzosen haben 3000 Tote und Verwundete. Ein Kreuzer, drei Torpedojäger, sieben Torpedoboote, zehn U-Boote und zahlreiche kleinere Schiffe sind versenkt oder schwer beschädigt worden. Von den 168 in Marokko und Algerien stationierten Flugzeugen wurden 13 5 am Boden oder im Kampf zerstört. Die Verluste der Alliierten belaufen sich auf mehr als 3000 Tote, Verwundete und Vermißte. Die britische Flotte hat zwei Zerstörer, zwei Begleitschiffe und mehrere Transporter verloren. In der amerikanischen Flotte sind ein Schlachtschiff, zwei Kreuzer und zwei Zerstörer schwer beschädigt; etwa hundert Landungsboote liegen zerstört auf dem Meeresgrund oder am Ufer; siebzig Flugzeuge sind abgeschossen worden.

Unterdessen bemühe ich mich mit Französisch-Nordafrika Verbindung aufzunehmen. Schon am Nachmittag des 9. November bitte ich Admiral Stark zu mir. Als er bei mir ist, treten ihm die Tränen in die Augen; er sei tief bewegt von meiner gestrigen Rundfunkansprache, sagt er, aber auch stark erschüttert durch den französisch-amerikanischen Kampf, den er nicht für möglich gehalten habe. „Eisenhower", fährt der General fort, „ist ebenfalls überrascht und untröstlich.“ Ich sage: „Ich möchte eine Mission nach Algier schicken. Ich bitte die amerikanische Regierung, Vorkehrungen zu treffen, damit die Mission ihren Bestimmungsort erreichen kann.“ Stark verspricht mein Ersuchen weiterzuleiten. Am nächsten Tag wende ich mch schriftlich an Churchill mit der Bitte, in diesem Sinne bei Roosevelt vorstellig zu werden, und bedeute Pleven, Billotte, d'Astier und Frenay, sich bereit zu halten, um beim ersten Signal abreisen zu können.

Am 11. November findet eine schon seit langem vorgesehene große Versammlung der „Franzosen Großbritanniens" statt. Noch nie ist die Albert-Hall so voll gewesen. Offensichtlich beherrscht der Gedanke an Nordafrika die Menge.

Ich spüre, wie unter den Wogen der Begeisterung die Gemüter zwischen Freude und Angst schwanken. Wenn es auch deutlich ist, daß man auf Einigung hofft, so befürchtet man doch auch, daß sich de Gaulle und das Kämpfende Frankreich auf irgendwelche zweifelhafte Kombination einlassen könnten. Als auf der Galerie ein nach England geflüchteter pensionierter General die Stimme erhebt und mich beschwört, daß ich mich Giraud unterwerfe, wird der arme Mann von empörten Leuten sofort von seinem Platz gerissen und nach draußen befördert, gefolgt von allgemeiner Entrüstung.

In meiner Rede versichere ich, daß bei den sich abspielenden und kommenden Ereignissen unser Ziel unverändert bleibt. Ich tue es so behutsam, daß den Menschen, die guten Willens sind, die Türen geöffnet bleiben, aber auch deutlich genug, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, daß geschehen wird, was wir sagen. Zunächst begrüße ich die neue Phase des Krieges, in der nach so vielen Rückschlägen endlich die Waage zugunsten der Freiheit auszuschlagen scheint. Wie immer hebe ich hervor, daß im Mittelpunkt des Dramas Frankreich steht. Dann rufe ich zur Einigkeit auf: „Frankreich — ein Volk, ein Reich, ein Gesetz!" Und ich zeige, wie unser durch die Katastrophe auseinandergerissenes Volk sich in der Resistance wieder zusammenfindet und daß diese nationale Bewegung vom Kämpfenden Frankreich und niemandem sonst geführt und zusammengehalten wird. „Was die französische Einheit zusammenschweißt, ist das Blut der Franzosen, die den Waffenstillstand niemals anerkannt haben ... Das Kämpfende Frankreich ist es, wir sind es, um die sich die Einheit aufs neue bildet... Es geschieht im Namen Frankreichs, wenn das französische Nationalkomitee alle um Beistand auffordert, um den Feind und Vichy, die unser Land zugrunderichten, zu vertreiben, um die französische Einheit wiederherzustellen und den Gesetzen der Republik wieder Geltung zu verschaffen." Zum Schluß rufe ich aus: „Ein Kampf für ein Vaterland!“

Die Anwesenden haben wohl verstanden, daß ich in dem kommenden schwierigen Spiel bereit sein werde, mich mit jedem, der es verdient, zu vereinigen, daß ich aber nichts von dem, was ich mir ein für allemal zur Aufgabe gestellt, aufgeben werde. Riesiger Beifall beweist mir die Billigung der hier versammelten Franzosen. Ganz anders ist die Wirkung bei den Alliierten, wie ich feststellen muß. Ihre Wortführer seufzen, schütteln den Kopf und werfen uns Starrsinn vor.

Zweifelhafte Rolle Darlans

Sie selbst sind freilich weniger unnachgiebig. Gewiß sind die Amerikaner, und mit ihnen die Engländer, über Girauds Verhalten erstaunt und verärgert gewesen. Aber da Eisenhower, um den Widerstand zu brechen, keinen anderen Weg gefunden hat, als sich mit Darlan zu verständigen, wird nun Amerika die Sache wahrhaftig mit dem Admiral machen. Als General Clark am 10. November die Nachricht von Dar-lans Befehl zur „Feuereinstellung“ erhält, erklärt er im Tone des Siegers gegenüber einem Besiegten: „Alle Zivil-und Militärbehörden behalten ihre Funktionen." Am 13. November stoßen Nogues, Chatei, Bergeret zu Darlan. Für sie ist es selbstverständlich, daß der Admiral Hoher Kommissar für Nordafrika wird. Auch Boisson unterstellt sich ihm alsbald. Giraud, der sich sowohl von den Vichysten wie den „Gaullisten" isoliert sieht, sorgt sofort dafür, daß er von Darlan zum Oberbefehlshaber der Truppen ernannt wird. Am 15. gibt Darlan diese Maßnahmen bekannt und erklärt, sie seien „im Namen des Marschalls" geschehen.

Da sie sich ihrer unsauberen Machenschaften bewußt sind, müssen sie ihnen dringend einen Anschein von Legalität geben. So wird erklärt, Nogues habe während der vorübergehenden Inhaftierung Darlans die Amtsgewalt in Nordafrika erhalten und sie auf Darlan übertragen, so daß dieser rehabilitiert sei. Aber bald genügt diese Kasuistik selbst den weniger Gewissen-haften nicht mehr. Tatsächlich hat Petain selbst, wie wir aus unseren Informationsquellen wissen, nach einer erregten Besprechung, in der Weygand und Auphan den Marschall beschworen haben, die „Feuereinstellung“ in Nordafrika zu genehmigen, während Laval verlangte, sie zu verurteilen, Lavals Partei ergriffen. Über Rundfunk und Presse äußert er sich empört über den „Verrat“ seiner Prokonsuln. Er veröffentlicht einen Brief Girauds vom 4. Mai, worin dieser sich auf Ehrenwort verpflichtet, niemals etwas zu unternehmen, das im Gegensatz zu seiner oder Lavals Politik stehe. Er gibt bekannt, daß er nun selbst den Oberbefehl über die französischen Streitkräfte übernimmt. Er befiehlt aufs neue, die Angelsachsen zu bekämpfen und den Streitkräften der Achse freie Bahn zu lassen. Am 1. Dezember hält Admiral Platon, Minister des Marschalls und von ihm mit der „Koordinierung der drei Teilstreitkräfte" betraut, eine Rundfunkansprache an die Truppen in Afrika: „In Frankreich wird es sein, wo der Marschall und seine Regierung die nationale Armee wiederaufbauen. .. Frankreich wird Afrika wiedererobern. Ihr werdet sehen, wie die Verräter mit dem Troß der Fremden verschwinden.“

Also muß eine andere Ausflucht gefunden werden, um Darlans Autorität zu „legitimie’ren". Man beruft sich auf ein Telegramm eines nicht namentlich genannten Beamten, dessen Wortlaut niemals veröffentlicht wird, dessen bloße Zitierung aber dem Clan der Auguren erlaubt, nach außen hin zu verstehen zu geben, daß Petain insgeheim dem Admiral Vollmacht erteilt habe. Schließlich ist das Hauptargument derer, die Vichy die „Eidbrüchigen" nennt, daß der Marschall wegen der Besetzung der freien Zone fortan der Gnade der Deutschen überliefert ist, daß er keine gültigen Befehle mehr erteilen kann und daß daher die Amtsgewalt denen zustehe, an die er sie vor der Besetzung übertragen habe.

Mehr bedarf es nicht, um Präsident Roosevelt zu veranlassen, gegenüber Darlan die demokratischen und juristischen Skrupel fallen-zulassen, auf Grund deren er sich seit zwei Jahren General de Gaulle widersetzte. Auf seine Anweisung hin erkennt Clark Darlan als Hoch-kommissar an; er tritt in Verhandlungen mit ihm ein, die am 22. November zu einem Abkommen führen, wonach Darlan als Chef der Zivil-und Militärverwaltung gilt, sofern er den Angelsachsen Genüge tut. Zwar erklärt Roosevelt öffentlich, die zwischen Eisenhower und Darlan getroffenen Abmachungen seien „vorübergehender Natur“. Aber als er am 23. November Andre Philip und Tixier empfängt und ärgerlich ihren Protest entgegennimmt, schreit er sie an: „Selbstverständlich verhandle ich mit Darlan, denn Darlan gibt mir Algier! Morgen werde ich mit Laval verhandeln, wenn er mir Paris gibt!“ Allerdings fügt er hinzu: „Ich würde gern das alles mit General de Gaulle besprechen, und ich bitte Sie, ihm mitzuteilen, wie wünschenswert sein Besuch in Washington sein würde.“ Am 7. Dezember endlich ernennt sich Darlan, nachdem er die Billigung der Alliierten eingeholt hat, zum französischen Staatschef in Nordafrika und zum Oberbefehlshaber aller Land-, See-und Luftstreitkräfte, und zwar unter Assistenz eines aus Nogues, Giraud, Chatei, Boisson und Bergeret zusammengesetzten „Nationalrats".

Während die Amtsgewaltigen in Algier, Casablanca und Dakar eine Kehrtwendung machen, um ihre Posten zu behalten, bekommt Frankreich selbst die Reaktion des Gegners zu spüren. Die deutschen Truppen marschieren in die „freie" Zone ein. Vichy untersagt jeden Widerstand. Die „Waffenstillstandsarmee" muß in Erwartung ihrer Demobilisierung die Waffen niederlegen. General de Lattre, der sich noch einige Illusionen macht, versucht tapfer, den Verteidigungsplan durchzuführen und mit den Truppen des Gebiets um Montpellier eine Gebirgsstellung zu beziehen. Alsbald wird er von allen verleugnet, im Stich gelassen und dann in Haft gesetzt. Vom Gefängnis aus nimmt er Verbindung mit dem Kämpfenden Frankreich auf, das ihm später zur Flucht verhelfen und ihn nach London holen wird, wo er sich mir für immer anschließt: General Weygand, der versucht hat in Gueret unterzukriechen, wird von der Gestapo verhaftet und nach Deutschland gebracht. So zerrinnt, ohne daß Vichy einen einzigen Schuß auf den Feind abgab oder abgeben ließ, das Trugbild der Unabhängigkeit, dessen sich dieses Regime bediente, um seine Kapitulation zu rechtfertigen und so viele gute Franzosen zu täuschen. Vom Schein seiner Souveränität bleibt ihm nichts übrig als die Flotte in Toulon. Allerdings auch nicht für lange.

Selbstversenkung der Flotte

Diese Flotte, von der ein jederzeit einsatzfähiger Teil dem Admiral Laborde und ein anderer, mehr oder weniger entwaffneter Teil unmittelbar dem Marinepräfekten Marquis unterstellt ist, leistet in der Tat Petain noch Gehorsam, weigert sich trotz aller Beschwörungen Darlans nach Afrika auszufahren und sieht die Deutschen bis in Schußweite dem Hafen sich nähern. Das „Neutralitätsabkommen“, das Vichy mit dem Feind getroffen hat, trägt dazu bei, unsere Seeleute von einem Ausbruch in letzter Minute abzuhalten. Es geht dem unrühmlichen Ende entgegen. Ich meinerseits bin davon um so mehr überzeugt, als ich Admiral de Laborde kürzlich auf geheimem Wege einen Brief zugehen ließ, um ihn darüber aufzuklären, was von ihm Ehre und Pflicht verlangten, und ich erfahren habe, daß er dafür bekannt ist, sich in Schmähungen über mich zu ergehen, und meinen Abgesandten, Oberst Fourcault, bedroht hat, obwohl er meinen Brief nicht zurückgehen ließ. Vom 26. November an bereiteten sich die Deutschen zu einem Handstreich auf unsere Schiffe vor.

Da sie bei ihrem Vormarsch die das Arsenal beherrschenden Höhen besetzt, in unmittelbarer Nähe des Hafens Bomber stationiert und auf der Reede Minen ausgelegt haben, ist ihnen die ranzösische Flotte ausgeliefert. Der Marschall, seine Minister, der Marinepräfekt, der Oberefehlshaber der Flotte, gelähmt von den Folgen ihrer Selbstaufgabe, kommen auf keine andere Idee, als diesen mächtigen Kriegsschiffen zu verordnen, sich selbst auf den Meeresgrund zu schicken. So begehen befehlsgemäß 3 Linienschiffe, 8 Kreuzer, 17 Torpedoboote und an die sechzig andere Einheiten den jämmerlichsten und sinnlosesten Selbstmord, den man sich vorstellen kann. Den Deutschen fallen 1 Torpedo-jäger, 1 Torpedoboot und 5 Tanker in die Hände, denen es nicht gelang, sich zu versenken. Nur 5 U-Boote gehen dank der Initiative ihrer tapferen Kommandanten zu den „Abtrünnigen" über und versuchen zu entkommen. Dreien — Casabianca, Glorieux, Marsouin — gelingt es, nach Algier durchzukommen. Iris muß mangels Treibstoff in einem spanischen Hafen Zuflucht suchen. Venus läuft auf eine Mine. Überwältigt von Kummer und Zorn, bleibt mir nichts anderes übrig, als aus der Ferne zuzusehen, wie eine der größten Chancen Frankreichs zerrinnt, die wenigen Heldentaten, die die Katastrophe begleiteten, zu preisen und am Telefon das mit edlen Worten zum Ausdruck gebrachte, aber wenig tröstliche Beileid des englischen Premierministers entgegenzunehmen.

Doch der Gang der Ereignisse bewirkte, daß sich der Zusammenhalt der Franzosen, die bereits zu de Gaulle hielten, verstärkte und daß viele, die noch nicht zu ihm gefunden hatten, ihm geneigter wurden. Das Nachgeben Vichys und die totale Besetzung des Mutterlandes bewiesen um so mehr, daß es für das Land keine andere Rettung gab als die Resistance. Überdies rief Darlans mit amerikanischer Hilfe erfolgter Aufstieg in Nordafrika allgemeine Entrüstung hervor. Nie zuvor war ich bei den Unsrigen solcher Einstimmigkeit begegnet wie der über diesen Punkt.

Leute, die — wie wir — sehen mußten, wie ihre Verbündeten mit den Gegnern paktierten, fühlten sich natürlich geprellt und waren verbittert. Aber mit dieser Verbitterung einher ging auch ein Aufbäumen des Idealismus. Zum Beispiel empörte es uns, wenn wir die amerikanischen Rundfunksprecher in ihren von der BBC übertragenen Sendungen „Honneur et Patrie!“, die Rundfunkparole des Freien Frankreich, näseln hörten, um zu verkünden, was alles Admiral Darlan gedacht, gesagt und getan hatte. Angesichts der Reaktionen des heimgesuchten Volkes, das zugleich das defätistische Regime und die Kollaboration verurteilte, waren wir uns schließlich sicher, daß, wenn de Gaulle nachgab oder, schlimmer noch, Kompromisse schloß, die kommunistische Ideologie das angewiderte Volk mit sich reißen würde. Das Nationalkomitee war davon überzeugt. Noch weniger zweifelten daran unsere Gefährten, wo sie auch sein mochten. Aus diesem und noch vielen anderen Gründen konnte ich mich auf einen festen Block stützen, als ich den Regierungen in Washington und London mitteilte, daß nicht die geringste Aussicht auf eine Verständigung zwischen dem Kämpfenden Frankreich und dem „Hohen Kommissar“ in Nordafrika bestünde.

Schon am 12. November bat ich Admiral Stark, dies seiner Regierung in meinem Namen zu sagen. In Washington führten Philip und Tixier die gleiche Sprache: am 13. November bei Sumner Welles, am 14. bei Cordell Hull. Am 20. wiederholte Oberst de Cheviga das gleiche bei McCloy. Am 23. wurden Philip und Tixier energisch vorstellig bei Roosevelt. Am 16. November hatte ich Churchill und Eden ausgesucht, die mich unmittelbar nach Darlans Proklamation, worin er erklärte, er übe seine Machtbefugnisse im Namen Petains und im Einvernehmen mit den Alliierten aus, zu einer Unterredung gebeten hatten. Es muß gesagt werden, daß diese Nachricht in vielen englischen Kreisen und selbst im Kabinett tiefe Mißstimmung hervorgerufen hatte und daß in London das Echo einer empörten öffentlichen Meinung zu vernehmen war. So war denn die Atmosphäre an diesem Tage gespannter denn je, und Churchill äußerte, ohne Roosevelt direkt zu desavouieren, einige Vorbehalte gegenüber der vom amerikanischen Präsidenten verfolgten Politik.

Er sagte mir frank und frei, daß er meine Gefühle verstehe und teile, daß es aber zunächst darum gehe, die Deutschen und Italiener aus Afrika zu verjagen. Er garantierte mir, daß die von Eisenhower in Algier getroffenen Dispositionen im wesentlichen vorübergehender Natur seien, und er gab mir die Telegramme zu lesen, die er diesbezüglich mit Roosevelt gewechselt hatte. „England“, bestätigte er, „hat seine Zustimmung nur unter der Bedingung gegeben, daß es sich um einen Notbehelf handelt." „Ich nehme die britische Einstellung zur Kenntnis", sagte ich zu den englischen Ministern. „Meine ist ganz anders. Sie berufen sich auf strategische Gründe, aber es ist ein strategischer Fehler, sich zum moralischen Charakter dieses Krieges in Widerspruch zu stellen. Wir befinden uns nicht mehr im 18. Jahrhundert, wo Friedrich am Wiener Hof Leute bestach, um sich Schlesien zu nehmen, noch in der Zeit der italienischen Renaissance, wo man sich der Sbirren Mailands und der Bravos von Florenz bediente. Man setzte solche Leute auch nicht gleich an die Spitze befreiter Völker. Heutzutage führt man die Kriege mit der Seele, dem Blut, den Leiden der Völker.“ Dann zeigte ich Churchill und Eden die aus Frankreich eingetroffenen Telegramme, aus denen die Bestürzung des Volkes hervorging. „Bedenken Sie die Folgen, die sich hieraus ergeben können. Wenn Frankreich eines Tages feststellen muß, daß es seine Befreiung durch die von den Angelsachsen den geschaffenen Tatsachen Darlan dankt, so könnten Sie den Krieg vielleicht militärisch gewinnen, aber Sie werden ihn moralisch verlieren, und letzten Endes wird es nur einen Sieger geben: Stalin.“

Sodann kamen wir auf ein Kommunique des französischen Nationalkomitees zu sprechen, womit bekanntgemacht werden sollte, daß es mit den von den Alliierten in Algier eingefädelten Kombinationen nichts zu tun habe. Um dieser Verlautbarung eine weite Verbreitung zu sichern, brauchten wir die BBC. Daher bat ich Churchill, sich der Sendung nicht zu widersetzen, wenn auch Radio London in bezug auf die nordafrikanische Frage den Amerikanern unterstellt sei. „Selbstverständlich", erwiderte Churchill. „Im übrigen werde ich Roosevelt telegrafieren, daß General de Gaulle in die Lage versetzt werden muß, seine Stellung der Öffentlichkeit bekanntzugeben.“

Als man sich trennte, nahm mich Eden, zu Tränen gerührt, beiseite, um mir zu sagen, wie sehr er persönlich bekümmert sei. Das überrasche mich nicht, da ich ihn kenne, antwortete ich, denn „von Mensch zu Mensch dürften wir uns einig sein, daß diese Sache nicht anständig war“. Edens Haltung bestätigte mich in dem Gefühl, daß er fraglos zu jenen Mitgliedern des englischen Kabinetts gehörte, die nicht geneigt waren der amerikanischen Politik so gern zu folgen wie Churchill.

Nach dem Frühstück in der Downing Street, wo es der ganzen liebenswürdigen Geschicklichkeit von Lady Churchill bedurfte, um das Gespräch zwischen den beunruhigten Damen und den sorgenerfüllten Herren zu beleben, nahmen Churchill und ich die Unterredung unter vier Augen wieder auf. „Sie haben glänzende Aussichten“, sagte Churchill zu mir, „trotz des gegenwärtigen Zusammentreffens unglücklicher Umstände. Giraud ist politisch bereits erledigt. Darlan wird binnen kurzem unmöglich sein. Sie allein werden bleiben." Und er fügte hinzu: „Stoßen Sie die Amerikaner nicht vor den Kopf. Haben Sie Geduld? Sie werden schon auf Sie zukommen, denn es gibt keine andere Alternative.“ — „Vielleicht", erwiderte ich. „Aber bis dahin wird das Schiff geborsten sein. Um jedoch von Ihnen zu sprechen: ich verstehe Sie nicht. Vom ersten Tage an führen Sie diesen Krieg. Man könnte fast sagen, Sie selbst seien mit ihm identisch. Ihre Armee ist in Libyen auf dem Vormarsch. Es gäbe in Afrika keine Amerikaner, wenn Sie nicht im Begriff wären, Rommel zu schlagen. Bis zur Stunde hat noch kein Soldat Roosevelts einem Soldaten Hitlers gegenübergestanden, während Ihre Leute sich seit drei Jahren auf allen Breitengraden schlagen. Im übrigen geht es in Afrika um Europa, und England gehört zu Europa. Trotzdem überlassen Sie den Amerikanern die Führung des Kampfes. Das wäre Ihre Sache, zumindest auf moralischem Gebiet. Übernehmen Sie die Führung! Die öffentliche Meinung Europas wird Ihnen folgen.“

Meine Worte verblüfften Churchill. Ich bemerkte, wie er auf seinem Sessel hin-und herrutschte. Ehe wir uns trennten, kamen wir überein, daß die französisch-britische Solidarität nicht unter der gegenwärtigen Krise zerbrechen dürfe, sondern um so mehr, der natürlichen Ordnung der Dinge entsprechend, beibehalten werden müsse, als sich die Vereinigten Staaten in die Angelegenheiten der Alten Welt ein-mischten.

Am Abend gab Radio London meinem Wunsche gemäß durch, daß „General de Gaulle und das französische Nationalkomitee an den in Algier im Gange befindlichen Verhandlungen keinen Anteil hätten und auch keine Verantwortung dafür übernähmen“ und daß „eine Aufrechterhaltung des Vichy-Regimes in Nordafrika als Ergebnis dieser Verhandlungen vom Kämpfenden Frankreih selbstverständlich nicht akzeptiert werden würde.“ Unsere Verlautbarung schloß: „Die Vereinigung aller übersee-ishen Gebiete im Kampf um die Befreiung ist nur unter Bedingungen möglich, die dem Willen und der Würde des französischen Volkes ent-sprechen."

Schwierigkeiten, aber auch Erfolge

Aber die Gutwilligkeit der Engländer sollte dem amerikanischen Druck nicht lange standhalten. Drei Tage später, als wir eine Erklärung seitens der französischen Widerstandsorganisationen, die unsere Verlautbarung unterstützte, über den Rundfunk senden wollten, verweigerte uns das britische Kabinett die Benutzung der BBC. Es handelte sich um eine aus Frankreich an die alliierten Regierungen gerichtete Note. Sie war unterschrieben von den Vertretern der drei Resistance-Gruppen der Südzone Combat, Liberation und Franc-Tireur, der französischen Arbeiterbewegung, zu der sich die CGT und die christlichen Gewerkschaften zusammengeschlossen hatten, und von vier politischen Parteien: Comite d'aetion socialiste, Federation rpublicaine, Democrates populaires, Radikalsozialisten. In der Note hieß es: „General de Gaulle ist unbestritten Führer der Resistance, und das Land steht mehr denn je hinter ihm ... In keinem Fall werden wir zulassen, daß der Übertritt der für den militärischen und politischen Verrat Verantwortlichen als Entschuldigung für die vergangenen Verbrechen betrachtet wird . . . Wir verlangen nachdrücklich, daß die Geschicke des befreiten Französisch-Nordafrika alsbald wieder den Händen de Gaulles anvertraut werden." Die aus Washington gekommenen Zensoren hatten gegen die Veröffentlichung des Dokuments ihr Veto eingelegt.

Am 21. November bekam ich persönlich deren Opposition zu spüren. Ich hatte vor, eine von der BBC bereits angesetzte Ansprache an das französische Volk zu halten, worin ich fragte: „Soll die nationale Befreiung entehrt werden?“ und natürlich antwortete: „Nein!“ Wenige Minuten vor der Sendung kam Charles Peake und sagte mir: „Auf Grund von Abmachungen, die zwischen den Alliierten getroffen wurden, und aus militärischen Gründen kann Radio London ohne Einwilligung der amerikanischen Regierung keine Sendungen durchgeben, die Nordafrika betreffen." Für meine Ansprache sei zwar die Einwilligung angefordert worden, doch müsse sie, da noch keine Antwort eingetroffen sei, verschoben werden, wofür sich die britishe Regierung entschuldige. Meine Botschaft und die Erklärung der Resistance wurden dann von den Sendestationen des Kämpfenden Frankreich, Brazzaville, Duala und Beirut, übertragen, da sie von fremder Einmischung frei waren.

Am 24. November glaubte Churchill — er war etwas verlegen — in einer unserer Unterredungen mit mir über meine von der BBC verschobenen Rundfunkansprache reden zu müssen. „Da die in Ihrer Rede behandelten Probleme“, sagte er, „das Leben amerikanischer und britisher Soldaten aufs Spiel setzen könnten, habe ih es für rihtig gehalten, Präsident Roosevelt telegrafish um seine Zustimmung zu bitten. Er hat sie bisher noh niht gegeben.“ Ih erwiderte: „Ih bin mir durhaus im klaren, daß der Rundfunk auf britishem Gebiet niht mir untersteht.“ Aber Churchills Verhalten zeigte mir, daß er auh ihm selbst niht mehr unterstand.

So bemühte ih mih, unter all diesen Shlägen ruhig zu bleiben. Es geshah übrigens mehr aus Vernunftserwägungen als aus Gefühl. Denn das in Algier errihtete System ershien mir zu künstlih, um den Stürmen der Ereignisse lange standhalten zu können, so sehr es auh von außerhalb unterstützt werden mohte. Seine führenden Männer befanden sih zu offensichtlich in einem Hafen, bis zu dem die Strömungen der öffentlihen Meinung niht vordrangen. Gegen de Gaulle eingestellt, von Petain verdammt, die Abwartenden beunruhigend, von keiner Bewegung getragen, von keinem Wunderglauben gestützt, waren sie Leute, bei denen nur zu gut zu erkennen war, daß jede ihrer Handlungen das Ergebnis einer Spekulation war. Warum also dieser Oligarhie ohne Zukunft und ohne Aussiht irgendwelches Zugeständnis mähen; zumal unsere eigenen Chancen im selben Augenblick, in dem sie sih in Algier installierten, anderswo größer geworden waren. Denn gleich nah der Landung der Amerikaner in Marokko und Algerien dehnte das Kämpfende Frankreich seine Autorität über die gesamten französischen Besitzungen im Indishen Ozean aus.

Die erste dieser Besitzungen, die zu uns übertrat, war Reunion. Die in den Weiten des südlihen Ozeans isoliert gelegene Insel, weit ab von der Route der Geleitzüge, die das Kap umshifften, arm an Hilfsmitteln und bewohnt von einer sehr gemishten, aber glühend fran-zösish gesinnten Bevölkerung, war in die Pläne der Alliierten nicht unmittelbar einbezogen worden. Doch sie war einem möglichen gemeinsamen Handstreich von Japanern und Deutschen ausgesetzt, zumal, seitdem Madagaskar ihrem Zugriff entzogen war. Andererseits wußten wir, daß ein großer Teil der Inselbewohner den Wunsch hatte, am Krieg beteiligt zu sein. Daher suchte ich seit langem nach der Gelegenheit, die Insel dem Kämpfenden Frankreich anzugliedern. Aber die Engländer hatten mich, solange sie selbst ihr Madagaskar-Unternehmen und die Amerikaner ihre Landung in Afrika vorbereiteten, gebremst, um Vichy und den Feind nicht zu alarmieren. Jetzt hatten sie keinen Vorwand mehr, mich an einem Eingreifen zu hindern. So faßte ich am 11. November den Entschluß, die Eingliederung zu vollziehen.

Schon seit Monaten nahm — mit dieser Absicht im Hintergrund — der Torpedojäger Leopard unter dem Kommando von Fregattenkapitän Richard-Evenou am Geleitzug und an Patrouillen im Meeresgebiet vor Südafrika teil. Ich gab ihm Weisung, die Insel unter Mitnahme des im voraus zum Gouverneur ernannten Regierungsbeamten Capagorry anzusteuern und dort das Notwendige zu unternehmen. Am 28. November kreuzte das Schiff vor St. Denis auf. Beim Anblick der Fahne mit dem Kreuz von Lothringen strömte die Bevölkerung in Massen zum Hafen, um unsere Matrosen zu bewillkommnen, während viele Beamte und Militärs ihre Sympathie bekundeten. Allein die Batterie auf der Landzunge von des Gallets empfing das Schiff feindselig. Die Leopard erwiderte mit einer Geschützsalve und schickte ein Detachement an das Land, das mit Hilfe des Straßenbaudirektors Decugis und einer Gruppe eifriger Einheimischer den Zwischenfall bald beilegte. Decugis kam unglücklicherweise ums Leben, ebenso ein paar Zuschauer. Da der Gouverneur Aubert sich in seine Gebirgsresidenz zurückgezogen hatte, nahm Richard-Evenou Verbindung mit ihm auf. Sie kamen „zum Zwecke der Befriedung" überein, jeglichen Kampf zu beenden und den Gouverneur Capagorry einzusetzen. Unter lebhaftester Begeisterung trat der Vertreter des Generals de Gaulle sein Amt an.

Übertritt wichtiger Kolonien

Gleiches geschah einen Monat später auf Madagaskar. Theoretisch war zwar das Schicksal der großen Insel seit ihrer Übergabe durch den Generalgouverneur Annet an die Briten entschieden worden. Praktisch jedoch war alles in der Schwebe geblieben. Wohl hatte ich auf Edens wiederholten Vorschlag hin am 11. November die Veröffentlichung eines gemeinsamen Kommuniques akzeptiert, mit dem bekannt-gegeben wurde, daß „das französische Nationalkomitee und die britische Regierung wegen Madagaskar verhandelten“ und daß „das Nationalkomitee General Legentilhomme zum Hohen Kommissar ausersehen“ habe. Aber ich gedachte nicht, die große Insel in die Hand zu nehmen, so lange ich nicht freie Hand hatte. Erst sollten die Briten darin einwilligen, sich aus Politik und Verwaltung zurückzuziehen. Über diesen Punkt nun zogen sich die Verhandlungen in die Länge, und sie wurden verzögert durch die Maßnahmen des englischen Kolonialamtes. Nachdem es sich bemüht hatte mit Hilfe des britischen Militärkommandanten die Vichy-Verwaltung unter seine Fittiche zu nehmen, machte es den Versuch, die Autorität unmittelbar auszuüben, und beauftragte Lord Rennel, die Dinge in die Hand zu nehmen und sich der Mitwirkung von willigen französischen Beamten zu bedienen. Lord Rennel und seine Leute hatten das inzwischen aufgegeben: sie räumten ein, daß es notwendig sei, die Verwaltung dem Kämpfenden Frankreich zu überlassen. Aber sie hätten sich gern noch ein Kontrollrecht vorbehalten, worauf wir uns natürlich nicht ein-

assen konnten. Am 14. Dezember schließlich unterzeichnete Eden und ich ein Abkommen, das alles so regelte, wie es sein mußte. Am Ahend gab ich über den Rundfunk das glück-

i e Ereignis bekannt, wobei ich erklärte, daß »unsere schöne große Kolonie nunmehr einen pedeutsamen militärischen und wirtschaftlichen ^ltrag zu der Kriegsanstrengung werde leisten onnen , und hervorhob, daß „unser guter alter Verbündeter England mit dem Abkommen seine völlige Loyalität bewiesen habe.“

Nach Unterzeichnung dieser Übereinkunft reiste General Legentilhomme nach Tananarivo ab. Eine aus dem freien Französisch-Afrika entsandte und aus allen Waffengattungen zusammengesetzte Truppenabteilung sollte ihm folgen. Unter Mitwirkung des Generalgouverneurs de Saint-Mart und des Militärkommandanten Oberst Bureau begab Legentilhomme sich daran, Verwaltung, Wirtschaft und öffentliche Dienste wieder in Gang zu setzen, Außenhandelsbeziehungen anzuknüpfen und Truppen neuaufzustellen. Gleichzeitig sollte er die Geister wieder zur Ordnung zurückführen. Wenige Wochen nach seiner Ankunft nahmen die Hälfte der Offiziere, zwei Drittel der Unteroffiziere und die gesamte Mannschaft, die soeben noch auf Befehl von Vichy gegen die Alliierten gekämpft hatten, ihren Dienst unter dem Freien Frankreich auf. Der Rest wurde nach England gebracht und reihte sich in Nordafrika wieder ein, sobald dort die Vereinigung zustande kam.

Als ich General Legentilhomme nach Tananarivo schickte, konnte ich ihn zu meiner Genugtuung über Dschibuti reisen lassen. Es war am 28. Dezember zum Kämpfenden Frankreich übergegangen. Zweifellos eine Folge der Vorgänge auf Madagaskar, denn seit Beginn der britischen Intervention stockte die von der großen Insel erfolgte Versorgung des Somalilandes. Aber es war auch das Ergebnis zweijähriger Bemühungen unserer ostafrikanischen Mission. Der Übertritt des Somalilandes war erst von Palewski, dann von Chancel vorbereitet worden, die alle nur möglichen Verbindungen mit der Kolonie unterhielten, dort unsere Propaganda verbreiteten und beim Negus in Addis Abeba und beim britischen Kommandanten in Nairobi aktiv unsere Sache vertraten. Außerdem hatten Oberst Appert und sein Detachement, die in unmittelbarer Fühlung mit der Garnison standen, nach und nach bei vielen einen Gesinnungsumschwung hervorgerufen, indem sie selbst das Beispiel einer hervorragenden Truppe gaben. Trotz alledem mußten unsere Streitkräfte in die Kolonie einrücken, damit der Übertritt zustande kam.

Der Gouverneur von Dschibuti, General Dupont, hatte sich nämlich nicht entschließen können, seinen Herrn zu wechseln, obwohl er es im Grunde gern getan hätte und ich ihn auch hierzu schriftlich gedrängt hatte. Daraufhin hatte ein Teil der Garnison unter Oberstleutnant Raynal Anfang November die Grenze überschritten und sich mit der Truppe von Oberst Appert vereinigt. Viele andere ließen erkennen, daß sie bereit seien es ebenso zu machen. Infolgedessen batte die amerikanische Regierung, um die Kolonie vom Übertritt zu de Gaulle abzuhalten, ihren Konsul in Aden nach Dschibuti geschickt. Der aber konnte keine Lösung finden, die der amerikanischen Politik entsprach, nämlich gleichzeitig Vichy und de Gaulle auszuschalten. Sein Eingreifen hatte dagegen die Folge, daß die „Gaullisten" verärgert waren und zum Handeln drängten. Am 26. Dezember rückten unter Appert und Raynal und im Einvernehmen mit den Engländern die Truppen des Kämpfenden Frankreich in Französisch-Somaliland ein und gelangten mit der Eisenbahn in die Stadt, ohne einen Schuß abzufeuern. Das Problem war gelöst. Am 28. Dezember unterzeichneten General Dupont, mein Delegierter Chancel und General Fowkes als Vertreter des britischen Kommandos ein Abkommen, durch das die Kolonie an das französische Nationalkomitee überging. Am 30. Dezember übernahm Bayardeile sein Amt als neuer Gouverneur von Dschibuti.

Der Übertritt von Somaliland war von großer Bedeutung. Mit ihm waren alle französischen Besitzungen im Gebiet des Indischen Ozeans wieder in den Krieg eingetreten, so daß der Westen strategische Positionen erhielt, die, für den Fall einer erneuten Bedrohung durch Japan, Afrika und den Nahen Osten deckten. Dschibuti selbst erhielt wieder die Rolle eines Transithafens am Eingang des Roten Meeres und im Vorfeld Abessiniens. Darüber hinaus sah sich das Kämpfende Frankreich um 300 Offiziere, 8000 Mann und das dort deponierte Material verstärkt, eine wertvolle Hilfe für unsere in Libyen kämpfenden Truppen sowie für die in Madagaskar zu reorganisierenden Verbände. Schließlich war es auch politisch bedeutsam, daß es dem Nationalkomitee gerade in jenen Wochen, in denen die Konfusion des Systems in Algier zutage trat, gelang, ebenso ferne wie begehrte Gebiete zur Einheit und in den Krieg zurückzuführen.

Aber was mehr als alles andere zur Vereinigung drängte, war die Tatsache, daß von nun an Afrika die beiden Teile der französischen Armee gegen den gleichen Feind kämpften. Keine Sophisterei konnte den Offizieren und Soldaten, die auf der „Rückseite“ Tunesiens in Stellung gingen, verbergen, daß sie genau dasselbe taten wie ihre in Libyen und im Fezzan kämpfenden Kameraden. Dieselbe „Regierung“, die gestern diese verdammte, verwünschte heute jene, und jedesmal mit dem Vorwand, sie alle „verschlimmerten das Unglück des Landes". Ich war mir deshalb sicher, daß der Wunsch nach Vereinigung von Tag zu Tag stärker werden würde. Wenn ich auch noch nicht für die in Nordafrika stehenden französischen Truppen verantwortlich war, so verfolgte ich doch ihre Aktionen mit derselben glühenden Aufmerkkeit, die ich den anderen widmete..

Nadi einigen Tagen der Verwirrung, die der Feird ausgenutzt hatte, um in der Umgebung von Tunis Fuß zu fassen, wurden unter Barres Kommando die Truppen in Tunesien neu gruppiert. Der eine Teil ging vor Beja und Medjezel-Bab, der andere vor Tebassa in Stellung, um die Straßen nach Algerien zu blockieren. Dann rückte auch die in Constantine liegende Division unter General Weiwert nach Tebessa vor, wo sie zusammen mit Barres Einheiten einen Korps-abschnitt bildete, der dem Befehl von General Koeltz anvertraut wurde, während weiter im Süden General Delay mit seinen Saharatruppen Stellung bezog. Am 16. November übernahm Juin den Oberbefehl über diesen „Armeeab-schnitt". Am 19. November wurde in Medjezel-Bab das Feuer auf die Deutschen eröffnet, und am 22. wurden Gafsa und Sbeitla wieder-erobert. Ende November bestand eine Art Frontlinie vom Norden zum Süden Tunesiens, zwar schwach und mit großen Lücken, aber gehalten von entschlossenen Männern, die dem Aufmarsch der alliierten Truppen die erste Dek-kung sicherten.

Im Dezember verstärkten sich beide gegnerischen Lager. Die unter General Nehring stehenden Deutschen und Italiener erhielten Truppen-und Materialtransporte über die Meerenge von Sizilien oder aus Tripolitanien. Die britische 1. Armee unter General Anderson stellte ihre Vorhut im Küstengebiet westlich von Tunis und Biserta auf. General Giraud vervollständigte Juins Kräfte, zunächst durch die unter Deligne stehende Division von Algier, dann durch eine marokkanische Division unter Führung von Mathenet. Die Amerikaner stellten zur Unterstützung der Engländer eine Panzerdivision und zur Unterstützung der Franzosen Luftlandetruppen und Panzerwagen.

Kurzum, zwei Monate nach der Landung hatte General Eisenhower lediglich mit einigen wenigen angelsächsischen Einheiten Feindberührung aufnehmen können. Sein Aufmarsch war verzögert worden durch die Furcht vor einer Offensive der Spanier in Marokko, durch den Wunsch, seine unerfahrenen Truppen nicht voreilig in den Kampf zu schicken, und durch die Schwierigkeiten, die sich in einem so weiträumigen Lande wie Französisch-Nordafrika der Stationierung seiner Flugzeuge, dem Transport seines Nachschubs und der Organisation seiner Verbindungen boten, während seine Geleitzüge ohne Unterlaß von feindlichen U-Booten und Flugzeugen angegriffen wurden. Die ersten Monate von 1943 brachten denn auch die größten Tonnageverluste des ganzen Krieges. Während dieser kritischen Periode ruhte also im wesentlichen das Schicksal des Feldzuges auf den Schultern der französischen Truppen, eine Aufgabe, die um so verdienstvoller war, als sie mit veralteten Waffen kämpften. Denn es muß gesagt werden, daß sie keine Flugzeuge, keine Panzer, keine schwere Artillerie, keine Flugabwehrgeschütze, keine Panzerabwehrkanonen, keine

Lastwagen hatten, da dieses ganze Material erst kürzlich der Waffenstillstandskommission hatte abgeliefert werden müssen oder im Kampf gegen die Amerikaner vernichtet worden war.

Geblieben waren nur eine paar von den Einheiten oder in abgelegenen Schlupfwinkeln gehütete Stücke.

Inzwischen war Biserta Schauplatz eines jämmerlichen Verzichts gewesen. Auf Befehl von Vichy hatte Admiral Derrien die deutschen Truppen ungehindert in die Stadt eindringen lassen. Am 7. Dezember forderte Nehring von dem Unglücklichen die Entwaffnung der Garnison und die Übergabe von Hafen, Schiffen, Arsenal und Werken, was auch alsbald geschah.

So ging ein äußerst wichtiger Stützpunkt in die Hände des Gegners über, und darüber hinaus fielen ihm 1 Torpedojäger, 3 Torpedoboote, 2 Avisoschiffe und 9 U-Boote zu, die unversehrt auf der Reede oder im Hafen lagen. Diese Episode bezeichnete indes das Ende einer beschämenden Reihe von Ereignissen. Von nun an gab es in Afrika keine Stelle mehr, an der Vichy über unsere Waffen verfügte, abgesehen von der „afrikanischen Phalanx“, die auf Seiten des Gegners gegen die Alliierten kämpfte. Die wenigen verbliebenen Waffen befanden sich in Händen von Soldaten, die sie, sei es in Tunesien, sei es in Libyen, im Dienste Frankreichs zu nutzen wußten.

In der Tat hatten die Briten ihre Offensive gegen Rommel mit dem Beistand der Gruppe Larminat eröffnet. Bei dem am 23. Oktober von Montgomery bei El-Alamein glänzend geführten Durchbruch war die 1. leichte Division unter Koenig am Südflügel, an den steilen Hängen des Himeimat, eingesetzt gewesen. Da sie in schwierigem Gelnäde und an einem sehr breiten Frontabschnitt gegen einen stark verschanzten Gegner zu kämpfen hatte, erlitt sie große Verluste. Wenige Tage später nahmen die 2. leichte Division unter Oberst Alessandri und die Panzerkolonne der Obersten Remy und de Kersauson anfänglich an der von der britischen 8. Armee unternommenen Verfolgung des Feindes schwungvoll teil. Ich hatte den Einsatz unserer Streitkräfte fürs erste genehmigt. Aber mittlerweile hatten midi die Landung der Angelsachsen in Marokko und Algerien und die Eröffnung der Front in Tunesien zu der Auffassung geführt, daß es nicht gut sein würde, die Gruppe Larminat sich noch weiter erschöpfen zu lassen. Mir erschien es viel besser, sie mit all ihren Mitteln in der Endphase der Operationen einzusetzen, d. h. bei der Vereinigung der vom Osten und Westen vorstoßenden alliierten Armeen, bei dem auf französischem Boden erfolgenden Zusammenschluß unserer unter dem Kreuz von Lothringen kämpfenden mit den in Nordafrika stehenden französischen Truppen und bei der Vernichtung des Gegners am Ufer „unseres Meeres“.

So hatte ich in den Beschluß des britischen Oberkommandos eingewilligt, am 10. November die Freien Franzosen aus der Front herauszuziehen und sie im Gebiet von Tobruk in Reserve zu halten. Kurz darauf nahm ich Larminats Vorschlag an, die beiden leichten Divisionen zu einer Liniendivision zusammenzufassen. Bald war es uns möglich, diese prächtige Einheit auf die Stärke von drei Brigaden zu bringen und sie dank der in Dschibuti wiedererlangten Waffen mit einer vollständigen Artillerie auszurüsten Es entstand die 1.freie französische Division.

Larminat und seine Soldaten warteten ungeduldig auf den Augenblick, wieder an der Front eingesetzt zu werden, doch diesmal im Entscheidungskampf der großen Schlacht um Afrika, die seit zwei Jahren im Gange war und an der unsere Truppen ununterbrochen teilgenommen hatten.

Während dieser Zeit bot sich uns die lang-ersehnte Gelegenheit, den Fezzan zu erobern und ein aus dem Tschad quer durch die Sahara herangeführtes französisches Korps am Mittelmeer einzusetzen. Die Ausführung des Planes, den ich an dem Tage gefaßt hatte, an dem Eboue und Marchand in Fort-Lamy zu uns stießen, war von Leclerc seit 1940 durch eine Reihe schwieriger Unternehmen vorbereitet worden: Aufstellung von Wüstenkolonnen, Einrichtung von Nachschubstationen, Eroberung von Kufra, Vorstöße von Spähtrupps bis ins Herz der italienischen Positionen. Jetzt war der Augenblick gekommen aufs Ganze zu gehen. Am 14. November wies ich unter Bezugnahme auf meine Instruktion vom 22. September General Leclerc an, in die Offensive zu gehen „und sich die Besetzung des Fezzan durch die Franzosen als erstes Ziel zu setzen und danach im Rahmen der alliierten Operationen in Tripolitanien entweder auf Tripolis oder auf Gabes vorzustoßen*.

Idi fügte hinzu: „Bei dieser Offensive unterstehen Sie allein mir. Aber sie werden im Einvernehmen mit dem britischen Oberbefehlshaber im Nahen Osten, General Alexander, handeln müssen, damit Sie von dem Augenblick an, in dem Sie den Fezzan erreichen, wirksame Luft-unterstützung erhalten können. .. Idi rechne damit, daß Ihre Aktion spätestens dann vor sich geht, wenn die Alliierten die Syrte erreichen. * Zur Zeit der angelsächsischen Landung in Algerien und Marokko hatte ich zwar erwogen, den Vorstoß in Südlibyen mit dem Vormarsch unserer Truppen zum Niger zu verkoppeln, und den Befehl gegeben, die für letztere Aktion bestimmte Kolonne auf Zimber vorrücken zu lassen. Aber das Ende des Kampfes zwischen Franzosen und Alliierten veranlaßte midi, die Nebenoperation vorerst aufzuschieben. Nur die Hauptoperation sollte stattfinden.

Sie brachte schwierige Präliminarien mit sich: Aufbruch der Kolonnen von den Stützpunkten im Tschadgebiet, Tausendkilometermarsch bis zu den ersten Befestigungen des Gegners, Transport von Brennstoff, Munition, Lebensmitteln, Reservematerial. Da Ende November Montgomerys Offensive gut voranschritt und die Alliierten in Tunesien im Begriff waren, ihre Front zu festigen, gab ich Leclerc am 28. No. vember den Ausführungsbefehl. Aber so sehr auch Leclerc und seine Soldaten von drängender Eile beseelt sein mochten, ihr Aufbruch konnte erst am 12. Dezember stattfinden, da der Vormarsch der britischen 8. Armee auf der Höhe von El Agheila vorübergehend zum Stehen gekommen war.

Inzwischen mußten wir uns gegen die Absicht der Briten schützen, ihre Macht auf den Fezzan auszudehnen, sobald wir ihn erobert hatten. Am 28. November hatte General Alexander Leclerc einen Brief geschrieben, worin er ihm die Entsendung englischer Offiziere für die Verwaltung der besetzten Länder ankündigte’ „Diese Offiziere“, führte der britische Oberbefehlshaber aus, „sollen die unter Ihrem Befehl stehenden Streitkräfte begleiten. Sie sind für die von Ihnen besetzten Gebiete verantwortlich, bis die Einheit ganz Tripolitaniens unter britischer Militärhoheit hergestellt sein wird.“ Alexander machte Leclerc außerdem noch darauf aufmerksam, daß „London aus wirtschaftspolitischen Gründen die Verwendung von französischen Francs im Fezzan untersage“. Am 1. Dezember suchte mich Charles Peake auf, dem trotz oder wegen seiner Verdienste häufig un-dankbare Aufgaben zuteil wurden, und überbrachte mir, ohne sich große Illusionen zu machen, eine den gleichen Gegenstand behandelnde Note Edens. Ich wies Mr. Peake so liebenswürdig wie möglich ab und telegraphierte an Leclerc: „Der Fezzan muß in der Schlacht um Afrika ein Teil Frankreichs sein. Er ist das geographische Bindeglied zwischen Südtunesien und dem Tschad. Sie haben jede britische Einmischung in dieser Region, ob auf dem Gebiet der Politik, der Verwaltung, der Währung usw., rundweg abzulehnen.“

Das Ende Darlans

Am 22. Dezember, nach vollzogenem Auf-marsch, begann der Angriff. Nach zwei Wochen erbitterten Kampfes bemächtigten sich die Gruppen Ingold und Delange unter Mitwirkung der Fliegergruppe „Bretagne“ der feindlichen Stellungen bei Um-el-Araneb und Gatron. Am 12. Januar öffnete die Einnahme von Sebha den Weg nach Tripolis. Am 13. fiel Murzuk unseren Truppen in die Hände. Wir machten tausend Gefangene, darunter vierzig Offiziere, erbeuteten zwanzig Geschütze, zahlreihe Panzer und Hunderte von Granatwerfern, Mashinengewehren und Maschinenpistolen. Während Leclercs Truppen sich bereitmachten, gegen Norden vorzustoßen, übernahm Oberst Delange die Funktionen des Militärkommandanten im Fezzan.

So wurde endlich dank großer Kühnheit und Methodik diese köstliche Wüstenfrucht gepflückt.

Am 13. Januar 1943 gab ich dem Land den Erfolg unserer Waffen bekannt. „Vielleiht", sagte ih im Rundfunk, „tröstet Frankreih in seinem Elend diese Leistung seiner guten Soldaten ... Ja! Die langen, harten Prüfungen einer unerbittlihen Vorbereitung unter der Äquatorsonne, die gewaltigen Strapazen der in die Wüsten aus Stein und Sand geschickten Kolonnen, die ershöpfenden Flüge der Staffeln, die blutigen Kämpfe gegen die Truppen, Stellungen und Flugzeuge des Feindes, das alles haben diese lauteren, starken Männer, von ihrem jungen, ruhmreihen General bis hinab zum unbekanntesten Soldaten, ertragen, um dem in stolzer Trauer verharrenden Frankreih eine bescheidene Gabe darzubieten.“

Aber wenn auh, militärish gesehen, die Aussihten allmählich besser wurden, so trübten sie sich auf politischem Gebiet mehr denn je. Wir in „Carlton Gardens“ waren gut unterrih-tet. Denn unter den Militärs, Beamten und Journalisten, die zwishen Afrika und England hin-und herreisten, hielten es viele für ihre Pflicht, uns mit Informationen und Botschaften zu versehen. Darüber hinaus mähten sih gewisse „Gaullisten" die allgemeine Verwirrung zunutze, um zu uns zu stoßen.

So wußten wir, daß die Beibehaltung Darlans auf dem höhsten Posten in Nordafrika leiden-

schaftlich kritisiert wurde. Die Vihysten waren verwirrt über Petains offizielle Mißbilligung. Die „Gaullisten" empörten sih über den „Notbehelf . Die Honoratioren, die mit Murphy über die dann vereitelte Einsetzung Girauds 'erhandelt hatten, sahen sih in ihren Hoff-nungen betrogen. Unter ihnen gab es mehrere Militärs und Beamte, die shweren Repressalien ausgesetzt waren. So wurden General Bethouart, Oberst Magnan und Gromand auf Befehl Nogues'in Marokko verhaftet, wo sie beinahe füsiliert worden wären. Nur mit großer Mühe brahte Eisenhower sie nah Gibraltar. General Mast und Oberst Baril wurden gezwungen, von Algerien aus in die Levante zu flüchten. In der Marine, in der Armee, bei den Fliegern beobahtete man voller Empörung wie Darlan aus seiner Kehrtwendung Profit zog, während man die ihm zuzuschreibenden Verluste an Men-shen, Shiffen und Flugzeugen aufzählte. Shließlih gab die Tatsahe, daß die Flotte in Toulon sih lieber selbst versenkte, als Darlan zu gehorhen, vielen zu denken. Man fragte sih, ob es niht fortan nur noh Unannehmlich-keiten geben würde, wenn er an der Spitze bliebe.

Bei diesem Stand der Dinge fühlte ih mih um so mehr gedrängt Kontakt mit Algier aufzunehmen. Die Mission, die nah Afrika reisen zu lassen ih Roosevelt und Churhill gebeten hatte, war natürlih noh niht dort: Washington und London hielten sie unter tausend Vorwänden zurück. Anfang Dezember wandte ih mih an General Eisenhower und bat ihn, in Algier persönlih den General d‘Astier de la Vigerie zu empfangen, der von mir beauftragt war, mit den französishen Militärhefs alle notwendigen Verbindungen aufzunehmen. Bei dieser wie auh bei späteren Gelegenheiten traf ih bei dem amerikanishen Oberbefehlshaber auf ein Verständnis, das ih bei den politishen Instanzen seines Landes vermißte. Er gab meiner Bitte statt. Allerdings befürhtete Eisenhower, den der Widerstand zur Zeit der Landung verblüfft, die Intrigen allzu vieler Franzosen verwirrt und die Unruhe der Gemüter besorgt gemäht hatte, daß diese Agitation sih in Aufruhr verwandeln und die Siherheit seiner Verbindungen gefährden würde, während die Shlaht in Tunesien in vollem Gange war. So shien ihm meine Absiht, in Nordafrika den Boden zu einer Verständigung mit denen zu suhen, die ihrer würdig waren, im gemeinsamen Interesse der Alliierten zu liegen.

General d'Astier traf am 20. Dezember in Algier ein. Was er dort sah und hörte, mähte auf ihn den Eindrude einer akuten Krise, die zwar von Darlans Polizeiapparat reht und shleht niedergehalten wurde, aber unter der Oberfläche brodelte.

D'Astier traf General Giraud in verdrieß-liher Stimmung an. Er war verärgert, weil er die Armee zur Zeit der Landung niht hatte hinter sih bringen können, verbittert, weil die Amerikaner es abgelehnt hatten, die alliierten Streitkräfte seinem Oberbefehl zu unterstellen, und er fühlte sih gedemütigt, weil er in seinen Befugnissen von Darlans Entsheidungen abhing. Seine Unzufriedenheit mähte ihn unseren Vorshlägen zugänglih. Als d'Astier ihn aufforderte, mit dem Kämpfenden Frankreih vor allem hinsihtlih der Koordinierung militä-risher Operationen und der Aufstellung von Truppen in Verbindung zu treten, zeigte er sih hierzu geneigt.

Der aus Marokko nah Algier gekommene Graf aus Paris äußerte General d'Astier gegenüber, daß er die Lage für sehr ernst halte. Sie gefährde die Interessen Frankreihs. Nah seiner Ansiht gäbe es nihts Dringenderes, als sih des Admirals zu entledigen und dann alle Franzosen guten Willens unter einen Hut zu bringen. Der Graf von Paris befand sih in Algier, um dort seine Getreuen um sih zu versammeln, sih ihres Beistands beim Zustandekommen der Einheit zu versihern und sih für den Fall, daß man seine Vermittlung benötige, bereitzuhalten. Im übrigen zeigte er sih den für seine eigene Person gegebenenfalls sih bietenden Möglich-keiten so desinteressiert wie nur möglih.

Lemaigre-Dubreuil hingegen verhehlte niht, daß er und seine Freunde verbittert waren, weil sie niht die führenden Posten erhalten hatten, die ihnen, wie er meinte, auf Grund ihrer Fähigkeiten und der den Amerikanern geleisteten Dienste zugestanden hätten. Nah seiner Ansiht müsse General Giraud Staatshef werden; er selbst sei bereit, in einer Regierung der vereinigten Gruppen Ministerpräsident zu sein und General de Gaulle das Portefeuille der nationalen Verteidigung anzuvertrauen.

D'Astier erfuhr ferner, daß die Politiker in Nordafrika, die lange geshwiegen und resigniert hatten, unter dem Sturm wieder ihre Köpfe erhoben. Am 24. November hatten die Präsidenten der Generalräte von Oran, Algier und Constantine, denen sih ein algerisher Deputierter angeshlossen hatte, an Darlan geshrieben: „Indem Sie sih der Regierung von Marshall Petain unterstellt haben, obwohl Ihnen bekannt war, daß der Marshall keine Handlungsfreiheit mehr besaß, und indem Sie die Funktionen eines Statthalters dieser Regierung in Nordafrika übernommen haben, fehlen Ihnen alle Voraussetzungen, um in einer legalen und unabhängigen Regierung irgendwelhe Machtbefugnisse auszuüben.“

Bei den Amerikanern shließlih stellte d'Astier fest, daß Eisenhower und sein Stab, wiewohl sie mit Admiral Darlan zusammenarbeiteten, in dem Hohen Kommissariat nur eine vorübergehende Ersheinung sahen. Sie bestätigten dies und beharrten auf ihrem Wunsh, mit General de Gaulle direkten Kontakt zu halten.

Was nun die Menge derer anging, die unter Vihy aus den vershiedensten Beweggründen zur Resistance gestoßen waren und von denen einige der alliierten Intervention ihre Hand geliehen hatten und sih jetzt mehr verfolgt sahen denn je, so konstatierte General d'Astier, daß es unter ihnen stark gärte. Sein Bruder Henri, der einen wihtigen Posten im Hohen Kommissariat bekleidet, Professor Capitant, Führer der Resitancegruppe Combat in Nordafrika, und andere von ihm befragte Personen sprahen von einer Atmosphäre der Vershwö-rung, aus der heraus sich jederzeit ein blutiger Zwischenfall ereignen könne.

Unter dem Eindruck all dieser Dinge und gedrängt von Murphy willigte d'Astier in eine Unterredung mit Darlan ein. Er rechnete mit einer Begegnung unter vier Augen. Aber der Admiral empfing ihn im Bereich eines Gefolges, zu dem auch die Generale Giraud und Bergeret gehörten. Alle diese Leute erschienen d'Astier düster, gespannt, zurückhaltend und bekümmert. Darlan, sichtlich ermüdet, aber offenbar willens, seiner Umgebung den Mut zu stärken, glaubte sich vor meinem Vertreter aufspielen zu müssen. Er erklärte, daß er die Dinge fest in der Hand habe, daß die Notwendigkeit, Einigkeit unter den Franzosen herbeizuführen, auf der Hand liege, und daß er deshalb eingewilligt habe, diejenigen zu amnestieren, die seit dem Waffenstillstand den Alliierten geholfen hätten. Er habe die Absicht, gleich nach Kriegsende zurüdezutreten, doch bis dahin sei er der einzig mögliche Mittelpunkt einer Vereinigung. Diese gespielte Sicherheit stand zu sehr im Gegensatz zu der wirklichen Lage, zu der allgemeinen Nervosität, von der der Admiral selber Zeugnis ablegte, und zu der ihn umgebenden Atmosphäre, als daß sie jemanden hätte täuschen können.

D'Astier sagte dies denn auch Darlan, wobei er außerdem auf die Stimmung in Frankreich hinwies, wo er noch kürzlich gewesen sei. Daraufhin wurde der Admiral heftig und warf d'Astier vor, nach Algier gekommen zu sein, um Unruhe zu stiften. D'Astier wandte sich nun an Giraud: „Ist das auch Ihre Meinung? Von Ihnen erwarte ich Antwort auf meinen, im Auftrag von General de Gaulle gemachten Vorschlag, die Aktionen der unter Ihrem Befehl stehenden Truppen mit denen der Streitkräfte des Kämpfenden Frankreich zu koordinieren." Als Giraud bemerkte, er sei zur Regelung dieser Frage bereit, schnitt ihm Darlan das Wort ab: „Nein, Herr General. Das ist meine Sache." Darauf folgte tiefes Schweigen. Um der peinlichen Situation ein Ende zu machen, sagte d'Astier dem Admiral sehr laut, daß er selbst, Darlan, das Haupthindernis für die Vereinigung sei und sich am besten baldmöglichst zurückziehe. Nach der Unterredung gaben die Amerikaner d Astier zu verstehen, daß Darlan seine Abreise gefordert habe und sie selbst damit einverstanden seien.

D'Astier kehrte am 24. Dezember nach London zurück. Von seinem Aufenthalt in Algier brachte er die Überzeugung mit, daß Darlan den Boden unter seinen Füßen schwinden sehe und in kurzer Frist den Platz räumen würde.

Am Nachmittag desselben Tages, nach Rückkehr von einer Weihnachtsfeier im Kreise unserer Matrosen, erfuhr ich von der Ermordung Darlans. Der Täter, Fernand Bonnier de la Chapelle, hatte sich zum Werkzeug der Erbitterung gemacht, die rings um ihn die Gemüter zum Kochen brachte, hinter der sich vielleicht aber auch eine Politik rührte, entschlossen, sich des „Notbehelfs" zu entledigen, nachdem er seine Schuldigkeit getan hatte. Dieser ganz junge Mann, dieses vom Anblick hassenswerter Ereignisse aufgewühlte Kind, glaubte mit seiner Tat dem zerrissenen Vaterland dadurch einen Dienst zu erweisen, daß er ein in seinen Augen für die Versöhnung der Franzosen skandalöses Hindernis aus dem Wege räumte. Wie er bis zum Augenblick seiner Hinrichtung immer wieder sagte, hatte er auch geglaubt, daß hohe und mächtige Stellen des Auslandes zu seinen Gunsten intervenieren würden, so daß die bestehende Behörde in Nordafrika sich solchem Eingreifen nicht widersetzen könnte. Gewiß, außer auf dem Schlachtfeld hat niemand das Recht, zu töten. Zudem war es Sache der nationalen Justiz und nicht eines einzelnen oder einer Gruppe, Darlan zur Rechenschaft zu ziehen. Und doch, wie ließe sich die Natur der Absichten verkennen, die diesem jugendlichen Eifer zugrunde lagen? Die befremdliche und brutale Art, in der man in Algier die nur wenige Stunden dauernde Untersuchung durchführte, der kurze, hastige Prozeß vor einem Militärgericht, das in der Nacht hinter verschlossenen Türen tagte, die sofortige und geheime Hinrichtung Fernand Bonniers de la Chapelle und die der Zensur gegebene Anweisung, seinen Namen geheimzuhalten, das alles ließ darauf schließen, daß man um jeden Preis die Hintergründe des Dramas verbergen wollte.

Wenn auch die tragischen Umstände, unter denen Darlan von der Bildfläche verschwand, von vielen mißbilligt wurden, so schien doch die Tatsache, daß er von der Szene abtreten mußte, der harten Logik der Ereignisse zu entsprechen. Denn diese Logik duldet in großen Augenblicken nur solche Männer auf höchsten Posten, die in der Lage sind, ihren eigenen Kurs zu steuern. Wie die Dinge nun einmal lagen, konnte Darlan nichts mehr an dem ändern, was sich in jeder Hinsicht zu vollenden anschickte.

Jedermann — vor allem der Admiral selbst — war sich darüber im klaren, daß sich für ihn das Blatt gewendet hatte.

Er hatte die Gelegenheit verpaßt. Im Jahre 1940 wäre die Marine tatsächlich in der Lage gewesen, die erste Rolle zu spielen, obwohl ihr das Kontinentalschicksal Frankreichs seit zwei Jahrhunderten den zweiten Rang zugewiesen hatte. Inmitten des militärischen Zusammenbruchs im Mutterland war sie durch Glücksumstände intakt geblieben. In diesem Augenblick erlangten die Meere, die Entfernungen, die Schnelligkeit, die ihr Lebenselement waren, eine ganz wesentliche Bedeutung. Ihr stand das ebenfalls intakte Kolonialreich zur Verfügung. Die zu Wasser bedrohten Verbündeten hätten ihr keinen Augenblick ihren Beistand versagt. Gemeinsam mit ihren Flotten hätte sie den Gegner blockieren und beunruhigen, Afrika schützen und decken, der dortigen Befreiungsarmee die notwendigen Mittel bringen und sie eines Tages ins Mutterland zurückführen können. Aber eine derartige Aufgabe hätte einen Marinechef verlangt, der keine Risiken scheute, der von nationaler Leidenschaft besessen war und, was immer auch aus der Flotte werden mochte, allein Frankreich hätte dienen wollen. Das jedoch lag Darlan nicht.

Seine Ambitionen, seine Bemühungen hatten der Marine, allein der Marine gegolten. Während der Zeit der Erschlaffung der Nation und der Unbeständigkeit des Staates, in der sich fast sein ganzes aktives Leben abgespielt hatte, waren es die Marine, ihre Interessen und ihre Technik, die ihn ausschließlich in Anspruch genommen hatten. Dank seines Eifers und seiner Geschicklichkeit hatte er es in Friedenszeiten verstanden, von den Regierungen die Ermächtigung zu erhalten, den Ausbau einer wohldotierten Marine zu beschleunigen, die er aber als ein Lehen betrachtete, das er allein und auf eigene Rechnung verwaltete.

Als Frankreich geschlagen wurde, erschien es Darlan zunächst, als sei die Marine nicht geschlagen. Die Annahme, die Marine sei von der Katastrophe nicht betroffen, genügte ihm, um sich mit der Kapitulation abzufinden. Als der zum Weltkrieg gewordene Konflikt der Flotte immer mehr Gelegenheit bot, die Zuflucht zu sein, nahm er sich zum Ziel, sie nicht einzusetzen, sondern sie zu bewahren. Im Namen der Marine wollte er Regierungschef in Vichy werden. Um sich trotz der vom Gegner verlangten Unterwerfung ein Tätigkeitsfeld und die Daseinsberechtigung zu sichern, gab er wiederholt den Befehl, die „Gaullisten“ und Alliierten zu bekämpfen. Weil er aufrechterhalten wollte, was er für ein wesentliches Kampfobjekt der Flotte hielt, kollaborierte er mit dem deutschen Eindringling gegen England. Was bewog ihn zu seiner letzten Entscheidung, den an den Gestaden Afrikas nach seinen Plänen geführten Kampf gegen die Angelsachsen zu beenden?

War es der glühende, aber verspätete Wunsch, den ins Vaterland eingedrungenen Feind zu besiegen, oder war es vielmehr die Hoffnung, durch den Kurswechsel die auseinandergerissenen Teile der Flotte wieder zusammenzuführen?

Aber seitdem sich die Seeleute in Toulon, in Fort-de-France, in Alexandra geweigert hatten, ihm zu folgen, und die Schiffe in Casablanca, Oran und Biserta nur noch Strandgut waren, war sich Admiral Darlan bewußt, daß er selbst, wenn Frankreich den Krieg gewinnen sollte, das Spiel verloren haben würde.

Ohne große Marine würde Frankreich nicht mehr Frankreich sein. Aber solche Marine mußte seine Marine sein. Ihm allein stand es zu, sie zu einem Instrument des Nationalinteresses zu gestalten, sie zu inspirieren, sie zu verwenden. Ach, daß die Regierung, die auf der Nation wie ein Schiff geschwommen hatte, es während so vieler Jahre nicht fertig gebracht hatte, das Steuer den lebendigen Kräften in die Hand zu geben!

In meinen Augen räumte das Attentat von Algier die Hauptursache unserer Leiden aus dem Wege. Ebenso wie andere Unglücke, die Frankreich befallen hatten, waren die Fehler des Admiral Darlan, das traurige Los unserer Flotte und die der Seele unserer Seeleute beigebrachten tiefen Wunden die Folgen eines langjährigen Gebrechens des Staates.

Fussnoten

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