Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die „Verbürgerlichung" in der Sowjetunion — eine Minderung der kommunistischen Gefahr? | APuZ 43/1961 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 43/1961 Die „Verbürgerlichung" in der Sowjetunion — eine Minderung der kommunistischen Gefahr? Die kommunistische Presse Italiens

Die „Verbürgerlichung" in der Sowjetunion — eine Minderung der kommunistischen Gefahr?

Otto Schiller

Die Wandlungen, die sich in der Sowjetunion nach Stalins Tod angebahnt haben und noch weiter fortsetzen, haben in manchen Kreisen des Westens, darunter auch bei führenden Männern, die Hoffnung aufkommen lassen, der Kommunismus würde eines Tages von selbst ein Ende finden, indem er durch die natürlichen Wandlungsprozesse im Innern sich allmählich zersetzt. Das würde bedeuten, daß die kommunistische Gefahr sich mit dem Fortschreiten der Wandlungsprozesse allmählich verringert und eines Tages vielleicht ganz aufhört. Die Zeit würde also für den Westen arbeiten und man brauchte nur geduldig zu warten, bis sich der Kommunismus durch die moderne Entwicklung im industrialisierten Sowjetstaat eines Tages von selbst überholt hat. Für die richtige Beurteilung der gegenwärtigen weltpolitischen Situation, aber auch für die Bestimmung des Standortes zum politischen Handeln ist daher die Frage von hervorragender Bedeutung, ob die angebliche „Verbürgerlichung" in der Sowjetunion tatsächlich zu einer Verringerung und allmählichen Aufhebung der kommunistischen Gefahr hinführt.

Die Wandlungsprozesse selbst sind in Fachzeitschriften, aber z. B. auch in dem Mehnert'schen Buch „Der Sowjetmensch" von berufenen Autoren beschrieben worden. Der Verfasser konnte sich daher in den nachfolgenden Ausführungen im wesentlichen auf die Untersuchungen beschränken, was diese Wandlungen für uns, d. h. für den Westen und insbesondere für die Deutschen, in politischer Hinsicht bedeuten.

I. Die geistigen und sozialen Wandlungen

Die kommunistische Presse Italiens Gustavo Costa (s. Seite 619)

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß sich in der Sowjetunion in neuerer Zeit in der Sozialstruktur und in der Geisteshaltung der Menschen Wandlungen vollziehen, die mit der landläufigen Vorstellung von einem kommunistischen Lande nicht übereinstimmen. Nach den fehlgeschlagenen Experimenten im Anfangsstadium des kommunistischen Regimes hatte man eingesehen, daß befriedigende Leistungen in der Wirtschaft nur erzielt werden können, wenn den Menschen für ihre Arbeit ein materieller Anreiz geboten wird. Das Leistungsprinzip wurde daher zur Grundlage des sowjetischen Wirtschaftssystems gemacht und mit solcher Konsequenz angewandt, daß sich daraus nach einiger Zeit eine neue soziale Differenzierung innerhalb der Sowjetbevölkerung ergeben hat. Dabei hat sich insbesondere auch eine neue Oberschicht herausgebildet, die sich ihrer privilegierten Stellung bewußt ist und keine besonderen Hemmungen mehr hat, dies auch nach außen hin in Erscheinung treten zu lassen.

Gewisse Wandlungen sind aber auch in der geistigen Haltung der Menschen zu beobachten. Für das Sowjetregime bedeutet es ein ernstes Problem, daß diese geistigen Wandlungen offenbar in einer Richtung verlaufen, die durchaus nicht der Zielsetzung der kommunistischen Lehre entspricht. Insbesondere hat die Geisteshaltung der Sowjetjugend, soweit sie zur Oberschicht gehört, der Sowjetführung schon manche Sorgen und Enttäuschungen bereitet.

Es ist anzunehmen, daß sich diese Wandlungsprozesse auch weiter fortsetzen werden. Die Sowjetunion hat heute ein gewisses Reife-stadiumder modernen Industriegesellschaft erreicht. Sie kann sich in der weiteren technisch-industriellen Entwicklung ihre Konkurrenzfähigkeit mit den westlichen Industriestaaten nur erhalten, wenn sie den Bildungsstand der im Produktionsprozeß stehenden Menschen systematisch weiter erhöht. Es läßt sich aber nicht vermeiden, daß Menschen, die für bestimmte Zwecke zum Denken angeleitet werden, auch über Dinge nachzudenken beginnen, die eigentlich für den Sowjetbürger tabu sein sollten. Daraus müssen sich zwangsläufig Spannungen ergeben, die im örtlichen Bereich Konflikte auslösen können, aber auch im Laufe der Zeit gewisse Wandlungen des Systems bewirken.

Für den Sowjetbürger dürften sich die Wandlungen der jüngsten Zeit im großen und ganzen positiv ausgewirkt haben. Es fragt sich dagegen, ob auch die Wirkung für die westliche Welt so positiv zu beurteilen ist, wie das vielfach angenommen wird. Besonders von flüchtigen Besuchern der Sowjetunion wird häufig mit Erstaunen festgestellt, daß das Leben dortzulande schon wieder ganz normal sei und daß manche „verbürgerlichten“ Sowjetmenschen eigentlich keine richtigen Kommunisten mehr seien. Kritische Äußerungen von Sowjetbürgern, wie man sie aus Gesprächen oder aus der Sowjetliteratur entnehmen kann, werden so gedeutet, als befinde sich der Kommunismus in einem Zustand der Zersetzung und als bahne sich schon unter der Oberfläche eine neue Ordnung der Dinge in der Sowjetunion an.

Um die entscheidende Frage zu beurteilen, wie weit die Wandlungen in der Sowjetunion schon im gegenwärtigen Stadium eine Minderung der Bedrohung bewirken könnten, die von dem führenden Land des Kommunismus ausgeht, ist eine Klarstellung notwendig, worin denn eigentlich das Wesen der kommunistischen Gefahr besteht. Die im zweiten Teil wiedergegebene Begriffsanalyse führte zu der Feststellung, daß die weltrevolutionäre Zielsetzung, der Totalitätsanspruch und daraus sich herleitend die Intoleranz gegenüber anderen Wirt-Schafts-und Gesellschaftsordnungen zum Wesen des Kommunismus gehören. Die Bedrohung, die der Kommunismus für die übrige Welt darstellt, wird daher fortbestehen, solange der Kommunismus seinen gegenwärtigen Wesens-inhalt beibehält.

Die Bedrohung würde erst dann aufhören, wenn im Zuge der Wandlungsprozesse der Kommunismus seinen Wesensinhalt änderte. Auch das wäre denkbar. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß ein so tiefgreifender Prozeß sich nur in längeren Zeiträumen vollziehen könnte und bisher nur wenig Anzeichen dafür gegeben sind, daß er schon im Gange ist. Die Annahme erscheint unbegründet, daß das Sowjetregime schon dann seinen aggressiven Charakter verlieren würde, wenn die heute lebende junge Generation einmal die Männer abgelöst hat, die noch eine eigene revolutionäre Vergangenheit aufzuweisen haben. Diese Annahme geht von der Vorstellung 2as, die „verbürgerlichten" Sowjetbürger der neuen Generation würden eines Tages zu der Einsicht kommen, daß sie selbst eigentlich keine Kommunisten mehr sind und infolgedessen auch kein grundsätzlicher Gegensatz mehr besteht zu der westlichen Welt, die sich ja seit den Tagen von Karl Marx auch gewandelt hat.

Tatsächlich läßt sich feststellen, daß die moderne Industriegesellschaft des Westens bestimmte Wesenszüge aufweist, für die in der Sowjetunion auch schon im heutigen Stadium der wirtschaftlichen Entwicklung gewisse Analogien gegeben sind. Man könnte daraus die Hoffnung herleiten, daß die Gegensätze zwischen Ost und West, die heute die Welt in einem Zustand ständiger lebensgefährlicher Bedrohung halten, durch die Wandlungsprozesse, die auf beiden Seiten im Gange sind, eines Tages auf natürlichem Wege zum Verschwinden kommen. Dann brauchte man sich nicht mehr mit dem Kommunismus und der kommunistischen Gefahr auseinanderzusetzen, sondern könnte feststellen, daß das Zeitalter einer echten friedlichen Koexistenz angebrochen sei.

Es wäre jedoch ein gefährlicher Trugschluß anzunehmen, daß solche Möglichkeiten, die als Endergebnis lang andauernder Wandlungsprozesse vorstellbar sind, auch schon in der Gegenwart eine wesentliche Rolle spielen könnten. Wenn man von der sogenannten „Zersetzung“ des Kommunismus spricht und dabei an eine allmähliche Annäherung an die Zustände in der westlichen Welt denkt, so wird dabei gewöhnlich die Vorstellungswelt der heute lebenden Sowjetgeneration ganz falsch eingeschätzt. Man muß sich darüber im klaren sein, daß mehr als vierzig Jahre kommunistischer Herrschaft sich nicht nur auf die sozialen Zustände im Lande, sondern auch auf die Vorstellungswelt der ihr unterworfenen Menschen so stark ausgewirkt haben, daß darin nicht von heute auf morgen eine grundlegende Änderung eintreten kann. Für den durchschnittlichen Sowjetbürger ist z. B.der Gedanke völlig absurd, daß man sowjetische Industriebetriebe in Privatbesitz überführen könnte. Ebenso dürften sich die Sowjet-bürger fast ohne Ausnahme darin einig sein, daß eine Wiederbelebung des Großgrundbesitzerstandes völlig unmöglich ist. Es ist sogar schon zweifelhaft geworden, ob die Wiederherstellung der privaten Bauernwirtschaft in der Vorstellungswelt oppositionell eingestellter Sowjetbürger ein anzustrebendes Ziel darstellt.

Selbst wenn man den extremen Fall unterstellt, daß in der heute lebenden jungen Generation, sobald sie in die verantwortlichen Stellungen hineingewachsen ist, die kritisch eingestellten Elemente den Ausschlag geben werden, würde das wahrscheinlich zunächst keine grundlegende Änderung der Wirtschafts-und Sozialordnung bedeuten. Es würde nämlich auch den Vorstellungen kritisch eingestellter Sowjetmenschen durchaus entsprechen, daß die gesamte Industrie und wahrscheinlich auch die gesamte Landwirtschaft in staatlicher Regie verbleiben. Das bedeutet aber, daß sich auch an der Apparatur zur Lenkung der Produktionsprozesse nicht viel ändern würde, d. h. man würde es auch weiter mit einer Zentralverwaltungswirtschaft oder Kommandowirtschaft zu tun haben, damit aber auch mit einer Konzentration der gesamten wirtschaftlichen Macht in den Händen einiger weniger Funktionäre, die in der Zentrale an den Schalthebeln der Wirtschaft stehen. Diese Konzentration der wirtschaftlichen Macht kann zu politischen Zwecken ausgenutzt werden, zu Störungsmanövern auf dem Weltmarkt oder zu wirtschaftlichen Aktionen in den Entwicklungsländern, die weniger der Hilfestellung als vielmehr der Förderung kommunistischer Bestrebungen dienen sollen, usw.

Es ist zwar denkbar, daß im Laufe der Zeit allmählich wieder Privatinitiative und privatwirtschaftliche Formen, zunächst auf dem Wege der Pacht, sich entwickeln könnten oder eine „sozialistische Marktwirtschaft", wie sie in Jugoslawien angestrebt wird. Selbst im extremen Falle würde aber das Wirtschaftssystem sich nicht so grundlegend verändern, wie diejenigen meinen, die ihre Hoffnungen auf die „Zersetzung“ des Kommunismus setzen. Das kommunistische Regime hat nach so langer Dauer gewisse Tatsachen geschaffen, die einfach irreversibel sind. Das heißt, die Zustände können sich wandeln, aber nicht im Sinne einer Wiederherstellung der früheren Ordnung, sondern im Sinne einer Weiterentwicklung zu neuen Wirtschaftsformen, die den gewandelten Vorstellungen der dortigen Menschen entsprechen.

Man kann mit einiger Sicherheit voraussehen, daß auch eine weitgehende „Verbürgerlichung“

und Wandlung des Sowjetlebens für die nächste absehbare Zukunft an einem grundlegenden Merkmal der sowjetischen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung nichts ändern wird, zumal für eine solche Änderung auch gar keine Ver-anlassung gegeben ist, nämlich an der grundsätzlichen Ablehnung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Ein privates Unternehmertum kann offensichtlich aus friedlichen Wandlungsprozessen innerhalb des Sowjetstaates in absehbarer Zukunft nicht hervorgehen. Das bedeutet aber, daß selbst eine gewandelte und „verbürgerlichte“ Sowjetgesellschaft sich auch weiterhin von der modernen Industriegesellschaft nichtkommunistischer Länder grundlegend unterscheiden wird. Dieser grundsätzliche Unterschied brauchte kein bedrohlicher Gegensatz zu sein, wenn es denkbar wäre, daß ein gewandeltes Sowjetregime zu einer echten Koexistenz bereit wäre. Das würde aber bedeuten, daß ein solches Regime im Endergebnis seiner Wandlung in einem wesentlichen Punkt von der kommunistischen Heilslehre abweichen müßte.

Wenn man sich vorstellt, daß selbst eine so weitgehende Wandlung eines Tages eintreten könnte, so wird man doch davon ausgehen müssen, daß dafür in jedem Falle ein ziemlich langer Zeitraum notwendig sein würde. Man muß berücksichtigen, daß die Wandlungen, um die es sich heute in der Sowjetunion handelt, letzten Endes auch eine Besserung der dortigen Lebensverhältnisse bedeuten, Sie stellen also einen Erfolg des Sowjetregimes dar und werden auch von der Sowjetbevölkerung so eingeschätzt. Wenn aber das Regime, das sich als kommunistisches Regime bezeichnet, im Zeichen der von ihm vertretenen Grundsätze den Erfolg zu verzeichnen hat, daß sich der Lebensstandard der Menschen bessert, dann ist nicht einzusehen, warum es seine Grundsätze und seine Bezeichnung ändern sollte.

Die Grenzen des Wandlungsprozesses Der Kommunismus in seiner heutigen Gestalt ist eine festgefügte Lehre, die sich zwar in manchen Dingen weiterentwickelt und wandlungsfähig ist, aber bisher an gewissen Grundlagen unbeirrt festgehalten hat. Zu diesen Grundlagen gehört aber auch der Anspruch, für die gesamte Menschheit Geltung zu haben, und die daraus sich ergebende Intoleranz gegenüber anderen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen. Es fragt sich daher, inwieweit es möglich erscheint, daß auch hierin eines Tages ein Wandel eintritt.

Wenn man von oppositionellen Strömungen innerhalb der Sowjetunion sprechen kann, so dürften diese weniger auf eine Änderung der Wirtschafts-und Gesellschaftsstruktur abzielen, als vielmehr auf eine Besserung der materiellen Lebensbedingungen, auf ein etwas größeres Maß persönlicher Freiheit und einen besseren Schutz vor staatlicher Willkür. Soweit die innenpolitische Entwicklung der Sowjetunion in den letzten Jahren sich vom Stalinismus entfernte, lag sie demnach durchaus in der Richtung solcher oppositioneller Strömungen. Was von oppositionell eingestellten Sowjetbürgern angestrebt wird, dürfte eher eine konsequente Weiterentwicklung dieser Wandlungen sein, die unter dem gegenwärtigen Regime durchaus nicht gewährleistet ist.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der sog. Verbürgerlichung oder Liberalisierung des öffentlichen Lebens in der Sowjetunion sehr bestimmte Grenzen gezogen sind. Der Kommunismus verkörpert nicht nur eine spezifische Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, sondern auch ein Herrschaftssystem, das einer kleinen Minderheit die unbeschränkte Macht zur Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele nach innen und nach außen sichert. Die Machthaber aber lassen die Lockerung im Innern nur insoweit zu, als dadurch nicht ihre eigene Machtposition gefährdet wird. Man kann sicher sein, daß sie sich auch in Zukunft nicht scheuen werden, rücksichtslos einzuschreiten, sobald die Entwicklung diesen Gefahrenpunkt an irgendeiner Stelle überschreitet. Wir haben es also nicht mit einem ungestört ablaufenden kontinuierlichen Wandlungsprozeß zu tun, der automatisch in absehbarer Zeit zu einem reformierten, seiner Schrecken entkleideten Kommunismus führt. Es handelt sich vielmehr um eine Entwicklung, die zwar bei fortschreitender Steigerung des technisch-zivilisatorischen Niveaus und zunehmendem Bildungsstand unaufhaltsam ist, die aber von unberechenbaren staatlichen Willkürakten gehemmt und in denjenigen Grenzen gehalten wird, die die Aufrechterhaltung des kommunistischen Wirtschaftsund Herrschaftssystems gewährleisten.

Wenn auch vielleicht von den Sowjetführern nicht eine Weltherrschaft in dem primitiven Sinne angestrebt wird, daß die gesamte Menschheit von einem Zentrum aus regiert werden soll, so wird doch von ihnen immer wieder mit unmißverständlicher Deutlichkeit betont, daß die ganze Menschheit eines Tages kommunistisch werden müsse. Sie machen auch kein Hehl daraus, daß sie entschlossen sind, alle diejenigen Kräfte zu fördern, die dazu dienen können, diesem Ziel näher zu kommen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß bei aller angeblichen „Verbürgerlichung“ schon in naher Zukunft die Sowjetführer etwas veranlassen könnte, diesen Glauben und diese Grundsätze aufzugeben. Solange sie daran festhalten, können sie sich auch weiter als gute Kommunisten bezeichnen. Sie haben dann immer noch die Chance, daß im Sinne ihrer Zielsetzung das eine oder andere Land in der Welt eines Tages dem Kommunismus anheimfällt. Es wäre vom Standpunkt der heute lebenden Kommunisten sicher sehr töricht, diese Chance weg-zugeben, ohne daß dafür ein zwingender Grund einzusehen wäre.

Es wäre demnach falsch, davon auszugehen, daß sich schon in absehbarer Zeit im Zuge der „Verbürgerlichung“ das Sowjetregime so weit wandeln könnte, daß es gar kein kommunistisches Regime mehr darstellte. Solange das aber der Fall ist, wird nicht nur der grundsätzliche Unterschied fortbestehen, der in der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Ländern gegeben ist, sondern infolge der Intoleranz, die ein integrierender Bestandteil der kommunistischen Lehre ist, auch der bedrohliche Gegensatz zwischen den beiden Welten.

Immerhin muß man anerkennen, daß die inneren Wandlungsprozesse in der Sowjetunion zu einer Milderung des Regimes geführt haben, das sich von den abschreckenden Formen unterscheidet, die den Stalinismus seinerzeit kennzeichneten. Es scheint daher gerechtfertigt, daß man von einer Art Reformkommunismus spricht. Wenn auch die Bedrohung, die vom Kommunismus ausgeht, dadurch nicht aufgehoben ist, so scheint doch seine Aggressivität etwas herabgemindert zu sein. Somit dürfte die Hoffnung berechtigt sein, daß bei einer Fortdauer des Wandlungsprozesses eines Tages doch die Voraussetzungen für eine echte friedliche Koexistenz geschaffen werden. Dieser Fall würde dann eintreten, wenn die führenden Männer in der Sowjetunion sich zu der Einsicht bekennen, daß es nicht nur verschiedene Wege zum Sozialismus gibt, sondern auch verschiedene Wege zum sozialen Fortschritt und zum Glück der Menschen.

Bisher lassen sich noch keine Anzeichen erkennen, daß ein solcher Zustand in absehbarer Zeit erreicht werden könnte. Die Einsicht, daß es verschiedene Wege zum sozialen Fortschritt der Menschen gibt und daß zu einer friedlichen Koexistenz gegenseitige Toleranz gehört, setzt Menschen voraus, die so weit fortgeschritten sind, daß sie sich von der kommunistischen Heilslehre in -diesem wichtigen Punkt entfernen. Es gehört zur Geisteshaltung des Westens, einer andersartigen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung unvoreingenommen und tolerant gegenüberzustehen.

Eine Unterschiedlichkeit der Wirtschaftssysteme braucht keinen bedrohlichen Gegensatz zu bedeuten, sobald sich auch die andere Seite zu einem unvoreingenommenen Standpunkt durchgerungen hat. Es ist zu hoffen, daß die geistige Wandlung in der Sowjetunion eines Tages auch zu einem solchen Ergebnis führen und damit die Voraussetzungen für eine echte friedliche Koexistenz unterschiedlicher Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen geschaffen werden.

Darum sollte auch von selten der westlichen Welt alles getan werden, was dazu beitragen kann, daß sich die geistigen Wandlungen in der Sowjetunion in dieser Richtung weiterentwikkein. Es gibt zweifellos bedeutsame geistige Ein-wirkungsmöglichkeiten, die aber bisher kaum gesehen und daher kaum genutzt werden. Wesentlicher aber ist, daß wir uns viel energischer und systematischer, als es bisher der Fall ist, um die fortschrittliche Weiterentwicklung unserer eigenen Lebensformen bemühen. Nur dann, wenn unsere Lebensform fest fundiert ist und auch nach außen hin überzeugend wirkt, ist sie geeignet, nach der anderen Seite hin auszustrahlen und dabei mitzuwirken, daß die geistigen Wandlungsprozesse in der Sowjetunion eines Tages zu einem Zustand ehrlicher gegenseitiger Toleranz und echter friedlicher Koexistenz hinführen.

II. Das Wesen der kommunistischen Gefahr Eine Begriffsanalyse

1. 2. 3. 4. Thesen zum Wandlungsprozeß in der SU Durch die sozialen und geistigen Wandlungsprozesse und Gesellschaftsordnungen der einen in der Sowjetunion wird die vom Kommunismus der anderen Seite fortbestehen wird, braucht ausgehende Bedrohung wohl gemildert, Gegensatz zu bedeuten, wenn die kommunistischen aber nicht aufgehoben, solange der Totalitätsanspruch Führer im Zuge der Wandlungen und die weltrevolutionäre Zielsetzung Tages den Totalitätsanspruch für ihr fortbestehen. System aufgeben sollten.

Das private Unternehmertum ist aus der Vorstellungswelt Auch ein solcher tiefgreifender Wandlungsprozeß der heute lebenden Sowjetmenschen denkbar, er würde aber in jedem Falle einen entschwunden. Auch wenn der Wandlungsprozeß Zeitraum erfordern. Die Wandlungsprozesse zu einer allmählichen Veränderung der verlaufen nicht kontinuierlich, sondern Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung führen werden durch staatliche Willkürakte unterbrochen, ist dabei nicht an die Wiederherstellung sobald sie zu einer ernsten Gefährdung alter, sondern an die Herausbildung neuer Wirtschaftsformen Machtpositionen führen.

zu denken. 6. Es ist zu wünsdien, daß durch die geistigen Trotz aller Wandlungen wird man es in absehbarer in der Sowjetunion eines Tages Zeit in der Sowjetunion mit einer Zentralverwaltungswirtschaft die Voraussetzungen für eine gegenseitige zu tun haben, damit aber Toleranz und echte friedliche Koexistenz der auch mit einer Konzentration der wirtschaftlichen unterschiedlichen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen die zu politischen Zwecken mißbraucht geschaffen werden. Um solche Wandlungsprozesse durch Ausstrahlung zu fördern, werden kann.

sollten wir zielbewußter als bisher an der Festigung grundsätzliche Unterschied, der trotz aller und Weiterentwicklung unserer eigenen Wandlungen für absehbare Zeit in den Wirt-Lebensformen arbeiten.

Um beurteilen zu können, ob sich die vom Kommunismus drohende Gefahr 'durch den neuen Kurs des Sowjetregimes und die Besserung der Lebensbedingungen in der Sowjetunion vergrößert oder verringert, muß man sich vor allen Dingen darüber im klaren sein, worin diese Gefahr besteht. Eine exakte Analyse der kommunistischen Gefahr ist aber auch notwendig, um sich ein Urteil darüber zu bilden, wie sie sich psychologisch auf die verschiedenen nichtkommunistischen Länder und auf deren verschiedene Bevölkerungsteile auswirkt.

Der Kommunismus als Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung

Die einfachste Erklärung für die aus dem Osten kommende Bedrohung ist die, der Kommunismus an sich sei die große Gefahr, gegen die man sich zu schützen hat. Diese Formulierung kann jedoch schon deshalb nicht befriedigen, weil es bisher den Kommunismus als verwirklichte Gesellschaftsordnung auf der Welt nicht gibt. Die Periode des Kriegskommunismus im Anfangsstadium des Sowjetregimes war der erste ernsthafte Versuch, den Kommunismus auf Erden zu verwirklichen. Er ist aber nach kurzer Zeit gescheitert und mußte aufgegeben werden.

Die Einführung der Volkskommunen in China kann man als zweiten Versuch dieser Art gelten lassen. Obwohl manche der ursprünglichen, echt kommunistischen Einrichtungen in den Volks-kommunen sehr bald aufgegeben oder umgemodelt werden mußten, bedeuten diese doch zweifellos einen ernsthaften Schritt in der Richtung zum Kommunismus. Wenn man jedoch hiervon absieht, ist festzustellen, daß es in den sog. kommunistischen Ländern bisher keinen Kommunismus gibt. Lim das Wesen der kommunistischen Gefahr zu erkennen, ist also der bloße Begriff „Kommunismus“ offensichtlich ungeeignet. Von kommunistischer Seite wird der Zustand in der Sowjetunion oder in anderen „kommunistischen“ Ländern als „Sozialismus“ bezeichnet, der als eine notwendige Vorstufe für das anzustrebende Endstadium des Kommunismus zu betrachten sei. Es wäre Aufgabe einer detaillierten nationalökonomischen Studie, aufzuzeigen, wie die Idealform des Sozialismus theoretisch beschaffen sein müßte und inwieweit der gegenwärtige Zustand in den kommunistischen Ländern diesem Idealbild nähergekommen ist, als dies in den sog. kapitalistischen Ländern der Fall ist. Selbst ohne eine solche Analyse ist jedoch auch dem Laien ohne weiteres erkenntlich, daß die gegenwärtige Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung in den kommunistischen Ländern nicht als echter Sozialismus bezeichnet werden kann. Das muß klar ausgesprochen werden, weil es sonst schwierig wäre, eine Erklärung dafür zu finden, worin nun eigentlich die Bedrohung besteht. Viele Menschen in den westlichen Ländern, wie z. B. die großen Massen der Anhänger der sozialdemokratischen Parteien, würden die Feststellung, daß in einem Teil der Welt der Sozialismus verwirklicht ist, nicht als eine Bedrohung empfinden.

Immerhin ist unverkennbar, daß sich die Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung in diesen Ländern, die man als Zentralverwaltungs-oder als Kommandowirtschaft kennzeichnen kann, in einigen wesentlichen Dingen von der Wettbewerbswirtschaft nichtkommunistischer Länder unterscheidet. Es ist daher zu untersuchen, ob das Bestehen dieser anders gearteten Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung an sich schon eine Bedrohung darstellt. Daß dem nicht so ist, zeigt mit besonderer Deutlichkeit das Beispiel Jugoslawiens. Die dort unter dem kommunistischen Regime gewaltsam eingeführte Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung unterscheidet sich im Grundsatz, vom agrarischen Bereich im gegenwärtigen Stadium und von den Arbeiter-räten abgesehen, kaum von derjenigen der Sowjetunion und wird trotzdem im Westen nicht als Bedrohung empfunden.

Die Gefahr, die vom Kommunismus droht, besteht auch nicht darin, daß eine staatliche Kommandowirtschaft nicht zu denselben wirtschaftlichen Ergebnissen führen kann wie eine Wettbewerbs-oder Marktwirtschaft. Bei der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus geht es letzten Endes nicht um materielle Dinge, nicht um die wirtschaftliche Unzulänglichkeit des Systems, sondern um seine absolute Unzulänglichkeit auf menschlichem Gebiet.

Es wäre auch verfehlt, dieses oder jenes Element der kommunistischen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung für sich allein als den Kern des Übels anzusehen. Wenn man z. B. die zentralistische Planung als bedrohliches Übel ansieht, muß man sich vergegenwärtigen, daß neuerdings auch in nichtkommunistischen Ländern planwirtschaftliche Elemente in stärkerem Maße in Erscheinung treten und z. B. Indien sich nach Fünfjahresplänen entwickelt. Daß in den kommunistischen Ländern das Privateigentum an den Produktionsmitteln entweder sofort oder allmählich abgeschafft wird, stellt für all diejenigen Menschen keine Bedrohung dar, die kein derartiges Privateigentum besitzen. Wenn man darauf hinweist, daß in den kommunistischen Ländern das private Unternehmertum beseitigt wird, so wird das zunächst auch nur als eine Bedrohung für die „Kapitalisten“, d. h. die großen Unternehmer empfunden. Wesentlicher ist es schon, daß in einer kommunistischen Wirtschaftsordnung auch die große Masse der kleinen Unternehmer, d. h.der industriellen und gewerblichen Familienbetriebe, im Laufe der Zeit beseitigt werden. Das bedeutet eine Bedrohung für eine große Schicht von Menschen, deren Zahl und Bedeutung in den nichtkommunistischen Ländern in der neueren Zeit erheblich zugenommen hat.

Ein zentraler Bestandteil der kommunistischen Wirtschaftsordnung ist die Kollektivierung der Landwirtschaft. In dieser grundsätzlichen Behandlung der Agrarfrage hat auch der neue Kurs der Sowjetpolitik keine Änderung herbeigeführt. Das bedeutet das unveränderte Fortbestehen einer Bedrohung, die in den westlichen Ländern einen wichtigen Teil der Bevölkerung betrifft, in den asiatischen Ländern sogar die Majorität der dortigen Bevölkerung. Das Beispiel China zeigt, daß auch ein kommunistisches Land, das politisch unabhängig ist, in dieser grundsätzlichen Frage denselben Weg beschreitet wie die Sowjetunion, wenn es sich dem kommunistischen Dogma unterwirft.

Die weltrevolutionäre Zielsetzung

Wenn man die einzelnen Elemente der bolschewistischen Gefahr analysiert, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß nicht das eine oder andere Element allein, sondern daß gerade die Komplexität dieser Elemente die Gefahr ausmacht. Erst die Verbindung des Sowjetimperialismus mit der kommunistischen Heilslehre, die zwangsweise Schaffung einer neuartigen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, für die ein Totalitätsanspruch erhoben wird, der absolute, von den Kommunisten sogar ausdrücklich gepriesene Mangel an Objektivität und Toleranz anderen Wirtschafts-und Lebensformen gegenüber, die Skrupellosigkeit bei der Durchsetzung der eigenen Ziele — das alles macht die eigentliche Gefahr aus, mit der man sich auseinander-setzen muß.

Die Gefahr wird noch dadurch vergrößert, daß der Kommunismus, solange er von seinen Anhängern als eine Heilslehre angesehen wird, es für sein selbstverständliches Recht hält, die TatSachen zu verdrehen oder sie so einseitig darzustellen, daß sich ein falsches Bild ergeben muß. Die Einseitigkeit der ideologischen Einflußmöglichkeiten im Zeichen der Koexistenz muß sich auf die Dauer immer stärker zu Ungunsten des Westens auswirken. Diese Gefahren sind durch den neuen Kurs nicht vermindert worden. Die Möglichkeit, Menschen aus dem kommunistischen Lager zu einem ernsten Gespräch und zu ehrlichem Nachdenken zu bringen, ist nämlich immer noch gering und wird von den kommunistischen Machthabern nach wie vor systematisch eingeengt. Dagegen haben die vermeintliche Liberalisierung und die Koexistenzparolen den Kommunisten weit größere ideologische Einwirkungsmöglichkeiten auf den Westen und die neutrale Welt verschafft, als sie in den letzten Herrschaftsjahren Stalins bestanden. Soweit aber für den Westen seinerseits solche Möglichkeiten bestehen, werden sie bisher kaum erkannt und daher nur unvollkommen ausgenutzt, obwohl sich auf weite Sicht gerade daraus die Hoffnung herleiten läßt, dem Kommunismus eines Tages etwas von seiner Aggressivität zu nehmen.

Die eigentliche Gefahr besteht nicht darin, daß sich etwa bei einer friedlichen Koexistenz im gegenseitigen echten Wettbewerb die Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung des Ostens als überlegen erweisen und dadurch auch in den westlichen Ländern eines Tages so viele Anhänger gewinnen könnte, daß schließlich die Einführung des kommunistischen Regimes auf rein demokratische Weise durch einen Mehrheitsbeschluß möglich gemacht wird. Eine derartige Möglichkeit braucht ernstlich kaum ins Auge gefaßt zu werden. Wie das Beispiel der kommunistischen Machtergreifung in Rußland und später in China gezeigt hat, genügt es aber, wenn eine kleine Gruppe von Menschen im entscheidenden Augenblick entschlossen handelt und die moderne Technik der Massenführung, wie sie von Lenin demonstriert worden ist, für ihre Zwecke zu nutzen versteht. Es besteht also durchaus die Gefahr, daß einem Volke eine Wirtschafts-und Lebensform aufgezwungen wird, die der größte Teil seiner Menschen ablehnt. Die Erfahrung lehrt, daß sich ein Regime, auch wenn es die Mehrheit des Volkes nicht hinter sich hat, auf sehr lange Dauer halten kann, wenn es nur konsequent und rücksichtslos die modernen Mittel der Massenbeherrschung und des geistigen Terrors zur Anwendung bringt. Der Kommunismus kann also auch dann zum Siege gelangen bzw. an der Macht bleiben, wenn er eindeutig schlechter ist als das, was er ablöst.

Es ist bezeichnend, daß die kommunistischen Machthaber bei ihrer Koexistenzparole davon ausgehen, daß Staaten mit verschiedenen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen friedlich nebeneinander bestehen können. Diese These wäre nur dann richtig, wenn nicht für die eine der verschiedenen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen der Anspruch erhoben würde, daß sie für die gesamte Menschheit Geltung haben soll. Aber auch diese weltrevolutionäre Zielsetzung brauchte noch keine besondere Gefahr darzustellen, wenn es auf der Welt nur einen kommunistischen Staat mit beschränkten Machtmitteln, wie etwa Jugoslawien, gäbe. Die eigentliche Bedrohung ist vielmehr dadurch gegeben, daß der Kommunismus durch die Sowjetunion mit ihrem ungeheuren militärischen und wirtschaftlichen Potential geführt wird und daß neben ihr sich China in raschem Tempo zu einer höchst gefährlichen zweiten kommunistischen Weltmacht entwickelt, die allein schon durch ihre ungeheure Volkszahl einen bedrohlichen, expansiven Charakter aufweist.

Die Bedrohung der übrigen Welt ist auch nicht in der Tatsache zu suchen, daß die kommunistischen Regime Diktaturen darstellen, wobei es unerheblich wäre, ob die Diktatur von einem Einzelnen oder von einem Kollegium ausgeübt wird. Das Bestehen einer Diktatur braucht für andere Länder keine Bedrohung zu bedeuten, wie das Beispiel Ägyptens, Spaniens oder der diktatorisch regierten südamerikanischen Staaten eindeutig zeigt. Nicht die Diktatur schlechthin stellt eine Bedrohung dar, sondern nur eine Diktatur, die einen Totalitätsanspruch erhebt, d. h.den Anspruch, daß die von ihr vertretenen Grundsätze früher oder später auch in anderen Ländern zur Geltung gebracht werden müssen.

Es fragt sich, inwieweit der Totalitätsanspruch durch das Zugeständnis der Sowjetführer eingeschränkt ist, daß es verschiedene Wege zum Sozialismus gibt (so z. B. Chruschtschow auf dem XX. Parteikongreß, in: Prawda 15. 2. 56) daß also — wie man daraus folgern könnte, ein Land den Weg zum Sozialismus oder Kommunismus beschreiten könnte, ohne sich damit einem internationalen Herrschaftszentrum des Weltkommunismus zu unterwerfen. Allerdings ist die These von den verschiedenen Wegen zum Sozialismus seit 1956 wieder erheblich eingeschränkt worden.

Es wird häufig die Ansicht vertreten, es brauche z. B.der Übergang eines asiatischen oder afrikanischen Landes zum Kommunismus für die westliche Welt keine Katastrophe zu bedeuten, wenn damit nicht automatisch eine Ausdehnung des sowjetischen Machtbereiches verbunden wäre. In einem solchen Falle, so meint man, würden sich zwar für die westlichen Länder sehr schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen ergeben, eine verstärkte Bedrohung westlicher Lebensformen wäre jedoch nicht zwangsläufig damit verbunden. Das ist insofern ein Trugschluß, als man sich in einem solchen Falle in dem betreffenden Lande auch die kommunistische Ideologie zu eigen machen würde, mit der der Totalitätsanspruch und die Intoleranz gegenüber anderen Lebensformen untrennbar verknüpft sind.

Der Anspruch auf Weltherrschaft

Es fragt sich, wie die Bedrohung der westlichen Welt zu beurteilen ist, wenn ihr nicht mehr ein einheitlicher Block kommunistischer Länder gegenübersteht, die vorbehaltlos den Führungsanspruch Moskaus anerkennen, sondern eine ganze Reihe voneinander unabhängiger kommunistischer Länder, wie etwa gegenwärtig China, die Sowjetunion und Jugoslawien. Man könnte vielleicht annehmen, daß es für die Länder des Westens eine Verringerung der Gefahr bedeuten würde, wenn die kommunistischen Länder nicht mehr von einem Zentrum aus gesteuert werden, ja vielleicht sogar politische Differenzen und Gegensätze zwischen ihnen auftreten. Die Verwirklichung einer Weltherrschaft von einem Zentrum aus ist, gleichviel unter welchen Vorzeichen, offensichtlich eine Utopie. Weltherrschaftsgelüste der Herrscher im Kreml können daher wohl für kleinere Nachbarländer eine Gefahr bedeuten, aber kaum für ein entferntes Land von großen Eigengewicht wie etwa für Indien. Wenn man daher das eigentliche Wesen der kommunistischen Bedrohung in dem Weltherrschaftsanspruch sehen wollte, würde man damit in Indien und manchen anderen Ländern wahrscheinlich keinen großen Eindruck machen.

Auch wenn man unterstellt, daß die kommunistischen Machthaber nicht von der Vorstellung ausgehen, die ganze Welt von einem Machtzentrum aus unmittelbar beherrschen zu können, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß sie trotzdem die Ausbreitung des Kommunismus über die ganze Welt anstreben und mit allen ihnen geeignet erscheinenden Mitteln fördern werden. Diese programmatische Zielsetzung ist nicht nur eine logische Konsequenz der bei den Sowjetführern fest verwurzelten Überzeugung, daß der Kommunismus dem Kapitalismus überlegen ist und ihn mit einer gewissen Naturnotwendigkeit eines Tages ablösen wird. Sie ist auch dadurch bedingt, daß man den Kommunismus erst dann als endgültig gesichert ansieht, wenn er nicht mehr unter der Bedrohung der so-genannten „kapitalistischen Umgebung" steht.

Die Bedrohung wird von den Sowjetführern nicht allein in dem politisch-militärischen Gegensatz gesehen, der sich zu den „kapitalistischen Ländern“ zwangsläufig ergibt. Sie ist auch dadurch gegeben, daß in diesen Ländern Ideen und Anschauungen ungehindert bestehen, die für das kommunistische Regime eine Gefahr darstellen, wenn sie von der eigenen Bevölkerung nicht sorgfältig ferngehalten werden. Der geistige Dressurakt, dem die Menschen in den kommunistischen Ländern unterworfen werden, kann von den kommunistischen Machthabern erst dann als endgültig gelungen angesehen werden, wenn es für die gleichgeschalteten Menschen keine Vergleichsmöglichkeiten mit der Außenwelt mehr gibt.

Für diejenigen Völker, die in der Nachbarschaft der Sowjetunion leben, verstärkt sich aber die Gefahr noch dadurch, daß das Sowjetregime nicht nur den Kommunismus mit seinen welt-revolutionären Bestrebungen repräsentiert, sondern sich offensichtlich die imperialistischen Zielsetzungen des alten russischen Reiches konsequent zu eigen gemacht hat. Der gefährliche Expansionsdrang des riesigen Sowjetreiches wird auf diese Weise aus zwei Quellen gespeist: der weltrevolutionären und der imperialistischen.

Der Sowjetimperialismus ist eine Gefahr, die unmittelbar diejenigen Länder bedroht, die von den Sowjetherrschern in ihrem weitgefaßten Machtstreben als Vorfeld ihres Herrschaftsbereiches betrachtet werden. Insofern lebt das deutsche Volk in einer größeren Bedrohung als z. B. das englische Volk.

Auch wenn der kommunistische Block nicht durch ein Machtzentrum repräsentiert wird, sondern durch mehrere, wird er für die übrige Welt nicht weniger gefährlich sein, solange jedes der kommunistischen Länder den Totalitätsanspruch für die kommunistische Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung aufrechterhält. Nach wie vor wird von kommunistischer Seite die These vertreten, daß der sog. Kapitalismus zum Untergang verurteilt sei und daß man im Sozialismus bzw. im Kommunismus die Patentlösung für die Fragen der Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung gefunden habe. Auch wenn man von kommunistischer Seite zugibt, daß verschiedene Wege zum Sozialismus denkbar sind, wird daran festgehalten, daß das Endziel für alle Völker unbedingt der Sozialismus bzw. Kommunismus sein müsse, der nur in einer einzigen, allgemein-verbindlichen Form vorgestellt wird und dem angeblich die Zukunft gehört. Solange diese These gilt und solange die Kommunisten entschlossen sind, getreu den Lehren Lenins alle legalen und illegalen Mittel zur Erreichung dieses Zieles zur Anwendung zu bringen, wird die kommunistische Gefahr fortbestehen.

Vielfach wird die Auffassung vertreten, die Größe der kommunistischen Gefahr lasse sich an der Zahl der Anhänger des Kommunismus in dem betreffenden Lande ermessen. Die geschichtliche Erfahrung lehrt jedoch, daß bisher noch in keinem Lande der Welt der Kommunismus dadurch zur Macht gelangt ist, daß er die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewonnen hat. Es gibt bisher nur drei Beispiele dafür, daß der Kommunismus von innen heraus zur Macht gelangte: Rußland, Jugoslawien und China. In diesen Ländern gehörte zum Zeitpunkt der Machtergreifung die große Mehrheit der Bevölkerung zum bäuerlichen Element, das zweifellos nicht kommunistisch gesonnen war. Schon 'dadurch läßt sich die unbestreitbare Tatsache belegen, daß es in beiden Ländern eine Minderheit war, die es verstand, durch zielbewußtes Vorgehen die Macht an sich zu reißen. Die kommunistische Lehre bezieht sich nicht nur auf die revolutionäre Umgestaltung der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, sondern sie gibt auch genaue Anweisungen für die Ergreifung und Behauptung der Macht. Es wäre daher falsch anzunehmen, daß in dem einen oder anderen Lande der Kommunismus deswegen keine Aussicht hat an die Macht zu gelangen, weil in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen ist, daß er die Mehrheit der Bevölkerung des betreffenden Landes für sich gewinnt. Aus dem gleichen Grunde ist es auch ein Trugschluß, wenn man meint, daß dort der Kommunismus keine Chance habe, an die Macht zu kommen, wo eine bestimmte Religion sehr fest im Volke verankert ist, wie etwa der Islam in Pakistan. Für die Machtergreifung nach Lenin’schem Rezept genügt eine verschwindend kleine Minderheit, unter der Voraussetzung freilich, daß in dem betreffenden Lande eine Situation entsteht, durch die zeitweise die politischen Gegenkräfte lahmgelegt werden. Die Kommunisten, die in den verschiedenen Ländern auf das Heranreifen solcher Situationen warten, wissen aber auch, daß die Lenin’sche Methode der Machtergreifung nur dann zum Erfolg führen kann, wenn man mit der gleichen Konsequenz und Rücksichtslosigkeit wie Lenin 1917 die Grundsätze der kommunistischen Lehre zur Anwendung bringt, d. h.

den radikalen Umsturz der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung betreibt.

Wenn man sich diese Gegebenheiten vor Augen hält, kommt man zu der Feststellung, daß es kaum ein Land gibt, von dem man mit absoluter Sicherheit sagen kann, es könne unmöglich in absehbarer Zukunft dem Kommunismus anheimfallen. Dagegen gibt es eine ganze Reihe von Ländern, speziell in Asien und Afrika, bei denen es zumindest nicht ausgeschlossen ist, daß sie kommunistisch werden.

Die Folgen der kommunistischen Machtergreifung

Durch den neuen Kurs und die veränderte Haltung der Sowjetführer besteht die Möglichkeit, daß der Kommunismus für viele Menschen manches von seinen Schrecken verliert und sie zu der Auffassung führt, daß sie vielleicht gar nicht so viel zu verlieren hätten, wenn einmal der Kommunismus über sie käme. Man muß daher zu ganz klaren Vorstellungen kommen, welche Konsequenzen die Machtergreifung der Kommunisten, auch wenn sie auf unblutigem Wege erfolgte, für die Menschen in dem betreffenden Lande haben würde. Er muß klargestellt werden, welches die Besonderheiten des Lebens unter einem kommunistischen Regime nicht nur im materiellen, sondern auch im menschlichen Bereich sind.

Wie die neuere Entwicklung zeigt, braucht das kommunistische Herrschaftssystem in materieller Hinsicht nicht unbedingt zur ständigen Verelendung zu führen. In Asien und Afrika werden sogar manche Menschen zu der Vorstellung kommen, daß eine Hebung des Lebensstandards der breiten Massen durch den Kommunismus eher erreicht werden könnte als durch irgendein anderes System.

Die Sowjetführer erklären neuerdings, das Muster der bolschewistischen Revolution müsse nicht unbedingt für andere Länder maßgebend sein. Der gewaltsame Umsturz durch die Mittel der Revolution, des Terrors, der Diktatur des Proletariats usw.sei nicht der einzige Weg zum Sozialismus. Das Ziel könne auch auf anderem Wege erreicht werden, wie zum Beispiel auf dem Umweg über eine Volksfrontregierung und durch den Mißbrauch demokratischer Einrichtungen. Würden also einem Lande, das dem Kommunismus anheimfällt, dadurch zwar nicht die sich daraus ergebenden Konsequenzen erspart bleiben, vielleicht aber die furchtbaren Schrecken und Leiden des gewaltsamen Umsturzes, wie sie aus der Anfangsperiode des bolschewistischen Regimes in der Sowjetunion bekannt sind?

Die Kommunisten sind sich darüber im klaren, daß ein kommunistischer Umsturz nur dann zum Erfolge führen kann, wenn die von Lenin in der Praxis erprobten und dann in seiner Lehre in allen Einzelheiten festgelegten Methoden genau befolgt werden. Dazu gehört, daß die oberen sozialen Schichten zunächst beseitigt werden müssen, auch wenn man sich bewußt ist, daß sich im Laufe der Zeit eine neue soziale Differenzierung herausbilden muß, wenn man mit der modernen technisch-industriellen Entwicklung Schritt halten will. Dazu gehört ferner, daß auch die kleinen selbständigen Existenzen, wie die Inhaber von Familienbetrieben in Gewerbe und Landwirtschaft, die keine Lohn-arbeitskräfte beschäftigen, verschwinden müssen, obwohl sie nach vernünftigen Gesichtspunkten durchaus nicht als kapitalistische Elemente anzusprechen sind. Deshalb würde ein kommunistischer Umsturz nicht da einsetzen, wo der Kommunismus in der Sowjetunion gegenwärtig steht, sondern eben doch dort, wo er im Jahre 1917 gestanden hat. All die Schrecken und Leiden, die die gewaltsame Umschichtung eines Volkes nach einem grausamen, die natürlichen Gegebenheiten der modernen Gesellschaftsbildung mißachtenden Schema mit sich bringt, müßten erneut durchlaufen werden, wenn der Kommunismus irgendwo zur Macht gelangte. Das wäre auch dann der Fall, wenn der Akt der Machtergreifung sich auf unblutigem Wege, etwa über eine Volksfrontregierung, vollzöge.

Es ist offensichtlich auch ein Trugschluß, daß der ewige Friede der Menschheit gewährleistet sei, wenn einmal die ganze Welt kommunistisch geworden ist, da es dann keine Gegensätze mehr zwischen den Staaten und den Völkern geben würde. Gerade in England hat es ganz bedeutende Vertreter dieser Auffassung gegeben, die dann im Hinblick auf die Schrecken eines Atomkrieges zu der Einstellung führt: Lieber rot als tot. Die geschichtliche Erfahrung lehrt aber, daß es auch zwischen kommunistischen Ländern bedrohliche Gegensätze geben kann, wie etwa zwischen der kommunistischen Sowjetunion und dem kommunistischen Jugoslawien oder neuerdings zwischen der Sowjetunion und China. Auch in dieser Hinsicht sollte man unterscheiden zwischen solchen Ländern, die im Falle einer kommunistischen Machtergreifung zu Satelliten der Sowjetunion werden würden, und anderen, die nicht zum Vorfeld des russisch-sowjetischen Imperiums gehören und daher in einem solchen Falle nicht mit dem Satellitenstatus zu rechnen brauchen.

Es wäre zum Beispiel falsch, anzunehmen, ein kommunistisches Gesamtdeutschland könne damit rechnen, daß es dann wenigstens mit seinem großen Nachbarn im Osten in Ruhe und Frieden leben könnte, weil man ja mit der Einführung der kommunistischen Ordnung dessen Wünsche erfüllt hätte. Wie das Beispiel Jugoslawiens zeigt, das, obwohl kommunistisch, von Moskau immer wieder angefeindet wird, würde dagegen auch in einem solchen Falle die ständige Bedrohung, unter der das deutsche Volk als Nachbar eines Riesenreiches zu leben hat, nicht aufgehoben sein. Dem mächtigen Nachbarn würde es nicht genügen, daß Deutschland kommunistisch ist, sondern er würde auch verlangen, daß es nach sowjetischer Weise kommunistisch sei. Das heißt, man würde den Deutschen, wie das heute schon in der Sowjetzone der Fall ist, nur einen Satellitenstatus zubilligen. Entsprechendes hätte für Länder im Vorfeld der rot-chinesischen Großmacht oder eventuell einer dritten künftigen Vormacht des Weltkommunismus zu gelten.

Als Schlußfolgerung aus den innen-und außenpolitischen Bedingtheiten des Kommunismus muß also gesagt werden: Solange die dargelegten Tatbestände fortbestehen, vermindern sich die Gefahren auch nicht durch innere Wandlungsprozesse in den kommunistischen Ländern oder durch ein formales Bekenntnis ihrer Machthaber zum Grundsatz der friedlichen Koexistenz.

Fussnoten

Weitere Inhalte