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Adolf Hitler und der Verrat am Preußentum | APuZ 46/1961 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 46/1961 Adolf Hitler und der Verrat am Preußentum Antidemokratisches Denken Wesen und Wirkung in der Weimarer Republik

Adolf Hitler und der Verrat am Preußentum

EBERHARD KESSEL

Zur preußisch-deutschen Geschichte sind in der Beilage inzwischen verschiedene Beiträge veröffentlicht worden. Folgende Historiker kamen dabei zu Wort (in der Reihenfolge des Erscheinens): Walter Bussmann („Ernst Moritz Arndt" B 10/60), Ernst Weymar („Ernst Moritz Arndt" B 20/60), Gordon A. Craig („Die Preußische Armee 1807— 1840“ B 47/60), Theodor Schieder („Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat" B 3/61), Ludwig Dehio („Preußisch-deutsche Geschichte als politisch-pädagogisches Problem" B 23/61), Walter Bussmann („Der deutsche Reichs-und Nationalgedanke im 19. und 20. Jahrhundert" B 30/61), Golo Mann („Bismarck" B /61). — Dabei war es das Bestreben der Redaktion, verschiedene Anschauungen einander gegenüberzustellen, konservative und weniger konservative, um dem Leser die Möglichkeit zu eigener Urteilsbildung zu geben. Mit dem heutigen Beitrag von Professor Dr. Eberhard Kessel/Marburg setzen wir diese Veröffentlichungsreihe fort.

Die Kontinuität der preußisch-deutschen Geschichte

Die Frage nach dem Wesen des Hitler-Regimes ist eng verknüpft mit dem Problem der Kontinuität der deutschen Geschichte. Da rein äußerlich die sogenannte Machtergreifung von 193 3 nichts anderes schien als die Übernahme der Staatsgewalt durch eine neue Regierung, so konnte der Übergang von dem alten Reich zum neuen, dem sogenannten Dritten Reich, trotz des unverkennbaren Bruchs in der Entwicklung als Wahrung einer Kontinuität aus der Vergangenheit in die Zukunft wirken, nur allerdings nicht der unmittelbar vorausgehenden Vergangenheit, sondern einer weiter zurückliegenden, die mit der Staatsneuschöpfung des Nationalsozialismus zugleich wiedergeboren und fortgesetzt werden sollte. In diesem Sinne haben sich die Nationalsozialisten selbst auf eine „Tradition" berufen, und sie haben damit das konservative Element mit dem fortschrittlichen, wie sie es auffaßten, zu vereinigen gesucht. Es war die preußische Tradition der staatlichen Macht und militärischen Stärke, an die sie anknüpften, und so konnte das außen-politische Phänomen des Dritten Reiches einfach als eine Fortsetzung preußisch-deutschen Machtstrebens in der Vergangenheit erscheinen. Preußische Tradition war die Grundlage der Reichs-gründung Bismarcks gewesen; vom Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen über Bismarck zu Hitler führte -so konnte es scheinen — ein gerader Weg, eine zusammenhängende Kurve, die nach einem anschaulichen Bild Ludwig Dehios (Histor Zs. 180, 195 5, S 64) wie eine Geschoßbahn im Aufstieg und Niedergang von demselben Gesetz ihres Ursprungs bestimmt worden ist. Und doch ist unverkennbar, daß die heiligsten Traditionen des Preußentums vom Nationalsozialismus und von Hitler auf das schamloseste verraten worden sind. Denn das alte Preußen war ein Rechtsstaat, beherrscht von Anständigkeit, Pflichterfüllung, Sauberkeit, Uneigennützigkeit und Hingabe; das Dritte Reich aber war kein Rechtsstaat mehr, und wenn in ihm von den alten preußischen Traditionen die Rede war, so wurden sie mißbraucht, pervertiert und in den Dienst einer allem Recht, aller Humanität, ja, aller Vernunft ins Gesicht schlagenden Gewalt-lehre gestellt.

Man macht es sich zu leicht, wenn man in diesem Sachverhalt etwa mit Hermann Rauschning lediglich die bewußte und gewollte Verhüllung eines völlig grundsatzlosen Nihilismus oder mit Ludwig Dehio ausschließlich die außen-politische Linie fortgesetzter Aggression und Expansion oder mit Hans Joachim Schoeps „zwei Preußen" sieht, von denen nur das Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrich Wilhelms IV. gelten soll, während Friedrich der Große als Aggressor die „Ausnahme" gebildet und mit Unrecht ganz Preußen in Verruf gebracht habe Kein Zweifel, daß hier ein ernsthaftes Problem vorliegt, dessen Lösung um so schwieriger ist, als über die Grundbegriffe, um die es sich dabei handelt, keineswegs eine einhellige Meinung besteht, mithin jeder Lösungsversuch von vornherein der heftigen Opposition aller derer ausgesetzt ist, die in der Fassung dieser bleiben wollen. Dennoch gibt es keinen anderen Weg, wenn nicht zur Lösung der Frage, so doch Grundbegriffe abweichender Ansicht sind und zur Erhellung des Tatbestandes, als die möglichst sachliche, quellenmäßig begründete und unvoreingenommene historische Betrachtung.

Mit Recht hat Schoeps von einem „Doppelgesicht“ des preußischen Staates, Fritz Hartung von einer „starken Spannung" gesprochen, die= Kurt Sontheimer = Antidemokratisches Denken — = Wesen und Wirkung in der Weimarer Republik = (s. Seite 662)im Wesen Preußens zwischen Fotschritt und Reaktion, zwischen Innen-und Außenpolitik bestanden habe. Auch Stadelmann hat das „fast unheimliche Janusgesicht" des Preußentums hervorgehoben In solchen Kennzeichnungen kommt das Zwiespältige zum Ausdruck, das selbst bei Zurückstellung aller Werturteile die einheitliche Charakterisierung oder Definition des Preußentums so schwer macht. Liegt das Wesen des Preußentums in dem Element einer fortgesetzten außenpolitischen Aggression, wie Dehio gemeint hat, oder in dem konservativständischen Faktor der Adelskaste, wie Schoeps will, oder dem monarchistisch-absolutistischen Charakter seines Ursprungs, wie es weitgehend allgemeine Meinung ist? Liegt es mehr in der inneren Staats-Struktur oder der außenpolitischen Aktion? Liegt es in den Begriffen der Disziplin und Unterordnung oder der Selbständigkeit und Initiative? Hat es sich in einzelnen Epochen der preußischen Geschichte zu exemplarischer Steigerung verdichtet, oder kommt es in allen Epochen gleichmäßig zur Geltung? Oder ist es etwa gar an eine besondere Staatsform gebunden, wie es Schoeps als wesensmäßig der Monarchie zugehörig erklärt hat? Kurz: was ist das Wesen der vielberufenen preußischen „Tradition" gewesen, und wie hat in Wahrheit der Nationalsozialismus dazu gestanden? Mit anderen Worten: Worin bestand das Lebensgesetz des preußisch-deutschen Staates, und inwiefern hat das Hitler-Regime ihm entsprochen oder zuwidergehandelt?

Dabei liegt es auf der Hand, daß in der außen-politischen Linie allein nicht das Wesen der Sache gefunden werden kann, oder vielmehr erst dann gefunden werden könnte, wenn bei nachgewiesener Gleichheit der außenpolitischen Zielsetzung in Preußen-Deutschland und im Hitler-Reich diese auf das Übergewicht derselben inneren Triebkräfte einer einheitlichen Struktur und „Tradition" zurückzuführen wäre. Die Außenpolitik ist erst das „Sekundäre“, wie Ranke einmal gesagt hat primär ist Wesen und Struktur des Staates, der sich nicht von heute auf morgen wandelt und selbst bei Änderungen seiner Verfassung doch über die verschiedenen Epochen hinweg eine innere Einheit bewahrt.

Wesen des Preußentums

Fragen wir so nach dem Wesen des Preußentums und dem Grundgehalt der preußischen „Tradition“, so müssen wir uns zunächst an den Ursprüngen des preußischen Staates orientieren, der als jüngste der europäischen Mächte recht eigentlich „traditionslos“ als ein Parvenu, und als solcher auch empfunden und entsprechend unbeliebt, in der europäischen Staatengemeinschaft aufgestiegen ist. Nicht daß nicht auch sofort das Bedürfnis nach einer „Tradition" sich geltend gemacht hätte, aber als der junge Friedrich am 3. Dezember 1740 seine Berliner Offiziere zum „Rendez-vous des Ruhms* nach Schlesien bestellte, da konnte er sie nur an Fehrbellin und Warschau als unsterbliche Ruhmestaten der brandenburgisch-preußischen Armee erinnern, gewiß glänzende Waffentaten einer kleinen und tapferen Truppe, die aber an und für sich nicht eben viel bedeuteten und von denen man in der Folge wenig Aufhebens gemacht haben würde, wenn nicht Friedrich der Große selbst sie durch die Erhebung Preußens zur Großmacht als Ausgangspunkte eines ungewöhnlichen Aufstiegs hätte erscheinen lassen. Nicht in dem, was sie tatsächlich waren, sondern in dem, was spätere Generationen daraus machten, waren sie der Ursprung einer preußischen „Tradition". Diese Tradition verlangte, daß jede Generation stets von neuem wieder durch eigene Leistung das sinnvoll machte, was die Vorfahren getan hatten. Das konnte dann aber nicht geschehen im Kleben an bestimmten Formen und Vorurteilen, also an „Traditionen“ im einzelnen, sondern in der Orientierung an den Erfordernissen und Bedingungen der gegenwärtigen „Realität“. So bezeichnet im Grunde — das Paradoxon sei erlaubt — eine eigentümliche „Traditionslosigkeit“ den Kern und das Wesen der preußischen „Tradition“, womit eine strenge Bindung der handelnden Persönlichkeit an ihre „Aufgabe" gegeben war in Sachlichkeit, Illusionslosigkeit, Nüchternheit und Pflichterfüllung. Ob dabei in Unterordnung und Subordination oder in Selbständigkeit und Initiative, ob in Bewahrung alter Formen und Institutionen oder in Umformung und Schaffung von etwas ganz Neuem: das mußte vom Gesetz der Stunde abhängig bleiben, dem sich der Handelnde in strenger Gewissenhaftigkeit zu unterwerfen hatte. So ist, auf den Inhalt der Traditionen gesehen, die preußische Tradition ihrem ursprünglichen Wesen nach vollkommen offen. Sie verlangt Erfüllung der Pflicht, wohin auch immer der einzelne im Ablauf des Geschehens gestellt ist, um damit das Höchste an Leistung zum Wohle des Ganzen aufzubringen. Unterordnung und Disziplin also in einem höheren Sinne, der unter Umständen im Konfliktfalle einer Situation auch das Zuwiderhandeln gegen einen Befehl erfordert. Das alles aber ist natürlich nicht möglich ohne eine ethische Bindung des Individuums an seinen Beruf und seine Aufgabe in seiner vorgegebenen diesseitigen Realität, wie sie auch aufgefaßt werden mag, im Grunde aber unter Ausschaltung eigenen persönlichen Wollens und Wünschens. Das ist zuletzt nicht ohne wenn auch noch so unbestimmte metaphysische Vorstellungen möglich gewesen, wie sie in strenger positiv christlicher Prägung einem Friedrich Wilhelm L, in aufklärerisch deistischer Form einem Friedrich II. eigen gewesen sind. Denn auch bei Friedrich dem Großen sind sie unverkennbar, und ohne sie seine Person und sein Lebenswerk undenkbar.

Friedrich Wilhelm L

Natürlich stecken in diesen Grundelementen sowohl positive wie negative Züge, und man hat nicht mit Unrecht von der Gefahr der Vergottung oder Vergötzung des Staates gesprochen, die hier drohte. Kargheit, Härte, ja, Freudlosigkeit gehören als Begleiterscheinungen in einem zuweilen tragisch erschütterten Maße zu diesem Preußentum in seinen Ursprüngen dazu, und es ist doch nur ein geringer Trost, wenn wir diese Züge in der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms I., der sie in seiner Staats-gründung recht eigentlich verkörpert hat, von einer christlichen Frömmigkeit getragen sehen, die ihm selbst seine Aufgabe als eine ihm von Gott auferlegte Pflicht erscheinen ließ. Er ist der Schöpfer des einst vielgerühmten und nun noch mehr geschmähten preußischen „Militarismus“

gewesen, wenn wir unter dem Begriff einfach das Dominieren des Militärischen in Staat und Gesellschaft verstehen, wie dies mit dem Zuschnitt des gesamten Staatswesens auf die Unterhaltung einer im Verhältnis zu Bevölkerungszahl und Gebietsumfang überdimensional großen Armee hin gegeben war. Es ist ganz verkehrt, bei der preußischen Armee von einem Staat im Staate zu sprechen, vielmehr war die preußische Armee der Staat selbst, wie dies Mirabeau mit seinem bekannten Wort von 1788 gemeint hat:

„La Prusse n’est pas un etat qui possede une armee: c’est une armee qui a conquis une nation.“ Das war Friedrich Wilhelms Werk, den man mit Recht den „Soldatenkönig" genannt hat. Der Große Kurfürst ist dafür doch nur Vorläufer gewesen, indem er durch die Unterwerfung der Stände unter den absolutistischen Staat die Voraussetzungen dazu geschaffen hatte.

Das ging nicht ohne Unrecht und Gewalttätigkeit ab, wie wir wissen, und auch die Regierung Friedrich Wilhelms 1. ist trotz allen Bestrebens nach Redlichkeit und Rechtlichkeit nicht davon frei gewesen, vielmehr durch die Subjektivität des persönlichen Temperaments des Königs den heftigsten Reaktionen ausgesetzt gewesen. Wie ein Hausvater durch sein Anwesen ging der Soldatenkönig mit dem Krückstock durch die Straßen von Berlin, und wehe, wenn er unterwegs einen Bürger traf, der seine Anwesenheit außer dem Hause und fern von seiner Arbeitsstätte nicht sofort klar und deutlich zu motivieren wußte: er machte unweigerlich auf der Stelle mit dem königlichen Krückstock schmerzlich Bekanntschaft. Eine der ersten Regierungshandlungen des jungen Königs hatte darin bestanden, daß er den Potsdamer Postmeister eigenhändig aus dem Bette prügelte, als er die in der Nacht eintreffende Post nicht unverzüglich abfertigte. Das Vermögen des Inhabers des Berliner „Lagerhauses" und Ministers von Krautt wurde nach seinem Tode kurzerhand ohne jedes Rechtsverfahren auf den bloßen Verdacht hin eingezogen, daß Krautt sich bei seiner Amtsführung unrechtmäßig bereichert habe. Mancher Offizier ist von der Front seiner Truppe unnachsichtlich fortgejagt worden, wenn er das Mißfallen des Königs erregte.

Schließlich das königliche Familienleben: Es ist bekannt, wie es unter dem schwer lastenden Drude der väterlichen Hand gelitten hat. Zwar hat die Markgräfin Wilhelmine maßlos übertrieben, wie wir wissen, und ihre Memoiren sind durchaus unzuverlässig; auch ist nicht zu verkennen, daß die Kinder und selbst ihre Mutter dem König Anlaß zu Verstimmung und Mißtrauen gegeben haben. Doch was bleibt, genügt, um die Atmosphäre dieses kargen und selbst in seinen Freuden und in seiner Erholung gewalttätig wirkenden Lebens zu ermessen. Das schwere Zerwürfnis mit dem ältesten Sohne führt hart an die Grenze des menschlich Tragbaren. Die allgemeine Meinung ist durch Jochen Kleppers Vater-Roman beeinflußt, der Historiker darf sich dadurch seinen Blick für die dokumentarisch bezeugte Realität nicht trüben lassen. Es ist so, wie schon Ranke gesagt hat: „Bei diesem Leben wird man ... an eine nordische Sage gemahnt, in welcher Odin und Thor das Schicksal eines aufwachsenden Helden bestimmen. Ich schaffe ihm, sagt der erste, daß er drei Menschenalter lebe; sein Stamm, sagt der andere, soll mit ihm zu Ende gehen; der eine verspricht ihm schöne Waffen, Geld und Gut; der andere verhängt Mangel an Grundbesitz und schwere Wunden über ihn. Ich schaffe ihm, daß er den besten Männern wert erscheine, sagt Odin; dem Volke, fügt Thor hinzu, soll er verhaßt sein. Denn zwischen Höhe und Tiefe, Heil und Unsegen, Glück und Mißlingen schwankt nun einmal das Geschick des Menschen; der Tugend und dem Vollbringen ist ein Mangel beigegeben, dessen Verhältnis in seinem Ursprung und seiner Wirkung die Summe des menschlichen Daseins bildet.“

Friedrich der Große

Aber so sehr der „Soldatenkönig" das Wesen des Preußentums bestimmt hat, so wenig ist es doch mit ihm vollendet gewesen, und es gehört das Lebenswerk seines Sohnes, den die Geschichte den „Großen" genannt hat, dazu, um es endgültig auszuprägen und ihm einen Inhalt zu geben, der jene Härte und Kargheit in ihrer Notwendigkeit bestätigt, andererseits aber durch Ethos und Kultur der Aufklärung erträglich gemacht hat. Denn es steckt in der Steigerung, die das Preußentum Friedrich Wilhelms I. durch Friedrich dem Großen erhielt, zugleich eine Milderung darin, die — so sehr sie ihrerseits begrenzt war und bleiben mußte — von wesentlicher Bedeutung war. Die Steigerung bestand im außenpolitischen Einsatz und Erfolg sowie in der bis auf die Spitze getriebenen Rationalisierung des Staatsorganismus, die Milderung in dem Ausbau des bürgerlichen und kulturellen Lebens nach den Grundsätzen der eigenen Voraussetzungen, denn der zivile Sektor verlangte im Wachstum des Staates sein Eigenrecht, und ohne Wissen und Bildung ließ sich weder der Staat verwalten, noch die Armee zum Siege führen, und ohne Rechtssicherheit konnte Wirtschaft und Verkehr nicht gedeihen, der Mensch ein menschenwürdiges Leben nicht führen. Die kalte und klare Luft des vernünftigen 18. Jahrhunderts bot Antrieb und Schranke zugleich: Die Staatsräson band den Staat an die Bedingungen der Vernunft.

Der Griff nach Schlesien

Dabei ist das Element der außenpolitischen Aggression in der Situation von 1740 allerdings unverkennbar und durch keine Argumentation wegzudiskutieren. Der Griff nach Schlesien hat Friedrich den Großen vor Mit-und Nachwelt in den Ruf des bedenkenlosen, ja zynischen Angreifers gebracht, der selbst in seinen Memoiren den Ehrgeiz und die Sucht, sich einen Namen zu machen, als die entscheidenden Triebfedern seines Handelns bezeichnet hatte. Noch mehr: mit diesem Griff nach Schlesien habe Friedrich nicht nur den Weg des Rechts verlassen, sondern die bis dahin bestehende Aufsplitterung der politischen Kräfte Deutschlands sich zu einem starren und für die Weiterentwicklung der deutschen Geschichte unaufhebbaren Dualismus umbilden lassen. Also ein Verhängnis nicht nur im Motiv, sondern bis in die fernste Folgewirkung hinein. Die Sache scheint nur noch schlimmer, wenn man dazu die theoretischen Äußerungen des jungen Friedrich heranzieht und in seinem „Antimachiavell" eine politische Morallehre vorgetragen findet, die das Unrecht verabscheut und den „Machiavellismus" als verhängnisvolle Truglehre bekämpft. Man ist sogar so weit gegangen, diese Schrift und die in ihr enthaltene Theorie als bewußte Tarnung des wirklich in ihm lebenden Machttriebes zu deuten, als Produkt eines „Machiavellismus“ also, das an Zynismus alles in den Schatten stellt, was Machiavelli selbst gelehrt und getan habe.

Allerdings ist dieser Eindruck falsch. Der Antimachiavell ist vom jungen Friedrich durchaus ernst gemeint gewesen, es ist die echte und ehrliche Auseinandersetzung des werdenden Staatsmanns mit dem Problem der Moral, bevor er noch jemals in einen unmittelbaren praktischen Konflikt der Pflichten hineingestellt worden war. Die Fortführung dieser Diskussion, die Ermäßigung sozusagen der ursprünglichen Starrheit seiner politischen Morallehre hat dann auch ihren Niederschlag in den späten politischen Schriften des Königs gefunden, der anders unverständlich wäre, wenn die Position des Antimachiavell nicht vorausgegangen wäre. Und auch in jener späteren „Ermäßigung" ist die Moral nicht völlig preisgegeben: es wird vielmehr die Privatmoral des Fürsten von einer moralischen Verpflichtung des Staatsmanns gegenüber seiner Aufgabe unterscheiden und die Verpflichtung der Verletzung eben jener Privatmoral aus der Verpflichtung gegenüber dem Staate gefolgert. Das ist eben das Problem der „Staatsräson“, wie es sich für ihn nunmehr erst in seiner vollen Schärfe gestellt hat. Friedrich Meincke hat es in dem Kapitel „Friedrich der Große“ in seinem Werk über „Die Idee der Staatsräson“, auch in seinen Nuancierungen in Wort und Bild, analysiert. In der kalten, klaren und herben Luft des rationalistischen 18. Jahrhunderts kam das Problem zur vollen Entfaltung und kulminierte geradezu in Friedrich und dem Preußen seiner Zeit. Friedrich nahm die Interessen seines Staates wahr, nicht weil er persönlich nach Macht strebte, sondern weil Macht das Wesen des Staates ist, und er als König in die Aufgabe, seinem Staate zu dienen, hineingeboren war. So ist auch der Ehrgeiz zu verstehen, zu dem er sich bekannte: Er wollte in die Geschichte als ein Mehrer und nicht als ein Minderer seines Vater-landes eingehen. In diesem Sinne wollte er sich „einen Namen machen“ und besetzte Schlesien, um es als Fauspfand in der Hand zu haben, wohl wissend, daß er seiner Forderung nach territorialer Vergrößerung nur Gehör verschaffen würde, wenn er das Objekt sogleich in Besitz nahm.

War das „Unrecht“? War das „Hybris“ oder „Anmaßung“? War das Vergötzung des Staates? So müssen wir fragen, um das Werturteil über die preußische Tradition zu finden; denn die Tat von 1740 ist eingegangen in diese Tradition, und zwar sowohl als einmalige Aktion wie als Ausgangspunkt für den Aufstieg Preußens, der von da ab gradlinig bis zum Ausgang der Regierungszeit Friedrichs des Großen reicht. Zur Frage des „Rechts" ist zu bemerken, daß Friedrich selbst seine spätere Unterscheidung zwischen Privatmoral und Fürstenmoral (oder Staatsmoral) nicht auf sein Losbrechen von 1740 angewandt hat. Die Erfahrungen seiner Anfangs-jahre als König, die ihn zu einem gewissen Machiavellismus wider Willen — „ich bin sehr betrübt darüber, aber ich bin gezwungen zuzugeben, daß Machiavell recht hat“, heißt es im Testament von 1752 — gebracht haben, beziehen sich auf die Notwendigkeiten des Lavierens, die ihn während des Österreichischen Erbfolge-krieges wiederholt zur Einstellung und zur Wiedereröffnung der Feindseligkeiten und damit zur Preisgabe der jeweils eingegangenen Verpflichtungen veranlaßt hatten. Das waren Vertragsbrüche, die er als solche bedauert hat, die er aber zum Wohle des Staates und seiner Mitbürger glaubte begehen zu müssen, da das Wohl des Ganzen über dem des Einzelnen und sei es des Königs mit seiner Privatmoral zu stehen habe. In bezug auf solche Vorgänge hat er schließlich 1768 im Politischen Testament die Formulierung gewählt: „Nach meiner Meinung darf man sich nur so wenig wie möglich von der Rechtschaffenheit (probite) entfernen. Wenn man sieht, daß ein anderer Fürst nicht den Weg des Rechts einhält, ist es ohne Zweifel erlaubt, ihm ebenso zu begegnen, und wenn es Fälle gibt, in denen es entschuldbar ist, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, so sind es diejenigen, wo das Heil oder das größere Wohl des Staates es fordert." Und er hat die Fälle, in denen ein Vertragsbruch, wenn auch nicht erlaubt, so doch vertretbar ist, später noch genauer zu umschreiben versucht.

Unter diese Fälle aber rechnete Friedrich ganz offenbar den Einmarsch nach Schlesien von 1740 nicht. Er hat, was über seinem Geständnis des Ehrgeizes vergessen zu werden pflegt, diesen Akt der Aggression als durchaus berechtigt und legitim betrachtet. Natürlich nicht im Sinne des formalen Rechts. Die Rechtsansprüche, die Preußen auf das Objekt gehabt hatte, betrafen bekanntlich nur Teile von Schlesien und waren durch die Entschädigung mit dem Kreis Schwie-bus de jure abgegolten worden, so gering diese auch war und trotz der Rückgabe derselben, die die österreichische Diplomatie erschlichen hatte. Darauf konnte Friedrich höchstens doch nur zur Brandmarkung der österreichischen Verfahrensweise hinweisen: Ein Rechtsanspuch war daraus 1740 kaum mehr abzuleiten. Doch ist der Verlust der preußischen Rechte auf Schlesien unter dem Großen Kurfürsten und Friedrich I. von dem jungen Friedrich als schweres Unrecht empfunden worden, das die österreichische Diplomatie mit listiger Verschlagenheit dem preußischen Staate zugefügt hatte. Erst das Überse-hen dieses Motivs stempelt das Verhalten Friedrichs zu jenem Akt reiner und machtgieriger Aggression, als der er in der Welt neuerdings überwiegend angesehen zu werden scheint. In der Tat glaubt Friedrich ein wenn nicht formaljuristisches, so doch moralisches Recht zu haben, die alten Ansprüche an Schlesien zu erneuern, und sein „Ehrgeiz, sich einen Namen zu machen“, den er in den Memoires von 1745 anführt, hat sich nicht in einer puren Willkür-handlung der Ruhmsucht entladen, wie man bei isolierter Betrachtung jener Worte wohl gemeint hat, sondern er hat sich an der Überzeugung erlittener Benachteiligung zu entschlossener Tat entzündet.

Der preußisch-österreichische Gegensatz

Diese Überzeugung und die daraus resultierende Abneigung gegenüber Österreich gründete sich allerdings nicht allein auf die in der schlesischen Frage erfahrene Behandlung, sondern ganz wesentlich mit auf die österreichische Politik in der Bergischen Frage in der Regierungszeit seines Vaters. Die offene Biederkeit und die Reichstreue des Soldatenkönigs war durch die österreichische Diplomatie düpiert und brüskiert worden, und der junge Friedrich hatte das Gewebe dieser Politik sehr viel früher und genauer durchschaut als sein Vater, der erst durch den eklatanten Beweis der österreichischen Untreue überzeugt und selbst dann noch an der Ehrlichkeit der im österreichischen Solde stehenden Vetrauten Seckendorfs und Grumbkow nicht irre wurde. Er habe sich seinen Tod zu Priort geholt: „da kam ein Mann zu mir, das war, als wenn man mir einen Dolch im Leibe umgewandt hätte.“ So kennzeichnete Friedrich Wilhelm 1734 dem Sohne gegenüber die Stunde bitterer Erkenntnis, die er bei einem Zusammentreffen mit dem österreichischen Geschäfts-träger auf dem Potsdam benachbarten Gutshof durchleben mußte. Und er mahnte ihn in der Sterbestunde: „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist usw. Im übrigen aber wäre dem Kaiserlichen Hof im geringsten nicht zu trauen ..

Die ständigen Zurücksetzungen Preußens durch die europäischen Mächte unter Friedrich Wilhelm, hinter denen vornehmlich die österreichische Politik stand, wie man wußte, zuletzt noch in der Form der identischen Noten Österreichs, Frankreichs, Englands und der Niederlande vom 10. Februar 1738 hatten den jungen Friedrich die Notwendigkeit eigener Stärke und selbständigen Handelns deutlich gemacht, wie seine diesbezüglichen Äußerungen bezeugen. So hatte Friedrich im Antimachiavell den eitlen Ruhm, der die Fürsten und Staaten ins Unglück stürzt, von dem wahren Ruhm unterschieden: „Welch ein Ruhm ist es nicht für die Gewandtheit, Weisheit und Kraft eines Fürsten, wenn er seine Staaten vor dem Einfall der Feinde sichert, durch Mut und Geschicklichkeit über die Anschläge seiner Gegner triumphiert, und durch seine Festigkeit, Klugheit und militärische Tüchtigkeit die Rechte behauptet, die ihm ungerechte Anmaßung bestreiten will.“

Zu diesen Anrechten, die Preußen sich nicht verkümmern lassen durfte, wenn es bestehen wollte, gehörte Jülich und Berg als der 1609 entgangene Teil der Kleveschen Erbschaft, gehörte die Anwartschaft auf Ostfriesland, gehörte auch der Anspruch an Schlesien, freilich nicht auf das ganze Schlesien, sondern nur auf Jägerndorf bzw. Schwiebus und auf die durch die Erbverbrüderung von 1537 betroffenen Gebiete, nicht aber auf Ratibor-Oppeln, also Oberschlesien, ebensowenig auf Glatz, Breslau, Schweidnitz und Jauer sowie Glogau. Wenn Friedrich das Ganze verlangte, ging er über die alten Ansprüche hinaus, aber er tat das doch nicht aus barer Willkür, sondern verlangte es als eine Kompensation, als eine Gegenleistung, wenn er sich und seine Macht für den Weiterbestand der österreichischen Monarchie unter Maria Theresia nach dem Aussterben der männlichen Linie des Habsburgischen Hauses einsetzen sollte. Er nutzte seine Stunde, wie es die Fürsten und Staatsmänner seiner Zeit zu tun gewohnt waren, im Interesse seines Staates, der ein „Königreich der Grenzen“ wie er selbst spottete, nach Abrundung verlangte wie alle anderen deutschen Territorien, die Habsburger Monarchie als die damals am mächtigsten und größten gewordene nicht minder, oder vielleicht noch in einem höheren Grade, weil die geographische Lage besonders ungünstig war. Dafür war die innere Kohärenz des Staates um so intensiver und machte seine akute Stärke aus, die ihn zum unverächtlichen Bundesgenossen für jeden Partner machte. Da Österreich die dargebotene Hand zurückstieß, ja sogar die aus den alten Anrechten beanspruchten Gebiete verweigerte, kam es zum Kriege, den Friedrich nicht durchaus beabsichtigt, aber riskiert hatte, und aus dem er das Gesamtgebiet Schlesiens mit dem Recht auf Entschädigung für den Kriegsaufwand, d. h. mit Recht der Eroberung im Friedensvertrag gewann und in zwei weiteren Kriegen verteidigte, ohne über das durch diesen Anfangserfolg bestimmte Maß hinauszugehen. Gerade das aber: Angriff und Verteidigung zusammen machte Preußen zur europäischen Macht und schuf nun erst die Tradition zusammen mit dem Erbe des Soldatenkönigs, die man als „preußisch“ schlechthin bezeichnen kann, und dies nicht als Ergebnis eines einfachen Rechtsbruchs, auch nicht persönlicher Willkür, sondern staatlicher Notwendigkeit, in der Anspannung aller Kräfte gefordert, aber zugleich das Rechtsstaatsprinzip und die Freiheit der religiösen Überzeugung gewährleistet wurde. Dies alles aber nach dem Maße rationaler Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit, die eine Tradition im Sinne eines einfachen konservativen Festhaltens am Übereinkommen nicht gestattete. Denn diese Tradition verlangte ohne Rücksicht auf ihre zeitbedingten konkreten Inhalte stets Neuorientierung, wenn es notwendig wurde für den Bestand des Staates, der dabei durchaus den Charakter des „Wohlfahrtsstaates“, d. h.der Sorge für alle seine Bürger im Sinne der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit hatte, damit die Zeiten des Soldatenkönigs weit hinter sich zurücklassend.

Die Aggression von 1740 ist also nicht schlechthin Bestandteil der spezifisch preußischen Tradition, sondern ein zeitbedingtes Element derselben, insofern sie den Zeitumständen im ganzen entsprach und nur durch das preußische Element der Energie und der Selbstbescheidung und Aufopferung aus ihr besonders hervorgehoben erscheint. In dem Grade jedoch, wie sie zeitbedingt gewesen ist, kann sie nicht Bestandteil der zeitlichen preußischen Tradition genannt werden, da gerade diese in der unmittelbaren Sachlichkeit, d. h. in der Abstellung auf den spezifischen Moment der Gegenwart, auf den „Augenblick“ des Handelns besteht, nicht in der Übertragung aus ganz anderen Verhältnissen in die Gegenwart und Zukunft transponierten realen Vorgänge. Wie schon Friedrich der Große gesagt hat: „Ereignisse der Vergangenheit sind dazu gut, um die Vorstellungskraft zu nähren und die Erfahrung zu bereichern. Sie bilden eine Sammlung von Ideen und liefern den Rohstoff, den die Urteilskraft erst in ihrem Schmelztiegel läutern muß." Die Tradition, an die man sich halten kann, besteht nicht in einzelnen Vorgängen, sondern in bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen, die in konkreten Aktionen der Vergangenheit besonders deutlich in Erscheinung getreten sein können, aber in ihnen keineswegs aufgehen, geschweige denn diese Aktionen selbst in der Einmaligkeit ihres Vorgangs zum Ideal, Vorbild oder Rezept machen dürfen.

Die Eingliederung des Adels

Das bezieht sich sowohl auf Einzelhandlungen wie auf Institutionen, Ja, diese noch viel weniger als alles andere können für die Ewigkeit geprägt sein, sondern bedürfen beständiger Anpassung, und das Bleibende der friderizianischen Tradidem tion besteht eben nicht im Adel oder einer irgendwie bestimmten Adelsherrschaft, sondern in der Nivellierung des Adels zum Staatsbürger, zum Beamten, zum Offizier bzw., soweit das in der gegebenen Form der überlieferten Verhält-nisse notwendig war, im Einbau der Aristokratie in den absolutistischen Staat. Der Adel ist das Element gewesen, das Preußen mit allen deutschen oder sogar europäischen Staaten gemeinsam gehabt hat, aber was Preußen aus dieser Gemeinsamkeit heraushebt, ist die restlose Einschmelzung des „Standes“ in den Staat, die nirgends so wie hier geglückt ist, vor allem in Österreich nicht. Dazu kommt, daß das ständische Element zugleich das partikularistische gewesen ist, daß also die Überwindung des ständischen Wesens nicht nur die Überwindung eines Standes-Egoismus oder Egozentrismus bedeutet hat, sondern zugleich den Regional-Egoismus im Gegensatz zu den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten eines umfassenden Flächenstaates. Mit der Wandlung aber des Absolutismus zur modernen Demokratie mußte sich auch dies Verhältnis wandeln: Das Preußentum bestand nicht darin, überlebte Formen festzuhalten, sondern sie sinngemäß abzuwandeln oder ganz preiszugeben. Ja, die Nivellierung der Untertanen durch den Absolutismus war historisch gesehen die notwendige und beste Vorstufe des überall gleichberechtigten und nun auch zur Selbstbestimmung und Mitregierung aufgerufenen Staatsbürgers der Demokratie.

Die Wandlungen der Tradition

Die „Tradition der Traditionslosigkeit" aber gerät der ihr innewohnenden Antinomie entsprechend alsbald in die Gefahr, durch Aufnahme materieller Inhalte erfüllt und damit ihres eigentlichen Wesenskerns beraubt zu werden. Darin besteht die innere Diskrepanz des Preußentums; dadurch entsteht eine Spannung, oder vielmehr eben dies ist die Wurzel und der Urgrund aller jener Spannungen, von denen man schon immer im Preußentum gesprochen hat und die sein Bild bestimmt haben.

Im 18. Jahrhundert spielte das noch keine wesentliche und den Bestand des Staates bedrohende Rolle. Die rationale Vernünftigkeit des Aufklärungszeitalters und des Absolutismus zusammen mit der verhältnismäßig kurzen Zeitdauer der bisherigen Existenz Preußens läßt diese Spannungen vorerst nicht allzu stark werden. Das ständische Wesen des Adels, das am ehesten noch ein materielles Element der Rückständigkeit in die preußische Tradition des 18. Jahrhunderts hätte hineintragen können, war viel zu schwach, wenn auch keineswegs völlig ohne Bedeutung, um die Tradition des monarchischen Absolutismus, die entsteht, beherrschen zu können, wie das — wie heute übersehen zu werden pflegt — in den anderen deutschen Staaten einschließlich Österreichs der Fall gewesen ist. Denn das macht den Unterschied Preußens von allen übrigen Staaten aus, daß hier der Adel keine ständische Machtstellung mehr behauptet, wie dies in unendlicher Nuancierung zwar, aber doch überall sonst in stärkerem Maße der Fall gewesen ist. Der Fortschritt der Zeit aber lag beim monarchischen Absolutismus, nicht bei dem aristokratischen Ständetum. Deshalb ist das Preußen des 18. Jahrhunderts der Inbegriff des Fortschritts der Zeit gewesen, es lag an der Spitze der damaligen Staatenwelt, und es war kein Zufall oder gar Willkür, sondern vielmehr Sinnbild der Epoche, daß Preußen auf diese Weise zur Großmacht wurde. Friedrich der Große baute das ständische Wesen, soweit es noch lebensfähig war, in die rational gegliederte Monarchie ein; der materielle Gehalt der preußischen Tradition, den er schuf, war wesentlich militärisch: wie er anknüpfte an Warschau und Fehrbellin, so fügte er Hohen-friedeberg, Roßbach, Leuthen und Zorndorf hinzu, denn sich zu behaupten, war nun zunächst die Aufgabe dieses als Parvenu aufgestiegenen Staatswesens. So gehört der Militarismus zum Wesen des Preußentums und der preußischen Tradition allerdings hinzu, aber nicht ein Militarismus außenpolitischer Aggression — denn Friedrichs Aggression von 1740 war motiviert und blieb ein einzelner Akt: alles andere war Verteidigung — und in bezug auf den Staats-aufbau ein Militarismus, der nicht etwa einen Staat im Staate schuf, sondern ein einheitliches auf die Verteidigung und Erhaltung des Staates eingerichtetes und darum militärisch fundiertes politisches Gebilde, in dem bereits unter Friedrich dem Großen die zivilen, d. h. die wirtschaftlichen, innenpolitischen, Verwaltungsausgaben und nichtmilitärische Belange ihr Eigengewicht geltend machten und entsprechend berücksichtigt wurden.

Wandlung des Zeitalters

Die innere Geschlossenheit des Staates hielt die Spannungen, denen er ausgesetzt war und im Verlauf der Zeit immer stärker ausgesetzt wurde, zunächst in gewissen Grenzen. Die Frage an die Zukunft war, wie eben diese Geschlossenheit bei einer Wandlung des Zeitalters, die infolge veränderter Geisteshaltung bestimmte Umstellungen erforderte, würde erhalten werden können; die Antwort konnte nur sein: eben durch und mit Hilfe der Tradition der Traditionslosigkeit, die die notwendigen Ver-änderungen mit dem geringsten Aufwand, aber mit klarer Folgerichtigkeit und ungehemmt durch antiquierte Sentimentalitäten vorzunehmen imstande war. Hinderlich dafür konnten nur Elemente einer falsch verstandenen Tradition sein, die entweder die zeitgebundene Erscheinungsform des Staates verabsolutierten und ihre Erhaltung um jeden Preis in unbeugsamer Starrheit forderte oder aber im Rückgriff auf die vorabsolutistische Zeit altständisch-aristokratische Tendenzen restaurierte.

Grenzen des Genies

Friedrich der Große, viel verkannt und viel verlästert auf der einen Seite, durch ungebührliche Heroisierung verkitscht auf der anderen, hatte auf jeden Fall das Gesetz seines Staates erkannt und seine Person ganz in seinen Dienst gestellt. Damit hat er zugleich die Tradition der Selbstlosigkeit und Pflichterfüllung, die schon der Vater begründet hatte, auf die Stufe sinnvollen Handelns erhoben. Der einzige Mangel, der ihm innewohnte, und der doch gleichzeitig das Mittel und die Quelle des Aufstiegs Preußens war, bestand in der ungewöhnlichen Genialität seiner Persönlichkeit, die ihn in ihrer Subjektivität dazu verleitete, das gesamte Staatswesen zu einseitig auf die eigene Person abzustellen. Das war in diesem Grade unter seinem Vater nicht der Fall gewesen, so gewalttätig und subjektiv er doch auch sein konnte. Natürlich liegt hierin in gewissem Sinne überhaupt der Nach-teil des Wirkens großer Naturen, so sehr sie entscheidende Anstöße geben und starke Förderung bedeuten können: immer stören, um mit Humboldt zu sprechen, „genievolle Individuen“ den „sonst ununterbrochenen Naturgang“ der historischen Entwicklung und schleudern „ihre Nation oder ihr Zeitalter auf einmal in andere, neue Aussichten eröffnende Bahnen“ hin. Bei Friedrich kommt hinzu, daß aus der Subjektivität seiner Genialität, die dem Rationalismus seiner Zeit entsprang, zugleich ein erstaunlicher Mangel an Menschenkenntnis resultierte, unter dem er zeitlebens schwer gelitten hat und der ihn schließlich mit einer ihn selbst und sein Werk verdüsternden Menschenverachtung erfüllt hat. Denn es ist eine durch wenige Zufallsbegegnungen der Frühzeit (Duhan, Winterfeldt) hervorgerufene, aber durch nichts begründete Legende, daß Friedrich ein guter Menschenkenner gewesen sei: er ist im Gegenteil der schlechtesten einer gewesen, den die Geschichte unter den Großen, die mit ihm jenen Mangel teilen, gekannt hat. Er hat in der Regel ganz hervorragende Menschen abgestoßen und stattdessen sein Herz an minderwertigere gehängt, die ihn dann enttäuscht haben, ja, enttäuschen mußten. Er hat, wie Berenhorst mit dem Scharfblick der Abneigung erkannte, einzelne Personen seiner Gunst zu überragenden Menschen geradezu stempeln wollen, die dem dann natürlich nicht entsprechen konnten.

Das ist, wie schon Gustav Freytag mit feinem psychologischen Sinn bemerkt hat, die Ursache seiner geradezu tragischen Menschenverachtung gewesen, die im Verlauf seines Lebens notwen-dig immer stärker wurde; und das hat ihn gezwungen, überall selbst nach dem rechten zu sehen, niemand zu vertrauen und möglichst strenge Kontrolle zu üben. Während sein Vater bei allem Despotismus, der ihm eigen war, ein System der Regierung hatte, das auch von jedem anderen durchschaubar war, machte Friedrich das Ganze zu einem Apparat, den nur er übersehen, nur er bedienen konnte. Das ist die Schwäche des friderizianischen Staates gewesen, dem mit dem Tode des Großen Königs seine Seele fehlte gerade in dem Augenblick, als die Zeitenwende der Französischen Revolution eine Krisis für die europäische Staatenwelt überhaupt heraufführte.

Krisis des Staates

Das brachte den preußischen Staat in der Stunde der Not bis an den Rand der Vernichtung. Sehr verständlich, daß durchaus verschiedene Traditionen sich an den Namen des Großen Königs anknüpfen ließen. Auch an Verurteilung und Abwendung hat es nicht gefehlt. Die Romantik und das deutsche Nationalempfinden konnten unmittelbaren Anstoß nehmen. In Preußen selbst und jedenfalls im Militär behielt im Zusammenbruch des Staates die positive Wertung doch die Oberhand. Freilich war diese in sich nicht einhellig. Ein charakteristischer Zwiespalt entstand, der sich in der Überlieferung des Friedrich-Bildes durch alle Generationen hindurch weiter verfolgen läßt und in den sich die jeweiligen aktuellen Tendenzen der Zeitlage hineinmischen konnten. Sowohl starre konservative Reaktion wie fortschrittliche Reform-gesinnung haben sich auf ihn berufen.

Allerdings konnte Friedrich deshalb leicht im Sinne eines einfachen Festhaltens an den überkommenen Einrichtungen und sozialen Verhältnissen mißdeutet werden, weil er die altständische Gesellschaftsgliederung in den absolutistischen Staat eingbaut und damit zwar ihrer Eigenständigkeit beraubt, aber ihr Gefüge in der Erhaltung der sozialen Schranken bewahrt hatte. Das bedeutete eine Gleichsetzung von Berufs-und Geburtsständen, die abgesehen vom Geistlichen in seiner über alle Standesunterschiede erhabenen Sonderstellung, einem jeden den Be-ruf entsprechend seiner Herkunft mit nur geringen Ausweichmöglichkeiten vorschrieb. Das war an sich nichts dem preußischen Staate ausschließlich Eigentümliches, wurde aber hier mit der nirgends so weit getriebenen politischen Entrechtung des Adels in der straffen Rationalisierung selbst der Familien-und Blutsbande auf die Spitze der höchstmöglichen Perfektion getrieben, wie Friedrich Meinecke in unübertrefflicher Analyse dargetan hat

Mochte nun auch in den selbstbewußten Vertretern eines an seinen ständischen Vorrechten festhaltenden Adels die Nivellierungstendenz des Absolutismus, die dem modernen Liberalismus vorgearbeitet hat, feindliche Gefühle geweckt haben, die sich auch noch bis in die Epoche des Zusammenbruches erhalten hatten, so daß gerade hier ein unmittelbares Anknüpfen an die preußische Tradition am wenigsten möglich scheinen könnte, so waren es gerade solche Elemente, die den Zusammenbruch des Staates eben jener Tendenz zuschrieben und das Heil in einer Regeneration altständischen Lebens erblickten, also ganz und ohne jede Einsicht in die Forderungen der Stunde sich restaurativen Neigungen hingaben. Damit aber wurde dann eine Tradition geschaffen, die mit dem wahren Preußentum nichts mehr gemein hatte. Der Konservatismus aber konnte sowohl als altständische Sozialgesinnung wie als absolutistischer Bürokratismus in Erscheinung treten.

Reform

Dabei war klar, daß es weder alles beim alten bleiben noch die notwendige Reform durch Repristinierung einer unwiderbringlich dahingeschwundenen Vergangenheit geleistet werden konnte. Das Künstliche und Krampfhafte, das der preußischen Staatsschöpfung anhaftete, mußte gelöst und in freies Wachstum übergeführt werden, wenn der Staat erhalten bleiben sollte. Dabei konnte, ja durfte es nicht auf die Erhaltung bestimmter Formen in Staat und Gesellschaft ankommen, sondern auf die Erhaltung des Geistes der Sachlichkeit und Pflichterfüllung, der hinter den bisherigen Formen gestanden hatte, nun aber aus der Erkenntnis der Notwendigkeit ihrer sachgemäßen Abwandlung das Alte preisgeben und neue Formen finden mußte. Das war jene „Tradition der Traditionslosig-keit", die sich in der Erhaltung und Umwandlung des Staates zugleich bewähren mußte. „Die alten Formen zerstören, die Bande des Vorurteils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und sie in ihrem freien Wachstum nicht hemmen...“, so hat Scharnhorst 1807 das Programm der preußischen Reform umschrieben.

Unbedenklich griff Gneisenau in das „Zeughaus der Revolution“, wie er sagte, und Steins Ziel war, um mit den Worten seiner berühmten Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 zu sprechen, „die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihrer Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und National-Ehre." Stein war sich klar darüber: „Der elende Kastengeist muß aus den Zivil-und Militär-Verhältnissen heraus, um so mehr, da in der adligen Kaste die reicheren Individuen verweichlicht, die ärmeren anspruchsvoll und halbgebildet oder oft ganz roh sind." (an Reden 7. 6. 1807). Und Gneisenau: „Die neue Zeit braucht mehr als alte Namen, Titel und Pergamente, sie braucht frische Tat und Kraft." Der junge Clausewitz hatte schon 1804 lange vor dem Zusammenbruch, in privaten Aufzeichnungen niedergeschrieben: „Republiken folgen viel seltener dem Schlendrian als Monarchieen unter mittelmäßigen Königen.“ Er dokumentierte damit die Aufgeschlossenheit des echten Preußentums gegenüber den Realitäten der Politik im Gegensatz zu allem engstirnigen Konservatismus, der sich zu Unrecht auf die preußische Tradition berufen hat. Denn nicht von der preußischen Tradition, die an den Einrichtungen des Staates, wie sie sich im Siebenjährigen Kriege bewährt hatten, um jeden Preis festhalten wollte, sondern von jener Tradition der unbedingten Sachlichkeit und Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf persönliche Neigungen und auf ererbte, aber vielleicht wesenlos gewordene „Rechte“ konnte und mußte die Erneuerung Preußens ausgehen. Sie, die Reformer, waren in diesem Sinne die „echten Preußen“, nicht die alteingeborenen Söhne der Mark, wie Marwitz oder Finckenstein, die in inniger Verbindung von Standes-egoismus und Vaterlandsliebe eine Restauration der alten Stände wollten und den Nieder-bruch des Staates auf die Aufklärung, überhandnehmende Bildung und den dadurch genährten Übermut der „Untertanen“ zurückzuführten. Und alle jene „Ausländer“, die Scharnhorst, Gneisenau, Stein usw., sie repräsentierten das Preußentum, obwohl sie keine gebürtigen Preußen waren. Denn nicht Blut und Erbe macht den Preußen, sondern die unbedingte Sachlichkeit und die durch nichts beirrbare Hingabe an die Pflicht. Die zukunftsträchtigsten Elemente des Deutschtums sind damals in das Preußentum eingegangen und haben jene Tradition der „Traditionslosigkeit“ und der Sachlichkeit bereichert und weitergetragen, indem sie den Staat des Absolutismus selbst sich umzubilden halfen.

Doch haben sie nicht die ganze Vergangenheit einfach preisgegeben. Scharnhorst liebte den „historischen Beweis“, wie Clausewitz gesagt hat, und Stein suchte die ständische Selbstverwaltung für die neuen Formen des demokratischen Staates nutzbar zu machen, wie ja die moderne parlamentarische Demokratie in den Ländern mit ungebrochener historischer Entwicklung unmittelbar aus der alten ständischen Vertretung herausgewachsen war. An die Stelle der korporativen Vertretung mußte überall die individuelle treten. Das hat Humboldt mit klarem Blick für die Notwendigkeiten einer Staatsverfassung aus der historischen Entwicklung der europäischen Staaten gefolgert. Dabei hat Clausewitz gesagt: „In niemand erkenne ich leichter die Schwäche und Beschränktheit des Kopfes, als in denen, welche bei dem wirbelnden Strudel einer außerordentlichen Erscheinung mit anscheinender Leichtigkeit und Grazie auf der Oberfläche bleiben und den Strom zu leiten scheinen, weil sie von ihm getragen werden. Wirklich glaubt man anfangs, sie hätten ihn am allerbesten begriffen, weil sie nicht wie andere mit ihm in Widerspruch und Kampf zu sein scheinen. Aber im Grunde beweist das nur ihre spezifisch leichtere Natur. Die Geister, welche des Widerstandes wegen in den Schlund hinabgeworfen und mißhandelt worden sind, welche im ersten Augenblick ganz unterzugehen, aus der Reihe vernünftiger Wesen vertilgt zu werden scheinen, werden die Natur der Erscheinung am besten erkannt haben. Eine Erscheinung, welche uns aus der dunklen Zukunft plötzlich entgegentritt, wird, wenn sie auch nicht neuer Natur sein sollte, doch im ersten Augenblick den glatten und eingeübten Ideen Stillstand gebieten und zuweilen auch manche Bewegung in verkehrter Richtung hervorbringen; es ist die Krise, in welcher unser betrachtender Verstand nach dem Resultate einer neuen Erkenntnis ringt. Was soll man nun von denen glauben, die, feigen Ausreißern, welche die Waffen wegwerfen, ähnlich, bei dem ersten Augenblick des Neuen und Außerordentlichen, Geschichte, eigene Erfahrung, lang erkämpfte Grundsätze, Selbstgefühl, kurz die ganze Rüstung des Geistes von sich werfen?“

Also ganz gewiß nicht leichtfertig und radikal in der Preisgabe der Vergangenheit, sondern in ruhiger Überlegung von Gegenwart und Vergangenheit sind die Reformer zu ihren Forderungen für die Zukunft gelangt. Diese Tradition der Traditionslosigkeit, um das Paradoxon noch einmal zu gebrauchen, war eben doch eine „Tradition“, die sich dessen bewußt war, in einem Zusammenhang mit Vergangenheit und Zukunft zu stehen und aus ihm heraus handeln zu müssen. Das kann gelegentlich sogar als Konservatismus aufgefaßt werden, aber es ist kein Konservatismus im Parteisinne, sondern ein Konservatismus, der fortschrittlic gesonnen ist und das Veraltete der Vergangenheit überwunden hat. Damit aber hat die Reformzeit der altpreußischen Tradition der Sachlichkeit und Pflichterfüllung ihrerseits einen neuen Zug hinzugefügt, den sie den Nachfahren hinterlassen hat, wie eben jede Generation die überkommene Tradition mehrt und bereichert. Sie fügte zum Rationalismus der Vergangenheit den Historismus der Gegenwart, und damit erst wurde das Preußentum in seiner Komplexheit vollständig. Der pure restaurative Konservatismus konnte es nur verfälschen, und an dieser Verfälschung hat es denn auch von Anfang an nicht gefehlt.

Restauration und Verfälschung

Neben dem echten Preußentum entstand in der Zeit der Restauration eine stagnierende, rückwärts gewandte Tradition, die aus emotionalem Empfinden, Ressentiment und Romantik bestand und selbst, wie bei Yorck, mit Härte und Energie gepaart sein konnte. Sie stand im Zusammenhang mit einem allgemein europäischen Vorgang, der in Karl Ludwig von Haller, Joseph de Maistre und Adam Müller seine theoretische Ausprägung erfuhr und in Preußen sich mit spezifischen Eigentümlichkeiten eigenständiger Überlieferung zu einer festen Parteidoktrin verknüpfte. Am deutlichsten tritt sie uns in den Anfängen in der markigen und bei aller Skurrilität sympathischen Gestalt von Friedrich August Ludwig von der Marwitz entgegen. Echtes Lebensgefühl und die Überzeugung von dem eigenen bodenständigen Recht, das mit dem Rechte des Königs gleichen Ursprungs war (Yorck zum Prinzen Wilhelm: „Wenn Ew. Königliche Hoheit mir und meinen Kindern ihr Recht nehmen, worauf beruhen denn die Ihrigen?“), machte ihn und seine Standesgenossen zu unbedingten Opponenten einer jeden Reform im Sinne eines sozialen Ausgleichs mit dem Ziel eines einheitlichen Staats-bürgertums. Damit aber setzten sich diese Vertreter einer an ihren Standesvorrechten hängenden Aristokratie in Gegensatz zu den realen Notwendigkeiten des Staates. Die politische Romantik, die an sich eine allgemeine europäische Bewegung war, mochte überall sonst eine relative Berechtigung und einen Sinn haben, in Preußen stand sie im Widerspruch zur Herkunft und zum Lebensgesetz des Staates.

Abfall vom Preußentum

So bedeutete es recht eigentlich den ersten entscheidenden Abfall vom Preußentum, als sich nach den Befreiungskriegen der preußische Staat von der allgemeinen restaurativen Tendenz in Europa, speziell von Österreich und Rußland, ins Schlepptau nehmen ließ. Das hatte sowohl eine innen-wie eine außenpolitische Seite, die beide aufs engste miteinander verknüpft waren. Eine Fortsetzung der preußischen Reform mit ihrer liberalen Tendenz hätte notwendig den Staat in Konflikt mit Österreich gebracht, und die durch das Intermezzo der Restauration bis 1866 vertagte Entscheidung wäre schon unmittelbar nach den Befreiungskriegen gefallen. Österreich war die Verkörperung des Alten schlechthin, und der „Bruderkrieg", tieftragisch wie er empfunden wurde, war eine historische Notwendigkeit. Ihr hat man sich in Preußen in der Situation von 1819/1820 entzogen, einerseits aus dem Bedürfnis nach Frieden in der Erschöpfung nach der Napoleonischen Kriegs-periode, andererseits in der Furcht vor einer Revolution, in der sich monarchischer Konservatismus mit aristokratischem Parteigeist treffen konnte.

Das Jahr der Karlsbader Beschlüsse ist zugleich das Jahr der Entlassung von Boyen und Grolman, Humboldt und Beyme gewesen. Ewig denkwürdig werden die Formulierungen bleiben, mit denen 1899 im zweiten Bande seiner Boyen-Biographie Friedrich Meinecke das preußische Problem in dieser Lage gekennzeichnet hatte: „Versöhnung und Ausgleichung der sozialen Gegensätze und politische Erziehung aller Stände war das brennende Bedürfnis dieses Staates. Daß die so verheißungsvoll begonnene Durchdringung des Adels mit den reformerischen Ideen ins Stocken geriet, daß der Liberalismus des Bürgertums in eine radikale Opposition gedrängt wurde, daß der Bauernstand politisch vernachlässigt und große Teile desselben von den Gutsherren wirtschaftlich protalisiert wurden, das waren Shäden, die sich im Laufe des Jahrhunderts noch schwer gerächt haben. Der 18. März 1848, die Verbitterung der Konflikts-zeit, der Starrsinn des verknöcherten Grund-adels und der verknöcherten Bourgeoisie, selbst zum Teil die agrarische Krisis der Gegenwart, das alles reicht in seinen Wurzeln in die trübe Zeit nach 1819 zurück. Was Gutes und Tüch-tiges trotzdem jetzt noch geschaffen wurde, der Zollverein vor allem, das war das Verdienst derjenigen Teile der Reformpartei, die noch im Amte blieben, und der gesunden Kräfte in Volk und Staat überhaupt. . .. Eine Geschichtsauffassung, die in der nationalen Einigung von 1870 ihr Zentrum hatte, konnte wohl meinen, daß alles so kommen mußte, wie es gekommen ist, und konnte die Schatten verschmerzen über dem Lichte. Das jüngere Geschlecht aber, das unter der Last schwerer, fast unlösbar scheinender sozialer Probleme seufzt, darf wohl sehnsüchtig zurückschauen zu den leuchtenden Gedanken der Reformzeit, in denen sich Staat und Humanitätsideal miteinander vermählten und in denen jedem Stande die Stätte wurde, wo er, gebend und nehmend, lehrend und lernend, sich ausleben konnte. — Leuchtende, ewige Gedanken trotz ihrer zeitlichen Bedingtheit. . .“

Preußen und die deutsche Einheit

Doch war mit der Wendung von 1819 die altpreußische Tradition der Sachlichkeit und „Traditionslosigkeit“ keineswegs etwa überwunden oder ausgeschaltet. Vielmehr hat sie sich, durch den Historismus der Reformzeit verstärkt, in den lebendigsten Kräften des Beamtentums und der Bevölkerung, auch der Armee erhalten, freilich nunmehr in ständigem Wider-streit und Kampf mit dem romantischen Konservatismus, mochte er von der ständischen Aristokratie oder dem Monarchen vertreten werden. Gewiß war mit dem Anschluß Preußens an die restaurative Bewegung und der Preisgabe des Königlichen Versprechens einer Repräsentativverfassung ein verhängnisvoller Weg eingeschlagen, auf dem die Ungebrochenheit der preußischen Konzeption der Sachlichkeit bis zu einem gewissen Grade auch bei den Trägern einer echten preußischen Gesinnung verloren gehen konnte, aber eben jene Gesinnung war doch nicht tot und bot immer wieder die Möglichkeit der Rückbesinnung auf ihre Prinzipien und der Neuorientierung an den Notwendigkeiten von Gegenwart und Zukunft. Und es waren wie in der Reformzeit keineswegs ausschließlich oder auch nur in erster Linie die eingeborenen Söhne des Landes, die in diesem Sinne das Preußentum verkörperten, sondern Preußen blieb das Sammelbecken für die vorwärts strebenden Elemente von ganz Deutschland, die über die lose Form des Deutschen Bundes von 1815 hinaus zu einer engeren und festeren Verbindung der deutschen Staaten gelangen wollten.

So ist Moltke, der, in Mecklenburg geboren, 1822 nach Preußen gekommen war, alsbald von dem Geist der Nation ergriffen worden, und 1831 hat er die Worte gefunden: „Was seit Entstehung des Königreichs Preußens diese Monarchie charakterisierte, ist vor allem ein unaufhaltsames, aber ruhiges Fortschreiten, eine stetige Entwicklung und eine Ausbildung seiner inneren Verhältnisse ohne Sprünge und ohne Revolutionen, welche Preußen an die Spitze der Reformation, der Aufklärung, der liberalen Institutionen und einer vernünftigen Freiheit — mindestens in Deutschland — gestellt haben“. Es ist kennzeichnend, daß an diesem Satz von englischer Seite Anstoß genommen worden ist, und zwar deshalb, weil er in einer Zeit ausgesprochen wurde, „als Unterdrückung an der Tagesordnung war" („when repression was the Order of the day“: The Times Literary Supplement 4. Sept. 1959, S. 501). Vielleicht darf man gerade den Engländer daran erinnern, daß zu derselben Zeit Richard Cobden gesagt hat:

„Preußen muß als ein aufsteigender Staat angesehen werden. ... Ich vermute sehr stark, daß für die große Masse der Bevölkerung Preußen gegenwärtig die beste Regierung in Europa besitzt. Ich würde freudig meine Neigung aufgeben, über Politik zu sprechen, wenn ich einen solchen Stand der Dinge für England erreichen könnte. Hätte unser Volk solch einfache und sparsame Regierung, so tief durchdrungen von der Pflicht der Gerechtigkeit gegen alle, und so beharrlich bestrebt, das Volk geistig und moralisch zu heben, wieviel besser würde es sein für die 12 bis 15 Millionen im Britischen Reich, die kein Wahlrecht besitzen und doch freie Bürger zu sein glauben, und die in der Vorstellung, sie seien keine Leibeigene, hinein-getäuscht worden sind durch jenes große Gaukelspiel der englischen Verfassung. ... Die preußische Regierung ist die mildeste jemals vorgekommene Erscheinungsform des Absolutismus. ... In England wundert man sich manchmal, was aus den Tausenden von studierten Leuten wird, die beständig aus den deutschen Universitäten hervorgehen, während doch so wenige in die Wirtschaft gehen. Solche Leute bekleiden sämtliche Amts-und Regierungsstellen, und sie brauchen nicht tausend Pfund Jahresgehalt, um in Preußen respektabel oder respektiert zu sein. Der herausfordernde Aufwand ist doch nicht respektabel“.

Die „Unterdrückung“ jener Jahre in Preußen soll und darf nicht vergessen werden. Aber sie entspricht nicht, um es noch einmal mit allem Nachdruck zu sagen, der echten Tradition des Preußentums, sie bedeutet vielmehr deren Preisgabe, aus der heraus sich erst wieder der Staat ermannen und zu seinem Prinzip zurückfinden mußte. Es war ein fremder Einfluß, von dem man sich erst wieder frei machen mußte. Hierin liegt die „Spannung“, das „Janus-Antlitz“ oder das „Doppelgesicht“ des preußischen Staates im 19. Jahrhundert begründet, von dem eingangs die Rede war. Es ist erst dadurch entstanden, daß in die ursprüngliche und echte Tradition der Sachlichkeit oder „Traditions-losigkeit" zeitbedingte oder wesensfremde materiale Elemente eindrangen wie in eine leere Hülle und die fortschreitende Entwicklung des Staates hemmten. In diesem Sinne sind nicht die Brüder Gerlach und Friedrich Wilhelm IV. im 19. Jahrhundert die „echten“ Preußen gewesen, sondern Bismarck und Wilhelm 1. Alles aber, was an der Staatsschöpfung Bismarcks und Wilhelms I. bedenklich und gefährlich sein konnte, war aus der Notwendigkeit der Über-windung jener Spannung im Widerstreit gegen abweichende Tendenzen, die eben jener fremde Einbruch wenn nicht erzeugt, so doch gefördert hatte, hervorgegangen.

Durch die Revolution von 1848 und durch den Konflikt von 1861/62 war nämlich alles heillos kompliziert worden. Damit entstanden Fronten und versteiften sich zu unvereinbaren Gegensätzen, die einen Ausgleich und eine Aussöhnung der Bevölkerungsschichten, wie sie 1815 ohne weiteres möglich gewesen wären, wenn der Adel die entsprechende Einsicht gehabt hätte, unmöglich machte. Ohne Kampf konnte die Einheit nicht wieder gewonnen werden, und es ist allerdings echte preußische Tradition gewesen, sich dem Kampfe, wenn er unausweichlich wurde, nicht zu entziehen. In diesem Sinne waren selbst der Kulturkampf und das Sozialistengesetz Elemente freiheitlicher Staatsentwicklung, die sich von überstaatlichen Potenzen, gleichviel welcher Herkunft, nicht vergewaltigen lassen durfte. Der Blick hierfür ist freilich der gegenwärtigen Generation einigermaßen abhanden gekommen, obgleich gerade die heutige Situation ihn im Hinblick auf die Notwendigkeit der Verteidigung der eigenen Gesellschaftsordnung gegen Despotismus der Macht und der Ideologie wieder schärfen sollte. Jedenfalls im Grundsätzlichen sollte darüber kein Streit sein, so weit auch natürlich im einzelnen die Meinungen noch auseinandergehen mögen, speziell was die bei alledem gemachten einzelnen Fehler betrifft.

Bismarck

Bismarck hat nicht, wie man vielfach gemeint hat, aus der Tradition willkürlicher Aggression zum Zweck der Vergrößerung des Staates und Mehrung seiner Macht gehandelt, sondern aus dem Gefühl seiner Verpflichtung zum Dienst am Staate und insofern aus echter preußischer Tradition. Damit ist Preußen wieder eingelenkt in die Bahn der Politik, die es nach 1815 verlassen hatte. Nur freilich: man kann nicht zweimal in denselben Fluß springen. Insofern war nun dieser Neuanfang mit starken Belastungen versehen, die in der Zwischenzeit entstanden waren und nicht ohne weiteres beseitigt werden konnten. Das wichtigste dabei waren die doktrinär ideologischen Schranken, die von den politischen Parteien aufgebaut worden waren und den Blick für die Wirklichkeit versperrten. Bismarck mußte mit den politischen Parteien rechnen und hat mit ihnen zusammengearbeitet, soweit sie nicht den Bestand der Staats-und Gesellschaftsordnung überhaupt in Frage stellten, indem er sich an die wahren und echten „Interessen“ des Staates im Gegensatz zur „Tendenzpolitik" der Heiligen Allianz orientierte. Das gab keinen starren, sondern einen flexiblen Maßstab, der es ihm gestattete, sich anzupassen und auch die „Partei“ zu wechseln, aber ein grundsatzloser reiner Opportunismus war es nicht. Er war in seinem Gewissen an seine Aufgabe, seinen „Dienst" gebunden, nicht anders im Grunde, als auch Friedrich der Große oder der Soldatenkönig ihr Königtum als ein gegebenes, als eine „Aufgabe“ ansahen, die sie, ohne nach dem Warum zu fragen, zu erfüllen hatten. „Nach meiner Ansicht“, so schrieb Bismarck noch vor seiner Ministerzeit, „beschränkt sich die Pflicht eines preußischen Monarchen, Rechtsschutz zu üben, auf die ihm von Gott gezogenen Grenzen des preußischen Reiches; die auswärtige Politik ist nur Mittel, der preußischen Krone die Kraft, den eigenen Untertanen Rechtsschutz gewähren zu können, zu erhalten, zu sichern, zu vermehren, und ich halte dafür, daß wir uns bei Umwälzungen im Auslande nicht zu fragen haben, was in der Sache nach neapolitanischem, französischem, österreichischem Recht rechtens sei, sondern daß wir unsere Parteinahme danach einrichten, welche Gestaltung des Auslandes die günstigste sei für die Machtstellung und Sicherheit der Krone Preußen. Das Schwert unserer Gerechtigkeit kann nicht über die ganze Welt reichen ...“

Das ist die sogenannte Bismarcksche „Realpolitik“ — Bismarck sagte „Interessenpolitik“ — gewesen, die als solche das Element der Tradition durchaus gekannt hat, aber eben in jenem „preußischen" Sinne der Vorurteilslosigkeit und Sachlichkeit, die stets wieder die materielle Neuorientierung an der veränderten Sachlage verlangt. Bei Bismarck erhielt sie noch eine ganz persönliche Note durch die religiöse Ausprägung, die sie bei ihm erfuhr. Aber diese bestand nicht etwa in dem Hereintragen religiöser oder konfessioneller Zielsetzung in die Politik, sondern im Gegenteil in der Bezogenheit des ganz im Lutherischen Sinne als Gottesdienst aufgefaßten sachgerechten weltlichen Handelns auf das Gewissen. Man kann ihn deshalb auch nicht schlechtweg als einen „Konservativen“ im Wortsinne bezeichnen, er war konservativ doch nur im Hinblick auf die Geschichte, die man nach seiner Überzeugung nicht willkürlich „machen“ kann, sondern der man sich als Staatsmann anpassen muß, um in ihr dasjenige zu tun, was der Augenblick erfordert, also im Sinne der Historismus des 19. Jahrhunderts: „Der Strom der Zeit läuft seinen Weg doch, wie er soll, und wenn ich meine Hand hineinstecke, so tue ich das, weil ich es für meine Pflicht halte, aber nicht, weil ich seine Richtung damit zu ändern meine." Und: „Ich bin preußisch, und mein Ideal für auswärtige Politik ist die Vorurteilslosigkeit, die Unabhängigkeit der Entschließungen von den Eindrücken der Abneigung oder der Vorliebe für fremde Staaten und deren Regenten.“ Die Politik aber darf keinen Utopien nachjagen und muß Maß halten im Erfolg. Der Staat ist hineingestellt in eine Welt von anderen in bezug auf ihre recht verstandenen „Interessen" grundsätzlich gleichberechtigten Mächten: „Jede Großmacht, die außerhalb ihrer Interessensphäre auf die Politik der anderen Länder zu drücken und einzuwirken und die Dinge zu leiten suchte, die perikletiert außerhalb des Gebiets, welches Gott ihr angewiesen hat, die treibt Machtpolitik und nicht Interessenpolitik, die wirtschaftet auf Prestige hin. Wir werden das nicht tun . .

Also keine „Willkür“, keine Aggression und keine Machtgier, so viel Sinn für Macht Bismarck auch gehabt haben mag, sondern Gelten-lassen des Partners, selbst des Gegners, Rücksichtnahme und Abgrenzung der Interessen, wenn sie aufeinanderstoßen, und wenn es zum Krieg kommt, seine möglichst baldige Beilegung unter Wahrung der „Interessen" des Staates, aber nicht mit dem Ziel zu richten und zu strafen, oder gar Rache zu nehmen. Dabei enthält natürlich die inhaltliche Bestimmung des „Staatsinteresses“ ein Element subjektiver Entscheidung und damit eine Fehlerquelle, aber grundsätzlich orientiert sich solche Politik an den Möglichkeiten einer Lage und nicht an Illusionen und Wunschbildern, denen keine Realität zugrunde liegt.

Indessen war der reaktionäre Konservatismus, der sich seinerseits auf das Preußentum und die preußische Tradition berief, keineswegs tot. Er lebte wesentlich in der alten konservativen Partei fort, die in offenen Zwiespalt mit dem großen Kanzler geriet und vor groben Verdächtigungen seiner Person nicht zurückscheute. Dabei haben die Konservativen die Außenpolitik Bismarcks und die Einigungskriege selbstverständlich freudig begrüßt, ja verherrlicht und in der Fehldeutung das Schlagwort von „Blut und Eisen“ gefährlich vergröbert in ihre preußische Tradition mit hinübergenom-men, so daß von hier aus jene Legende der fortgesetzten schneidigen Aggression, die Deutschland so mißliebig in der Welt gemacht hat, genährt werden konnte. Aber „was helfen die äußeren Erfolge, wenn der innere Halt und die Zucht verloren gehen!“ So hatte 1874 Diest-Daber klagend und anklagend ausgerufen. Die innere Spannung zwischen dem Staat und den Parteien blieb auf diese Weise bestehen, ja nahm womöglich noch zu. Die Fronten konnten auch gelegentlich völlig durcheinander geraten und die Situation unklar machen. Doch hielt Bismarck seinen Kurs unbeirrt bei. Natürlich war für Bismarck die militärische Stärke des Reiches die Bedingung seiner Existenz, und er erblickte in der monarchisch-militaristischen Struktur Preußens eine unabdingbare Notwendigkeit in den im Innern wie von Außen dro-henden Gefahren. Das war eine zeitbedingte Konstellation, deren Berechtigung sich nicht verkennen läßt. Die Komplikation, die die überragende Größe des Staatsmannes ähnlich wie einst unter Friedrich II. für Mit-und Nachwelt mit sich brachte, weil einfach niemand da war, der ihn ersetzen oder sein Erbe übernehmen konnte, ist dabei gewiß nicht außer acht zu lassen. Trotzdem war entscheidend nicht so sehr, welche Person, sondern welche Richtung ihn ablösen würde, ob die alte Tradition der Sachlichkeit weiter herrschen, das echte Preußentum dominieren, oder ob der reaktionäre Konservatismus einer preußischen Pseudotradition zur Herrschaft kommen würde.

Der zweite Abtall vom Preußentum

Tatsächlich ist es 1890 mit der Entlassung Bismarcks zu dem nach 1819 zweiten entscheidenden Abfall vom Preußentum gekommen: Der junge Kaiser, der ihn stürzte, so „fortschrittlich“ er sich gab und in der Sozialpolitik auch wirklich sein wollte, er war zutiefst Repräsentant eben jenes reaktionären Konservatismus, in den Auswirkungen nur noch gesteigert durch die selbstherrliche Willkür und das unstet zu-fahrende Wesen seiner Persönlichkeit mit allen ihren äußerlich so glänzenden Gaben. Nichts ist dafür kennzeichnender als die Ansprache, mit der er an jenem denkwürdigen 18. März 1890 die bevorstehende Entlassung Bismarcks den Generalen ankündigte. Der Kaiser fand „nur Worte des Zornes und Hohns“, wie Paul Bronsart von Schellendorff berichtet, der uns die Szene in seinem Tagebuch überliefert hat Nach allgemeinen Bemerkungen über das hohe Lebensalter und die den Verkehr erschwerende nervöse Reizbarkeit des Kanzlers erläuterte er die konkreten Meinungsverschiedenheiten: die Arbeitsschutzgesetzgebung, die Kabinettsordre von 1852, deren Kassierung der Kaiser verlangte, das Verhältnis zu Rußland, wobei er dem Kanzler „Anbändelungen", die gegen Österreich gerichtet wären, unterstellte. „Ich habe aber dem Kaiser von Österreich versprochen, zu ihm zu halten, und will das auch.“ Ganz militärisch verlangte er unbedingten Gehorsam: „Er verweigert mir die Heeresfolge und will nicht nachgeben. Ich aber kann solche Minister nicht brauchen; diese müssen mir vielmehr gehorchen!“ Ein Argument, das er wiederholte, als er von der persönlichen Zuspitzung der Krisis in der Unterredung vom 15. März sprach: „Über alle diese Dinge habe ich am vorigen Sonnabend mit dem Reichskanzler eine sehr erregte Unterhaltung gehabt, bei welcher er die Grenzen der mir schuldigen Ehrerbietung überschritten hat. Gestern habe ich meinen Generaladjutanten General von Hahnke zu ihm geschickt mit der Forderung, mir entweder die besprochene Ordre zu schicken oder sein Abschiedsgesuch einzureichen. Ersteres hat er abgelehnt. Der Reichskanzler will also nicht Ordre parieren! Er muß also fort!" Und zum Schluß der Hinweis auf die vom Kanzler beherrschte „lügenhafte Presse“, die gewiß nicht ermangeln werde, „mich, da ich mit Rußland nicht hinter dem Rüchen Österreichs verhandeln will, kriegerischer Absichten zu beschuldigen.“ Deshalb müßten die Generale die wahren Gründe des Bruches von ihm erfahren.

Etwas derartiges hatte Preußen noch nicht erlebt, auch nicht, als Friedrich Wilhelm III.den Freiherrn vom Stein einen „widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener“ genannt hatte (3. Jan. 1807), obschon dieser Vorgang noch am ehesten jenem an die Seite zu stellen wäre. Aber das war doch wenigstens keine Rede vor versammeltem Kriegsvolk gewesen, und damals hatte sich der preußische König auch alsbald überwunden. Nicht Bismarcks Abgang als Tatsache ist dabei das Wichtigste. Über kurz oder lang mute er bei seinem hohen Lebensalter doch gehen, und in der innenpolitischen Entwicklung war er 1890 gewissermaßen in eine Sackgasse geraten. Friedrich Meinecke schildert uns in seinen Erinnerungen, wie er damals aus dem Widerstand Bismarcks gegen eine Sozialreform die Unvermeidbarkeit der Entlassung gefolgert habe. Dies und anderes ließ sich anführen. Erschütternd wirkt die Art, wie der Kaiser die Entlassung auffaßte, so daß er am 18. März 1890 in dieser Weise von ihr sprechen konnte. Denn diese Art hat nun auch die künftige Politik des Reiches beherrscht und ist zur Signatur der Wilhelminischen Epoche geworden, die in der Katastrophe des ersten Weltkrieges zu Ende ging.

Wilhelm II. und die Veräußerlichung der Tradition

der Entlassung Bismarcks kam ein Element autokratischen Herrschertums zur Geltung, das sich auf Friedrich den Großen, Friedrich Wilhelm I. und den Großen Kurfürsten zurückführen ließ und insofern zu jener verhängnisvollen reaktionär-konservativen Verfälschung der preußischen „Tradition" gehört, die in der Restaurationszeit begonnen hatte. Im Zeitalter des Konstitutionalismus mit der Tendenz zur parlamentarischen Demokratie wurde der Absolutismus zum Grundpfeiler preußischer Tradition erklärt: das war ein Anachronismus, wie er krasser nicht gedacht werden kann! Aber noch bedenklicher war, daß Wilhelm II. dieses autokratische Herrschertum friederizianischen Angedenkens gar nicht verwirklicht hat und somit die ganze darauf gegründete „Tradition“ Schein, Phrase, Rhetorik und Dekoration blieb. Im Grunde ist Bismarcks Entlassung der einzige Akt der Betätigung des autokratischen Herrscherwillens Wilhelms II. von wirklich politischer Tragweite geblieben. Alles andere beschränkte sich auf Äußerlichkeiten, die eine Fiktion aufrecht erhielten, an deren wesenlosem Schein sich der Kaiser selbst genügen ließ. Das hat Fritz Hartung in seiner Studie über „Das persönliche Regiment Kaiser Welheims II.“

eindrucksvoll und überzeugend dargetan. Damit wurde die echte Tradition preußischer Sachlichkeit und Pflichterfüllung ausgehöhlt und untergraben. Überall hat Wilhelm II. trotz seiner Vorliebe, ja Aufgeschlossenheit für Technik und Industrie, für Weltgeltung und Handelsausbreitung an veraltete Formen angeknüpft: Eskarpins und Fahnen und Standarten, Ordensverleihungen und Standeserhöhungen aus den geringfügigsten Anlässen, Uniformveränderungen, Wiedereinführung alter Hofstaatstitel und Rang-bezeichnungen; und das, was man „Militarismus“ nannte, konnte jene Patina der „schimmernden Wehr“ annehmen, die zur Schaustellung, aber nicht zur Repräsentation wahrhafter kriegerischer Stärke diente. „Was mir an dem Kaiser gefällt“, so hat Theodor Fontane 1897 geschrieben, „ist der totale Bruch mit dem Alten, und was mir an dem Kaiser nicht gefällt, ist das im Widerspruch dazu stehende Wiederherstellenwollen des Uralten ..." und bringt damit die Empfindung für den darin liegenden Widerspruch auf die kürzeste Formel: „Er glaubt das Neue mit ganz Altem besorgen zu können • . Speziell auf die Rüstung gewandt: . alle militärischen Anstrengungen kommen mir vor, als ob man anno 1400 alle Kraft darauf gerichtet hätte, die Ritterrüstung kugelsicher zu machen, — stattdessen kam man aber schließlich auf den einzig richtigen Ausweg, die Rüstung ganz fortzuwerfen. Es ist unausbleiblich, daß sich das wiederholt; die Rüstung muß fort, und ganz andere Kräfte müssen an die Stelle treten: Geld, Klugheit, Begeisterung . . . durch Grenadierblechmützen, Medaillen, Fahnenbänder und armen Landadel, der , seinem Markgra-* fen durch dick und dünn folgt“, wird er es aber nicht erreichen . . . Preußen — und mittelbar ganz Deutschland — krankt an unseren Ost-Elbiern. Über unseren Adel muß hinweggegangen werden; man kann ihn besuchen wie das ägyptische Museum und sich vor Ramses und Amenophis verneigen, aber das Land ihm zu Liebe regieren, in dem Wahn: dieser Adel sei das Land, — das ist unser Unglück . . . Wir brauchen einen ganz anderen Unterbau. Vor diesem erschrickt man; aber wer nicht wagt, nicht gewinnt. Daß Staaten an einer kühnen Umformung, die die Zeit forderte, zu Grunde gegangen wären, — dieser Fall ist sehr selten. Ich wüßte keinen zu nennen. Aber das Umgekehrte zeigt sich hundertfältig." (5. April 1897)

Fontane hat damals — von einigen Überspitzungen abgesehen — ganz richtig geurteilt und überdies echt „preußisch“ im Sinne der Sachlichkeit, Nüchternheit und Pflichterfüllung empfunden. Er ist zugleich mit einer Fülle von anderen Stimmen der Zeit das lebendige Zeugnis für die Fortexistenz jener echten preußischen „Tradition“ gewesen, und wir brauchen nur noch an seine Lieder vom alten Derfflinger, von Zieten aus dem Busch, von Seydlitz aus Kalkar („und Calcar das ist Sporn“), Schwerin bei Prag und Louis Ferdinand zu denken und sie neben Wildenbruchs patriotische Deklama-In zu stellen, um das Echte von dem Unechten zu unterscheiden. Eines der tiefen und wahren Worte Nietzsches lautete: „. . . ein großer Sieg ist eine große Gefahr. Die menschliche Natur erträgt ihn schwerer als eine Niederlage . . und er hatte von der Gefahr der „Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des .deutschen Reiches'“ gesprochen, und wer weiß, ob dann noch etwas mit dem übrigbleibenden deutschen Körper anzufangen ist!“ Selbst noch in der vielverlästerten preußischen Disziplin steckte ein positives Element, wenn es nicht verabsolutiert, vergröbert, mißbraucht wurde. Auch hier lag das Maß in der Sache, um die es ging, und um dies zu erkennen und einzuhalten, bedarf es neben allen metaphysischen und moralischen Bindungen, die sebstverständlieh sind, der Sachkenntnis, der Selbstzucht und der Selbstlosigkeit: des „travailler pour le roi de Prusse“ in einem höheren Sinne. Ohne freien Willen und Selbsttätigkeit, Initiative und Spontaneität geht das nicht, und alles Scheinwesen verfliegt in der Stunde der Not. Das hat Wilhelm II. schmerzvoll erfahren müssen, als in der bitteren Stunde des 9. November 1918 in Spa „Fahneneid“ und „oberster Kriegsherr" zu Begriffen geworden waren, hinter denen keine Realität mehr stand.

Der Weltkrieg

Bei alledem aber war keine Rede von einer gewaltsam aggressiven Tendenz in der Außenpolitik des Reiches, und nicht einmal der Präventivkrieg wurde als eine mögliche Lösung ins Auge gefaßt Was gleichwohl den Anschein von Aggressivität erwecken konnte, waren die Reden des Kaisers und aller derer, die es ihm gleich taten, mit ihrem forciert schneidigen Ton, der auf die Dauer nirgends ernst genommen wurde. Und doch stand der bittere Ernst des Krieges dahinter, den niemand wirklich wollte, als er ausbrach, ausgenommen diejenigen Militärs aller Nationen, die sich einen „frisch-fröhlichen Krieg“ alter Art versprachen. Als freilich der Krieg ausgebrochen war, wuchsen die Wünsche für den Friedensschluß alsbald ins Unermeßliche, aber nicht nur bei den Mittel-mächten, sondern bei allen Parteien, die mehr oder weniger sämtlich unter dem Eindruck standen, so etwas dürfe niemals wieder geschehen, und um das zu erreichen, müßten im Friedensvertrag die entsprechenden Sicherungen festgelegt werden. Vom Standpunkt „preußischer Tra-dition“ ist dazu nur zu sagen, daß ein Hubertusburger Frieden durchaus in ihrem Sinne gewesen wäre, und es ist schon deshalb ausgeschlossen, einfach in der Kontinuität fortgesetzter Aggression und Eroberungskriege das Wesen des Preußentums und preußischer Politik zu sehen. Was in der Kriegszieldiskussion des ersten Weltkrieges danach aussehen könnte, ist vage und unbestimmt, und so sehr es uns in der Rückschau wegen des Mangels an politischem Augenmaß überrascht und stellenweise erschrecken kann, nirgends handelt es sich um Ziele, die vor dem Kriege gefaßt waren, und nun auch im Kriege blieben sie ohne feste Gestalt

Weimarer Republik

Jedenfalls ist auch in dieser Beziehung der Kampf zwischen echter preußischer Sachlichkeit und maßlosen Wünschen, die sich nur auf eine völlig verfälschte preußische Tradition berufen konnten, ständig hin und her gegangen, und nach der Katastrophe kam alles darauf an, ob jenes echte Preußentum noch lebendig war und den Kern einer neuen Staatsbildung abgeben konnte. Das aber war weitgehend der Fall. Es lebte im Beamtentum, es lebte im Militär, es lebte aber auch in der Sozialdemokratie trotz aller Ideologie und allem Marxismus. Es lebte überall da freilich nicht unvermischt, und das hat mannigfache Komplikationen im Gefolge gehabt. Auch die außenpolitische Schwäche des Staates fiel beträchtlich ins Gewicht. Aber die politische Kontinuität im ganzen blieb gewahrt: die „permanent identische Persönlichkeit“ des Staates, um das Bismarck-Wort zu gebrauchen im Rahmen der großen Politik der europäischen Mächte. Die schwerste Belastung kam dabei, wie wir heute überblicken können, gar nicht von dem Versailler Vertrag, der uns damals als der Inbegriff unserer Katastrophe erschien, sondern von der innenpolitischen Zerklüftung, die es zu überwinden galt ganz im Sinne des Moltke-Wortes von 1848: „Es handelt sich nicht mehr um Monarchie oder Republik, sondern um Gesetzt oder Anarchie."

Die Reichswehr

Das galt besonders für die Armee in ihrer Eigenschaft sowohl als innen-wie als außen-politisches Machtmittel. Für sie mußte der Kampf zwischen dem echten Preußentum und den materiellen Traditionen eines rückständigen Konservatismus um so gefährlicher sein, als sie nach ihrer herkunftsmäßigen Zusammensetzung auf die Zusammenarbeit eben mit den sozialen Schichten angewiesen war, in denen jene überholten Traditionen mit Eifer und Überzeugung gepflegt wurden. Deshalb hatte der Reichskanzler Josef Wirth mit dem ihm so sehr verübelten Worte gar nicht Unrecht: „Der Feind steht rechts!" Mit der Gefahr von links vermochte das deutsche Volk fertig zu werden, wenn sie ihm nur nicht durch eine überstarke fremde Gewalt von außen aufgezwungen wurde. Anders stand es mit der Gefahr von rechts, die den Staat auszuhöhlen imstande war, ohne daß sie als solche erkannt wurde; und Männer, die sich ihr entgegenstellten, selbst Persönlichkeiten wie Rathenau und Stresemann, gerieten in den Verdacht pazifistischer und vaterlandsloser Gesinnung. Dagegen galt es die Kräfte des alten echten Preußentums der Sachlichkeit, Unvoreingenommenheit und Pflichterfüllung aufzurufen, einerseits nicht einem bloßen Opportunismus zu verfallen, andererseits aber den neuen Staat zu stärken und zu halten.

Das hat vor allem auch Seeckt getan. Man mag an seiner Person und seiner Leistung noch so viel auszusetzen haben, was hier alles nicht im einzelnen erörtert zu werden braucht, grundsätzlich hat er, obwohl herkunftsund gefühlsmäßig Monarchist wie alle die alten Offiziere einschließlich Reinhardt und Groener, den neuen Staat anerkannt und diese Anerkennung von seinen Untergebenen verlangt. Nichts ist für diese Haltung bezeichnender als die Richtlinien des Oberkommandos Nord von 1919, die Seeckt verfaßt hatte: „Die Verantwortung für sein Handeln, die für jeden Offizier alle Zeit, im Krieg und Frieden, groß war, ist doppelt schwer in unseren Tagen politischer Entscheidung. Zu tragen ist solche Verantwortung nur, wenn sie auf Pflichtgefühl aufgebaut ist. Seine Pflicht tun, heißt zum Wohle des Ganzen beitragen.

Das schließt jede selbstische Regung aus und fordert Opfer. ... Es mag für manchen schwer sein, die anerzogene Sicherheit der Auffassung und des Pflichtbewußtseins zu bewahren, nach dem der Grund, von dem alle Gewalt im Staate ausging und auf dem er freudig und bewußt das Gebäude seines Handelns errichtet hatte, verschwunden ist . . . Niemand verlangt von dem Offizier das Aufgeben seiner inneren Überzeugung ... Ob uns die heutige Staatsform gefällt oder nicht, ob wir sie für die richtige halten, darauf kommt es nicht an. Heute geht es um den Staat selbst und das Reich . . . Die gemeinsame Not verlangt das Unterdrücken jeder Bitterkeit . . . Die persönliche Meinung muß sich unterordnen der großen Idee der Rettung des Vaterlandes vor dem Untergang."

Derselbe Ton herrscht in den Erlassen an die Generalstabsoffiziere von 1919: „Die Form wechselt, der Geist bleibt der alte. Es ist der Geist schweigender, selbstloser Pflichterfüllung im Dienste der Armee. Generalstabsoffiziere haben keinen Namen . . .“ und: „Unsere Pflicht liegt klar vor uns. Wir müssen mitarbeiten am Zusammenhalt und Wiederaufbau des Reiches, an der Begründung und Entwicklung des neuen Heeres. Wir müssen die Augen weit aufmachen gegenüber den uns auferlegten, nicht mehr ab-wendbaren Notwendigkeiten der neuen Zeit und festen Willens auf neuem Grund an den Aufbau einer neuen Zukunft gehen. Diese Erkenntnis und diesen Willen setze ich bei jedem General-stabsoffizier voraus, und das Verbleiben jedes einzelnen im Generalstab gilt mir als seine Zustimmung. Ein Mann — ein Wort! Auf diesem Grund wollen wir zusammen weiterarbeiten . .

Als von den Offizieren der Eid auf die Verfassung verlangt wurde, hat Seeckt auf die an ihn herangetragenen Zweifel und Bedenken ganz eindeutig entschieden: „Für den, der sich entschlossen hat, zum Wohle des Vaterlandes auch unter der republikanischen Staats’ rm im Heere zu dienen, ist der Eid auf die Verfassung die logische Folge.“ In der Wendung, daß der Eid „nicht der Person des jeweiligen Inhabers der Reichspräsidentenwürde" gelte, hat man freilich eine Abschwächung oder sogar eine Reservatio mentalis sehen wollen, und es mag sein, daß es selbst unter den Offizieren einige gegeben hat, die das so aufgefaßt haben. In Wahrheit aber war es die Anerkennung des modernen Staates, in dem es keine persönliche Bindung an einen Menschen, wie in der Monarchie, geben konnte, sondern stattdessen eine institutioneile an das Vaterland. Im gleichen Sinne hat der „Vorwärts" im Oktober 1922 geschrieben: „Nicht Personen feiern wir, sondern Ideen. Und deshalb rufen wir nicht: Es lebe der Reichspräsident! sondern: es lebe die Republik!“ Das erforderte eine Umstellung gerade vom Soldaten, die manchem nicht leicht geworden, ja vielen offenbar nicht gelungen ist. Seeckt hatte deswegen die bewußte Pflege einer wahrhaften Staatsgesinnung in der Armee als eine Notwendigkeit erkannt und sich in diesem Sinne auch gegen das Mißverständnis vom „unpolitischen“ Soldaten gewandt: „Im Gegenteil, es (ist) notwendig, die Erkenntnis vom Wesen des Staates und unsere Pflicht gegen ihn zu lehren.“ Und so wollte er an die alten Traditionen anknüpfen: „Die Traditionen unseres Heeres liegen weit weniger in der Erinnerung an die seltenen Höhepunkte gewonnener Schlachten, als in dem Geist, der den Alltag beherrscht und den täglichen Dienstzettel in dem stillen, selbstlosen, sachlichen Pflichtbewußtsein ausfüllt. Das sei die Tradition, die ... fortleben soll . . ."

Ebert und Hindenburg

Als lebendiges Beispiel einer solchen Staats-gesinnung können sowohl Ebert wie Hindenburg, die beiden Reichspräsidenten der Weimarer Republik, gelten. Ebert hätte in der Katastrophe des Kriegsausgangs von 1918 an sich die Monarchie gerne erhalten gesehen, die auf jeden Fall einen reibungsloseren Übergang in die Zukunft mit der Erbschaft der Niederlage ermöglicht hätte. Aber die Verhältnisse waren stärker. Doch behielt er die Leitung in der Hand und wuchs aus einem Parteifunktionär zu staatsmännischer Haltung und Größe empor, in-9 dem er die „schwere Aufgabe", die er am 9. November aus der Hand des Prinzen Max von Baden übernahm, zum besten des ganzen deutschen Volkes und nicht einer einzelnen Klasse löste. Im gleichen Sinne aber hat Hindenburg 1925 sein Amt nicht als Repräsentant einer Klasse, nicht als Platzhalter der Monarchie oder als Vertreter militärischen Denkens, sondern als konnte in besonderem Maße zur Aussöhnung der alten konservativen Schichten mit dem neuen Staat beitragen, indem er ihnen den Dienst am Staat in altpreußischer Pflichterfüllung vorlebte.

Wir sind nicht mehr gewohnt, die Dinge in dieser Perspektive zu sehen, nachdem mit der Berufung Hitlers als Kanzler durch Hindenburg 1933 auf diesen das Odium des Scheiterns der Weimarer Republik, des Anfangs der Katastrophe gefallen ist. Es ist jedoch unhistorisch und zudem für die politische Urteilsbildung verhängnisvoll, die Geschichte der Weimarer Republik immer nur von ihrem Ende her zu sehen, wie dies begreiflicherweise zunächst die mit-lebende Generation, freilich nun auch bereits weitgehend die nacharbeitende Forschung bisher getan hat. Diese Perspektive führt dazu, lediglich nach den Ursachen des Mißerfolgs zu su-chen, statt sich die Frage nach den Chancen des Gelingens vorzulegen, an denen dann der Mißerfolg und damit auch die Verantwortlichkeiten gemessen werden können. Das ist die Frage nach den positiven Kräften, die im Weimarer Staat lebendig gewesen sind, unabhängig von den Verfassungsformen, die angeblich den Ausgang unabwendbar gemacht haben. Zu diesen positiven Kräften gehörte als Triebfeder für allen Fleiß, alle Tüchtigkeit und alle Intelligenz des deutschen Volkes von damals jene Staats-gesinnung altpreußischer Prägung, die eben nicht an die Staatsform der Monarchie gebunden ist, sondern jeden Staat erfüllen kann, ja muß, wenn er Bestand haben will. Man ist versucht zu sagen, daß die Verfassungsform demgegenüber fast von untergeordneter Bedeutung ist.

Die völkische Bewegung und das falsche Preußentum

Diese Staatsgesinnung hat sich in der Außenpolitik in Rathenau und Stresemann, in der Innenpolitik in Severing und Brüning, in der Armee in Noske, Seeckt, Geßler und Groener, überhaupt aber in Ebert und auch in Hindenburg verkörpert. Nicht Hindenburg und die Weimarer Verfassung, sondern das deutsche Volk hat versagt, indem Hitler an die Macht kam. Und zu diesem Versagen hat neben allem anderen, was hier nicht aufgezählt werden soll, verhängnisvoll jene falsche konservative Tradition beigetragen, die sich tragischerweise weitgehend in echter Überzeugung auf das Preußentum berief, sei es, daß sie im Gewände eines engstirnigen Konservatismus im Sinne von Oldenburg-Januschau und Hugenberg auftrat, oder auch im Gewand der Volkskonservativen oder der sogenannten konservativen Revolution. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß die schärfsten Angriffe auf die Demokratie aus diesem Lager gekommen sind, noch ehe der Nationalsozialismus seine eigene Weltanschauung und Staatslehre recht deutlich gemacht hatte, so daß sie dann mit jenen Bestrebungen in Übereinstimmung erscheinen konnte. Bücher wie Edgar Jungs „Herrschaft der Minderwertigen“ oder die Veröffentlichungen des „Tatkreises" erweisen sich damals ebenso wie heute in der rückblickenden Betrachtung als die Totengräber des Weimarer Staates, weil sie die Mißachtung des Staates propagierten und damit den Weg bereiteten für den Einbruch einer ganz anderen Macht, die alle diese destruktiven Tendenzen in sich aufnehmen konnte.

Friedrich Meinecke hat 1924 einmal in einem Zeitungsartikel geschrieben: „Halten wir allen groben und mechanischen Glauben an die Wiederholbarkeit der Dinge fern von den großen Erinnerungen jener Erhebungszeit (von 1813), die uns ganz gewiß zu einer Quelle der Kraft werden können, wenn wir ihren wahren geistigen Kern richtig zu erfassen verstehen. Eben dieses Verständnis vermissen wir bei den heutigen Deutschvölkischen. Sie vermögen den großen Führern von 1813 nur abzusehen, wie sie sich räuspern und spucken, sie ahnen nichts von ihrem innersten Pathos. Sie imitieren ihre heißblütigen Extravaganzen, an denen es nicht gefehlt hat, und ignorieren, daß ihr heroischer Wille in einer großen staatspolitischen Konzeption fundiert war, die nun so ziemlich genau das Gegenteil von dem darstellte, was der stümperhafte Patriotismus der Deutschvölkischen von heute betreibt." Damit wird der Gegensatz zwischen der Verfälschung der Tradition und jenem echten Preußentum deutlich gekennzeichnet, das durch eine Flut phrasenhafter Propaganda völlig verdeckt werden konnte. Der Nationalsozialismus aber übernahm das patriotische Klischee der völkischen Bewegung und gewann damit alle diejenigen, die kritiklos genug und rein gefühlsmäßig reagierend von der Echtheit dieses Preußentums überzeugt waren.

Hitlers Appell an das Preußentum

Trotzdem war es nicht einfacher Betrug, wenn sich Hitler i id seine Anhänger auf das preu-siche Erbe beriefen. Sie lebten doch selbst in dem Glauben, daß Preußens Größe und des Reiches Herrlichkeit einst durch dieselben Gewalt-methoden begründet worden wären, die sie selbst nicht nur anwandten, sondern in einer neuen Art theoretisch begründeten. Gewiß war es manchmal Taktik, wenn sie das Erbe der Tradition betonten, so vor allem, wenn sie ge-legentlich monarchistische Tendenzen nicht geradezu ablehnten. In Wahrheit hat Hitler ihnen niemals gehuldigt und das auch erkennen lassen. Ebenso war er ein erklärter Gegner des abgestandenen Kriegervereinspatriotismus mit Gehrock, Regenschirm und Zylinder. Insofern löst sich auch der scheinbare Widerspruch, daß sich* die Bewegung, die sich selbst für etwas ganz Neues erklärte, alte Traditionen pflegte. Diese Traditionen wurden auf eine eigentümliche Art interpretiert, aus der Hitler nicht einmal ein Hehl machte. Genau so, wie die Partei sich zu einem „positiven Christentum" bekannte, wie sie es eben auffaßte, so bekannte sie sich auch zur preußischen Tradition, -und Hitler scheint allen Ernstes der Ansicht gewesen zu sein, daß seine Gewaltlehre, nur eben noch nicht klar und bewußt erkannt und infolgedessen auch noch nicht konsequent befolgt, der preußischen Geschichte zu Grunde liege. Womit er dann an einzelne Aktionen der Aggression, die es in der preußischen Geschichte so gut wie in derjenigen aller anderen Staaten gibt, anknüpfen konnte, scheinbar bestätigt durch alle die Angriffe der Gegner Preußens, die eben jene Verallgemeinerung von der Gegenseite aus mit negativem Werturteil vorgenommen hatten. Dabei konnte er sich selbst dann durchaus auch wieder als den Bringer einer vollständig neuen politisch-weltanschaulichen Heilslehre hinstellen. Denn Bismarck und die Reformer, Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm I., der Große Kurfürst und wer auch immer zu Preußens Größe beigetragen hatte, sie hatten alle doch nur instinktiv gehandelt und infolgedessen auch aus Mangel an Konsequenz manche Fehler gemacht, die nur derjenige zu vermeiden in der Lage ist, der die wahren letzten Gründe menschlichen Handelns erkannt hat und demgemäß mit unerbittlicher Folgerichtigkeit seine Schlüsse zieht. Dies aber glaubte Hitler auf der Grundlage der aus seiner eigentümlichen Rassen-und Volkstumsideologie resultierenden Gewaltlehre tun zu können. Sein Buch „Mein Kampf“ sowie das jetzt zutage getretene „zweite Buch“ lassen das im Zusammenhang mit einer Fülle sonstiger, sich über sein ganzes Leben seit 1918 erstrek-kender Zeugnisse mit Sicherheit erkennen.

Scheinbar könnte nun die Gewaltlehre Hitlers insofern mit der, wie wir gesehen haben, wesenhaft preußischen „Tradition der Tradi-tionslosigkeit" in Verbindung stehen, als bei-dem ein Element des Opportunismus nicht fehlt, wenn auch in beiden Fällen verschieden gelagert und ausgeprägt. Aber die fortgesetzte Aggression, die wohl Hitler eigentümlich erscheint, steckt gar nicht in der älteren preußischen Geschichte, die eben nur einzelne Aktionen von verschiedener Intensität und aus sehr verschiedenem Anlaß kennt. Und außerdem richtete sich die außenpolitische Aggressivität Hitlers auch nicht vorwiegend nach der Opportunität 3er Lage, sondern primär nach innenpolitischen Notwendigkeiten des Staatslebens, wie es sich Hitler entsprechend seiner politischen Doktrin eingerichtet hatte, und insofern zeigten sich Hit-ler und das nationalsozialistische Regime von einem Primat der Innenpolitik beherrscht, der sich unmittelbar, und ohne daß grundsätzlich die Opportunität oder Möglichkeit der daraus resultierenden außenpolitischen Ziele noch in Erwägung gezogen werden konnte, auf die Außenpolitik ausgewirkt hat. Das aber steht im strikten Widerspruch zu allen Traditionen preußischer Politik und preußischer Geschichte. Und ganz neu und überhaupt noch nicht da gewesen, weder in Preußen noch sonstwo, auch nicht im Faschismus, ist der innere Zusammenhang von Staatslehre oder politisch-weltanschaulicher Doktrin mit Staatsaufbau, Organisation, Wirtschaft, Innen-und Außenpolitik des Staates in allen ihren Auswirkungen.

Damit stoßen wir auf das Einzigartige der Erscheinung des Dritten Reiches, das den vollständigen Bruch mit der Vergangenheit, mit anderen Worten: den Verrat am Preußentum bedeutet, auch wenn Hitler geglaubt hat, er stünde hier in gewissem Sinne doch in einer lange zurückreichenden Tradition. Das war Irrtum, kein Betrug, oder mindestens nicht nur Betrug, und diesen Irrtum teilte Hitler mit weiten Kreisen des deutschen Volkes, die jene bis in die Restaurationszeit zurückgehende Verfälschung der preußischen Tradition in sich ausgenommen hatten und deshalb in besonderem Maße für die Hitlerischen Sirenentöne anfällig gewesen sind. Das zeigte sich am augenfälligsten an dem Tage von Potsdam am 21. März 1933; denn alles, was da nach echtem Preußentum klang, — und das war nicht wenig, ja fast alles — das erhielt seine abweichende Auslegung durch Hitlers Reichstagsrede zum Ermächtigungsgesetz vom 23. März und sämtliche vorausgegangenen mündlichen wie schriftlichen oder gedruckten Äußerungen, in denen die Themen Staatsführung, Volk und Rasse berührt worden sind. — Äußerungen, die zugleich durch die Aktionen der Gewalttat in der „Kampfzeit" und besonders seit dem 30. Januar 193 3 im Besitze der staatlichen Macht ihre klare Bestätigung fanden. Darüber konnte sich nur derjenige irgendeiner Täuschung hingeben, der diese Äußerungen nicht kannte oder sich selbst Illusionen machen wollte, um den Abgrund nicht zu sehen, in den es nun unaufhaltsam hineinging. In der Situation des 21. März 1933 ließ sich erwarten, daß Hitler sein Programm rücksichtslos durchsetzen würde, koste es, was es wolle. weniger sollten wir jetzt nachträglich diese angebliche Kontinuität ernst nehmen. Sie bestand weder in der Außenpolitik, noch in der Innenpolitik, und am allerwenigsten in der auf Ehre und Gewissen basierenden geistigen Haltung. Daß sich so viele darin haben täuschen lassen, wie nicht zu bestreiten ist, sollte uns nicht geneigt machen, diese Täuschung beizubehalten und nun etwa mit Hitler zusammen das Preußentum und unsere geschichtliche Vergangenheit zu verwerfen, sondern im Gegenteil uns veranlassen, einen deutlichen Trennungsschnitt zu ziehen; denn wir brauchen, ja wir dürfen gar nicht, wenn wir Hitler, wie es recht und billig ist, verwerfen, unsere ganze Vergangenheit verleugnen. Wohl aber sollten wir von jener Verfälschung der preußischen Tradition Kenntnis nehmen, die es dem Verführer leicht gemacht hat, gut-und leichtgläubige Seelen zu fangen, und daraus die Folgerung ziehen, daß alle Traditionspflege der steten Kontrolle bedarf, um nicht zu veräußerlichen, und daß nur diejenigen Traditionen bewahrt und gepflegt werden sollten, die bewahrenswert sind. Welche das sind, kann nur nüchterne Einsicht lehren und ein fester Charakter, der sich selbst nichts vormachen will.

Der Bruch mit der Vergangenheit

Damit aber vollzog er den vollständigen Bruch mit allen preußischen Traditionen, auch mit jenen verfälschten, mit denen er eine Weile äußerlich in Übereinstimmung zu sein schien. Was er von jenen festhielt, reduzierte sich auf das, was als Energie, Unterordnung und bedingungsloser Gehorsam (wie er niemals zur echten preußischen Überlieferung gehört hatte), Schnei-digkeit und Herrenmenschentum, Uniformspielerei mit in seine Gewaltlehre hineinpaßte. Er hat auch den alten persönlichen Treueid aus der Monarchie, nunmehr auf ihn als „Führer“ angewandt, wieder eingeführt, ohne ihm indessen einen neuen Inhalt geben zu können. Das alles eine Veräußerlichung in der Traditionspflege, die ihm zeitweise den Spottnamen „Wilhelm III.“ eingetragen hat Aber freilich: ein Wilhelm III. war er nicht; auch dies gehörte zu den Irrtümern der Zeitgenossen. Er liebte zwar ebenso wie Wilhelm II., oder womöglich noch mehr, die Phrase, aber zum Unterschied vom Kaiser war es ihm blutiger Ernst mit ihr. Das haben diejenigen, die ihn hörten, auch gespürt, und deshalb hat er sich mit allen seinen Geschmacklosigkeiten und Abstrusitäten in seinen Reden und Schriften doch immer nur vorübergehend lächerlich gemacht. Heute vergißt man das leicht, und eine nachgeborene Generation, die den eifernden Agitator und Diktator in einer alten Wochenschau oder einem Dokumentarfilm zu sehen bekommt, bricht in Lachen aus und begreift nicht, wie es möglich war, daß ein ganzes, oder wenigstens doch ein halbes Volk, das Volk der Dichter und Denker, und unter ihnen die gebildetsten und geistreichsten Köpfe, auf ibn hereingefallen ist. Trotzdem hat es etwa Hjalmar Schacht auch nach der Katastrophe noch in seiner „Abrechnung mit Hitler“ fertig-gebracht zu sagen, daß man eigentlich alles unterschreiben könnte, was Hitler in seinem Parteiprogramm und in seinem Buch „Mein Kampf“ gesagt hatte.

Man sollte auch nicht zuviel von „Tarnung" dabei reden. Soweit sie vorhanden war, war sie doch sehr dürftig. Schon den Mitlebenden wurde es — freilich in einer stets kleiner werdenden Minderheit — deutlich, daß das kein Preußentum war, was er propagierte, wenn er den Namen Preußen in den Mund nahm. Um so Ist also die preußisch-deutsche Geschichte eine in ihrem mechanischen Ablauf gesetzmäßig bestimmte Geschoßbahn gewesen mit aufsteigender und nach demselben Gesetz ebenso absteigender Kurve? Ist die endliche Zerstörung und das Scheitern das Ergebnis jenes Anfanges, der jäh zu den Sternen führte: per aspera ad astra? Wir antworten mit einem klaren und entschiedenen Nein! Jede geschichtliche Epoche trägt ihren Wert in sich, und sie kann nicht durch das entwertet werden, was nachher kommt, sei es, daß sie übertroffen wird im Erfolg oder Mißerfolg. Wenn das deutsche Volk 1933/1945 Schiffbruch gelitten hat, dann ist nicht die Vergangenheit in ihrer Größe daran Schuld, sondern die Gegenwart in ihrer Niedrigkeit. Das Deutsche Volk der Zukunft wird zeigen, ob es sein Schicksal neu gestalten und mit neuem Wert erfüllen kann. Davon wird das Endurteil über die deutsche Geschichte abhängen. Jede Generation trägt die Verantwortung für sich, sie hat es in der Hand, ob das, was die Vergangenheit geleistet und ihr vermacht hat, für die Zukunft sinnvoll ist oder nicht. Darin beruht ihre Verantwortung vor der Weltgeschichte und vor den nachfolgenden Geschlechtern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Auf die Inkonzinnitäten der Auffassung von H. J. Schoeps hat Fritz Hartung in der Histor. Zs. 174 (1952) S. 597 ff. und 175 (1953) S. 564 ff in positiver Kritik hingewiesen, so daß hier nicht mehr darauf eingegangen zu werden braucht.

  2. Vgl. Rudolf Stadelmann, Moltke und der Staat (1950) S. 395 und dazu die Besprechung in der Histor. Zs. 174 (1952) S. 137 f.

  3. Auf dies Ranke-Wort, das ich bereits im Archiv für Kulturgeschichte Bd. 33 (1951) S. 374 mitgeteilt habe, möchte ich nachdrücklich hinweisen, weil die allgemeine Meinung von der unbedingten Geltung des Primats der Außenpolitik für Ranke, immer noch vertreten zu werden pflegt. Friedrich Meinecke hat dagegen schon früher EinsChränkungen gemacht, vgl. Meinecke, Zur Theorie u 19n 5d 9) PhSi. lo 2s 5o 8pfh. ie der Geschichte (Ges. Werke Bd. IV.

  4. Idee der Staatsräson. Werke I 325 ff.

  5. Die Ansprache im vollen Wortlaut in der Historischen Zeitschrift Bd. 181 (1956) S. 284 ff. und vorher schon (was ich hier nachtragen möchte) bei Wilhelm Schüßler, Bismarck (1925) L. 160 ff., danach ein kurzes Zitat bei A. O. Meyer, Bismarck (1949) S. 654, wo nur der Gesamtzusammenhang der Generals-Versammlung mit dem Verdy-schen Heeresreformprojekt nicht deutlich wird, vgl. vorläufig meine Moltke-Biographie (1957) S. 746. Ich werde den vollständigen Text der Stelle aus dem Bronsart-Tagebuch später in dem Dokumen-ten-Band zu der Moltke-Biographie bringen.

  6. Zuerst 1952 in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie, jetzt erweitert in: Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1961 S. 393 ff.

  7. Der jüngere Moltke hat ihn als Generalstabschef grundsätzlich abgelehnt, vgl. z. B. Zedlitz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Neue Ausg. 1952. S 195. Schliessen hat jedenfalls nicht auf ihm bestanden und niemals einen Feldzugsplan auf der Grundlage des Präventivgedankens entworfen, vgl. Kessel, Schlieffen-Briefe (1958) S. 52 f.

  8. Die Erforschung der Friedensversuche und Kriegszielerörterungen während des ersten Weltkrieges ist jetzt erst, nachdem die Akten des Auswärtigen Amtes und des österreichischen Haus-, Hof-und Staats-Archivs für diese Dinge ungehindert benutzt werden können, richtig in Fluß gekommen; vgl. nach den Arbeiten von Wolfgang Steglich (Bündnissicherung und Verständigungsfrieden. 1958) und Immanuel Geiss (Der polnische Grenzstreifen. 1960) und der Diskussion zwischen Fritz Fischer und Hans Herzfeld in der Historischen Zeitschrift Bd. 188 und 191 (1959/60) zuletzt die Aufsatzreihe von Egmont Zechlin, die er unter dem Titel „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche'in der Beilage zum Parlament „Aus Politik und Zeitgeschichte" Jg. 1961 B 20, 24 und 25 veröffentlicht hat. Ein abschließendes Urteil ist vorläufig noch nicht zu fällen.

  9. Bismarck, Ges. Werke VI S. 251.

  10. Vgl. Kessel, Moltke (1957) S. 197.

  11. Die Zitate nach dem Seeckt-Werk von Frieddrich von Rabenau, das nicht überall zuverlässig ist, wie der Vergleich mit dem Nachlaß erweist, aber in diesen Stellen nicht anzuzweifeln ist: Hans von Seeckt, Aus seinem Leben 1918—-1936 (1940) S. 132 f., 193 f„ 199, 575, 432.

  12. Friedrich Meinecke, Politische Schriften und Reden, hrsg von Georg Kotowski, Ges. Werke Bd. II (1958), S. 365.

  13. Vgl. Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg. 1961. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 7.

  14. Hier sei an das Hitler-Pamphlet erinnert, das unter diesem Titel Herbert Blank unter dem Pseudonym Weigand von Miltenberg 1931 hat erscheinen lassen.

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