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schwarz oder rot? Afrika | APuZ 49/1961 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1961 schwarz oder rot? Afrika

schwarz oder rot? Afrika

Fritz Schatten

Moskau wirbt um Afrika

Die sowjetische Afrikapolitik verfügt über ein früh formuliertes Konzept und eine lange propagandistische Tradition — die eigentliche Offensive aber beginnt erst spät. Noch im Todes-jahr Stalins konzentrieren sich die Hoffnungen im Schwarzen Erdteil, wie die amerikanische Zeitschrift . Current Hystory’ im Juli 1953 in einer vorzüglichen Studie verdeutlicht, vor allem auf die Rassenkämpfe in der Südafrikanischen Union und den Mau-Mau-Terror in Kenya; zwei Jahre später absorbiert die Gärung im Nahen und Mittleren Osten alle Aufmerksamkeit, und erst mit der Unabhängigkeit Ghanas und Guineas flammt das sowjetische Interesse am schwarzen Nationalismus auf. Von entschlossenen, umfangreichen Aktionen des Kommunismus südlich der Sahara kann jedoch, von Kamerun abgesehen, keine Rede sein. Erst um die Jahreswende 1959/60 beginnt die Phase, in der Moskau seine schwarzafrikanische Karte aufdeckt und südlich der Sahara vom Stadium des Abwägens der Chancen und Methoden, des koexistentiellen Anbiederns und diplomatischen Vortastens zur Offensive großen Stils übergeht. Die Wende wird von einer Flut proafrikanischer Erklärungen und Veröffentlichungen, vor allem aber mit einem Revirement auf den beiden zentralen schwarzafrikanischen Diplomatenposten markiert. Am 12. Oktober 1959 ernennt Moskau den bisherigen Chef der Afrikaabteilung des sowjetischen Außenministeriums, A. V. Budakow, zum neuen . außerordentlichen Minister'in Addis Abeba, von nun an Zentrum und Demonstrationsplatz der sowjetischen Koexistenz-politik in Afrika; aber noch wichtiger ist am 2. Januar 1960 die Berufung von Daniil Semjonowitsch Solod zum Nachfolger des bisherigen Kremlbotschafters im westafrikanischen Guinea.

Ein neuer Radek in Conakry

Die Bedeutung dieses Wechsels wird von der , Prawda‘ in einer kurzen Notiz bewußt verschleiert und vom Außenministerium mit der Floskel , Routinemaßnahme‘ bagatellisiert. Aber schon die bald darauf folgenden spektakulären Maßnahmen des guineanischen Präsidenten Sekou Toure lassen aufhorchen: Der demonstrative Austritt Guineas aus der Franc-Zone, der gleichzeitig bekanntgegebene Abschluß eines weitreichenden Wirtschaftsabkommens zwischen Conakry und Moskau, heftige Attacken Toures gegen die Bundesrepublik und den Westen, ein undurchsichtiges diplomatisches Manöver mit Pankow, die Proklamation eines vom Ostblock ausgearbeiteten Dreijahresplanes, die Durchführung der 2. Afro-Asiatischen Solidaritätskonferenz und anderer prokommunistischer Veranstaltungen in Guinea, nicht zuletzt aber die Übersiedlung vieler Büros extremistischer Gruppen aus ost-, süd-und westafrikanischen Ländern von Kairo nach Conakry — dies alles verrät einen grundsätzlichen, aus der guineanischen Politik allein nie erklärbaren Wandel. Und rückblickend erscheint Solods Debüt auf der westafrikanischen Bühne als eine ähnliche Kalkulation des Kreml wie 42 Jahre zuvor die Entsendung Karl Radeks in das brodelnde Deutschland, zwölf Jahre früher der Antrittsbesuch Valerian Sorins auf der propagandistisch schon sturmreif geschossenen Prager Burg.

Solod, ein 5 5jähriger Ukrainer, personifiziert wie kaum ein anderer Sowjetdiplomat das kolonialrevolutionäre Programm des Kreml. 1944 entsandte ihn Stalin in die neubegründeten und gärenden Staaten Libanon und Syrien. In den folgenden sechs Jahren entwickelte Solod seine Mission zur kommunistischen Schlüsselstellung in der Levante, und er erwarb sich den Ruf des geschicktesten, gefährlichsten kommunistischen Repräsentanten im Orient. Mit perfektem Arabisch, Französisch und Englisch, scheinbar unkonventionellen, undoktrinären Argumenten, baute er geschickt antisowjetische Ressentiments ab, antiwestliche Ressentiments auf. Als Solod 1950 nach Moskau zurückbeordert wurde, verhandelten syrische Vertreter mit dem damaligen Moskauer Außenminister Wyschinski über Handelsverträge und Waffenhilfe, und ein enger Freund Solods, Maaruf Al-Dawalibi, damals Minister für Nationale Wirtschaft, erklärte, er ziehe es vor, wenn die „arabischen Staaten Sowjetrepubliken statt Opfer des Zionismus“ würden. AIs Solod Damaskus verließ, um im Moskauer Außenministerium den Posten des stellvertretenden Chefs der Nahostabteilung zu übernehmen, erfuhr er eine Ehrung, die niemals zuvor einem Sowjetdiplomaten im nichtkommunistischen Ausland zuteil wurde: Hunderte syrischer Notabein bereiteten ihm eine stürmische Ovation.

Drei Jahre später, nach dem Sieg der revolutionären Junta am Nil über das so korrupte wie prowestliche Regime Faruks, tauchte Solod als Gesandter in Kairo auf (mit der Umwand-lung der diplomatischen Botschaft erhielt er nach wenigen Monaten den Rang eines Botschafters). Hier wiederholte sich das Spiel von Damaskus und Beirut: Er verstand es schnell, die traditionell frostigen Beziehungen zwischen Moskau und Kairo in ein euphorisches Verhältnis umzuwandeln. Mit dem Aufstieg Nassers steigen Moskaus Chancen: Solod steht an der Wiege des Kairoer Konzepts der „Positiven Neutralität“, und „Mister Troublemaker“, wie westliche Korrespondenten den Sowjetbotschafter nennen, leitet das große sowjetisch-ägyptische Handelsgeschäft ein. Wie Nasser bestätigt, ist es auch Solod, der erstmals von Waffenlieferungen des Ostblocks spricht. Einem ägyptischen Journalisten erzählte Nasser später, wie Solod ihn bei einem diplomatischen Empfang köderte: „Er führte mich in eine Ecke und fragte mich, ob meine Regierung bereit wäre, Waffen von der UdSSR zu kaufen; im Falle einer Zusage würde er Moskau informieren ... Im selben Ton antwortete ich, daß dieses Angebot wirklich außerordentlich interessant und daß ich bereit sei, in diesem Sinne Verhandlungen aufzunehmen.“

Als Solod im Februar 1956 zum stellvertretenden (und zeitweilig amtierenden) Leiter der Orientabteilung im Moskauer Außenministerium avanciert, ist die Basis der sowjetisciägyptischen Beziehungen fest gegründet. Zuständig für die Vereinigte Arabische Republik, den Irak, Libanon, Jordanien, den Sudan, Äthiopien, Libyen, Tunesien und Marokko, setzt er seinen Ehrgeiz darein, die Kairorer Erfahrungen für den gesamten arabischen Einflußbereich auszuwerten. Aber mehr noch: Mit Solod erhält das sowjetische Außenministerium einen Funktionär, der ein neues, geschärftes Organ für den gesawtafrikanischen Nationalismus und die sich anbahnende schwarzafrika-nische Emanzipation besitzt. Das wird verständlich, wenn man sich die Rolle Kairos für die extremistische afrikanische Unabhängigkeitsbewegung verdeutlicht. Mit dem Sieg des ambitionierten Nasser über den konservativeren Naguib wird die ägyptische Kapitale zwischen 1954 und 1958 (und mit Einschränkungen trifft das auch noch auf die Gegenwart zu) zum Mittelpunkt und Tummelplatz fast aller antikolonialistischen Radikalen aus dem schwarzen Afrika. Jomo Kenyattas Nachfolgegruppe des Mau-Mau, . Befreiungszentralen* aus Angola und Mozambique, aus dem Kongo und Tanganjika, der . Uganda National Congress’ wie die terroristische . Union des Populations du Cameroun* richten in Kairo . Exilbüros'und . Aktionszentralen'ein, und der Mangel an Geld, Waffen, taktischen Kenntnissen ebenso wie der unversöhnliche Aktionswille treiben die . Vereinigungen* und . Parteien'geradezu automatisch in die Arme der unterstützungsfreudigen Ostblock-repräsentanten. Wie eng Solods persönliche Kontakte damals waren, zeigte sich während der 2. Afro-Asiatischen Solidaritätskonferenz im April 1960 in Conakry, als er am Rande des Konferenzbetriebes freundschaftliches Wiedersehen mit vielen afrikanischen Politikern feierte (und andere, vor allem kongolesische und angolanische . Friedensfreunde'eifrig umwarb).

Steuerungszentrum kommunistischer Infiltration

Hier erwies sich nun auch, daß Solods neue Mission als Botschafter in Conakry keineswegs auf Guinea beschränkt ist. Sein Posten stellt vielmehr eine Doppelfunktion dar: Auf der einen Seite soll die schon vor seinem Eintreffen begründete , Sowjetisch-Guineanische Freundschaft'vertieft und der offenkundige Linkskurs Guineas in die vom Kreml angestrebte radikale Richtung gelenkt werden; andererseits will Moskau Conakry zur westafrikanischen Schlüsselstellung des Kommunismus, zum neuen afrikanischen Umschlagplatz und Steuerungszentrum kommunistischer Ideen und Aktionen ausbauen. Für eine solche komplexe Aufgabe hat Solod in Damaskus, Beirut und Kairo seine Qualifikationen überzeugend bewiesen. Er kann heute als wichtigste Schlüsselfigur der roten Offensive südlich der Sahara angesehen werden, sein Einsatz in diesem Teil des Kontinents ist ein klares Indiz für die wachsende Bedeutung, die Moskau der Entwicklung im nicht-arabischen Afrika beimißt — und ein unüberhörbares Alarmsignal für den Westen.

Aber wird die Gefahr der kommunistischen Aktivität in Guinea nicht weit überschätzt oder gar, wie einige meinen, künstlich hochgespielt? In der Tat gibt es nicht wenige Beobachter (und vor allem Diplomaten) des Westens, die den Erfolg des sowjetischen Vorstoßes nach Guinea skeptisch und die westlichen Chancen optimistisch bewerten; sie verweisen darauf, daß auch der guineanische Nationalismus eine originäre Erscheinung sei und Sekou Toure mehrfach jede einseitige Bindung an eines der . Block-systeme'abgelehnt habe. Die politische Offensive der Kommunisten habe lediglich Anfangserfolge erzielt, die dem Osten durch Fehlinterpretationen und Zögern des Westens geradezu aufgenötigt worden seien. Je mehr sich die Lage im Lande stabilisieren und dem panafrikanischen Feldgeschrei Toures im Zuge der allgemeinen Emanzipation Afrikas seine Resonanz versagt bleibe, werde das Pendel in Guinea zurückschlagen. Habe Toure nicht die vorzeitig publik gewordene Anerkennung des Ost-Berliner Regimes rückgängig gemacht und dabei auch die Sowjets brüskiert? Und gebe es nicht ein Verdikt des Staatspräsidenten, das jede . ausländische Propagandatätigkeit'in Guinea untersage?

Toure ist kein Nasser

Nichts wäre für Guinea selbst und den Westen besser, als daß diese Stimmen recht behielten. Indessen sprechen die Tatsachen eine andere Sprache. Toure ist kein Nasser, aus konservativ-militärischem Milieu aufgestiegen, und kein raffinierter Spieler, der nach dem Rezept vorgeht, heute die Sowjets zu Krediten, militärischer und technischer Hilfe zu bewegen, um morgen desto sicherer vom Westen mit Angeboten überhäuft zu werden. Und — was entscheidend ist — gleich Toure sind die zentralen Kader des . Parti Democratique de Guinee', der allmächtigen Staatspartei, aus dem linken Flügel des , Rassemblement Democratique Africain'hervorgegangen, der von 1945 bis 1950 eindeutig unter dem Patronat der französischen KP arbeitete. Diese Gruppe verkörpert eine politische Phalanx, die — heute noch für das übrige Afrika weitgehend untypisch — den Kampf um die nationale Unabhängigkeit durch eine Sozialrevolutionäre, und zwar weitgehend i'narxistisch-sozialrevolutionäre Konzeption erweitert hat und die ihre internationalistischen (panafrikanischen) Ziele nicht so sehr mit den konventionellen Ideen des schwarzafrikanischen Nationalismus, sondern vielmehr mit eben dieser sozialrevolutionären Konzeption bestreitet. Hierin liegt der grundsätzliche Unterschied zum Programm Kwame Nkrumahs. Für den ghanesischen Staatspräsidenten geht es, da er sich über den gesellschaftlichen Inhalt noch im unklaren ist, zunächst nur um Form und äußere Gestalt eines . vereinigten Afrika*. Für Toure und seine Gruppe aber ist die Form nebensächlich, der Inhalt entscheidend. Auch Nkrumah spielt zwar eine , linke'Karte, aber um seinem Traum von der , afrikanischen Union'näherzukommen, wäre er bereit, sich zeitweilig mit rechtsorientierten, sozialkonservativen Gruppen zu liieren. Nkrumah und Houphouet-Boigny: das wäre eine durchaus denkbare Koalition. Toure und Houphouet-Boigny: das ist schlechthin undenkbar.

Deshalb kann es auch nicht verwundern, wenn Guinea heute nicht nur Exil und Aufmarschlager der prokommunistischen, gegen Houphouet-Boigny gerichteten . Befreiungsbewegung'

der Elfenbeinküste, sondern Dutzender ähnlicher Parteien, Gewerkschaften und Bünde aus allen Teilen Schwarzafrikas, bis zu den terroristischen Verbänden aus Kamerun und Angola ist, die gleichermaßen nicht nur die nationale Unabhängigkeit, sondern eine linkssoziale Revolution im Rahmen der nationalen Unabhängigkeit anstreben.

Einseitige kulturelle Kontakte

Aber bleiben wir zunächst in Guinea. Es ist zutreffend, daß Toure Ende 1960 gegen die . ungebührliche'ausländische Propaganda im Lande Stellung nahm. Das einzig greifbare Ergebnis aber bestand in einer Aufforderung an die USA, ihr kleines Kulturzentrum in der guineanischen Hauptstadt zu schließen. Demgegenüber dürfen die Sowjets unverändert Filmfestspiele veranstalten, verteilt die Handelsmission der Zonenrepublik in ihrem Riesenbau weiterhin Pamphlete gegen den . Bonner Neokolonialismus', veranstaltet sie Ausstellungen , antikolonialer Künstler aus der DDR'. An den Schulen Guineas laufen Vorträge friedfertiger Sowjetmenschen über die kommunistischen . Errungenschaften'und Kurse guineanischer Radikaler über die . marxistische Weltanschuung’. Bei Fußballspielen zwischen Guinea und der SBZ erscheint der Staatspräsident persönlich, um dieser . Demonstration friedlicher Koexistenz'(. Neues Deutschland', Ost-Berlin) eine Folie zu geben und den sowjetdeutsch-guineanischen Verbrüderungsfeiern zu applaudieren. Der Staatsjugendverband JRDA preist die . Humanite‘, , Nouvelles de Moscou', die sowjetdeutsche , RDA-Revue‘, die französischsprachige Ausgabe von . Probleme des Friedens und des Sozialismus'an. Mehr noch: In wohlfeilen und bisweilen auch kostenlosen Ausgaben werden Lenins , Was tun?'und . Über das Selbstbestimmungsrecht der Völker', Chruschtschows Referat vom XX. Parteitag der KPdSU, Reden sowjetischer Staatsmänner über . Friedliche Koexistenz'und Mao Tse-tungs . Ausgewählte Werke'verteilt, ganz zu schweigen von kommunistischer Belletristik, einschließlich Majakowski und Stanislawskis Theaterbüchern. Westliche Publikationen sucht man dagegen vergeblich. Nicht genug damit: Unter Solods Regie sind im Lande Hunderte sowjetischer, tschechoslowakischer, ungarischer und sowjetdeutscher . Berater'und . Experten'tätig. Offiziere aus Prag trainieren die guineanischen Truppen und , Sicherheits‘-Verbände, die mit sowjetischen und tschechoslowakischen Waffen und Uniformen ausgerüstet sind. An der neugegründeten afrikanischen Gewerkschaftsuniversität von Conakry geben sich kommunistische Dozenten und Funktionäre die Klinke in die Hand, nicht anders als an der guineanischen Gewerkschaftsschule von Dalaba. Die Budapester Regierung hat zur . Festigung der freundschaftlichen Bande'dem Staatsjugendverband JRDA sechs Sporttrainer zur Verfügung gestellt — allesamt Funktionäre der ungarischen kommunistischen Arbeiterpartei und der ungarischen Staatsjugend. Unter ihrer Leitung nimmt der Sportverkehr mit dem Ostblock zunehmend die Formen eines politischen Austauschprogrammes an, und das befreundete Ausland', der , anti-imperialistische Blöde', das . Lager des Friedens'— all diese Stereotypen der kommunistischen Propaganda — werden mehr und mehr auch zu Standardbegriffen für die unpolitischen Menschen Guineas.

Gleichschaltung der Außenpolitik

Parallel dazu steht die Aussenpolitik Guineas immer deutlicher in Kongruenz zu der Außenpolitik eben dieses . Weltfriedenslagers', vor allem in der Kongofrage. Während sich selbst Ghana, aber auch die Vereinigte Arabische Republik, trotz ihres betonten Eintretens für Lumumba und das Gizenga-Regime dennoch Zurückhaltung auferlegten und beispielsweise die Frage des Truppenabzuges dilatorisch entschieden, bis zum gewissen Grade in der UNO sogar eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West einnahmen, hat sich Guinea vom einmal eingeschlagenen Weg extremistischer, antiwestlicher Politik und Polemik nicht abbringen lassen. Nachdem Conakry zunächst (und da dies eine Forderung Lumumbas war) Truppen in den Kongo entsandt und die Vereinten Nationen unterstützt hatte, radikalisierte sich die Haltung in genau dem gleichen Maße wie die Einstellung Moskaus. Seinen ersten Höhepunkt erreichte dieser Kurs mit dem zweiten Moskau-besuch Sekou Toures im September 1960, kurz vor dem spektakulären Chruschtschow-Auftritt im New Yorker Glaspalast der UNO. In einem gemeinsamen Kommunique stellten Chruschtschow und Toure damals ihre . völlige Übereinstimmung'in der Beurteilung der Kongo-frage demonstrativ heraus, und wenig später unterstützte Toure am 9. Oktober 1960 vor der UN-Vollversammlung die sowjetischen Attakken gegen Hammarskjöld und die . westlichen Imperialisten'ohne jeden Vorbehalt: „Es ist unmöglich, die Vereinten Nationen nicht in den Mittelpunkt der Verantwortung für die verworrene Lage am Kongo zu stellen... Diese Situation, die sich im Kielwasser der belgischen Aggression entwickelte, bedroht heute alle Menschen der Welt. Sämtliche Formen politischer Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung existieren in jeder nur möglichen Verkleidung weiter. .. Afrika spielt eine dominierende Rolle in den Expansionsplänen der imperialistischen Mächte. Die imperialistischen Mächte koordinieren ihre Pläne für militärische Stützpunkte (in Afrika), die für ihre Expansionsgelüste unentbehrlich sind.“ Konsequenterweise beorderte Guinea als erster Teilnehmerstaat der UNO-Aktion sein Kontingent von 740 Soldaten aus dem Kongo zurück, und von nun ab prasselten die Anschuldigungen und diplomatischen Proteste in völliger Übereinstimmung mit den sowjetischen Attacken gegen den UNO-Generalsekretär, das UNO-Kommando in Leopoldville, die . Verräter von Tananarive’ (die föderalistischen Kongopolitiker), Belgien, die USA, Frankreich und den . gesamten imperialistischen Block'. „Das UNO-Kommando von Leopoldville", erklärte Toures Kongoemissär Tunkara, „hat sich einer flagranten Einmischung in innere Streitigkeiten der Kongorepublik schuldig gemacht und als Okkupationsinstrument gedient." In gleicher Weise tönte es aus Moskau: „Die Truppen der Vereinten Nationen sind zu einer Besatzungsmacht geworden, die der kongolesischen Bevölkerung die Freiheit raubt." Und im Zusammenhang mit dem angeblichen Waffentransport eines deutschen Flugzeuges nach Katanga wetterte Radio Conakry am 14. April 1961: „Die Koalition der imperialistischen Mächte gegen den Kongo wurde hier deutlich sichtbar. Die Rolle der Bundesrepub'ik braucht nicht mehr besonders betont zu werden. Die Zusammensetzung der Armee Tschombes aus westdeutschen Söldnern, aus Offizieren und Unteroffizieren sowie alten SS-Leuten, ist schon bezeichnend genug.“ Es sei daher nur folgerichtig, daß die Allafrikanische Völkerkonferenz in Kairo unter den neokolonialistischen Mächten Westdeutschland an zweiter Stelle genannt habe.

Die sowjetischen Einmischungsversuche am Kongo

Die sowjetisch-guineanische Harmonie ist um so erklärlicher, als das kommunistische Engagement mit dem . Mouvement National Congolais'Lumumbas und dem »Parti Solidaire Africain'Gizengas in Conakry besiegelt wurde. Hier hatte Gizenga ein halbes Jahr hindurch an Schulungsstätten des guineanischen PDG und der prokommunistischen Gewerkschaft UGTAN . studiert'und Kontakt mit den Sowjets ausgenommen, und in Conakry fiel während der 2. Afro-Asiatischen Solidaritätskonferenz im April 1960 die Entscheidung der Sowjets, statt den einflußlosen, wenn auch linksextremen . Parti du Peuple'unter Führung des Gewerkschaftlers Ngvulu die Gruppen Lumumbas und Gizengas aktiv zu unterstützen. Damit begann die Serie sowjetischer Einmischungsversuche in die kongolesische Katastrophe: zuerst war es . nur'— wie der Führer des abgespaltenen MNC-Flügels, Kalonji, und der später von Kasavubu als Ministerpräsident eingesetzte Josef Ileo bereits vor der Unabhängigkeit aufdeckten — sowjeti-sches, über ein Brazzaville-Konto laufendes Geld, mit dem Lumumba seinen Wahlkampf bestreiten konnte und zur Einsetzung einiger spezieller Kremlfreunde in wichtige Ämter gedrängt wurde: Madame Blouin als , Protokoll-chef', der im FLN-Kampf verdiente französische Kommunist Serge Michel als , Pressesekretär‘, Anicet Kashamura als Informationsminister und der Pekingfahrer Salumu als . Privatsekretär'. Ihrer Initiative sind die prosowjetischen Freundschaftserklärungen Anfang Juli und — wenige Tage später, am 12. 7. 1960 — das erste Hilfsgesuch Lumumbas an die Sowjetregierung zu verdanken. Mit dem Sowjetbotschafter Jakowlew, dem früheren Außenminister der RSFSR, dessen Stab durch Mitglieder der Sowjetmissionen in Conakry und Accra aufgefüllt worden war, wurden die weiteren Fäden des kongolesischen Marionettenspiels geknüpft. Die Anlandungen von Lastkraftwagen und Waffen, der Einsatz des kamerunischen Terroristenchefs Felix-Roland Moumie, der in kommunistischem Auftrag den Aufbau einer Partisanenschule nahe Leopoldville übernahm, immer neue Gruppen vorgeblich . technischer'Berater aus der UdSSR, der CSSR und anderen Ostblockstaaten komplettierten die Voraussetzungen für eine kommunistische . Lösung'der Kongokrise. Nur das eigenmächtige Losschlagen des unterschätzten . dritten Mannes', des selbsternannten Oberst Joseph Mobutu, verhinderte den Erfolg des ausgeklügelten Komplotts, das den verworrenen Kongo in ein Super-Guinea verwandeln und dem Kommunismus den Weg in das Herz Afrikas öffnen sollte. Mit dem Mobutu-Befehl an die Missionschefs der Ostblockstaaten vom 16.

September 1960, ihre Botschaften sofort zu räumen, zerplatzte aber der ganze Spuk, wurde plötzlich der elementare Nachteil der direkten sowjetischen Kongointervention offenbar: So massiv sich auch die Sowjets einmischten, sie konnten doch das entscheidende Handicap nicht überwinden, daß de facto keine originären kongolesischen Kader des Kommunismus vorhanden waren. Daran konnte auch Antoine Gizengas Abzug nach Stanleyville und seine dort am 13.

Dezember 1960 im Stile Janos Kadars erfolgte Proklamation zum neuen . rechtmäßigen Regierungschef'nichts ändern. So sehr die Sowjets in der UNO auch tobten, so geschickt sie den Tod Lumumbas — u. a. mit einem in vielen Ländern Afrikas vorgeführten Spielfilm über seinen Kampf — auszunutzen suchten, so rasch sie auch das Gizengaregime als . einzig legitime Kongo-regierung'anerkennen und mit Waffen stützten — die Scharte läßt sich nicht mehr auswetzen.

Auch hier in Stanleyville steht die kleine Schar geschulter Kommunisten auf verlorenem Posten, und Antoine Gizenga, der schon vier Tage nach der kongolesischen Souveränitätserklärung mit einem prosowjetischen Interview in der . Prawda'

seine Einstellung angedeutet und sie dreizehn Tage später mit einer antibelgischen Haßrede und der ersten Drohung eines Hilfsersuchens an Moskau offenbart hatte, ist nicht minder zum Lavieren gezwungen wie sein Vorgänger Patrice Lumumba. Der hochfliegende Kongotraum der Sowjets ist zunächst ausgeträumt, und den nach Conakry und Accra ausgewichenen sowjetischen Kongostäben bleibt nichts übrig, als die entscheidenden Fehler ihrer Aktionen selbst kritisch zu analysieren.

Moskaus Arbeit auf weite Sicht

Wie diese Überprüfung ausfällt, ist indes nicht schwer zu entschlüsseln; im Gegensatz zum ungestümen revolutionären Maoismus zeigt Chruschtschow in Afrika mehr Einsicht in die gesellschaftlichen Gegebenheiten, in die offensichtlichen Vorteile, aber auch in die erkennbaren Schwierigkeiten, denen der Kommunismus im Schwarzen Erdteil noch begegnet. Der Kongo hat diese negativen Faktoren anschaulich demonstriert: 1. Realpolitisch (und nicht ideologisch, wissenschaftlich, propagandistisch) hat Moskau den Umbruch des Kontinents mit seinen Chancen für den Kommunismus zu spät entdeckt, als daß es in der Lage wäre, sofort und in größeren Gebieten festen Fuß zu fassen. 2. Während für die meisten asiatischen Länder seit langem originäre, im Ostblock geschulte berufsrevolutionäre Eliten bereitstehen und der Kommunismus organisatorisch bereits ein traditionelles Element im innenpolitischen Leben vieler Staaten ist, fehlt ein derart fundiertes kommunistisches Kaderpotential in Afrika nodr weitgehend. 3. Von außen infiltrierte kommunistische Kräfte — seien es aktiv in innere Zwistigkeiten und Kämpfe eingreifende Diplomaten und . Experten'wie am Kongo oder von außen materiell gestützte Gruppen wie in Kamerun — beschwören für den Kreml die Gefahr herauf, daß die machtpolitischen Absichten der Sowjetunion von den Afrikanern allzu-früh durchschaut und als unmittelbare Bedrohung aufgefaßt werden.

Diese Interpretation drängt dem Kreml ein anderes (und auf die Dauer für Afrika und den Westen keineswegs ungefährliches) Konzept auf, das in Guinea und Äthiopien beispielhaft realisiert wird: Ein auf weite Sicht angelegtes und auf geistige Infiltration wie koexistentielle Demonstration gerichtetes Programm. Dabei unterscheidet sich die sowjetische Aktivität in Guinea nur graduell vom Vorgehen in Äthiopien: In Guinea, wo eine außerordentliche psychologisch-ideologische Disposition der herrschenden Gruppe und der von ihr beherrschten Jugend für den Sozialismus besteht und obendrein optimale Möglichkeiten für Kontakte zu anderen extremistischen Gruppen Afrikas und deren Indoktrinierung gegeben ist, kann die Anfangsetappe der sowjetischen Afrikapolitik übersprungen und das Endziel der Gesamtaktion angesteuert werden. Einstweilen aber ist Guinea, wenn sich auch den Sowjets in Ghana und Mali bereits ähnliche Chancen eröffnen, ein Ausnahmefall. Noch muß der Kreml die Existenz eines ideologisch weitgehend adisponierten Afrika einkalkulieren und auf einer Vorstufe für die in Guinea erreichte Etappe operieren. Für diese Art von Strategie und Taktik Moskaus bietet Äthiopien ein klassisches Beispiel.

Propagandaarbeit in Äthiopien

Da existiert irgendwo im Lande des Negusa Nagast eine Ansiedlung, die auf keiner Landkarte vermerkt ist. Sie besteht aus ein paar baufälligen Lehmhütten, an einer nicht minder reparaturbedürftigen Sandstraße. Das nächste Amharendorf ist wenigstens 30 Kilometer, die Hauptstadt Addis Abeba rund 150 Kilometer entfernt. Es gibt kein elektrisches Licht, keine Telefonverbindung, keine Schule — absolut nichts, was diesen Flecken für einen Weißen anziehend machen könnte. Und doch werden die 180 Bewohner hier eines Abends Teilnehmer eines großen, von Weißen für Schwarze inszenierten Schauspiels: Auf dem engen Dorfplatz steht ein Filmwagen, ein transportables Aggregat speist den Projektor, und auf einer zwischen zwei Pfählen gespannten Leinwand wird für jedermann sichtbar, welch hochherzige Gefühle das Sowjetvolk für die Untertanen Haile Selassis hegt. Jede einzelne Etappe der Rußlandreise ist festgehalten, die der Negus 1959 unternahm: Die . historische Begegnung mit Nikita Chruschtschow, der obligate Gala-abend im Bolschoitheater mit , Schwanensee', seine Kontakte mit den einfachen Sowjetmenschen und den großen Errungenschaften der Sowjetunion: Riesentraktoren auf Kolchosgütern, Wasserkraftwerken, Maschinenbaubetrieben, Schulen, Laboratorien, Universitäten, Wohnhochhäusern in Moskau, Kiew, Leningrad. Da ist das Sonderflugzeug vom Typ IL 14, das dem Negus als persönliches Geschenk verblieb, und natürlich werden auch die übrigen Präsente des Sowjetlandes für Äthiopien ins rechte Licht gerückt — man wird in Addis Abeba eine Mittel-schule für 1000 Kinder — inklusive Turnhalle, Küche und Speisesaal — bauen, Instrumente und Arzneien für das alte russische Krankenhaus in die abessinische Hauptstadt entsenden, und der generös gewährte 400-Millionen-Rubel-Kredit ist ein weiterer Beweis für die Freundschaft der UdSSR. Die Wirkung, die all dies auf die schwarzhäutigen Beschauer ausübt, ist so nachhaltig, wie eine derart einmalige Konfrontation mit der außerafrikanischen Wirklichkeit und dem vorgegebenen . Fortschritt'nur sein kann. Und bei den Zehntausenden, die solche Filme landauf, landab sehen, fließen von nun an die Vorstellungen von höchster Zivilisation, größter Wirtschaftskraft und selbstloser Freundschaft mit dem Begriff , Sowjetunion'axiomatisch zusammen. Obendrein ist von einer nur annähernd vergleichbaren Aktivität des Westens im Lande wenig zu merken. Die Sowjets stehen mit derlei , Kulturpropaganda'in Äthiopien — wie anderswo in Afrika — oft allein auf weiter Flur.

Dabei geht es den Sowjets, und dies ist besonders bemerkenswert, gar nicht so sehr um eine Werbung für den Kommunismus und seine Ideologie. Es gibt keine kommunistische Partei in Äthiopien, und niemand versucht, eine KP-Organisation aufzubauen. Die absolute Monarchie des Negus wird, nicht nur von innen, nicht durch Kommunisten bedroht, sondern von der Sowjetpropaganda immer wieder applaudiert. Es fehlt jene Doppelgleisigkeit, mit der der Kreml einerseits zu den westeuropäischen Ländern offizielle Beziehungen unterhält, andererseits aber kommunistische und kryptokommunistische Gruppen mit allen Mitteln fördert, um den . Kapitalismus'zu unterminieren. In Äthiopien heißt die kommunistische Devise gegenwärtig: „Loyale staatliche Koexistenz bei Anerkennung und Förderung der gegebenen Ordnungen."

„Traditionelle” Beziehungen

Das war nicht immer so. Noch 1955 wurde der Negus von der Sowjetpropaganda regelmäßig als . reaktionärer Autokrat'und . Feudal-herrscher'attackiert, der im . Bunde mit den westlichen Kolonialisten'stehe. Damals aber bewegte sich die sowjetische Afrikapolitik noch in einem starren, konventionellen Rahmen. Moskaus außenpolitische Experten haben mittlerweile entdeckt, daß Äthiopien — als ein seit langem unabhängiger Eingeborenenstaat — bei den jungen Führern der auf Souveränität und Freiheit drängenden west-, süd-und ostafrika-nischen Kräfte trotz mancher Gegensätze nicht ohne Ansehen ist. Zudem existieren traditionelle Beziehungen zwischen dem alten Rußland und dem afrikanischen Kaiserreich, die sich für die Gegenwart nutzbar machen ließen: Äthiopien war das einzige Land des Schwarzen Erdteils, dem der russische Zarismus eine moderierte Aufmerksamkeit schenkte, nachdem die russisch-orthodoxe Kirche Gemeinsamkeiten zur koptischen Kirche herausgefunden und eine Union mit den äthiopischen Glaubensbrüdern propagiert hatte. Von 1888 an kamen offizielle russische Reisende — mit Unterstützung der Kirche und des Zaren — zum , Dach Afrikas': Abenteurer wie der Kosak Ashinow, Sendboten wie der Offizier Maschkow, Geographen wie Jelisajew und Leontjew oder der Archimandrit Jefrem, Diplomaten und Ärzte, die ein Krankenhaus in Addis Abeba errichteten und in die Dienste des Kaisers traten. Die 1902 aufgenommenen diplomatischen Beziehungen wurden 1943 von den Sowjets erneuert, und die heutigen Emissäre Moskaus werden nicht müde, die Kontinuität der . stets herzlichen Verbindung'zwischen dem Kaiserpalast und dem Kreml zu preisen. Daß in Moskau heute ganz andere Herren regieren als im alten Petersburger Zarenpalais, soll möglichst vergessen werden. Die Sowjetunion agiert sozusagen nur als legitimer Nachfolgestaat des alten Rußland. Mit anderen Worten: In Äthiopien soll die Sowjetunion nicht als Zentrum einer weltrevolutionären, die herrschenden Gruppen bedrohende Macht, sondern als loyaler staatlicher Partner mit eminenten ökonomischen Potenzen erscheinen, als jener Staat, der ein Sechstel der Erde umfaßt, Sputniks und Luniks in den Himmel schießt und der Freund aller freundlichen Menschen ist, ganz besonders aber der Freund aller Afrikaner.

Was hier vorexerziert wird — .friedliche Koexistenz'in höchster Vollendung —, ist eine raffinierte politische Spekulation auf weite Sicht, darauf abgestimmt, psychologische Hemmungen und politische Vorbehalte gegenüber der UdSSR abzubauen und auf einer konventionellen interessenpolitischen Ebene Einfluß zu gewinnen und Beispiele zu setzen. Die Resultate sind denn auch höchst zufriedenstellend: Anläßlich der Palastrevolte im Dezember 1960 wurde zwar das Amerikahaus in Addis Abeba mit Steinen beworfen und demoliert, die sowjetischen Institutionen blieben jedoch verschont. Als Haile Selassi sogar feststellen konnte, daß die Aufrührer bei den Sowjets abgeblitzt waren, kannte seine Genugtuung keine Grenzen; ein Kulturabkommen, die herzliche Aufnahme sowjetischer Wirtschaftsexperten und versteckte Angriffe gegen die amerikanischen Eim-nischungsversuche in Afrika folgten. Die Tage des amerikanischen Militärstützpunktes in Abessinien dürften gezählt sein. Mit dem bevorstehenden Besuch Chruschtschows winken neue Kredite, und Vereinbarungen über . gegenseitige Hilfe'rücken in greifbare Nähe. Das Ergebnis ist unmißverständlich: Ein traditionell prowestlicher Staat mit konservativer, wenn nicht reaktionärer Struktur öffnet der Sowjetunion seine Grenzen und unterstützt die sowjetische Zielsetzung, in Afrika als Alternativntacht zunt Westen Ansehen und Einfluß zu gewinnen. Objektiv trägt Äthiopien damit dazu bei, den Westen nach und nach aus Afrika herauszudrängen und der Sowjetunion Möglichkeiten und Befugnisse einzuräumen, als einziger außerafrikanischer Sachwalter afrikanischer Interessen zu operieren. Dieser Vorgang ist von höchst bedrohlicher Tragweite, um so mehr, als es sich bei der sowjetischen Aktivität in Äthiopien nicht um einen isolierten Versuch, sondern um einen Testfall für ganz Afrika, zumindest für jene Gebiete handelt, in denen die äußeren und inneren Voraussetzungen für ideologische und revolutionäre Aktionen gegenwärtig (noch) nicht bestehen *).

Wirtschaftliche Faktoren im Vordergrund

In der sowjetischen Afrika-Kalkulation nehmen wirtschaftliche Faktoren einen hohen Rang ein. Das kann kaum überraschen, wenn man sich vor Augen hält, daß der Marxismus wesentlich eine . Wissenschaft'von der bestimmenden Rolle der Produktivkräfte und Produktionsmittel für die Gesellschaft ist. Lenin hat die Politik sogar gelegentlich als . konzentrierte Ökonomie'definiert und damit der Wirtschaft, ihren Potentialen und Prozessen eine dominierende Rolle zugewiesen, und Chruschtschow selbst bezeichnete auf dem XXL Parteitag der KPdSU im Januar 1959 die Wirtschaft als das „Hauptfeld, auf dem sich der friedliche Wettbewerb des Sozialismus mit dem Kapitalismus entfaltet“. Er fügte hinzu: „Wir sind daran interessiert, diesen Wettbewerb in historisch kürzester Frist zu gewinnen.“ Chruschtschow weiß sehr wohl, daß es sich bei diesem Wettbewerb nicht zuletzt um die Frage handelt, welches . Weltsystem', Kapitalismus oder Sozialismus, die riesigen Bodenschätze und Wirtschaftskräfte Afrikas binden und beherrschen wird. Nach der Leninschen . Theorie'muß der Monopolkapitalismus zusammenbrechen, wenn er seine . letzte Reserve', die Kolonien und abhängigen Räume, verliert, und es ist bezeichnend für das kommunistische Denken, daß politische Studien und Propagandaschriften des Ostblocks bei der Darstellung Afrikas vorrangig Wirtschaftsfragen abhandeln. So veröffentlichte die internationale kommunistische Zeitschrift . Probleme des Friedens und des Sozialismus'im Februar 1961 einen Überblick . Afrika — der Kontinent der Zukunft, Tatsachen und Dokumente’, in dem satztechnisch hervorgehoben wurde: „An Bodenschätzen besitzt Afrika: die größten Uran-vorräte der kapitalistischen Welt; 34, 4 Prozent der Eisenerzvorräte der kapitalistischen Welt; 74, 9 Prozent der Vorräte an Chromerz; 51, 4 Prozent der Vorräte an Kobalterz; 90, 2 Prozent der Vorräte an Diamanten; 47, 3 Prozent der Vorräte an Kupfererz, große Erdöllagerstätten usw.“ Die Zeitschrift fährt fort: „Der überwiegende Teil der in Afrika geförderten Rohstoffe — nach Angaben der UNO rund 92 Prozent — wird immer noch aus Afrika ausgeführt, und nur acht Prozent verbleiben zur Befriedigung des Bedarfs des riesigen Kontinents ... Ja, das Kolonialregime der Verwaltung ist zwar in einem bedeutenden Teil abgeschafft, aber der Kolonialismus lebt noch. Seine Hauptstütze sind die wirtsdiaftlidteH Positionen der itnperialistisdten Mächte.“ Dies hätten auch die Afrikaner selbst erkannt. So habe, laut . Probleme des Friedens und des Sozialismus', der guineanische Präsident Sekou Toure erklärt: „Nichts berechtigt zu der Behauptung, daß die imperialistischen Mächte freiwillig auf ihre wirtschaftliche, politische und militärische Macht zu verzichten gedenken. Das verachtete und entrechtete Afrika nimmt jetzt in den Expansionsplänen der imperialistischen Mächte einen hervorragenden Platz ein . .. Der Kolonialismus hat die Tendenz, eine internationale Form anzunehmen, die Flaggen und Hymnen des afrikanischen Nationalismus zuläßt, aber nicht erlaubt, daß die Interessen des Kolonialismus angetastet werden. Die politische Unabhängigkeit bedeutet an und für sich nicht die vollständige nationale Befreiung. Gewiß ist sie eine wichtige und entscheidende Etappe. Wir müssen dennoch zugeben, daß die nationale Unabhängigkeit nicht nur die politische, sondern vor allein die volle wirtschaftliche Befreiung voraussetzt. Ohne diese beiden Faktoren ist der soziale Fortschritt unmöglich.“

Man mag diese Auffassung Toures wiederum als Indiz für seine ideologische Harmonie mit dem Kommunismus werten; Tatsache ist jedoch, daß sie im Kern von vielen nichtkommunistischen Nationalisten Afrikas geteilt wird. Die junge afrikanische Elite sieht fast durchgängig in den einseitig-traditionellen Wirtschaftsbeziehungen der politisch unabhängigen Länder zum Westen eine Spätform des Kolonialismus, der die völlige politische Entscheidungsfreiheit unmöglich mache und das Wohl und Wehe der neuen Staaten vom kapitalistischen Weltmarkt'mit seinen Schwankungen und der zunehmenden Entwertung der Rohstoffpreise (bei gleichzeitiger Verteuerung der Investitionsgüter und technischen Apparaturen) abhängig gestalte. Die Sowjetunion befindet sich also in einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem ökonomischen Denken vieler Afrikaner (und diese Übereinstimmung reicht weiter als die ideologische Harmonie), wenn sie sich und vor allem ökonoHtisdt als eine neue Alternative anbietet und Einfluß auf die Handels-und Industriali-sierungspolitik der neuen Staaten zu gewinnen sucht; dabei fällt der kommunistischen Propaganda die Aufgabe zu, den imperialen Kern dieser wirtschaftspolitischen Offensive soweit wie möglich zu verschleiern. (Dies wurde besonders in der kommunistischen Kongopolitik deutlich, die essentiell auf die Liquidierung der europäisch-amerikanischen Ausbeutung des gewaltigen Katangareservoirs und damit den Ausfall des Uran-und Kobaltnachschubs für den Westen abzielte.)

Ansätze zu einer Wirtschaftsoffensive

Die objektiven und subjektiven Ansätze einer kommunistischen Wirtschaftsoffensive aber sind noch größer. In der Praxis weist die Handelsbilanz vieler Entwicklungsländer im Verkehr mit dem Westen häufig ein passives Saldo auf. Ägypten bietet dafür das beste Beispiel: Die Vereinigten Staaten führten 1959 Güter im Wert von mehr als 30 Millionen Ägyptischen Pfund nach Ägypten aus, bezogen aber aus Ägypten nur Waren im Wert von zwei Millionen Ägyptischen Pfund. Auch im gegenseitigen Handel zwischen der Bundesrepublik und der VAR ergab sich ein passives Saldo zugunsten Kairos. Demgegenüber haben die Sowjets 1959 ihrerseits ein passives Saldo im Handel mit der VAR hingenommen (Sowjetexport = 26, 8 Mill. Ägypt. Pfd.; Sowjetimport aus der VAR = 28, 3

Mill. Ägypt. Pfd.), und der wertmäßig kleinere Handel zwischen der VAR und der SBZ weist ebenfalls ein ägyptisches Plus von 1, 6 Millionen Ägyptischen Pfund auf. Im Wirtschaftsverkehr mit vielen Entwicklungsländern dominiert also eindeutig das westliche Verkaufsinteresse, und die westliche Wirtschaftspolitik erfährt dadurch eine nicht geringe psychologische Belastung, da die Entwicklungsländer ihr wesentliches Handelsinteresse nicht realisieren können, nämlich Wareneinfuhren durch Warenausfuhren auszugleichen. Ein eklatantes Beispiel bildete der französische Handelsverkehr mit Guinea. Als das Land Sekou Toures 1958 seine Unabhängigkeit ertrotzte, antwortete Paris mehr oder weniger direkt mit drakonischen Sanktionen, indem es die für Guinea existenzwichtige Bananen-ausfuhr brüsk annullierte. Das erwies sich bald als ein katastrophaler Fehler, denn sofort trat der Sowjetblock, vor allem die deutsche Sowjetzone, mit dem Angebot auf, die gesamte Bananenernte (wenn auch zu reduziertem Preis) unverzüglich abzunehmen. Inzwischen haben die Ostblockstaaten mit Guinea langfristige Handelsvereinbarungen getroffen, die dem westafrikanischen Land auf absehbare Zeit alle Export-sorgen nehmen. Ägypten und Guinea demonstrieren den eminent politisdten Wert der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West einerseits und den neuen Staaten Afrikas; sie zeigen den Ansatzpunkt einer kommunistischen Handelsoffensive, aus der sich zwangsläufig politische Konsequenzen für die innere Ordnung wie für das außen-politische Verhalten der Entwicklungsländer ergeben. Gegenwärtig ist diese Offensive noch im Anfangsstadium; ihre innere Dynamik und Zielsetzung kann jedoch nicht übersehen werden. So hat sich der Ostblock in den Jahren 1959/60 bemüht, auch schon mit den noch nicht unabhängigen Ländern Afrikas ins Geschäft zu kommen. UdSSR, CSSR, China und die deutsche Sowjetzone versuchen beispielsweise jetzt schon in Ostafrika, das zweifellos bis 1962 seine Selbständigkeit erhalten dürfte, Beziehungen anzuknüpfen, die mit der Souveränitätserkläung rasch ausgebaut werden können. Noch 1958 bestanden zwischen der UdSSR und den drei ostafrikanischen Ländern Kenya, Uganda und Tanganjika keinerlei Handelsbeziehungen, 1959 aber importierten die Russen bereits Waren aus Uganda für 2, 48 Millionen Pfund Sterling. 1960 folgten dann China und die Tschechoslowakei. Eine bedeutende Erhöhung des Umsatzes ist dem Ostblock auch im Verkehr mit der Föderation von Rhodesien und Njassaland gelungen. Während im ganzen Jahr 1959 der Import aus dem Ostblock 0, 482 Millionen Pfund Sterling und der Export 4, 86 Millionen. Pfund Sterling betrug, wurden schon im ersten Halbjahr 1960 Werte von 0, 411 und 3, 838 Millionen Pfund Sterling erreicht, d. h. eine Verdoppelung in ganz kurzer Frist. In ähnlichen Relationen verlief während der letzten drei Jahre der Wirtschaftsaustausch mit den inzwischen unabhängigen Gebieten Afrikas. Zum Beispiel erhöhten sich die Exporte Togos an Ostblockländer von einer geringen Summe im Jahre 1959 im ersten Halbjahr 1960 auf 19 Millionen NF; damit nahm der Osten mehr Waren aus Togo ab als der Westen.

Behebung von Exportschwierigkeiten -eine Hintertür für den Kommunismus

Diese handelspolitische Entwicklung erscheint auf weite Sicht fast bedeutsamer als die allgemeine sowjetische technische und Kredithilfe für afrikanische Länder. Im Gegensatz zum Westen verfolgt der Ostblock dabei eindeutig die Taktik, zunädist weniger den Absatz eigener Waren im neuen Afrika, sondern vorwiegend die «Behebung der Exportschwierigkeiten* für afrikanische Länder zu betreiben. Die Zulassung einer ungewöhnlichen passiven Handelsbilanz steht im Dienst der Politik, wobei die nationale Bourgeoisie mancher afrikanischer Länder, die an der Aufrechterhaltung ihrer Rolle als Händler und Verkäufer ausländischer — d. h. vor allem noch westlicher Waren interessiert ist, durch diese Aktivität des Ostens zunächst ebensowenig beunruhigt wird wie die westlichen Absatzfirmen und Exporteure. Verstärkt wird diese Tendenz durch die günstigen Zahlungsbedingungen, die der Ostblock den afrikanischenPartnerländern großzügig einräumt: Im Gegensatz zum Westen, der vielfach die Bezahlung seiner Waren in harten Währungen verlangt, gestat-tet der Ostblock eine Abwicklung in jeder beliebigen Währung oder er bietet eine Bezahlung der Exporte aus Afrika in jeder gewünschten Währung an. Die Vorteile dieser Praxis sind für jeden afrikanischen Staat enorm, und die immense Gefahr der Abhängigkeit wird weitgehend ignoriert, wie das Beispiel Guineas veranschaulicht. Dem Staat Sekou Toures wäre es heute, es sei denn um den Preis einer schweren ökonomischen Krise, unmöglich, aus dem Ostblockgeschäft auszusteigen: Guinea ist auf Gedeih und Verderb langfristig an die kommunistischen Handelspartner gefesselt. Daß diese ökonomische Abhängigkeit dem Ostblock die Möglichkeit zu politischen Forderungen und Aktivitäten im Partnerland verschafft, braucht nicht erst bewiesen zu werden.

Hinzu kommt sowohl in Fragen des Handelsverkehrs als auch der Kredite und Investitionen des Ostblocks ein weiteres Moment von nicht zu unterschätzender politischer Bedeutung: Die sowjetische Wirtschaftsoffensive in Afrika ist prinzipiell . antikapitalistisch'. Sie richtet sich auf eine Abwicklung der Wirtshaftsbeziehungen auf rein staatliher Ebene, während die westlihe Aktivität sih in einem vorwiegend staats-fremden, privatwirtshaftlihen Rahmen abspielt und somit das Entstehen privatwirtschaftlicher Potenzen in Afrika fördert. Der westlihe Geshäftsmann suht seinen Partner niht in staatlihen Organisationen, sondern im privaten, individuellen Bereih. Demgegenüber treten auf kommunistisher Seite niht Exporteure und Importeure, Vertreter von Einzelfirmen und Konzernen, sondern Funktionäre der monolithishen kommunistischen Staatswirtshaft auf, denen niht daran liegt, mit privatwirtshaftlihen Partnern ins Gespräh und Geshäft zu kommen, sondern mit dem Staat den Umfang und die Abwicklung des Geschäftes bis in die letzten Einzelheiten abzusprechen und zu regeln. Er ermuntert, ja verlangt sogar, daß der Partnerstaat den Vertragsablauf realisiert; und damit drängt er den Staat zur Organisierung der Ein-und Ausfuhren.

Vorteilhafte Kredite

Auch die kommunistische Kreditpolitik verfolgt diese Tendenz. Bislang sind allerdings Finanzhilfen an schwarzafrikanische Länder nur zögernd und in geringem Maße, aber doch zu sehr vorteilhaften Bedingungen, eingeräumt worden; so haben Äthiopien 400 Millionen Rubel, Guinea 140, Ghana 160 und Mali 120 Millionen Rubel von der UdSSR erhalten. Die Rückzahlungsbedingungen sehen relativ lange Fristen und einen — im Vergleich zum Westen — ungewöhnlich niedrigen Zinssatz von 2, 5 v. H. vor; der Kredit der Chinesischen Volksrepublik an Guinea (100 Millionen Rubel) ist sogar zinslos vergeben worden. Zweifellos befindet sich diese Kreditpolitik erst im Anfangsstadium, wenn auch die großsprecherische Erklärung des Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Arsumanjan, in Kairo am 27. Dezember 1958 auf der ersten Asro-Asiatischen Solidaritätskonferenz nur propagandistischen Wert besaß. Arsumanjan hatte darin . gigantische'Möglichkeiten einer sowjetischen Hilfe in Form von Industriewerken, Transportanlagen, Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern usw. vorgespielt und hinzugefügt: „Wir suchen keinerlei Vorteile, Konzessionen oder Rohstoffquellen. Wir verlangen nicht, daß Sie an irgendwelchen Blöcken teilnehmen, Ihre Regierungen absetzen oder Ihre Innen-und Außenpolitik ändern. Wir sind bereit, Ihnen zu helfen wie der Bruder dem Bruder. Unsere einzige Bedingung ist, bedingungslos zu helfen.“

Ausschaltung der Privatinitiative

Die Praxis sieht freilich anders aus. Da ist zunächst das — wiederum großmütige — Angebot, die Sowjetunion als Kreditgeber werde den Partnerländern Fachleute zur Verfügung stellen, die den . besten Gebrauch'der angebotenen Summen an Ort und Stelle prüfen sollen: Geologen, Geographen, Planexperten, Disponenten usw. So sind beispielsweise in Guinea ganze Expertenstäbe selbst für kleinere Objekte eingesetzt worden, um die Verwendung sowjetischen Geldes beim Bau von Kühlhäusern, Leder-, Schuh-, Konserven-, Zementfabriken und Sägewerken, der Anlage eines Sportstadions und der Errichtung von Musterfarmen für Reisanbau, Milchwirtschaft und Viehzuchtbetrieben zu sondieren. Nicht anders ist es in Äthiopien, wo ebenfalls ganze Kolonnen kommunistischer Fachleute auftreten; in Ghana, wo einer Vorausdelegation, die den Bau eines Staudammes am Schwarzen Voltafluß anregte, bald eine zweite, umfangreihere Expertengruppe folgte. Aber mehr noch: Auch bei kleineren Projekten, wie dem Bau von Kleinstbetrieben in Guinea und Äthiopien, drängten die Sowjets ihre afrikanischen Partner zu staatlichen Eigentumslösungen, das heißt zur Ausschaltung jeder Privatinitiative und zur Leitung und Verwaltung der Objekte in unmittelbarer staatliher Regie.

Begleitet wird diese Politik des leichten Drucks'von einer permanenten PropagandakcMipagne. Von den Kommentaren der Afrika-sendungen Radio Moskaus behandeln mehr als ein Drittel sozialökonomishe Fragen, wobei zielbewußt auf eine Verdähtigung westliher Kapitalexporte und -investitionen und eine Aufwertung der staatlichen sowjetishen Hilfe* hingearbeitet wird. Tausende kommunistisher Publikationen, von gewihtigen Wälzern bis zu flugblattartigen Pamphleten, hauen in die gleihe Kerbe. In einer von Dr. Ismailowa-Fruck vom . Institut für Wirtshaftswissenshaften'an der sowjetdeutshen . Akademie der Wissenshaften'verfaßten Publikation . Der Staatskapitalismus in den jungen Nationalstaaten'wird unmißverständlih zu Nationalisierungsmaßnahmen aufgefordert, durh die in den afroasiatishen Ländern ein staatliher Sektor der Wirtshaft geshaffen werden könne. Die Elite der Entwicklungsländer wird ermahnt, jede Form der Industrialisierung auf privater Basis konsequent abzulehnen. Weiter heißt es: „Die Akkumulation von Kapital in den Händen der nationalen Bourgeoisie ist ungenügend, und die noh mächtigen ausländishen Monopole weigern sih oft, ihr Kapital in den nationalen Industrien anzulegen. Im Ergebnis muß der Staat die aktive Rolle bei der Industrialisierung spielen. Von progressiver Bedeutung ist dabei die Entstehung des Staatskapitalismus.“ Darin komme jedoch nicht nur, da ein staatlicher Sektor automatisch den Handlungsraum des . Privatkapitalismus'einenge, eine . antiimperialistische Tendenz'zum Tragen; eine staatskapitalistische Grundstruktur habe vielmehr auch Rückwirkungen auf die politische Verfassung. Mit anderen Worten: Der Kommunismus sieht die Vorzüge eines Staats-kapitalismus in den jungen Nationalstaaten wesertlich unter dem Aspekt, daß damit Elemente einer sozialistischen Wirtschaftsstruktur entstehen und der Übergang zum Sowjetkommunismus erleichtert wird.

Bis jetzt nur Anfangserfolge

Wir haben hier nur einen Teil der allgemeinen sowjetischen Afrikapolitik — Diplomatie, Intervention, Indoktrinierung, Wirtschaftsstrategie und Wirtschaftspropaganda — skizziert. Für die Bewertung des Gesamtvorganges ist es wesentlich, sich stets die zentrale Steuerung und Komplexion vor Augen zu halten. Neben der Sowjetunion sind die Satellitenstaaten — vor allem die CSSR und die SBZ —mehr und mehr in Afrika aktiv geworden, und selbst die kommunistischen Parteien westlicher neutraler Länder greifen zugunsten des Kreml — und von Moskau dirigiert — in diesen Kampf ein. So ist 1960, um ein charakteristisches Beispiel zu geben, unter der Ägide der schweizerischen «Partei der Arbeit'ein . Comite Suisse contre le Rassisme et le Colonialisme’ mit dem Sitz in Lausanne geschaffen worden, das für eine aktive Teilnahme aller . aufrichtigen Schweizer'am . Befreiungskampf'Afrikas wirbt und für eine Unterstützung der algerischen Aufständischen, des kamerunischen Bandenkrieges und der radikalen nationalistischen Regimes, besonders Guineas, plädiert. Andere PDA-Organe, die sich vor allem um die , Ligue des droits de Lhomme'

gruppieren und die in der Zeitschrift , Contacts‘ einen spirituellen Mittelpunkt besitzen, brachten in Lausanne eine Demonstration kamerunischer Studenten gegen die rechtmäßige Regierung in Yaounde zustande und besorgten die Abwicklung von Kontakten zwischen linksradikalen afrikanischen Vereinigungen und kommunistischen Stellen, so der sowjetdeutschen Ständigen Beobachterdelegation in Genf. Wie die Zeitschriften hinter dem Eisernen Vorhang, so rief auch . Contacts'zur Herstellung , enger Freundschaftsbande'mit linkstendierenden afrikanischen Jugendgruppen auf; es genüge, so konnte man in einer Ausgabe lesen, wenn man sich an das , Sous-comite de la Jeunesse du Rassemblement Democratique africain" in Conakry wende. Die Absicht solcher Manöver ist klar; Um bei den Afrikanern nicht den Eindruck zu erwecken, daß es nur hinter dem Eisernen Vorhang — nicht jedoch im freien Europa — kommunistische Kräfte gebe, sollen die westeuropäischen Filialen Moskaus aktiviert und als Beweisfaktoren dafür ins Spiel gebracht werden, daß der Kommunismus eine . weltweite Bewegung'darstellt, die überall Anhänger besitzt, sogar in der neutralen Schweiz. Damit wird jedoch nicht nur ein propagandistisches Bedürfnis des Kommunismus realisiert; es ergibt sich vielmehr objektiv eine globale Aktion mit dem Zentrum in Moskau, Hauptstützpunkten in den Satellitenstaaten und Agenturen selbst in den kleinsten Splittergruppen des Kommunismus inmitten der westlichen Welt. So realisiert der Kreml heute tatsächlich das von Lenin und Stalin in ihrem . Aufruf an die Muselmanen'vom November 1917 erhobene Postulat, eine . einheitliche Front der Revolution' von Rußland über den Westen bis zum afro-asiatischen Raum herzustellen.

Zweifellos hat der Kreml in Afrika bislang nur Teilerfolge verbuchen können. Andererseits bestreitet die kommunistische Führung nicht, daß die Durchdringung des Schwarzen Erdteils erst begonnen habe. Chruschtschow hat dies expressis verbis in einer Rede vom 6. Januar 1961 über die . Ergebnisse der Beratung von Vertretern der Kommunistischen Arbeiterparteien' vom November 1960 zugestanden, zugleich aber betont, daß der kommunistische Kampf um den Entwicklungsraum nach der auf dieser Beratung fixierten Generallinie unhaltsam den revolutionären Zielen zusteuern werde. Die entscheidenden Sätze des Chruschtschow-Referats vom 6. Januar 1961 lauten in der Fassung der Zeitschrift . Probleme des Friedens und des Sozialismus'(Nr. 1/1961): „Kommunisten sind Revolutionäre, und es wäre schlecht, bemerkten sie nicht die sich ergebenden Möglichkeiten, fänden sie keine neuen Methoden und Formen, die am sichersten zum gesteckten Ziel führen. ... Die richtige Anwendung der marxistisch-leninistischen Theorie in den Ländern, die sich befreit haben, besteht gerade darin, unter Berücksichtigung der spezifischen Züge des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens der Völker Formen zu finden für den Zusammenschluß der Nationen, zur Sicherung der führenden Rolle der Arbeiterklasse in der nationalen Front, im Kampf für die entschlossene Ausrottung der Wurzeln des Imperialismus und der Überreste des Feudalismus, für die Freilegung des Weges, der letzten Endes zum Sozialismus führt.“

Mao in Afrika

„Like to hear the news, too?“ — „Wollen Sie auch die Nachrichten hören?" fragte midi ein junger Funktionär der . Northern Elements Progressive Union'an einem Dezemberabend 1960 in Nordnigeria. Wir gingen in den kahlwandigen Nachbarraum seines Hauses, und er stellte ein Kurzwellengerät ein. Wenige Sekunden später tönte es laut und deutlich, nur selten von schwachem Fading unterbrochen: „Here is Radio Peking, calling Africa in English“; ganz selbstverständlich hatte der Gastgeber .seinen'Sender eingestellt, Radio Peking. Wir hörten eine Nachrichtenübersicht, in der unablässig von der . brüderlichen Unterstützung des großen chinesischen Volkes für die kämpfenden Völker Afrikas'die Rede war. Dann folgte ein Kommentar, in dem die . Lehren des I-he-t‘uan‘, des sogenannten . Boxeraufstandes'aus dem Jahre 1900, für die Gegenwart analysiert und Lenins Schrift über den chinesischen Krieg (, Iskra, vom Dezember 1900) repetiert wurden. „Alle klassenbewußten Arbeiter", hätte Lenin damals geschrieben, „haben jetzt die Pflicht, sich mit allen Kräften ge-gen diejenigen zu wenden, die den nationalen Haß (gegen die Chinesen) schüren und die Aufmerksamkeit des werktätigen Volkes von seinen wahren Freunden ablenken.“ Radio Peking interpretierte: „Die Haltung des chinesischen Volkes gegenüber den nationalen und demokratischen Bewegungen in den Völkern Afrikas befindet sich, wie Genosse Mao Tse-tung darlegt, in völliger Übereinstimmung mit den damaligen Ansichten Lenins. Aber jetzt besteht eine andere Weltlage. Vor 60 Jahren war es den russischen Werktätigen noch unmöglich, den heldenhaften Kampf des chinesischen Volkes gegen Feudalismus und Kolonialismus tatkräftig zu unterstützen. Jetzt verfügt der Sozialismus über ein Drittel der Erde, und allein in Volkschina stehen 680 Millionen sozialistischer Menschen bereit, die um ihre nationale Freiheit ringenden Völker Afrikas zu unterstützen. Der Kampf der Völker Afrikas gegen den Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus ist zugleich der Kampf des chinesischen Volkes.“

Gelehrige Schüler

Der junge nigerianische Funktionär verschlang diese Parolen begierig. „Die Chinesen sind die einzigen auf der Welt, die uns wirklich verstehen", sagte er. Sie hätten sich vor wenigen Jahren noch in einer ganz ähnlichen Lage wie die Afrikaner befunden. „Auch bei ihnen herrschten Feudalismus und Kolonialismus, und sie haben damit gründlich aufgeräumt.“ Und Tibet? Habe Mao nicht gegenüber dem tibetanischen Volke die gleichen kolonialistischen und imperialistischen Methoden angewendet, die der Westen angeblich in China befolgt habe? Der Nigerianer wehrte den Einwand unmutig mit einer Handbewegung ab. „Was wissen Sie von Tibet?“ fragte er zurück. Und dann kam eine wilde Suada: In Tibet hätten . genau dieselben'feudalistischen Zustände geherrscht, die heute noch in Nordnigeria und in weiten Teilen Afrikas existierten. Eine . Clique von religiösen Fanatikern'— dort die Lhamas, hier die muselmanischen Priester und Grundherren — hätten das Volk . unterjocht', , vom Fortschritt ferngehalten'und . Obskurantismus verbreitet'. Wer für den Fortschritt eintrete, müsse auch den . mutigen Kampf'Pekings gegen die . tibetanischen Reaktionäre'gutheißen. Das chinesische Volk habe einen . gerechten Kampf geführt, als es das tibetanische Volk , von den Fesseln der Vergangenheit'befreite. „Und genauso“, fügte er hinzu, „werden wir eines Tages unser eigenes Volk von der Herrschaft der feudalen Emire und Ulemas befreien“. Ob er auch die sowjetische Aggression in Ungarn billige? „Ach, wissen Sie, das ist eine ganz andere Frage.“ Von den Russen schien er nicht viel zu halten . ..

In solchen und ähnlichen Gesprächen werden die günstigsten Voraussetzungen sichtbar, die Peking in Afrika zum Teil antrifft oder schafft und in jedem Fall für seine politische Infiltration zielstrebig ausnutzt. Die, Sowjetunion mag im Dunklen Erdteil außergewöhnliche Erfolge errungen haben und noch erringen — dennoch sehen nicht wenige Afrikaner in der UdSSR ein . konventionelles Staatsgebilde', das weder strukturell noch funktionell vergleichbare Parallelen zur afrikanischen Situation gestattet. Obwohl der Kreml in Afrika vornehmlich Funktionäre aus asiatischen Sowjetrepubliken einsetzt, um den neuen Partnern rassische Affinitäten vorzuspiegeln, betrachtet die schwarze Elite die Sowjetunion zunächst als ein europäisches Land mit europäischen Traditionen und europäischer Geisteshaltung, während China tatsächlich als eine farbige Brudernation empfunden wird. Im übrigen haben die Sowjets selbst einiges dazu getan, um dieses Bild zu vertiefen. Ihre forcierten Bemühungen um freundschaftliche Kontakte zu allen afrikanischen Ländern — ohne Unterschied der sozialen und politischen Verfassung—, ihre stetigen Koexistenzproklamationen, die sich zeitweilig wahllos an alle afrikanischen Gruppen richten, haben nicht selten den Eindruck hervorgerufen, die UdSSR sei zwar ein proafrikanisches, antiimperialistisches und antikoloniales Zentrum, betreibe jedoch keineswegs durchgängig eine konsequente revolutionäre marxistisch-leninistische Politik.

Zudem stellt die sowjetische Propaganda im Schwarzen Erdteil, die mit Luniks, Sputniks, Raketen und industriellen Großleistungen protzt, die UdSSR in den Augen vieler Afrikaner zwangsläufig auf die gleiche Ebene mit den hochentwickelten westlichen Industriestaaten. Das bedeutet: Die Sowjetunion hat bereits einen ökonomisch-technischen Standard erreicht, der für die primitive Struktur der Entwicklungsländer in unerreichbarer Ferne liegt und kein Modell anbietet. Auf den ersten Blick und bei oberflächlicher Betrachtung mögen die schwarzhäutigen Besucher Moskaus von den Kolossal-bauten, der Metro und den Fabrikgiganten geblendet werden — später verlieren diese Leistungen, die in Europa und den USA ihr Vorbild haben, ihre Einmaligkeit. Zum Schluß bleibt das Bewußtsein einer unendlichen und deprimierenden Distanz zwischen dem modernen Ruß-land und den afrikanischen Ländern, die sich noch im industriellen statu nascendi befinden.

Gemeinsamkeiten verbinden

Eine andere Resonanz bewirken dagegen die China-Reisen der Afrikaner. Wer in einer der zahlreichen Delegationen das Reich Maos besucht, stößt trotz sorgsamer Auswahl der Schau-objekte ständig auf Zeugnisse des Unfertigen. Die Armut der Bevölkerung ist ebenso offenkundig wie die Primitivität mancher Produktionsverfahren und Produkte. Noch ist der Nullpunkt der industriellen Entwicklung unübersehbar nah. Und wie die Berichte afrikanischer Pekingbesucher zeigen, bemühen sich die roten . Betreuer'keineswegs diesen Umstand zu verschieiern. Im Gegenteil: Gerade hier liegt eine Chance, den schwarzen Delegationen die vielen Gemeinsamkeiten vor Augen zu führen, die zwischen dem Afrika von heute und China bestehen. Abgesehen davon ist das bisherige Resultat des chinesischen Experiments für die Besucher äußerst eindrucksvoll. , Aus dem Nichts', so wird erklärt, habe die Chinesische Volksrepublik einen gewaltigen ökonomischen . Sprung nach vorn'getan. Vor 1949 sei China ein typisches Agrarland gewesen: Nur sechs Prozent der Bevölkerung waren in Handwerk und Indu-strie, etwa acht Prozent im Handel, alle übrigen aber in der Landwirtschaft beschäftigt. Eine Erhöhung des Lebensstandards und eine Veränderung der vorgegebenen Wirtschaftsstruktur sei dem . imperialistischen Lakaien'(Tschiang Kaischek) nur über den . kapitalistischen Weg'möglich erschienen. Die kommunistischen Führer hätten demgegenüber eine andere Lösung vorgeschlagen, und das Volk sei ihnen begeistert gefolgt: China werde sich den . kapitalistischen Umweg'ersparen und sofort den semifeudalen und semikolonialen Zustand in die Periode des . sozialistischen Aufbaus'transferieren. Im Ergebnis habe sich die Kohlenproduktion zwischen 1949 und 1957 von 31 auf 110 Millionen Tonnen erhöht, bei Petroleum sei eine Steigerung von 122 000 auf 2 Millionen Tonnen, bei Stahl von 158 000 auf 4. 5 Millionen Tonnen erreicht worden. Und diese Erfolge habe China nicht so sehr dank modernster technischer Einrichtungen, sondern vor allem durch eine neue Organisation der Arbeitskraft und durch die . begeisternde Führung der Partei'erreicht.

Die afrikanischen Gäste .. erden aufgefordert, diese Behauptungen mit eigenen Augen zu überprüfen; sie besuchen Musterkommunen, in denen alle Mitglieder — vom jüngsten Kind bis zum ältesten Greis — in irgendeiner Form nutzbringend beschäftigt und zum . Wohle des gesamten Volkes'eingesetzt sind. Funktionäre erklären, welche Bagatellergebnisse früher auf dem gleichen Areal erzielt worden seien. Die nächste Etappe der Besuchsreise führt in eine Kommune, die lokale Erzvorkommen in jenen Einmannschmelzen verarbeitet, über die der Europäer so gern belustigt hinweggeht. Später würden auch hier, so wird den Afrikanern erläutert, große Schmelzöfen mit kompletten Sinteranlagen und Walzstraßen stehen — aber einstweilen begnüge man sich , mit dem, was möglich ist'. Die schwarzen Gäste staunen fasziniert. Auch sie wollen eines Tages mit modernsten technischen Einrichtungen arbeiten, aber einstweilen können sie selbst vollautomatische Eisenhüttenwerke mit Hochöfen und dem dazugehörigen komplizierten technischen Arsenal weder errichten noch betreiben. Die chinesischen Kleinschmelzen aber lassen sich sogar von technisch ungeübten Guineanern oder Kongolesen in Gang halten. Und vor allem: Wird diese Form des Eisengusses nicht schon seit Jahrhunderten von den Afrikanern praktiziert?! Mit den gleichen Methoden haben ihre Vorfahren Speerspitzen, Messer und Gerätschaften hergestellt! Man müsse, erfahren sie nun von den Chinesen, nur den , großen Sprung"

von der individuellen, auf Privatnutzung zielenden Produktion zur kollektiven Erzeugung, zur . sozialistischen Produktion* vollziehen, die Arbeit . chinesisch'organisieren, dann sei auch in Afrika der gleiche Aufschwung wie in China möglich.

Die Perspektive, die China den Afrikanern anzubieten hat, erscheint also realistischer als die sowjetische Verheißung. Peking kann auf strukturelle Gemeinsamkeiten verweisen (sofern sie nicht vorhanden sind, werden sie konstruiert) und antiwestliche Affekte wie antikapitalistische Vorbehalte der afrikanischen Elite sehr viel intensiver ausnutzen als der Kreml. Da sich die chinesischen Kommunisten obendrein in der antikolonialistischen Agitation und Propaganda von den Sowjets — wenn auch nur graduell — absetzen, indem sie vahementer, schärfer, kompromißloser operieren, werden die orientierungslosen und radikalen Afrikaner durch eine von utilitaristischen Schwankungen und taktischen Finessen weitgehend freie Politik wirksamer angesprochen als von Moskau.

Später Beginn der ideologischen Offensive

Begonnen wurde diese Politik relativ spät. Nach einem Jahrzehnt, das im wesentlichen vom Zwang zur Konsolidierung der Macht im Innern, von militärischen und subversiven Aktionen in den Randgebieten und einem allmählichen politischen Vortasten in Gesamtasien bestimmt wurde, ist das Regime Mao-Tse-tungs erst im zweiten Halbjahr 1958 zu einer offensiven und massiven Afrikapolitik übergegangen. Bis dahin bemühte sich Peking lediglich um die Etablierung einer Botschaft in Kairo (30. Mai 1956), die den gesamten nordafrikanischen Raum bearbeitete und Kontakte zu allen schwarzafrika-nischen Gruppen suchte, die in der ägyptischen Hauptstadt politische Büros unterhalten. Erst danach gelang es, verschiedene unabhängige afrikanische Staaten zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu bewegen, deren Unter-stützung in Fragen der internationalen Politik, vor allem für die Aufnahme in die Vereinten Nationen, Peking dringend bedarf. So wurde zunächst ein Botschafteraustausch mit dem Sudan (1. November 1958), mit der algerischen Provisorischen Regierung (20. Dezember 1958), mit Guinea (4. Oktober 1959), und mit Ghana (5. Juli 1960), vereinbart 1).

Die diplomatische Ebene ist indessen für die chinesischen Kommunisten nur insoweit von Interesse, als sie gleichzeitig für ideologische und infiltrative Operationen benutzt werden kann. Schon die Errichtung einer Botschaft in Kairo war mit anderen Absichten als nur der des offiziellen Kontaktes zum Nasser-Regime verbunden. Weitaus stärker gilt das für die drei heutigen Hauptstützpunkte Pekings in Afrika: Rabat, Conakry und Accra.

Stützpunkt Marokko

In dieser Reihenfolge muß auf den ersten Blick die Vorrangstellung Marokkos überraschen. Aber nach einem temporären Konflikt mit Kairo im Jahre 1959 (der syrische Kommunistenführer Bagdasch hatte in Peking scharf gegen die Unterdrückung der KP in der Vereinigten Arabischen Republik protestiert und wilde Beschuldigungen gegen Nasser geschleudert) und angesichts der Zurückhaltung Tunesiens gegenüber den chinesischen Kommunisten blieb Marokko der einzige Staat Nordafrikas, der Peking als Basis für eine Einflußnahme auf den Algerien-krieg dienen konnte. Und nicht zufällig konzentrierte sich die chinesische . diplomatische'Aktivität in Marokko zu einem großen Teil auf die strategisch bedeutsamen Pekinger Konsulate in Tanger und vor allem in Oujda, das unmittelbar an der marokkanisch-algerischen Grenze liegt.

Im algerischen . Front de la Liberation Nationale'(FLN) sieht Peking seit langem eine avantgardistische antikoloniale Bewegung, die es nach dem Beispiel der Viet-minh-Bewegung in Indochina zu einem Instrument der revolutionären Strategie gegen Frankreich und den Westen umzuformen sucht. Sofort nach der Proklamation der Provisorischen Regierung der Republik Algerien (GPRA) im Herbst 1958 nahm Rotchina — und bisher als einziges kommunistisches Land — offizielle diplomatische Beziehungen zur Regierung Ferhat Abbas auf. Im Dezember 1958 wurde die erste algerische Delegation unter Leitung von Rüstungsminister Scherif und Sozial-ministerBen Chedda von den führenden Männern des kommunistischen China in Peking empfangen; sie absolvierte mehrere Konferenzen mit leitenden Generalen des Pekinger Verteidigungsministeriums. Bald folgte eine zweite FLN-Abordnung, der nun auch Militärs angehörten, geführt von Staatssekretär Amar U-Seddik, einem im Guerillakrieg erfahrenen Funktionär, der in der Umgebung Algiers operierte. Auch zu den Zehnjahresfeiern des Sieges der chinesischen Kommunisten weilten zwei GPRA-Minister in Peking, und nach einem weiteren Besuch Krim Belkassems im Frühjahr 1960 folgte am 29. August 1960 Ferhat Abbas selbst.

Diese Visite, zu der die Chinesen wiederholt gedrängt hatten, wurde mehrmals aufgeschoben, weil das Tauziehen um den Pekingbesuch im GPRA einen lähmenden Immobilismus bewirkt hatte: Freunde und Gegner einer Annäherung zwischen dem FLN und der KP Chinas bedrängten sich gegenseitig, die Reise „als unbedingt notwendige Sondierung der zugesagten militä-rischen Hilfe'Chinas anzunehmen bzw. als Gefahr für eine zu starke kommunistische Beeinflussung des algerischen Freiheitskampfes abzulehnen. Nachdem sich Peking schon 1959 bereit erklärt hatte, als Partisanen geschulte Freiwillige nach Nordafrika zu entsenden, 20 bis 25 Jagdbomber samt Personal und größere Mengen automatischer und schwerer Waffen zu liefern, begnügte sich Ferhat Abbas zunächst damit, diese Angebote als ein Druckmittel gegen de Gaulle auszuspielen und mit der Annahme der Pekinger Offerte zu drohen, falls Paris eine friedliche und den FLN begünstigende Lösung des Konflikts ablehnen sollte. In der Tat sah sich Frankreich, von den alarmierten Westmächten bedrängt, gerade dadurch im Sommer 1960 gezwungen, seine ultimativen Forderungen abzubauen, die Parole des , Algerie algerienne'zu ventilieren und in Melun mit Beauftragten von Ferhat Abbas erste Gespräche zu eröffnen. Der Mißerfolg dieser Kontaktaufnahme schlug sich sofort in einer faktischen Annäherung des GPRA an Rotchina nieder. Die lange verzögerte Besetzung des Botschafterpostens in Peking wurde ebenso positiv entschieden wie der Termin der Abbas-Reise. Und wenn auch die Verhandlungstaktik des GPRA-Chefs weiter auf vorwiegend propagandistische Effekte zielte, so nahm doch die Militärhilfe Pekings (Abbas: „Ihr Umfang fällt in das Gebiet des militärischen Geheimnisses“) konkretere Formen an. Die Drohung einer direkten militärischen chinesischen Intervention in Algier wurde jedenfalls beträchtlich verstärkt, und nur dem Drängen de Gaulles auf die Konstituierung eines . algerischen Algerien', dem darauffolgenden Volksentscheid vom Januar 1961 und der Kontaktaufnahme mit dem FLN im Frühjahr 1961 ist es zuzuschreiben, wenn diese Dohung bisher nicht realisiert wurde.

Kein Interesse an friedlichen Lösungen

Über die Absichten der chinesischen KP können freilich keinerlei Zweifel bestehen. Ihr liegt nichts an einer wie immer gearteten friedlichen Regelung des Algerienproblems. Mit einer Flut propagandistischer Maßnahmen, der Veranstaltung besonderer Algerien-Tage und Algerien-Wochen, sowie massiver Einflußnahmen auf einzelne algerische Gruppen und Persönlichkeiten sucht sie ihre revolutionäre Konzeption nach wie vor zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, den Gegensätzen zwischen Moskau und Peking in der Algerienfrage nachzugehen. Moskau hat es zwar nie an wortreichen Deklarationen für den FLN fehlen lassen — so zuletzt im Herbst 1960, als Chruschtschow während der UN-Vollversammlung in New York Führer des GPRA empfing und diese Gespräche als . Ausdruck der faktischen Anerkennung des GPRA'bezeichnete; aber seit dem Herbst 1959 hat der Kreml doch bei verschiedenen Anlässen bekundet, daß er eine friedliche Einigung zwischen de Gaulle und den Aufständischen begrüßen würde. So erklärte Chruschtschow am 31. Oktober 1959 vor dem Obersten Sowjet: „Die jüngste Erklärung Präsident de Gaulles zur Lösung des Algerienproblems auf der Basis der Selbstbestimmung und durch eine Volksabstimmung in Algerien könnte eine bedeutsame Rolle ... spielen.“ Mehr noch: Chruschtschow erkannte an, „daß zwischen Frankreich und Algerien enge historisdte Bande bestehen“. Falls diese Bande künftig , auf der Basis einer gegenseitig akzeptablen Überein-stimmung und der Achtung von Freiwilligkeit und Gleichheit'gefestigt werden könnten, würde dies zu einer Befriedung Algeriens führen.

Schließlich versuchte der sowjetische Staatschef sogar, den Franzosen eine friedliche Lösung des Algerienkonfliktes mit den schmeichelnden Worten schmackhaft zu machen: „Es ist nicht schwer zu sehen, daß eine friedliche Lösung des Algerienproblems das internationale Prestige Frankreichs als einer Großntadit beträchtlich erhöhen würde ..

Wie reagierten demgegenüber die Chinesen? Sie erklärten schon am 17. Oktober 1959 in einem Kommentar der Agentur Hsinhua, der über Radio Peking ausgestrahlt wurde: „Der französische Imperialismus ist in eine finstere Konspiration verwickelt ... Der Plan sogenannter . Feuereinstellungsverhandlungen'und einer . Selbstbestimmung'in Algerien, vor einem Monat von Präsident de Gaulle vorgeschlagen, ist nichts anderes als eine verzuckerte Giftpille ... Gegenüber früher ist nur eine taktische Verän-derung zu beachten ... Frankreich versucht, durch einen Trick zu erreichen, was es durch Waffengewalt nicht erreichen kann.“

Der Widerspruch zwischen beiden Auffassungen ist elementar und durch mehrere konträre Stellungnahmen Pekings und Moskaus gerade in jüngster Zeit, so vor allem im Zusammenhang mit den Gesprächen zwischen de Gaulle und Bourgiba, verdeutlicht worden. Chruschtschow sieht im FLN keine aktuelle Chance zur Ideologisierung der algerischen Befreiungsbewegung und somit zur Transformation der . Revolution durch Waffen'in eine . Sozialistische Revolution'. Er läßt sich Zeit un spekuliert auf eine zukünftige Phase interner Auseinandersetzungen in einem unabhängigen algerischen Nationalstaat, die dann aus den strukturellen Problemen zwangsläufig entstehen müssen. Zunächst aber erhöht es sein Prestige als . Friedens-fürst' und Prophet .friedlicher Koexistenz', wenn er auch in Algerien dafür plädiert, den . Krieg als Mittel zur Lösung der Probleme'auszuschalten.

Demgegenüber sehen die chinesischen Kommunisten a priori im Krieg einen Demiurgen des Kommunismus. Nur solange der algerische Konflikt andauert, können sie auf eine effektive Chance für die Überleitung des . ideologiefreien Konfliktes'in einen revolutionären Kampf, in eine . Sozialistische Revolution'hoffen. Jede andere Konzeption ist für sie eine . opportunistische Entartung'des Marxismus-Leninismus, der nach ihrer Auffassung die massive Intervention des Kommunismus in jedweden schwelenden internationalen wie nationalen Brandherd als eine conditio sine qua non für kommunistische Erfolge postuliert.

Gesteuertes Chaos in Kamerun

Noch stärker als in Algerien wird der sowjetisch-chinesische Widerspruch in Kamerun manifestiert. Das äquatoriale Einfallstor zum Schwarzen Erdteil ist seit 195 5 durch ein ähnliches Chaos wie Algerien (wenn auch nicht in gleichem Ausmaß) paralysiert. Die rechtsorientierte Regierung unter Ahmadou Ahidjo und Charles Assale, die nach der Unabhängigkeit den Verbleib französischer Truppen im Lande forderte und mit dieser Militärhilfe steht und fällt, sieht sich einem ständigen Anwachsen des politischen Guerillapotentials der . Union des Populations du Cameroun'(UPC), apolitischen Banditentums und starker sozialer Unzufriedenheit gegenüber. Personifiziert wurde diese heterogene Front gegen Paris und die frankophile Administration zunächst durch Ruben Um Nyobe, der im Herbst 195 8 im Partisanenkampf fiel, und durch Felix-Roland Moumie, der im November 1960 in der Schweiz einem Giftattentat erlag. Mehr noch als Um Nyobe ist er für unzählige Grausamkeiten, Massaker, Malträtierungen, Raub-und Brandüberfälle auf Missionsstationen, Regierungseinrichtungen und friedliche Dörfer verantwortlich, und im Gegensatz zu vielen UPC-Mitgliedern und Funktionären hat Moumie aus seiner kommunistischen Gesinnung keinen Hehl gemacht. Ja, mehr noch: Moumie war gewissermaßen der erste kommunistisdie Berufsrevolutionär Afrikas. Als Sohn eines Kleinbauern vom Stamme der Bamoun 1925 in Nordkamerun geboren, hat er in Brazzaville die Oberschule besucht und in Dakar Medizin studiert. Schon als Schüler kam er mit der kommunistischen Bewegung in Kontakt, und von Dakar aus reiste er — als Vize-präsident der Studentenorganisatiön des , Rassemblement Democratique Africain'— 1948 erstmals hinter den Eisernen Vorhang. Innerhalb der UPC stand er von Beginn an auf dem äußersten linken Flügel, und seine Wahl zum Vizepräsidenten (1949) und später zum Präsidenten der Partei (1952) markierte die wichtigsten Etappen im Radikalisierungsprozeß dieser Bewegung, die 195 5 in den Untergrund ging. Während Um Nyobe als Generalsekretär der UPC damals bewußt die Möglichkeit zur Emigration ausschlug, begann für Moumie ein ruheloser Weg, der ihn zunächst nach Britisch-Kamerun und Kario, dann nach Accra und schließlich 195 8 nach Conakry führte, wo er sich jeweils als Führer des . neuen, antikolonialen Kamerun'feiern ließ und Exilbüros einrichtete. In den letzten Jahren fand man ihn bei allen wichtigen panafrikanischen Konferenzen — und immer häufiger in Prag, Moskau und Peking. Er zählte für kurze Zeit Nasser, bis zu seinem Tode Kwame Nkrumah und Sekou Toure zu seinen persönlichen Freunden, wurde von Chruschtschow empfangen, von Mao Tse-tung hofiert und finanziert. Wenn er auch in erster Linie seine Anhänger in Kamerun ständig mit scharfen Parolen und besseren — meist tschechischen — Waffen versorgte und sich als kamerunischer Nationalist ausgab, so spielte er doch eine ständig bedeutsamere internationale Rolle. Über sein UPC-Büro in Conakry, das sich bezeichnenderweise im Gebäude der guineanischen Nationalversammlung befand, liefen die roten Fäden zu allen radikalen, prokommunistischen Gruppen Westafrikas. Auch die letzte größere Aktion Moumies vor seinem Tode, auf die Kameruns Außenminister Okala — unter Berufung auf eine ihm übergebene Erklärung von Präsident Nasser — vor dem kamerunischen Parlament hinwies, hatte nichts mit seinem Heimatland zu tun: Nach der Unabhängigkeit des ehemals belgischen Kongo ging Moumie als . Berater'zu Lumumba, und nach Beginn der Wirren am Kongo baute er in der Nähe von Leopoldville und mit betonter Zustimmung Lumumbas eine Partisanensdtule auf, an der junge Kongolesen und Angolaner in der Praxis des Guerillakrieges unterwiesen wurden. Es bedurfte massiver Interventionen von außen und des Sieges von Mobutu in Leopoldville, um dieser Tätigkeit ein Ende zu bereiten.

Großzügige Geldgeber

Auch hier stellt sich erneut die Frage, wer eigentlich diese und andere Aktionen Moumies angeleitet und finanziert hat, denn Moumie muß über erstaunlich große Geldbeträge verfügt haben. Nach seinem Tode wurde laut offiziellen Angaben der kamerunischen Regierung entdeckt, daß Moumi ein schweizerisches Bankkonto von 771 Millionen Francs CFA besaß. (Dies würde der Summe von mehr als 12 Millionen DM entsprechen!!) Die Ermittlungen der kamerunischen Regierung und andere Nachforschungen haben inzwischen auch dieses Dunkel ein wenig gelichtet. Auf Grund einer Besprechung mit Sekou Toure über den . Fall Moumie'konnte Kameruns Außenminister Okala am 9. Dezember 1960 dem Parlament von Yaounde berichten, daß Guinea ganz offensichtlich die illegale UPC unterstützt habe und auch jetzt noch unterstütze. Daß Moumie mit einem guineanischen Paß reiste, daß seine sterbliche Hülle mit einem guineanischen Charterflugzeug von Genf nach Conakry überführt und mit allen Ehren eines Staatsbegräbnisses beigesetzt wurde, sagt überdies genug. Ebenso eindeutig ist die Stellungnahme Präsident Nkrumahs, der nach dem Mord an Moumie wörtlich erklärte: „Jetzt muß die Fakel des Freiheitskampfes in Afrika noch höher gehoben werden." Demgegenüber hat Präsident Nasser der kamerunischen Regierung nachdrücklich versichert, sein Land habe . längst'jede aktive Hilfe für die UPC eingestellt, zumal Moumie versucht habe, in panafrikanischen Kreisen gegen ihn (Nasser) . Stimmung zu machen'. Noch interessanter ist die Tatsache, daß Okala in New York während der UN-Session die Moumie-Affäre auch mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow erörtert hat. Der Außenminister Kameruns berichtete dem Parlament von Yaounde, Chruschtschow hätte ihm wörtlich erklärt: „Idi habe Herrn Moumie gesagt, daß eine Revolution nicht von außen her organisiert werden kann . . . Kehren Sie nach Kamerun zurück, um mit Ihren Landsleuten zu leiden, und gewinnen Sie die Macht auf legalem Weg durch Wahlen."

Sowjetische Kursänderung

Diese Äußerungen und Indizien lassen einige bemerkenswerte Schlüsse zu. Sie enthüllen ein über den engen kamerunischen Problemkreis hinaus bedeutsames internationales System von Interessengemeinschaften, in dem Moskau, Conakry und Accra als die Promotoren eines äußersten, jede moralische Basis negierenden politischen Radikalismus in Erscheinung treten und sich gegenüber den demokratischen Kräften in Afrilschwer belasten. Dabei sollte die Erklärung Chruschtschows nicht falsch verstanden werden: Immerhin hat der sowjetische Ministerpräsident zugegeben, mit Moumie gesprochen und ihm Ratschläge erteilt zu haben — daß er gegenüber dem kamerunischen Außenminister nicht zugeben konnte, er habe Moumie zur Fortsetzung seiner extremistischen Politik ermuntert, ist wohl selbstverständlich und im Grunde auch ohne Belang. Unabhängig von dieser Frage stimmt Chruschtschows Äußerung gegenüber dem kamerunischen Außenminister aber mit der sowjetischen . These'überein, die zuerst auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar und dann auf den beiden Moskauer Konzilen vom November 1957 und 1960 proklamiert wurde, und die für die noch unfreien Völker Asiens und Afrikas einen parlamentarischen Weg zur Machterobe-rung als eine von zwei Möglichkeiten eröffnete, und durch die sowjetische Politik der Kooperation mit der . Nationalen Bourgeoisie'materielles Gewicht erlangte.

Unzweifelhaft hat der Kreml die Operationen der UPC bis zu einem gewissen Punkt nicht nur propagandistisch unterstützt. Am Abend der kamerunischen Unabhängigkeitsfeiern in Garoua am Januar 1960 gab jedoch Ahidjo als damaliger Premierminister für die in-und ausländischen Gäste einen Empfang im früheren Gouverneurspalast, in dessen Verlauf er mit Chruschtschows Sonderbotschafter zu den kamerunischen Unabhängigkeitsfeiern, Nikolaj Pawlowitsch Firjubin 3) fast eine Stunde lang konferierte. Bis dahin hatten die Sowjets im Gegensatz zu ihrer bisherigen Praxis keineswegs die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kamerun offeriert und waren — auch wegen der UPC-Unterstützung —bei allen Festbanketts und Empfängen regelrecht desavouiert worden. Um so bemerkenswerter mußte daher das Gespräch Ahidjos mit Firjubin erscheinen. Am nächsten Tag bestätigte tatsächlich ein Beamter aus der näheren Umgebung Ahidjos, die kamerunischsowjetische Kontaktaufnahme habe ein , für Kamerun sehr befriedigendes Resultat erbracht'. Es ist, auch nach späteren Äußerungen aus UPC-Kreisen, nicht zu bezweifeln, daß dieses . Ergebnis'in einer sowjetischen Zusage bestand, die einseitige Förderung der UPC einzustellen und auf die Rebellenführung einzuwirken, etwaige Verhandlungsangebote der Regierung von Yaounde nicht kategorisch auszuschlagen.

Chinesischer Einfluß auf die UPC

Moumie zeigte sich jedenfalls bei einem persönlichen Gespräch im April 1960 in Conakry von einer ganz neuen Seite. Er erwähnte während des zweistündigen Interviews Moskau und die sowjetischen Kommunisten, denen er früher starke Reverenzen erwiesen hatte, mit kaum einem Wort. Desto ausführlicher — und damit berühren wir den entscheidenden Punkt der Affäre Moumie — sprach er über seine Erfahrungen während einer neuerlichen Chinareise, von der er kurz zuvor zurückgekehrt war. Er gab persönliche Gespräche mit chinesischen KP-Führern, darunter Mao Tse-tung, unumwunden zu und gestand ein, mit dem Pekinger Kommunistenchef ausführlich dessen grundlegende Schrift über den Guerillakampf (»Fragen der Strategie des Partisanenkrieges', erstmals erschienen 1938) diskutiert zu haben Fast triumphierend zeigte Moumie eine französische Über-setzung dieser Schrift vor, die mit einer persönlichen Widmung Maos versehen war, und bemerkte: , Hier können Sie nachlesen, was jetzt in Kamerun alles passieren wird.'

Seither bezeugen weitere Faktoren das vitale Interesse Pekings am Bürgerkrieg in Kamerun; sie lassen darauf schließen, daß die chinesischen Kommunisten mehr und mehr an Einfluß auf die UPC gewonnen haben und ihre Hauptprotektoren geworden sind. Moumie besuchte im Sommer 1960 erneut die Chinesische Volksrepublik, gefolgt von seinem Stellvertreter und Nachfolger Ouandie und mindestens drei Gruppen angeblicher . Gewerkschaftler'aus Kamerun. Sodann wurde innerhalb der chinesischen Botschaft in Conakry ein spezielles Büro für Kontakte zur UPC eingerichtet, und neben rotchinesischen Funktionären sind neuerdings auch zwei nordvietnamesische . Diplomaten'in der Hauptstadt Guineas als . Berater'für die UPC-Zentrale tätig.

Einen weiteren Beleg lieferte am 11. September 1960 Njiawue Nicanor, ständiger Repräsentant der UPC in Rabat, in einem Interview mit dem marokkanischen Hsinhua-Korrespondenten. Der englischsprachigen Ausgabe der Nachrichtenagentur . Neues China'zufolge erklärte Nicanor: „Das chinesische Volk scheut (man möchte ergänzen: im Gegensatz zu anderen kommunistischen . Völkern') niemals vor einer Unterstützung unseres Kampfes zurück. Das täglich wachsende Interesse, das das chinesische Volk für unseren Kampf bekundet, ist ein materieller Beweis seiner klaren Anhänglichkeit an das Prinzip des antiimperialistischen Kampfes und der proletarischen Solidarität. Aus dem großen chinesischen Beitrag erwächst der Mut des kamerunischen Volkes zur Fortsetzung und Intensivierung des revolutionären Kampfes. Die reiche Erfahrung Chinas während eines 28jährigen siegreichen Krieges gegen den Imperialismus und dessen Lakaien, der Erfolg beim wirtschaftlichen Aufbau, beim sogenannten , Großen Sprung nach vorn'und bei der Errichtung der Volkskommunen — dies alles stellt ein wertvolles Beispiel für die afrikanischen Völker dar, zumal die afrikanischen Bedingungen des Kampfes und des Lebens nicht sehr von denen des alten China differieren. . ."

Ein Kommentar zu diesen Worten erübrigt sich. Die komplette Übernahme der marxistischen Diktion, die unmißverständliche Bestätigung der engen Beziehungen zwischen der UPC und dem . chinesischen Volk', schließlich die Erwähnung der Volkskommunen und eine — hier nicht zitierte — Verurteilung der . amerikanischen und westdeutschen Unterstützung Frankreichs'in seinen . Aggressionen gegen das algerische und das kamerunische Volk'sprechen für sich selbst. Die wütende Reaktion der chinesischen Presse und Rundfunkpropaganda auf den Tod Moumies, die sich deutlich von der Behandlung dieses Falles in der übrigen kommunistischen Publizistik abhob, hat wohl zusätzlich erhellt, daß die UPC nur noch existieren und ihren Kampf fortsetzen kann, weil sie von Mao mit allen Mitteln unterstütze und von der chinesischen Agitation angehalten wird, den Krieg in Kamerun , bis zum Endsieg'weiterzuführen — so wie es Peking auch für Algerien fordert.

Chance für Peking am Kongo?

Ähnliche Chancen wie in Algerien und Kamerun rechnete sich Peking aus, als es im Januar 1959 zum Aufstand von Leopoldville kam und der Kongo durch eine verwirrende Phase personeller und tribalistischer Gegensätze seiner Souveränität zustrebte. Während die Konferenz am Brüsseler Runden Tisch gerade das Datum der Unabhängigkeit fixierte, trafen kongolesische und chinesische Politiker am Rande der 2. Allafrikanischen Völkerkonferenz in Tunis Ende Januar 1960 zu ersten verbindlichen Gesprächen zusammen. Beauftragte Lumumbas vereinbarten mit dem Generalsekretär des Pekinger AfroAsiatischen Solidaritätskomitees, Tschou Tzutschi, . konkrete Maßnahmen zur Unterstützung des kongolesischen Volkes im Kampf gegen den Kolonialismus'. Internen Informationen zufolge soll Peking daraufhin von einer einseitigen Hilfe für die Kongolesische Sozialistische Partei abgesehen und dem . Mouvement Nationale Congolais', der Partei Lumumbas, beträchtliche Summen für den Wahlkampf übermittelt haben. Mehrere Gruppen kongolesischer Politiker weilten zudem kurz vor der Unabhängigkeit in China, und Theodore Bengila, Generalsekretär der Afrikanischen Solidaritätspartei des Kongo, erklärte am 30. Juni 1960, dem Tage der Unabhängigkeit, daß China den afrikanischen Völkern ein hervorragendes Beispiel'gegeben habe; eine . wirkliche Unabhängigkeit', unter der er die Ausschaltung aller westlichen Einflüsse, vornehmlich in der Wirtschaft, verstand, könnte in Afrika nur durch eine Beherzigung der . chinesischen Lehren'herbeigeführt werden. Bengila sprach auch davon, daß die . amerikanischen Imperialisten'eine . Verschwörung gegen die Unabhängigkeit des Kongo'planten — und er gab damit das Signal für eine lautstarke, mit vehementen Drohungen untermischte Pekinger Kampagne, die sofort nach der Meuterei der . Force Publique'einsetzte und seither nicht mehr verstummt ist.

Lumumba selbst hat China nicht besucht, und auch eine Visite seines Stellvertreters Antoine Gizenga ist nicht exakt nachzuweisen. Als Führungsmitglied des , Parti Solidaire Africain', der im Gegensatz zum MNC Lumumbas einen eindeutigen Linkskurs steuerte, gehörte Gizenga aber schon früher zu den potentiellen Komplicen der Kommunisten. Gizenga war es auch, der am 8. September 1960 ein Schreiben mit folgendem Wortlaut an die Pekinger Regierung richtete: „Die Regierung der Republik Kongo wäre zu großem Dank verpflichtet für eine Mitteilung, inwieweit Ihre Regierung in der Lage wäre, uns auf den nachstehend angegebenen Gebieten Unterstützung zu geben: 1. Personal (Freiwillige); 2. Waffen (verschiedene Waffen mit Munition, Jagdflugzeuge, Hubschrauber, verschiedene Geschütze, Panzer, Panzerspähwagen); 3. Finanzen (für dringende Ausgaben nötige Summen); 4. Verpflegung (Reismehl und Lebensmittelkonserven). Diese dringend erforderliche Hilfe würde es der Regierung des Kongo ermöglichen, die Unabhängigkeit des Landes zu sichern, die gegenwärtig ernstlich bedroht ist. Für den Ministerpräsidenten — Der stellvertretende Ministerpräsident, gez. Antoine Gizenga.“

Indessen mußten die Freunde Pekings am Kongo bald eingestehen, daß ihre Tätigkeit und damit eine Ausweitung des chinesischen Einflusses durch die . aktuellen Bedingungen gehemmt wurde (so Mandungo, Vizepräsident der Gesellschaft Kongo-China, am 9. Dezember 1960 im Pekinger Rundfunk). Die Verhaftung Lumumbas, das zeitweilige Durchgreifen der Mobutu-Truppen und die Aktion der Vereinten Nationen im afrikanischen Krisenzentrum drängten den kommunistischen Einfluß beträchtlich zurück (bekanntlich waren alle Ostblockvertretungen in Leopoldville im Oktober von Staats-präsident Kasavubu geschlossen worden). Um so schriller klingt die chinesische Kongo-Propaganda, die über Radio Peking ausgestrahlt und im Kongo nicht nur gut empfangen wird, sondern wesentlich zur Verschärfung der Spannungen beitrug. Ihren Höhepunkt erreichte die chinesische Agitation nach dem Tod Lumumbas. Die KPCh organisierte anläßlich der Ermordung des kongolesischen Premiers große Massenkundgebungen: Allein in Peking de monstrierten 500 000 Menschen, in Shanghai 400 000, in Tientsin 3 5OOOG und in Kanton 200 000 gegen das . imperialistische Attentat'

auf Lumumba. Liao Tschen-tschi, Vorsitzender des Pekinger Afro-Asiatischen Solidaritätskomitees, erklärte in der chinesischen Hauptstadt:

„Der Mord an Premierminister Lumumba beweist erneut, daß Imperialisten und Kolonialisten nie von selbst die Bühne der Geschichte verlassen" — mit anderen Worten: Sie müssen entsprechend dem chinesischen — nicht dem sowjetischen! — Postulat in den kolonialen und halbkolonialen Ländern Mit Gewalt von der Bühne verjagt werden. Liao konkretisierte weiter: „Der Mord an Lumumba lehrt das kongolesische Volk, die Afrikaner und alle anderen unterdrückten Völker, daß man den von Amerika geführten imperialistischen Blöde nicht anders als eine Gruppe kannibalischer Ungeheuer betrachten muß, die den Kolonialvölkern die Wohltat der Unabhängigkeit niemals schenken werden. Echte Unabhängigkeit muß daher durch den Volkskampf selbst erzwungen werden, und es gibt dafür keinen anderen und billigen Ausweg.“ Mit einer deutlichen Spitze gegen Moskau fügte Liao hinzu: „Viele, die aus Mangel an Aufmerksamkeit Illusionen über den wahren Charakter des Imperialismus genährt haben, erkennen jetzt die wahre Lage, da sie mit den Verbrechen des Imperialismus konfrontiert werden . . . Das ist die Logik der Revolution. Alle Völker des Kongo, Afrikas und der Welt schreiten jetzt zur Tat. Das ist genau dasselbe, was vor Jahren in China geschehen ist . .

Auch materielle Hilfe für Gizenga

Diese Worte . enthalten wieder einmal das zentrale Problem im Disput zwischen Moskau und Peking: Nach Ansicht der chinesischen Kommunisten sind Arrangements mit den . Imperialisten'ebenso unmöglich wie die Chance der koexistentiellen . Aussöhnung', so ephemer sie auch kalkuliert sei. Die einzige Alternative, die der von Washington geführte . Imperialismus'zulasse, sei die des unversöhnlichen und bewaffneten Kampfes nach dem Vorbild Chinas. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Chinesen den Beweis für ihre Thesen durch den Tod Lumumbas beträchtlich erhärten konnten und diese Gelegenheit ergriffen haben, um den Moskauer Kommunisten einmal mehr die . Haltlosigkeit'der sowjetischen . weichen'Taktik in den Entwicklungsländern zu demonstrieren. Im übrigen hat Peking vor allen anderen kommunistischen Staaten bereits am 19. Februar 1961 die usurpatorische Gizenga-Regierung von Stanleyville als . einzige legale Regierung des Kongo'anerkannt und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen angetragen. Und schon vorher — am 16. 1. 1961 — konnte Gizengas . Außenminister'Andre Mendi mitteilen, daß Peking zugesagt habe, . alle materielle Hilfe zu leisten, die für den Kampf des kongolesischen Volkes notwendig ist'. Interne Zwistigkeiten in der neuen Kapitale Stanleyville haben jedoch ebenso wie die Auseinandersetzungen im . Gouvernement Pro-visoire de la Republique Algerienne'eine effektive Kongointervention der chinesischen Kommunisten verzögert, wobei wiederum darauf verwiesen werden muß, daß die tatsächliche Machtbasis kongolesischer Kommunisten überaus schmal ist, und daß im Gegensatz zu Kamerun von einem virulenten Kommunismus am Kongo, zumindest bis Anfang 1961, kaum gesprochen werden kann. Unabhängig davon stellt der Kongo neben Kamerun und Algerien das erste zentrale Zielgebiet der chinesischen Afrikapolitik dar. In allen drei Regionen rechnen sich die Pekinger Kommunisten auch heute noch große Chancen für ein direktes Eingreifen aus, für Aktionen im orthodoxen Sinne der chinesischen Revolutionstheorie.

Wirtschaftshilfe für Guinea

Auf höherer Stuf operiert die chinesische Afrikapolitik heute in Guinea, das den . legalen'Hauptstützpunkt Pekings im Schwarzen Erdteil bildet. Nach dem Abschluß eines Abkommens über technische Hilfe im Oktober 1959, der Entsendung eines Geschäftsträgers und dem Eintreffen des ersten chinesischen Botschafters in Conakry haben Maos Funktionäre zunehmenden Einfluß auf Politik, Ökonomie und insbesondere die Entwicklung der Landwirtschaft Guineas erlangt, die nach einem im April 1960 von der guineanischen Staatspartei beschlossenen Dreijahresplan weitgehend kollektiviert werden soll. Nach Besprechungen, die während der 2. Afro-Asiatischen Solidaritätskonferenz Mitte April 1960 in Conakry begannen, will sich Guinea, wie verlautet, die . Erfahrungen der großen Agrarrevolution der Chinesischen Volksrepublik'in vollem Umfang nutzbar machen. Eine größere Gruppe chinesischer Agrarexperten traf bereits im Frühsommer 1960 in Conakry ein, und nach neueren Eerichten ist die Entsendung mehrerer hundert chinesischer Reisbauern zur Reorganisation des Reisanbaus in der westafrikanischen Republik vereinbart worden.

Ihren offiziellen Höhepunkt erreichten die chinesisch-guineanischen Beziehungen mit dem Peking-Besuch Sekou Toures im September 1960. Wohl selten zuvor ist ein . neutraler'Staatschef in der diinesischen Hauptstadt mit einem derartigen Pomp empfangen worden. Liu Shao-chi, Tschou En-lai und Mao selbst führten lange Gespräche mit ihrem afrikanischen Gast, und gewaltige Massenkundgebungen bildeten den eindrucksvollen äußeren Rahmen, der den guineanischen Staatspräsidenten — nach dessen eigenen Worten — . förmlich überwältigte'. Die beiden Staaten schlossen mehrere Freundschaftsund Handelsvereinbarungen, und abschließend offerierte Mao dem Gast einen 100-MillionenRubelkredit. Im Vergleich zu den 140 Millionen Rubeln, die Moskau 1959 für Guinea bereitstellte, weist die Pekinger Offerte außerordentliche Vorzüge auf: Der Kredit ist zinslos, wobei hervorzuheben ist, daß — obwohl Peking nicht zum erstenmal derartig günstige Bedingungen einräumt — beispielsweise in ähnlichen Verträgen mit Indonesien, Ceylon und sogar NordVietnam Zinssätze zwischen ein und zweieinhalb Prozent vereinbart wurden (der Moskauer Guinea-Kredit muß mit 2, 5 Prozent verzinst werden). Die zweite bedeutende Konzession Pekings an Guinea gestattet eine Rückzahlung erst ab 1970, sie muß erst 1980 abgeschlossen sein. Und schließlich sollen nach einer weiteren chinesisch-guineanischen Vereinbarung die chinesischen Experten für Guinea einen Lebensstandard erhalten, der . nicht den Lebensstandard des gleichrangigen Personals der Republik Guinea'übersteigt. Gerade dieser Punkt kann, nicht zuletzt aus psychologischen Gründen, kaum unterschätzt werden: Bisher mußte Guinea für den Unterhalt der sowjetischen, tschechoslowakischen und anderen Ostblock-Berater meist seibstaufkommen, und wer die kommunistischen . Experten'in Conakry erlebt hat, weiß gut genug, daß deren . Lebensstandard'dem mancher . imperialistischer Kolonialherren'in nichts nachsteht.

Toure im Lager des Kommunismus

Die Chinavisite Sekou Toures zeichnete, sich jedoch nicht nur durch chinesische Konzessionen aus. Der guineanische Staatschef schlug in seinen Reden und Toasts einen Ton an, der die letzten Zweifel über seinen ideologischen und politischen Standort beseitigte. Unmißverständlich erklärte er bei einem von Liu Shao-chi gegebenen Bankett am 10. September: „Im Kampf zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben wir unseren Platz im Lager derjenigen eingenommen, die einen gerechten Kampf zum Wohle aller Menschen und Völker austragen." Und an anderer Stelle dieser Rede wandte er sich direkt an die Gastgeber: „Wir können Euch versichern, daß die Afrikaner wissen, wo die Wahrheit zu suchen ist. Denn die Afrikaner wissen, daß Ihr gegen die gleichen Feinde wie sie zu kämpfen hattet; sie wissen, daß der große Sieg, den Ihr errungen habt, auch ein Sieg für sie ist. Die Afrikaner wissen ebenso die Lektion zu schätzen, die Euer Sieg für sie bedeutet . .

Als erster afrikanischer Regierungschef unter-stützte Toure die Pekinger Forderungen zur . Befreiung'Formosas und machte sich auch die antiamerikanische Agitation der chinesischen Kommunisten zu eigen: er sprach von den imperialistischen Staaten, geführt von den USA“, die bereits von den . Volkskräften'der Welt isoliert und eingekreist seien und .deren Tage gezählt sind'.

Hier wird offenbar, daß die chinesisch-guineanischen Beziehungen auf der Basis einer weitgehenden ideologischen Übereinstimmung ruhen. Besser als alles andere kennzeichnet ein kleiner Vorfall die prochinesischen Tendenzen innerhalb der guineanischen Führung. Ende 1959 kam es im Kairoer Sekretariat des Afro-Asiatischen Solidaritätskomitees zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über die Abfassung einer Bot-schaft an die Allafrikanische Völkerkonferenz von Tunis (25. bis 31. Januar 1960). Mehrere Mitglieder des Solidaritätssekretariats schlugen eine . weiche'Fassung des Textes vor, in der die Rolle der . nationalen Bourgeoisie'in der afrikanischen Befreiungsbewegung nicht attakiert und das Programm des Solidaritätsrates in unverfänglich neutrale Thesen gekleidet werden sollte. Alle im Sekretariat vertretenen Länder — einschließlich der Sowjetunion — sprachen sich für diese Botschaft aus, nur das kommunistische China und Guinea stimmten gegen den Entwurf. Übereinstimmend erklärten die Vertreter Pekings und Conakrys, die Stellungnahme der Mehrheit widerspreche den . revolutionären Zielsetzungen'der Solidaritätsbewegung und werde ihren Initiatoren . mehr schaden als nützen'.

Direkte Vorbereitung der Revolution Hier werden Strategie, Taktik und Endziel der chinesischen Afrikapolitik gleichermaßen deutlich: Unter weitgehendem Verzicht auf versöhnliche Parolen und koexistentielle Praktiken will Peking über massive ideologische Infiltration, ökonomische Einflußnahme und offene kommunistische Propaganda die revolutionäre Wendung im Schwarzen Erdteil unmittelbar erzwingen. Dieser Tendenz entspricht auch die allgemeine chinesische Afrikapropaganda. Seit dem Ausbau des weitstrahlenden Kurzwellendienstes von Radio Peking — unter anderem der Errichtung von 24 modernen Studios nur für Auslandsdienste — wurden Anfang 1961 wöchentlich allein 124 Einstundenprogramme für Afrika gesendet (demgegenüber wartete Radio Moskau mit . nur'31 Stunden wöchentlich für Afrika auf). Thematisch stehen dabei drei Komplexe im Vordergrund: 1. China als Beispiel: Die Methoden der . Befreiung'Rotchinas vom , Semikolonialismus' Tschiangs werden ebenso wie die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur im Machtbereich Maos seit 1949 als Muster für den Schwarzen Erdteil entwickelt. 2. Dekolonialisierung: Die . Befreiung'Afrikas von westlicher Vorherrschaft müsse schneller und gründlicher vor sich gehen; wichtig sei vor allem die Liquidierung des westlichen Kapital-besitzes und die Ablehnung westlicher Hilfsangebote als . neokolonialistischer'Einflußversuche. Vorrangig wird in diesem Zusammenhang auch die . Entlarvung'des , US-Imperialismus'als des . Hauptdrahtziehers'aller kolonialistischen Unternehmungen in Afrika betrieben. Mitte 1960 hat Radio Peking zu diesem Thema eine Sendereihe von zehn Folgen über die . verbrecherischen Absichten'und die . verhängnisvollen Auswirkungen'der . sogenannten US-Hilfe für Entwicklungsländer'in mehreren afrikanischen Sprachen ausgestrahlt. 3. Chinesische Identifikation: Peking identifiziert sich unverzüglich und komplett mit jeder Form der afrikanischen Emanzipation. So erklärte beispielsweise das Politbüromitglied der KP Chinas Hu Yu-tschih bei einem Empfang für kongolesische Politiker (laut Radio Peking vom 30. Mai 1960): „Das chinesische Volk, das seinen Sieg durch langen Kampf gegen den Imperialismus und Kolonialismus gewann, betrachtet den Kampf des kongolesischen Volkes als seinen eigenen Kampf und den Sieg des kongolesischen Volkes als seinen eigenen Sieg.“

Auch bei Werbeschriften Pekings für Afrika und bei innerchinesischen Veranstaltungen, die Afrika gewidmet sind — , Kenya-Tag', . Uganda-Tag', , Helft-Algerien-Woche‘, , Solidaritätstag für Kamerun'usw. — kehren diese drei Themen regelmäßig wieder. Unverkennbar ist der gesamten chinesischen Afrikapropaganda die Absicht gemeinsam, das Land Maos als den , natürlidten Verbündeten des erwachenden Kontinents hinzustellen, der freilich auf Grund seiner . besonderen Erfahrungen'beim . antikolonialen Befreiungskampf', beim wirtschaftlicher Aufbau und bei der sozialen Umschichtung zu mehr als nur einer bloßen Partnerrolle berufen sei: Zur Führung der revolutionären Kräfte und zum Schutze Afrikas gegen alle . imperialistischen Einmischungen'. Wenn der guineanische Präsident Sekou Toure in einer Stellungnahme zu angeblichen aus-und inländischen Verschwörungen gegen seine Regierung am 10. Mai 1960 in Conakry erklärte, unter anderen afro-asiatischen Ländern habe speziell Rotchina die Zusicherung gegeben, im Fall eines . imperialistischen Angriffs auf Guinea'innerhalb von 48 Stunden .seine Kräfte zu mobilisieren', so wird offenkundig, daß Pekings Bedürfnis, sich als die Schutzmacht Afrikas aufzuspielen, auch von afrikanischer Seite eine Billigung erfährt.

Eine straff zentralisierte Organisation der chinesischen Afrikapolitik soll in Zukunft gewährleisten, daß Peking seine machtpolitischen Ambitionen noch umfassender und effektiver als bisher realisieren kann. Nachdem ein wesentlicher Teil der chinesischen Afrikapolitik jahre-lang von der Pekinger Filialgruppe der AfroAsiatischen Solidaritätsorganisation getragen wurde, ist im Sommer 1960 eine spezielle . Gesellschaft für chinesisch-afrikanische Freundschaft'gegründet worden. Den entscheidenden Schritt vollzog Mao Tse-tung jedoch im Dezember 1960, als er innerhalb des Politbüros der chinesischen KP ein . Sonderkomitee für Afrika'bilden ließ, zu dessen Leiter der bisherige Sekretär des Parteibüros für soziale Angelegenheiten, Li Keh-nu, eine der radikalsten Potenzen der KP-Führung, berufen wurde. Die Gründung des , Sonderkomitees für Afrika'beweist nicht nur das vitale Interesse Rotchinas am Schwarzen Erdteil, sie kündigt auch an, daß die eigentliche chinesische . Operation Afrika'erst beginnt. Angesichts der vom Moskauer Programm für Afrika erheblich abweichenden, auf unmittelbare revolutionäre Intervention abgestellten Konzeption Pekings ist dies mehr als nur ein Alarmsignal für den unruhigen Dunklen Erdteil.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Joseph M. Bochenski: „Sowjetologie"

R. Bogatsch: „Hitler und die Kriegführung im Mittelmeerraum"

J. W. Fulbright: „Ein Konzert freier Nationen"

Jens Hacker: „Osteuropa-Forschung in der Schweiz"

Frederic Lilge: „Makarenko"

Johannes Maas: „Die Entwicklungshilfe des Ostblocks"

Karl Seidelmann: „Der Generationsprotest der Jugend-bewegung in gegenwärtiger Betrachtung"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Inzwischen sind Marokko, Mali und Äthiopien hinzugekommen; Nigeria hat seine prinzipielle Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking zugesagt und damit den künftigen souveränen Gebieten des britischen Afrika ein Beispiel gesetzt. Nach Liberia, der Südafrikanischen Union und Libyen haben indessen die meisten afrikanischen Nachfolgestaaten der ehemaligen französischen Union sowie Kamerun und Togo Beziehungen zu Formosa ausgenommen, was in diesen Ländern nicht ohne Widerspruch blieb. Der Besuchsverkehr mit Peking ist jedoch von dieser Maßnahme fast nirgendwo betroffen.

  2. Zwei frühere Zitate mögen den Unterschied beleuchten: Am 15. Juni 1959 schrieb die chinesische Zeitung „Ta Kung Pao': „Das algerische Volk ist einfach gezwungen, seinen gerechten Krieg bis zum Endsieg fortzusetzen . . Demgegenüber hieß es am 15. September 1959 im Moskauer Gewerkschaftsblatt „Trud": „Der einzig realistische Weg zur Lösung der Algerienfrage besteht in direkten Verhandlungen“ (zwischen Paris und dem FLN).

  3. Von 1955 bis 1958 Kremlbotschafter in Belgrad, seither stellvertretender sowjetischer Außenminister und als Gatte des einzigen weiblichen Parteipräsidiumsmitglied, Jekaterina Furzewa, nicht ohne direkten Draht zu Chruschtschow.

  4. Diese Schrift hat auch stark die Strategie und Taktik der kommunistischen Guerilla-und „Befreiungsarmeen“ in Indochina beeinflußt und galt In der Ho-Chi-minh-Bewegung als grundlegendes Lehrmaterial.

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