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Für ein Konzert der freien Nationen | APuZ 50/1961 | bpb.de

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APuZ 50/1961 Für ein Konzert der freien Nationen

Für ein Konzert der freien Nationen

J. W. Fulbright

Die Sowjetunion fordert, daß die Vereinten Nationen nach dem „Troika“ -System reorganisiert werden. Danach sollen der Westen, der kommunistische Blöde und die neutralen Staaten gleiche Exekutiv-Vollmachten erhalten. Jede dieser drei Gruppen würde das Vetorecht ausüben können. Dieser Vorschlag zielt ganz offensichtlich darauf ab, die Vereinten Nationen entscheidend zu schwächen, und vor allem das Amt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ebenso machtlos zu machen wie den in seiner Funktionsfähigkeit gehemmten Sicherheitsrat.

Angesichts dieser Situation ist der Vorschlag gemacht worden, eine allgemeine Konferenz der UN-Mitglieder einzuberufen, um die UN-Charta zu überprüfen und möglicherweise abzuändern. Ich glaube, daß eine solche Revisionskonferenz heute ein fruchtloses Unterfangen sein würde. Ganz sicher würden die Westmächte — und hoffentlich zahlreiche neutrale Staaten —den russischen Plan zurückweisen. Andererseits kann man kaum erwarten, daß die Russen einem westlichen Vorschlag zur Stärkung der Welt-organisation zustimmen würden, da ja ihre eigene Zielsetzung einer solchen Absicht diametral entgegengesetzt ist.

Gleichgültig wie unzureichend die UN-Charta vielleicht tatsächlich ist, wesentlich erscheint mir, daß es sich hier im Grunde nicht um Rechts-fragen, sondern um ein Problem der Machtpolitik in einer gespaltenen Welt handelt. Anstatt uns unfruchtbar und ergebnislos mit rechtstechnischen Fragen zu beschäftigen, wären wir viel besser beraten, wenn wir nach brauchbaren Methoden suchten, um eine enge Gemeinschaft der freien Nationen ins Leben zu rufen. Dieses Ziel sollte soweit wie möglich innerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen angestrebt werden. In weitem Maße müssen wir aber außerhalb der UN um dieses Ziel ringen und uns dabei auf Institutionen stützen, die auf einer begrenzteren, aber echten Interessengemeinschaft beruhen.

Eine neue Institution?

Trotz der Existenz eines eindrucksvollen Kreises internationaler Organisationen zur Konsultation und Zusammenarbeit hat es den Anschein, als wären die freien Nationen chronisch nicht in der Lage sich zusammenzuschließen und ihre Politik aufeinander abzustimmen. Dabei stehen sie einem Gegner gegenüber, der zu wiederholten Malen eindrucksvoll die Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, die verschiedenartigsten Mittel zur Erreichung eines einzigen Zieles zu mobilisieren. Ganz zwingend ergibt sich so die Frage, ob eine neue Institution oder ein neues System entwickelt werden kann, durch das die freien Nationen ihre gemeinsamen Interessen mit ungleich stärkeren gemeinsamen Anstrengungen und besserer Lastenverteilung fördern können, als dies bisher in der Nachkriegszeit der Fall war.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir ein ausgedehntes internationales System geschaffen: die Vereinten Nationen, ein globales System von Bündnissen und in jüngster Zeit die Organisation zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Ungeachtet der Existenz dieser und anderer Organisationen, tragen die Vereinigten Staaten weiterhin eine unverhältnismäßig große Last der Verantwortung in der Welt, eine Last, die — so fürchte ich — sogar unsere beachtlichen Mittel übersteigt. In der ganzen Welt zeigen sowohl die verbündeten als auch die neutralen Länder eine bedauernswerte Neigung, sich abseits zu halten, selbst wenn ihre ureigensten lebenswichtigen Interessen betroffen sind. Sie überlassen das Handeln den Vereinigten Staaten, während sie sich selbst das Recht vorbehalten, Kritik zu üben oder die amerikanische Handlungsweise zu verurteilen.

Ein großer Teil der freien Welt ist von einer Psychologie des Sichfernhaltens ergriffen. Sogar in Großbritannien hat sich — wenn auch nicht in den amtlichen Kreisen — die Illusion breit gemacht, daß das Vereinigte Königreich sich irgendwie in dem weltweiten Machtkampf, in dem ja lediglich die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion auf dem Spiel stünden, neutral verhalten könnte. Frankreich hat seine militärische Beteiligung an der NATO verringert und darüber hinaus andere Schritte getan, die ernsthaft die Kraft des Bündnisses schwächen. Deutschland steht treu zur NATO, lehnt es aber ab, Verpflichtungen zur Lösung der gemeinsamen westlichen Aufgaben bei der Hilfe für die Entwicklungsländer zu übernehmen, die dem Wohlstand und den Mitteln Deutschlands angemessen sind. Indien, die größte freie Nation Asiens, handelt so, als ob die Expansion der kommunistischen Macht in Südostasien ein Problem darstellt, das außerhalb seines Interessenkreises liegt; bei dem es höchstens bereit ist, als ein desinteressierter „ehrlicher Makler" zu fungieren.

Diese Psychologie des Sichfernhaltens ist natürlich verständlich, wenn man sich das Gefühl der Machtlosigkeit vergegenwärtigt, das die einstmals führenden Mächte ergriffen hat, die ihre Kolonialreiche und ihre Vorrangstellung verloren haben, und wenn man sich weiter klar darüber ist, daß die neuen Nationen von überwältigenden inneren Problemen bedrängt wer-den. So geschieht es nur allzu leicht, daß diese Nationen an ihrer Kraft zweifeln, den Gang der Ereignisse zu beeinflussen, und daß sie daher das Feld den Giganten unter den Mächten überlassen.

Verantwortung für alle

Im Falle Westeuropas ist dieses Gefühl der Ohnmacht ebenso unbegründet wie bedauerlich. Wenn man die wesentlichen Voraussetzungen für moderne Industriegesellschaften, also Bevölkerungszahl, Produktivität und vielleicht noch das technische Können — vergleicht, dann sind die westeuropäischen Nationen zusammen stärker als die Sowjetunion. Kurz, diese Ohnmacht ist weitgehend selbstgeschaffen, ein Ergebnis der Uneinigkeit und des unzureichenden Willens, die volle Kraft dieser gewiß eindrucksvollen Mittel zu mobilisieren.

Das Beunruhigende ist nun, daß diese Psychologie des Sichfernhaltens zu einer Unterschätzung der eigenen Kräfte der Nationen führt, die von dieser Mentalität befallen sind, während es sie andererseits dazu verleitet, die Machtmittel der Vereinigten Staaten zu überschätzen. Dies übt einen ganz deutlich erkennbaren und dabei schädlichen Einfluß auf den Gang der Geschehnisse aus. Tatsache ist nämlich, daß die Vereinigten Staaten allein weder die Macht noch die Mittel besitzen, um ohne Unterstützung die übergroße Last der Verantwortung in der Welt zu tragen. Die Vereinigten Staaten haben dies weitgehend versucht, aber wie jeder bezeugen kann, der die jüngsten Ereignisse in Laos, auf Kuba und in Genf verfolgt hat, keineswegs erfolgreich.

In der Vergangenheit haben die freien Nationen der Welt eindrucksvolle Aufgaben gelöst, weil sie ihre Anstrengungen koordinierten und ihre gemeinsamen Mittel angesichts einer ernsten äußeren Bedrohung mobilisierten. Dies war in beiden Weltkriegen, und auch späterhin, in den ersten Jahren des Kalten Krieges der Fall. Im letzten Jahrzehnt aber ließen diese Anstrengungen nach, während die äußere Gefahr ernster denn je geworden ist, da sie von einem machtvollen und einfallsreichen Gegner geschaffen wird, dessen Erfolge erstaunlich sind und dessen Ziele keine Grenzen kennen.

Im Angesicht dieser Gefahr gebieten Vernunft und Notwendigkeit allen freien Nationen, einen gerechten Anteil an der Verantwortung für die Verteidigung der gemeinsamen Interessen zu übernehmen. Die Frage, die sich uns nun stellt, lautet, ob und wie ein dynamisches „Konzert der freien Nationen" ins Leben gerufen werden kann. Es ist offenkundig, daß die Vereinten Nationen — obwohl sie nach den ursprünglichen Plänen ein solches Konzert sein sollten — weit hinter den Hoffnungen zurückgeblieben sind. die bei ihrer Gründung gehegt wurden. Wir müssen daher woanders ein System suchen, daß die Kräfte der Freiheit wirkungsvoll vereinen kann. Bei jedem Bemühen, eine organische Einheit, oder auch nur eine lockere Vereinigung aus verschiedenen Nationen zu bilden, entsteht das Dilemma, daß es keine zwingende Wechselwirkung zwischen den menschlichen Bedürfnissen und den menschlichen Fähigkeiten gibt. Die Notwendigkeit, ein neues „Konzert der Nationen" zu schaffen, ist vollkommen evident. Sie ergibt sich aus der furchtbaren Bedrohung durch den aggressiven und imperialistischen Kommunismus. Die Fähigkeit aber, ein solches Konzert ins Leben zu rufen, erfordert jedoch etwas mehr als allein den negativen Antrieb aus Furcht und gemeinsamer Gefahr. Hier wird vielmehr als positive Kraft ein Geweinsdtaftssinn vorausgesetzt, d. h. ein tief empfundener Glaube an gemeinsame Interessen und Werte, ein Gefühl, daß eine wirksame Zusammenarbeit möglich ist, schließlich ein volles Vertrauen in die gemeinsamen Ziele.

Gerade weil eine solche Gemeinschaft nirgends im Weltmaßstab erkennbar ist, überfordern sogar die Vereinten Nationen — ganz zu schweigen von allen Vorschlägen für eine weltumspannende Föderation —, wie unzureichend sie auch immer sein mögen, wenn man sie an unseren Nöten mißt, bei weitem unsere Kräfte. Die große Paradoxie unseres Jahrhunderts besteht letzten Endes darin, daß die trennende Kraft des Nationalismus genau dann ihren Höhepunkt erreichte, als die Entwicklung der Wissenschaft und der militärischen Technik die Welt im rein materiellen Sinne geeint und die Notwendigkeit geschaffen hatte, politische Einheiten zu bilden, die weit über die bestehenden nationalen Grenzen hinausreichen.

Daher ist es eine gebieterische Notwendigkeit, daß wir eine umfassendere Gemeinschaft anstreben, eine Gemeinschaft, die sich an unseren Nöten orientiert, die aber in unseren Möglichkeiten wurzelt. Während die Vereinten Nationen Symbol unserer Hoffnungen bleiben, können wir unter den augenblicklichen Umständen lediglich darauf rechnen, eine lebensfähige Gemeinschaft der freien Welt zu errichten. Die Frage bleibt, ob wir bereits alles uns Mögliche getan haben, um sie ins Leben zu rufen. Obwohl eine solche Gemeinschaft für die überschaubare Zukunft auf die freien Nationen beschränkt bleiben muß, kann sie universalen Werten zustreben.

Vorbilder einer neuen Gesellschaft

Wenn Gebote für die Zukunft erfolgverheißend sein sollen, dann müssen sie sich auf die Erfahrungen der Vergangenheit stützen. Es ist daher mehr als eine akademische Übung, in der Geschichte nach Vorbildern und Beispielen für einen lebendigen Geist der internationalen Gemeinschaft zu suchen.

In eindrucksvoller Weise herrschte ein solcher Geist im 19. Jahrhundert. Nach den Napoleonischen Kriegen entwickelte Europa ein zwar noch einfaches, aber doch wirksames völkerrechtliches System, das auf dem Vertragswerk des Wiener Kongresses aufbaute. Um ein ständiges Bollwerk gegen ein Wiederaufleben des französischen Militarismus und Angriffsgeistes zu errichten, schlossen England, Österreich, Ruß-land und Preußen 1815 ein Vier-Mächte-Bünd-nis, das in Artikel 6 „periodische Zusammenkünfte der Souveräne oder ihrer Minister" zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Stabilität in Europa vorsah. Der besiegte Angreifer Frankreich, dem außerordentlich großzügige Bedingungen auferlegt worden waren, wurde bereits drei Jahre nach der französischen Niederlage in dieses Konsultationssystem ausgenommen. Auf diese Weise entstand das Europäische Konzert, eine Oligarchie der Großmächte zwar, aber dennoch eine echte Gemeinschaft der Nationen, die durch das gemeinsame Interesse an der Erhaltung eines elementaren Machtgleichgewichts und an der grundsätzlichen Unantastbarkeit der Vertragsstruktur zusammengehalten wurde. Das Wiener Vertragswerk war der Beginn eines verhältnismäßig friedlichen Jahrhunderts. Das grundlegende Gebot des Konzerts — das wohl niemals ausdrücklich formuliert worden ist, dennoch aber äußerst wirksam war — lautete, daß keine Änderung der Vertragsstruktur ohne die Zustimmung der Fünf-Mächte-Oligarchie erfolgen durfte. So beschloß das Konzert beispielsweise nach dem „erforderlichen rechtmäßigen Verfahren 1830 die Unabhängigkeit Belgiens, 1840 eine endgültige Regelung für die Türkischen Meerengen, 1878 die Unabhängigkeit Bulgariens, und noch 1913 gelang es dem Konzert, eine erfolgreiche Beilegung der Balkan-kriege durchzusetzen.

Besonders lehrreich ist die Rolle, die England innerhalb dieses Europäischen Konzerts spielte. Als führende Finanz-, Industrie-und Seemacht übernahm England eine besondere Verantwortung für die Durchsetzung der völkerrechtlichen Ordnung in Europa. Es setzte 1815 eine Art Marshall-Plan in Szene, indem es Anleihen und Zuschüsse zur Verfügung stellte, um den vom Kriege zerschlagenen Volkswirtschaften der eu-ropäischen Mächte neue Kräfte zuzuführen. England war der „Angelpunkt“ des Mächte-gleichgewichts; es stellte sich bei den Auseinandersetzungen auf dem Kontinent, wenn notwendig, auf die Seite des Schwächeren und wandte sich stets gegen den potentiellen Vertragsverletzer. Wenn aber gewaltsame Veränderungen der Vertragsverhältnisse unvermeidlich wurden — wie es der Fall war, als Rußland 1871 die Einschränkungen für seine Flotte im Schwarzen Meer, die ihm bei Beendigung des Krim-Krieges auferlegt worden waren, aufkündigte —, so bestand England doch auf einer Konferenz, um einer an sich bereits feststehenden Lösung Stempel der Rechtmäßigkeit aufzudrücken und auf diese Weise gefährliche Präzedenzfälle zu vermeiden.

Für das heutige Amerika ist nun am lehrreichsten, daß England das Konzert führte, aber nicht beherrschte. England war nicht der Herr Europas, sondern priwus inter pares. Kurz gesagt, Englands Rolle bestand nicht darin, die alleinige Verantwortung zu tragen, sondern ein System der aufgeteilten Verantwortung zu führen. Die Pax Britannica war daher ein multilaterales System, dessen Wirksamkeit zumindest in gleicher Weise von den einzelnen Mitgliedern wie von der führenden Macht abhing.

Friede für hundert Jahre

Das Europäische Konzert war eine begrenzte Gemeinschaft und ein zerbrechliches Rechtssystem, aber es erhielt den Frieden für die Dauer von hundert Jahren — eine große Leistung, wenn man es mit den viel stärker gegliederten und verfeinerten internationalen Organisationen des 20. Jahrhunderts vergleicht.

Dennoch hatte das Konzert auch bedeutende Schwächen, die sich schließlich verhängnisvoll auswirken sollten. Erstens war das Konzert eine Oligarchie der Großmächte, die den kleineren Staaten ihren Willen auferlegte, ohne übermäßig auf deren Wünsche und Ziele Rücksicht zu nehmen. Zweitens zeigte das Konzert wenig Verständnis für die neuen Kräfte der Demokratie und des Nationalismus im Europa des 19. Jahrhunderts. Ja, die östlichen Mächte — Östeneich, Rußland und Preußen — standen diesen Kräften feindselig gegenüber und versuchten vergeblich, das Konzert als Instrument zu ihrer Unterdrückung zu benutzen, um „Europa für die Autokratie zu sichern“. Das Fehlen einer bewährten Institution für obligatorische Konsultationen reduzierte drittens die Arbeitsweise des Konzerts auf ein rein zufälliges Funktionieren. Im Sommer 1914 versuchte der damalige britische Außenminister Sir Edward Grey verzweifelt und vergebens das Konzert in der Krise des Sommers aufzubieten. Das Chaos der Telegramme, die damals hektisch zwischen den europäischen Kanzleien gewechselt wurden, bestärkte Grey in der Überzeugung, daß der Krieg verhindert worden wäre, hätte dem Europäischen Konzert eine erprobte Institution für obligatorische Konsultationen zur Verfügung gestanden.

Das ernsthafteste Hindernis für die Wirksamkeit des Europäischen Konzerts war aber die Desintegration der internationalen Gemeinsamkeit der Werte, auf dem das System aufgebaut war. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die nationalistischen Bewegungen liberal und demokratisch, hatte sich Europa der Herrschaft des Rechts verschrieben. Diese Strömung kam zu einem Stillstand und wurde schließlich durch das Heraufkommen eines militanten, aggressiven und letztlich fremden-feindlichen Nationalismus in ihr Gegenteil verkehrt. Der Hauptschrittmacher des neuen Nationalismus war Deutschland, dessen Vereinigung und Vorrangstellung durch die Waffen des autokratischen Preußen errungen wurde. Nach der Niederlage Frankreichs durch Preußen im Jahre 1871 wurde Deutschland die beherrschende Nation in Europa, die sich der Bismarckschen Formel von „Blut und Eisen“ verschrieben hatte. Das Europa des Jahrhunderts war ein Spielball des Militarismus, der Geheimbündnisse und der nationalistischen Rivalitäten geworden. Die Abdankung des Europäischen Konzerts im Jahre 1914 war Spiegelbild der allmählichen Schwächung und schließlichen Zerstörung einer Gemeinschaft, die Europa das glücklichste und schaffensfreudigste Jahrhundert geschenkt hatte.

Große Hoffnungen und schwere Enttäuschungen

Auf den Trümmern der alten europäischen Ordnung entwarfen die britischen und amerikanischen Staatsmänner den Völkerbund und entwickelten damit einen vollständig neuen Gedanken zur Bildung einer weltumspannenden Gemeinschaft des Rechts. Nach den britischen Vorstellungen sollte der Völkerbund ein erweitertes und verbessertes Konzert sein, aber in der Gedankenwelt Woodrow Wilsons war der Völkerbund eine universale Anwendung der Monroe-den Doktrin, in der er eine Partnerschaft der amerikanischen Staaten zur Förderung der Demokratie in der Weltpolitik erblickte. Das britische Denken war empirisch, es orientierte sich an den europäischen Erfahrungen und war ein Bemühen, in später Stunde mit Hilfe der Neuen Welt das Machtgleichgewicht der Alten Welt wieder herzustellen. Wilsons Denken war universal und idealistisch; er wollte die Monroe-Doktrin — so wie er sie verstanden hatte — allgemein anwenden und zu einer moralischen Ordnung für die ganze Welt machen. Diese beiden Vorstellungen schlossen einander nicht aus. Die Engländer hofften, eine Gemeinschaft, die zerfallen war, wieder zu neuem Leben zu erwecken; die Amerikaner hofften, eine neue Gemeinschaft zu schaffen. Beide blickten dabei auf ihre eigenen festen Traditionen einer geordneten Gesellschaft unter der Herrschaft des Rechts. Der Hauptbeitrag der Engländer zum Völkerbund bestand in einem System der obligatorischen Konsultationen, der friedlichen Regelung von Streitfällen und von Sanktionen gegen einen Rechtsbrecher. Das Ziel — weitestgehend durch die verheerenden Erfahrungen von 1914 bestimmt — bestand darin, eine Zwischenphase zu erzwingen und eine friedliche Beilegung zu versuchen, ehe die Nationen überhaupt zu den Waffen greifen konnten.

Der Hauptbeitrag der Amerikaner war Artikel 10, eine gegenseitige Garantie der politischen Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Völkerbundsmitglieder. Artikel 10, so sagte Präsident Wilson, war das „Kernstück des ganzen Völkerbundes“. Er bildete die Garantie, die das sine qua non jedes gültigen Systems der kollektiven Sicherheit ist, eine Verpflichtung nämlich, die innerer Bestandteil der Mitgliedschaft war, unmittelbar auf der Satzung des Völkerbundes aufbaute und daher nicht von der Entscheidung irgendeines Organs des Bundes abhing. Die Gründer des Völkerbundes sahen in ihm die Geburtsstunde einer neuen Weltordnung und glaubten, daß allein sein Wirken eine schon im Entstehen begriffene Gemeinschaft zur vollen Reife führen würde. Wilson machte sich keine Illusionen über die tatsächliche Existenz einer echten internationalen Gemeinschaft, aber er glaubte fest, daß der historische Augenblick der Geburtsstunde einer solchen Gemeinschaft gekommen war. Das Schicksal des Völkerbundes, sagte Wilson, als er am 14. Februar 1919 der Friedenskonferenz die Satzungen des Völker-bundes unterbreitete — wird letzten Endes von der „moralischen Kraft der öffentlichen Meinung der Welt“ bestimmt werden. „Die bewaffnete Macht“, erklärte Wilson weiter, „steht im Hintergrund dieses Programms, aber sie steht im Hintergrund, und wenn die moralische Kraft der Welt nicht ausreichen sollte, wird es die physische Gewalt sein. Aber das ist der letzte Ausweg . . .“

Das Jahr 1919 erlebte vielleicht die höchste Blüte der Demokratie in der Weltgeschichte. Der Sieg war von den demokratischen Nationen ohne die Hilfe durch große totalitäre Mächte errungen worden. Kennzeichnend war, daß jetzt eine einmalige geschichtliche Schicksalsstunde gekommen war, die Grundlagen für eine weltumspannende Gemeinschaft des Rechts zu legen, nicht für die Schaffung einer vollkommen ausgereiften Gemeinschaft — denn das ist das Werk von Generationen —, sondern für die ersten Schritte zu einem Weltfrieden, der unter einem Weltrecht stehen würde.

Die Möglichkeiten, die sich 1919 für so kurze Zeit geboten hatten, gingen dahin, sie wurden von einer Generation von Staatsmännern verspielt, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen ans Ruder kamen. Es ist hier nicht notwendig, die tragischen Geschehnisse dieser Zwischenzeit Revue passieren zu lassen: die Rückkehr Amerikas zum Isolationismus, die Kapitulation des Völkerbundes vor den Aggressionen Japans in der Mandschurei, Ita-liens in Abessinien und Deutschlands in Europa. Das Ergebnis war schließlich der Zweite Weltkrieg, der noch zerstörender war als der Erste. Im Jahre 1945 waren die Staatsmänner des Westens bereit, aus den Fehlern der Zeit zwischen den Kriegen zu lernen. Sie hatten vielleicht den Willen, aber die einmalige Schicksalsstunde des Jahres 1919 war dahin. Der Sieg von 1945 war gemeinsam mit einem dynamischen neuen Totalitarismus errungen worden, einem Totalitarismus, der die Werte leugnete, auf denen das Mächtekonzert des 19. Jahrhunderts ebenso gegründet war wie die Satzung des Völkerbundes.

Die UNO -auf einem Irrtum aufgebaut

In dieser Situation wurden die Vereinten Nationen geplant und ins Leben gerufen, als ein Organ der internationalen Gemeinschaft mit viel ehrgeizigeren Zielen als der Völkerbund, aber unter viel weniger erfolgverheißenden Vorzeichen. Das Versagen der Vereinten Nationen, die ursprünglich gestechten Ziele zu erreichen, birgt keinerlei Rätsel. Das damalige Unterfangen beruhte auf der Überzeugung, die Präsident Roosevelt im Februar 1945 aus Jalta mitgebracht hatte, daß wir Einigkeit „im Geist und in der Zielsetzung" mit unseren Verbündeten erreicht hätten. Die Ereignisse sollten beweisen, daß die Hoffnung trügerisch war. Damit ging auch die Möglichkeit verloren, ein echtes System der kollektiven Sicherheit im Weltmaßstab zu schaffen.

Ein lebensfähiges System der kollektiven Sicherheit beruht zumindest auf drei Voraussetzungen: 1. einem Status quo, über den sich die Großmächte geeinigt haben; 2. einer überwältigenden Streitmacht, die den Mächten zu Gebote stand, die den Status quo unterstützen oder wenigstens eine gewaltsame Änderung ablehnen; 3. einem hohen Maß politischer und sittlicher Solidarität unter den großen Mächten. Das sind die Mindestvoraussetzungen für das Funktionieren selbst der einfachsten internationalen Gemeinschaft. Keine dieser Voraussetzungen war bei Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben. Alle drei mußten aber erfüllt sein, sollten die Vereinten Nationen ein Erfolg werden.

Die Charta der Vereinten Nationen Ist ein Spiegelbild des inneren Widerspruchs zwischen den übergroßen Hoffnungen auf eine Weltgemeinschaft und einer realen Welt der machtpolitischen und ideologischen Gegensätze. Um mit den Worten des hervorragenden Völkerrechtlers Julius Stone zu sprechen: „Gerade die ehrgeizige Zielsetzung der Charta machte aus ihr ein janusköpfiges Instrument. Das eine Gesicht schaute voller Erhabenheit auf die Anfänge eines Überstaates, der weit jenseits der Gefilde des Völkerbundes lag; das zweite Ge-sicht blickte voller Ingrimm zurück auf die anarchistische Selbsthilfe der alten Welt, lange Zeit vor der Gründung des Völkerbundes. Welches war nun das wahre Gesicht der Vereinten Nationen?"

Zu unserem Unglück lautet die Antwort: das „zweite Gesicht“. Die weltumspannende Gemeinschaft, von der die Charta ausging, besteht heute weder in der Realität noch im Bereich der Hoffnungen. Wenn aber die gesellschaftliche Struktur zur Institutionenbildung fehlt, kann auch die hervorragendste Staatskunst diese Institutionen nicht schaffen.

Das „erste Gesicht" der Charta findet sich in den Vollmachten zur Durchsetzung friedlicher Regelungen des Sicherheitsrates, eines Organs, das die ganze Vollmacht hatte, alle Sanktionen, einschließlich der Anwendung von Gewalt, gegen jede Nation einzusetzen, die „eine Bedrohung des Friedens, einen Bruch des Friedens oder eine Aggressionshandlung“ begeht. Der Sicherheitsrat hat theoretisch die Vollmacht, derartige Maßnahmen zu beschließen, und alle Mitglieder der Vereinten Nationen sind nach Artikel 25 der Charta verpflichtet, diese Maßnahmen „zu billigen und auszuführen“.

Das Vetorecht reduziert diese Vollmachten auf ein Nichts, weil es die Großmächte unantastbar macht und die Durchsetzung des Friedens ihrem freien Ermessen überläßt. Nach den Plänen sollte die Charta niemals gegen die Groß-mächte angewendet werden. Diese Mächte waren gleichsam die Polizisten, die über dem Gesetz standen; ihre Einhaltung der Charta hing nicht von Rechtsgeboten ab, sondern von ihrem eigenen Einverständnis und beruhte auf der Illusion ihrer Einigkeit „im Geist und in der Zielsetzung".

Eine äußerst unbewegliche Körperschaft

Die Geschichte der Vereinten Nationen ist weitgehend ein Rückzug von falschen Hoffnungen und eine Anpassung an die Realitäten einer geteilten Welt. Tatsächlich ist das Vetorecht ein genaues Spiegelbild der Wirklichkeit. Die Ausschaltung des Vetorechts würde nicht zu einem echten System der kollektiven Sicherheit führen. Mit viel größerer Wahrscheinlichkeit würde die Abschaffung des Vetorechts das Ende der Organisation der Vereinten Nationen bedeuten. Das Vetorecht ist Spiegelbild, nicht Ursache der Konfliktsituation. Gäbe es das Vetorecht nicht mehr, dann würde eine Großmacht nicht etwa in Übereinstimmung mit der Charta handeln, sondern gegen sie rebellieren. Das tatsächliche Problem stellt sich nicht in den Rechts-fragen dar, sondern in der Machtpolitik in einer geteilten Welt.

Das Vetorecht ist das „zweite Gesicht“ der Charta; es ist eine Ausweg-und Ausweichklausel. Das gleiche gilt für Artikel 51, in dem das „unveräußerliche“ Recht der individuellen und kollektiven Verteidigung anerkannt wird. Wie westliche Staatsmänner stets erklärt haben, ist ihr System von Verteidigungsbündnissen nach der Charta voll gültig und eindeutig durch Artikel 51 sanktioniert worden. Aber die NATO ist gerade deshalb zu einem essentiellen Instrument der kollektiven Sicherheit geworden, weil die Vereinten Nationen ein Mißerfolg waren. Die NATO ist nicht eine Realisierung der Charta, sondern eine Ersatzlösung, die in einer Aus-weich-und Vorbehaltklausel gerechtfertigt wird.

Die primitiven Teile der Charta, die Teile, die auf die anachronistische Selbsthilfe zurückblicken, haben ihre Lebensfähigkeit bewiesen, weil sie die Wirklichkeit widerspiegeln. Das große Neue einer mit Autorität ausgestatteten internationalen Exekutive zerbrach schnell, denn es stand im Widerspruch zur geschichtlichen Entwicklung und ging irrtümlich von dem Bestehen einer Gemeinschaft der Großmächte aus.

Das allmähliche Übergehen der Autorität vom Sicherheitsrat auf die Vollversammlung ist Ausdruck eines Bemühens, sich der Wirklichkeit anzupassen, indem man auf lockere und traditionellere Formen der Zusammenarbeit zurückging. Dies war das Ziel der Resolution Ver-einigt-für-den-Frieden vom November 1950. Der Sicherheitsrat war praktisch funktionsunfähig geworden, und es war nun die Vollversammlung, die mehr oder weniger erfolgreich 1956 die Suez-Krise und gänzlich erfolglos die sowjetische Niederwerfung Ungarns behandelte. Die Problematik der Vollversammlung besteht aber darin, daß es sich hier um eine äußerst unbewegliche Körperschaft handelt, die in kei-ner Beziehung zu den Realitäten der Machtver-hältnisse in der Welt steht. Von einer Körperschaft, in der Guatemala und Bulgarien das gleiche Stimmgewicht zur Verfügung steht wie den Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion, kann man kaum erwarten, daß sie ein verläßliches Instrument zur Durchsetzung des Friedens oder auch nur zur Konsultation wird.

Das anarchistische Gesicht der Vereinten Nationen dominiert. Das in die Zukunft schauende Gesicht ist nur ein Schatten und eine Hoffnung. Eines scheint somit geklärt zu sein: Wollen wir ein arbeitsfähiges Konzert der freien Nationen entwickeln, dann müssen wir woanders nach einem Vorbild und einem Instrument Ausschau halten.

Eindrucksvolle Leistungen in beiden Weltkriegen

Die mit Abstand eindrucksvollsten Leistungen einer Politik der Zusammenarbeit zwischen souveränen Mächten wurden in der Kriegszeit erzielt. In beiden Weltkriegen verwirklichten die Westmächte, vor allem Großbritannien und die Vereinigten Staaten, auf speziellen praktischen Gebieten in ihren Kriegsanstrengungen ein hohes Maß an Zusammenarbeit.

Im Ersten Weltkrieg regelten die alliierten und assoziierten Mächte mittels internationaler Gremien Probleme wie die Koordination der militärischen Strategie, der Zuteilung von Schiffsraum und der Aufrechterhaltung der Lebensmittel-und Rohstofflieferungen. So war z. B.der Oberste Kriegsrat unter Marschall Foch praktisch ein internationales Kabinett zur Kriegführung. Noch vor Beendigung des Krieges sahen einige europäische Staatsmänner in ihm bereits einen „rudimentären Völkerbund". Zahlreiche andere amtliche internationale Organisationen waren mit großem Erfolg während des Krieges und der Friedenskonferenz tätig.

Eindrucksvolle Leistungen in der engen Zusammenarbeit, ja eine Vereinheitlichung der Politik wurden im Zweiten Weltkrieg von Großbritannien und den Vereinigten Staaten vollbracht. Die umfassende Strategie des Krieges wurde in ständiger und vertrauensvoller Konsultation zwischen Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill geplant, und die britischen und amerikanischen Streitkräfte wurden einem gemeinsamen Oberkommando unterstellt, das als Vereinigter Generalstab bekannt geworden ist. Unter der Leitung der politischen Führer der beiden Länder wurden vom Vereinigten Generalstab in Washington die politischen Entschlüsse und Pläne für die strategische Krieg-führung, die Zuteilung der Munition und der Transportmittel formuliert und in die Tat umgesetzt. Ein enges Arbeitsverhältnis entwickelte sich zwischen dem obersten britischen Vertreter, Feldmarschall Sir John Dill, und General George Marshall, die in einer informellen Art und Weise gemeinsam die bedeutenden politischen Entscheidungen trafen. Die alliierten Kriegsanstrengungen erfuhren eine weitere Koordination durch ein System gemeinsamer Behörden, deren Aufgabe es war, die wirtschaftlichen Kräfte Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Kanadas vollständig zu mobilisieren.

Die gemeinsamen Behörden entstanden und arbeiteten ebenso wie der Vereinigte Generalstab in einer Atmosphäre, in der das gemeinsame Ziel — die Niederlage des Feindes — vor allen anderen Erwägungen Vorrang hatte; ja, das Überleben selbst stand und fiel mit den gemeinsamen Anstrengungen und der einigen Front. Die beiden englisch-sprechenden Nationen mit ihren gemeinsamen Interessen, ihren ähnlichen Auffassungen und ihrer Gemeinsamkeit der demokratischen Werte stellten bereitwillig alle nationalen und Gruppeninteressen zurück. Hinter der Fähigkeit der britischen und amerikanischen Beamten, eng miteinander zusammenzuarbeiten, stand ein Sinn für das Gemeinsame, der auf einer langen Gemeinschaft und einem gemeinsamen Erbe beruhte. Es ist sicher kein Zufall, daß die Sowjetunion zu kei-nem Zeitpunkt zu diesem System der einheitlichen Kriegführung hinzugezogen worden ist.

Die Erfahrungen der gemeinsamen Kriegsanstrengungen lassen erkennen, daß es wirksamer ist, an den Aufbau einer internationalen Gemeinschaft in pragmatischer Weise heranzugehen. Wahrscheinlich sind gemeinsame Anstrengungen zur Lösung konkreter Probleme letzten Endes produktiver als umfassende und aufsehenerregende Versuche, eine Verfassung für die ganze Welt zu entwerfen.

Angesichts einer eindeutig erkennbaren und gegenwärtigen Gefahr weicher. Gewohnheit, Trägheit, angestammte Interessen und traditionelle Auffassungen den Geboten der Stunde. Das Problem, dem wir heute gegenüberstehen, lautet so: Werden sie auch in einer Zeit zurückweichen, in der die Gefahr wohl unheilverkündend ist, aber vage und zweideutig erscheint und auch der dramatischen Nähe entbehrt? Darin besteht nämlich das Wesen der Gefahr, der die freie Welt heute gegenübersteht. Wenn es uns nicht gelingt, etwas Ähnliches wie die Einheit in der Zielsetzung und im gemeinsamen Handeln aus der Kriegszeit heute zu schmieden, dann könnten wir sehr wohl die Opfer werden — wenn nicht der totalen Vernichtung, so doch der langsamen Katastrophe.

Konföderation der gesamten freien Welt

Sir Anthony Eden forderte am 10. Juni 1961 in einer Rede vor jungen Konservativen einen „politischen Generalstab" der Führer des Westens, um den freien Ländern die Möglichkeit zu geben, „gegenüber der monolithischen Masse derkommunistischen Welt“ eine feste Position zu beziehen. In einer pessimistischen Beurteilung des Kalten Krieges erklärte Eden: „Innerhalb des Westens muß eine viel engere Einheit bestehen, ehe erfolgversprechende Verhandlungen mit dem Osten stattfinden können. * Der ehemalige Premierminister sagte weiter, daß die üblichen Methoden der Diplomatie unter den Völkern der freien Welt unzureichend seien.

„Etwas ungleich Geschlosseneres ist geboten.“ Eden führte als Beispiel die Erfahrunngen des Vereinigten Generalstabes im Zweiten Weltkrieg an und meinte, ohne diesen Stab wären Verwirrung und Regellosigkeit das einzige Ergebnis gewesen. „Dies", so sagte Eden, „ist genau das, was bei den politisch freien Nationen in der Nachkriegszeit eingetreten ist. Wir brauchen gemeinsame Chefs eines politischen Generalstabs.“ Sir Anthony verwies dann auf das Vordringen der kommunistischen Macht in den letzten Jahren und bemerkte: „Diese sehr ernste Lage wird weiter bestehen, bis die freien Nationen diese Gefahr in ihrer ganzen Tragweite erkennen und ihre Politik und ihre Kräfte vereinigen, um dieser Gefahr zu begegnen."

Obwohl ich mit der Argumentation Sir Anthonys vollkommen übereinstimme, denke ich doch, daß wir die Analyse weiterführen müssen. Dabei müssen wir uns eines klar vor Augen halten: die gemeinsame Gefahr soll Maßstab für unsere Erfordernisse sein, die Existenz oder Nichtexistenz eines positiven Gemeinschaftssinnes muß aber der Maßstab unserer Fälligkeiten sein.

Wenn es auch gewagt ist, den Gang der Geschichte voraussagen zu wollen, so scheint es doch offenkundig zu sein, daß eine echte Gemeinschaft in der westlichen Welt, vor allem zwischen den Ländern Westeuropas, unter großen Mühen entsteht. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war das freie Europa zu einem Neubeginn bereit. Die Auswüchse des Nationalismus hatten Europa eine Generation der Tyrannei und des Krieges gebracht. Eine Rückkehr zur alten Ordnung erschien unvorstellbar. In dieser Situation schickte sich eine neue Generation an, die Bindungen einer langen Gemeinsamkeit und der gemeinsamen Werte zu entdecken, die so lange vom nationalistischen Fremdenhaß überwuchert waren. Langsam und unter vielen Mühen setzte ein Trend zur Einigung ein, ein Trend, der zu jedem Zeitpunkt zum Stehen gebracht oder in sein Gegenteil verkehrt werden kann, der aber auch zu einer verbindlichen Föderation Europas führen kann. Es kann aber auch sein, daß die Einigung Europas sich als unzureichend erweisen wird, daß das Überleben der freien Gesellschaftsordnung nur ein Mindestgebot stellen wird: die Konföderation der gesamten westlichen Welt.

Die europäische Einigungsbewegung fand in zwei Strömungen ihren Ausdruck: im Föderalis-mus und in dem Bestreben, die Probleme praktisch zu lösen. Der Föderalismus strebt die Verfassung für die Vereinigten Staaten von Europa an; die praktische Arbeit baut auf den Vorbildern der pragmatischen Zusam renarbeit aus der Kriegszeit auf und versucht von dort aus die Lösung der speziellen Probleme. Die bisherigen Fortschritte wurden fast ausschließlich auf praktischem Gebiet erzielt.

Viele Faktoren leisteten zum Anwachsen der europäischen Bewegung ihren Beitrag. Im Jahre 1946 setzte sich Sir Winston Churchill — der bereits im Kriege oft von der Europäischen Union gesprochen hatte — für die Schaffung „einer Art Vereinigter Staaten von Europa“ ein. Wäre Churchill 1945 wiedergewählt worden, so wäre es durchaus möglich gewesen, daß Großbritannien — anstatt furchtsam abseits zu stehen — Europa zur Einheit geführt hätte.

In den Jahren 1947 und 1948 führte die Notwendigkeit, durch eine umfassende gemeinsame Anstrengung die wirtschaftliche Gesundung Europas herbeizuführen, zu der Bildung der Organisation für die europäische Zusammenarbeit (OEEC), die die Aufgabe übernahm, die amerikanische Marshallplanhilfe zu überwachen und zu koordinieren. Die Vereinigten Staaten hätten sehr gut die günstige Gelegenheit nutzen können, die ihnen mit dem Europäischen Wieder-aufbauprogramm (ERP) an die Hand gegeben war, um die zögernden europäischen Nationen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus mit Nachdruck zu einer politischen Föderation zu bringen. Alle Vorschläge in dieser Richtung wurden jedoch von der damaligen amerikanischen Regierung abgelehnt.

Eine weitere machtvolle Antriebskraft für die europäische Bewegung war die Bedrohung durch eine sowjetische Aggression. Dem kommunistischen Staatsstreich der Tschechoslowakei im in Jahre 1948 folgte unmittelbar der Abschluß des Brüsseler Vertrages — eines auf fünfzig Jahre befristeten Bündnisses zwischen Großbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten. Natürlich war die sowjetische Bedrohung letzten Endes die Ursache für die Bildung der NATO, dem großen Bündnis der atlantischen Nationen.

In dem Jahrzehnt nach der Gründung der NATO entstanden in rascher Folge die neuen Institutionen für die Einigung Europas. 1949 wurde der Europarat ins Leben gerufen, eine rein beratende Körperschaft, dennoch das erste Organ für eine politische statt rein praktische Einheit. 1952 entstand die europäische Kohle-und Stahlgemeinschaft, durch die die Kohle-und Stahlproduktion Frankreichs, der Bundesrepublik, Italiens und der Benelux-Staaten einer supranationalen Behörde unterstellt wurde. Zeitweilig sah es so aus, als würde es auch möglich sein, eine gemeinsame europäische Armee zu schaffen, aber der Plan einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde schließlich 1954 von der französischen Nationalversammlung abgelehnt. 1957 fand die sozialwirt-schaftliche Methode der europäischen Integration einen Höhepunkt durch die Schaffung eines zollfreien europäischen Gemeinsamen Marktes der „Sechs“ sowie durch die Bildung von EURATOM zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung der Atomenergie.

Die „überseeischen" Demokratien haben allgemein die europäischen Einigungsbestrebungen ermutigt, ohne ernsthaft die Vorteile ihrer eigenen Vollmitgliedschaft an einer breiteren atlantischen Gemeinschaft zu erwägen. Die Vereinigten Staaten und Kanada gehören nur der NATO und der neuen OECD an. Bis in die jüngste Zeit hinein beteiligte sich Großbritannien auf einigen Gebieten mit dem ganzen Eifer eines Bräutigams am Vorabend einer Zwangs-heirat, auf anderen Gebieten hielt es sich ganz zurück und berief sich auf seine Commonwealth-Bindungen. Jetzt hat Großbritannien sich entschlossen, die Zulassung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu beantragen, und es erscheint außerdem gewiß, daß sich einige der Partner Großbritanniens in der lockeren Freihandelszone der „Äußeren Sieben“ diesem Schritt anschließen werden. Abgesehen von der historischen Bedeutung dieses Antrags — als eines Bruchs mit der jahrhundertealten Tradition der britischen Insularität —, wird Großbritanniens Schritt, wenn er erfolgreich getan wird, einen historischen Fortschritt von allererster Bedeutung für die Bewegung zur Einigung Europas und der westlichen Welt sein.

Die Zeit ist reif für eine breitere atlantische Gemeinschaft

Wenn eine breitere atlantische Gemeinschaft gebildet werden soll — und mein eigenes Urteil lautet, daß dies sowohl im Rahmen unserer Erfordernisse als auch unserer Möglichkeiten liegt —, dann steht mit dem NATO-Bündnis ein einsatzfähiger Kern einer Institution bereit. Die Zeit ist jetzt reif, ja sogar überreif für die tatkräftige Entwicklung des nichtmilitärischen Potentials, für die Weiterbildung der NATO zu einem Instrument der atlantischen Gemeinschaft. Gebieterisch notwendig ist nun die volle Verwirklichung von Artikel 2 des Vertragswerks der NATO, der folgendes vorsieht: „Die Vertragspartner werden zu einer weiteren Entwicklung der friedlichen und freundschaftlichen internationalen Beziehungen beitragen, indem sie ihre freiheitlichen Institutionen stärken, ein tieferes Verständnis für die Grundsätze herbeiführen, auf denen diese Institutionen aufbauen und indem sie Verhältnisse der Stabilität und des Wohlstandes fördern. Sie werden danach streben, Streitigkeiten in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik auszuschalten und eine wirtschaftliehe Zusammenarbeit zwischen den einzelnen und allen Vertragspartnern ermutigen." Oder wie Lester Pearson 1950 schrieb? „Die NATO kann nicht allein aus der Furcht leben. Sie kann nicht Quell einer echten atlantischen Gemeinschaft werden, wenn sie so organisiert bleibt, daß sie nur der militärischen Bedrohung, der sie ihre Entstehung verdankt, Herr wird."

Die Basis ist geschaffen bereits

Die Problematik der NATO liegt nicht in den Institutionen — davon gibt es eine Überfülle —, sondern in dem Willen, von ihnen Gebrauch zu machen. Der NATO-Rat steht als ein ExekutivOrgan, die Standing Group als eine hohe militärische Behörde zur Verfügung, die inoffizielle Konferenz der NATO-Parlamentarier steht als eine potentielle gesetzgebende Körperschaft bereit. Diese Institutionen werden nicht durch das freie Spiel der Kräfte zu einem Instrument einer atlantischen Gemeinschaft, sondern nur, wenn diese Gemeinschaft den Bereich der Möglichkeiten verläßt und Wirklichkeit wird. Die Existenz einer Gemeinschaft ist gleichbedeutend mit einer Denkweise, einer Überzeugung, daß die Zielsetzungen und Werte weitgehend gemeinsames Gut sind, daß eine wirksame Kommunikation untereinander möglich und daß das gegenseitige Vertrauen in vernünftiger Weise gesichert ist.

Ein ebenso vielversprechender Weg zu einer atlantischen Gemeinschaft liegt vielleicht in der Entwicklung und Ausweitung der OECD vorgezeichnet. Wenn auch die OECD als ein Organ zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ins Leben gerufen wurde, so gibt es doch keinen Grund, warum diese Organisation nicht zu einem umfassenderen Instrument der Einheit entwik-kelt werden könnte, wenn die Mitgliedstaaten den Wunsch hierzu haben. Ja, die OECD könnte vielleicht ein geeigneteres Instrument zur Entwicklung eines parlamentarischen Gremiums der atlantischen Nationen sein als die NATO, weil sie alle Mitglieder der atlantischen Gemeinschaft umschließen könnte, auch Länder wie Schweden und die Schweiz, die nicht bereit sind, sich einer im wesentlichen doch militärischen Allianz wie der NATO anzuschließen. Hinter diesen Hoffnungen und Gedanken steht die Überzeugung, daß die Nationen des nordatlantisdien Raumes eine echte Einheit, zu mindest eine potentielle Gemeinschaft bilden. Darin liegt nicht das Neue. Das Neue und Zwingende besteht vielmehr darin, daß der Westen heute nur eins von mehreren mächtigen Zivilisationen oder „Systemen" ist und daß eines oder sogar mehrere dieser Systeme zu einer tödlichen Gefahr für den Westen werden können. Jahr-hundertelang beherrschten die nordatlantischen Nationen die Welt, und solange dieser Zustand anhielt, konnten sie sich den Luxus erlauben, einander zu bekämpfen. Diese Zeit ist nun vorbei, und die atlantischen Nationen müssen jetzt — wenn sie überleben wollen — eine echte Gemeinschaft entwickeln. Sie müssen ihre Blicke über die Grenzen der „westlichen Zivilisation“ auf ein weltweites „Konzert der freien Nationen“ richten.

Gemeinsame Ziele und Werte

Unsere Überlegungen ergeben somit zwingend, daß eine breitere Einheit unter den freien Nationen der Kern unserer Ziele sein muß. Wenn wir nicht zuviel erreichen wollen, dann liegt dieses Ziel auch im Bereich unserer Möglichkeiten. Wir müssen einen realistischen Ausgleich zwischen der Notwendigkeit für neue Formen der internationalen Organisation einerseits und unseren Möglichkeiten, sie auch zu realisieren, herstellen, und zwar durch die Idee der „Gemeinschaft“. Die Geschichte hat uns immer wieder gelehrt, daß Mächtekonzerte, die lediglich unter dem Vorzeichen einer gemeinsamen Gefahr entstanden sind, kaum weiterbestehen, wenn die äußere Gefahr ihre dramatischen Akzente verloren hat. Nur wenn ein Konzert der Nationen auf den positiven Fundamenten der gemeinsamen Ziele und Werte beruht, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß es ein lebensfähiges Instrument für eine langfristige Politik werden kann. Daraus folgt, daß die Überwindung der gegenwärtigen Uneinigkeit der freien Nationen nur in einem sehr begrenzten Ausmaß von der Entwicklung neuer Gremien für Konsultationen und Zusammenarbeit abhängt. Es geht vielmehr um die Errichtung der Fundamente einer Gesellschaft.

Aus diesem Grunde sind auch alle Vorschläge für eine „neue Weltordnung“ durch eine radikale Neugestaltung der Vereinten Nationen oder durch eine Art Weltföderation im Grunde völlig sinnlos. In einem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel „Weltfrieden durch ein Weltgesetz“ fordern zwei hervorragende Rechtswissenschaftler, Grenville Clark und Louis Sohn, gerade eine solche radikale Umgestaltung der Vereinten Nationen. Sie begründen diese Forderung mit der weltweiten Furcht vor einer nuklearen Katastrophe. Ich glaube, daß derartige Vorschläge — so verdienstvoll sie auch sein mögen, wenn man von unseren Erfordernissen ausgeht — unsere Fähigkeiten, sie zu verwirklichen, weit übersteigen. Derartige Vorschläge erwarten ein apokalyptisches Handeln, eine Art „Gesellschaftsvertrag“ — nach den Vorstellungen John Lockes, nur im Weltmaßstab. Der Grundfehler dieser Vorschläge liegt in dem Versuch, der Geschichte vorauszueilen und in der Annahme, daß etwas schon möglich sein muß, nur weil es wünschenswert erscheint.

Eine pragmatische Konzeption einer organischen Evolution der Gemeinschaft muß uns daher in eine ganz andere Richtung führen. Das Versagen der UN und anderer internationaler Gremien läßt uns erkennen, daß wir bereits weit über das hinausgegangen sind, was auf internationalem Gebiet möglich ist. Unser Problem besteht nun darin, Verfahren zu entwik-keln, die in ihren Zielsetzungen bescheidener sind und der realen Welt mit ihren souveränen Nationalstaaten und unterschiedlichen, einander feindselig gegenüberstehenden Gemeinschaften, Rechnung tragen. Die Geschichte der UN beweist, daß wir in einer pluralistischen Welt Verfahrensweisen entwickeln müssen, die sich auf Einflußnahme und Überzeugung statt auf Druck stützen. Es ist durchaus möglich, daß die internationale Organisation schließlich an die Stelle des Staatensystems treten wird; aber ihre wirkliche Aufgabe in der unmittelbaren Zukunft besteht darin, dieses System zu reformieren und zu ergänzen, um den Pluralismus mit unserer interdependenten Welt in Einklang zu bringen.

In der überschaubaren Zukunft sollte es nicht unsere Hauptaufgabe sein, neue Instrumente der Zusammenarbeit zu entwickeln, obwohl der „politische Generalstab“ der westlichen Führer, wie ihn Sir Anthony Eden gefordert hat, vielleicht einen nützlichen Zweck verfolgen würde. Ganz allgemein gesprochen besteht aber eine Überfülle an Instrumenten der Zusammenarbeit wie die NATO, die OECD, die UN und andere Gremien. Das Problematische an diesem Instrumentarium ist, daß es nicht eingesetzt wird, und der Grund hierfür liegt in dem Fehlen eines bewußten Gemeinschaftssinnes unter den freien Nationen.

Einen neuen Geist entwickeln

Linser richtiges Ziel muß es daher sein, einen neuen Geist zu entwickeln, eine potentielle Gemeinschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Ein „Konzert der freien Nationen“ sollte von den Traditionen des europäischen Konzerts des 19. Jahrhunderts mit seinen gemeinsamen Werten und anerkannten „Spielregeln“ ausgehen. Verfassungen bedeuten an und für sich nur wenig. Das beweist die Geschichte des Völkerbundes und auch der Vereinten Nationen. Aber ein machtvoller Gemeinschaftssinn — auch mit wenigen oder gar keinen Institutionen — bedeutet schon sehr viel. Das ist die Lehre der Geschichte des 19. Jahrhunderts.

Ein mit Realismus entworfenes „Konzert der freien Nationen“ könnte voraussichtlich aus einer „inneren Gemeinschaft“ der nordatlantischen Nationen und einer „äußeren Gemeinschaft“ bestehen, zu der die nichtkommunistische Welt zum größten Teil oder ganz gehören würde.

Die nordatlantischen Nationen bilden eine schon fast bestehende Gemeinschaft und daher können sie schon jetzt auf den Ausbau supranationaler Institutionen hinarbeiten. Da ihre Gemeinschaft noch zerbrechlich ist, sollten diese Institutionen vorläufig nach funktionalen statt föderalistischen Prinzipien, empirisch und pragmatisch statt umfassend aufgebaut werden. In der Praxis würde das darauf hinauslaufen, daß die NATO als ein Organ der politischen und militärischen Zusammenarbeit weiter entwikkelt wird, daß die OECD mit Tatkraft verwirklicht wird und daß die bestehenden Organe der europäischen Integration ausgebaut werden, wobei Großbritannien, Kanada und die Vereinigten Staaten Kurs auf eine volle Beteiligung nehmen.

Die „äußere Gemeinschaft“ stellt viel schwierigere Probleme, denn hier handelt es sich tatsächlich um eine potentielle Gemeinschaft, die noch weit von ihrer vollen Realisierung entfernt ist. Unsere Aufgabe muß es nun sein, diese Verwirklichung herbeizuführen, eine Aufgabe, die Zeit und Geduld erfordert. Wir müssen die Entwicklungsländer davon überzeugen, daß ihre Ziele und Interessen zumindest in gewisser Hinsicht mit unseren eigenen zusammenfallen. Ihre Arbeit an der wirtschaftlichen Entwicklung, ihr Streben nach militärischer Sicherheit und nach Freiheit sind alles Ziele, die in unserem und auch in ihrem Interesse liegen. Um diese Nationen von der Gemeinsamkeit dieser Interessen zu überzeugen, muß der Westen ihnen bei der Verwirklichung dieser Ziele helfen. In der Praxis bedeutet dies ein einheitliches westliches Programm zur wirtschaftlichen Unterstützung gesunder Entwicklungsprogramme, die strikte Achtung der Souveränität der neuen unabhängigen Nationen und in stärkerem Maße Beratungen mit diesen Nationen über bestimmte gemeinsame Probleme.

Zu einer solchen Politik gehört auch die Förderung eines stärkeren Veranf ortungsbewußtseins bei den Entwicklungsländern als es bisher bestand. Wenn ihre wirtschaftlichen Entwicklungsprogramme aber ungesund sind, so dürfen wir uns nicht zu einer großzügigen Hilfe durch die Furcht „erpressen" lassen, daß sie sich sonst an die Kommunisten wenden würden. Wenn wir mit ihnen Beratungen über Fragen der Sicherheit führen, dann müssen wir deutlich machen, daß es um ihre und unsere Sicherheit geht und daß sie die entsprechende Verantwortung tragen müssen.

Mit all diesen Mitteln können wir ein „Konzert der freien Nationen" anstreben, eine Gemeinschaft, deren Bestand nicht nur von einer gemeinsamen Gefahr abhängt, sondern in gemeinsamen Werten und Zielen wurzelt. Eine solche Gemeinschaft bleibt weit hinter der stabilen Ordnung der Welt zurück, die wir uns wünschen. Die Vorzüge liegen aber darin, daß hier ein realistischer Ausgleich zwischen unseren Erfordernissen und unseren Fähigkeiten gegeben ist.

Auf sich gestellt, ist die Freiheit nicht zu verteidigen. Das Überleben der Freiheit in diesem Jahrhundert gebietet die Schaffung einer neuen Gemeinschaft mit gemeinsamen Anstrengungen und gemeinsamen Werten. Und mit den Worten des spanischen Philosophen Salvadore de Madariaga zu sprechen: „Das Verhängnisvolle liegt heute darin, daß die kommunistische Welt die Bedeutung der Einheit, aber nicht der Freiheit begriffen hat, während die freie Welt das Wesen der Freiheit, aber nicht der Einheit erkannt hat. Wahrscheinlich wird die Seite siegen, der es zuerst gelingen wird, eine Synthese aus Freiheit und Einheit zu finden."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Julius Stone, „Legal Controls of International Conflict". New York; Rinehart 1954, S. 280.

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