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Wie diskutiert man mit dialektisch geschulten Kommunisten? | APuZ 9/1962 | bpb.de

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APuZ 9/1962 Wie diskutiert man mit dialektisch geschulten Kommunisten?

Wie diskutiert man mit dialektisch geschulten Kommunisten?

Mehrmals hat in der letzten Zeit der Norddeutsche Rundfunk ein Experiment unternommen, das großes Aufsehen erregte und eine Flut von Zuschriften ausgelöst hat. Am Runden Tisch diskutierten mit einem kommunistischen Journalisten fünf junge Leute unter der Leitung von Wolfgang Jäger. Die drei Studenten, der Schlosser und der Bankangestellte hatten einen schweren Stand und wären zweifellos mehrmals ohne das geschickte Eingreifen des Diskussionsleiters völlig „an die Wand gedrückt“ worden. Warum das Experiment trotzdem nicht leichtfertig war, und man es im Endeffekt als gelungen bezeichnen kann, wird im zweiten Teil dieser nur unwesentlich redigierten Fassung der Rundfunksendung deutlich.

Der Diskussionsleiter eröffnet die Diskussion

Wie diskutiert man mit dialektisch geschulten Kommunisten?

Um darüber etwas sagen zu können, müßte man einen Versuch machen, also man müßte eine Diskussion aufnehmen, und dazu braucht man natürlich einen Kommunisten. Die wenigen Kommunisten aber, die in der Bundesrepublik leben, dürften zu einem solchen Gespräch nicht bereit sein. Also bleibt nur ein Kommunist aus der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, das heißt: ein Vertreter der Sozialistischen Einheitspartei.

Als Vertreter der jungen Generation der Bundesrepublik saßen kürzlich zur Diskussion im Hamburger Funkhaus am runden Tisch fünf junge Leute, die sich für Politik interessieren, und als Vertreter der kommunistischen Ideologie der Journalist Alfred Wolf.

Als ich die Gesprächspartner miteinander bekannt machte, war die Atmosphäre verständlicherweise frostig: „Wir haben uns also heute hier zusammengefunden, um ein wenig zu diskutieren, und zuerst möchte ich Ihnen unseren Gast vorstellen: Herrn Wolf. Herr Wolf, ich glaube, Sie sind Journalist.“ „Das ist unwesentlich“, murmelte Wolf verdrossen. Ich sagte: „Na ja, schön“, und stellte als Vertreter der westdeutschen jungen Generation vor: Die 21jährige Studentin der Pädagogik und Psychologie, Christiane Starke, den 24jährigen Bankangestellten Dieter Wiehemeier, den 20jährigen Schlosser Udo Richter, den 23jährigen Studenten der Betriebswirtschaft und Pädagogik Klaus Illenberger und den 28jährigen Studenten der Rechtswissenschaft Gerhard Bahnemann.

Das Vorgefecht

Ich bedankte mich bei den jungen Gesprächspartnern für ihre Bereitwilligkeit und wandte mich dann Herm Wolf zu: „Nun wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben. Sie haben sich freundlicherweise bereit erklärt, hier über einige Fragen zu diskutieren, über politische Probleme, über die wir sicherlich in manchen Punkten durchaus unterschiedlicher Auffassung sind. Aber ich freue mich, daß Sie gekommen sind“.

Der Kommunist unterbrach mich: „Ich muß noch etwas sagen. Sie haben mir erklärt, daß wir diskutieren sollen. Damit bin ich durchaus einverstanden.“

Er zögerte und da warf ich ein: „Sie haben doch hoffentlich keine Angst, Herr Wolf!“ „Ich habe keine Angst!“ protestierte er. „Deswegen bin ich hier. Ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen — und das geschieht nicht aus Gründen der Angst! — daß Sie mir zugesagt haben, ich könnte hier völlig frei diskutieren.“

Ich nickte: „Das können Sie, Herr Wolf.“

Aber er ließ nicht locker: „Das ist nicht so selbstverständlich. Denn immerhin gibt es hier eine Organisation, die sich Verfassungsschutz nennt, und die die Kommunistische Partei verboten hat. Und wenn ich auch aus dem anderen Teil komme, mit dem man sich angeblich so gern wiedervereinigen möchte, so ist doch nicht einzusehen, warum man mir gestatten möchte jene Ideen vorzutragen, die hier eigentlich verboten sind, wenn man nicht bestimmte Absichten verfolgt."

Ich bestritt diese „bestimmten Absichten“ nicht und er fuhr aggressiv fort: „Bitte, nehmen Sie das nicht persönlich! Aber ich kenne Motiv und Ursache, weswegen man eine solche Diskussion vielleicht gestattet. Ich möchte diese Diskussion trotzdem führen. Auch ich habe Absichten. Ich will das ganz offen zugeben. Allerdings besteht meine Absicht darin, eine aufklärende Diskussion zu führen und vielleicht einige Dinge zurechtzurücken, weil hier eine allumfassende verlogene Propaganda von Seiten der legalen Presse betrieben wird. Das muß ich eingangs sagen, damit wir uns von vornherein klar sind, von welchem Ausgangspunkt ich ausgehe, wenn ich also bereit bin, hier zu erscheinen.

Ich hätte allerdings die Bitte, daß man es mir ermöglicht, vielleicht einleitend einiges zu sagen, bevor Sie jetzt mit der Diskussion beginnen.“

Obwohl der Vertreter der kommunistischen Ideologie schon eine längere Einleitung gemacht hatte, ließ ich ihm das Wort: „Sie sind unser Gast, Herr Wolf. Bitte schön. Sie möchten noch mehr sagen?“

„Ausbeutung des Menschen durch den Menschen"

Und nun setzte er wortreich zu längeren Ausführungen an: „Ja, ich möchte etwas zur Diskussion sagen. Das andere war sozusagen zur Geschäftsordnung. — Eine Diskussion kann man auf verschiedene Weise führen: man kann eine Wald-und Wiesendiskussion führen — über alles mögliche, was einem gerade in den Kopf kommt. Ich habe an und für sich nichts dagegen. Sie können also jede Frage stellen, und ich werde auch keiner Frage aus dem Wege gehen, wie Sie sich überzeugen werden. Aber ich glaube, es ist sachlich richtig, mir vielleicht die Möglichkeit zu geben — ganz kurz allerdings — einführend auf den grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Lagern hinzuweisen: nämlich auf den ideologischen Unterschied. Und auf diesem ideologischen Unterschied basieren ja all die Differenzen, die sich auch in der Tagespolitik niederschlagen. Der ideologische Unterschied besteht darin, daß es auf der einen Seite eine Welt des Kapitalismus gibt und auf der anderen Seite ein Lager des Sozialismus. Die Geschichte ist, wie Marx nachwies, immer eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen. Im Zeitalter des Kapitalismus nimmt dieser Klassenkampf besondere Formen an. Ich möchte betonen, ich kann das nur in aller Kürze sagen, nur damit wir eine Ausgangsposition haben. Die Ausbeutung im Kapitalismus drückt sich durch das Ausbeutersystem der kapitalistischen Wirtschaftsform aus, (die sich auf allen Gebieten, also auch in der Justiz und der Politik niederschlägt). Die Grundlage dieses Systems ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen: und zwar durch den Privatbesitz an denProduktionsmitteln. Durch den Privatbesitz an den Produktionsmitteln erhält der Privatbesitzer an Produktionsmitteln die Möglichkeit, Lohnarbeiter zu beschäftigen, auf Grund deren Arbeit er Profite abschöpfen kann. Um an einem Beispiel zu demonstrieren, was ich meine: Wenn in irgendeiner Fabrik Maschinenschrauben erzeugt werden und der Kapitalist dieses Betriebes hat einen Bruttoertrag von, sagen wir, fünf Millionen, von denen zwei Millionen für Unkosten Weggehen und eine weitere Million für Löhne und Gehälter, dann verbleiben ihm zwei Millionen. Diese zwei Millionen stellen für ihn den Profit dar oder, um einmal mit Marx zu sprechen, den Mehrwert, den er von der Arbeit seiner Lohnarbeiter abschöpft. Die haben wiederum nicht die Möglichkeit sich nicht ausbeuten zu lassen, weil sie durch ihre wirtschaftliche Lage gezwungen sind im kapitalistischen System zu arbeiten und sich ausbeuten zu lassen.

Diese zwei Millionen sind also sein Profit, der Mehrwert. Und es ist ein absurdes Argument, wenn man immer wieder hört, diese zwei Millionen würden ja nicht nur für private Zwecke des Kapitalisten verbraucht und für sein Vergnügen, sondern er schaffe damit ja weitere Arbeitsplätze. Das ist immer das beliebteste Argument, das ich hier im Westen höre. Aber die weiteren Arbeitsplätze, die er schafft, sind ja nur eine Voraussetzung für eine weitere Ausbeutung und für weitere Millionen, die er kassiert.

Diesen Zustand der sozialen Ungerechtigkeit zu beseitigen, ist nicht nur eine moralische Aufgabe — selbstverständlich auch das! — sondern es ist eine historische Aufgabe. Es gibt gerade in unserem Zeitalter keinen Grund mehr, weshalb sich Arbeiter ausbeuten lassen sollten. Deswegen stehe ich auf dem Standpunkt: nur eine sozialistische Gesellschaftsordnung, in welcher der Privatbesitz an den Produktionsmitteln beseitigt ist, kann eine Lösung dieser sozialen und politischen Fragen herbeiführen.

Ich möchte eines noch ganz klar herausstellen: wenn ich Privatbesitz an Produktionsmitteln sage, dann meine ich natürlich nicht Privatbesitz schlechthin, sondern eben Privatbesitz an Produktionsmitteln. Das sind also Güter, Maschinen, Fabriken und dergleihen mehr; kurz alle Instrumente, die jemanden überhaupt erst in die Lage versetzen, den sozial Schwächeren auszubeuten.

Nun wirft man uns Kommunisten vor, dieses Ziel, die Abschaffung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln, wollten wir gewaltsam erreihen. Das ist einfach eine Lüge. Von wollen in diesem Sinne kann gar nicht die Rede sein. Es ist vielmehr eine Tatsache, daß die Kapitalisten niemals freiwillig auf ihre Privilegien ver-zihten. So war es bisher jedenfalls, und es besteht kein Grund anzunehmen, daß es künftig anders sein wird. Und deswegen haben die Arbeiter in diesen Ländern das Reht, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und dann allerdings das Privateigentum in Volkseigentum zu überführen. Wenn es sein muß mit Hilfe einer Revolution. Das ist aber Aufgabe eines jeden Landes, und das ist vor allen Dingen die Aufgabe der Arbeiter als Avantgarde des Volkes.

Ih könnte mich über den Sozialismus natürlich noh viel ausführliher äußern, doh würde das dann ja ein Vortrag werden. — Um es mit einem Wort zu sagen: Ih bin der Meinung, daß alle Fragen, die sih heute in der Tagespolitik oder auh sonst ergeben, auf dieser ideologishen Differenz basieren. Damit habe ih zugleih in großen Zügen erläutert, weshalb dem Sozialismus und dem Kommunismus die Zukunft gehört und weshalb der Kapitalismus zum Untergang verurteilt ist. Dieser entsheidende ideologische Untershied ist auh maßgebend bei allen anderen Problemen, wie zum Beispiel in der Kolonialfrage. Wo ist der Fortschritt, wo gibt es soziale Gerehtigkeit und wo niht?

Soviel zunähst einmal als Ausgangsbasis, wobei ih allerdings bereit bin auh über jede tagespolitishe Frage zu diskutieren. Das habe ich eingangs shon gesagt."

„Gibt es diese Ausbeutung überhaupt?"

Als ich nah diesem dynamish vorgetragenen Ausführungen endlich zu Wort kam, sagte ih: „Ja, das war nun doh shon ein ganzes Referat, Herr Wolf. Wir stehen in entsheidenden Punkten siherlih auf einer ganz anderen ideologishen Grundlage als Sie, und ih glaube, unsere westdeutshen Gesprähspartner haben doh einige Bemerkungen dazu zu mähen.“

Und sofort wollte Gerhard Bahnemann wissen: „Herr Wolf, würden Sie bitte einmal erklären, worin der Vorteil für den einzelnen Arbeitnehmer besteht, in einem volkseigenen Betrieb zu arbeiten? Die Tatsahe, daß ihn lediglih ein anderer Unternehmer beshäftigt, ist doh wohl keine ausreihende Erklärung.“

Der Kommunist ließ sih niht zweimal bitten: „Zunächst einmal möhte ih Ihren Begriff rihtigstellen: Der Arbeitnehmer ist — genau genommen — eigentlih der Kapitalist, und der Arbeiter ist der Arbeitgeber.“

Da konnte Bahnemann sih niht enthalten dazwischenzurufen: „Wieso ist der Kapitalist Arbeitnehmer?"

Wolf entgegnete: „Ganz einfah: weil der Kapitalist die Arbeit des Arbeiters nimmt und weil der Arbeiter die Arbeit gibt. Der Vorteil eines Arbeiters in einem volkseigenen Betrieb in der Deutshen Demokratishen Republik besteht darin, daß eben der Privatbesitz an diesem Betrieb beseitigt worden ist. Es gibt also keine Kaste, Shiht oder Klasse, die den Profit, den Mehrwert abshöpft. Und dazu gehört dann selbstverständlih, daß der einzelne mitgestaltet und daß er direkt profitiert. Ih will niht leugnen, daß es in einzelnen dieser Betriebe noch Mängel und Fehler gibt. Das ist eine Frage der Entwicklung. Im übrigen wäre ih froh, so gern ih auh bereit bin, über die DDR zu sprehen, wenn wir den gesamten Fragenkomplex, den ich angeshnitten habe, einmal grundsätzlih diskutieren würden, statt jetzt mit einzelnen Fragen auf gewisse Dinge zu kommen. Obwohl ih auch, wie gesagt, bereit bin, darüber zu sprehen.“

Hier warf ih ein: „Ih glaube, wir können nicht nur ganz im Grundsätzlihen reden, Herr Wolf, wir müssen doh von den einzelnen Punkten ausgehen, die Sie hier erwähnt haben.“

Dazu meldete sih Klaus Illenberger zu Wort: „Herr Wolf, ih habe den Eindruck, als malten Sie shwarz-weiß. Sie sprehen vom kapitalistishen Unternehmer, und ih möhte nun gar zu gern von Ihnen einmal wissen, wie Sie sih diesen kapitalistishen Unternehmer in der heutigen Zeit eigentlih vorstellen. Gibt es den bei uns überhaupt noh? Sie behaupten es einfah.

Herr Wolf sah mih fragend an, und ih nichte ihm zu. Da sagte er: „Ih möhte Ihnen einen Zeugen anführen, der für Sie wahrsheinlih etwas maßgebend sein dürfte. Es war der westdeutshe Bundeskanzler Dr. Adenauer, der vor kurzer Zeit öffentlih festgestellt hat, daß in der Industrie unverschämte Gewinne eingeheimst würden. Ih glaube, Adenauer gerät kaum in den Verdacht, hier nun kommunistische Propoganda machen zu wollen. Das beweist also zumindest einmal, es ist keine Frage von Schwarz-Weiß-Malerei, wenn ich behaupte, daß es auch heute noch kapitalistische Unternehmer gibt. Könnten Sie vielleicht für Herrn Stinnes eine andere Bezeichnung finden als Kapitalist? Ich finde keinen anderen Begriff, wobei wir uns über Begriffe natürlich auch streiten könnten. Entscheidend ist jedoch, was geschieht."

Ist der Lebensstandard entscheidend?

Die jungen Gesprächspartner waren von dieser Argumentation beeindruckt. Deshalb sagte ich: »Darf ich einmal selbst eine Frage stellen, obwohl ich Diskussionsleiter bin? Herr Wolf, Sie haben jetzt alles von oben betrachtet. Betrachten wir die Dinge doch einmal aus der Situation des Arbeiters. Glauben Sie denn wirklich, daß es dem Arbeiter in einem Staat, in dem alle Produktionsmittel Volkseigentum sind, besser geht als dem Arbeiter im sogenannten kapitalistischen Staat? Ich meine, wenn ich mir die soziale Lage des Arbeiters vergegenwärtige — im Osten unseres geteilten Vaterlandes und im Westen—, so scheint mir doch der Vorsprung eindeutig auf unserer Seite zu liegen.“

Es war fast so, als ob der Kommunist auf dieses Argument gewartet hätte. Er lehnte sich zurück und stellte trocken fest: „Zunächst einmal bin ich da anderer Ansicht.“ Dann wurde er heftiger: „Ich könnte Ihnen jetzt mit Statistiken kommen. Aber ich nehme an, daß Sie das langweilen würde. Trotzdem: Ich habe einige parat und könnte Ihnen beweisen, daß Ihre Behauptung nicht ganz stimmt. Schön, es gibt gewisse Gebiete, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, in denen ein gewisser Vorsprung aufzuholen ist.

Der ergibt sich aus verschiedenen Gründen: zunächst einmal daraus, daß die DDR die Haupt-last dieses fürchterlichen Krieges zu tragen hatte, weil sich Westdeutschland ausgeschlossen hat. Zweitens daraus, daß das Industriezentrum in Westdeutschland liegt. Lind drittens und das ist sehr entscheidend, will man in der DDR aus eigener Kraft aufbauen und war nicht bereit, einen versklavenden Marshall-Plan auf sich zu nehmen oder bzw. die Hilfe dieses Marshall-Planes zu akzeptieren, die praktisch mit Bedingungen verkoppelt war. Es sind also rein äußerlich gewisse, wie Sie hier so schön sagen, gewisse Engpässe kein Maßstab dafür, ob ein System richtig ist oder nicht. — Das ist, glaube ich, entscheidend. Ich nehme aber an, daß Sie sehr bewußt hier in die Diskussion eingreifen, um darauf anzuspielen, wie gut es manchen Leuten geht. Ich möchte darauf antworten: zunächst einmal bin ich durchaus der Meinung, daß es manchen Leuten gut geht. Herrn Pferdmenges geht es bestimmt nicht schlecht, ganz bestimmt nicht! Und warum — das habe ich eingangs erläutert. Es geht aber auch manchen anderen noch nicht schlecht. Wenn Sie aber den Lebensstandard als Maßstab nehmen, dann können wir uns vielleicht einmal die Jahre nach 1933 vor Augen führen, wo es zunächst einmal dem Arbeiter wirtschaftlich auch besser ging. Wohin das führte, haben wir alle gesehen. Ich glaube also, den Standpunkt, daß sich hier mancher vielleicht etwas erlauben kann und daß noch keine akute Krise vorhanden ist, diesen Standpunkt als Ausgangspunkt zu nehmen für den angeblichen Beweis der Richtigkeit eines Systems, das wär nicht allein kurzsichtig, sondern bewiese zugleich, daß das hier errichtete System auf sehr schwachen Füßen steht. Ich betone ja immer wieder, wir müssen hier eben die entscheidenden Fragen berühren.“ Hier hakte ich ein: „Ja, eine der entscheidenden Fragen scheint mir doch zu sein, Herr Wolf: wie erklären Sie sich, daß es das Ziel von Chruschtschow ist — wie er selbst verkündet hat —, daß die Sowjetunion in wenigen Jahren den Lebensstandard der Vereinigten Staaten erreichen soll? Bekennt er damit nicht klipp und klar: im Vaterland der Werktätigen, in der Sowjetunion, herrschten bisher noch unbefriedigende Zustände und bekennt er damit nicht zugleich, daß es gilt seinem großen Gegner, den kapitalistischen Vereinigten Staaten nadizustreben, weil sie einen sehr viel höheren Lebensstandard haben.“ Herr Wolf ließ sich nicht aus der Fassung bringen: „Zunächst einmal bin ich gar nicht dagegen, daß wir über den Lebensstandard sprechen und über die Lebenshaltung. Ich werde auch auf diese Frage antworten. Ich meine nur, daß der Lebensstandard nicht das A und O all dessen sein kann, was richtig und was falsch ist. Das zum Ausgangspunkt. Nikita Chruschtschow hat zwar von der Erhöhung des Lebensstandards gesprochen, aber doch nicht als wesentlicher Grundlage des Unterschiedes zwischen dem, was Sie Ost und West bezeichnen; also zwischen dem Lager des Friedens, des Sozialismus, und dem Lager des Kapitalismus. Sondern er hat angesichts der technischen und allgemeinen Entwicklung der Sowjetunion hervorgehoben, daß ein gewisser Vorsprung einzuholen ist. Ein Vorsprung, der durchaus verständlich ist, wenn man berücksichtigt, daß im Jahre 1917, als Amerika bereits ein industrialisiertes Land war, Rußland am Boden lag und eine Industrie erst richtig aufgebaut werden mußte. Die geschichtlichen Zusammenhänge muß man doch in entsprechender Weise richtig sehen“.

Vom Monopolkapitalismus

„Sehen Sie — auch das konnte ich eingangs nicht sagen, weil ich keine Zeit hatte —, Sie dürfen nicht vergessen, daß sich eben in diesem Jahrhundert, insbesondere in den letzten Jahrzehnten, das Kapital ja in Form von Monopolen zusammengeschlossen hat und daß diese Monopole eine diktatorische, jawohl, diktatorische Machtposition ausüben gegenüber allen anderen. Auch gegenüber dem sogenannten kleinen Unternehmer, wie Sie es so schön nennen.“ „Ist denn Staatskapitalismus kein Monopol?“, warf Dieter Wiehmeier ein und Wolf meinte unwillig: „Ich spreche sofort davon.“ Dann fuhr er in seiner Argumentation fort, zu der er sich selbst das Stichwort gegeben hatte, wobei er so tat, als ginge er auf eine ihm gestellte Frage ein: „Ich möchte nur das eine erst einmal beantworten. — Der Kapitalismus hat im Zeitalter des Monopolkapitalismus in Form von Monopolen also die Macht und die Möglichkeit, alles andere zu brechen. Wenn Sie erlauben, darf ich Ihnen einige Beispiele anführen. Sie kennen vielleicht die inzwischen berühmte Geschichte — sie wurde selbst in der westdeutschen Presse ausführlich behandelt — des Uhrenhändlers in Frankfurt. Der verkaufte Markenarmbänder zu 18 Mark, statt den vorgesehenen Preis von 24 Mark zu nehmen, nachdem die Eigenkosten dieses Armbandes — man höre und staune! — ganze 4, 50 Mark betragen. Das Resultat war, als er sich nicht dem Monopol beugen wollte, daß er vor Gericht zitiert und praktisch vom Uhren-monopol verurteilt wurde. Ja, vom Gericht, aber diese Gerichte sind ein Bestandteil der Klassen-justiz. Infolgedessen kann ich also praktisch sagen: vom Uhrenmonopol. Und ich kann Ihnen ein weiteres Beispiel anführen, und wenn Sie die Quelle haben wollen, die kann ich Ihnen gern nennen — es ist eine westliche Quelle —: Seit 195 3 hat sich das Aktienkapital in der Bundesrepublik verachtfacht. Und 70 Prozent von diesem Aktienkapital befinden sich in fester Hand. Was das bedeutet, dürften Sie wahrscheinlich verstehen. Das heißt also: in der Hand der Monopolisten!“ An dieser Stelle unterbrach der Bankangestellte Dieter Wiehemeier den Kommunisten: „Dann lesen Sie einmal die Statistiken nach. Denn unsere Aktiengesellschaften bemühen sich nicht erst heute, sondern schon seit längerer Zeit, durch Aktionärsbefragung festzustellen, in welcher Streuung die Aktien verteilt sind. Und da stellt sich bei großen Gesellschaften eindeutig heraus, daß die Aktien sehr weit gestreut sind. Das aktuellste Beispiel sind jetzt die Badischen Anilin-und Soda-Fabriken. Die haben kürzlich eine Statistik anfertigen lassen über die Besitz-verhältnisse in Prozenten des Nennwertes (nicht der Aktionäre). Danach befinden sich über 25 Prozent des Aktienkapitals im Besitz von Hausfrauen und fast 20 Prozent im Besitz von freien Berufen und mehr als 15 Prozent im Besitz von Lohnempfängern. Die andere Seite der Statistik besagt, daß ein einziger Aktienbesitzer mehr als ein Prozent des Aktienkapitals in Händen hält. Und dieser eine Aktionär, der etwas mehr als ein Prozent besitzt, ist eine Investment-Gesellschaft. Dabei muß man aber bedenken, daß der Sinn der Investment-Gesellschaft ja die Streuung der Zertifikate ist, also daß viele Millionen Anteileigner an dieser Gesellschaft beteiligt sind; folglich wiederum keine Konzentration des Kapitals in wenigen Händen.“ Der kommunistische Gesprächspartner protestierte: „Das stimmt nicht! Moment! Zunächst einmal stimmt Ihre Schlußfolgerung nicht. Die Investment-Gesellschaften besitzen nicht das Kapital oder die Aktienmehrheiten von irgendwelchen Aktiengesellschaften, sondern sie haben auch Aktien. Und selbst zu den Versammlungen dieser Investment-Gesellschaften werden doch kaum Arbeiter oder Hausfrauen oder Angestellte kommen, denen ein paar Kleinaktien gehören, weil man ihnen Sand in die Augen streuen und ihnen das Gefühl geben will, sie beherrschten das Kapital mit. Das wissen Sie doch selber! Aber abgesehen davon, selbst die Zahlen, die Sie genannt haben, zeigen ja, wenn man alles addiert, daß immer die Großkapitalisten die Aktien fest in der Hand haben.“

Wiehemeier schnappte verblüfft nach Luft: „Wo ist denn bei diesem Beispiel der Großkapitalist?“

Wolf erwiderte gönnerhaft: „Ich bin ja dabei, das zu erklären! Nehmen wir ganz konkret die Hauptversammlung. Wenn eine Aktiengesellschaft die Hauptversammlung einberuft, wer erscheint? Erscheinen dort die Hausfrauen oder nicht?" Der Kommunist blickte sich überlegen um. „Sie haben die Möglichkeit“, sagte Wiehemeier. „Nun gut“ fuhr Wolf fort, Sie haben die Möglichkeit. Aber wir müssen doch von den realen Verhältnissen ausgehen. Ich habe selbst Zettel gesehen, die eine große Bank den Leuten ins Haus geschickt hat, die im Besitz kleiner Aktien oder Investment-Zertifikate sind. Da wird ihnen empfohlen, zur Erleichterung des Ablaufs der Hauptversammlung und um ihnen Reisekosten zu ersparen, der Bank doch die Vollmacht zu übertragen. Und diese Herren bekommen die Vollmachten. Denn eine Hausfrau, die in München wohnt und zur Hauptversammlung nach Hannover kommen müßte, ist nicht in der Lage, das Fahrgeld aufzubringen, das vielleicht mehr ausmacht als ihre armselige Aktie. Das sind doch die realen Verhältnisse. Alles andere ist Täuschung und Bewußtseinsverbildung eben der Unternehmer — wie Sie es ausdrücken —, also der Kapitalisten. Und sie tun es, um den Leuten einzureden, sie hätten etwas zu bestimmen. Auf diesen Hauptversammlungen bestimmt aber das Monopolkapital. Es« kommt doch nicht darauf an, was nun theoretisch festgesetzt ist. Theoretisch festgesetzt ist, um einmal mit Anatole France zu sprechen, daß es jedem verboten ist, unter den Brücken zu schlafen; nur mit dem Unterschied, daß es die Besitzende Klasse sehr wenig nötig hat, unter den Brücken zu schlafen, während es manchem anderen eben nicht möglich ist, nicht unter den Brücken zu schlafen. Das heißt also praktisch in diesem Fall, es ist nicht möglich, sich an diesen Dingen wie Hauptversammlungen zu beteiligen.“

Dieter Wiehemeier unterbrach den Redefluß des kommunistischen Gesprächspartners mit der Bemerkung: „Er kann sich selbstverständlich beteiligen, wenn er es will.“

Und sofort ereiferte sich Alfred Wolf wieder: „Er kann es nicht, weil er wirtschaftlich nicht dazu in der Lage ist. Das ist doch der entscheidende Punkt. Die Hausfrau ist nicht in der Lage.

Denn sie hat kein Kapital oder nicht genügend Zertifikate. Und selbst, wenn sie einige hat, ist sie dazu nicht in der Lage, weil sie eben nicht so viel Wirtschaftsgeld hat, um davon noch zu solchen Hauptversammlungen zu fahren und sich da gegenüber diesen wichtigen Herren durchzusetzen. Ausnahmen bestätigen die Regel; von denen spreche ich nicht. Aber grundsätzlich kann man das doch nicht bestreiten, was ich hier ganz sachlich festgestellt habe.“

Wiehemeier ließ nicht locker: „Diesen gewichtigen Herren gehört das Kapital aber gar nicht. Diese gewichtigen Herren, die auf Hauptversammlungen auftreten, das sind nämlich auch nur Arbeiter. Sie werden nämlich beschäftigt von den einzelnen Firmen. Und der Generaldirektor, der da auftritt, oder die Vertreter der Banken, die Sie aufgeführt haben, weil sie das Depotstimmrecht im Interesse der Aktionäre ausüben, diese Herren haben ja gar keine Verfügungsgewalt. Wenn Sie heute Ihrer Bank den Auftrag geben, der Vertreter möchte auf der Hauptversammlung so oder so stimmen, dann ist er laut Gesetz dazu verpflichtet. Und er tut es. Sie können keinen einzigen Fall aus der Praxis anführen, in dem es anders wäre.“

Der Kommunist lächelt wieder: „Sehen Sie, es ist etwas belustigend für mich und es kommt mir also fast vor — bitte fassen Sie das nicht persönlich’ auf — als lebten Sie auf dem Mond und nicht in dieser kapitalistischen Wirklichkeit. Es ist wirklich belustigend, wenn Sie diese Leute als Arbeiter bezeichnen; wenn Sie beispielsweise einen Aufsichtsratsvorsitzenden namens Abs als Arbeiter bezeichnen. Oder die anderen Aufsichtsratsvorsitzenden und Aufsichtsräte. Sie sind doch nicht deshalb Arbeiter, weil sie etwas durchführen, sondern sie vertreten die Interessen des Kapitalismus. Und wenn Sie sagen, die Hausfrau kann zur Hauptversammlung fahren, dann steht das auf dem Papier. Praktisch kann sie es nicht. Genau so wenig, wie ein Arbeiter die Möglichkeit hat, sich nicht ausbeuten zu lassen, weil er leben muß und weil er innerhalb des kapitalistischen Systems in einem kapitalistischen Betrieb arbeiten und sich infolgedessen ausbeuten lassen muß.“

Ich benutze eine kleine Atempause, um in das Gespräch einzugreifen, denn ich wollte endlich den Vertretern unserer jungen Generation die Möglichkeit geben, sich aktiver zu beteiligen. Aber kaum hatte ich gesagt, „Ich möchte hier einmal kurz eingreifen“, da meldete Alfred Wolf Bedenken an: „Ich habe allerdings noch nicht ganz auf die Frage geantwortet." Aber diesmal ließ ich mich nicht stören: „Sie haben bisher nur von der wirtschaftlichen Seite gesprochen, Herr Wolf, und vom Unterschied in den Wirtschaftsauffassungen der beiden großen Blöcke: des kapitalistischen Systems auf der einen Seite und des sozialistischen Lagers — wie Sie es nennen — auf der anderen Seite. Dabei möchte ich nicht verfehlen zu bemerken, daß man bei uns im Westen unter Sozialismus auch noch wieder etwas anderes versteht als Sie. Aber nicht die unterschiedlichen wirtschaftlichen Auffassungen allein machen doch den großen Unterschied zwischen Ost und West aus, sondern es gibt doch noch andere, ganz wichtige und wesentliche Unterschiede. Und ich glaube, auch dazu haben unsere jungen Gesprächspartner hier noch einige Fragen an Sie; Fragen, die mindestens ebenso wichtig zu sein scheinen, wie die Erörterung wirtschaftlicher Thesen.“

Kapitalistische Wirtschaft

Der Kommunist machte ein undurchdringliches Gesicht, sagte aber nichts, da Gerhard Bahne-mann um das Wort gebeten hatte und sich an ihn wandte: „Ich möchte auf ein ganz bestimmtes Gebiet kommen, Herr Wolf, auf die Pädagogik. Es ist nämlich sehr aufschlußreich, was Sie unter Freiheit verstehen und was wir unter Freiheit verstehen. Bei Ihnen haben die Pädagogen den Auftrag, die Schüler und Studenten im Sinne eines Klassenstandpunktes zu erziehen. Und dabei gilt der Standpunkt, der parteilich ist — parteilich in ihrem Sinne. Hier dagegen scheint es mir doch der Auftrag des Pädagogen zu sein, eine Erziehung durchzuführen, die dem Individuum wirklich nützlich ist. Die dem einzelnen die Möglichkeit gibt, sich selbst in der Welt zu behaupten, selbst zu entscheiden und an seinem eigenen Leben zu arbeiten. Das ist bei Ihnen vollkommen ausgeschlossen; denn bei Ihnen gibt es nur eine Wahrheit und nur eine Freiheit, und das ist die, die Sie vorschreiben.“

Ich sah Alfred Wolf an, der Angesprochene bat ums Wort: „Vielleicht darf ich darauf antworten? Ein Wort aber noch zur Wirtschaft, die durch die Unterbrechung zu kurz gekommen Ist. Sehen Sie: Wir sprachen vorhin von Monopolen, Sie sprachen von Bestimmung. Da gab es also vor einigen Tagen eine interessante Meldung des deutschen Vulkanisierhandwerks. Diese Leute haben gefordert, daß man nicht weiter gute und haltbare Reifen herstellen soll, weil dann die Arbeitnehmer, wie Sie es bezeichnen, also die Arbeiter in diesem Gewerbe brotlos werden könnten. Das ist Kapitalismus in Reinkultur. Man soll lieber schädliche und nichthaltbare Reifen produzieren, die Menschenleben gefährden, statt im Interesse des Fortschritts bessere Waren erzeugen, weil das eine Krise in diesem Wirtschaftszweig auslösen könnte?“

Die jungen Geschprächspartner wurden ungeduldig, deshalb sagte Wolf: „Darf ich das mal zu Ende führen? Das ist nur ein Beispiel dafür. Der zweite Punkt ist — ich wollte vorhin nicht allzu lange darüber sprechen, aber nun nachdem es wieder in die Debatte geworfen wurde — muß ich darauf eingehen: Wissen Sie, daß ein Mann, den Sie ebenfalls nicht des Kommunismus verdächtigen können (genau so wenig wie Herrn Adenauer), nämlich der sogenannte Wirtschaftsexperte der SPD, Dr. Deist, vor kurzem in einer öffentlichen Versammlung festgestellt hat, daß in der UdSSR in den letzten Jahren eine Steigerung der Produktion von 8 bis 10 % eingetreten ist, während in der gleichen Zeit in den USA nur eine Steigerung von 2 % eingetreten ist? Dr. Deist hat aber noch mehr gesagt — und das wird Sie gerade interessieren, weil Sie so liebevoll von den Kleinaktionären sprachen. Er hat darauf hingewiesen, daß im letzten Jahr von einer Gesamtproduktion von 100 Millarden allein sieben Milliarden Reingewinne abgeschöpft worden sind. Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich. Und es ist auch wohl bedeutsam, daß es — wie dieser Politiker berichtet hat — heute allein in Bayern doppelt soviel Millionäre gibt wie im Jahre 1957. Das sind doch Tatsachen, die eine lebendige Sprache sprechen, was zunächst einmal Wirtschaft betrifft. Abgesehen davon, Sie haben vorhin, glaube ich, das gute Leben erwähnt. Nicht weit von hier, in Bremen, einer Ihnen sicher nicht unbekannten Stadt, ist erst vor kurzer Zeit bei Borgward eine Reduzierung der Produktion eingetreten. 10 Prozent der Belegschaftsmitglieder wurden entlassen. In den französischen Renaultwerken sind ebenfalls Arbeiter entlassen worden. Das sind doch Krisenerscheinungen.“

Der junge Bankangestellte Dieter Wiehemeier wollte diese Argumentation nicht gelten lassen: „Das sind nur Konjunkturerscheinungen, oder genauer gesagt Konjunkturverlagerungen. Denn gleichzeitig hat z. B. das Opelwerk in Bochum ein riesiges Gelände aufgekauft, um eine neue Autofabrik zu errichten, die mehrere tausend Arbeiter beschäftigen wird. Also ein Vielfaches von dem, was Borgward evtl, entlassen wird. Das ist nur eine Verlagerung durch einen gewissen Beschäftigungsrückgang einer Firma, während andererseits eine andere wie das Volkswagenwerk in den letzten Jahren riesige neue Produktionskapazitäten z. B. in Braunschweig und Hannover geschaffen hat. Auch da sind also Tausende von Arbeitern beschäftigt worden.“ „Darf ich darauf antworten, obwohl das ein Zwischenruf war?“ entgegnete Wolf. „Es ist ein sehr schönes Wort, dieses Wort . Konjunktur-verlagerung'. Idi schlage Ihnen vor, einmal diesen 10 Prozent Entlassenen, die nun auf der Straße liegen, plausibel zu machen, daß es eine Konjunkturverlagerung gegeben hat und sie nun Verständnis dafür haben müßten, daß die Konjunkturverlagerung irgendwo anders andere Auswirkungen gehabt hat.

Tatsache ist: die Leute wurden auf die Straße geworfen. Tatsache ist, daß es in sozialistischen Ländern derartige Erscheinungen nicht gibt. Das ist das Entscheidende, wie ich vorhin ausgeführt habe." Wiehemeier korrigierte den Kommunisten: „Sie sind noch lange nicht auf die Straße geworfen, sie sind bis jetzt noch nicht einmal entlassen worden; und Sie haben bei uns im Westen auch noch gar keinen Fall erlebt, in dem jemand auf die Straße geworfen worden ist. Während Wolf widersprach, fuhr Wiehemeier fort: „Nehmen Sie das Beispiel der Bergbaukrise, also die Kohlenkrise. Diese Leute sind reibungslos in anderen Berufen untergekommen, ohne daß ein Zwang ausgeübt wurde.

Auch hier handelte es sich um eine Verlagerung der Beschäftigung und des Arbeitsplatzes, und die Betroffenen sind alle freiwillig gegangen. Es ist niemand gezwungen worden."

Über die Pressefreiheit

Alfred Wolf triumphierte: „Also, das ist sehr gut, daß Sie das erwähnen: niemand wäre gezwungen worden. Damit geben Sie mir nämlich die Möglichkeit, auf den politischen Aspekt der hier vorhin angeführten Freiheit einzugehen. Wenn ich von kapitalistischer Welt spreche, dann meine ich, wie Sie sicher verstehen werden, nicht nur Westdeutschland, sondern ich meine auch die anderen kapitalistischen Länder, die NATO-Staaten und alles, was damit zusammenhängt. Und da Sie das gerade so schön erwähnt haben — und das hat auch sehr viel mit dem Begriff Freiheit zu tun —, möchte ich Sie auf ein typisches Ereignis hinweisen. Vor kurzer Zeit sind die Mitarbeiter einer englischen Zeitung, die 113 Jahr exstierte und die sich „News Chronicle" nannte, entlassen worden. Sie wurden auf die Straße geworfen, weil ihre Zeitung von der . Daily Mail', oder besser gesagt, von dem zuständigen Lord, der die Hauptanteile der . Daily Mail'besitzt, aufgekauft wurde. Dabei war der Schokoladenfabrikant und Monopol-kapitalist Cadbury, der im Nebenberuf noch den , News Chronicle'besaß, ach so liberal, daß er diese Zeitung verschacherte und daß seine Leute ihr Gehalt noch bis zum Wochenende bekommen haben bzw., wenn sie sehr alte Mitarbeiter sind, für jedes Jahr einen Wochenlohn bekommen. So nachzulesen in der . Daily Mail'. Das wirft ein bezeichnendes Licht sowohl auf die Wirtschaft als auch auf die Politik des Kapitalismus, weil es neben anderen Beispielen, die ich angeführt habe, beweist, daß die Leute natürlich auf die Straße geworfen werden, sobald es im Interesse des Kapitalisten liegt. Was für ein Interesse sollte er haben, die Leute nicht auf die Straße zu werfen? Vielleicht aus Rücksicht für den Arbeiter? Wo hat je ein Kapitalist Rücksicht auf Arbeiter genommen? Und dann zitieren Sie auf der anderen Seite immer wieder Ihre berühmte Freiheit — und Sie alle sprechen ja im Zusammenhang von Freiheit natürlich auch immer wieder von der Pressefreiheit. Die Wirklichkeit sieht jedoch so aus, daß die Pressefreiheit über Nacht aufhören kann, selbst wenn sie eine — fast möchte ich sagen — über hundertjährige Tradition aufzuweisen hat. Das gehört zu dem Begriff, den Sie als Freiheit bezeichnen. Ich möchte aber noch etwas hinzufügen. Sie sagen, in der DDR würde im Sinne eines Klassenstandpunktes gehandelt, Jawohl! Das habe ich nie bestritten. Ich glaube sogar, es ging aus meinen einführenden Bemerkungen über den Klassenstandpunkt hervor. Die DDR hat kein Interesse, den Klassenstandpunkt des Kapitalisten zu vertreten, sondern sie hat ein Interesse, den Klassenstandpunkt des Arbeiters und Bauern zu vertreten und der schaffenden Intelligenz. Wenn Sie etwas Schlechtes daran finden, ist das eine andere Sache. Ich bin nur der Meinung, das ist sozialer und gerechter als hier im Westen das heuchlerische Mäntelchen von Demokratie, das in Wirklichkeit eine im praktischen Leben vorhandene Diktatur verbergen soll. Sie umschreiben das so: Hier könnte jeder für sein eigenes Leben arbeiten und die Entwicklung oder die Förderung des Individuum wäre möglich und nützlich. Das sind doch sehr allgemeine Formulierungen. Was bedeutet das: er kann für sein eigenes Leben arbeiten? Was heißt das praktisch? Sind die Voraussetzungen vorhanden oder nicht? Und damit kommen wir dann also auf die politischen Fragen zu sprechen, die dazu gehören. Wenn ich den , News Chronicle'erwähnt habe, der immerhin die Auflage von über einer Million hatte — das muß man mal bedenken —, dann wissen Sie wahrscheinlich, daß es nicht nur der . News Chronicle'war, der von der . Daily Mail'aufgefressen wurde und von ihrem Besitzer, sondern daß auch eine Zeitung wie der . Star', eine bekannte, weitverbreitete Abendzeitung von der , Evening News'aufgefressen wurde. . Voila', würde der Franzose sagen. Da haben Sie Ihre westliche Freiheit!“

Gibt es im Osten Kritik?

Das war das Stichwort für Gerhard Bahnemann: „Wir sind inzwischen bei der westlichen Freiheit angekommen. Ich bin Ihnen aber trotzdem dankbar für das Beispiel mit den Vulkanisieranstalten und zwar, um Ihnen nachzuweisen, inwieweit bei Ihnen die Freiheit eingeschränkt wird. Bei uns wird der Käufer zu einem Händler gehen und sich von der Qualität eines Reifens überzeugen. Er wird ihn also nicht kaufen, wenn er — entschuldigen Sie — Mist ist. Und bei Ihnen ist der Unterschied der, daß Sie diesen Mist auch noch loben müssen, weil Sie gar nichts anderes haben. Das ist nun mal die allgemeine Praxis bei Ihnen, und wenn Sie ihr nicht folgen, dann bedeutet das, daß Sie sich der Boykott-hetze oder sonst dergleichen schuldig machen.“

Jetzt wurde der Kommunist energisch: „Was Sie behauptet haben, das trifft in keiner Weise zu. Und zwar ebenso wenig für die Verhältnisse in Westdeutschland wie dafür, was Sie über die DDR gesagt haben. Es stimmt nicht, daß bei uns jemand wegen Boykotthetze belangt wird, wenn er die Qualität in einem Betrieb bemängelt. Ganz im Gegenteil! Die Kritik und Selbstkritik wird in der DDR gefördert, um eine bessere Produktion zu erreichen. Es ist also einfach nicht wahr, wie Sie behaupten, daß jemand Nachteile hat, der die Aufmerksamkeit darauf lenkt, wenn in diesem oder jenem Betrieb vielleicht auch schlechte Waren erzeugt werden. Das ist Ihnen wahrscheinlich unverständlich, aber er wird lobend hervorgehoben. Lesen Sie die Presse der DDR.“

Durch eine Zwischenfrage Bahnemanns entspann sich nach dieser Behauptung ein schneller Disput. Bahnemann sagte: „Gestatten Sie eine Zwischenfrage, die in den Zusammenhang paßt: Darf er diese Waren auch mit den westdeutschen vergleichen?“

Wolf rief: „Natürlich darf er das — natürlich darf er das!“ „Ein Novum!“ bemerkte Bahnemann und mit einem Satz meldete sich Christiane Starke schüchtern zu Wort: „Wie kann er das?“

Der Kommunist beharrte auf seiner Behauptung: „Natürlich darf er das!" „Wie kann er das?", hakte Klaus Illenberger ein. Aber Wolf blieb dabei: „Er darf das, er kann das!“

Illenberger wollte den kommunistischen Gesprächspartner zu einer klareren Stellungnahme bewegen und begann: „Wenn er die Möglichkeit hat, beweisen zu können ..

Aber sofort unterbrach ihn Alfred Wolf: „Ja Sie sagen, wenn er die Möglichkeit hat. Was, glauben Sie denn, ist ein Beweis? Wenn Sie hier in der Bildzeitung von einer Kuh mit zwei Köpfen lesen und so was als Kriterium dafür nehmen, was richtig und was falsch ist, dann könnte man sich darüber unterhalten, ob es nun sehr schlimm ist, daß dem Bürger der DDR der köstliche Genuß einer Lektüre der , Bild‘-Zeitung verwehrt wird oder nicht.“ „Es geht ja nicht nur um die , Bild‘-Zeitung“, fiel ihm Wiehemeier ins Wort, „sondern es geht uni jegliche .. Hier stockte er und Wolf setzte den Satz fort: „Es geht um jegliche Fachliteratur beispielsweise . ..“ Wiehemeier hatte sich wieder gefangen und rief: „Es geht um die Presse überhaupt.“ Aber Wolf beachtete den Einwand gar nicht und sprach einfach weiter: „Und Fachliteratur kann jeder lesen. Das wird auch von niemandem bestritten. Und wenn ihm dabei etwas auffällt und sich ihm die Frage stellt, warum geht dies oder das hier im Westen und warum geht es nicht bei uns in der DDR, dann tritt er in der Betriebsversammlung auf (oder wo sonst auch immer) und bringt seine Anliegen vor. Glauben Sie mir, wenn seine Einwände stichhaltig sind, dann werden sie weitgehend be-rücksichtigt.

Und wenn ein Direktor eines volks-eigenen Betriebes das nicht tut, dann wird er zur Verantwortung gezogen, eben weil es ein volkseigener Betrieb ist. Das ist das eine. — Zweitens sagen Sie, der Händler könne sich hier im Westen alles ansehen und wenn ihm der Reifen nicht paßt, dann braucht er ihn ja nicht zu kaufen. Das ist eine etwas sehr naive Vorstellung. Eine sehr naive Vorstellung, muß ich schon sagen. — Ich habe vom Monopolkapital gesprochen und von dem Drude, den ein sogenanntes Vulkanisierungsgewerbe auf die Fabriken ausübt, die minderwertige Reifen erzeugen sollen, weil nach seiner Meinung haltbare, dauerhafte Reifen unerwünscht sind. Lind Sie sprechen von einem, der sich vielleicht mal überzeugt. Es geht hier doch um den Wirtschaftsdruck, der von den Monopolen ausgeübt wird, von dem im wahren Sinne des Wortes reaktionären Wirtschaftsdrude."

Bahnemann warf ein: „Ich sprach vom Käufer!“ Wolf reagierte blitzschnell: „Das habe ich wohl verstanden. Ich meine aber das Monopol, das eben das verhindert. Und deshalb sagte ich naiv. Was erwarten Sie denn vom Käufer, also von dem durchschnittlichen Laien? Glauben Sie, daß er feststellen kann, ob ein Reifen, der einen gewissen Belag aufzuweisen hat, ob der nun haltbarer oder nicht haltbarer ist? So etwas ist doch lächerlich. Entscheidend sind hier die Fachleute. Der einzelne kann vielleicht mal etwas zum Prüfen geben. Aber darauf kommt es nicht an, denn es sind hier Bestrebungen im Gange, den Fortschritt aufzuhalten. Und darauf, daß, und wenn es Menschenleben kostet — und schadhafte Reifen kosten Menschenleben —, ebenso zu verfahren ist, weil sich das betreffende Monopol betroffen fühlte. Das sind doch die entscheidenden Gesichtspunkte.“

Der 17. Juni

Der Kommunist sah sich um und ich sagte: „Herr Wolf, wenn wir also Ihren Ausführungen glauben dürfen, dann haben Sie drüben bei sich in der sogenannten DDR schon ein durchaus ideales Regierungssystem mit einer idealen Lebensform verwirklicht. Wie aber können Sie sich dann erklären, daß gerade die Avantgarde Ihres sozialistischen Systems, wie Sie es bezeichnen, nämlich die Arbeiter, am 17. Juni 195 3 auf die Straße gegangen sind und gegen dieses System protestiert haben? Da stimmen doch Theorie und Wirklichkeit nicht überein.“

Wolf blickte mich finster an, während meine jungen Gesprächspartner leise lächelten. Er überlegte aber keine Sekunde, sondern sagte: „Ja darauf antworte ich Ihnen gern! Aber es ist immer das gleiche: wenn man keine Argumente hat, dann hat man wenigstens einen 17. Juni. Und ich frage mich nur, welche Argumente hatten Sie eigentlich, bis Sie den 17. Juni hatten? Da gab es doch dieses Argument nicht.“ „Aber Flüchtlinge gab es“, rief Klaus Illenberger, „die sogenannten Republikflüchtigen!“

Wolf seufzte: „Es ist gut, daß Sie das anschneiden. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen."

Doch bevor er dazu kam, begann Dieter Wiehemeier: „Und vor allen Dingen gab es für uns auch das Argument, daß z. B. Streiks bei Ihnen nie auftreten konnten, weil sie von vornherein unterdrückt wurden, während es sie bei uns doch immer gegeben hat. Und Sie werden ja wohl auch zugeben, daß auch vor dem 17. Juni bestimmte Bevölkerungskreise in der sogenannten DDR unzufrieden waren. Das steht einwandfrei fest. Wie Sie selbst festgestellt haben, wird bei Ihnen die Selbstkritik oder die Kritik an den Zuständen gefördert. Nur, inwieweit etwas geändert wird, das ist eine andere Frage. Wenn man etwas kritisiert, z. B. daß Schuhe nicht ganz passen oder daß Mäntel von schlechter Qualität sind, dann kann man so etwas ändern. Aber wenn etwa kritisiert wird, daß schon wieder eine Normenerhöhung bevorsteht oder daß die Löhne nicht in dem Maße steigen, wie die Arbeitsleistung, dann ist das doch eine grundsätzliche Kritik am System und die wird immer sehr schnell unterdrückt. Und die Konsequenz, die die meisten dieser Kritiker daraus ziehen, ist ja die Flüchtlingsbewegung."

Jetzt ließ sich der Kommunist nicht länger zurückhalten: „Da Sie sich wieder darauf beziehen, muß ich noch einmal davon sprechen. Zunächst einmal bin ich vorhin auf die Frage eingegangen, was der Händler hier machen kann und was nicht und daß man drüben eine derartige Kritik angeblich nicht äußern kann. Das habe ich widerlegt. Nun beanstanden Sie, daß ich es widerlegt habe. Nachdem die Frage gestellt wurde, wollte ich zunächst einmal Ihre Behauptung widerlegen, und Sie haben es ja offenbar jetzt auch anerkannt“.

Ich sagte milde: „Wir haben nichts anerkannt, Herr Wolf."

Sofort ereiferte sich Alfred Wolf wieder: „Es ist zumindest eben gesagt worden: gut, Kritik an schlechten Waren könne man zwar äußern, aber die andere Kritik in Punkto Normenerhöhung könne man nicht an den Mann bringen. Das ist hier gesagt worden. Es tut mir schrecklich leid. Sie haben ja hier eine Bandaufnahme, also können Sie es selber nachprüfen. Es liegt mir fern, Ihnen etwas in den Mund zu legen.

Zunächst einmal will ich also feststellen, damit Sie sich darüber klar sind, wie Punkt für Punkt der Dinge, die Sie hier anführen, einfach nicht stimmen und daß es gut wäre, wenn Sie es auch einsehen würden und nicht nur Sie, sondern vor allen Dingen vielleicht mancher Hörer. Vorausgesetzt, daß man es nicht aus der Sendung schneidet, weil es vielleicht etwas unangenehm ist.

Sie sprechen also jetzt von Normenerhöhung, und der Leiter dieser Diskussion hat Ihnen den Rettungsanker des 17. Juni zugeworfen, der doch immer wieder zieht, weil man an diesem Anker doch allzu schön — nun ja, einiges sagen kann. Ich will hier in diesem Haus nicht schärfer werden.“

Die jungen Leute sahen mich betroffen an. Aber bevor ich etwas sagen konnte, meinte Gerhard Bahnemann: „Darf ich diese Frage einmal modifizieren. Ich glaube, bei Ihnen herrscht eine latent revolutionäre Situation.“ Wolf konterte sofort: „Ihre Modifizierung ist eine Behauptung, eine Behauptung ist kein Beweis und schon gar kein Argument.“ Als Antwort warf Klaus Illenberger nur ein Wort in die Debatte: „Ungarn!" Und Wolf fuhr fort: „Wenn Sie den 17. Juni erwähnen, dann muß als nächstes Stichwort natürlich Ungarn folgen. Aber Sie sprachen eben von einer latenten Revolutionsbewegung. Damit hat unsere Situation überhaupt nichts zu tun. Erlauben Sie mir eine Feststellung: Was hier in der westlichen Presse über Normenerhöhung zu lesen ist, formt in Ihnen ein politisches Geschichtsbild. Aber wenn hier die Presse so frei ist, wie Sie behaupten, warum wird dann jene Presse verboten, die vielleicht eine andere Meinung bringt? Nämlich die richtige Meinung. Warum können Sie hier keine Erzeugnisse der Presse aus der DDR kaufen?

Klaus Illenberger entgegnete ihm: „Das beruht nur auf Gegenseitigkeit“, und Wolf rief „Aha!“.

Illenberger ließ ihn aber nicht weiter zu Worte kommen, sondern sagte: „Sie können z. B. über die Normenerhöhung genug hören in Ihren Rundfunksendungen, und die kann man ja nicht verbieten. Denn man kann den Rundfunkapparat ja so bedienen, wie man selber will. Und da können Sie auch Ausschnitte aus Betriebsversammlungen hören oder wenn irgend ein Gewerkschaftsfunktionär spricht. Und wenn er dabei auf unser Thema kommt, spricht er unumwunden davon, daß sogar die Gewerkschaft Normenerhöhungen fordert oder sie zumindest befürwortet. Dagegen können Sie doch in Westdeutschland kein einziges Beispiel anführen, in dem hier ein Gewerkschaftsfunktionär oder eine Gewerkschaft irgendwelche Normenerhöhungen oder Lohnherabsetzungen fordert. Kein westdeutscher Gewerkschaftler hat je eine arbeitstechnische Schlechterstellung des Arbeiters beziehungsweise eine höhere Arbeitsleistung verlangt. Die Gewerkschaftsfunktionäre in Mittel-deutschland dagegen ermuntern doch dazu, z. B. das System der freiwilligen Selbstverpflichtung immer weiter auszubauen. Und es ist ja auch letzten End s nichts anderes als eine Erhöhung der Arbeitsnorm, wenn an Sonn-und Feiertagen gearbeitet werden soll und wenn Überstunden gemacht werden sollen. So etwas ist bei uns in der Bundesrepublik noch niemals offiziell gefordert worden, von keinem Gewerkschaftsvertreter. Und Überstunden werden sogar mißbilligt, weil sie nicht in das Konzept unserer Gewerkschaften passen. Denn ihnen geht es ja um eine Verkürzung der Arbeitszeit. Ich will ohne weiteres zugeben, daß auch bei uns aus einem gewissen materiellen Streben heraus Überstunden gemacht werden. Aber das ist jedem Einzelnen freigestellt, und niemand wird in irgendeiner Weise dazu verpflichtet, im Gegenteil!" „Überall gibt es Diktatur"

Nach diesem unerwartet ausführlichen Diskussionsbeitrag eines unserer jungen westdeutschen Gesprächspartner bat Alfred Wolf sehr höflich ums Wort, und ich erteilte es ihm. Er sagte: „Zunächst einmal bin ich Ihnen für eins sehr dankbar: Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sagten — als ich feststellte, daß man die DDR-Presse hier nicht lesen könne — man könne ja auch bei uns in der DDR nicht die westliche oder die ganze westliche Presse lesen. Das gebe ich zu. Womit eines bewiesen ist: überall gibt es eine Diktatur. Nur daß in der DDR offen gesagt wird, daß dort eine Diktatur der Arbeiterklasse in Verbindung mit der Bauernschaft und der schaffenden Intelligenz existiert. Eine Diktatur gegen die Ewig-Gestrigen, die ihre alten Güter und Besitztümer wiederhaben wollen und dabei massive Kriegspropaganda treiben, während auf der anderen Seite hier ausgerechnet die Arbeiter-stimmen verboten werden. Also soll man doch aufhören in Westdeutschland von Demokratie zu sprechen, sondern man soll sagen: überall gibt es einen Klassenstaat, dort wie hier, und überall wird eben nur gestattet oder nicht gestattet, was im Interesse der Klasse liegt.“

Erstaunt unterbrach Illenberger den Kommunisten: „Ich dachte, die DDR ist ein klassenloser Staat?“ Wolf parierte sofort: „Da die Arbeiter und Bauern die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, glaube ich mit Recht behaupten zu können, daß die Regierung der DDR die Mehrheit des Volkes vertritt, während eine kapitalistische Klasse eben die Minderheit darstellt. Wenn Sie nun meinen, es gibt einen klassenlosen Staat, den möchte ich darauf aufmerksam machen, das ist nicht der Fall. Es wird vielmehr eine klassenlose Gesellschaft angestrebt, die allerdings erst erreicht werden kann, wenn die unmittelbare Gefahr der feindlichen Umgebung beseitigt ist. Das ist eine Frage des zukünftigen Stadiums des Kommunismus.

Die Grundformel des Sozialismus lautet: Jeder gibt nach seinen Fähigkeiten und jeder erhält nach seinen Leistungen. Also: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Leistungen. Aber erst im zukünftigen Stadium des Kommunismus wird es heißen: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Diese Dinge sind klar umrissen. Und noch etwas: Sie sagten wörtlich, bei uns in der DDR würde die Schlechterstellung des Arbeiters propagiert. Zeigen Sie mir ein Organ der DDR, in dem so etwas steht! Ganz im Gegenteil!“ Hier unterbrach ihn Bahnemann: „Aber es steht da, daß die Normen erhöht werden. Man kann es auch anders herum ausdrücken.“

Wolf brauste aus: „Es tut mir leid! — Sie haben eben hier behauptet, daß die Schlechterstellung des Arbeiters propagiert würde.“

Nun fiel ihm Wiehemeier ins Wort: „Na, ist das keine Schlechterstellung, wenn der Arbeiter mehr arbeiten soll?“ Wolf entgegnete ihm: „Das ist Ihre Interpretation, aber sagen Sie nicht, es würde dort propagiert.“ Und er fuhr fort: „Die Frage der Normenerhöhung hängt zusammen mit dem sozialen System des Arbeiter-und Bauernstaates in der DDR. In einem Betrieb, in dem der Arbeiter nicht nur fühlt, sondern auch weiß, daß er Besitzer dieses Betriebes ist und damit sein eigenes Geschick leitet, hat er naturgemäß ein Interesse, mehr zu erzeugen. Das heißt also, innerhalb eines sozialistischen Systems ist eine ganz andere Einstellung zur Arbeit vorhanden als in einem kapitalistischen System, in dem der Arbeiter genau weiß, daß ein Kapitalist den Profit, den Mehrwert, abschöpft.“

Sind die Flüchtlinge Verbrecher? „Was nun den 17. Juni und den Putsch von Ungarn betrifft, das ist eine ganz alte Leier. Jedes Kind weiß doch, diese Aufstände wurden von Agenten des Westens gefördert. Ich will nicht bestreiten, daß es irregeleitete Arbeiter gegeben hat — die gibt es immer einmal — die Dummen sterben bekanntlich sehr selten aus . ..“

Illenberger rief dazwischen: „Drei Millionen bisher!" Der Kommunist ging sofort auf den Zuruf ein: „Was die Millionenzahl betrifft, sind Sie angewiesen auf Informationen der lügnerischen Presse, die Sie hier vorgesetzt bekommen.“

Illenberger unterbrach ihn wieder: „Sie können sich durch Augenschein in Berlin-Marienfelde überzeugen, wieviele Leute kommen — täglich." Aber Wolf ließ sich nicht beirren: „Einer dieser anerkannten politischen Flüchtlinge ist vor wenigen Tagen wegen Gewaltverbrechen zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden. Ein Mann namens Pomerenke. Und einer Ihrer Kommentatoren — ich meine jetzt nicht Sie persönlich“ — wandte er sich an mich, „hat den Fall sogar aufgegriffen und die Frage gestellt, ob er nicht ein Abbild einiger sogenannter politischer, ach, so armer Flüchtlinge sei.“

Da drängte es mich, etwas zu sagen: „Herr Wolf, Sie haben eben mit dem Beispiel Pomerenke angedeutet, daß die Flüchtlinge aus Mitteldeutschland zum wesentlichen Teil doch wohl kriminelle Elemente seien. Das ist doch wohl eine Unterstellung. Denn nach Karl Marx bestimmt das Sein das Bewußtsein. Aber was ist das für ein System, in dem das Sein das Bewußtsein vieler Bürger so bestimmt, daß sie kriminell werden und dann ihrer Heimat den Rücken kehren!“

Der Kommunist war einen Augenblick betroffen, dann sagte er: „Was Sie beide jetzt hier angeführt haben, ist sehr interessant. Auf der einen Seite sprechen Sie davon, wieviele heute hier in den Westen geflüchtet sind, auf der anderen Seite beklagen Sie sich darüber, daß man bestimmte Maßnahmen ergreift, damit diese Leute dort bleiben. Ich weiß nicht, ob Sie den Widerspruch merken. Lind dann gibt es selbstverständlich auch Fachleute, denen man vorgaukelt, wie wunderbar es doch hier sei und die man seit Jahr und Tag bewußt aufhetzt. Auch dieser Sender hier ist nicht aus dieser Verantwortung ausgeschlossen. — Wenn sich die DDR nun davor schützt, daß ihre Fachleute republik-flüchtig werden, wenn sie sich davor schützt, daß ihr die Wirtschaft in der DDR geschwächt wird, wie einige Herren hier das haben wollen, dann können Sie das doch keinem Menschen verübeln!“

Die jungen Leute murrten unwillig und Klaus Illenberger wurde sogar heftig: „Nun frage ich Sie: was sagen Sie denn zu den Menschen, die nun tatsächlich deshalb kommen, weil sie die Unfreiheit bei Ihnen nicht mehr aushalten können, weil sie sehen, wie die Kinder gegen die Eltern, die Arbeitskollegen gegen die Arbeitskollegen aufgehetzt werden?“

Jetzt war Wolf empört: „Das stimmt doch alles nicht! Das bilden Sie sich bloß ein, weil leider der RIAS oder der Norddeutsche Rundfunk diesen Leuten so was einredet.“ „Nein, den Flüchtlingen bestimmt nicht!", wandte Illenberger ein und Bahnemann rief: „Glauben Sie, daß drei Millionen Flüchtlinge lügen?"

Eiskalt entgegnete der Kommunist: „Über diese Frage können wir uns gern unterhalten. Dann müssen wir aber erst einmal die Zahlen klären und Sie müssen mir erst einmal diese drei Millionen zeigen." Illenberger gab sich nicht geschlagen: „Es sind monatlich zwischen 10 und 20 000. Im August und September sind allein 8 34 Lehrer geflohen.“

Freiheit für Nazis in der Demokratie?

An dieser Stelle wollte ich die Diskussion beenden, aber Alfred Wolf bestand darauf, noch einen Punkt zu erörtern: „Ich halte ihn nämlich für wichtig und würde bitten, daß man mir vielleicht auch eine Antwort darauf gibt, denn dieser Punkt gehört zum Thema Freiheit. Sehen Sie: es ist eine Tatsache, daß jemand in einem KZ-Prozeß vor einem westdeutschen Gericht als Zeuge erschien, nämlich neulich im KZ-Prozeß Sachsenhausen in Düsseldorf. Dieser Zeuge heißt Kurt Erdmann und war ehemaliger Chef der Politischen Abteilung im KZ Sachsenhausen. Dieser Mann ist heute Meister der Kriminalpolizei in Stade. Bitte, das gehört zum freiheitlichen System! Lassen Sie mich eine weitere Tatsache anführen: Hier steht eine Meldung in einer westdeutschen Zeitung. Es ist die . Frankfurter Rundschau', die Sie doch nicht verdächtigen wollen, unkorrekt zu sein! — In dieser Zeitung heißt es: Der frühere General der Waffen-SS, Kurt Meyer, meinte, es gehe nicht länger an, von Demokratie zu sprechen und zugleich die Witwen der Waffen-SS-Soldaten aus Rücksicht auf eine unbelehrbare Gruppe von der Versorgung auszuschließen. Dann hat er weiter gesagt — das wird hier wörtlich zitiert: , Wer diese Zweiteilung des Rechts weiter will, unterstützt die Politik Chruschtschows'.

Bitte schön, das ist öffentlich geäußert worden bei dieser Hilfsgemeinschaft der Waffen-SS. Nun frage ich Sie: Das gehört doch auch zur Demokratie? Antworten Sie mir, wie ist so etwas vereinbar mit dem, was Sie als Freiheit bezeichnen!“

Dieter Wiehemeier antwortete dem Kommunisten: „Das ist eine Meinung. Aus dieser Meldung geht doch klar hervor, daß es nur die Meinung eines Mannes ist. Ob sie allgemein gebilligt wird, steht nämlich in der Zeitung nicht drin. Sie haben hier ja auch nur zwei oder drei Sätze zitiert, die dieser Herr Meyer bei einer Veranstaltung von sich gegeben hat. Daraus können Sie aber doch längst nicht schließen, das sei die Meinung der westdeutschen Bevölkerung.“

Wolf ließ ihn gar nicht ausreden: „Zunächst einmal habe ich gar nicht behauptet, daß es die Meinung der westdeutschen Bevölkerung ist. Ich habe nur festgestellt, was der Mann gesagt hat, und daß er die Möglichkeit hat, hier so etwas zu sagen." „Das ist Demokratie“, ließ sich Klaus Illenberger vernehmen. „Ja, das ist Demokratie“, fuhr Wolf fort, „aber wenn zur gleichen Zeit ein Journalist in West-Berlin eingesperrt wird, weil er angeblich etwas gegen die Westmächte gesagt hat, wo bleibt denn da das Prinzip der Demokratie? Außerdem habe ich — abgesehen von der Äußerung dieses Panzer-Meyer — noch weitere Tatsachen aufgeführt. Damit wollte ich Ihnen nur zeigen, wieweit hier Demokratie gehen kann. Wenn Sie also das alles als demokratisch bezeichnen, dann kann ich nur sagen: schönen Dank für diese Demokratie, in der so etwas möglich ist!“

Advocatus diaboli

An dieser Stelle unterbrach ich die beklemmende Diskussion. Ich dankte den Teilnehmern für ihre Ausführungen und bat die jungen Leute um Nachsicht dafür, daß ich ihren Gesprächspartner als Kommunisten ausgegeben hatte, genauso wie ich Sie um Nachsicht dafür bitte, daß ich Sie habe glauben lassen, der Vertreter der kommunistischen Thesen, Alfred Wolf, sei ein Abgesandter der SED. In Wirklichkeit heißt er gar nicht Alfred Wolf, sondern Alfred Wolfmann, und hat schon in jungen Jahren — vor einem Jahrzehnt — mit dem Kommunismus gebrochen. Dieser kleine Kunstgriff war notwendig, sonst hätten weder die jungen Leute ernsthaft diskutiert, noch wären Sie der Diskussion aufmerksam gefolgt.

Alfred Wolfmann war Mitglied der SED und kurze Zeit sogar Schulungsleiter, bevor er erkannte, daß die Praxis des Kommunismus im Gegensatz zu seinen Theorien steht und daß auch diese Theorien kein universales Gesetz sind, nach dem alle Dinge — von der Natur-bis zu den Gesellschaftswissenschaften — regiert werden. Für Alfred Wolfmann ist eine solche Diskussion als Kommunist übrigens sehr anstrengend, weil er damit einen Akt der Bewußtseinsspaltung vollführen muß.

Wir hätten uns natürlich für diesen Versuch wirklich um einen überzeugten Kommunisten bemühen können, aber dann hätten wir sicherlich auf den entscheidenden Punkt verzichten müssen, nämlich auf die Analyse dieser Diskussion durch den Hauptbeteiligten selbst. Alfred Wolfmann, der einmal durch die kommunistische Schule gegangen ist, sich heute aber zum demokratischen Prinzip bekennt, weil hier nicht nur die überzeugenderen Argumente liegen, sondern weil es zugleich ein Leben in Freiheit und Menschenwürde garantiert, Alfred Wolfmann will also im letzten Teil seine Auseinandersetzung mit den jungen Gesprächspartnern und deren Beweisführung untersuchen. Idi glaube, wir alle können daraus praktische Hinweise entnehmen für das Verhalten bei Diskussionen mit dialektisch geschulten Kommunisten; denn wahrscheinlich wird Ihnen nicht entgangen sein, daß zwei unserer fünf jungen Leute von der Methodik und Argumentation ihres, wie sie annehmen mußten, kommunistischen Gegen-übers so überwältigt waren, daß es ihnen die Sprache verschlagen hatte. Als unsere jungen Gesprächspartner sich nach dieser Überraschung gefaßt und wir eine kleine Pause gemacht hatten, führte Alfred Wolfmann aus:

Was bezwecken Kommunisten in der Diskussion?

„Ich will einige grundsätzliche Bemerkungen machen zur Diskussion mit Kommunisten überhaupt bzw. zum Verhalten in der Diskussion mit Kommunisten. Dabei möchte ich aber sofort betonen, daß ich ebenso wenig wie ein anderer ein allgemeingültiges Rezept geben kann, wie man bei derartigen Auseinandersetzungen auf jede Frage eine entsprechende Antwort findet.

Aber lassen Sie mich versuchen, Ihnen zu erklären, worauf es im wesentlichen ankommt. Auch diese Diskussion hat wieder gezeigt, daß der Kommunist meiner Meinung nach die Ober-hand behalten konnte, weil sich seine Diskussionsgegner zunächst als Diskussionspartner fühlten, weil sie nicht verstanden haben, aus welchen Motiven heraus geschulte Kommunisten überhaupt diskutieren, wenn sie bereit sind, eine Diskussion mit Nicht-Kommunisten zu führen. Das muß man zunächst wissen. Die Motive geschulter Kommunisten, die in eine solche Diskussion hineingehen, sind klar umrissen und werden jedem auf jeder Parteischule immer wieder eingehämmert.

Der erste Grundsatz lautet: der Feind ist zu schlagen. Wir sehen also: der Diskussionspartner wird nicht als Partner, sondern als Feind betrachtet. Er ist in der Weise zu schlagen, daß auf alle Fälle der passive Diskussionsteilnehmer gewonnen werden soll, wenn der Gegner selbst nicht zu überzeugen ist. — Passive Diskus-sionsteilnehmer sind alle Zuhörer. Sei es im Betrieb, bei einer Versammlung oder in diesem Fall die Hörer zu Hause am Lautsprecher. Sie sollen bei der Diskussion zu dem Schluß kommen: Da ist verdammt viel dran! Wenn dem Kommunisten das gelingt, dann hat er erreicht, was man ihm auf der Parteischule mitgegeben hat: nämlich den Sieg davonzutragen. Denn eine Diskussion wird als Gefecht bezeichnet, weil es die friedliebenden Kommunisten lieben, unter sich militärische Ausdrücke zu gebrauchen. Eine Diskussion ist also ein Gefecht, bei dem der Kommunist in der Auseinandersetzung mit dem Gegner, mit dem Feind, an einem Frontabschnitt steht.

Soviel zu den Motiven. Nun ein Wort zur Diskussionsmethodik. Vielleicht haben Sie es gemerkt — auch da gibt es klar umrissene Anweisungen, die dem Kommunisten in Fleisch und Blut übergehen. Erstens: vor allen Dingen und unter allen Umständen muß er die Initiativen behalten. Er muß offensiv sein und darf sich nie in die Verteidigung drängen lassen! Und wenn er doch einmal in die Verteidigung gedrängt wird, muß er aus der Defensive heraus wieder offensiv werden, um den anderen so an die Wand zu drücken, auf daß er damit den passiven Diskussionsteilnehmer beeindruckt, also den Zuhörer. Das ist eine Stärke, die wir als Kampfmittel der Kommunisten einfach erkennen müssen.

Die Kommunisten auch mit den eigenen Waffen schlagen!

Zweitens: — und dieser Grundsatz wird oft verkannt, und ich glaube, er ist auch von Ihnen zum großen Teil heute nicht richtig erkannt worden — die Gefährlichkeit der Argumentationsmethodik der Kommunisten besteht nicht darin, daß sie irgend welche Lügen auftischen, sondern daß sie mit Halbwahrheiten operieren. Sie nehmen also zum Beispiel einen bestimmten Fall, erzählen ihn aber nicht vollständig, sondern werfen ihn so in die Debatte, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Sie wollen damit etwas als typisch hinstellen, was gar nicht so typisch sein muß. Der entscheidende Gesichtspunkt, den man dieser Taktik entgegensetzen kann, ist, daß solches Operieren mit Halbwahrheiten im Gegensatz zu einem der Grundzüge der dialektischen Methode steht, nach dem alle Dinge im einheitlichen Ganzen zu sehen sind.

Da alle geschulten Kommunisten — vom kleinen Parteifunktionär bis zu Mikojan und Chruschtschow — bei Diskussionen mit Halbwahrheiten operieren, sollten Sie stets versuchen, es einem Kommunisten nachzuweisen, wenn er undialektisch diskutiert. Das ist im Grunde ganz einfach, denn die Dialektik der Kommunisten drückt sich oft genug nur darin aus, daß sie offenkundige Ausreden als dialektisch bezeichnen, weil sie keine anderen Erklärungen haben, und das hat mit echter dialektischer Methode sehr wenig zu tun. Merken Sie sich also: die Initiative behalten, offensiv diskutieren und die Argumentation mit Halbwahrheiten als un-dialektisch entlarven; denn das ist für Kommunisten wesentlich unangenehmer, als ihnen irgend welche schroffen Wahrheiten ins Gesicht zu sagen.

Das dritte ist die Benutzung von Statistiken. Das ist ja im allgemeinen schon ein umstrittenes Kapitel. Was aber die kommunistischen Statistiken betrifft, so ist da besondere Vorsicht geboten. Wenn Sie daran denken, wie Chruschtschow seinem Vorgänger Malenkow auf dem 21. Parteitag der KPdSU im Februar 1959 vorgeworfen hat, er hätte beim 19. Parteitag im Jahre 1952, also noch zu Lebzeiten Stalins, Statistiken mit Millionenwerten gefälscht (und sie sind seinerzeit vom Parteitag akzeptiert worden), dann können Sie sich wohl vorstellen, wie leicht es sonst ist. Statistiken für den Hausgebrauch zu frisieren. Wie gesagt, das ist kein ausgesprochen kommunistisches Privileg; es wird von ihnen nur besonders häufig angewandt. — Kommunisten haben eine Schwäche, diese Schwäche haben Sie vielleicht gesehen, jedoch nicht ausgenutzt. Sie sind gezwungen schwarz-weiß zu malen. Sie haben es sogar behauptet, aber nicht genügend nachgewiesen Die Kommunisten müssen schwarz-weiß malen, sie müssen alles extrem sehen und sind infolgedessen in der Diskussion durchaus verwundbar; vorausgesetzt, daß man es richtig anpackt. Stellen Sie sich einmal vor, ein Kommunist könnte sich erlauben, zu sagen: Ja also, wissen Sie, ich bin mit dem Genossen Ulbricht auch nicht einverstanden'. Sie haben mich ja glücklicherweise mit Herrn Ulbricht verschont. Aber wenn Sie ihn angegriffen hätten, dann hätte ich ihn natürlich verteidigen müssen. Für einen Kommunisten wäre es jedoch viel wirkungsvoller, wenn er sagen könnte: . Also gut, ja, über Ulbricht kann man geteilter Meinung sein, aber die Sache ist richtig.'Dann hätte er eine sehr viel stärkere Position, als sie ein treuer Kommunist haben kann, der Ulbricht bedingungslos verteidigen muß.

Als ich von Kritik und Selbstkritik sprach, würden Sie es mir wirklich schwer gemacht haben, wenn einer von Ihnen angeführt hätte: nennen Sie mir einmal einen einzigen Fall, in dem Ihr Genosse Ulbricht Selbstkritik geübt hat!

Das alles muß man meiner Meinung nach wissen, und dann kann man sich fragen: hat es einen Sinn und hat es Zweck, mit geschulten Kommunisten zu diskutieren? Ich bin der Meinung, wenn wir die Motive der Gegenseite kennen und wenn wir die Diskussion von vornherein als eine solche scharfe Auseinandersetzung betrachten, hat es nicht nur Sinn, sondern es ist sogar notwendig. Schließlich ist der Kommunismus eine Realität, und bei seinen Methoden kann sich niemand keimfrei halten in einem Gebiet, in dem es Bazillen gibt.

Bei solchen Diskussionen müssen auch wir an die passiven Diskussionsteilnehmer denken, die der Kommunist für sich einzunehmen beabsichtigt. Und ob man will oder nicht, ob es sehr schön ist oder nicht, man muß ebenfalls versuchen, den Kommunisten so an die Wand zu drücken, daß der Zuhörer merkt: der andere hat die stärkeren Argumente. Das ist schwer. Aber man kann es. Man kann es mit Hilfe der-Logik. Man kann es oft genug mit Hilfe der echten dialektischen Methode gegenüber der Schein-dialektik der Kommunisten.

Es ist aber auch notwendig, daß man etwas vom Marxismus weiß. Sie haben es vorhin gemerkt, als der Diskussionsleiter die Theorie von Marx in die Debatte warf, nach der das Sein das Bewußtsein bestimmt. Sie müssen sich also mit dem Marxismus beschäftigen, um den Diskussionsgegner mit seinen eigenen Waffen schlagen zu können.

Es gibt keinen Arbeiter-und Bauernstaat!

Und nun will ich zu einigen Beispielen kommen. Zu Beginndiskutierten wir über den volkseigenen Betrieb. Da bin ich Ihnen ausgewichen und habe Ihnen keine Antwort auf die entscheidende Frage der Verfügungs-und Bestimmungsgewalt in diesen sogenannten volks-eigenen Betrieben gegeben. Wo ist sie denn vorhanden? Wodurch drückt sich das Mitbestimmungsrecht des Arbeiters in einem solchen Betrieb aus? Ganz zu schweigen vom Selbstbestimmungsrecht, das er in einem wirklichen volkseigenen Betrieb haben müßte. Das Wort volkseigen ist verlogen, wenn es nicht stimmt. Sie hätten mich festnageln müssen, als ich in diesem Zusammenhang ausgerechnet von Reparationen sprach, die — wie ich als Kommunist behauptete — die SBZ allein tragen müsse. Das stimmt so doch nicht. Wenn ich aber schon die Reparationen in die Debatte werfe, dann wäre es für Sie doch nur ein kleiner Sprung bis zum Reparieren gewesen, also bis zur Wiedergutmachung. Und Sie hätten die Frage stellen können, warum es in der so fortschrittlichen antifaschistischen SBZ keine Entschädigungsgesetzgebung gibt. Dabei hat diese Sowjetzone — als es in Österreich um das deutsche Vermögen ging — behauptet, sie hätte einen Anspruch darauf, weil auch sie Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches sei. Von der staatsrechtlichen und moralischen Verpflichtung einer Wiedergutmachung wollen die Kommunisten in der Praxis jedoch nichts wissen, obwohl sie doch dazu gehört, gerade wenn sie von Reparationen spre-chen und vom Wiederaufbau aus eigener Kraft. Statt dessen kam ich mit der beliebten Behauptung der Versklavung durch den Marshall-Plan. Warum hat mich da niemand gefragt: . Sagen Sie konkret, aus welchen Paragraphen oder Bedingungen des Marshall-Plans leiten Sie diese Behauptung ab?'Dann hätte ich wahrscheinlich von der allgemein bekannten Tatsache gesprochen, mehr hätte ich nicht zu sagen gehabt, denn es gibt keine solchen Bedingungen. Die Versklavung durch den Marshall-Plan ist ein Schlagwort. Die Kommunisten arbeiten unentwegt mit Schlagworten, wobei sie die Gegenseite mit negativen, sich selbst aber mit positiven belegen. Dazu gehören die . Arbeiter-und Bauernmacht', die . Arbeiter-und Bauernregierung'und die . Diktatur der Arbeiterschaft in Verbindung mit den Bauern und der schaffenden Intelligenz'. Auch diese Formulierungen dürfen Sie nicht unwidersprochen hinnehmen.

Als Gegner der Diktatur — ich nehme an, jeder Demokrat ist Gegner einer Diktatur — müssen Sie in einer solchen Diskussion darauf hinweisen, daß die Arbeiter unter kommunistischer Herrschaft nichts zu sagen, geschweige denn, etwas zu diktieren haben. Sie müssen herausstellen, daß eine kleine Gruppe von führenden Leuten im Politbüro der SED — die selbstverständlich von der sowjetischen Führung abhängig sind — bestimmt, was zu geschehen und was nicht zu geschehen hat. Das gilt auch in der Frage der Normen.

Man muß die Kommunisten entlarven!

Ich habe dann etwas vom zukünftigen Kommunismus gesagt. Schön und gut! Aber auch da muß man midi festlegen, wenn ich nicht in der Lage bin, es zu beweisen. Und ich bin nicht in der Lage! In diesem Augenblick ist nämlich das Zukunftsbild des Kommunismus ein ungedeckter Scheck, den man mir nicht abnehmen darf. Sie können Ihre Ablehnung sogar philosophisch untermauern, indem Sie sagen: , Als Kommunist behaupten Sie ja von den philosophischen Idealisten, daß sie auf ein Jenseits verweisen. Aber Sie tun doch von Ihrem Standpunkt genau dasselbe, wenn Sie auf ein zukünftiges, schöneres Bild des Kommunistischen Schlaraffenlandes hinweisen, ohne daß dieser sozialistische Wechsel bisher eingelöst wurde.'Ich bin der Meinung, man muß das sehen — unabhängig davon, ob der eine nun Anhänger des Sozialismus ist oder nicht, des Sozialismus, wie er bei uns verstanden wird. In diesem Zusammenhang sprach ich von der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik. Auch hier hätten Sie viele Möglichkeiten gehabt. So ist beispielsweise die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in ihren wesentlichen Bestandteilen heute noch gültig. Es wissen leider zu wenige Menschen in der Bundesrepublik, daß einige fundamentale Artikel dieser Verfassung uns heute die Möglichkeit geben würden, in kürzester Zeit zur Wiedervereinigung zu gelangen. Vorausgesetzt, daß wir auf Grund dieser Verfassung die Wiedervereinigung erreichen wollten. Das ist vielleicht erstaunlich. Aber in dieser 1949 niedergelegten Verfassung sind gewisse Prinzipien verankert, die auch in der Weimarer Republik gegolten haben. Ich möchte Ihnen nur ganz kurz einige der wesentlichen Punkte hier aufzeigen, weil ich der Meinung bin, daß man sie wunderbar ausnutzen kann.

Artikel 1 der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik beginnt: . Deutschland ist eine unteilbare Demokratische Republik'. Wie ist dieser Grundsatz vereinbar mit der Zwei-Staaten-These von Chruschtschow und Ulbricht? Im selben Artikel heißt es doch auch , Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit'.

In Artikel 8 heißt es: . Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich an einem beliebigen Ort nieder-zulassen, sind gewährleistet.'Wie wunderbar hätten Sie mit diesem Artikel argumentieren können, als ich von der Republikflucht sprach. Oder nehmen Sie Artikel 9: , Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck friedlich und unbewaffnet zu vesammeln.'Und im selben Artikel': . Eine Pressezensur findet nicht statt.'Wenn sie nicht stattfindet, warum darf man keine anderen Presseerzeugnisse lesen?

Artikel 14 betont: . Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet“. Dieser Artikel ist immer noch gültig! Aber Max Fechner wurde nach dem 17. Juni wegen Boykotthetze für einige Jahre ins Zuchthaus gesperrt, weil er sich öffentlich zu diesem Streikrecht bekannt hatte. Das kann kein Kommunist leugnen, denn Max Fechner als ehemaliger Justizminister ist zu bekannt. — Und dann beachten Sie bitte Artikel 20: . Bauern, Handel-und Gewerbetreibende sind in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu unterstützen, die genossenschaftliche Selbsthilfe ist auszubauen'. Wie ist das mit der Praxis vereinbar? Und schließlich Artikel 127: . Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen'. Wir alle kennen die Artikel von Hilde Benjamin und von anderen Parteiführern, in denen die Parteilichkeit der Richter geradezu gefordert wird. Warum werden diese Möglichkeiten von uns nicht genutzt, die uns die Kommunisten selbst geben?

Und der wichtigste Artikel dieser sogenannten Verfassung lautet:

Artikel 51: . Die Volkskammer besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes. Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes auf die Dauer von vier Jahren gewählt.

Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.'

Bitte schön, da haben wir einen Grundsatz, da hätten wir eine Basis, auf der wir sehr schnell zu einer Wiedervereinigung Deutschlands kommen könnten. Aber die Praxis aller Wahlen in der Sowjetzone sieht ja anders aus und deshalb ist der Artikel 51 der sowjetzonalen Verfassung für die SED-Führung selber keine Grundlage für eine Wiedervereinigung. Wir aber können doch das alles in der Auseinandersetzung mit den Kommunisten wunderbar offensiv ausnutzen.

Sie werden vielleicht jetzt die Frage stellen: . Warum setzt die Ostberliner Regierung diese Verfassung nicht außer Kraft?'Sie kann es nicht weil sie noch den Schein wahren muß! Aber gerade dadurch gibt sie uns Argumente.

Die Mißstände in der Demokratie nicht vertuschen!

Wir sollten uns von der Wortgewandtheit der Kommunisten nicht immer wieder irritieren lassen. Und schließlich dürfen wir uns nicht dadurch auf das Glatteis führen lassen, daß wir — weil es der Kommunist angreift — alles verteidigen, was weder verteidigungswürdig noch verteidigungswert ist.

Wenn Sie versuchen, sich um die negativen Erscheinungen in einer Demokratie herumzudrücken oder sie gar verteidigen, hat der Kommunist gewonnen. Diesen Fehler begehen manche Politiker im Westen heute noch. Und manche glauben sogar, sie dürften Tatsachen überhaupt nicht anerkennen, wenn sie von der anderen Seite vorgebracht werden. Wer also meint, er dürfe nicht zugeben, es sei Tag, weil Ulbricht es feststellt, und wer deshalb — aus Furcht, er könnte als Gefolgsmann Ulbrichts gelten — behauptet, es sei nicht Tag, sondern Abend, setzt sich leichtfertig ins Unrecht; denn damit sagt Ulbricht die Wahrheit und der andere lügt.

Es kommt vielmehr darauf an, den kommunistischen Angriffen dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen, daß man von Mißständen abrückt, die die andere Seite angreift. Zugleich aber müssen wir betonen, daß es den kommunistischen Kritikern doch gar nicht um die Beseitigung dieser Mißstände geht, weil sie diese ja nur zum Anlaß nehmen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, deren Ziel nach wie vor ist, die Demokratie überhaupt zu beseitigen. Ist nicht Chruschtschow sehr gut mit großen westdeutschen Firmen ins Geschätft gekommen? Wo bleibt denn da das kommunistische Prinzip, den Monopolkapitalismus zu bekämpfen? Und hat nicht Chruschschow dem amerikani-schen Gewerkschaftsführer Walter Reuther erklärt, er wäre schlimmer als Hearst und andere Milliardäre? Warum hat Chruschtschow das erklärt? Weil er mit den Monopolkapitalisten ins Geschäft gekommen ist, nicht aber mit den Vertretern der Arbeiterbewegung, die sich klar abgrenzen, und die auch wissen, warum. Und weil wir gerade bei Amerika sind: Da habe ich den Wirtschaftsexperten der SPD, Deist, zitiert, weil mir seine Feststellung ins Konzept paßte, nach der die Produktionssteigerung in der UdSSR größer ist als in den USA. Natürlich kann ein im Aufbau begriffenes Land seine Produktion — in Prozenten gemessen — eher steigern als ein seit Jahrzehnten industrialisiertes Land. Außerdem ist doch die Steigerung der Produktion kein Beweis für die Gerechtigkeit eines Systems. Und die sieben Milliarden Reingewinn, von denen ich gesprochen habe? Diese Zahl ist von Deist und anderen, vielleicht auch von den Gewerkschaften, nur angeführt worden, damit man sich bei uns mit dem Problem der überhöhten Gewinne auseinandersetzt.

Damit kommen wir zum Kapital mit dem Aktienkapital. Ich will hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Es mag sein, daß vieles von dem stimmt, was einer der Diskussionsredner gesagt hat. Aber der Kommunist erweckt doch durchaus den Anschein, als ob er recht habe, wenn er behauptet, die Hausfrau könne nicht zur Hauptversammlung fahren. Doch darauf kommt es gar nicht an, wenn sie die Möglichkeit erhält, ihren Einfluß geltend zu machen. Ich habe nur versucht, Ihnen etwas einzureden. Denn bei den Kommunisten heiligt der Zweck die Mittel.

Offensiv diskutieren!

So habe ich auch vom Lager des Krieges und Lager des Friedens gesprochen. Natürlich mit einer bestimmten Absicht. Warum hat mich niemand festgenagelt? Warum ist keiner von Ihnen auf die Idee gekommen, mich zu fragen: . Wieso ist der Westen ein Lager des Krieges? Wo wird der Osten bedroht?'Natürlich hätte ich auf diese Frage irgendeine Antwort gefunden. Und ich warne Sie anzunehmen, daß ein Kommunist je mund-tot gemacht wird! Aber selbstverständlich sind die Argumente eines Kommunisten um so schwächer, je stärker Ihre sind. Darauf kommt es ja schließlich an! Denn wer droht mit Krieg? Wer bedroht Berlin? Wer will sich einseitig von Verpflichtungen lösen? Und nicht zuletzt: wer ist undialektisch und will Berlin aus der Deutschlandfrage ausklammern? Diese Fragen wurden nicht gestellt! Das gilt auch für die Kriegspropaganda. Die Kommunisten verweisen immer stolz darauf, bei ihnen sei Kriegspropaganda verboten. Ist es aber keine Kriegspropaganda, wenn Chruschtschow in Amerika erklärt, die englische Insel könnte in 24 Stunden von der Erdoberfläche verschwinden?

Was ist das anderes als Kriegshetze und Kriegs-drohung, wenn Chruschtschow sagt, er könne jeden Punkt der Welt mit Raketen erreichen und betont, man solle sich darüber klar sein.

Und jetzt das Beispiel des 17. Juni. Natürlich, da war ich als Kommunist besonders schwach. Denn ein sogenannter angeblicher Marxist, der Massenbewegungen mit der Tätigkeit von Agenten und Rundfunksendungen begründen will, widerspricht doch eindeutig dem marxistischen Grundsatz, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt! Hier muß man ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen und mit dem kommunistischen Manifest antworten, auch wenn man ihm persönlich nicht zustimmt. Aber das kommuistische Manifest gibt uns das Argument: die Arbeiter hatten ja nichts zu verlieren als ihre Ketten, sie hatten eine Welt zu gewinnen und sind deshalb auf die Straße gegangen. Marx und Engels haben diese Theorie natürlich für den Arbeiter im kapitalistischen Staat aufgestellt, aber gerade deshalb ist es wirkungsvoll damit zu argumentieren.

Und dann habe ich die Frage des Kapitalismus erwähnt. Da haben Sie Ausflüchte gemacht. Natürlich gibt es diesen Profit. Es ist ungeschickt, solche Tatsachen zu leugnen. Die Frage muß doch sein, wie kann man übermäßigen Gewinn herabschrauben, wie kann man sozialer und gerechter sein und den Arbeitnehmer beteiligen. Sie hätten auf das Kräftespiel der Demokratie verweisen sollen.

Ich sprach dann von Monopolen! Zwar ist die Macht der Monopole nicht ganz so groß, wie die Kommunisten behaupten. Aber es gibt auch hier Dinge, die nicht tragbar sind. Die Forderung des westdeutschen Vulkanisierungshandwerks ist eine Tatsache. Aber darüber hat sich ja gerade die von mir als Kommunisten so beschimpfte westdeutsche Presse genug erregt. Warum haben Sie nicht darauf hingewiesen und gesagt, das sind Dinge, die wir überwinden müssen! Aber in dem Augenblick, in dem Sie einseitig den Kapitalismus verteidigen, sind Sie in den Augen und in den Ohren der Zuhörer Vertreter des Großmonopol-Kapitals, und ich bin der Vertreter der Arbeiterschaft. Und das wollte ich erreichen. Was kann mir als Kommunisten Besseres widerfahren. Sie haben zwar kurz den Begriff . Staatskapitalismus'in die Debatte geworfen. Aber Sie haben diesen Begriff nicht definiert. Sie hätten fragen müssen: . Wer besitzt denn bei den Kommunisten die Produktionsmittel?'Und wenn Sie immer weiter drängen, dann ist es wirklich am Ende der Staat oder ein Teil des Staates, und dann haben wir hier den klassischen Monopolkapitalismus. Wenn Sie logisch vorgehen, können Sie das in aller Kürze mit den kommunistischen Thesen nachweisen. Statt dessen haben Sie sich in der Diskussion verwirren lassen durch meine Behauptung, der Arbeitnehmer sei in Wirklichkeit Arbeitgeber. Das wird tatsächlich so gelehrt in den Parteischulen. Aber es ist doch nur eine Spiegelfechterei mit Worten. Darauf kommt es gar nicht an, sondern ich will Sie nur verwirren. Das alles gehört zu den Mitteln.

Sie haben sich ja sogar von mir verwirren lassen, als Sie von den Flüchtlingen sprachen, obwohl Sie da natürlich relativ stark waren. Aber auch nicht stark genug!

Die Aufgabe der Demokratie: sauber zu sein!

Und am Schluß habe ich Ihnen eine Geschichte erzählt, die wahre Geschichte vom ehemaligen Chef der Politischen Abteilung im KZ Sachsenhausen, Kurt Erdmann, der heute Meister der Kriminalpolizei in Stade ist und jetzt in einem KZ-Prozeß aufgetreten ist als Zeuge.

Warum, um Gotteswillen, überlassen Sie es mir als Kommunisten, das anzuprangern! Warum fühlen Sie sich als Demokraten nicht verpflichtet, hier Zeter und Mordio zu schreien und zu sagen, es ist eine Aufgabe der Demokratie, gegen so etwas anzugehen. Das heißt nicht, daß ein solcher Mann jetzt ins Gefängnis gesperrt werden muß, wenn er sich keiner Verbrechen schuldig gemacht hat. Aber wer Chef der Politischen Abteilung im KZ Sachsenhausen war, ist nicht tragbar als Hüter unserer demokratischen Ordnung. Hier aufzustehen ist unsere Sadie — nicht die der Kommunisten; der gleichen Kommunisten, die noch immer einen Ernst Großmann in ihren Reihen haben, ein ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der SED und heute noch verdienten Aktivisten, der nachweislich KZ-Aufseher in demselben Konzentrationslager Sachsenhausen war. Das ist die Moral da drüben, eine teilbare Moral. Göring hat einmal gesagt: , Wer Jude ist, bestimme ich', und genau so bestimmen die kommunistischen Machthaber, wer Hitler-General ist, wer Kriegsverbrecher und wer nicht. Deshalb haben die Kommunisten am allerwenigsten Grund, Fälle wie den des Meisters der Kriminalpolizei Kurt Erdmann aus Stade anzuführen. Denn wenn sie es wirklich ernst meinten, dann würden sie zum Beispiel auch abrücken von Heinrich Homann, der heute Mitglied des neugeschaffenen Staatsrates ist, obwohl er Mitglied der Nazi-Partei war. Man soll keineswegs Unrecht mit Unrecht kompensieren, aber man muß moralisch und politisch glaubwürdig sein. Und wenn man einen Zustand anprangert, muß man ihn auch bei sich selbst zu beseitigen suchen.

Ich habe schließlich noch den Panzer-Meyer erwähnt, den General der Waffen-SS Kurt Meyer, und seine Äußerung, daß jeder Chruschtschow hilft, der den SS-Leuten nicht die gleichen Rechte gewähren will wie allen anderen.

Leider ist es heute manchmal der Stil einiger Politiker, einen anderen mit Hilfe des . Ruf-mordes'zu erledigen. In diesem Falle beruft sich Herr Meyer auf die Demokratie und sagt, wenn Du meinen Standpunkt nicht akzeptierst, dann bist Du ein Helfershelfer Chruschtschows. Gegen solche Methoden müssen wir uns selbst zur Wehr setzen.

Es liegt mir fern, jetzt jeden Angehörigen der Waffen-SS als überführten Verbrecher zu bezeichnen. Aber es kann und darf niemand bestreiten, daß die SS eine von Himmler aufge-baute verbrecherische Organisation war. Allen Kommunisten, die damit argumentieren, sollten wir den nationalistischen Stil der ehemaligen Offiziere und Nazis in der sogenannten National-Demokratischen Partei in der Zone entgegenhalten und die Traditionspflege der Volksarmee, die Uniformen der Hitlerischen Wehrmacht trägt.

Wir müssen davon sprechen, nicht um Unrecht und Unrecht zu kompensieren, sondern die Behauptung der Kommunisten zu entkräften, es ginge ihnen um die Sache.

Wir haben die stärkeren Argumente!

Wenn Sie bei solchen Auseinandersetzungen in die Tiefe gehen, können Sie die Kommunisten stets widerlegen. Dann gibt es einen Punkt, an dem der Kommunismus nicht weiter kann. Und woran erkennen Sie, daß es soweit ist? Ganz einfach: Wenn dem Kommunisten die Argumente fehlen, dann schweigt er nicht, sondern nimmt zu Phrasen Zuflucht. Er wird also von kapitalistischen Kriegstreibern sprechen und von der Friedensfront der soundsoviel hundert Millionen Werktätigen, von der ungeheuren Kraft der Arbeiterbewegung oder vom historischen Gebot der Stunde.

Das hat selbst der gewandte Mikojan vor einigen Jahren getan, als er in Pressekonferenzen von neugierigen amerikanischen Journalisten geplagt wurde. Das tut jeder geschulte Kommunist. Oder er würde es so machen, wie Ulbricht vor längerer Zeit bei einem Spiegel‘-Gespräch. Er wird von Provokationen sprechen: , Was soll die provokatorische Frage?', wenn schon einmal eine richtige Frage gestellt wird. Oder aber er wechselt einfach das Thema.

Ich möchte schließen mit der Bemerkung, daß es darauf ankommt, sich nicht auf's Glatteis füll-• ren zu lassen. Man muß nicht unbedingt alles verteidigen, was ein Kommunist als halbe Wahrheit vorbringt, sondern man muß in erster Linie einen Standort haben. Einen demokratischen Standort. Aber dabei müssen Sie sich bewußt sein, daß auch die Demokratie nicht vollkommen ist; sie ist jedoch das relativ beste System. Wenn Sie davon ausgehen, können Sie nicht nur glaubhaft für die Demokratie eintreten, sondern auch auf den anderen wirken.“

Am Ende dieser erregenden Auseinandersetzung kann man dem Diskussionsleiter Wolfgang Jäger vom Norddeutschen Rundfunk nur noch einmal bestätigen, daß sein Experiment — sozusagen in „zweiter Instanz“ — gelungen ist. Wie sehr gelungen, zeigt ein Gespräch am Runden Tisch des sowjetzonalen Deutschlandsenders vom 22. 12. 1961, an dem u. a. Professor Hermann Ley teilnahm, der Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees der SBZ ist. Es erübrigt sich, auf Einzelheiten dieser Sendung einzugehen, nur die Schußworte sind hier interessant. Da heißt es:

Prof. Reinhold: „Es wurde also, ausgehend vom Titel , Waffen für die geistige Auseinandersetzung'— und doch wurde ungefähr so gesagt: also, auf die Argumente im einzelnen kommt es nicht so sehr an, sondern die Hauptsache ist, daß man die Kommunisten in die Enge treibt.“

Dr. Heyden: „Mit Argumenten können wir sie nämlich gar nicht besiegen.“ Prof. Reinhold: „Mit Argumenten können wir sie nicht besiegen, so sagte er.“ Prof. Ley: „Das ist im Grunde eine Bankrott-Erklärung ihrer Weltanschauung.. Nun, ob hier tatsächlich eine Bankrott-Erklärung unserer „Weltanschauung“ vorliegt, mag der Leser selbst entscheiden. In einer der nächsten Ausgaben der Beilage wollen wir eine „Musterdiskussion mit Kommunisten“ zum Abdruck bringen, die Alfred Wolf-mann entworfen hat. Gleichzeitig wollen wir Leserbriefe zu diesem Thema veröffentlichen. Zuschriften bitten wir d i r e k t zu richten an: Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn, Königstraße 85

Fussnoten

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