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Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Ein Erfahrungsbericht | APuZ 20/1962 | bpb.de

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APuZ 20/1962 Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Ein Erfahrungsbericht

Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Ein Erfahrungsbericht

Das Jahr 1961 hat die Bevölkerung der Bundesrepublik einschließlich Westberlins vor eine Kette erregender politischer Ereignisse gestellt. Ulbricht zog die Mauer quer durch Berlin, trieb den Terror in Mitteldeutschland auf die Spitze und verstärkte im Zusammenhang damit seine Bemühungen, die Bundesrepublik vor der Weltöffentlichkeit zu verleumden. In Jerusalem fand der Eichmann-Prozeß statt, der in der Öffentlichkeit des In-und Auslandes starken Widerhall fand. Im Herbst des Jahres wurde die Bevölkerung zu den Wahlurnen gerufen. So brachte das Jahr 1961 manche Ereignisse, an denen sich politische Leidenschaften entzünden konnten. Es hat zwar die Welt und uns selbst von neuem deutlich erkennen lassen, daß sich die Bevölkerung der Bundesrepublik in ihrer überwältigenden Mehrheit zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt; es hat aber auch die Gegner dieser Grundordnung veranlaßt, ihre Über-zeugungen, Argumente und Wirkungsmöglichkeiten neu zu überdenken.

SKIZZE 4 FASCHISTISCHE AUSLANDSORGANISATIONEN

Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund gewinnt die Frage allgemeine Bedeutung, wer die Träger rechtsradikaler Bestrebungen im Bundesgebiet sind und wie sie sich betätigen. Eine Antwort darauf sollen die nachstehenden knapp zusammengefaßten Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden geben.

Übersicht Anlage c)

Als rechtsradikal werden dabei nationalistische Gruppen und Personen angesehen, die ein glaubwürdiges Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik vermissen lassen, und bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ihre Zielsetzung oder Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist bzw. solche Bestrebungen fördert. Diese Definition trifft die notwendige Unterscheidung zwischen Trägern nationalen Gedankengutes und solchen mit aggressiv nationalistischer Gesinnung.

I. Träger rechtsradikaler Tendenzen im Bundesgebiet

Die organisatorische Zersplitterung des Rechtsradikalismus

a) Der organisierte Rechtsradikalismus 1. Gesamtstärke Die Stärke des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik wird im Inland wie im Ausland häufig falsch eingeschätzt. Man mißt ihm eine Bedeutung bei. die ihm nicht zukommt.

Organisation B. Studenten-und Jugendverbände

Diese Fehleinschätzung beruht vor allem auf irrigen oder mißverständlichen Zahlenangaben, die den Eindruck erwecken, der Rechtsradikalismus stütze sich auf eine weitverzweigte Gesamtorganisation mit wachsender Anhängerschaft. Solche Falschmeldungen wurden nicht selten als Hetze der Kommunisten erkannt Häufiger handelt es sich um Erklärungen rechtsradikaler Politiker in eigener Sache, die aus Wichtigtuerei oder zu Propagandazwecken unbedeutende Gruppen als starke, erfolgversprechende Bewegungen darstellen. So bezifferte der Leiter einer Jugendorganisation deren Stärke im Jahre 1959 offiziell auf 4000, kurz darauf sogar auf 4800 Mitglieder, während feststeht, daß seine gesamte Gefolgschaft 29 Mann nie überschritten hat. Es sind auch Mißverständnisse im Spiel: So hatte zu Pfingsten 1960 der inzwischen verstorbene rechtsradikale Politiker Priester zur Gründung einer Notgemeinschaft reichstreuer Verbände in Wiesbaden aufgerufen. Priester hatte hierfür an die 800 Einladungen verschickt; daraus schloß man — auch oder gerade im Ausland! —, es gäbe etwa 800 rechtsextremistische Vereinigungen in der Bundesrepublik. In Wirklichkeit hatte Priester die meisten Einladungen nicht an Organisationen, sondern an Einzelpersönlichkeiten gerichtet; vor allem aber hatte er wahllos eingeladen, wen er nur immer für interessiert an dem Gegenstand der Tagung hielt, wobei jedoch nur die wenigsten Empfänger rechtsextremistisch eingestellt waren. Gelegentlich übersehen auch ernstzunehmende Publizisten, daß der scheinbar wachsenden Zahl neuer rechtsextremer Zusammenschlüsse gemeinhin ebenso viele Selbstauslösungen oder Verbote gegenüber-Die stehen, daß manche Vereinigungen unter neuem Namen auftauchen, wobei sie erfahrungsgemäß nur Teile der enttäuschten Anhängerschaft schrumpfender oder bereits erloschener Gruppen aufzufangen vermögen, daß mehrere kleine Gruppen sich unter einer neugebildeten Dachorganisation vereinigen und daß auch aus der Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen rechtsextremer Organisationen keine Schlüsse auf den Mitgliederbestand gezogen werden können.

C. Sonstige Organisationen

Zu welchen Ergebnissen dieser sterile Kreislauf der Gründungen, Spaltungen, Fusionen und Auflösungen in letzter Zeit geführt hat, zeigen die folgenden Stärkezahlen, die auf Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz beruhen: In diesen Zahlen sind nach den Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden auch Doppel-oder Mehrfachmitgliedschaften enthalten, jedoch dürften sich daraus nur geringe Abweichungen in der Gesamtmitgliedszahl ergeben.

Organisation

Die rund 90 rechtsextremen Organisationen und Verlage im Bundesgebiet haben mithin innerhalb von 2 Jahren 33°/ihrer Anhänger verloren. Von diesem allgemeinen Stärkeschwund ist die Gruppe der Jugendorganisationen am wenigsten betroffen worden. Die Zahl von 2100 Mitgliedern rechtsradikaler Jugendorganisationen steht jedoch ersichtlich in keinem Verhältnis zu der Zahl von ca. 4, 5 Millionen in demokratischen Jugend-verbänden vereinigten Jugendlichen.

Gleichlaufend mit dem Abfall starker Gefolgschaftsteile im Gesamtbereich des organisierten Rechtsradikalismus beginnen allerdings Anzeichen einer antidemokratischen Gesinnung in einzelnen Restgruppen sichtbar zu werden. 2. Soziale und Alters-Schichtung Über das Alter der Mitglieder rechtsradikaler Organisationen liegen keine umfassenden statistischen Untersuchungen vor. In der Berichts-zeit wurde in dieser Hinsicht lediglich die Kartei der Ludendorff-Bewegung ausgewertet. Dabei ergab sich, daß 73°la der fast 4000 Angehörigen des „Bundes für Gotterkenntnis“ älter als 50 Jahre waren. Aus diesem Teilergebnis kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine Überalterung aller rechtsradikalen Organisationen geschlossen werden.

In die Führungsschicht dieser Gruppen sind inzwischen in beachtlichem Umfange Personen jüngeren Alters aufgerückt.

Die soziale Gliederung des organisierten Rechtsradikalismus weist deutliche Schwerpunkte auf. Es überwiegen kleinbürgerliche Bevölkerungskreise, die aus einem gewissen Standesbewußtsein heraus korporativem Ständedenken verhaftet sind. Die schwach vertretenen Angehörigen sogenannter Intelligenzberufe stehen zum überwiegenden Teil im vorgerückten Lebensalter. Der deutsche Arbeiter hat sich von rechtsradikalen Gruppen bisher im wesentlichen ferngehalten. 3. Mentalität Rechtsradikale Aktivisten lassen sich erfahrungsgemäß weniger von nüchternen Verstandes-und Gesinnungsgründen leiten als von Emotionen. Die eigentlichen Wurzeln ihrer Gemeinschaft scheinen daher wesentlich psychologischer Art zu sein. Unter den Parteigängern des Rechtsradikalismus sind häufig zu beobachten: Vorurteile als Folgen vermeintlicher persönlicher Entrechtung, Symbolsucht und Elitedünkel als Fluchtreaktionen auf Grund allgemeiner Unzufriedenheit, intellektfeindliche Einstellung, die unbequemen Auseinandersetzungen mit den Problemen der Gegenwart durch Flucht in die Sphäre der Dogmen, Affekte und Gefühle ausweicht.

Appelle an das Elitedenken sind ein bevorzugtes Mittel nationalistischer Funktionäre, um den Zusammenhalt in den Organisationen zu stärken und neue Anhänger anzulocken. Die dabei gewählten Formulierungen sind zumeist unkri. tisch und gefühlsüberladen, aber gerade dadurch auf die Mentalität der Gefolgschaft abgestellt So wurde den Mitgliedern u. a. eingehämmert, sie seien „das letzte Aufgebot, dem allein das Schicksal des Reiches anvertraut“ wäre und hinter dem nichts mehr käme. 4. Finanzierung Die finanziellen Mittel des organisierten Rechts, radikalismus fließen im wesentlichen aus vier Quellen. Das sind die Mitgliederbeiträge als Grundlage der Finanzhaushalte;

verhältnismäßig häufig und mit bemerkenswertem Erfolg durchgeführte Spendenaktionen der Mitglieder aus besonderem Anlaß. Subventionen finanzstarker in-und ausländischer Freunde, die jedoch bisher relativ selten erkannt sind.

Überschüsse aus dem Vertrieb organisationseigener Publikationsmittel.

Das finanzielle Gesamtaufkommen zwingt die rechtsradikalen Parteien und Organisationen zu sparsamem Einsatz der vorhandenen Mittel. Es läßt aufwendige Propagandaaktionen auf breiter Basis im allgemeinen nicht zu. 5. Publizistik Die rechtsradikalen Kreise im Bundesgebiet haben seit langem erkannt, welche Bedeutung dem Einsatz publizistischer Mittel im Rahmen ihrer politischen Arbeit zufällt. Sie bemühen sich daher intensiv um die Steigerung der Auflagen-höhe ihrer Zeitungen und Zeitschriften. Zu einet Tageszeitung haben sie es bisher jedoch noch nicht gebracht. Die derzeitige Gesamtauflage ihrer periodisch erscheinenden Organe ergibt sich aus folgender Übersicht:

Diese Zahl bezieht sich auf die gedruckten Exemplare je Auflage, die annähernd auch de: tatsächlichen Verbreitung entspricht.

Im Jahre 1959 betrug die Gesamtauflage 129 500 Stück. Die Zunahme um rund 30 000 Exemplare bis zum 31. 12. 1961 wird fast ausschließlich durch die Auflagenerhöhung bei zwei Zeitschriften bewirkt.

Als Herausgeber von Büchern und Broschüren mit rechtsradikalen Tendenzen bzw. als Vertriebsorganisation für derartige Literatur traten 12 Verlage und 6 Vertriebsorganisationen in Erscheinung. Aus ihrer Produktion sind annähernd hundert Titel ihrem Inhalt nach geeignet, nationalistische bzw, antisemitische Vorstellungen zu wecken. Fünf dieser Veröffentlichungen erschienen im Jahre 1961, die übrigen bereits in den Vorjahren.

Diese Erzeugnisse der rechtsradikalen Publizistik stehen seit Jahren im Brennpunkt einer wachen Kritik der staatstragenden Kräfte im Bundesgebiet. Im Verhältnis zu den Millionen-Auflagen des demokratischen Presse-und Informationswesens (etwa 29 Millionen, ohne Illustrierte) ist ihre Verbreitung gering. Auf der Suche nach zusätzlichen Wirkungsmöglichkeiten haben einige rechtsradikale Gruppen empfohlen, Beiträge nationalistischen Inhalts in der lokalen „Heimatpresse“ unterzubringen oder rechtsradikale Stellungnahmen den Massenorganisationen mit der Bitte um Abdruck als Leserbrief zuzuleiten. 6. Sammlungsbestrebungen Im rechtsradikalen Lager ist das Streben nach einer umfassenden Sammlungsbewegung seit Jahren immer wieder beobachtet worden. Diese Bestrebungen hatten ihre Ursache in der Erkenntnis der Schwäche der einzelnen Gruppen, die deshalb weitgehend auf den vorparlamentarischen Raum beschränkt blieben. Bisher sind jedoch alle Sammlungsbestrebungen an der Führungsrivalität der Gruppen untereinander und dem Fehlen eines geeigneten „Führers“ gescheitert. Im Jahre 1961 gab es nach dem völligen Fehlschlag der „Deutschen Sammlungs-Bewegung“ nur einen neuen Einigungsversuch, der die Bildung einer Zweckgemeinschaft aller nationalen und neutralistischen Gruppen zum Ziel hat. b) Der nicht organisierte Rechtsradikalismus Nichtorganisierte Vertreter rechtsradikaler Anschauungen treten im wesentlichen als freie Journalisten, Buchautoren und Pamphletisten oder durch Schmier-und Störaktionen in Erscheinung. Die Zahl der publizistisch tätigen Einzelgänger mit nationalistischer Gesinnung wird im Bundesgebiet auf etwa 225 Personen geschätzt. Unter ihnen befinden sich auch antisemitische Sektierer mit zum Teil psychopathischen Zügen. Annähernd gleich groß ist die Zahl derjenigen Personen, die im Jahresdurchschnitt als Urheber politisch motivierter Schmier-und Störaktionen erfaßt werden (vgl. Teil III dieses Berichtes).

Mit diesen Zahlen ist der Gesamtbereich des nicht organisierten Rechtsradikalismus naturgemäß nicht abgesteckt. Sie kennzeichnen ledigidh die ungefähre Stärke einer Gruppe von Einzeltätern, die aus ihrer nationalistischen oder antisemitischen Gesinnung keinen Hehl machen. Es wird nicht verkannt, daß es darüber hinaus latent rechtsradikale Strömungen im Bundesgebiet gibt, die sich in Zahlen nicht näher ausdrücken lassen.

II. Argumentation, Parolen

Die Mitgliederverluste rechtsradikaler Organisationen

Die politische Sprache der rechtsradikalen Gruppen ist verschieden. Ebenso vielfältig sind die Ansatzpunkte ihrer Polemik. Sie umfassen nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Trotz dieser äußeren Unterschiede treten aber im Sinngehalt der Parolen auffallende Überein-stimmungen zutage, die sich aus dem nationalistischen Leitbild des deutschen Rechtsradikalismus ungeachtet seiner organisatorischen Zerrissenheit ergeben. a) Staats-und verfassungspolitische Parolen Die Ludendorff-Bewegung erstrebte bis zur Auflösung ihrer Teilorganisationen „Bund für Gotterkenntnis" und Verlag „Hohe Warte“ im Mai 1961 das in den „Kampfzielen“ Luden-dorffs vorgezeichnete Großdeutsche Reich autoritärer, antisemitischer und nationalistischer Prägung. Sie ließ sich bis zuletzt von dieser verfassungswidrigen Grundvorstellung leiten, rief ihre Anhänger zum Boykott der „Scheinwahlen“ auf, in denen doch nur „die Einflußgrenzen überstaatlicher Mächte zugunsten der einen oder anderen Machtgruppe verschoben" würden, und hat die Bundesrepublik in ihren verfassungsmäßigen Organen wiederholt verächtlich gemacht.

Andere Gruppen haben ebenfalls staatspolitische Wunschbilder entwickelt, die der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik widersprechen. Auch in diesen Kreisen werden — unter Verbreitung von Parolen über den provisorischen Charakter der Bundesrepublik — die bestehende Ordnung abgewertet und ihre Repräsentanten verunglimpft.

Das angeblich völlige Fehlen „einer Führungsund Wertordnung in Westdeutschland“ wird herausgestellt. Gleichzeitig wird die Bundesrepublik als „entartete, von Grund auf reform-bedürftige Fassadendemokratie“ geschmäht. „Dem Provisorium Bundesrepublik“ wird „eine eigene verteidigungswerte Staatlichkeit" abgesprochen.

Im Gesamtbereich des Rechtsradikalismus gilt die „Treue zum Reich“ als oberstes Gebot. Die Reichsidee wird als Mythos erlebt. Sie dient den Rechtsradikalen als Wertmesser für die gesamtdeutsche und Europa-Politik der Bundesregierung. Angesichts der weltpolitischen Machtverhältnisse setzen sich die nationalistischen Kreise nach wie vor für eine Neutralitätspolitik Deutschlands ein. b) Rassedenken, Antisemitismus, Kulturpolitik Äußerungen rechtsextremer Kreise zur Rasse-frage sind 1961 verhältnismäßig selten beobachtet worden. Für die „Arterhaltung des deutschen Volkes und die Verbreitung des völkischen Erneuerungswillens" traten neben der Ludendorff-Bewegung auch andere Gemeinschaften, die „Art-und Volkstumspflege“ betreiben, sowie mehrere nationalistische Jugendorganisationen ein.

Eine dieser Gruppen wandte sich gegen die „Verhöhnung des Herrenmenschen", durch die man „den Trieb zum knechtischen Menschen preisgekrönt und den Söldner gelobt habe, der sich für die Idee anderer Volkheit verdingen läßt“. Im Juni 1961 riefen zwei „Artgemeinschaften“ zur „Wiederherstellung einer förderlichen Fortpflanzungsauslese, d. h. einer gesunden Vermehrung der Kultur-und staatstragenden Blutlinie" auf.

Während sich einige dieser nationalistischen Gruppen in den Vorjahren auch antisemitisch verhielten, war dies im Berichtszeitraum kaum noch der Fall. AIs Urheber antisemitischer Vorkommnisse wurden jetzt fast ausschließlich nichtorganisierte Einzelgänger erkannt; daneben tauchten antisemitische Vorstellungen in Publikationen und Pamphleten auf, die aus dem Ausland eingeschleust wurden (vgl. Teil VI dieses Berichts). Als inländische Neuerscheinung mit ausgesprochen antisemitischen Tendenzen ist die im Schild-Verlag erschienene Schrift des Österreichers Dr. Franz Josef SCHEIDL „. Israel', Traum und Wirklichkeit, Versuch einer objektiven Darstellung" zu nennen. Das Buch wurde inzwischen gerichtlich beschlagnahmt. SCHEIDL vertritt die Ansicht, Juden könnten „in ihrem Aufenthaltsstaat nur Gäste sein und lediglich Anspruch auf den Ausländerstatus“ erheben; dann würde es „zwangsläufig unmöglich werden, daß sie in ihren Gastländern öffentliche Ämter und Stellungen bekleiden, im politischen und Wirtschaftsleben eine Rolle spielen geschweige denn Schlüsselstellungen einnehmen" (a. a. O. S. 10, 121).

Die kulturpolitischen Vorstellungen rechtsextremer Kreise entsprechen allgemein dem Bestreben, im „Zeitalter des Materialismus" die geistigen Werte des deutschen Volkes — wie sie von ihnen verstanden werden — nicht verkümmern zu lassen und sie gegen Überfremdung durch den Kommunismus und „Amerikanismus“ zu schützen. Sie sind vom Elitegedanken bestimmt. c) Sozial-und wirtschaftspolitische Parolen Über alle sonst bestehenden Meinungsverschiedenheiten hinweg stimmen die rechtsradikalen Gruppen darin überein, daß das deutsche Volk zwischen Ost und West weder die kapitalistische noch die kommunistische Wirtschaftsordnung übernehmen könne, sondern den „dritten Weg zu einem eigenen deutschen Sozialismus“ einschlagen müsse.

Innerhalb der nationalistischen Ideologie ist der Begriff „Deutscher Sozialismus“ von annähernd gleicher Bedeutung wie der Reichsgedanke. Auch er wird vorwiegend emotional ausgefüllt und nicht konkret erläutert. Zu den am schroffsten abgelehnten Begriffen gehören individualistische Wirtschaftstendenzen, denen die „Zerstörung des Bauerntums und der eigenverantwortlichen Mittelschichten“ zur Last gelegt wird, und das durch die Banken vertretene Großkapital. Es wird eine Sozialordnung propagiert, die „endlich jedem das Seine gewährt, den deutschen Arbeiter freimacht und ihm seinen Stolz zurück-gibt, der mit dem Verlust der völkischen Freiheit verlorenging". d) Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Die rechtsextreme Publizistik brachte auch im Jahre 1961 mehrere Artikel, die agitatorische Zwecke unter dem Vorwand „der Wiederherstellung der historischen Wahrheit“ über die NS-Zeit verfolgten. Dabei wurde der „aufgezwungene Umsturz aller Werte“ und „die Zerschlagung der in einem Jahrtausend gewachsenen deutschen Führungsform" im Gefolge beider Weltkriege beklagt. (Deutsche Hochschullehrer-Zeitung Nr. 4/1961, S. 2 und 6). Vielfach wurden Bekenntnisse zur „Unteilbarkeit der deutschen Geschichte“ in der erkennbaren Absicht abgegeben, den Rechtsradikalismus als legitimen Sachwalter nationaler Tradition, die staatstragenden Kräfte der Bundesrepublik hingegen als vom Feind installierte, fremden Interessen dienende „Reichsverräter" hinzustellen. e) Parolen aus Anlaß zeitgeschichtlich bedeutsamer Vorkommnisse 1. Südtirolkonflikt Anhaltspunkte dafür, daß sich der organisierte Rechtsradikalismus im Bundesgebiet an der Planung und Durchführung von Gewaltakten in Südtirol beteiligt hat, haben sich nicht ergeben.

Soweit es im Zuge der italienischen Ermittlun. gen gegen Terroristen zur Festnahme deutscher Staatsbürger in Südtirol gekommen ist, waren die Verhafteten nach bisherigen Erkenntnissen Einzelgänger ohne politisch extreme Bindungen Die Mitteilungsblätter rechtsradikaler Jugendgruppen enthielten gelegentlich Verlautbarungen, die auf den Versuch einer Verherrlichung der Gewaltakte herausliefen. So vertrat „Der deutsche Ruf" im Juni 1961 die Ansicht, daß „für die Südtiroler der Weg zur Selbstbestimmung über den Partisanenkrieg führe“. Es gäbe deshalb „keine andere Möglichkeit, als der Bewaffneten Gewalt in Südtirol das Wort zu reden“. Die gleichen militanten Gedankengänge wurden in anderen Organen rechtsextremer Jugendorganisationen geäußert. 2. Eichmann-Prozeß Der Eichmann-Prozeß ist von den rechtsradikalen Organisationen im Bundesgebiet kaum kommentiert worden. Vor und während des Prozesses führte die rechtsextreme Presse eine Art publizistischer Entlastungsoffensive. Sie brachte Berichte, die sich mit Kriegsverbrechen des Auslandes befaßten.

Demgegenüber nahm der internationale Faschismus im Ausland den Prozeß zum Anlaß, die nationalsozialistische Ideologie offen zu verherrlichen, die Maßnahmen des NS-Systems gegen die Juden zu rechtfertigen, das jüdische Volk als „größten Kriegsverbrecher und Massenmörder aller Zeiten“ zu diffamieren und dem Staat Israel die Absicht zu unterstellen, mit Hilfe des Prozesses „neue Milliardenbeträge als Reparationen von den Deutschen zu erpressen sowie Europa endgültig dem Rassenchaos zu überantworten“. Zeitungen, Broschüren und Flugblätter dieser Art wurden aus Schweden, Großbritannien, den LISA, der Vereinigten Arabischen Republik, Spanien und Argentinien in nicht unerheblichem Umfange in das Bundesgebiet eingeschleust und in rechtsextremen Kreisen verbreitet. Allein von der in Kairo verlegten Hetzschrift „Der Eichmann-Prozeß soll die atomare Aufrüstung Israels gegen die arabischen Länder finanzieren helfen“ gelangten mehrere Tausend Exemplare auf dem Postwege in die Bundesrepublik. Eine Teilsendung dieser Broschüre konnte abgefangen werden. In ähnlich hohen Auflagen fanden Exemplare der Zeitungen „L’Europe Reelle“, „The Northern European" und „Combat" mit antisemitischen Hetzartikeln aus Anlaß des Eichmann-Prozesses in rechtsextremen Kreisen der Bundesrepublik Deutschland Verbreitung. 3. Berlin-Krise Seit dem 13. August 1961 ist die Berlin-Krise auch in rechtsradikalen Kreisen in den Mittelpunkt aller politischen Erörterungen gerückt Die Ree’ -sradikalen aller Schattierungen teilen die Empörung über die östlichen Willkürmab nahmen in Berlin mit der deutschen Gesamtbevölkerung. Im übrigen zeichnen sich folgende Hauptargumente der nationalistischen Parteien und Organisationen ab: Die Ereignisse seit dem 13. 8. 1961 in Berlin werden als „Quittung für die reichsfeindliehe Politik der Bundesregierung" aufgefaßt und zum Anlaß schwerer Vorwürfe gegen die staatstragenden Organe genommen.

Die Berlin-und Deutschlandpolitik der drei westlichen Großmächte wird als schwankend und zwielichtig geschildert. Gleichzeitig werden Zweifel an dem Wert der Berlingarantie der USA geäußert.

Einige neutralistische Gruppen vertreten im Gegensatz zu den meisten sonstigen Organisationen des Rechtsradikalismus die Auffassung, daß ein „von dem niederziehenden Bleigewicht Bonn und von seiner bisherigen Westhörigkeit befreites Berlin mit eigener Währung“ sich zum Kristallisationskern eines neutralen Gesamtdeutschland zwischen Ost und West entwickeln würde.

III. Nazistische und antisemitische Vorfälle

Abbildung 3

a) Geheimbündelei Am 6. April 1961 unterrichtete das Landesamt für Verfassungsschutz Hannover die zuständigen Strafverfolgungs-Behörden über Tätigkeit und Pläne eines rechtsextremen Zusammenschlusses, der unter der Leitung des ehemaligen SRP-Mitgliedes Günter SONNEMANN aus Wolfenbüttel als „Freikorps Großdeutschland''entstanden war und — ausweislich von Programm-Entwürfen — folgende Ziele verfolgte: » 1. Deutsche Staatsbürger, die sich zum nationalen Sozialismus bekennen, vor dem Zugriff roher Gewalt zu schützen.

2-Die nationalsozialistische Idee zu verteidigen und zu verbreiten. Alle äußeren und inneren Feinde dieser Weltanschauung und ihre zersetzenden Pläne rechtzeitig zu erkennen und auszurotten. 3. Alle ausländischen Freiheitskämpfer gegen Zionismus, Bolschewismus und Fremdherrschaft zu unterstützen.“

Nach Feststellung des Landesamtes für Verfassungsschutz hielt dieser Kreis von fünf fanatischen Rechtsextremisten konspirative Zusammenkünfte ab, bei denen Pläne zu Terrorakten erörtert wurden. Zu diesem Zweck sollten Waffen und Sprengmaterial gestohlen werden; außerdem war geplant, während des Eichmann-Prozesses das Ehrenmal für ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen zu sprengen. Bei den Ermittlungen wurden insbesondere bei Sonnemann und dem 21jährigen Kraftfahrer Bernd-Detlef Ebert aus Braunschweig Waffen, Sprengkapseln und Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff sichergestellt. Angehörige dieser Gruppe hatte am 20. April 1957 den Ausländerfriedhof Jammertal bei Salzgitter verwüstet. Durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. 3. 1962 wurde Sonnemann zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt; die übrigen Angeklagten erhielten Gefängnisstrafen.

Im Mai 1961 klärten polizeiliche Ermittlungen die illegalen Ziele einer unter der Bezeichnung „Neue Jugend Deutschlands" in Duisburg entstandenen Jugendgruppe auf, die nur wenige Mitglieder hatte und von dem 21jährigen Arbeiter Dieter Lenz angeführt wurde. Lenz und seine Gruppe beabsichtigten, das nationalsozialistische Gedankengut zu propagieren, antisemitische Schmieraktionen durchzuführen und als Voraussetzung künftiger politischer Gewaltakte Waffen aus einer Duisburger Kaserne zu stehlen. Die Gruppe verzichtete aus Sicherheitsgründen bewußt auf Namenslisten, Ausweise und schriftliche Aufzeichnungen. Es bestand strenges Geheimhaltungsgebot. Gegen Austrittsabsichten waren Repressalien angedroht. Auch in diesem Falle war es bereits zu ersten Aktionen gekommen. Lenz hatte mit zwei Mittätern in den Nächten zum 11. 3. und 2. 4. 1961 in Duisburg-Neudorf antisemitische und nazistische Parolen an Hauswände gemalt.

In ähnlicher Weise wurde die Berliner Gruppe des „BundesHeimattreuerJugend“ während der Berichtzeit von ihren führenden Mitgliedern radikalisiert. Mitglieder dieser Gruppe störten im Juni und Oktober politische Filmvorführungen in Berlin durch Tränengaskörper, die aus Diebstählen stammten. Sie befaßten sich außerdem mit Plänen zur Herstellung von Spreng-und Blend-Körpern, die sie im Rahmen größerer politischer Aktionen verwenden wollten.

Diese drei Fälle aus letzter Zeit werden als Anzeichen dafür gewertet, daß auch künftig mit dem gelegentlichen Zusammenschluß fanatischer Rechtsextremisten jüngeren Alters zu örtlich begrenzten politischen Untergrund-Aktionen gerechnet werden muß. b) Analyse der einzelnen Vorfälle Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat aufgrund von Meldungen der Strafverfolgungsbehörden und der Landesämter für Verfassungsschutz im Jahre 1961 insgesamt 389 nazistische oder antisemitische Vorfälle im Bundesgebiet — einschl. West-Berlin — erfaßt. Sie sind nach ihrer räumlichen Streuung sowie nach Tatzeiten und äußeren Begehungsformen untersucht worden. Bemerkenswert erscheinen folgende Feststellungen: 1. Räumliche Streuung der Vorkommnisse Wie im Vorjahre sind Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen an erster Stelle betroffen. Die übrigen Länder folgen erst in weiterem Abstande. Insgesamt haben sich die Schmierund Störaktionen mit geringen Ausnahmen in den Straßen, Verkehrsmitteln und öffentlichen Lokalen größerer Städte ereignet. 2. Ergebnis der Tatzeiten-Statistik Aus Skizze 1 wird ersichtlich, daß im ersten Quartal des Berichtsjahres keine nennenswerten Schwankungen der Häufigkeitskurve zu verzeichnen waren. In dieser Zeit ereignete sich im Tagesdurchschnitt jeweils ein Fall. In der Zeit von Anfang April bis zum Hochsommer nahmen die Vorkommnisse stark zu. Die Ursache dieser Entwicklung wird im Beginn des Eichmann-Prozesses gesehen, zumal sich ein großer Teil der Vorfälle aus dieser Zeitspanne mit der Person Eichmanns befaßt hat. In den letzten drei Monaten ist ein deutlicher Rüdegang der Vorkommnisse zu beobachten. Im Dezember wurden nur noch drei Fälle bekannt. 3. Die äußeren Tatmerkmale Nach ihren äußeren Erscheinungsformen lassen sich die Vorfälle wie folgt gruppieren (vgl. Skizze 2):

Friedhofsschändungen:

Unter diesem Stichwort sind sechs Anzeigen von sehr unterschiedlicher Bedeutung erfaßt. AIs besonders schwerwiegendes politisches Vergehen wird die am 6. 8. 1961 entdeckte Besudelung von 19 Grabsteinen mit Hakenkreuzen auf dem jüdischen Friedhof in Kleinheubach (Krs. Miltenberg) angesehen. Ähnliche Schmierereien wies am 28. 3. 1961 der jüdische Friedhof in Breitenbach (Hessen) auf. Beide Taten sind noch ungeklärt. Ob das Umstürzen alter Grabsteine auf vier weiteren, seit Jahrzehnten stillgelegten Friedhöfen auf antisemitische Handlungen zurückzuführen ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Vermutlich wird es sich hier um Kindertaten gehandelt haben. Fußspuren am Tatort und andere erkennungsdienstliche Feststellungen deuten darauf hin.

Bedrohung und Beleidigung politischer Gegner und jüdischer Mitbürger:

Jüdische Mitbürger haben in 31 Fällen polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, weil sie sich durch anonyme Briefe und Telefonanrufe beleidigt, beunruhigt und bedroht fühlten.

Diese Vorfälle standen erkennbar mit dem Eichmann-Prozeß im Zusammenhang. So wandten sich anonyme Täter u. a. an die Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinden in Köln, Mainz, Regensburg und Hannover sowie an Presseverlage und drohten „die Ermordung von Juden und die Brandstiftung an jüdischem Eigentum als Rache für Eichmann" an. Weitere 100 Fälle betrafen zumeist antisemitische Verbalinjurien im Verlauf von persönlichen Auseinandersetzungen und wechselseitigen Beleidigungen unter Alkoholeinfluß oder im Affekt.

Illegale Plakat-, Flugblatt-und Presseaktionen: Erfaßt wurden 24 Fälle. Die Täter verunglimpften die Bundesregierung aus Anlaß der Bundestagswahl, wie etwa der Hamburger Pamphletist Wilfried FREY, setzten sich auch nach dem Verbot für die Ziele der Ludendorff-Bewegung ein oder veröffentlichten in primitiver Form Schlagworte und Argumente der NS-Zeit.

Schmieraktionen:

Mit 156 Fällen ist diese Gruppe die zahlenmäßig größte. Die katholischen Pfarrkirchen in Trier, Ehrang, Düsseldorf-Itter, Emmerich, Emmerich-Spaalberg, Mengerskirchen/Oberlahnkreis und Freisen wurden zum Teil im Innern mit Hakenkreuzen und NS-Parolen beschmiert. Ein 18jähriges geisteskrankes Mädchen besudelte am 30. 3. 1961 auf gleiche Weise Altardecke und Bibel der evangelisch reformierten Kirche in Oerlinghausen (Krs. Lemgo). Am 21. 4. 1961 streuten unbekannte Täter auf dem Rasenplatz vor der Synagoge in Hamburg-Eimsbüttel Hakenkreuze aus Pappe aus. Die häufigsten Objekte dieser Schmierereien waren Hauswände, Treppenflure, Schaufenster, Mauern, Brückenpfeiler, Unterführungen, Fahrbahnen, Telefonzellen und Verkehrsmittel.

Die bisher ermittelten Täter sind im allgemeinen selbst dann zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt worden, wenn sie nicht vorwiegend aus politischen Motiven handelten. So hat das Schöffengericht in Wuppertal Gefängnisstrafen von einem Jahr und drei Monaten bzw. von vier Monaten gegen zwei Arbeiter verhängt, die am 10. 4. 1961 nach erheblichem Alkoholgenuß in Wermelskirchen SS-Runen, Hakenkreuze, Judensterne und NS-Parolen schmierten.

Sonstige Störaktionen:

Diese Gruppe umfaßt 64 Unfughandlungen in der Öffentlichkeit, wie das Singen von NS-Liedern,antisemitische Wirtshausgespräche usw die zumeist von unmäßigem Alkoholgenuß be. gleitet waren. c) Erkenntnisse über die Täter und ihre Beweggründe Die Ermittlungen gegen die Urheber nazistischer und antisemitischer Vorfälle im Bundesgebiet einschließlich West-Berlin werden mit großem Nachdruck betrieben. Bisher wurden 1083 Täter der Schmierwelle des Vorjahres und 303 Täter und Teilnehmer an den im Jahre 1961 erfaßten 389 Schmier-und Störaktionen festgestellt. 1. Soziale-und Alterschichtung Mit Ausnahme einiger rechtsxtremer Publizisten entstammen die bisher ermittelten Urheber von Schmier-und Störaktionen nicht selbständigen oder gehobenen Berufen. Zumeist bezeichnen sie sich als Gelegenheits-oder Facharbeiter, Angestellte, Rentner oder noch in Berufsausbildung befindliche Lehrlinge. Auf Angehörige des öffentlichen Dienstes ist das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Auswertung einschlägiger Informationen aus letzter Zeit nicht gestoßen.

Diese Aufschlüsselung zeigt, daß die Ausschreitungen in beiden Jahren annähernd zur Hälfte von Personen im Alter bis zu 30 Jahren begangen worden sind, die nicht mehrbewußtdie nationalsozialistische Diktatur erlebt haben. Im übrigen ist die allgemein rückläufige Entwicklung der Täterzahl in allen Altersgruppen dadurch bedingt, daß die Gesamtzahl der einschlägigen Fälle im Jahre 1961 nur noch ein knappes Drittel derjenigen des Vorjahres ausmacht. 2. Analyse der Tatmotive Das Weißbuch der Bundesregierung über . die antisemitischen und nazistischen Vorfälle in der Zeit vom 25. 12. 1959 bis 28. 1. 1960" kam auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse, die im Zeitpunkt der Herausgabe vorlagen, zu dem Schluß, daß sich die Schmierwelle vom Januar 1960 zu etwa zwei Dritteln aus unpolitischen, massenpsychologisch in* duzierten Handlungen randalierender Jungtäter und Kinder zusammensetzte und nur zu einem Drittel aus politischen Affekt-oder Überzeu gungstaten bestand. Diese Würdigung der Vorfälle von Januar 1960 hält der Überprüfung auf Grund des inzwischen neu gewonnenen umfangreichen Informationsmaterials vollauf stand. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in Skizze 3 alle Erkenntnisse über die den Fällen des Jahres 1960 zugrunde liegenden Tat-motive zusammengefaßt und denen des Jahres 1961 gegenübergestellt. Dabei ergab sich, daß der starke Rückgang nazistischer und antisemitischer Vorkommnisse in der Berichtszeit in erster Linie auf den jetzt viel geringeren Anteil unpolitisch motivierter Handlungen zurüdezuführen ist. Im Einzelnen erbrachte die Auswertung der Fälle des Jahres 1961 die folgenden Ergebnisse:

133 Tater (44°) haben aus verfassungsfeindlicher Gesinnung gehandelt. Teils sind sie unbelehrbare Nationalsozialisten, zum Teil Personen jüngeren Alters, deren politisches Vorstellungsbild durch antidemokratische und antisemitische Einflüsse von Verwandten, Erziehern und Freunden oder durch Lektüre rechtsradikaler Literatur bestimmt worden ist.

Bei 84 Tätern (28 °/o) beruhen die im Affekt oder nach Alkoholgenuß spontan verübten Straftaten auf unterschwelligen politischen Beweggründen. Unmittelbarer Anlaß zu den Taten waren hier politische Ressentiments, Konkurrenzneid, persönliche Differenzen mit jüdischen Mitbürgern, Mißgunst gegenüber Empfängern von Wiedergutmachungsleistungen, gelegentlich auch nur eine allgemein asoziale oder antidemokratische Einstellung, die in Ermangelung anderer Ausdrudesformen auf nazistische Symbole und Parolen zurückgriff.

86 Täter (28 °/o) haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus anderen, als politischen Gründen gehandelt, darunter:

56 aus Sensations-oder Geltungssucht bzw.

aus aggressivem, im Grunde aber ziellosem Tätigkeitsdrang als Ausdruck eines randalierenden Rowdytums;

17 aus kindlichen Motiven;

13 auf Grund krankhafter Störung der Geistestätigkeit (Schwachsinn, Schizophrenie, pathologischer Vollrausch). d) Einflüsse verfassungswidriger Kräfte Anhaltspunkte für eine zentrale Steuerung der nazistischen und antisemitischen Vorfälle des Jahres 1961 durch Kreise des organisierten Rechtsradikalismus haben sich nicht ergeben. Gegen eine solche Möglichkeit spricht, daß die Täter fast durchweg politisch nicht organisierte Einzelgänger waren, und daß die intensive Beobachtung des organisierten Rechtsradikalismus im Bundesgebiet keine nennenswerten Hinweise auf die Planung oder Förderung von Schmierund Störaktionen aus diesem Kreise erbracht hat.

Demgegenüber hat der Sowjetblock die antisemitischen und nazistischen Vorkommnisse nicht nur zu einer weltweiten Diffamierungs-Campagne gegen die Bundesrepublik benutzt, sondern derartige Aktionen im Bundesgebiet sogar selbst veranlaßt. So stellte das sowjetzonale Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Mai 1961 aus Anlaß des Eichmann-Prozesses antisemitische Flugblätter her, die den Anschein erweckten, sie seiet von einer SS-Untergrund-organisation im Bundesgebiet herausgegeben worden. Diese Flugschriften wurden von MfS-Agenten in mehreren Städten dei Bundesrepublik in Telefonzellen und an anderen Stellen abgelegt. Abdrucke einiger dieser Hetzschriften sind dieser Zusammenfassung als Anlage a beigefügt.

IV. Einflüsse des Internationalen Faschismus

Org. Art: Parteien Jugendorganis. sonstige Organisationen freie Verlage insgesamt Zahl der Periodica: 7 12 16 11 46 Auflagen-höhe: 28 900 6100 47 300 78 000 ca. 160 300

Dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind annähernd 450 ausländische Parteien, Organisationen und Verlage bekannt, die wegen ihrer nationalistischen, dem Rassedenken verhafteten oder antisemitischen Ziele zum Internationalen Faschismus gerechnet werden. Hinzu kommt eine zahlenmäßig nicht näher bestimmbare Gruppe von Einzelgängern, die sich im Ausland fanatisch rechtsextrem oder antisemitisch betätigen. Soweit es sich um Organisationen und Personen handelt, die das Schwergewicht ihrer Initiative auf die inneren Angelegenheiten ihres Staates legen und mit rechtsradikalen Kreisen im Bundesgebiet nur lockere Verbindung hal-ten, sind sie in diesem Bericht nicht erwähnt, wenn sie sich in der Berichtszeit auch allgemein als geistiger Nährboden entsprechender deutscher Tendenzen erwiesen haben. Dagegen ist der betont expansiv tätige Auslandsfaschismus für die Beurteilung rechtsradikaler Bestrebungen im Bundesgebiet unmittelbar von Bedeutung (siehe Skizze 4). a) Der übernational organisierte Faschismus Unter den betont übernational arbeitenden Gruppen ausländischer Faschisten haben insbesondere die folgenden versucht, im Bundesgebiet organisatorisch Fuß zu fassen bzw. auf sonstige Weise auf die politische Willensbildung einzuwirken: 1. Die „Europäische Neu-Ordnung“ (ENO)

des Schweizers Gaston Armand Amaudruz und ihre Jugendorganisation „Jeune Legion Europeenne“ (JLE)

ENO und JLE erstrebten eine „europäische Eidgenossenschaft mit hierarchischen Gliedstaaten“ auf antidemokratischer und antisemitischer Grundlage. Sie propagieren diese verfassungswidrigen Ziele laufend in ihrem monatlich in Brüssel erscheinenden Organ „L’Europe Reelle“, arbeiten darüber hinaus jedoch vorwiegend konspirativ. Ihr Generalsekretär AMAUDRUZ fördert u. a. die „Agenza Informazzione Speziale" in Rom, die sich seit 1960 mit der Sammlung und Veröffentlichung von Informationen über die „Verfolgung nationaler Kreise", insbesondere in der Deutschen Bundesrepublik und in Österreich befaßt. Die deutsche Sektion der ENO ist bisher über einen Mitgliedsstand von 20 Personen nicht hinausgekommen. Am 8. 7. 1961 verfaßte die Kulturkommission der ENO in Kassel eine antisemitische Verlautbarung zum Eichmann-Prozeß, die mit Rücksicht auf das deutsche Verbot dieser Tagung nur im Ausland verbreitet wurde. Die Hetzschrift „L’Europe Reelle“ wird in unbekanntem Umfange in das Bundesgebiet eingeschleust. 2. Die „Europäische Soziale Bewegung" (ESB)

des Schweden Per Engdahl, Malmö Die ESB fordert eine im Sinne des italienschen Frühfaschismus „korporativ autoritär gegliederte europäische Staatengemeinschaft mit strenger Fremdengesetzgebung zur Verteidigung des rassisch-biologischen Erbes“. Innerhalb der sieben Ländersektionen der ESB spielt die deutsche Sektion nur eine untergeordnete Rolle.

Am 15. 7. 1961 wurde auf der ESB-Tagung in Salzburg auf Vorschlag Engdahls beschlossen, die Zusammenarbeit zwischen der ESB-Zentrale in Malmö und den „besonders bedrohten Sektionen“ in der Bundesrepublik und in Österreich künftig konspirativ über Kuriere und geheime Stützpunkte aufrecht zu erhalten. 3. Die „Mouvement d*Action Civique“ (MAC) des Belgiers Jan Thiriart in ihrer internationalen Organisation “ Jeune Europe“ Unter den nationalistischen Europa-Bewegungen sind MAC und „Jeune Europe“ z. Zt. besonders aktiv. Sie haben die „radikale Umwandlung der gegenwärtigen pseudo-demokratischen politischen und sozialen Formen in Europa sowie den Aufbau eines unitaristischen hierarchisch gegliederten 4. europäischen Reiches zwischen Ost und West" zum Ziel.

Ihr Organ ist die in Belgien erscheinende Wochenschrift „Nation Belgique-Nation Europe“. Die deutsche Sektion der MAC wurde am 4. 11. 1961 in Froschhausen unter dem Namen „Junges Europa" gegründet. Um der Gefahr eines frühzeitigen Verbots zu begegnen, bemüht sich die deutsche Sektion, die antidemokratischen Verlautbarungen der Brüsseler Zentrale vor ihrer Übernahme zu entschärfen. 4. Der „Northern European Ring" (NER) in Coventry mit seinem Organ „The Nothern European“

Er ist im Januar 1961 als internationale Arbeitsgruppe eigener nationalistischer und antisemitischer Splitterparteien in Europa und Über-see, wie der British National-Party (Collin JORDAN), Nordiska, Rikspartiet und National Staates Rights Party entstanden. Im Bundesgebiet hat sich dem NER die völlig bedeutungslose „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Kreise“ als korporatives Mitglied angeschlossen. Das „Erste pannordische Treffen im gemeinsamen Kampf für rassischen Nationalismus“, das in der Zeit vom 20. bis 26. 5. 1961 in Narford/England stattfand, artete in eine Verherrlichung Adolf HITLERs und seiner Rassetheorien aus, wie sie seit 1945 in der Bundesrepublik nicht mehr beobachtet wurde. In bewußter Anknüpfung an den Nationalsozialismus führt der NER das Sonnenrad. „The Northern European“ befaßte sich im Juli 1961 mit „der demokratischen Tyrannei in Westdeutschland, wo jedwede Organisation, von der man annimmt, daß sie Nazimerkmale trage, verboten werde — angefangen von der SRP bis zur Ludendorff-Bewegung“. Das Organ fordert in diesem Zusammenhang „die Gewährung einer vollen Freiheit des Ausdrucks und der Aktivität der deutschen Nationalsozialisten". NER ist der Urheber einer Plakataktion, mit der im Dezember 1961 die Freilassung von Rudolf HESS aus dem Span-dauer Gefängnis gefordert wurde. 5. Der „Nordbund“ mit Sitz in Thun/Schweiz Dem Nordbund gehörten schweizerische, schwedische und deutsche „Artgemeinschaften" an, die entschlossen sind, „im Bereich der nordischen Rasse den nivellierenden Kräften der kommunistisch und kosmopolitisch gefärbten Philosophie und dem Klerikalismus unerbittlichen Widerstand entgegenzusetzen". Auch dieser vom Ausland her gesteuerte Zusammenschluß strahlt Impulse aus, die den Rechtsradikalismus im Bundesgebiet fördern können. Zwischen dem Nordbund und der britischen „Northern League" sind enge Verbindungen erkannt. Die deutsche Sektion des Nordbundes wurde am 20. 5. 1961 auf der 50-Jahr-Feier der „Deutschgläubigen Gemeinschaft" unter der Bezeichnung „Arbeitsring deutscher Gemeinschaften zur Pflege und Erneuerung von Art und Gesittung“ (ARDG) gegründet. Ihr gehören 11 mitglied-schwache Vereine an, die sich im vorpolitischen kulturellen Bereich betätigen.

Die genannten Organisationen des europäischen Faschismus sind bemüht, ihre Ziele zu koordinieren und zu Zusammenschlüssen zu gelangen. Dafür setzt sich u. a.der schwedische Industrielle C. E. CARLBERG in Stockholm ein. Er unterstützt den Internationalen Faschismus durch finanzielle Subventionen, ist Mitgesellschafter des Verlages „Nation Europe“ in Coburg und setzt sich für die Verbreitung der Schriften des Plesse-und Druffel-Verlages ein. Sein Mitarbeiter Walter GRÜN, Akersberga/Schweden, nahm im Jahre 1961 persönliche Kontakte zu rechtsradikalen Kreisen im Bundesgebiet auf. b) Ausstrahlungen der „American Nazi Party"

Im Jahre 1961 sind Hetzschriften des Amerikaners George Lincoln ROCKWELL, die dieser als „Commander" der „American Nazi Party“ her-ausgibt, in zahlreichen Exemplaren bei Mitgliedern deutscher rechtsradikaler Gruppen auftaucht

C) Antisemitische Einzelgänger im Ausland Auf dem Gebiet der Publizistik wirken eine Reihe antisemitisch oder extrem nationalistisch orientierter Einzelgänger vom Ausland her in das Bundesgebiet hinein, indem sie ihre Pamphlete über geheime Verteiler einschleusen oder eine umfangreiche politische Korrespondenz mit deutschen Briefpartnern unterhalten. Hierzu gehören vor allem der Schwede Einar ABERG, die Inderin Savitri Devi MUKHERIJ, der Schweizer Professor Albert Conrad LEEMANN sowie Friedrich Wilhelm KUHFUSS in Barcelona und Professor von LEERS in Kairo. Schriften und Briefe von KUHFUSS und von v. LEERS sind in der Berichtszeit wiederholt bei Exekutivmaßnahmen gegen Rechtsradikale im Bundesgebiet polizeilich sichergestellt worden.

V. Nationalistische und antisemitische Tendenzen in Organisationen der Ostemigranten

Org. Art:

Im Bundesgebiet bestehen einige Organisationen von Emigranten aus den Ostblockstaaten, die eine rechtsradikale, oft antisemitische Tätigkeit entfalten und dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland Schaden zufügen. Sie sind zumeist nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in verschiedenen Ländern der freien Welt verbreitet, ohne jedoch über bedeutende Anhängerzahlen zu verfügen. Zu ihnen gehören einige Gruppen der früheren ungarischen Pfeilkreuzler-Partei, der kroatischen Ustaschen, ebenso wie die RONND, eine großrussische, antisemitische und nationalistische Organisation, und die ukrainische OUN. Ihre Zielsetzung ist jedoch primär nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik, sondern auf die Herstellung rechtsextremer Ordnungen in ihren Heimatländern gerichtet. Mehrere dieser Vereinigungen geben für ihre Anhänger in aller Welt in ihrer Muttersprache Publikationen her-aus, die zum Teil in der Bundesrepublik gedruckt, aber überwiegend im Ausland verbreitet werden. Sofern durch diese Publikationen Strafgesetze verletzt wurden, sind die zuständigen deutschen Behörden dagegen eingeschritten. Gegen die Herausgeber der ungarischen neofaschistischen und antisemitischen Zeitschrift „Hidverök“, den Pfeilkreuzler ALFÖLDI, hat das Landgericht München I am 12. 1. 1962 das Hauptverfahren wegen Verbreitung staatsgefährdender Schriften (§ 93 StGB) eröffnet. Bereits am 11. 5. 1959 haben die zuständigen Landratsämter ALFÖLDI und den Herausgeber einer anderen ungarischen nationalistischen Zeitschrift „Cel", NYERKI, aufgefordert, sich um die Aufnahme in einem anderen Lande der Genfer Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge zu bemühen, und ihnen untersagt, sich antisemitisch oder neofaschistisch zu betätigen.

VI. Ostkontakte rechtsradikaler Kreise im Bundesgebiet

SKIZZE 1

Der Rechtsradikalismus im Bundesgebiet unterliegt nicht nur den Einflüssen des westlichen Auslands-Faschismus; es wurden gelegentlich auch zwielichtige Querverbindungen nach dem Osten erkannt. Dies gilt besonders für Gruppen, die sich die Verwirklichung Gesamtdeutschlands mit nationalistisch autoritärer Staatsordnung von einer außenpolitischen Anlehnung an den Sowjetblock erhoffen.

Einige Neutralisten machen aus ihren politischen Ostkontakten und Ostreisen keinen Hehl. Häu-figer werden jedoch solche Querverbindungen zwischen Exponenten des Rechtsradikalismus und sowjetrussischem bzw. sowjetzonalen Funktionärep so lange wie möglich geheim gehalten.

Der im Mai 1961 erloschene „Kongreß für Entspannung und Neutralität in Europa“ kann hierfür als Beispiel gelten. Sein Leiter, der im Bundesgebiet rechtsradikale Parolen vertrat, hat dem Ostberliner Fernsehen gleichzeitig Material für Hetzsendungen gegen die BRD geliefert.

VII. Staatliche Maßnahmen gegen Träger nationalistischer Bestrebungen

ÄUSSERE ERSCHEINUNGSFORMEN DER NEONAZISTISCHEN UND ANTISEMITISCHEN VORKOMMNISSE IM JAHRE 1961 SKIZZE 2

a) Straf-und Verwaltungsgerichtsverfahren Im Jahre 1961 sind 79 Urteile wegen Straftaten aus nationalistischen Motiven rechtskräftig geworden. Im Jahre 1960 waren es über 200. Von den Tätern wurden verurteilt:

45 = 55, 70/0 zu Gefängnisstrafen, 26 = 32, 9 ’/o zu Geldstrafen, 8 = 11, 4 °/o nach Maßgabe des Jugendgerichts-gesetzes (Freizeitarrest, Fürsorge-erziehung, Verwarnung).

23 Verurteilungen ergingen nach den §§ 96 a und 130 StGB (Verwendung verbotener politischer Kennzeichen, Volksverhetzung), und zwar: 17 = 20, 3 °/o auf Grund von § 96a StGB, 5= 6, 3 °/o auf Grund von § 130 StGB, 2= 2, 5’/o auf Grund von §§ 96a u. 130 StGB.

Eine weitere statistische Auswertung findet sich in Anlage b).

In weiteren Fällen wurden wegen Straftaten aus nationalistischen Motiven Anklagen erhoben oder Ermittlungsverfahren eingeleitet: So wurde der ehemalige „Bundesführer" der „Schiller-Jugend“ wegen Gründung und Förderung einet verfassungsfeindlichen Vereinigung, Geheimbündelei u. a. angeklagt. Die Schiller-Jugend hat seitdem ihre Tätigkeit praktisch eingestellt. Außerdem sind durch Gerichtsbeschlüsse Druck-Schriften, die nationalistische oder antisemitische Bestrebungen zu fördern geeignet waren, darunter Hetzschriften des schwedischen Antisemiten Einar ABERG und die Bücher „Die Bankierverschwörung von Jekyl ISLAND“ von Eustach MULLINS, „Waffen-SS im Einsatz" von Paul HAUSSER und „Aus Krieg und Frieden" von Ulrich RUDEL, eingezogen worden. b) Verbote und Auflösungen, sonstige Verwaltungsmaßnahmen Während sich das Vorgehen der Justizbehörden naturgemäß gegen einzelne Täter richtet, erzielen die gegen nationalistische Organisationen gerichteten Verwaltungsmaßnahmen eine größere Breitenwirkung. Im Jahre 1961'wurden die noch bestehenden Gruppen des „Bundes Nationaler Studenten“ (BNS) in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg, der Berliner Standort des „Bundes Heimattreuer Jugend“ (BHJ) sowie am 25. 5. 1961 in allen Bundesländern einschließlich West-Berlin der Verlag „Hohe Warte“ und der „Bund für Gotterkenntnis (L) e. V." (BfG) als im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG verfassungsfeindliche Vereinigungen aufgelöst. Bei den im Zuge der Verbotsmaßnahmen gegen die Ludendorff-Bewegung durchgeführten 153 polizeilichen Durchsuchungen wurde umfangreiches, für die antidemokratische Hetze des Bundes beweiserhebliches Material sichergestellt. Gegen fast alle Auflösungsverfügungen wurden Rechtsmittel eingelegt.

Außerdem wurde 1961 das bereits 1959 festgestellte Verbot des „Sozialen Hilfswerks für Zivil-internierte und Entnazifizierungsgeschädigte“ (SHW) rechtskräftig.

In einigen Fällen wurden auch geplante Veranstaltungen, u. a. eine Tagung der „Europäischen Neu-Ordnung" (ENO) in Kassel und ein Kongreß der „Jungen Europäischen Legion" (JEL) in Lippoldsberg nach § 5 Nr. 4 Versammlungsgesetz verboten.

Gegen Angehörige nationalistischer Jugendorganisationen mußte mehrmals wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot des § 3 Abs. 1 Versammlungsgesetz eingeschritten werden. Auf einen Antrag des „Jugendbundes Adler" (JBA) gern. § 3 Abs. 2 Versammlungsgesetz hat das Bundesministerium des Innern entschieden, daß das LIniformverbot für die Mitglieder des JBA gelte, weil die Haupttätigkeit des Bundes in der Pflege einer politischen Gesinnung mit nationalistischer Tendenz bestehe. Gleiche Entscheidungen sind inzwischen gegen den „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ) und gegen den „Bund Vaterländischer Jugend“ (BVJ) ergangen.

Eine Übersicht über die in der Bundesrepublik und in den Ländern verbotenen rechtsradikalen Organisationen findet sich in Anlage c). c) Präventiv-Maßnahmen Ein noch breiterer und gegenüber den repressiven Maßnahmen gewiß wirkungsvollerer Einfluß auf die Öffentlichkeit geht von den Maßnahmen der staatlichen und sonstigen öffentlichen Bildungseinrichtungen zur Weckung und Festigung eines demokratischen Staatsbewußtseins und zur geistigen Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit aus.

Von besonderer Bedeutung ist der Beschluß der Kultusminister-Konferenz vom 9. /1O. Februar 1961 über die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus als wesentliche Aufgabe der politischen Bildung der Jugend.

Die Bundeszentrale für Heimatdienst hat sich ebenfalls durch die Verbreitung von Broschüren sowie durch zahlreiche Einzelvorträge um die Bekämpfung rechtsradikaler Bestrebungen bemüht. Die Schriftenliste der Bundeszentrale enthält 44 Titel, die der Förderung demokratischen Gedankengutes, der Aufklärung über den Nationalsozialismus und dem Kampf gegen den Antisemitismus gelten.

Auch der Deutsche Bundesjugendring hat seit Jahren die Überwindung nationalistischer Bestrebungen zu einer seiner Hauptaufgaben gemacht. Seine als Richtschnur für die Jugend-leiter in den Kreis-und Stadtjugendringen ausgearbeitete Schrift „Unsere Auseinandersetzung mit nationalistischen Tendenzen in der Jugendarbeit“ wurde 1961 zum dritten Mal aufgelegt.

Gute Aufklärungsarbeit auf diesem Gebiet leistet auch der vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes herausgegebene Informationsdienst „Für die Demokratie“. Von wesentlicher Bedeutung sind schließlich auch Sendungen des Rundfunks und Fernsehens, wie die Sendefolge über das Dritte Reich und die Berichterstattung über den Eichmann-Prozeß.

Die Bundesregierung selbst unterstützt alle Bestrebungen, die der Verständigung und Versöhnung, der Bekämpfung von Volksverhetzung und Rassenhaß und der wahrheitsgetreuen Darstellung der Vergangenheit dienen wollen. So erhalten der „Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“, die „Wiener Library“ (die u. a. systematisch Dokumente und Veröffentlichungen zu dem Thema der Judenverfolgung im Dritten Reih sammelt) und der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ (als Zusammenfassung der jüdischen Kultusgemeinden und Landesverbände in Deutschland) jährliche Zuschüsse aus Bundes-mitteln. Die Herausgabe eines Handbuches über das Judentum in Geschichte und Gegenwart und die Sammlung von Unterlagen zur namentlichen Erfassung der durch die NS-Verfolgungsmaßnahmen umgekommenen deutschen Juden finden die ideelle und materielle Unterstützung des Bundes. Die laufende Pflege und Erhaltung der durch die Vernichtung der jüdischen Gemeinden in Deutschland verwaisten jüdischen Friedhöfe in der Bundesrepublik werden vom Bund und von den Ländern aufgrund einer Absprache mit den jüdischen Organisationen finanziert.

VIII. Zusammenfassung

Die Täter gehören folgenden Altersgruppen an:

Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik ist in organisatorischer Hinsicht zersplittert und schwach, als politische Ideologie verworren, widersprüchlich und ohne Anziehungskraft. Daher gelang es ihm nicht, bei der politischen Willensbildung in unserem Staate mitzuwirken oder nennenswerte Teile der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Wo immer sich in den letzten Jahren rechtsextremistische Parteien im Wahlkampf gestellt haben, blieb ihnen der Erfolg versagt. Ebenso entschieden hat sich die Bevölkerung den Argumenten der Rechtsextremisten zu den wichtigen Ereignissen und Fragen der Tagespolitik widersetzt. Der Rechtsextremismus vereinsamt. Das hat zu Mitgliederverlusten bei den rechtsextremistischen Gruppen geführt. Zugleich aber hat sich bei der verbleibenden Anhängerschaft eine gewisse Radikalisierung in Wort und Tat bemerkbar gemacht.

Immerhin: wenn — was auch in der Bundesrepublik nicht undenkbar ist — die innerpolitischen Spannungen sich verschärfen und die wirtschaftlichen Verhältnisse sich verschlechtern sollten, so könnte dies zu politischer Radikalisierung führen. Die schreckliche Erfahrung lehrt, daß auf solchem Nährboden die Kräfte gedeihen können, die den Rechtsstaat unterhöhlen. Damit dies nicht eintritt, wird der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik keinen Tag aus den Augen gelassen. Mögen auch die unbelehrbaren alten Nationalsozialisten allmählich aussterben, so stehen doch immer wieder einzelne jugendliche Phantasten oder Fanatiker bereit, um an ihre Stelle zu treten. Doch wir haben aus der Erfahrung gelernt: Ehe der Rechtsradikalismus wieder zu einer Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung anwachsen könnte, würde die Gefahr erkannt und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden.

Anhang

ANALYSE DER TATMOTIVE VON URHEBERN NEONAZISTISCHER UND ANTISEMITISCHER VORFÄLLE. Skizze 3

Anlage a) Sowjetzonale Hetzschriften vom Mai 1961

An die deutschen Offiziere und Soldaten! Kameraden! Ihr selbst oder eure Väter haben zur Ehre Deutschlands im heldenmütigen Kampfe gegen eine Übermacht von Feinden Taten vollbracht, die in der Geschichte einmalig sind. Das Blut unserer in Treue und Pflichterfüllung gefallenen Kameraden darf aber nicht umsonst geflossen sein. Im Judenstaat Israel steht ein deutscher Soldat vor Gericht. Schmierige Juden in Richterroben erdreisten sich, ihn wegen seiner Treue und Pflichterfüllung zu beschmutzen und zu erniedrigen. Das Juden-gesindel will damit aber nicht nur unseren Kameraden Eichmann treffen, sondern alle deutschen Soldaten, die deutsche Ehre, das deutsche Volk. Kameraden, laßt nicht zu, daß jüdische Untermenschen die Ehre des deutschen Soldaten in den Kot treten. Die Juden sind wieder frech geworden, weil Deutschland ihnen Wiedergutmachung geleistet hat. Aber sie dürfen nicht glauben, daß unsere Geduld endlos ist. Die Parasiten am Volkskörper müssen aber merken, daß Deutschland stark genug ist, um jüdischen Kläffern aufs Maul zu schlagen. Der deutsche Soldat hat immer und ewig auch gegen das Weltjudentum im Felde gestanden. Deshalb auch der Haß und die Gier der Juden, den deutschen Soldaten mit Schmutz zu bewerfen. Kameraden der Bundeswehr, denkt daran: Der Jude haßt alles, was uns Deutschen heilig ist. Wo das Deutschtum siegt, ist der Jude verloren. Kameraden, ihr seid deutsche Soldaten. Auch eure Ehre heißt Treue, Treue zu Deutschland.

Deutsche Männer und Frauen! Volksgenossen! In Israel steht ein Deutscher vor einem jüdischen Gericht. Jüdisches Gesindel erdreistet sich, den Heldenmut und die Opferbereitschaft des deutschen Volkes in den Schmutz zu treten. Die Erde Europas ist mit dem Blute deutscher Männer getränkt. Es sind eure Väter und eure Söhne, deren heiliges Vermächtnis das Judentum heute besudelt. Deutschland hat das Judenreich durch die Wiedergutmachung groß-gemacht. Haßtriefend versuchen die jüdischen Parasiten die Ehre und das Ansehen der deutschen Nation in der Welt zu untergraben. Sie scheuen dabei vor keiner Heuchelei und keiner Intrige zurück, wie die Angriffe gegen jeden zeigen, der wie Adolf Eichmann nichts als seine Pflicht für Deutschland tat. Volksgenossen! Es ist Zeit, diesem jüdischen Spuk ein Ende zu bereiten. Es ist Zeit, daß wir das Judenpack daran erinnern, wo sein Platz in der Geschichte ist. Deutschland war groß und Deutschland wird wieder groß sein. Das Judenpack darf nicht glauben, daß es ungestraft noch andere deutsche Männer auf den Pranger der Erniedrigung zerren darf. Belehrt deshalb die Juden auf deutsche Art. Deutschland erwache! Juda verrecke!

Kameraden der SS, es ist an der Zeit, zu unserem Wort, zu unserem Schwur, zu Deutschland zu stehen. Wir dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie stinkiges Judengesindel sich anmaßt, als „Ankläger" gegen Kameraden aufzutreten, die Deutschland bis zuletzt in treuer Pflichterfüllung gedient haben. Die Zeit der Schande und Erniedrigung muß ein für allemal ein Ende haben. Judas in der Robe eines Richters bedroht das heilige Vermächtnis des Reiches. Der Prozeß gegen unseren Kameraden Eichmann ist eine Orgie jüdischen Hasses gegen das Deutschtum. Wir, Deutschland selbst, hat die jüdische Schlange mit den Wiedergutmachungsleistungen genährt. Doch die Parasiten am Volkskörper, das Weltjudentum, hat zu früh gejubelt. Wir werden ihnen eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat. Weist das jüdische Untermenschentum in die Schranken, die ihm die Geschichte gesetzt hat. Vernichtet die fetten jüdischen Maden, die unsere Ehre in den Schmutz treten. Kameraden, unsere Stunde ist gekommen. Jetzt zu verzagen, hieße, Verrat am Vermächtnis unserer toten Kameraden, hieße, unsere stolze Rasse wehrlos dem Judentum preiszugeben. Kameraden! Unsere Ehre heißt Treue!

Anlage b) StatistischeAuswertungvonUrteilen gegen rechtsradikale Straftäter Im Jahre 1961 sind 79 Urteile wegen Straftaten aus nationalistischen Motiven rechtskräftig geworden.

Täteranalyse a) Gliederung nach dem Alter Die verurteilten Täter gehören folgenden Altergruppen an:

10 = 12, 7 % im Alter von 16 bis 20 Jahren 33 = 42, 5 % im Alter von 21 bis 35 Jahren 36 = 44, 8 ®/o im Alter von über 3 5 Jahren b) Gliederung der Täter nach Berufsgruppen 2 = 2, 5 % Lehrlinge 56 = 63, 3 */o Arbeiter, Handwerker, und andere nichtselbständige Berufe 4 = 5, 1 °/»Hausfrauen 14 = 17, 7 % selbständige Berufe 3 = 3, 8 °/o Akademiker und leitende Angestellte 2= 2, 5 °o öffentlicher Dienst 4 = 5, 1 % Rentner c) Gliederung der Täter nach dem Geschlecht 70 = 88, 5 ’/o männlich 9 = 11, 5 % weiblich d) Zugehörigkeit der Täter zu rechtsradikalen Organisationen 10 = 12, 7 °/o sind Mitglieder rechtsradikaler Organisationen.

Fussnoten

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