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Der sowjetische Siebenjahrplan. Eine Zwischenbilanz | APuZ 24/1962 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 24/1962 Der sowjetische Siebenjahrplan. Eine Zwischenbilanz

Der sowjetische Siebenjahrplan. Eine Zwischenbilanz

BORYS LEWYTZKYJ

Bald naht die Halbzeit des Siebenjahrplanes. Über die Ergebnisse der ersten drei Jahre liegen ausreichende sowjetische Dokumente vor, um Genaueres über den Kampf der KPdSU zur Planverwirklichung sagen zu können.

Abbildung 8

Zwei Marksteine kennzeichnen die Entwicklung nach Stalins Tod. Der XX. Parteitag (1956) hatte moralische Bedeutung, indem er die Grundfesten des Stalinkults erschütterte und neuen Prozessen den Weg frei gab. Eine neue politische, strategische und wirtschaftliche Konzeption begann heranzureifen. Die Ereignisse zwischen dem XX. Kongreß und der Ankündigung des Siebenjahrplanes (1959) standen im Zeichen großer Auseinandersetzungen innerhalb der kommunistischen Führung („parteifeindliche Gruppe“) und tiefgreifender Reformen (1957 — Reform der Leitung von Industrie und Bauwesen; 1958 — Reform der Maschinen-Traktoren-Stationen und Schulreform). Der auf dem XXI. außerordentlichen Parteitag der KPdSU beschlossene Siebenjahrplan ist keinesfalls als rein innerpolitische und wirtschaftliche Angelegenheit der Sowjetunion zu betrachten, da er sich auf folgende drei Hauptpunkte konzentriert: 1. Kampf um eine qualitativ höhere Entwicklungsstufe in der Wirtschaft und damit auch der Gesellschaft; 2. die Wirtschaft hat das Haupttätigkeitsfeld der Kommunisten zu sein, da sich der Wettlauf zwischen der Sowjetunion und den USA in eine Schicksalsfrage des Weltkommunismus verwandelt; 3-friedliche Koexistenz als Richtlinie der sowjetischen Außenpolitik (natürlich als Spielart des Klassenkampfes unter den neuen historischen Bedingungen).

Abbildung 9

Der XXL Parteitag samt der Ankündigung des Siebenjahrplanes hatte schwerwiegende Folgen für den internationalen Kommunismus und Prägte zugleich die innerpolitische Entwicklung in der Sowjetunion. Eine konsequente Fortsetzung bildete der XXII. Parteitag (1961) mit der Bestätigung des neuen Programms der KPdSU und dem darin enthaltenen Zwanzigjahrplan.

Stand von 1960

Viel wichtiger als die Kennziffer für einzelne Wirtschaftszweige sind die im Siebenjahrplan verankerten qualitativen Veränderungen der Volkswirtschaft. Daß der geplante rasche Pro-duktionsanstieg auf der Basis der technischen Revolution erzielt werden soll, läßt sich heute, nachdem bereits der Zwanzigjahrplan bekannt ist, noch prägnanter als bisher erkennen. Nachstehend sollen prinzipielle Fragen herausgegriffen und unter dem Aspekt erörtert werden, wieweit sie im Sinne der angestrebten technischen Revolution gelöst sind.

1. Zur Lage in der Industrie

Gesamtzuwachs der Industrieproduktion und der Brennstoffindustrie (in Prozent):

Voraussetzung für die Modernisierung der sowjetischen Industrie ist ein grundlegender Strukturwandel, da sich gerade auf diesem Sektor die Folgen der Stalinschen Planung, die ausschließlich im Zeichen des Voluntarismus und Subjektivismus stand, in einen der größten Hemmschuhe der Aufwärtsentwicklung verwandelt hatten. Eine Gegenüberstellung mit der Industrie der USA vermag das zu veranschaulichen: Während in der UdSSR der Produktionszuwachs der chemischen Industrie den der gesamten Industrie in den Jahren 1950 bis 1957 nur um 27 Prozent überstieg, erreichte er in den USA das Doppelte.

Industrie (Stand der wichtigsten Industriezweige am 1. 1. 1962)

Für die Strukturverlagerung der sowjetischen Industrie im Siebenjahrplan ist das Wachstum von vier Industriezweigen ausschlaggebend: Maschinenbau und metallbearbeitende Industrie — chemische Industrie — Elektroenergieerzeugung — Brennstoffindustrie (mit Betonung des Über-ganges von festen Brennstoffen zu Erdöl und -gas). Die nachstehende Tabelle illustriert die diesbezüglichen Wandlungen in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes

In den ersten drei Jahren haben sich demnach noch keine wesentlichen Struktur-verlagerungen bei Maschinenbau, Chemie und Elektroenergie herauskristallisiert. Während der Gesamtzuwachs im fraglichen Zeitraum 30, 2 Prozent beträgt, liegt er bei Maschinenbau-und metallbearbei-tender Industrie bei 47 Prozent, bei der chemisehen Industrie bei 36 Prozent und der Elektroenergie bei 34 Prozent. Hingegen zeichnet sich in der Brennstoffindustrie eine positive Entwicklung ab. Am Gesamtzuwachs von 24 Prozent in den ersten drei Planjahren ist die Erdölförderung mit 40 und die Erdgasförderung sogar mit 81 Prozent beteiligt. 1960 betrug der Anteil von Erdöl und -gas an der Brennstoffbilanz 38 Prozent, 1961 43 Prozent, und für 1965 sind 51 Prozent vorgesehen. Das ist, neben der Bedeutung für die chemische Industrie, mit außerordentlich hohen Einsparungen verbunden. Diese betrugen nach Angaben Chruschtschows auf dem XXII. Parteitag drei Milliarden Rubel innerhalb der letzten sechs Jahre, für die ganze Dauer des Siebenjahrplanes wird eine Ersparnis in Höhe von 12 Milliarden Rubel erwartet

Auch die Veränderungen in den einzelnen Industriezweigen sind für das Gedeihen der Pläne zur Modernisierung der Wirtschaft und damit auch für die Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus ausschlaggebend. Die sowjetischen Dokumente ergeben, daß — mit Ausnahme gewisser Teilerfolge in der chemischen Industrie — optimistische Erwartungen bezüglich anderer Zweige jeglicher Berechtigung entbehren. Die Maschinenbauindustrie war während der ersten drei Planjahre häufig durch auseinanderstrebende Prozesse geprägt. Einerseits war ein rascher Übergang zur Produktion moderner Maschinen geplant, um damit die technische Neuausrüstung anderer Industriezweige vollziehen zu können. So soll die Herstellung automatischer Fertigungsstraßen und Maschinen, Automationsmittel, telemechanischer, elektronischer Präzisionsinstrumente erhöht werden. Der allgemeine Maschinenmangel ist aber in der Sowjetunion so groß, daß der Drude der Wirtschafts-und Plan-behörden auf Erfüllung der laufenden Lieferverpflichtungen zwangsläufig zum Entstehen neuer Engpässe und Mißverhältnisse führt. Mitte 1961 waren 22 Prozent der Walzstrecken in der Schwarzmetallurgie noch vor der Revolution erbaut worden. In der gesamten Industrie beträgt der Anteil der metallschneidenden Werkzeugmaschinen mit einem Alter von über 20 Jahren 21, 6 Prozent, in der Automobil-industrie 30, 6 Prozent, im Transportmaschinenbau 26, 4 Prozent. Die Schmiedepressenausrüstungen gleichen Alters Prozent. Die Schmiedepressenausrüstungen gleichen Alters verteilten sich wie folgt: in der gesamten Industrie 22, 9 Prozent, in der Automobilindustrie 3, 5 Prozent, in der elektrotechnischen Industrie 25, 2 Prozent 3). Die sowjetische Industrie wird in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein, die alte Ausrüstung vollständig durch moderne zu ersetzen. Daher legen die Kommunistenführer und Wirtschaftsplaner den Akzent auf Rekonstruktion und Modernisierung der vorhandenen Ausrüstung. Darüber hin-aus benötigen die Tausende von neuerstellten Betrieben eine beträchtliche Menge von Maschinen.

Zwar hat die Landmaschinenindustrie eine stetige Zunahme der Traktorenproduktion aufzuweisen (1959 — 213 500 Stüde, in 15 PS-Maschinen umgerechnet — 422 700; 1960 — entsprechend 238 500 und 479 300; 1961 — 264 000 Stück), doch traten bei anderen Landmaschinen große Produktionsstockungen auf: 4)

Zunächst war zu vermuten, daß diese Produktionsverringerung in erster Linie auf die Umstellung auf moderne Typen zurüdezuführen sei. Auf dem Märzplenum des ZK der KPdSU von 1962 gab jedoch Chruschtschow eine F e h 1 k a 1-k u 1 a t i o n als Ursache zu. Anfangs des Siebenjahrplanes war nämlich eine Produktionsumstellung mancher Maschinenfabriken zu Ungunsten der Landmaschinen beschlossen worden 5). Der größte Engpaß, und zwar die Produktion von Ersatzteilen, konnte auch in den ersten drei Planjahren nicht behoben werden.

Besonders schlecht ist es zur Zeit um die Herstellungvon Ausrüstungen für die chemische Industrie bestellt. Der Mangel auf diesem Gebiet macht sich besonders unangenehm bemerkbar, da die übrigen Voraussetzungen für die rasche Entwicklung gegeben wäden. W. S. Fedorow, Vorsitzender des Staats-komitees für Chemie beim Ministerrat der UdSSR, erklärte auf dem Märzplenum: „Die Produktion von Ausrüstungen befindet sich gegenüber dem Bedarf der chemischen Industrie in ersstem Rückstand ... Einige Maschinenfabriken liefern Ausrüstungen von geringer Qualität, infolgedessen muß bei Montage und Inbetriebnahme sehr viel Zeit für die Abstellung von Mängeln aufgewendet werden.“ Stark spürbar wird das vor allem bei der Düngemittelherstellung und der Verarbeitung von Plasten.

Ein Sonderkapitel bilden die Lieferungen der Maschinenfabriken an die Bau-industrie. Der diesbezügliche Bedarf wurde in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes durchschnittlich zwischen 50 und 70% gedeckt. Die Bau-Montagearbeiten haben 1960 gegenüber 1955 um 95% zugenommen, der Maschinenpark hingegen nur um 49 % — kein Wunder also, daß der Anteil der schwersten manuellen Arbeit dort 70% beträgt. Der Maschinenbedarf der mit Straßenbau und -reparatur beschäftigten Betriebe war 1960 nur zu 30 bis 35% gedeckt

In der chemischen Industrie zeichnet sich, wie bereits erwähnt, infolge der verstärkten Erdöl und -gasförderung ein rascher Aufstieg der Petrochemie und der Herstellung von Plasten ab. Der Produktionszuwachs bei Kunstharzen und plastischen Massen betrug 1959 und 1960 je 13%, 1961 22 %, 1962 soll er 51 % erreichen. Übrigens steht dieser in der Sowjetunion noch ziemlich junge Industriezweig im Zeichen großer Angespanntheit. Da ein Übergang zu neuartigen Rohstoffen eines der Symptome der technischen Revolution ist, nimmt der Bedarf an Plasten und Kunstharzen enorm zu. In der Maschinenbauindustrie soll er 1965 zehnmal so groß sein wie 1960, in der elektrotechnischen Industrie das Dreifache betragen, in der Baustoffindustrie das Sechsfache, in der Landwirtschaft das Fünffache und in der Lebensmittelindustrie das Zehnfache In der chemischen Industrie soll der Produktionsanteil der traditionellen Erzeugnisse wie Mineralsäuren und Kalierzeugnisse zugunsten neuer Zweige der organischen Synthese wie Plasten und Kunst-fasern zurückgehen — gewisse Erfolge seien in dieser Richtung bereits zu verzeichnen. Den ernstesten Engpaß in der chemischen Industrie bildet die Kunstdüngererzeugung, die während des Siebenjahrplanes VOn 12 auf 35 Millionen Tonnen steigen soll. Innerhalb der ersten drei Jahre kam jedoch nur ein Zuwachs um 2, 9 Millionen Tonnen zustande, was sich ungünstig auf die Landwirtschaft auswirkt

In der Elektroenergiewirtschaft wat bereits 1959 eine starke Produktionskonzentration vorhanden, indem 70 % der gesamten Elektroenergie schon damals in Kraftwerken mit einer Kapazität von 100 000 und mehr Kilowatt produziert wurden. Trotzdem sind auch in diesem Zweig Strukturveränderungen notwendig, und zwar in Form einer Verringerung der Zahl kleiner Elektrokraftwerke. Was das vom Standpunkt der Rentabilität bedeutet, ist aus folgenden Angaben zu ersehen. 1961 umfaßte das Bedienungspersonal in großen und mittleren Elektrokraftwerken (über 12 000 kW Kapazität) 75 000 Personen, während die kleineren Kraftwerke 700 000 benötigten! Der Volkswirtschaft erwuchs daraus ein Verlust von 800 Millionen Rubel jährlich. Trotz Übererfüllung des Elektroenergieplansolls sind in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes keine bedeutenden Erfolge in der Strukturänderung erreicht worden. Hervorhebenswert sind hingegen die Maßnahmen der Sowjetbehörden zum Ausbau der technischen Basis für die Strom-erzeugung. Chruschtschow berichtete auf dem XXII. Parteitag: . Es wurden Dampf-und Wasserturbinen mit einer Kapazität von 200 000 bis 225 000 kWh gebaut, Turbinen mit einer Kapazität bis zu 500 000 kW werden entwickelt; es wurden die größten Verbundnetze der Welt geschaffen und eine Hochspannungsleitung mit 500 kW gebaut." 1961 produzierte die Sowjetunion 327 Milliarden kWh Elektroenergie.

Die Leicht-und Lebensmittelindustrie hat in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes keine wesentliche Vorwärtsentwicklung aufzuweisen

Zwischen 1929 und 1940 betrug die Differenz zwischen Gruppe A und B, d. h. Schwer-und Leichtindustrie, 70 °/o; sie schrumpfte später ständig bis auf 20— 30 % — ein Verhältnis, das auch für die ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes typisch war. Andererseits aber machten sich erste Anzeichen für eine verstärkte Umstellung der Schwerindustrie auf Produktionsmittel für die Leichtindustrie bemerkbar. Ihre Bedeutung ist vorläufig aus zwei Gründen gering, da erstens das Ausmaß nicht groß ist, und es sich zweitens um den bisher rückständigsten Zweig der Schwerindustrie handelt. 1959 wurden beispielsweise an die Textilindustrie dreimal soviele Spinnmaschinen und doppelt soviele Webstühle als 1958 geliefert; 1960 und 1961 wurden weitere 900 000 neue Spinnmaschinen und 17 000 Webstühle zur Verfügung gestellt. Während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes wuchs die Kapazität der Schuhfabriken um 48 Millionen Paar, die der Zuckerfabriken auf die Mehrverarbeitung von 1, 5 Millionen Doppelzentner Rüben je 24 Stunden. 1959 bis 1961 war der durchschnittliche jährliche Kapazitätszuwachs der Zuckerindustrie zweieinhalb-mal so groß wie 195 8. Aus einigen sowjetischen Quellen ergibt sich aber, daß erst im vierten Jahr des Siebenjahrplanes eine verstärkte Umstellung der Schwerindustrie zugunsten der Herstellung von Produktionsmitteln für die Leichtindustrie zu erwarten ist 1962 erhöhen sich die Mittel für die Leichtindustrie gegenüber dem Vorjahr um 33, 5%, die Produktion von Konsumgütern soll sich um 6, 6% vergrößern.

Die Übererfüllung der Industriepläne in den fraglichen Jahren darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Hauptaufgaben des Siebenjahrplanes — qualitative Veränderungen in der Industrie — noch nicht erzielt worden sind.

2. Bauwesen

Traktorenproduktion

Dem Bauwesen ist im Siebenjahrplan eine besonders verantwortungsvolle Rolle zugedacht. Tausende von neuen Betrieben sollen entstehen, beträchtliche Kapitalinvestitionen sind für die Erweiterung des Wohnungsbaus vorgesehen, im gesamten Siebenjahrplan soll eine Gesamt-wohnfläche von 650— 660 Millionen qm oder ca. 15 Millionen neue Wohnungen erstellt werden. Offiziell wurde die Erfüllung der Jahres-pläne 1959 bis 1961 mit folgenden Angaben belegt: 1959 und 1960 wurden jeweils über 1000 und 1961 über 800 größere staatliche Industriebetriebe erbaut. Folgende neuerstellte Großbetriebe verdienen besondere Erwähnung: die Metallwerke in Karaganda und Kuibyschew, die Aufbereitungskombinate in Nowo Kriwoj-Rog und das Zentralkombinat in Kriwoj-Rog, die Kombinate in Sokolow-Sarbaj und das Zweite Südliche; die Erdölverarbeitungswerke in Rjasan, Irkutsk und Fergana; die Kunstfaserfabriken in Rjasan, Kursk und Engels; Reifen-werke in Krasnojarsk und Baku; das Zellulose-Papier-Kombinat in Krasnojarsk; die Wärme-kraftwerke Trortsk und das Baltische Kraftwerk; das Wolga-Wasserkraftwerk als größtes der Welt, ferner die Wasserkraftwerke Krementschuj, Buchtarma und Kaunas. Der Welt größter Hochofen wurde in einem Betrieb in Kriwoj-Rog, große Walzstraßen wurden im Kombinat Magnitogorsk und im Iljitsch-Werk in Shdanow erbaut. Während der ersten zwei Planjahre, 1959 und 1960, wurden 109, 3 Millionen qm Wohnfläche erstellt”).

An dieser Stelle sollen nicht die Erfolge des sowjetischen Bauwesens auf anderen Gebieten aufgezählt werden. Wichtig ist zu betonen, daß die Jahrespläne für Bau-Montage-Arbeiten weder 1959, 1960 noch 1961 erfüllt wurden. Die hochgespannten Aufgaben für das Bauwesen haben bereits in den ersten drei Planjahren eine bedrohliche Krise ausgelöst, die Chruschtschow auf dem XXII. Parteitag der KPdSU mit folgenden Worten schilderte: „Im Lande gibt es heute über 100 000 Baustellen, von denen die Hälfte für Produktionszwecke bestimmt ist. Beim gleichzeitigen Bau einer so riesigen Anzahl von Objekten werden die materiellen und finanziellen Ressourcen zersplittert und viele Produktionsstätten 2— 3 Jahre später in Betrieb genommen als es die technischen Möglichkeiten gestatten. Die ausgegebenen Mittel liegen lange Zeit fest, werden nicht in den Wirtschaftskreislauf einbezogen und dem Staate nicht ersetzt." Die Gründe, die der Parteichef für die Zersplitterung der Kapitalinvestitionen nannte, liegen in erster Linie in den bürokratischen Praktiken der Planungsbehörden und Bauorganisationen. „Offenbar muß man dazu übergehen, eine gewisse Zeit, sagen wir ein Jahr lang, keine neuen Industriebauten zu beginnen, sondern alle Mittel, die in diesem Zeitraum akkumuliert werden, für die schnellstmögliche Beendigung der bereits begonnenen Objekte zu verwenden. Ausnahmen können nur für besonders wichtige Bauvorhaben und obligatorisch auf Beschluß der Unionsregierung gestattet werden." Für einen westlichen Leser ist die gegenwärtige Situation im sowjetischen Bauwesen wenig verständlich, da sie ein Produkt der bürokratischen Planung und dadurch auch der völlig verzerrten Praxis ist. Es läßt sich schlechthin keine Parallele zu den Zuständen im Westen ziehen. Ende 1961 erreichte die Krise im Bauwesen einen Grad, der die Gefahr der Nichterfüllung einer ganzen Reihe wichtiger und für den Erfolg des Siebenjahrplanes sogar entscheidender Objekte offenkundig werden ließ. 101 200 im Jahre 1959 begonnene Bauten waren Anfang 1960 noch unvollendet. Berücksichtigt man auch andere Bauten, die nicht mit Staatsmitteln finanziert wurden, so befanden sich Anfang 1960 insgesamt ca. 400 000 Objekte im Bau. Zur gleichen Zeit betrug die jährliche Durchschnittszahl der Bau-Montage-Arbeiter etwas über 4, 5 Millionen. Demnach entfielen auf ein Bauvorhaben etwa 10 Personen! Die Zersplitterung der finanziellen Mittel möge folgendes Beispiel beleuchten: Während die Kapitalinvestitionen für den Bau von Objekten der Erdöl-und -gasindustrie 1960 um 11 % wuchsen, erreichten die unvollendeten Bauten jedoch 21 %; in der Maschinenbauindustrie entsprechend 18 und 25 %, in der chemischen Industrie 35 und 54 % und in der Holz-und Papierindustrie 3 und 22 %

Bereits vor dem XXII. Parteitag wurde die Krise im Bauwesen auf den Parteitagen in vierzehn Unionsrepubliken schonungslos enthüllt. In der Belorussischen SSR betrug beispielsweise der Wert der unvollendeten Bauten am 1. Januar 1959 262, am 1. Januar 1960 290 und am 1. Januar 1961 332 Millionen Rubel. In der Kasachischen SSR erreichten die unvollendeten Bauten am 1. Januar 1961 einen Wert von 1, 1 Milliarden Rubel f 63% der Investitionen von 1960). Infolge der jetzt als „staatsfeindlich" bezeichneten Praktik der Baubehörden und Plantingsapparate wurde eine Situation geschaffen, welche die sowjetische Führungsspitze zu einer Reihe drastischer Maßnahmen auf dem Bausektor veranlaßte. Am 7. Oktober 1961 wurde ein Beschluß des ZK der KPdSU und des Ministerrates der UdSSR gefaßt, der von Anfang 1962 an ein neues Panungs-und Organisationssystem im Bauwesen festlegte. Die Rechte der unteren Behörden wurden dabei wesentlich beschnitten, Betriebsbauten im Wert von über zweieinhalb Millionen Rubel müssen jetzt vom Ministerrat der UdSSR speziell genehmigt werden. Die „Strojbank“ kann mit der Finanzierung erst beginnen, wenn die festgesetzten Vorarbeiten für das geplante Projekt abgeschlossen sind. Bauvorhaben ist abgeändert, bei Bauten im Wert von über 50 Millionen Rubel geht sie in die Kompetenz des Staatsbaukomitees beim Ministerrat der'UdSSR und zwischen zweieinhalb und 50 Millionen Rubel in die des jeweiligen republikanischen Staatsbaukomitees bzw.der Ministerien der UdSSR über. Die Begutachtung von Objekten für über 50 Millionen Rubel bedarf der Bestätigung durch den Ministerrat der UdSSR, die übrigen der des Ministerrates der betreffenden Unionsrepublik. Ferner wurden die für das Bauwesen zuständigen Abteilungen des GOS-Planes reorganisiert

Das Eingreifen der Partei-und Staatsapparate war Ende 1961 von alarmierenden Kommentaren begleitet. Alles bestätigt nochmals, daß man Angaben über die Erfüllung von soundsoviel Bauten, die in offiziellen Dokumenten gemacht werden, nur als die eine Seite der Angelegenheit betrachten darf. Mit dem Funktionieren des Bauwesens kann bestenfalls vom Jahre 1962 an gerechnet werden. Die Ergebnisse des sowjetischen Bauwesens lagen in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes etwas unter den Kennziffern. Das Wichtigste aber ist, daß sie trotz der völlig bürokratischen Handhabung des Bau-wesens erreicht wurden und daß ein Umbruch auf diesem Sektor nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist. Der angekündigte Baustopp (für 1962 wurden nur 476 wichtige Neubauten genehmigt) und die erwähnten anderen Maßnahmen zur Reform des Bauwesens berechtigten zur Annahme, daß das Jahr 1961 die Grenze bildete, wo noch gewisse Erfolge auf dem Bausektor auf der alten Basis möglich waren.

Von verschiedenen, für die gegenwärtige Lage im sowjetischen Bauwesen wichtigen Einzelheiten soll nur auf einige besonders charakteristische hingewiesen werden. Infolge des bürokratischen Durcheinanders auf diesem Sektor bestehen Tausende von Betrieben, die nicht rechtzeitig mit Maschinen und Ausrüstungen versorgt werden. Andererseits aber liegen wertvolle Maschinen, Geräte und andere Ausrüstungen monate-und oft jahrelang ungenutzt herum. Nach Angaben der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der UdSSR gab es am 1. Mai 1961 solche ungenutzten Ausrüstungen für 2, 47 Milliarden Rubel, darunter Ausrüstungen für 345 Millionen Rubel, die als überflüssig bezeichnet werden. Diese Nichteinschaltung ist weitgehend durch Störungen in den Bau-Montage-Arbeiten bedingt. So erhielt beispielsweise das im Bau befindliche Kunstfaserkombinat in Balakowo, Volkswirtschaftsrat Saratow, Ausrüstungen für 18, 5 Millionen Rubel, von denen durch das Versagen der Bauorganisation bis Mitte 1961 nur solche i 5 Millionen Rubel, von denen durch das Versagen der Bauorganisation bis Mitte 1961 nur solche im Wert von 3, 7 Millionen Rubel eingebaut werden konnten 15). Solche Fälle, die laufend aus allen Landesteilen gemeldet werden, werden besonders von der sowjetischen Fachpresse behandelt. Die Maschinen, die in vielen Fällen gegen Devisen aus dem Ausland importiert wurden, sind nicht nur „totes Kapital", sondern erleiden häufig Werteinbußen durch unsachgemäße Lagerung.

Ein anderes Merkmal, Folge des bürokratischen Durcheinanders im Bauwesen, ist eine automatische Verteuerung der Bauarbeiten. So wurden z. B. 1960 die festgelegten Kostenanschläge beim Bau einiger Schächte im Donezbecken um etwa 40’/o überschritten, beim Bau von 96 Objekten der Leichtindustrie um 39 °/o. Ähnliche Kostenüberschreitungen sind aus den verschiedensten Industriezweigen bekannt 16). Diese Verteuerung ist teilweise auch durch Mängel bei den Projektierungsarbeiten zu erklären. Entscheidend scheinen aber die Mängel in der Organisation des Bauwesens zu sein, u. a. auch die unzulängliche technische Ausrüstung, der hohe Anteil der manuellen Arbeit, und schließlich die Fluktuation der Arbeitskräfte, die in diesem Zweig in der Sowjetunion am größten ist.

3. Landwirtschaft

Entwicklung der Leicht- und Lebensmittelindustrie

Die ungleiche Entwicklung der Industrie und Landwirtschaft war eines der schwerwiegendsten Mißverhältnisse in der sowjetischen Volkswirtschaft. Auf dem Septemberplenum von 1953 machte Chruschtschow darauf aufmerksam, daß sich die Industrieproduktion zwischen 1940 und 1952 auf das 2, 3fache, die Landwirtschaftserzeugung hingegen nur um 10°/o erhöhten. Seit dieser Zeit datieren verschiedene Maßnahmen in der Sowjetunion für die Wiederherstellung gesunder Proportionen zwischen beiden Zweigen. Inwieweit sich die Situation inzwischen geändert hat, zeigen folgende Ziffern: Die Gesamtindustrieproduktionvergrößerte sich gegenüber 1940 auf das 5, 2fache, die Landwirtschaftsproduktion um 59°/o. Von einer umwälzenden Wendung kann demnach noch keine Rede sein. Den Abschluß der Aufwärtsentwicklung in der Landwirtschaft seit 1953 bildete das Jahr 1958, was aus nachstehender Tabelle über den Kornertrag ersichtlich ist:

Diese negative Entwicklung in der Kornwirtschaft wird dadurch bekräftigt, daß in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes die Anbaufläche in der Sowjetunion stetig erweitert wurde. 1959 betrug sie 196, 3, 1960 203, 6 und 1961 204, 6 Millionen Hektar. Auf die Anbaufläche von Kornkulturen entfielen davon 1959 119, 7, 1960 121, 7 und 1961 128, 3 Millionen ha. Das bestätigt also, daß trotz sehr starker extensiver Maßnahmen in der Kornwirtschaft ein echter Erfolg ausblieb. Im folgenden Zeitabschnitt vergrößerte sich die Maisanbaufläche von 22, 4 Millionen ha 1959 auf 28, 2 Millionen ha 1960 und sank 1961 wieder auf 25, 7 Millionen ha.

Die Berichte des Märzplenums des ZK der KPdSU von 1962, das ausschließlich Landwirtschaftsfragen gewidmet war, vermitteln am besten die Landwirtschaftsbilanz des Jahres 1961 und illustrieren die hier bestehende Situation nach den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes. In seinem Referat informierte Chruschtschow über folgende Differenz zwischen Plan und tatsächlich Erreichtem 17):

Im Jahre 1961 liegen die Ergebnisse bei Korn um eine Mrd. Pud, bei Fleisch um 3 Mill, t und bei Milch um ca. 16 Mill, t unter den Plankennziffern.

Das Märzplenum gab zwar ein Bild von der Lage in allen Unionsrepubliken, doch wollen wir uns nachstehend auf drei Republiken beschränken, die für die gesamtsowjetische Landwirtschaft entscheidend sind. In der Russischen SFSR sollte der Kornertrag 5, 3 Mrd. Pud erreichen, geerntet wurden jedoch nur 4, 6 Mrd. Pud; für die Fleischproduktion lauten die Ziffern 6, 2 und 4, 5 Mill, t, für die Milcherzeugung 43, 4 und 34, 5 Mill. t. Diese Republik, die eine Hauptlieferantin von Fleisch für die gesamte UdSSR und für den Export sein sollte, mußte 1961 sogar aus anderen Landesteilen 309 000 t Fleisch und 639 000 t Milchprodukte einführen, um damit den dringendsten Eigenbedarf zu decken. In der Ukrainischen SSR wurde nach zwei Jahren des Mißerfolges 1961 der Plan für die Kornproduktion erfüllt, während die Fleisch-und Milcherzeugung weiterhin unter den Planziffern des Siebenjahrplanes lag. Eine besonders ernste Lage herrscht in der Kasachischen SSR, deren gesamte Landwirtschaftsentwicklung sich stark im Rückstand befindet. 1961 wurden statt der geplanten 1, 3 Mrd. Pud nur 900 Mill. Pud Korn erreicht, statt 700 000 t nur 600000 t Fleisch, 2, 6 statt 2, 9 Mill, t Milch 18).

Eine ähnlich bedrohliche Situation zeichnete sich in der Viehwirtschaft während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes ab. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl, die 1916 über ein Drittel weniger betrug als 1961, ist die Viehwirtschaft auf dem gleichen Stand geblieben, wie nachstehende Aufstellung zeigt Während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes zeichnete sich keine bedeutende Verbesserung des Viehbestandes der Kolchosen und Sowchosen und anderer staatlicher Wirtschaftsformen ab. Während 1959 von 74, 1 Mill. Stüde Großvieh 47, 4 Mill, im Besitz von Sowchosen und Kolchosen waren, befanden sich 1961 von 81, 9 Mill. Stüde Großvieh 58, 2 Mill, auf dem „sozialistischen Sektor“. Bei Kühen lautete dieses Verhältnis 1959 33, 9 zu 16, 3 Mill. Stüde, 1961 36, 3 zu 1 Mill. Stüde; bei Schweinen 1959 33, 3 zu 17, 1 Mill. Stüde, 1961 66, 4 zu 49, 2 Mill. Stück; bei Schafen und Ziegen 1959 136, 1 zu 105, 7 Mill. Stüde, 1961 144, 1 zu 109, 0 Mill. Stück. Wir sehen also, daß bei Rindern und Kühen eine geringe Zunahme des Bestandes auf dem nicht-privaten Sektor zu verzeichnen ist; auffallend ist eine Vergrößerung der Schweinezucht, hingegen ist die Zunahme von Schafen und Ziegen auf dem „sozialistischen Sektor“ gering. Das bedeutet also, daß derPrivatsektorin derFleisch-und Milchversorgung der UdSSR weiterhin eine wichtige R o 11 e spielt. Unter größten Anstrengungen wurden die Proportionen zugunsten des „sozialistischen Sektors“ neben der Schweinezucht auch in der Geflügel-zucht verändert.

Die Staatserfassungen weisen während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes bei Korn und anderen Feldfrüchten eine stetige Steigerung auf 20):

Diese Angaben reichen jedoch nicht aus, um ein klares Bild der staatlichen Reserven an Korn und anderen Feldfrüchten zu vermitteln. Der Anteil der Staatsgüter an den Erfassungen von Landwirtschaftsprodukten ist sehr hoch, andererseits ist aber bekannt, daß eine beträchtliche Anzahl von Staatsgüternunrentabel ist und von den Staats-reserven finanziert werden muß. So war in der Ukraine, einer der führenden Landwirt-

schaftsrepubliken der UdSSR, 1961 ein Drittel der Sowchosen unrentabel und deren Defizit erreichte allein im fraglichen Jahr 36 Millionen Rubel Auch die Dotationen aus Staatsfonds an verschiedene Gebiete, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden sind, erschöpfen die Staatsreserven in jedem Jahr weitgehend. 1961 war der gesamte transkaukasische Raum infolge anhaltender Dürre auf Zuweisungen aus Staasmitteln angewiesen. Was die Staatserfassungen von Viehwirtschaftser-Zeugnissen anbelangt, so war 1959 und 1960 bei Fleisch und anderen Produkten eine gewisse Erhöhung festzustellen; 1961 stiegen die Erfassungen fast bei allen Produkten, mit Ausnahme von Fleisch. Während des Märzplenums bestätigte Chruschtschow, daß daraufhin „in einigen Städten Stockungen in der laufenden Fleischversorgung bestehen und die Bevölkerung gewisse Schwierigkeiten durchzumachen hat“

Eine Analyse der Kornerfassungen in den Unionsrepubliken bestätigt, aus welchen Quellen die sowjetische Regierung im Jahre 1961 die Kornerfassungen gegenüber dem Vorjahr um 5, 4 Millonen t zu erhöhen vermochte. Aus dem Bericht der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der Ukrainischen SSR ergibt sich, daß die Staatserfassungen aus dieser Republik von 5, 8 Mill, t 1960 auf 12, 8 Mill, t 1961 erhöht wurden. Das bedeutet, daß die Ukraine als einzige Republik 1961 mehr Korn abgeliefert hat (7 Mill, t) a 1 s die Zuwachsrate derErfassu n g en für die gesamte Sowjetunion betrug. So sehen wir, von welchen unstabilen Quellen die gesamten sowjetischen Getreidestaatsreserven abhängig sind

Im Mittelpunkt der Schwierigkeiten in der sowjetischen Landwirtschaft steht das Gebiet von Kasachstan, insbesondere die Neulandgebiete. Chruschtschow und seine Anhänger werden bis heute nicht müde zu betonen, daß die Erschließung von Neuland und Bebauung von Brachland in Kasachstan und Mittelasien als erfolgreicher Schritt zu bezeichnen ist. Während die Neulandgebiete 1953 1 Milliarde 386 Millonen Pud Korn ernteten, waren es zwischen 1956 und 1960 im Jahresdurchschnitt 3 Milliarden 363 Millionen Pud. Obgleich daraus eine Verallgemeinerung hervorgeht, die offensichtlich eine inkonstante, von den klimatischen Verhältnissen des jeweiligen Jahres weitgehend abhängige Entwicklung tarnen soll, ist d er N u tzen für die gesamte Kornbilanz beträchtlich. Chruschtschow betont stets, daß sich alle staatlichen Investitionen im Neuland inzwischen ausgezahlt und Gewinn erbracht hätten. Die Neulandgebiete, die sich vorwiegend auf Staatsgüter stützen, liefern zur Zeit 40° 0 aller Getreideerfassungen Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß sich die Hoffnungen, mit Hilfe des Neulandexperiments eine grundlegende und stabile Besserung der sowjetischen Kornbilanz zu erreichen, als trügerisch erwiesen.

Während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes waren die Neulandgebiete Kasachstans nicht in der Lage, ihre Landwirtschaft in Einklang mit den Plankennziffem zu bringen. Eine ständige Senkung des Kornertrages bei gleichzeitiger Vergrößerung der Anbaufläche ist für die fraglichen Jahre typisch

Auf dem Märzplenum 1962 wurden die Ursachen für die Mißerfolge in der Landwirtschaft von N. S. Chruschtschow und Kommunistenführern aus Kasachstan und den dortigen Neulandgebieten bekanntgegeben. Unter Drude der maximalistisehen Pläne, mit dem Ziel, die Kornbilanz der Sowjetunion möglichst rasch durch das Neuland-experiment zu bessern, wurde in diesen Neuland-gebieten jahrelang fast ausschließlich Weizen und andere Getreidesorten angebaut. Außerdem wurden von Anbginn die unerläßlichen agrartechnischen Maßnahmen versäumt, was zu beschleunigter Erosion und zur Verunkrautung ganzer Landstriche führte. Eine Folge davon war, daß der Hektarertrag an Korn im Neuland 1961 ca. 6, 6 Doppelzentner betrug. Es scheint, daß erst vom Jahr 1962 an in den Neulandgebieten ein Übergang zur Gemischtwirtschaft stattfindet, gepaart mit Versuchen, diese Wandlung durch intensive Methoden zu festigen.

In den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes kam eine offene Krise im gesamten Baumwollanbau zustande. Aus der Tabelle über die Staatserfassungen ist die Stagnation bzw. ein kleiner Rückschritt zu ersehen. Aber auch in diesem Fall werden die Ziffern der tatsächlichen inzwischen in allen Baumwollanbaugebieten herrschenden Lage nicht voll gerecht. Nach den Äußerungen Chruschtschows auf einer Konferenz von Landwirtschaftsfunktionären der baumwollanbauenden Republiken Mittelasiens, Aserbeidschans und der Südgebiete Kasachstans im November 1961 in Taschkent ergibt sich folgende Situation: In den fünf Jahren 1956 bis 1960 wuchs die durchschnittliche Jahrespruduktion an Baumwolle gegenüber den fünf Jahren 1949 bis 1953 wie folgt;

Usbekische SSR um 32’/o Kasachische SSR um 35% um 33% Tadschikische SSR Aserbeidschanische SSR um 19% Turkmenische SSR um 31% Kirgisische SSR um 18%.

Gleichzeitig gab Chruschtschow bekannt, daß es sich hierbei nur um die Gesamtproduktion handle, die Erhöhung jedoch auf eine Erweiterung der Anbaufläche zurückgehe, nicht aber auf eine Steigerung des Hektarertrages. In Turkmenien z. B. haben die Kolchosen und Sowchosen 1958 20, 5, 1959 17, 6, 1960 16, 3 und 1961 14, 6 Doppelzentner Rohbaumwolle je ha geerntet. 1958 betrug die Baumwollanbaufläche Turkmeniens 188 000 ha und der Gesamtertrag belief sich auf 384 000 t, 1961 erreichte die Anbaufläche eine Ausdehnung von 243 000 ha, geerntet wurden (bis 15. Nov. 1961) jedoch nur 348 000 t. Bei einer Vergrößerung der Anbaufläche um 55 000 ha ist der Ernteertrag folglich sogar gesunken. 1958 hatten 14°/der Kolchosen dieser Republik einen Ernteertrag unter 15 Doppelzentner je ha, 1960 waren es bereits mehr als 30°/o der Kollektivwirtschaften In anderen Republiken ist die Lage nicht minder prekär. Es fehlen also gleich den anderen Landwirtschaftszweigen Anzeichen, daß der Baumwollanbau für die nächsten Jahre Besserungschancen hat.

Um der Objektivität willen muß zugegeben werden, daß sich die Parteiführung während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes außerordentlich intensiv um Besserung der Landwirtschaftssituation bemühte. Zwei erweiterte Plenarsitzungen des ZK der KPdSU (Dezember 1959 und Januar 1961) wie auch eine ganze Reihe von verschiedendsten Veranstaltungen in Republiken, deren Zahl in die Hunderte geht, dienten diesem Zweck. Die erste Reform der Landwirtschaftsleitung wurde auf dem Januar-plenum von 1961 beschlossen. Ein grundlegender Schritt auf diesem Sektor wurde jedoch erst auf dem Märzplenum von 1962 in Form der Einsetzung neuer Organe der Landwirtschaftsleitung (Landwirtschaftskomitees und Produktionsverwaltungen) unternommen. Das beweist, daß die KPdSU und ihre Führung den Ernst der Lage in der Landwirtschaft voll und ganz erkannt haben. Es bleibt nur offen, inwieweit sich die beschlossenen Maßnahmen als zweckmäßig erweisen werden.

Die Dokumente über die Landwirtschaftsentwicklung in den Jahren 1959 bis 1961 ermöglichen eine genauere Beleuchtung der Ursachen der gegenwärtigen Mißstände in der Landwirtschaft. Einmal bestätigen die sowjetischen Quellen aus dieser Zeit Ursachen, die bisher entweder verschwiegen oder nur angedeutet wurden; ferner bilden sie einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis des gesamten Problemkomplexes Siebenjahrplan.

Der Sinn der Zwangskollektivierung Stalins war nicht nur der strukturelle Umbruch der Besitz-verhältnisse auf dem Lande, sondern ein Über-gang zu industriellen Produktionsmethoden in der Landwirtschaft. Während des Märzplenums von 1962 wurde eindeutig bestätigt, daß die unzulängliche Mechanisierung die Achillesferse der sowjetischen Landwirtschaft ist. Den Mangel an Maschinen zur fristgerechten Bewältigung der wichtigsten Arbeiten schilderte Chruschtschow anhand folgender Tabelle

Ein Vergleich mit der technischen Landwirt-Schaftsausrüstung der Bundesrepublik: Sie verfügt zur Zeit über 900 000 Traktoren für eine Nutzfläche von etwas über 14, 2 Mill, ha, darunter über 8, 5 Mill, ha Anbaufläche — so entfällt ein Traktor auf je 9, 5 ha Anbaufläche. In der Sowjetunion waren zum 1. Dezember 1961 1 122 000 Traktoren für eine Nutzfläche von 515, 4 Mill, ha und eine Anbaufläche von 204 Mill, ha vorhanden; ein Traktor hat demnach 182 ha Anbaufläche zu bestellen. Das Fazit lautet also, daß die Bundesrepublik 19mal so gut wie die Sowjetunion mit Traktoren versorgt ist. Der gegenwärtige Kurs der KPdSU zur intensiveren Auswertung des vorhandenen Maschinenparks ist dadurch gefährdet, daß ein Teil der von den MTS übernommenen Landmaschinen wegen schlechter Wartung und Mangel an Ersatzteilen nicht eingesetzt werden kann. Am Beispiel der folgenden Zahlenangaben, die von der Statistischen Hauptverwaltung veröffentlicht wurden, ergibt sich der große Unterschied zwischen Statistik und Wirklichkeit: Zwischen 1954 und 1960 wurden 156 000 Silokombines geliefert, am 31. Januar 1962 konnten davon nur noch 121000 eingesetzt werden; Traktorensämaschinen entsprechend 1 13 5 000 und 947 000; Traktorenkultivatoren 920 000 und 245 000; Traktorenpflüge 892 000 und 784 000 Das sind die Folgen der Versuche, die Landwirtschaft auf bürokratische Weise zu „industrialisieren".

Das Versagen der chemischen In-du s t r i e bei Düngemittel-und Pflanzenschutzmittellieferungen wurde bereits erwähnt, ein abgerundetes Bild jedoch noch nicht geschaffen. Die sowjetischen Quellen geben heute ganz offen zu, daß viele für die unrentablen kleinen Landwirtschaften typische Charakteristika noch bis heute im sowjetischen Kolchos-und Sowchossystem bestehen. Dazu gehört u. a.der Saisoncharakter der Landarbeiten, der besonders für die Fluktuation der Mechanisatorenkader ausschlaggebend ist.

Als weitere wichtige Ursache der Mißerfolge wird die falsche Anbauflächenstruktur genannt. Sie ist eine Folge des Trawopolnaja-Systems des sowjetischen Agrarwissenschaftlers Williams, das von Stalin als obligatorisches Modell für den Fruchtwechsel zwischen Korn-und Graskulturen eingeführt wurde.

Chruschtschow und seine Gefolgsleute fordern jetzt eine Saatfolge von Korn-, Hack-und Hülsenfruchtkulturen. 1961 waren in der Sowjetunion 47, 6 Mill, ha mit geringproduktiven Kulturen, Gras und Hafer bebaut. Durch die Verbesserung der Anbauflächenstruktur soll in der Kornwirtschaft bereits 1962 ein beträchtlicher Sprung nach vorn erreicht werden. In der Ukraine war der Ernteerfolg des Jahres 1961 fast ausschließlich auf eine radikale Verbesserung der Anbauflächenstruktur zurückzuführen. Es ergeben sich jedoch viele, bisher ungelöste Fragen. Der jetzt geschmähte Grasanbau ist für die sowjetische Viehwirtschaft nach wie vor als Grünfutter-und Heubasis wichtig. Werden keine radikalen Maßnahmen zu einer Steigerung der Menge von Silofutter und Konzentraten getroffen, so kann die neue Fruchtwechseltheorie, die jetzt zum Dogma erhoben zu werden scheint, di: Lage in der Viehwirtschaft nur komplizieren. Einige sowjetische Experten machen außerdem darauf aufmerksam, daß die Erweiterung der Hackfruchtkulturen automatisch eine stärkere Mechanisierung der Landwirtschaftsarbeiten verlangt, während doch die Landmaschinen-industrie nicht in der Lage ist, diese Forderungen zu erfüllen Stalin förderte das Trawopolnaja-System nach Chruschtschows Erklärung vor dem Märzplenum 1962 deshalb, weil bei der Anwendung dieses Systems de facto sich die Notwendigkeit einer Chemisierung der Landwirtschaft erübrigt, da die Bodenfruchtbarkeit angeblich gerade durch den Fruchtwechsel mit Gras auf organische Weise gesichert war, was teilweise wissenschaftlich bestätigt ist. Der Bruch mit dem Trawopolnaja-System, ohne daß die genügende Versorgung der Landwirtschaft mit Düngemitteln gesichert war, war Ende 1961 ein zusätzlich belastendes Problem.

Von vielen anderen charakteristischen Merkmalen der sowjetischen Landwirtschaft soll das Fehlen der elementarsten Rentabilitätsprinzipien hervorgehoben werden, das sich in uneinheitlichen Erfolgen der Wirtschaften gleicher Zonen äußert. Nur ein Beispiel von tausenden aus der sowjetischen Presse: Die Belorussische SSR hat 5, 5 Mill, ha Nutzfläche und verkaufte dem Staat 1961 15, 7 Mill. Pud Getreide. Das Gebiet Tschernigow in der Ukrain. SSR, das die gleichen Klima-und Bodenverhältnisse hat, lieferte dem Staat bei 1 325 000 ha Nutzfläche 18, 9 Mill. Pud Getreide Besonders anormale Relationen bestehen zwischen den Gestehungskosten von Landwirtschaftserzeugnissen in gleichen Zonen und Republiken. Diese Frage kam auf den Parteitagen der kommunistischen Parteien der Unionsrepubliken im Januar und Februar 1960 zum Ausdruck. Auf dem XIII. Parteitag der KP Tadschikistan wurde bekannt, daß der Fleischertrag je 100 ha Nutzfläche in der gleichen Gegend zwischen 11 und 27 Doppelzentnern und bei Milch zwischen 11 und 74 Doppelzentnern be-trug. Im Rayon West-Pamir betrugen diese Unterschiede zwischen 4 und 128 Doppelzentnern, bei Milch zwischen 7 bis 431 Doppelzentnern je 100 ha Nutzfläche. Die Gestehungskosten für einen Doppelzentner Rindfleisch schwanken in Usbekistan zwischen 602 und 100 Rubel. Bei Schweinefleisch ist die Spanne noch größer: in einem Gebiet 78, 3, in einem anderen 250 Rubel (umgerechnet auf neue Währung).

Angesichts dessen scheint der Erfolg der Bemühungen Chruschtschows und seiner Anhänger kläglich, das materielle Interesse der Kolchosund Sowchosarbeiter an der Hebung der Landwirtschaftsproduktion zu erhöhen. Wenn auf diesem Sektor etwas Sinnvolles geschehen ist, so nur der Versuch, in den Kolchosen ein Barentlohnungssystem einzuführen. Dieses Experiment konnte sich nicht gänzlich durchsetzen, weil ein Teil der finanziell schwachen Kolchosen nicht in der Lage war, eine geregelte monatliche Entlohnung durchzuführen. Auch der Handel versagte, indem er die Wünsche und Ansprüche der Kolchosarbeiter nicht zu befriedigen vermochte. Einigen Angaben zufolge versuchen die finanzstarken Kolchosen die Barentlohnung fortzusetzen. So haben 17% der Moldauischen Kolchosen dieses System beibehalten Seine Vorteile liegen darin, daß ein Kolchosarbeiter feste Vorstellungen hat, wieviel er für entsprechende Arbeiten verdienen kann, was direkt zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität führt. Ferner haben alle diese Versuche zur Ankurbelung des materiellen Interesses in Kolchosen und Sowchosen die Frage wirtschaftlich durchdachter Arbeitsnormen und entsprechender Tarife aufgeworfen. In den ersten drei Jahren des Sieben-jahrplanes hatte das alles keine praktische Bedeutung für Kolchos-, Sowchosarbeiter und Landwirtschaftsspezialisten. Das Bewußtsein, daß dieses Problem in naher Zukunft auf vernünftige Weise gelöst werden muß und daß die sozialen Probleme der Kolchosarbeiter sich nicht mehr zurückdrängen lassen, erwachte in diesem Zeitabschnitt.

Die Lage in der Landwirtschaft hat nicht nur für die Ernährung der Bevölkerung und die Rohstofflieferung für die Industrie, sondern auch für den Stand der Arbeitsreserven bedrohliche Folgen. Bei der Aufstellung des Siebenjahrplanes haben die sowjetischen Kommunistenführer die intensiven Faktoren zur Entwicklung der Industrieproduktion zu optimistisch eingeschätzt. In den fraglichen drei Jahren hat sich herausgestellt, daß extensive Faktoren — nicht nur bei der Verwirklichung neuer Projekte, sondern auch bei der Erhöhung der Produktion in vorhandenen Betrieben — eine wichtige Rolle spielen. Infolge der Modernisierung der Betriebe kam es häufig zu einer Freistellung von Arbeitskräften; de r B ed arf an neuen A rbeitskräften war jedoch viel größer. Die sowjetische Landwirtschaft wurde als großes Arbeitskräftereservoir betrachtet, doch die Mißstände auf diesem Sektor hemmen die erhoffte Abwanderung von Landarbeitern in die Industrie. Millionen Menschen sind unrationell in Kolchosen und Sowchosen eingesetzt und ein Großteil der Landbevölkerung wird weiterhin von den privaten Nebenwirtschaften absorbiert. Die Lage in der Landwirtschaft wirkt sich also folgenschwer auf die gesamte Volkswirtschaft aus.

4 Die Kader des Siebenjahrplanes

Kornertrag

Die Schulreform von 1958 war die wichtigste vorbereitende Maßnahme der KPdSU für die Lösung des Kaderproblems des Siebenjahrplans. Auch auf dem Sektor der mittel-und hochqualifizierten Kader bestand in der Sowjet-union infolge der bürokratischen Entartung des gesamten Systems ein großer Unterschied zwischen der immer größeren Zahl der ausgebildeten mittel-und hochqualifizierten Kader und der Art und Weise ihrer Verteilung in der Volkswirtschaft wie auch der Organisation der Ausbildung unter dem Aspekt des volkswirtschaftlichen Bedarfs. Aus verschiedenen sowjetischen Dokumenten ist wohlbekannt, daß sich nur eine ganz kleine Zahl von Spezialisten in der Produktion konzentrierte, während die Mehrzahl von ihnen von den bürokratischen Apparaten aufgesogen wurde. Verhängnisvoll aber war das zahlenmäßige Mißverhältnis der Ausbildung für einzelne Berufssparten. Während die Zahl der Ingenieure und Techniker für -weige wie Maschinenbau, Bauwesen, Mechanisierung der Landwirtschaft ungenügend war und im Jahre 1954 nur 22— 24, 8 % des Bedarfes deckte, betrug die Zahl der Spezialisten für Ge-schichte, Biologie und andere Zweige mehrere Hunderte von Prozenten Noch dazu stand die ganze Ausbildung technischer Kader vor einer schwierigen Frage: Einerseits muß die bisher praktizierte Superspezialisierung beseitigt und zu einer Ausbildung breiten Profils übergegangen werden, zum anderen entstehen auf Grund der raschen Entwicklung von Technik und Wissenschaft bis jetzt völlig unbekannte Fächer, für die entsprechende Spezialisten ausgebildet werden müssen. In der westlichen Welt wurde die Schulreform von 1958 etwas abschätzig beurteilt. Indessen bildete sie einen der ernsteren Versuche der Sowjetführung, an einem der neuralgischen Punkte der Etappe des technischen Fortschritts und der Automation die Bedingungen für eine optimale Entwicklung zu schaffen.

Im allgemeinen ist festzustellen, daß die Einführung des Produktionsunterrichts in der Grundschulbildung am wenigsten erfolgreich war. Nach zahlreichen Berichten Ende 1961 ergibt sich, daß die Wandlung in einigen Republiken bei den Grund-und Mittelschulen weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Hingegen 32 sind die Erfolge bei der Ausbildung von mittel-und hochqualifizierten Kadern an mittleren Fachschulen und Hochschulen beachtlich. Der Übergang zum Produktionsunterricht bildete das Kernproblem der Schulreform. In den technischen Fachschulen und Universitäten bedeutete das eine Verlagerung der Akzente auf Ausbildungsformen wie Abend-und Fernkurse. Während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes stellte sich heraus, daß das Niveau der theoretischen Ausbildung der Spezialisten in Abend-und Femkursen wesentlich niedriger ist als in Tageskursen. Ferner brechen in den Abendkursen der Hochschulen 20— 25 % der Gesamtzahl, in Fernkursen der Hochschulen 20— 30%, bei Tageskursen jedoch nur 10% aller Studenten ihre Ausbildung ab Dennoch ist man in der Sowjetunion entschlossen, die Ausbildung in Abend-und Fernkursen weiterhin mit allen Mitteln zu forcieren. In Tageskursen an Hochschulen betrug 1958 die Zahl der Studenten 54, 2 % der Gesamtzahl, 1960 verringerte sie sich auf 48, 2 %; in Abendkursen an Hochschulen hingegen wuchs sie im gleichen Zeitraum von 7 auf 10, 2% und bei Fernkursen von 38, 8 auf 41, 5 %. In mittleren Fachschulen waren es in Tageskursen 1958 60%, 1960 54%; in Abendkursen 16, 1 und 18%, in Fernkursen 23, 9 und 29, 9 %

Selbstverständlich wäre es falsch daraus den Schluß zu ziehen, daß diese Veränderung schon umwälzend sei; die gegen den Tageskurs gerichtete Tendenz ist aber schon klar erkennbar. Der Prozentsatz der Tageskursabsolventen überwog 1960 bei hoch-und mittelqualifizierten Spezialisten, er betrug in Hochschulen 66, 5 % und bei mittleren Fachschulen sogar 72 %. Das bedeutet also, daß größere Veränderungen im Sinne der Schulreform bei den mittel-und hochqualifizierten Kadern frühestens in der Zukunft zu erwarten sind. Die ungelösten organisatorischen Probleme widerspiegeln sich in der merkwürdigen Hauptrichtung der Ausbildung von Studenten in Abend-und Femkursen: die Zahl der Spezialisten für pädagogische, ökonomische, juristische usw. Fächer war während der ersten beiden Jahre des Siebenjahrplanes, und höchstwahrscheinlich auch im dritten, viel höher als für technische und landwirtschaftliche Fächer. Bei den mittleren Fachschulen war die Lage ungleich günstiger Eine andere Einzelheit der Reform der Ausbildung mittel-und hochqualifizierter technischer Kader während der fraglichen drei Jahre darf nicht übersehen werden, und zwar das ungelöste Problem der Werks-praxis. Auch der Beschluß des Ministerrates der UdSSR vom 18. Sept. 1959 über die Reform der Stipendienerteilung, nach dem Betriebe, Sowchosen und Kolchosen eigene Stipendiaten an Hochschulen entsenden durften, führte 1960 und 1961 zu keinen nennenswerten Veränderungen. Während die Zahl der Stipendiaten von Industriebetrieben an Hochschulen und mittleren war, war die Zahl der Stipendiaten der Sowchosen und Kolchosen sehr gering, wie auf den Parteitagen der Unionsrepubliken im September 1961 offiziell mehrfach bestätigt wurde. Die Reform war nicht nur zur finaziellen Entlastung des Staates gedacht, sondern auch als Hebel für eine organischere Verteilung der Kaderausbildung — sein Funktionieren machte sich jedoch noch nicht bemerkbar.

Eine zweite Gruppe von Problemen bezüglich der Ausbildung der technischen Kader des Siebenjahrplanes betrifft die Erhöhung der Qualifikationen der Arbeiter. Aus verschiedenen sowjetischen Quellen ergibt sich, daß die berufstechnische Massenausbildung der Arbeiter schon in den drei ersten Jahren des Siebenjahrplanes im Zeichen beachtlicher Umwandlungsprozesse stand. Mit Hilfe aller möglichen Ausbildungsformen, auch unter starker Einspannung der Gewerkschaftsorganisationen, gelang es in der Sowjetunion, einen Enthusiasmus für die Aneignung neuer Kenntnisse zu wecken. Die Parole lautet, daß die Arbeiter zu Berufen breiten Profils übergehen und zusätzliche Berufe erlernen sollen. Nach offiziellen Angaben hatten zwei Drittel der sowjetischen Arbeiter Ende 1961 zusätzliche Berufe, deren Index auf 314 reduziert worden ist (früher waren es einige Tausend). Die technische Massenausbildung ist in der UdSSR ein schwerwiegendes Problem, weil der Prozentsatz der manuellen Arbeit infolge der bereits erwähnten Mißstände Ende 1961 noch sehr hoch war, d. h. fast 50% (in der Maschinenbau-und metallbearbeitenden Industrie 40 % und in der Kohleindustrie 54 %) betrug Das bedeutet, daß Millionen von Arbeitern rasch umgeschult werden müssen, da schon die kleinste % und in der Kohleindustrie 54 %) betrug 36). Das bedeutet, daß Millionen von Arbeitern rasch umgeschult werden müssen, da schon die kleinste Modernisierung von Betrieben eine Freistellung von Arbeitskräften mit sich bringt. Die sowjetische Presse bestätigt laufend, daß es in ganzen Sparten der Volkswirtschaft an der erforderlichen Anzahl hoch-und mittelqualifizierter Kader mangelt und daß diese Frage in den ersten drei Jahren des Siebenjahresplanes nicht gelöst wurde.

Andererseits aber ist darauf hinzuweisen, daß das gesamte System der Kaderausbildung, d. h. nicht nur der hoch-und mittelqualifizierten, sondern auch technischen Massenausbildung, eindeutig im Zeichen einer positiven Entwicklung steht. Das begünstigt eine rasche Verjüngung der technischen Kader; die Zahl der jungen Ingenieure und Techniker in Betrieben und in verschiedenen Spitzenpositionen ist in ständiger Erhöhung begriffen, die Veteranen verlassen sogar die Posten der Werksdirektoren. Im Volkswirtschaftsrat Moskau-Gebiet waren 1961 20% der Direktoren kürzer als ein Jahr auf ihrem Posten, 30% 1 bis 3 Jahre, 16% 3— 5 Jahre; im Volkswirtschaftsrat Moskau-Stadt 13% kürzer als ein Jahr, die zweite Kategorie betrug 23 % und die dritte 14, 5 % 37).

5. Verstärkte Einschaltung der Wissenschaft

Planabweichung

Die geschilderten Mißstände und bürokratischen Verdrehungen in einzelnen Wirtschaftszweigen stützen sich ausschließlich auf sowjetische Quellen. Das bedeutet also, daß in der UdSSR heute, weitgehend anders als zu Lebzeiten Stalins, die Mißstände öffentlich diskutiert werden und weist darauf hin, daß die sowjetische Führung dringend nach Wegen zu ihrer Überwindung sucht. Der Gedanke, die Wissenschaft solle in Automation auf möglichst breiter Basis in die der Etappe des technischen Fortschritts und der Lösung verschiedener Probleme eingeschaltet werden, setzt sich in der Sowjetunion immer mehr durch. Während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes sind auf diesem Sektor beachtliche Schritte unternommen worden. Ohne einige allgemeine Erwähnungen wäre das Bild der Entwicklung im fraglichen Zeitraum nicht vollständig. Allerdings begann sich die neue Entwicklung auf dem Sektor der Wissenschaft erst 1960 bzw. 1961 abzuzeichnen, und praktische Folgen sind erst in den nächsten Jahren zu erwarten — mit Ausnahme von Veränderungen in der Planung, wo der neue Kurs schon bis zu gewissem Grade sichtbar ist.

Im April 1961 erfolgte eine Reform der Wissenschaftsleitung. Durch Beschluß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR wurde das Wissenschaftlich-technische Staatskomitee des Ministerrates der UdSSR durch ein Staatskomitee für die Koordinierung wissenschaftlicher Forschungsarbeiten beim Ministerrat der UdSSR ersetzt 38). In den Händen dieses neuen Apparates, der nicht nur in der gesamten Struktur der Staatsapparate eine führende Stellung einnimmt, sondern auch über beachtliche Mittel verfügt, soll die gesamtstaatliche Kontrolle der Erfüllung der wissenschaftlichen Forschungen und Durchführung der Maßnahmen zur raschen Einführung der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in die Wirtschaft liegen. Das Komitee ist für die Ausarbeitung von Vorschlägen für die Lösung der wichtigsten Wissenschaftsprobleme und für die Aufstellung der Jahres-und Perspektivpläne für die Entwicklung der Wissenschaft zuständig. Im gleichen Monat erfolgte eine wichtige Reform der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Dieses Gremium ist von den bisherigen, wie sich erwies, fehlerhaften Versuchen entlastet, seine Tätigkeit mit der Bewältigung der täglichen Probleme zu koppeln. Der gesamte Apparat der Akademie der Wissenschaften der UdSSR soll sich jetzt auf die Lösung der wissenschaftlichen Zentralprobleme konzentrieren. Alle diese Maßnahmen waren vom Bekenntnis der sowjetischen Kommunistenführer zur neuen Einstellung gegenüber der Wissenschaft begleitet. Auf der Unionskonferenz der Wissenschaftler im Juni 1961 erklärte der Präsident der Akademie der Wissenschaften der UdSSR M. W. Keldysch: „Die Wissenschaft ist zu einem der wichtigsten Faktoren in der Entwicklung des Sowjetstaates geworden." 39) Mehrfach demonstrierte auch Chruschtschow mit seiner ganzen Autorität die neue Position der Wissenschaft, etwa im Stile von: „Die Wissenschaft ist unser Kompaß Menschen zu organisieren und sich nach diesem Kompaß orientiert vorwärtszubewegen, das ist unser Weg zum Sieg.“ 40) Während der erwähnten Unionskonferenz der Wissenschaftler war der Erste stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, A. N. Kossygin, der Hauptsprecher der Partei im Sinne des neuen Kurses. Er betonte besonders nachdrücklich, daß ein Übergang zur Perspektivplanung in der Sowjetunion die Wissenschaft auf ein bisher unbekanntes Piedestal erhebe — besonders „die Wirtschaftsforschungen sollen eng mit der Planung verbunden sein. Noch mehr — wir sind der Meinung, daß die ökonomischen Forschungen vor der Planung stehen sollen.“ Der Sowjetstaat stellt große finanzielle Mittel für die Förderung der Wissenschaft zur Verfügung. Während diese 1950 874 Mill. Rubel betrugen, erreichten sie 1960 3360 und 1961 3800 Mill. Rubel

Für die gesamte Wirtschaftsentwicklung haben die Vorgänge in der Wirtschaftstheorie und -planung während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes besondere Bedeutung. An dieser Stelle können wir nicht einmal die wichtigsten Ereignisse auf diesem Sektor registrieren, wir wollen nur darauf hinweisen, daß es 1954 in sowjetischen Quellen hieß, Kybernetik sei eine „kapitalistische Pseudowissenschaft“, während heute klar ist, daß die sowjetischen Sputniks und Erfolge in der Raumforschung ohne diese Wissenschaft unmöglich wären. Der rasche Aufstieg von Wirtschaftssystematik und Elektronenrechentechnik gehört zu den charakteristischsten Merkmalen nicht nur der Entwicklung der Wissenschaft in der Sowjetunion, sondern der sowjetischen Gesellschaft überhaupt. Es entstehen immer neue, sehr oft mit modernsten Elektronenrechenmaschinen ausgestattete, Wissenschaftszentren. Das Wichtigste aber ist, daß man mit mehr oder minder großem Erfolg die Tätigkeit dieser Institutionen und Wissenschaftszweige mit praktischen Aufgaben des Wirtschaftsaufbaus zu koppeln trachtet. Der Versuch, die sowjetische Planung dem bisherigen Voluntarismus zu entreißen und auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, ist eine ernste Angelegenheit, die bereits weitgehend realisiert wird. Den größten Hemmschuh für die Einschaltung der Wissenschaft in die Wirtschaft bilden die verheerenden Zustände auf dem Sektor der Informationen — eine Erbschaft des bürokratischen Herrschaftssystems, dessen tiefe Spuren in der sowjetischen Gesellschaft noch auf viele Jahre hinaus unverwischbar sein werden. Es zeichnet sich gegenwärtig aber eine klare Hinwendung zur Echtheit der Statistik ab. Angesichts dessen erfolgten zwei wesentliche Aktionen, und zwar eine Massensäuberung von Betrügern und „Schönfärbern“, die im ersten Halbjahr 1961 abrollte, ferner eine Reform der Statistischen Hauptverwaltung, die von Bemühungen um Modernisierung der gesamten statisti-schen Arbeit begleitet war.

Zu den wichtigsten Folgen der Verwandlung der Wirtschaftstheorie in eine exakte Wissenschaft und Erweiterung der Anwendung mathe-matischer Methoden zur Lösung verschiedener Aufgaben gehören Reformen der Planungsorganisation und Wirtschaftsleitung. Darunter fällt auch die Reform der großen Wirtschaftsrayons und die Berufung der Räte für Koordinierung und Planung in diesen 17 Verwaltungsbezirken.

Die neue Entwicklung in der Wirtschaftstheorie führte dazu, daß sich das Rentabilitätsdenken, mannigfaltigen Widerständen zum Trotz, mit jedem Tag stärker durchsetzt. Die Entwicklung ist, wie bereits gesagt, noch zu jung, um von größeren praktischen Erfolgen sprechen zu können, aber Ende 1961 war es schon klar, daß viele Götzen in der sowjetischen Wirtschaftstheorie und -praxis gestürzt waren bzw. ins Wanken gerieten. Inwieweit die Wissenschaft — ein außerideologischer Faktor — zur Lösung der verschiedenen Wirtschaftsfragen in der Sowjetunion eingeschaltet wird, davon muß das Schicksal des Siebenjahrplanes weitgehend abhängen.

6. Stand des Wettlaufes Sowjetunion — USA

Abbildung 6

Bevor ein kurzer Überblick über den Stand des Wettlaufes zwischen der UdSSR und den USA während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes gegeben wird, sollen zwei Bemerkungen vorausgeschickt werden. Als der Siebenjahrplan auf dem XXL Parteitag angekündigt wurde, haben Chruschtschow und seine Theoriker den Wettlauf zwischen der Sowjetunion und den USA „als wichtigste ökonomische Aufgabe der UdSSR“ bezeichnet. Als auf dem XXII. Parteitag der Zwanzigjahrplan beschlossen wurde, hieß es, „die Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus“ sei die „wichtigste ökonomische Aufgabe der Sowjetunion." Es ist dies natürlich nicht nur eine Akzentverlagerung, sondern auch eine offensichtliche Abwertung dessen, was auf dem XXL Parteitag und danach bezüglich des Wettlaufes gesagt worden war. Die jetzt nüchterne Einstellung zu dieser Frage bedeutet aber keinesfalls, daß der Wettlauf mit den USA aus den sowjetischen Plänen verschwindet.

Die zweite Bemerkung ist prinzipieller Natur, da sie sich nicht nur auf die Ziffern des Wettlaufes zwischen der Sowjetunion und den USA, sondern auf die sowjetische Statistik überhaupt bezieht. Letzthin ist eine klare Tendenz zur Reformierung der Statistik auszumachen. Man ist sich bewußt, daß in der Etappe des technischen Fortschritts und der Automation eine Fälschung der Daten und Informationen niemand anderem als der Sowjetunion selbst schaden kann. Trotzdem muß man bis heute viele offizielle statistische Angaben mit größtem Vorbehalt aufnehmen. In der sowjetischen Literatur sind in letzter Zeit oft Korrekturen verschiedener Angaben aus der Vergangenheit zu finden. Wenn man das bürokratische Durcheinander in der UdSSR berücksichtigt, so muß klar sein, daß echte Informationen und Daten unter den Gegebenheiten der Praxis ein äußerst schwieriges Problem darstellen. Hinzu kommen die Unterschiede in der Datenermittlung in Ost und West. Während im Westen stets die Nettoangaben über die Produktion veröffentlicht werden, operiert die sowjetische Statistik mit Bruttoziffem. Bis vor kurzem führte das zu völlig falschen Behauptungen der Sowjetunion über die Ausgangspositionen im Wettlauf zwischen der UdSSR und den USA wie auch bezüglich der erzielten Erfolge. So hat die Sowjetunion 1958 angegeben, daß sie die USA in der Gesamtmilchproduktion bereits überholt hätte, was sich auf einen Vergleich der Brutto-produktion in der SU mit der Nettoproduktion in den USA stützte. Tatsächlich brachte die Sowjetunion 1958 erst 84, 1% der USA-Milcherzeugung hervor

Der Bericht der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der UdSSR für 1961 enthält folgenden Abschnitt über den Stand des Wettlaufes zwischen beiden Ländern: „Während in der Sowjetunion die Zuwachsrate der Industrieproduktion 1961 9, 2% betrug, machte sie in den USA nur 1 % aus. Zur gleichen Zeit wuchs die Stahlproduktion in der Sowjetunion um 8 %, in den USA verringerte sie sich um 1, 7 %: die Elektroenergieerzeugung der UdSSR wuchs um 12 %, die der USA nur um 4 %; Erdöl entsprechend 12 und 2, 5 %. Das Verhältnis der wichtigsten Produktionsarten in der UdSSR und den USA charakterisiert sich durch folgende Angaben: Stahl in den USA 90, 5 Mill, t, in der UdSSR 70, 7 Mill, t oder 78% der amerikanishen Produktion; Zement entsprechend 54 und 50, 9 Mill, t oder 94 %; Baumwollstoffe 8, 4 und 5, 3 Mrd. qm oder 63 %, Wollstoffe 270 und 355 Mill, laufende Meter oder 131%; Leder-schuhe 610 und 442 Mill. Paar oder 73 %; Staubzucker (aus heimischen Rohstoffen) in den USA 3, 7 Mill, t in der UdSSR 6, 1 Mill, t oder 164% der amerikanischen Produktion. Insge-Stand samt betrug die Gesamtindustrieproduktion der UdSSR im vergangenen Jahr etwas mehr als 60% der Industrieproduktion der USA.“

Auffallend ist, daß der statistische Bericht nur einige bestimmte Zweige auswählt und sich beispielsweise über Elektroenergie, chemische Industrie, Automobilindustrie und andere, für •eine moderne Industriegesellschaft wichtige Branchen, ausschweigt. Bereits 1960 hatten sowjetische Quellen behauptet, daß die Gesamt-industrieproduktion ca. 60 % der amerikanischen betragen habe. Wenn sie jetzt „etwas mehr als 60 %“ angeben, so kann das nur bedeuten, daß der Gesamtzuwachs der Industrie ca. 1 % ausmacht.

Was die Landwirtschaft anbelangt, so müßte klar sein, daß der Wettlauf auf diesem Sektor der Sowjetunion Stagnation wenn nicht gar Rüdeschritt erbrachte. Man muß sich vor Augen halten, daß von der 180 Mill. Bevölkerung der USA nur ca. 20 Mill, in der Landwirtschaft arbeiten und mit Hilfe der modernsten industriellen Methoden in der Lage sind, nicht nur den Inlandsbedarf der USA an Landwirtschaftserzeugnissen voll und ganz zu decken, sondern auch jedes Jahr einen beträchtlichen Überschuß sicherzustellen. Gerade der Überschuß von Landwirtschaftsprodukten war 1961 für die Verringerung der Anbaufläche um 4, 5 % gegenüber 1960 in den USA ausschlaggebend. Daher ist jeglicher Vergleich bezüglich der Anbauflächen-erweiterung zwischen beiden Ländern gegenstandslos. In der Sowjetunion macht die Landbevölkerung bei einer Gesamteinwohnerzahl von 216, 1 Mill. 1961 (nach Schätzungen) 50% aus und war, wie die sowjetische Presse selbst zu-gibt, nicht imstande, den Inlandsbedarf an Landwirtschaftserzeugnissen zu decken.

Die schwierigen Aufgaben, die die UdSSR bezuzüglich der Überholung der USA zu bewältigen hat, illustrieren sich in der nachstehenden Tabelle Daß sich während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes keine entscheidenden Veränderungen zugunsten der UdSSR ergaben, ist daraus klar ersichtlich.

7. Zusammenfassung

Abbildung 7

Unser Aufgabe war es, nur die Zentralprobleme der Entwicklung der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes und noch dazu einseitig — unter dem Wirtschaftsaspekt — zu beleuchten. Vieles konnte nicht berücksichtigt, ganze Fragenkomplexe nicht einmal erwähnt werden. Dazu gehört auch die sowjetische Politik auf internationalem Sektor wie auch innerhalb der kommunistischen Weltbewegung in den Jahren 1959 bis 1961. Aus vorstehend Gesagtem ergibt sich folgendes allgemeines Bild der Lage: 1. Das sowjetische System entwickelt sich weiterhin auf rein bürokratischer Basis. Trotz der Beseitigung vieler Folgen der Stalinära blüht nach wie vor die willkürliche Administrierung, die sich im großen wie im kleinen Maßstab in einem bürokratischen Durcheinander äußert. 2. Obwohl die Pläne für die Industrieproduktion übererfüllt wurden, blieben die erwünschten strukturellen Wandlungen, mit Ausnahme der Erdöl-, Erdgas-und chemischen Industrie, aus. Die Maßnahmen zur Rationalisierung der Betriebe, Vertiefung des Rentabilitätsprinzips und zum besseren Funktionieren der gesamten Industrie blieben im Bereich der Parteiwünsche stedcen. 3. Alles, was die Landwirtschaftssituation betrifft, läßt sich nicht anders bezeichnen als mit »auf der Stelle treten". Der zwischen 1953 und 1958 erreichte wesentliche Sprung nach vorn wurde 1959 unterbrochen, und im Zeichen dieser Stockung standen alle drei ersten Jahre des Siebenjahrplanes. Abhilfemaßnahmen wurden erst auf dem Märzplenum des ZK der KPdSU von 1962 beschlossen, und die Zukunft wird erweisen, inwieweit sie Wirkungen zeitigen können. 4. Auf diesem ungünstigen Hintergrund verwandelte sich die Sowjetunion in ein Experimentierfeld im Sinne des technischen Fortschritts und der Automation. 1959 bis 1961 waren keine allzugroßen Erfolge in dieser modernen Entwicklung möglich. Mannigfaltige Enttäuschungen stellten sich ein, da sich viele vollautomatische Betriebe und neue Abteilungen als unrentabel erwiesen haben. Es zeigte sich, daß der größte Feind des technischen Fortschritts — der Dilettantismus — in der sowjetischen Theorie und Praxis noch immer einen festen Stand hat.

Andererseits darf nicht vergessen werden, daß die Wirtschaftstätigkeit der sowjetischen Kommunisten die Hauptaufgabe der Partei war und ist. Wer den Siebenjahrplan und das neue Programm der KPdSU genau studiert, der muß zu dem Schluß gelangen, daß Chruschtschow und seine Anhänger im guten Funktionieren von Technik und Wirtschaft die wirksamste Rechtfertigung ihrer politischen Herrschaft und die Voraussetzung für eine beschleunigte Expansion des Kommunismus sehen. Das bedeutet also, daß eine dynamische Entwicklung in der Sowjetunion im Zeichen des Kampfes um Verwirklichung der gestellten Wirtschaftsziele mit allen möglichen Reformen, Rückziehern und anderen Maßnahmen bevorsteht. Waren auch unsere Bemerkungen über die jüngste Entwicklung recht pessimistisch, so käme es einem Phantasieprodukt gleich, den Schluß zu ziehen, daß sich das sowjetische System am Rande des Zusammenbruchs entlangbewegt und daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu irgendwelchen „automatischen" Lösungen der Probleme unserer Epoche führen könnten, die sich aus der Tatsache ergeben, daß auf einem Viertel der Erdkugel mit einem Drittel der Weltbevölkerung eine andere Gesellschaftsordnung als im Westen besteht.

Zu den positiven Prozessen, die während der ersten drei Jahre des Siebenjahrplanes aufgetreten sind, gehört — ungeachtet der Mängel die sich in der Praxis ergeben — eine beschleunigte moderne Entwicklung im gesamten Bildungswesen. Auf diese Vorgänge hat kürzlich Bundesminister Prof. Dr. Ing. Siegfried Balice treffend und außerordentlich sachlich hingewiesen

Zweites Element der Entwicklung der fraglichen drei Jahre, das besondere Erwägung verdient, ist die Anerkennung der Bedeutung der Wissenschaft für den Wirtschaftsaufbau wie auch für die Überbrückung der vorhandenen Engpässe und Schwierigkeiten. Eine andere Frage ist, inwieweit in einem System, wo die Partei Anspruch auf die Gestaltung des gesamten Lebens erhebt, eine Einspannung der Wissenschaft als souveräner Faktor möglich ist. Diese Entwicklung verdient besonders eingehenden Verfolg. Einige wichtige Veränderungen auf ganzen Abschnitten der sowjetischen Wissenschaft wie z. B. Wirtschaftstheorie, Kybernetik und Physik machten sich bereits in den ersten drei Jahren des Siebenjahrplanes deutlich bemerkbar. Wissenschaftszentren entstehen und eine neue Generation von Wissenschaftlern wächst heran, die bei vielen Anlässen ihren Nonkonformismus demonstriert. Diese Probleme verdienen eingehende Beachtung, da es sich gerade um jene Entwicklungsfragen handelt, die letztlich über die Macht des sowjetischen Systems entscheiden werden.

Anhang

POLITIK UND ZEITGESCHICHTE AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Karl Dietrich Bracher: „Plebiszit und Machtergreifung"

Ludwig Dehio: „Deutschland und das Epochenjahr 1945"

C. V. Gross: „Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren"

Romano Guardini: „Der Glaube in unserer Zeit"

Georg Paloczi-Horvath: „Mao Tse-tung — Eine politische Biographie"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche"

(IV. Teil)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Alle statistischen Angaben stützen sich auf die Jahresberichte der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der UdSSR über die Erfüllung der Volkswirtschaftspläne Al« Unterlage dienten „Westnik statistiki* Nr. 1/1960 (Bericht für 1959), Nr. 2/1961 (Bericht über 1960) und Nr. 2/1962 (Bericht über 1961).

  2. A. Jefimow — . Probleme der Strukturwandlungen in der Industrie der UdSSR* in „Planowoje chosjajstwo“ Nr. 10/1961.

  3. Tabelle konstruiert nach dem statistischen Jahrbuch „Narodnoje chosjajstwo SSSR 1960*, S. 293, die Angaben für 1961 wurden dem Bericht der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der UdSSR für 1961 entnommen.

  4. . Prawda', 6. 3. 1962.

  5. Ebenda, 10. 3. 1962; siehe auch den Artikel seines Stellvertreters L. Kostandow in „Ekonomitscheskaja Gaseta*, 8. 1. 1962, S. 10 u. 11.

  6. Nadi „Ekonomitscheskaja Gaseta', 26 12. 1961, S. 29.

  7. Ebenda, 11. 2. 1961, S. 10.

  8. . Prawda", 6. 3. 1962.

  9. „Ekonomitscheskaja Gaseta", 26. 2 1962, S. 36.

  10. Ebenda, 15. 1. 1962, S. 28; endgültige Angaben über die 1961 erstellte Wohnfläche waren im Bericht über die Erfüllung des Staaisplanes für 1961 nicht enthalten.

  11. Nach der Rede Chruschtschows auf dem XXIL Parteitag, „Prawda", 18. 10. 1961.

  12. Nach . Ekonomitscheskaja Gaseta', 29. 1. 1962, S. 10.

  13. Genauer darüber , Stroiteinaja Gaseta", 19. 11. 1961, und „Ekonomitscheskaja Gaseta*, 18. 12. 1961, S. 6 u. 7.

  14. Ebenda.

  15. Tabelle konstruiert nach «Die UdSSR in Zahlen*, Verlag die Wirtschaft, Berlin(-Ost), 1956, S. 110; die Angaben für 1959, 1960 und 1961 nach dem jeweiligen Bericht der Statistischen Hauptverwaltung beim Ministerrat der UdSSR.

  16. Tabelle nach den drei statistischen Jahresberichten.

  17. . Sowjetskije Profsojusy* Nr. 6/März 1962, S. 4.

  18. . Prawda', 6. 3. 1962.

  19. „Radjanska Ukraina', 1. 2. 1962.

  20. „Ekonomika selskogo chosjajstwa", Nr. 3/1962, S. 14.

  21. Konstruiert aus Angaben in „Narodnoje SSSR 1960", Moskau 1961. S. 439- 441.

  22. Genauere Angaben in „Prawda Wostoka", 10. bis 18. 11. 1961.

  23. . Prawda“, 6. 3. 1962.

  24. Siehe . Woprosy ekonomiki“ Nr. 3/1962, S. 5.

  25. »Woprosy ekonomiki" Nr. 3/1962, S. 6.

  26. „Ekonomitscheskaja Gaseta", 12. 3. 1962, S. 2

  27. Ebenda, S. 3, 1962, S. 6.

  28. Genauer darüber L. A. Komarow — „Planung der Ausbildung und Verteilung der Spezialisten in der Sowjetunion" (russisch), Moskau 1961, S. 21.

  29. Ebenda, S. 31.

  30. Ebenda, S. 32.

  31. Ebenda, S. 34.

  32. "Kommunist" Nr. 3/Februar 1962, S. 14.

  33. Nach "Ekonomitscheskaja Gaseta", 2. 4. 1962.

  34. "Prawda", 15. u. 16. 6. 1961.

  35. D Gale Johnson, A. Kahan — „Soviel Agriculture. Structure and Growth" in Joint Economic Comittee, Congress of the United States: COM-PARISON OF THE UNITED STATES AND SOVIET ECONOMIES, Part I, Washington, U. S. Government Printing Office, 1959, S. 201— 237.

  36. „Narodnoje chosjajstwo SSSR 1960", Moskau 1961, S. 183 und 184.

  37. Siehe sein etwas gekürzter Vortrag vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Stuttgart in . Deutsche Zeitung’ vom 21. /22. /23. 4. 1962 — . Geplante Bildung und menschliche Freiheit".

Weitere Inhalte

Anmerkung: Borys Lewytzkyj, geb. am 19. 5. 1915 in Wien, Journalist, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Autor des Buches . Vom roten Terror zur sozialistischen Gesetzlichkeit".