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Das Sowjetrecht | APuZ 32/1962 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 32/1962 Das Sowjetrecht

Das Sowjetrecht

FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER

Vorabdruck aus dem „Handbuch des Weltkomdien smus“ (2. Auflage). Herausgeber J. M. Bo-

A. Gegenwart und Geschichte

Abbildung 1

Das sowjetische Recht ist in Theone und Praxis fortwährenden und oft radikalen Änderungen unterworfen worden. Gegenwärtig besteht, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, eine etwas liberalere Tendenz. Dabei werden die früheren Rechtsbrüche teils als „unter den historischen Bedingungen erforderlich“ gerechtfertigt, teils mit dem „Personenkult" entschuldigt. Es kennzeichnet aber das sowjetische Rechtssystem, daß bisher ausnahmslos alle seine Maßnahmen im Zeitpunkt ihrer Durchführung mit der Staatsideologie des Marxismus-Leninismus begründet wurden. Es fehlt an einer objektiven Instanz für die „richtige" Auslegung dieser Lehre — die für die Auslegung der Lehre maßgebliche Instanz deckt sich vielmehr mit dem Inhaber der politischen Gewalt, so daß ein neuer Wandel in der Rechtspolitik jederzeit möglich ist. Auch die in den Einfluß soziologischer und ökonomischer Faktoren auf die sowjetische Rechtsentwicklung gesetzten Erwartungen haben neuerdings einen Rückschlag erlitten. Vielmehr zeigt gerade die neueste Entwicklung wiederum eine starke Abhängigkeit der Rechts-politik von der Persönlichkeit des jeweiligen Machthabers. Das Wesen des sowjetischen Rechts läßt sich daher nur mit einer Darstelung alles dessen erfassen, was bisher mit der Lehre des Marxismus-Leninismus begründet worden ist.

Für das Verständnis des sowjetischen Rechts ist noch eine zweite Besonderheit zu berücksichtigen. Wenn auch die Änderungen der Theorie und Praxis im Ergebnis radikal waren, so sind doch die früheren Grundsätze nicht direkt abgelehnt worden. Die Wandlungen wurden viel-mehr sehr geschickt in Form von Akzentverschie-

ungen und kleineren Modifizierungen durch-—-----------geführt, so daß der Marxist sie vielfach gar nicht zugeben wird. Insofern schwingen in jedem Stadium der sowjetischen Rechtsentwicklung, und natürlich auch in der Gegenwart, die früheren Stadien noch mit. Auch dieser Umstand macht es unmöglich, das sowjetische Recht statisch zu betrachten und sich mit einer Darstellung des gegenwärtigen Rechtszustandes zu begnügen.

Hinzuzufügen ist noch, daß auch die sowjetische Rechtslehre selbst sich ausgesprochen genetisch begreift, so daß die gerade erst vierzigjährige sowjetische Rechtsgeschichte in allen sowjetischen Lehrbüchern mehr Raum einnimmt als die jahrhundertelange westliche in den westlichen. Aus diesen Gründen wird im folgenden Kapitel zunächst die allgemeine Entwicklung der sowjetischen Rechtstheorie und Rechtspolitik im Zusammenhang dargestellt. Erst danach werden die einzelnen Rechtsgebiete behandelt.

B. Allgemeine Rechtstheorie und Rechtspolitik

1. Marx -Engels -Lenin Nach Marx und Engels sollten Staat und Recht mit der Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat und der Umwandlung der Produktionsmittel in Staatseigentum absterben. Bei dieser immer wieder mißverstandenen These muß man sich jedoch vor Augen halten, daß Marx und Engels zuvor in die Begriffe von Staat und Recht einen ganz bestimmten, vom gewohnten Sprachgebrauch abweichenden, Gehalt hineingelegt haben, nämlich die Eigenschaft als Mittel zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere. Wenn man diese spezifische Bedeutung der Begriffe beachtet, erscheint das „Absterben“ nicht mehr als Utopie, verliert allerdings auch viel von seinem verheißungsvollen Zauber.

Hinsichtlich des Zeitpunktes dieses Absterbens wird zumeist Engels mit seinem „Anti-Dühring“ (Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft) zitiert:

„Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. ... Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt — die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft —, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen der Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem anderen überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen.

Der Staat wird nicht . abge-

schafft', er stirbt ab.“

Gegenüber diesen z. T. widersprüchlichen Formulierungen dachte Marx realistischer und konkreter. In der „Kritik des Gothaer Programms“

spricht er von einer „Periode der revolutionären Umwandlung" zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft, der eine „politische Übergangsperiode“, die „revolutionäre Diktatur des Proletariats“ entspreche. Aber nicht nur das. Innerhalb der kommunistischen Gesellschaft unterscheidet er eine „erste Phase, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht" und eine „höhere Phase". In der ersten Phase erfolge die Verteilung noch nach dem Maß der geleisteten Arbeit, nach dem Äquivalenzprinzip. Das hierfür erforderliche „gleiche Recht“ sei „stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. ... Es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.

Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehen. ... Erst dann (in einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft) kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“.

An diese Äußerungen knüpft Lenin in seiner Schrift „Staat und Revolution“ (1917) an; seine Gedanken führen im Ergebnis zu einem weiteren Aufschub des „Absterbens". Er betont die Bedeutung der Übergangsperiode der Diktatur des Proletariats. Das berühmte Zitat aus dem Anti-Dühring legt er dahingehend aus, daß sich das „Absterben“ auf den nachrevolutionären proletarischen Staat beziehe, dem erst die „Auf-hebung" des kapitalistischen Staates vorauszugehen habe. Im übrigen handele es sich bei der Diktatur des Proletariats nicht mehr um einen „Staat im eigentlichen Sinne", da nur noch die Minderheit der Ausbeuter durch die Mehrheit der Proletarier niederzuhalten sei. Auch die sog. erste Phase des Kommunismus, von der Marx immer nur als „eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgehend" spricht, wird von Lenin zu einer festen Institution ausgebaut und mit dem Namen „Sozialismus“ versehen, während nur noch die „höhere Phase“ „Kommunismus“ heißt. Das AbsterLen des Staates sei „ein Prozeß von langer Dauer". Seine Vollendung wird von Lenin auch dadurch hinausgeschoben, daß er zur Voraussetzung erklärt, daß „die Menschen sich so an das Befolgen der Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewöhnt haben werden ..., daß sie freiwillig nach ihren Fähigkeiten arbeiten werden", „die Notwendigkeit zur Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes Zusammenleben von Menschen sehr bald zur Gewohnheit werden wird", „die Menschen sich nach und nach gewöhnen werden, die elementaren, von alters her bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigten Regeln des Zusammenlebens einzuhalten, sie ohne Gewalt, ohne Zwang, ohne Unterordnung, ohne den besonderen Zwangsapparat, der sich Staat nennt, einzuhalten". 2. Die ersten Jahre der Sowjetherrschaft (sog. Kriegskommunismus)

Die Sowjetregierung ließ nach der Revolution die zaristischen Gesetze grundsätzlich bestehen, soweit diese nicht dem „revolutionären Rechtsbewußtsein“ widersprachen. Erst das Dekret „Über das Volksgericht der RSFSR“ vom 30. 11. 1918 hob die zaristischen Gesetze in toto auf und bestimmte, daß die Gerichte — wo die spärlichen Gesetze der Sowjetregierung fehlten — allein nach dem revolutionären Rechtsbewußtsein entscheiden sollten.

Der erste führende sowjetische Rechtstheoretiker, der Volkskommissar für Justiz, Stuka, definierte das Recht in dem von ihm verfaßten ersten sowjetischen Strafgesetzbuch („Leitende Grundsätze des Strafrechts der RSFSR" von 1919) als „das System (die Ordnung) der gesellschaftlichen Verhältnisse, das den Interessen der herrschenden Klasse entspricht und von deren organisierter Gewalt geschützt wird". Dieses StGB bestand nur aus einem Allgemeinen Teil; als Delikt galt jede „für das gegebene System der gesellschaftlichen Verhältnisse gefährliche Handlung". Das Absterben des Rechts strebte man dadurch an, daß die Gesetzbücher dem Richter nur „allgemeine Anweisungen“

geben sollten.

Auf Seiten der Praxis wurde diese Periode gekennzeichnet durch die schrittweise Abschaffung des Privateigentums an fast allen Produktionsmitteln und des Erbrechts sowie durch unbeschreibliche Massen-

erschießungen von Seiten der „Allrussischen Außerordentlichen Kommission beim Rat der Volkskommissare zum Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage" (abgekürzt: Tscheka).

Die Tscheka verfügte über eigene lokale Organe und über Truppenverbände. Sie besaß das Recht zur sofortigen Erschießung von politischen Gegnern, nahm aber auch massenhaft Repres-

salund Geiselerschießungen vor. 3. Die „Neue ökonomische Politik"

Diese Entwicklung wurde schon 1921/1922 abrupt abgebrochen. Der katastrophale wirtschaftliche Niedergang des Landes zwang die Regierung zur Einführung der sog. „Neuen Ökonomischen Politik“ (russ. Abkürzung: NEP).

Diese bestand in der beschränkten Wiedereinführung einer freien Wirtschaft und in der Anerkennung gewisser rechtsstaatlicher Garantien.

Den Bauern wurde der freie Verkauf eines Teils ihrer Erzeugnisse gestattet, kleine und mittlere Betriebe wurden reprivatisiert, an ausländische Großbetriebe wurden Konzessionen vergeben.

Es entstanden wieder relativ detaillierte Gesetzbücher, so ein Zivilgesetzbuch, ein Strafgesetzbuch (mit Besonderem Teil), eine Zivil-und eine Strafprozeßordnung. Erst seit 1959 hat man begonnen, diese Gesetzbücher durch neue zu ersetzen. In dieser Periode wurde auch eine sog. „revolutionäre Gesetzlichkeit“ propagiert. Bekannt ist Lenins Wort:

Es darf nicht eine Gesetzlichkeit von Kaluga und eine von Kazan geben, sondern sie muß einheitlich für Gesamtrußland und sogar einheitlich für die gesamte Föderation der Sowjetrepubliken sein" (Brief an Stalin v. 20. 5. 1922).

Daß Lenin andererseits seine frühere Einstellung gegenüber dem Recht nicht aufgegeben hatte, zeigt ein Brief, den er nur drei Tage früher an den damaligen Volkskommissiar für Justiz, Kurskij, schrieb:

„Genosse Kurskij! In Ergänzung zu unserem Gespräch übersende ich Ihnen den Entwurf zu einem ergänzenden Artikel des Strafgesetz-buches ... Der Grundgedanke ist, hoffe ich, klar .. .: es ist offen die prinzipielle und politisch wahre (und nicht nur juristisch-enge) These herauszustellen, die das Wesen und die Rechtfertigung des Terrors, seine Notwendigkeit, seine Grenzen begründet.

Das Gericht soll den Terror nicht beseitigen, ... sondern ihn prinzipiell begründen und in Gesetzesform bringen, klar, ohne Unaufrichtigkeit und ohne Beschönigung. Man muß so weit wie möglich formulieren, denn nur das revolutionäre Rechtsbewußtsein und Gewissen werden über die mehr oder minder weite Anwendung in der Praxis entscheiden" (Brief v. 17. 5. 1922). Im Westen sah man in der Einführung der NEP vielfach bereits einen Beweis für die Unmöglichkeit der Negierung des Rechts und eine Abkehr von der marxistischen Rechtstheorie. 4. Der „Rechtsnihilismus” Auch während der NEP wurde die Grundkonzeption der marxistischen Rechtstheorie nicht aufgegeben. Im Gegenteil, es entwickelte sich eine äußerst radikale Richtung, angeführt von Paschukanis (Allgemeine Rechtstheorie und Marxismus, Moskau 1924, dtsch. Übers. 1929) und dem damaligen Volkskommissar für Justiz K r y 1 e n k o.

Paschukanis sah Recht und Moral als Ausdruck der Tausch-, der Marktbeziehungen an. Sogar im Strafrecht sah er nur den Austausch von Verbrechen und Strafe. Aus dieser Auffassung folgt, daß das Recht seine höchste Entfaltung und vollkommenste Form in der bourgeoisen Gesellschaft findet, während im Sozialismus Recht und Moral absterben müssen. Die Rechtstheorie von Paschukanis geht primär vom Rechtsverhältnis und vom subjektiven Recht, nicht vom objektiven Recht, der Rechtsnorm, aus, wodurch sie für die Übergangsperiode einen gewissen liberalen Zug erhält.

Das Absterben des Rechts unter dem Sozialismus sah Paschukanis in der Ersetzung des auf der Autonomie des Subjekts beruhenden Privatrechts durch autoritäre Regelungen technisch-organisatorischen Charakters; d. h. durch die Planung. Dieses Absterben sollte nach Paschukanis schrittweise erfolgen, jedoch unmittelbar nach der Revolution beginnen. Daraus ergab sich seine Theorie des „Zweisektorenrechts“: während der Übergangszeit bestehen das sog. Wirtschaftsrecht (für die Rechtsverhältnisse unter staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen) und das Zivilrecht (für die Rechtsverhältnisse, an denen Privatpersonen beteiligt sind) nebeneinander.

Auf dem Gebiet des Strafrechts führte diese Auffassung zu der Konzeption eines reinen Sicherungs-und Besserungsrechts. Das StGB von 1926 wurde als „Strafgesetzbuch ohne Schuld und Strafe“ bezeichnet; noch weiter ging der berüchtigte StGB-Entwurf von Krylenko (1930), der nur starre Strafgrößen vorsah und überhaupt keine „Dosierung“ nach der Höhe der Schuld mehr erlaubte.

Abschluß und Höhepunkt dieser Periode bildete die Kollektivierung der Landwirtschaft, die berüchtigte „zweite Revolution“. Der Anteil der kollektivierten Saatfläche stieg von 4, 9°/0 im Jahre 1929 auf 3 3, 6°/0 (1930), 67, 8’/o (1931), 87, 4 ’/• (1934) und 99, 1% (1937). Schätzungsweise 6, 5 Millionen Bauern, sog. Kulaken, wurden von den GPU-Truppen liquidiert oder nach Sibirien deportiert; ihre Höfe wurden den gleichzeitig gebildeten Genossenschaften (Kolschosen) übergeben. Die Theorie von Paschukanis und Krylenko über das sofortige Absterben des Rechts nach der Revolution wurde von der Regierung dazu benutzt, die Kollektivierung ohne jede gesetzliche Grundlage durchzuführen und sie als „spontanen Akt" hinzustellen; die zum Schutze der Bauern aus der Zeit der NEP bestehenden Gesetze wurden nicht abgeschafft, sondern „durch den Lauf der Kolchosbewegung selbst beiseitegelegt“ (Stalin).

Eine weitere, für die Zukunft sehr bedeutsame, Maßnahme war der Übergang zur totalen Planung der Volkswirtschaft; der erste Fünfjahrplan lief am 1. 1. 1929 an. 5. Die Umwandlung der Rechtstheorie und Rechtspolitik durch Stalin Stalin hat in den Jahren 1929— 1938 die sowjetische Staats-und Rechtslehre und die Rechts-politik radikal umgewandelt.

Darüber hinaus hat Stalin die Lehre vom Absterben des Staates praktisch aufgegeben und sogar in ihr Gegenteil verkehrt. a Allgemeine Staatslehre.

Zunächst wurde das Absterben des Staates weiter hinausgeschoben dadurch, daß die Phasen des Sozialismus und Kommunismus jeweils noch in Phasen von deren Aufbau, Errichtung und deren „Sieg“ unterteilt wurden. 1926 erklärte er nur, die Gewalt könne in der Periode des Aufbaus nicht wegfallen (FdL 1955, S. 160). 1929 behauptete er in der Auseinandersetzung mit Bucharin, daß der Klassenkampf unter der Diktatur des Proletariats nicht erlösche und verschwinde, sondern noch erbitterter werde (Über die rechte Abweichung in der KPdSU (B) FdL S. 313) und daß „die Arbeiterklasse nicht jedem Staat, auch dem der Arbeiterklasse, feindlich gegenüberstehen dürfe" (FdL S. 346). Noch weitergehend ist seine Äußerung aus dem Jahre 1930: „Die höchste Entfaltung der Staatsgewalt zum Zwecke der Vorbereitung der Bedingungen für das Absterben der Staatsgewalt — das ist die marxistische Formel. Das ist , widersprüchig‘? Ja, es ist , widersprüchig‘. Doch ist dieser Widerspruch lebensmächtig, und er spiegelt durchaus die Marxsche Dialektik wider“ (Rechenschaftsbericht vor dem XVI. Parteitag).

Schließlich erklärte Stalin in seinem Rechenschaftsbericht vor dem XVIII. Parteitag 1939, daß der Staat auch unter dem Sozialismus und sogar dem Kommunismus erhalten bleiben werde, solange die „kapitalistische Umkreisung“, die. Bedrohung der UdSSR von außen, bestehe. Die Staatsfunktionen hätten sich verändert: während sie früher in der Unterdrük-kung der unterlegenen Klasse und der Verteidigung nach außen bestanden hätten, sei nach der Beseitigung der Klassengegensätze in der Sowjetunion an die Stelle der Unterdrückungs-funktion die Funktion des Schutzes des sozialistischen Eigentums vor Dieben und Plünderern getreten. Die Hauptfunktion des sozialistischen Staates bestehe aber in der wirtschaftlich-organisatorischen und kul-turell-erzieherischenArbeitder Staatsorgane, die die Entwicklung der neu: n sozilistischen Wirtschaft und die Umerziehung des Menschen im Geiste des Sozialismus bezwecke. Dieser Staatsbegriff unterscheidet sich radikal von dem Marxschen; da jener aber für die kapitalistischen Staaten weiterhin gelten soll, operiert die sowjetische Staatslehre seitdem mit einem doppelten Staatsbegriff.

Die wirtschaftlich-organisatorische und kulturell-erzieherische Arbeit des Staates steht in schroffem Widerspruch zu der Ausgangsthese des Marxismus: der völligen Abhängigkeit des Überbaus von der Basis. Diesen Gedanken hatte Stalin bereits ein Jahr zuvor in seiner Schrift „Über dialektischen und historischen Materialismus" entwickelt: Die auf einer bestimmten Basis entstandenen gesellschaftlichen Ideen, Theorien, politischen Anschauungen und Einrichtungen wirken in der Folge auf die Basis zurück und treiben deren Weiterentwicklung voran. In den sog. Briefen zur Sprachwissenschaft von 1950 baute Stalin diese Lehre weiter aus und schwächte sie zur sog. dienenden Rolle des Überbaus ab, wonach der Überbau von der Basis geschaffen wird, um ihr bei der Weiterentwicklung zu dienen. Diese Theorie verwandelte den ursprünglichen ökonomischen Determinismus in einen platten Pragmatismus: Populäre gesetzliche Maßnahmen und politische Einrichtungen, werden seitdem in der Sowjetunion mit der Entwicklung der Basis, unpopuläre mit der rückwirkenden Kraft des Überbaus begründet. Als Beispiel wählte Stalin bezeichnenderweise die Kollektivierung der Landwirtschaft, die er eine „Revolution von oben“ nannte. Die dritte große Umwandlung bestand in einem allgemeinen Übergang zu moralischen Werten wie „moralisch-politische Einheit des Sowjet-volkes“, „Vaterland", „Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens" u. ä.

Dieser Wandel wurde von Stalin — ebenfalls in dem Bericht vor dem XVIII. Parteitag 1938 — äußerst geschickt in das System des historischen Materialismus eingebaut: mit der neuen Verfassung von 1936 hatte er den Eintritt des Sozialismus in der UdSSR autoritativ verkündet. Da nach dem historischen Materialismus die Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung die Klassengegensätze sind, mußte nach 1936 die historische Entwicklung stagnieren, mußte der Übergang zum Kommunismus unmöglich sein. Als neue Triebkräfte nannte Stalin nun die erwähnten Werte. Diese Begründung ist jedoch offensichtlich nachgeschoben: schon 1934 erfolgte — um dem demoralisierten Volk wieder Ideale zu geben — in der Geschichtsschreibung der Übergang zum Nationalismus, der »Vaterlandsverrat" wurde unter Strafe gestellt, 1936 wurde das Familienrecht in reaktionärer Weise geregelt. Die Verfassung von 1936 verpflichtete die Bürger zur „Achtung der Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens", zur „Erfüllung der gesellschaftlichen Pflicht" und bezeichnete die Verteidigung des „Vaterlandes"

als „heilige Pflicht". Im Strafrecht sprach man wieder von „Schuld und Sühne", moralischer Entrüstung des Sowjetvolkes u. ä. (s. u. C II 1), im Zivilrecht versuchte man die Vorschriften über die schuldlose Haftung moralisch zu begründen (C V 5). b.

Allgemeine Rechtslehre Diese Wandlungen in der allgemeinen Staatslehre wirkten sich naturgemäß auch auf die allgemeine Rechtslehre aus.

Paschukanis übte 1930 (Die Situation an der rechtstheoretischen Front, Sovetskoe gosu-darstvo i revoljucija prava, Nr. 11— 12) und 1932 (Die Lehre vom Staat und Recht) Selbstkritik und erklärte seine Fehler mit der Übernahme der Bucharinschen Konzeption. 1936 erklärte er „alles Gerede von einem Verschwinden des Rechts unter dem Sozialismus für einfach opportunistischen Unsinn" (Sovetskoe gosudarstvo Nr. 3). Auch Krylenko verleugnete seine frühere Ansicht als Linksabwei hung (Sovetskaja justicija 1937 Nr. 16). Dieser Rückzug nützte jedoch nichts mehr. 1938 verurteilte der Staatsanwalt der UdSSR Wyschinski (der spätere Außenminister) Paschukanis und Krylenko sowie auch Stucka in äußerst scharfer Weise: sie hätten die Bucha-rinsche These vom sofortigen Absterben des Staates und Rechts vertreten und damit ein „nihilistisches Verhalten zum Sowjetrecht" gefördert; sie hätten das Recht teils auf die Politik, teils auf die Ökonomie reduziert, wodurch im ersteren Falle die individuellen Rechte der Bürger ignoriert worden seien, im letzteren Falle das Recht „seiner aktiven, schöpferischen Rolle beraubt“ worden sei. Demgegenüber behauptete Wyschinski, daß „das Recht im Sozialismus die höchste Stufe seiner Entwicklung erreicht“. Er definierte das Recht so: „Das Recht ist die Gesamtheit der Verhaltensregeln, die den Willen der herrschenden Klasse ausdrücken und auf gesetzgeberischem Wege festgelegt sind, sowie der Gebräuche urd Regeln des Gemeinschaftslebens, die von der Staatsgewalt sanktioniert sind. Die Anwendung dieser Regeln wird durch die Zwangsgewalt des Staates gewährleistet zwecks Sicherung, Festigung und Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Zustände, die der herrschenden Klasse genehm und vorteilhaft sind.“

Diese Definition galt bis in die jüngste Zeit hinein unangefochten. Den logischen Fehler der Definition, daß nämlich in der Sowjetunion seit 1936 offiziell keine feindlichen Klassen mehr existieren, versuchte Wyschinski durch das Argument zu korrigieren, daß in der Sowjetunion der Wille der Arbeiterklasse mit dem Willen des ganzen Volkes zusammenfalle. Die Definition Wyschinskis löste das Recht von der letzten Bindung, die der klassische Marxismus noch anerkannt hatte, nämlich der an die ökonomischen Verhältnisse; sie ist also rein normativistisch. Die Definition geht einseitig von dem Begriff der Norm aus und schließt das Rechts-verhältnis und das subjektive Recht aus dem Begriff des Rechts aus. Das subjektive Recht mußte zu einem bloßen Reflex des objektiven Rechts verkümmern. Beide Eigenschaften wirkten sich zuungunsten des Individuums aus. c.

Rechtspraxis Die Stärkung des Staates und die Ablehnung des Rechtsnihilismus durch Stalin hatten in der Praxis zwei völlig verschiedene Auswirkungen. aa. Rechtssicherheit Gegenüber dem Rechtsnihilismus brachte die neue Betonung der Bedeutung von Staat und Recht eine gewisse Rechtssicherheit, die freilich auch die gefährliche Demoralisierung des Volkes durch die brutale Kollektivierung erforderte. Eine Verordnung vom 25. 6. 1932 forderte allgemein die Beachtung der „revolutionären Gesetzlichkei t". Dieser Begriff, seit 1936 zur „sozialistischen Gesetzlichkeit" geworden, wurde von nun an ständig als Schlagwort verwendet und dem liberalen „Rechtsstaat" gegenübergestellt. Das „revolutionäre Rechtsbewußtsein", seit 1936 „sozialistisches Rechtsbewußt-s e i n“, bedeutete von nun ab nicht mehr wie früher Entscheidung ohne oder sogar gegen die Gesetze, sondern gerade umgekehrt genaueste Kenntnis und Befolgung der sowjetischen Gesetze . Am 7. 8. 1934 schrieb die Prawda:

„Das sowjetische Gesetz ist kein totes Dogma, sondern ein lebendiger und aktiver Ausdrude des Willens der Partei und der Regierung. Das opportunistische Gerede davon, daß wir keine Formalisten seien, die linksabweichleriscie Geringschätzung des Gesetzes, sind maskierte Versuche, die Grundlagen der revolutionären Gesetzlichkeit einzureißen. Man muß ein für allemal das verantwortungslose Geschwätz liquidieren, daß die Forderung strengster Beachtung der Sowjetgesetze nach Wesen und Form angeblich eine bürokratische Formalistik sein soll.“

Die Izvestija schrieb am 17. 3. 1937: „Die Staatsbürger der Sowjetunion müssen sich auf die Stabilität der sowjetischen Gesetze verlassen können".

In seiner Rede „Die Kader entscheiden alles!“ vom 4. 5. 1935 (im Gegensatz zu der früheren Losung „Die Technik entscheidet alles!“) hatte Stalin auch den Wert des Menschen wieder betont. In diesen Jahren erging eine Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung und Kontrolle der Macht der Behörden, so die Schaffung einer Unionsstaatsanwaltschaft (die Staatsanwaltschaft beaufsichtigt in der Sowjetunion die Verwaltungsorgane, s. u. C I 2) 1933, der Erlaß von Verordnungen über die Behandlung von Beschwerden der Bürger gegen Amtspersonen 1933, 1935 und 1936.

Die Verfassung von 1936, die sog. Stalin-Verfassung, die auch heute noch gilt, steht ganz im Zeichen von Rechtssicherheit und Schutz des Individuums. Allerdings sollte die Verfassung gleichzeitig als liberale Fassade eine außenpolitische Anbiederung der Sowjetunion bei den westlichen Demokratien vorbereiten. So enthält sie fast alle klassischen Grundrechte; sie sieht das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht und eine Funktionenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Justiz vor.

Die wichtigste Bestimmung der Verfassung war Art. 1: „Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern". Damit wurde verkündet, daß in der Sowjetunion der Sozialismus erreicht sei und die Periode des schrittweisen Übergangs zum Kommunismus beginne, daß die Klassengegensätze aufgehoben seien und nur noch die befreundeten Klassen der Arbeiter und Bauern bestünden. bb.

Terror Die These von der Verschärfung des Klassenkampfes und die Forderung nach einer Stärkung des Staates führte auf der anderen Seite zu jenem Terror, der heute vornehmlich mit dem Namen Stalins verknüpft wird. So zeigt die Stalinsche Rechtspolitik einen tiefgreifenden Dualismus. Durch Gesetz vom 7. 8. 1932 wurde für die einfache Entwendung von Staats-oder Kolchoseigentum die Todesstrafe angedroht. Das Gesetz über den Vaterlandsverrat vom 8. 6. 1934 bedrohte nicht nur den Täter selbst mit der Todesstrafe, sondern auch die von dem Vorhaben nichts wissenden Familienmitglieder mit fünfjähriger Verbannung (S i p p e n h a f ). Am 1. 12. 1934 (erweitert am 14. 9. 1937) erging die berüchtigte Lex Kirov, die die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorschrieb und Rechtsmittel, ja sogar Gnadengesuche, verbot. Am 10. 7. 1934 war dem NKWD die Befugnis zugestanden worden, „gefährliche Personen im Verwaltungswege für 5 Jahre zu verbannen. Eine Verordnung vom 7. 4. 1935 führte die volle strafrechtliche Haftung für Kinder vom 12. Lebensjahr ab ein. Ein Erlaß vom 26. 6. 1940 erklärte den nicht genehmigten Arbeitsplatzwechsel und die Verspätung bei der Arbeit für strafbar.

Seit 1936 räumte Stalin in den berüchtigten Schauprozessen seine sämtlichen politi-schen Gegner aus dem Wege:

Sinovjev, Kamenjev u. a. (August 1936); Pja-takov, Radek, Sokolnikov u. a. (Januar 1937); Marschall Tuchacevskij und 7 andere hohe Offiziere (Juni 1937); schließlich die Hauptgegner Stalins: Bucharin, Rykov u. a. (März 1938).

Parallel zu den Schauprozessen lief von 1936 bis 1938 (Ersetzung des NKWD-Chefs Jezow durch B e r i j a) die sog. Große Säuberung, „Cistka" oder auch „J e z o vsc! i n a", während der unzählige Menschen vom NKWD verhaftet wurden und ohne gerichtliches Verfahren in den Lagern verschwanden. Gerade in den Höhepunkt von Stalins Rechtssicherheitskampagne fällt also die — nach dem Wüten der Tscheka 1917— 1922 und der Kollektivierung 1929— 1932 — dritte große blutige Periode der sowjetischen Geschichte.

Im Kriege richteten sich Kollektivmaßnahmen (Deportationen, Massenvernichtungen) wegen angeblicher Kollaboration gegen ganze Völkerschaften (Wolgadeutsche, Kalmücken, Balkaren, Krimtataren, Ceceno-Ingusen.

Nah dem Kriege verliefen die Terrormaßnahmen — vermutlih infolge eines krankhaften Verfolgungswahns Stalins — immer willkürlicher und grotesker. Es erfolgten Aktionen gegen örtlihe Parteigruppen, wie die „Leningrader Affäre“ 1949, der Fall der „Mingrelischen Nationalistenorganisation“ 1950/51 u. a. 1948 begann eine Kampagne gegen die „Kosmopoliten“ und „Zionisten“, der eine Reihe jüdisher Künstler und im Jahre 1952 der gesamte Vorstand des „Sowjetish-jüdishen antifaschisti-schen Komitees“ mit Ausnahme Ilja Ehrenburgs zum Opfer fiel. Der Prozeß gegen die jüdischen Ärzte als vermutliher Auftakt zu einer neuen umfassenden Säuberung wurde nur durh Stalins Tod abgebrohen.

Bei der Begründung des Terrors bediente sih Stalin — neben dem Hinweis auf die Vershär-fung des Klassenkampfes — wiederholt des gänzlih unmarxistishen Arguments, daß die Kapitalisten „es genauso mähen“.

Telegramm vom 20. 1. 1939 an Parteisekretäre und NKWD-Dienststellen: „Das ZK der KPdSU (B) stellt klar, daß die Anwendung physischen Drucks seit 1937 auf Grund einer Genehmigung des ZK der KPdSU (B) zulässig ist ... Es ist bekannt, daß alle bourgeoisen Geheimdienste Methoden der physishen Beeinflussung gegenüber Vertretern des sozialistishen Proletariats anwenden, und zwar in der shlimmsten Art. Es erhebt sih daher die Frage, warum der sozia-listische Geheimdienst gegenüber den tollwütigen Agenten der Bourgeoisie, den Todfeinden der Arbeiterklasse und der Kolhosbauern, humaner sein soll. Das ZK der KPdSU (B) ist der Ansicht, daß physisher Druck in jenen Ausnahmefällen, in denen es sih um bekannte und unbelehrbare Volksfeinde handelt, als durchaus gerechtfertigte und angemessene Methode obligatorisch anzuwenden ist.“

Referat Stalins am 7. 1. 1933:

„Die Grundlage unseres Systems ist das gesellschaftliche Eigentum, genauso wie die Grundlage des Kapitalismus das Privateigentum. Wenn die Kapitalisten das Privateigentum als heilig und unantastbar proklamiert haben, womit sie seinerzeit eine Festigung des kapitalistischen Systems erreichten, dann müssen wir, die Kommunisten, um so eher das gesellschaftliche Eigentum als heilig und unantastbar proklamieren, um damit die neuen sozialistischen Wirtschaftsformen auf allen Gebieten der Industrie und des Handels zu festigen.“ cc. Umgestaltung der Sozialordriung Zu den Reformen Stalins gehört schließlich eine radikale Umgestaltung der Sozialordnung. 1931 verkündete Stalin die Einführung einer differenzierenden Lohnskala anstelle der früheren „Gleichmacherei“ und eine neue Haltung der „Fürsorge“ gegenüber der Intelligenz; 1935 wurden die militärischen Ränge wieder eingeführt u. ä. Die Verfassung von 1936 garantiert Eigentum und Erbrecht der Bürger an Konsumtionsmitteln. Derartige Maßnahmen nahmen in und nach dem zweiten Weltkrieg, als die Schicht der Intelligenz (Manager, Wissenshaftler, hohe Militärs) noch unentbehrlicher geworden war, noch zu. 1934 wurde die Erbschaftsteuer, die bis dahin bis zu 90 ’/o betrug, durch eine Gebühr von 10 °/o ersetzt, 1945 die Möglichkeit der testamentarischen Erbeinsetzung erweitert. Seit dem 21. 6. 1945 wurde hohen Militärs Bauland unbefristet überlassen, und zwar für Generäle und Admiräle 0, 75— 1, 25 ha, für hohe Offiziere 0, 5— 0, 75 ha. Durch Erlaß vom 26. 8. 1948 wurde diese Möglichkeit allgemein vorgesehen, wobei die Grundstücksgröße jedoch nur 0, 03 bis 0, 06 ha — auf dem Lande das Doppelte — beträgt. 1947 wurde die Strafe für Diebstahl von Privateigentum von 3 Monaten Arbeitslager oder Besserungsarbeit auf 5— 6 Jahre Arbeitslager erhöht — mehr als in jedem kapitalistischen Land. 6. Tauwetter Mit Stalins Tod am 5. 3. 1953 setzte im sowjetishen Reht eine gewaltige Liberalisierungswelle ein.

Nahdem eine Amnestie vom 27. 3. 1953 erste Erleihterung geshaffen hatte, wurde am 1. 9.

195 3 durh einen Geheimerlaß, der erst Anfang 1956 offiziell erwähnt wurde, die berühtigte So n d e r k o n f e r e nz des NKWD (seit 1946: MWD), der Nahfolger der Tsheka/GPU, aufgelöst.

Die bewährte Praxis, einzelne Sündenböcke für die dem System immanenten Perversionen verantwortlih zu mähen, führte allerdings noh einmal zu einer brutalen Anwendung der Stalinshen Methoden: NKWD-Chef Berija wurde Mitte 1953 in einer Sitzung des Parteipräsidiums ershossen; am 23. 12. 1953 wurde seine Verurteilung auf Grund eines rückwirkenden Strafgesetzes (Art. 58/13 StGB 1926: Kampf gegen die Arbeiterklasse zur Zarenzeit) nah der Lex Kirov bekanntgegeben. Weitere Prozesse und Hinrichtungen betrafen: Rjumin (Juli 1954), Abakumov u. a. (Dezember 1954), georgische NKWD-Führer (November 1955).

195 5 erging eine neue Ordnung für die staats-anwaltshaftlihe Aufsiht mit einem verstärkten Shutz des einzelnen gegenüber der Exekutive. Am 19. 4. 1956 wurde die berühtigte Lex Kirov aufgehoben, wenige Tage später, am 25. 4. 1956, folgte die Abshaffung der Strafbarkeit des eigenmähtigen Arbeitsplatzwehsels.

Gleihzeitig erfolgte eine gewisse Dezentralisierung, die durh die „Gewaltenteilung“ zwishen Zentral-und Lokalbehörden in der Regel die Freiheit des einzelnen fördert. Allerdings stehen dieser Wirkung in der Sowjetunion der sog.demokratishe Zentralismus (S. u. CI 3) und die Zentralisierung durh die Herrshaft der Partei entgegen. 1956 wurde das Unions-Justizministerium aufgelöst, das Unions-Innenministerium (MWD, vor 1946: Volkskommissariat für Inneres, NKWD) folgte 1960. 1957 erhielten die Einzel-republiken ihre frühere Kompetenz zum Erlaß der wihtigsten Gesetzbüher zurück, während der Union nur noh der Erlaß von Rahmen-gesetzen („Grundlagen“) verblieb. Derartige Grundlagen wurden am 25. 12. 1958 auf den für das Verhältnis Staat—Bürger wihtigsten Rehtsgebieten, nämlich dem Straf-, Strafverfahrens-

und Gerihtsverfassungsreht, erlassen.

Diese Gesetze enthalten eine Reihe der klassishen Garantiebestimmungen, so den Grundsatz „nulla poena sine lege“ (Abshaffung der Analogie, Verbot der Rüdewirkung von Strafgesetzen)

und das Rehtsprehungsmonopol der Gerihte, das Reht des Angeklagten auf Verteidigung und die Waffengleihheit der Parteien im Strafprozeß.

Die sowjetishe Rehtswissenshaft bewies, daß sie in den vergangenen fünfzehn Jahren niht zugrunde gegangen war, sondern nur geshwie-

gen hatte. Die rehtswissenshaftlihe Diskussion der Jahre nah 195 3 bietet ein überwältigendes Bild von der Geltungskraft der Rechts-

idee; es gibt kaum ein Prinzip des klassishen Rehtsstaates, dessen Durhführung in der Sowjetunion in diesen Jahren niht verlangt wird. Einen Gipfelpunkt erreihte diese Liberalisierungswelle nah der berühmten Geheim-rede Chruschtschows auf dem XX.

Parteitag am 25. 2. 1956, in der die Rechts-

brühe unter Stalin erstmals offiziell zugegeben wurden.

Freilih darf der Inhalt dieser Rede niht übershätzt werden. Chrushtshow wendet sih vor allem dagegen, daß alte Parteimitglieder verfolgt wurden, während er den „unversöhnlichen Kampf gegenüber den ideologishen Feinden des Marxismus“ und „radikalste Methoden gegen die tatsächlichen Klassenfeinde" begrüßt. Das Bedauern Chruschtschows ist utilitaristisch: „Es besteht jedoch kein Zweifel, daß wir in unserer Entwicklung zum Sozialismus und in unseren Verteidigungsvorbereitungen noch größere Erfolge erzielt haben könnten, wenn wir nicht durch die unbegründeten und widersinnigen Massenunterdrückungen in den Jahren 1937 bis 1938 so furchtbare Kaderverluste erlitten hätten.“

Nach dem XX. Parteitag erklärten sowjetische Juristen offen, daß das positive Recht nicht unbedingt mit dem Willen der herrschenden Klasse identisch ist. Um die Deckung zwischen beiden wiederherzustellen, forderten sie eine Berücksichtigung der ökonomischen Entwicklungsgesetze. „Weil das Recht durch die Ökonomie bedingt ist, kann es vom Gesetzgeber nicht willkürlich bestimmt werden ... Der Wille der Staatsorgane ist selbst einer gewissen Gesetzmäßigkeit untergeordnet.“ (S. F. Kecek’jan, Pravootnosenija v socialisticeskom obestve, Moskau 195 8, S. 8.) „Der sozialistische Staat kann die objektiven Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung nicht aufheben.“ (A. A. Piontkovskij, Sovetskoe gosudarstvo i pravo, 1956 I 16.)

Damit war die „Befreiung" des Rechts, die Wyschinski vorgenommen hatte, wieder rückgängig gemacht. Auch die primäre Stellung der Norm, und zwar der Befehlsnorm, in der Rechts-auffassung Wyschinskis wird abgelehnt: „Die Aufassung vom Recht als der Gesamtheit der von der herrschenden Klasse festgelegten Normen war ein Schritt vorwärts in der Entwicklung der sowjetischen Rechtswissenschaft, sie spielte eine positive Rolle im Kampf mit dem Rechtsnihilismus, half, die Aufmerksamkeit der sowjetischen Juristen auf das Studium der geltenden sowjetischen Gesetzgebung zu konzentrieren und unterstützte damit die Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Jedoch scheint uns, daß man im Interesse der weiteren Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit nicht die ihr eigenen Mängel vergessen darf: sie umfaßt nur das Recht im objektiven Sinn und umfaßt nicht das Recht im subjektiven Sinne.“ (Piontkovskij, a. a. O., S. 20.) „Wyschinskis allgemeine Einstellung zur Auffassung des sozialistischen Rechts ruft ernsthafte Einwände hervor. Es handelt sich darum, daß er bei der Definition des Wesens des sozialistischen Rechts nur , von den Verhältnissen der Herrschaft und Unterordnung, die im Recht zum Ausdruck kommen', ausging. Ein solcher einseitiger Ausgangspunkt fixierte die Aufmerksamkeit nur auf eine Seite des Rechts, nur als eines bestimmten Sollens, das vom Staat ausgeht. Bei einer solchen Rechtsauffassung mußten auch die Rechtsnormen selbst unvermeidlich unter einem einseitigen Aspekt betrachtet werden, nur als Befehlsnormen — Verbote. Dabei gerieten die . Erlaubnisnormen'aus dem Blick-seid, die in der sozialistischen Gesetzgebung eine große Entwicklung erfahren haben und die eben die subjektiven Rechte der Bürger festsetzen. Diese Rechtsauffassung stand in einem gewissen Zusammenhang mit der allgemeinen, falschen These Stalins über die Verschärfung des Klassenkampfes im Sozialismus.“ (Piontkovskij, Sovetskoe gosudarstvo i pravo, 1958 V 27.)

Dabei wird sogar die klassische Rechtsdefinition aus dem kommunistischen Manifest korrigiert: „Die allgemeine Staats-und Rechtstheorie muß die Rechtsdefinition beibehalten, die im . Manifest der Kommunistischen Partei'gegeben wurde — zum Gesetz erhobener Wille der herrschenden Klasse —, ohne ihr jedoch lediglich eine eng normative Auslegung zu geben.“ (Piontkovskij, a. a. O., S. 21; Kecek’jan, a. a. O., S. 31.)

Auch die subjektiven Rechte werden jedoch nicht mit dem Wesen des Menschen, sondern mit den ökonomischen Entwicklungsgesetzen begründet: „Wir lehnen die Theorie des Naturrechts über die angeborenen Persönlichkeitsrechte ab. Die Existenz des subjektiven Rechts ist verbunden mit der Norm des objektiven Rechts. Dabei kann jedoch die Schaffung des subjektiven Rechts entsprechend der Norm des objektiven Rechts nicht als Willkür des Gesetzgebers angesehen werden. Sie bringt die materiellen Lebensbedingungen der Gesellschaft zum Ausdruck. Die subjektiven Rechte der Bürger der sozialistischen Gesellschaft werden in Überein-stimmung mit der objektiven Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft geschaffen, wo das Wohl der Arbeiter der sozialistischen Gesellschaft oberstes Gesetz der gesamten Staatspolitik ist.“ (Piontkovskij, Sovetskoe gosudarstvo i pravo, 195 8 V 28.)

Gelegentlich wird sogar diese Schranke in Richtung auf die Anerkennung einer dem Wesen des Menschen entsprechenden Moral und Idee des Rechts übersprungen: „Es gibt also keine ewige und unveränderliche Moral. Die Moral ist historisch und konkret. In der Klassengesellschaft trägt die Moral Klassencharakter, wobei herrschend immer die Moral der herrschenden Klasse ist. Aber daneben werden mit dem Fortschreiten der Gesellschaft gewisse elementare Verhaltensregeln herausgearbeitet, die von den Moralkodexen der verschiedenen Völker und Klassen übernommen werden. In ihnen kommen nicht ein spezifisches Interesse und eine spezifische Lage der betreffenden Klasse zum Ausdruck, sondern die allgemeinen Momente der Moral der verschiedenen menschlichen Kollektive. Das Vorhandensein dieser Momente erklärt sich durch jenes Gemeinsame,das jedes mensdilidte Kollektiv von der Tierherde unterscheidet." (V. Kelle-M. Ko-val’zon, Formy obscestvennogo soznanija, Moskau 1959, S. 105 f.) 7.

Rechtstheorie und Rechtspolitik unter Chruschtschow a) Allgemeine Staats-und Rechtslehre Die Ära Chruschtschows ist durch die auf dem XX. und XXL Parteitag vollzogene Entstalinisierung gekennzeichnet. Inzwischen ist jedoch eine neuartige Rechtsentwicklung eingetreten, für die der Gegensatz Stalinismus — Liberalisierung nicht mehr zutrifft. Chruschtschows Rechtstheorie (enthalten vor allem in seiner Rede vor dem XXL Parteitag und in dem neuen Parteiprogramm der KPdSU von 1962) stellt eine eigentümliche Verbindung der vorhergehenden Stufen der sowjetischen Rechtsentwicklung untereinander und mit neuen Elementen dar.

Eine Abkehr von Stalin und eine Rückkehr zum Frühbolschewismus enthält die neue Inangriffnahme des Absterbens von Staat und Recht. Nach dem Parteiprogramm soll von 1961— 1970 „die materiell-technische Basis des Kommunismus errichtet“, von 1971— 1980 „die kommunistische Gesellschaft im wesentlichen aufgebaut“ werden. Allerdings blieb die These von der kapitalistischen Einkreisung erhalten: „Für das völlige Absterben des Staates bedarf es ... äußerer Voraussetzungen: des Sieges und der Konsolidierung des Sozialismus in der internationalen Arena.“ (Programm 2. Teil III 2 a. E.)

Aber das Absterben von Staat und Recht bedeutet nicht mehr dasselbe wie früher. Ganz „stalinistisch“ ist Chruschtschows starke Betonung der kommunistischen Moral, der Regeln des sozialistischen bzw. kommunistischen Zusammenlebens. Moral bedeutet hier nicht etwa die Autorität des Gewissens, sondern darunter versteht man alle sozialen Normen, deren Einhaltung nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft erzwungen wird (durch Ächtung, aber auch durch „Erziehungsmaßnahmen"). Das Absterben des Rechts soll nun nach Chruschtschow mit einem Anwachsen der Bedeutung dieser Moral verbunden sein; das Recht soll schließlich durch die Moral ersetzt werden. Die Moral soll insbesondere drei Verhaltensweisen erzwingen:

die Unterlassung von Verbrechen, die Einhaltung der Arbeitspflicht und die Bescheidenheit in den materiellen Bedürfnissen.

Dahinter zeigt sich ein tiefgreifender Wandel des Menschenbildes: hatte Marx geglaubt, daß die genannten Verhaltensweisen nach der Befreiung des Menschen aus den Klassengegensätzen von selbst eintreten würden, so glaubten Lenin und Stalin immerhin noch, diese Verhaltensweisen durch Erziehung herbeiführen zu können. Nunmehr hat man erkannt, daß man auf Sanktionen niemals verzichten kann, und will die Forderung nach einem Absterben nur noch durch den Abbau der staatlichen Strafen erfüllen.

Aus dieser Auffassung ergeben sich erhebliche Reduzierungen der ursprünglichen Ziele des Marxismus. Das Absterben der Kriminalität und des Strafrechts wird auf die Ersetzung der Strafen durch „Maßnahmen der gesellschaftlichen Einwirkung und Erziehung als Endergebnis reduziert (Programm 2. Teil III 1). Da als solche Maßnahme z. B. auch fünfjährige Verbannung gilt, bleibt praktisch alles beim alten, nur wird das Urteil durch Abstimmung von Bevölkerungsgruppen (Betriebsbelegschaften, Wohnblockgemeinschaften, Dörfer) gefällt. Die freiwillige Arbeit wird auf die „gesellschaftliche Anerkennung der besten Resultate“ (und damit natürlich auch auf die gesellschaftliche Verurteilung der schlechtesten Resultate) reduziert (Programm 2. Teil I 3). Der Grundsatz „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ wird dadurch eingeschränkt, daß als Bedürfnisse nicht „Launen und Ansprüche auf Luxusgegenstände", sondern nur „die gesunden Bedürfnisse eines kulturell entwickelten Menschen“ anerkannt werden (Rede vor dem XXL Parteitag). Außerdem wird dieser Grundsatz nicht mehr als Zuweisung von Gütern zu eigenem Haben und zu individuellem Verbrauch verstanden, sondern als kostenloser Sozialkonsum in Form von Kantinenverpflegung, kostenloser Benutzung von Wohnungen, Verkehrsmitteln, Touristenherbergen u. ä. Selbst die klassischen Sozialleistungen wie Invalidenfürsorge, Schulgeldfreiheit, Gewährung von Stipendien und Renten werden als Formen dieses Grundsatzes in Anspruch genommen.

Auch das Absterben des Staates wird auf eine bloße Ersetzung reduziert. Schon 1958 hatte Chruschtschow erklärt: „Die Partei hat eine viel stärkere Grundlage als die staatlichen Organe. Sie ist nicht aus irgendwelchen Verpflichtungen gesetzlichen Charakters entstanden und besteht nicht auf Grund solcher Verpflichtungen. Ihre Entwicklung ist durch Umstände hervorgerufen, die den politischen Anschauungen der Menschen, d. h.dem Bereich des moralischen Faktors entspringen. Und des moralischen Faktors wird die Menschheit stets bedürfen.“ (Prawda v. 16. 2. 195 8, dtsch. Ost-Probleme 1958, S. 320.)

Ebenso heißt es in der Parteizeitschrift: „Es ist ganz klar, daß die Kommunistische Partei viel länger bestehen bleibt als der sozialistische Staat. ... Natürlich wird auch die Partei nicht ewig existieren. Der Marxismus-Leninismus lehrt, daß die Notwendigkeit der Partei als politische Organisation entfällt, sobald sie die höhere Phase des Kommunismus errichtet hat ... Das ist jedoch eine Frage der fernen Zukunft." (Kommunist 195 8 Nr. 12, dtsch. Ost-Probleme 1958, S. 838.)

Aber selbst dann soll die Partei nicht verschwinden: »Die Partei verfügt über keine Attribute, die sie allmählich verlieren könnte, indem die Sphäre ihres Einflusses auf die Gesellschaft eingeengt wird. Deshalb trifft der Terminus , Ab-sterben'unseres Erachtens bei der Partei nicht zu. ... Der Terminus . löst sich auf scheint die Zukunft der Partei unseres Erachtens am richtigsten zu charakterisieren. Die Partei wird sich m der kommunistischen Gesellschaft auflösen.“ (Sitarev, Polit. samoobrazovanie 1960 Nr. 8, dtsch. Ost-Probleme 1960, S. 666 f.) »Der Prozeß des Absterbens der Partei als politische Organisation wird nicht die Folge einer auf das Niveau der Tätigkeit einzelner nicht organisierter Werktätiger herabgewürdigten Parteiarbeit sein, sondern er wird sich so vollziehen, daß die aktive, bewußte und organisierte Tätigkeit aller rastlos für den Kommunismus Schaffenden auf das Niveau der Parteiarbeit gehoben wird.“ (Ponomarev-Konstantinov-Andropov, Kommunist 1960 Nr. 8, dtsch. Ost-Probleme 1960, S. 425.)

Nach dem Absterben des Staates soll also die Partei bestehen bleiben, und ihre Bedeutung soll sogar steigen: der Staat soll durch die Partei ersetzt werden. In Verbindung mit der Ersetzung des Rechts durch die Moral ergibt sich daher die Gleichung: Staat und Recht sollen durch Partei und Moral ersetzt werden. Außerdem wird das Absterben des Staates auf die „Verwandlung der sozialistischen Staatlichkeit in die gesellschaftliche kommunistische Selbstverwaltung“ reduziert. Das Programm scheut sich nicht, elementare demokratische Grundsätze (Auswahl zwischen verschiedenen Wahlkandidaten, Einführung echter parlamentarischer Tätigkeit) als Anfänge der kommunistischen Selbstverwaltung auszugeben.

Im übrigen zieht Chruschtschow für den Staats-begriff die Konsequenz aus der Stalinschen These vom Verschwinden der Klassengegensätze in der UdSSR, die Wyschinski für das Recht schon 1938 gezogen hatte (s. o. 5b): Der Sowjetstaat ist keine Diktatur des Proletariats mehr, sondern „ein Staat des gesamten Volkes, ein Organ, das den Interessen und dem Willen des ganzen Volkes Ausdruck verleiht“ (Programm 2. Teil III).

Ein gewisse Zwielichtigkeit besteht in der Frage, ob der Staat schon jetzt anfängt abzusterben, oder ob er immer noch im Sinne Stalins verstärkt werden muß. 1957 hatte Chruschtschow erklärt, das Absterben sei „eigentlich schon im Gange“ Prawda vom 19. 11., dtsch. Ost-Probleme 1958, S. 318). In der Rede vor dem XXL Parteitag erklärte er dagegen ganz „stalinistisch“, die Demokratisierung stelle keine Schwächung des sozialistischen Staates, sondern eine Festigung der politischen Grundlage der sozialistischen Gesellschaft dar.

Die sowjetischen Juristen zeigen daher augenblicklich eine gewisse Ratlosigkeit. Die einen sehen die Demokratisiorung als Stärkung des Staates, als Vorbedingung für das Absterben an, andere als das Absterben selbst, wieder andere als beides zugleich: „ ... das alles bedeutet eine ständig zunehmende Festigung des sozialistischen Staates und zugleich sein Hinüberwachsen in etwas, was kein Staat mehr ist, d. h. in die allgemeine gesellschaftliche Selbstverwaltung“ (Romaskin, Sovetskoe gosudarsto i pravo 1960 Nr. 10, dtsch. Ost-Probleme 1961, S. 421).

Die These von der „Stärkung des Staates" wird von einigen sowjetischen Juristen offensichtlich dazu benutzt, gegen einen neuen „Rechtsnihilismus“ zu kämpfen (s. dazu Schroeder, Jahrb. f.

Ostrecht, 1961/1, S. 63 f.). b) Rechtspolitik Die allgemeine Staats-und Rechtslehre Chruschtschows zeigt auch in der Praxis bedeutsame Auswirkungen.

Im Staatsrecht ist eine gewisse Demokratisierung der parlamentarischen Tätigkeit eingeleitet worden (Auswahl zwischen Kandidaten und Unterrichtung über ihre persönlichen Eigenschaften und sachliche Eignung, Einführung des Volks-entscheids für die wichtigsten Gesetze u. ä.). Bei jeder Wahl soll mindestens ein Drittel der Abgeordneten der Sowjets ausgewechselt werden; die führenden Funktionäre sollen höchstens dreimal hintereinander auf denselben Posten gewählt werden dürfen. Da aber Ausnahmen möglich sind, wenn das Verbleiben des Funktionärs im Amt „auf Grund seiner persönlichen Eignung nach allgemeiner Ansicht nützlich und notwendig ist“, handelt es sich eher um eine legalisierte Säuberung, die die Bildung stabiler Fraktionen ausschließen soll.

Charakteristisch ist die starke Förderung der sog. gesellschaftlichen Organisationen (Gewerkschaften, Komsomol, halbmilitärische und Sport-verbände, Berufs-und Bildungsorganisationen, Produktionsversammlungen, Pensionärs-und Frauenräte usf.). Sie übernehmen gewisse unbedeutende Verwaltungsfunktionen, sollen als „Schule des Kommunismus" die Menschen auf die spätere Selbstverwaltung vorbereiten, vor allem aber eine soziale Kontrolle ausüben, die Einhaltung der kommunistischen Moral sichern. Dieses führt zu einer allgemein verstärkten moralischen Kontrolle über den einzelnen. Besonders bedrohlich ist die sog. gesellschaftliche Rechtspflege durch die Gesellschaftsund Betriebsgerichte, die Laienpolizeistaffeln usf. (s. u. C IV 2). Es handelt sich hier weniger — wie Chruschtschow behauptet — um eine Übergabe staatlicher Funktionen an die Gesellschaft, als vielmehr um eine zusätzliche Kontrolle, die für die Einhaltung der sozialistischen Moral sorgen und schon dem Indifferentismus mit Zwangs-und Erziehungsmaßnahmen begegnen soll.

Im neuen Strafrecht sind erhebliche Strafmilderungen nur noch für Täter vorgesehen, die sich durch „ehrliche Reue“, „ehrliche Einstellung zur Besserungsarbeit", durch die Bereitschaft zur Umerziehung durch ein Kollektiv, der moralischen Gleichschaltung unterwerfen.

Im Staatsschutzrecht fehlt nicht nur eine Liberalisierung, sondern es zeigt sich sogar noch eine Verschärfung gegenüber früher. Das neue Gesetz über Staatsverbrechen von 195 8 hat die schon früher kautschukartigen Bestimmungen noch erweitert. Inzwischen hat die Androhung der Todesstrafe eine erschreckende Ausdehnung erfahren (s. u. C II 4 a); die Zuständigkeit des Staatssicherheitsdienstes wurde ausgedehnt (Erl. v. 21. 6. 1961).

Zur „Entstalinisierung" unter Chruschtschow gehören schließlich auch soziale Nivellierungsmaßnahmen, die nicht nur die Position der unter Stalin entstandenen Neuen Klasse erschütterten, sondern auch allgemein die individuelle Freiheit erheblich beschneiden.

Die einschneidendste Maßnahme ist die Bildungsreform von 1958, die eine mehrjährige Handarbeit als Voraussetzung für das Universitätsstudium einführte. Nadi dem neuen Siebenjahrplan sollen die Spitzengehälter nur noch das Doppelte der Mindestlöhne betragen und gleichzeitig die — schon 1956 erhöhten — Mindestlöhne verdoppelt werden. 1958 wurde die persönliche Haftung der leitenden Wirtschaftler verstärkt. Durch Erlaß vom 18. 7. 1958 ist die Größe der seit 1948 zugelassenen Eigenheime auf 60 qm beschränkt worden; eine Verordnung vom 30. 12. 1960 läßt die Grundstüdeszuweisung für den Eigenbau von Landhäuschen (Datschen) nicht mehr zu.

Darüber hinaus verfolgt Chruschtschow auch allgemein eine ausgesprochene eigentums-feindlicheTendenz. Seine Auslegung des Grundsatzes „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ wurde bereits erwähnt. Sein Plan zur Schaffung sog. Agrostädte, bei denen die Bauern wie Fabrikarbeiter mit Omnibussen an ihre Arbeitsstellen gefahren werden, zielt in erster Linie auf die Abschaffung der Nebenwirtschaften der Kolchosbauern hin, wenn er sich auch hierbei des von Stalin geprägten Schlagwortes der „Beseitigung der Unterschiede von Stadt und Land“ als Voraussetzung des Übergangs zum Kommunismus bedient.

C Überblick über die einzelnen Rechtsgebiete

I. Staats-und Verwaltungsrecht 1. Geschichte Die erste bolschewistische Verfassung ist die der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 10. 7. 1918. Nach dem Anschluß der Ukraine, Weißrußlands und der Transkaukasischen Föderation (Azerbajdzan, Georgien, Armenien) wurde am 31. 1. 1924 eine neue Verfassung beschlossen, die im wesentlichen der von 1918 folgte. Oberstes Staatsorgan war der Sowjetkongreß (Art. 8). Dieser wurde nicht direkt gewählt, sondern bestand aus Vertretern der örtlichen Sowjets. Es bestand ein nicht allgemeines, ungleiches Wahlrecht, denn Nicht-werktätige waren von der Wahl ausgeschlossen und Staatssowjets stellten einen Abgeordneten auf 2 500, Landsowjets einen Abgeordneten auf 125 000 Stimmen (Art. 9). Zwischen den Sowjet-kongressen war oberstes Staatsorgan das Zentralexekutivkomitee mit 414 Mitgliedern, die teils vom Sowjetkongreß gewählt, teils von den Republiken entsandt wurden (Art. 14, 15). Zwischen dessen Sitzungen war das von ihm gewählte Präsidium des ZEK „höchstes gesetzgebendes, vollziehendes und verfügendes Staats-organ“ (Ablehnung der Gewaltenteilung). Vollziehendes und verfügendes Organ des ZEK war der Rat der Volkskommissare, die den klassischen Ministern entsprachen; auch er durfte Dekrete und Verordnungen erlassen (Art. 37, 38). Die heutige Regelung beruht auf der Verfassung vom 5. 12. 1936; über ihre Stellung innerhalb der sowjetischen Rechtsentwicklung und ihre grundsätzliche Beurteilung s. B 5. Eine neue Verfassung ist geplant. 2. Die obersten Staatsorgane und ihre Funktionen AIs „höchstes Organ der Staatsgewalt“ bezeichnet Art. 30 den Obersten Sowjet, während nach Art. 3 „alle Macht in der UdSSR den Werktätigen in Stadt und Land in Gestalt der Sowjets der Deputierten der Werktätigen gehört".

Der Oberste Sowjet wird in direkter, allgemeiner und gleicher Wahl gewählt, wobei sich die Wahl allerdings auf die Bestätigung des einen, nach Art. 141 von der Partei bzw.den von ihr kontrollierten Organisationen, vorzuschlagenden, Kandidaten beschränkt. Die Kandidaten brauchen zwar nicht notwendig der Partei anzugehören; jede Fraktionsbildung wird jedoch durch den bei der Wahl gebildeten „Block der Kommunisten und Parteilosen" ausgeschlossen (das Blocksystem hat besondere Bedeutung in den Volksdemokratien, in denen es z. T. noch mehrere Parteien gibt).

Trotz der grundsätzlich abgelehnten Gewaltenteilung hat aber die Sowjetunion im Interesse der Rechtssicherheit auf eine gewisse Funktionenteilung nicht verzichtet. Daher wird nach Art. 32 „die gesetzgebende Gewalt ausschließlich durch den Obersten Sowjet der UdSSR ausgeübt“.

Dieser Grundsatz wird jedoch vielfach durchbrochen. Da der Oberste Sowjet nur zwei ordentliche Sitzungen im Jahr abhält, werden in der Zwischenzeit die meisten seiner Funktionen durch das aus über dreißig Personen bestehende, vom Obersten Sowjet gewählte praktisch: bestätigte) Präsidium des Obersten Sowjets ausgeübt (da es auch die Funktionen des Staatsoberhauptes der klassischen Rechtssysteme wahrnimmt, wird es in der Sowjetunion als „kollektives Staatsoberhaupt" bezeichnet). Mit seinem Recht, Erlasse (ukazy) herauszugeben (Art. 49 b), hat es bisher fast die gesamte Gesetzgebungstätigkeit ausgeübt. Weiterhin kann nach Art. 66 der Ministerrat (bis 1946: Rat der Volkskommissare) („Verordnungen und Verfügungen" erlassen; die Einschränkung „auf Grund und in Ausführung der geltenden Gesetze" wird in der Praxis nicht beachtet. Viele Gesetze ergehen als „Verordnungen des Ministerrats und des Zentralkomitees der KPdSU.“ Schließlich ist auch durch das Recht des Präsidiums des Obersten Sowjets (Art. 49 c) und vor allem des Obersten Gerichts der UdSSR (Art. 75 GVG 1938, Art. 9 c OGH-Statut 1957), obligatorische Gesetzeserläuterungen zu geben, vielfach materielles Recht geschaffen worden.

Die Eingriffe in das Gesetzgebungsmonopol des Obersten Sowjets werden jedoch heute allgemein angegriffen und sind auch in der Praxis zurückgegangen.

Oberstes Verwaltungsorgan ist der Ministerrat, der vor allem durch die zahl-reichen Industrieministerien (in letzter Zeit eingeschränkt) sehr umfangreich ist. In die Kompetenz des Ministerrats greift aber der Oberste Sowjet dadurch ein, daß das sowjetische Staatsrecht bislang für den Begriff des Gesetzes keine materiellen Voraussetzungen (abstrakte und generelle Regelung, Verbot von Individual-und Maßnahmegesetzen) kennt; in Gesetzesform kann vielmehr jeder wichtige Staatsakt ergehen. Insofern bedeutet auch der Begriff der Willkür, der nach sowjetischer Auffassung den Gegensatz zur „sozialistischen Gesetzlichkeit“ (s. o. B 5) darstellt, nicht ungleiche Behandlung, sondern nur Gesetzlosigkeit, Eigenmacht.

Die Rechtsprechung wird nach Art. 102 von den dort aufgezählten Gerichten ausgeübt. Dieser Grundsatz wurde jedoch bis vor kurzem durch die bereits erwähnte Befugnis des Präsidiums des Obersten Sowjets zur Gesetzesauslegung (die auch für konkrete Verfahren erfolgen konnte), ferner durch die Verbannungsbefugnis des Innenministeriums (NKWD) durchbrochen; heute liegt eine schwerwiegende Durchbrechung des Rechtsprechungsmonopols der Gerichte in der „Heranziehung der Öffentlichkeit zur Strafrechtspflege" (s. u. C IV).

Nach Art. 112 ist der Richter „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“. Diese Unabhängigkeit wurde jedoch bis in die jüngste Zeit nur als Unabhängigkeit von lokalen Instanzen verstanden. „Die in Art. 112 vorgesehene Unabhängigkeit der Richter und ihre Unterworfenheit nur unter das Gesetz bedeuten nicht ihre Unabhängigkeit von politischen Direktiven der Partei und der führenden Sowjetorgane . . . Wenn der Richter unabhängig bei der Entscheidung der konkreten Sache ist, bedeutet das, daß die Politik nur die allgemeine Linie der Tätigkeit des Richters auf seinem Gebiet bestimmt, ihn aber nicht in der konkreten Sache bindet? Das bedeutet es natürIida nicht..., auch in der konkreten Sache muß der Richter richtig den politischen Sinn des Gesetzes erklären, richtig die politische Bedeutung des zu untersuchenden Ereignisses bewerten . .. Die StPO der RSFSR gibt die Möglichkeit, ein Urteil, das den Forderungen der Gerichtspolitik nicht entspricht, aufzuheben oder abzuändern''. (Poljanskij, Voprosy teorii sovetskogo ugolov-nogo processa, Moskau 1956, S. 79 ff.).

Allerdings finden sich derartige — früher einhellige — Äußerungen in den neueren Veröffentlichungen seltener.

Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es in der Sowjetunion nicht, geschweige denn eine Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Auf-sicht über die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung obliegt der Staatsanwaltschaft, die dadurch einen grundsätzlich anderen Charakter erhält als in den meisten westlichen Staaten. Ihre Tätigkeit wird zum Teil als vierte Staats-funktion angesehen.

Im Gegensatz zu den Richtern und zu den meisten Verwaltungsbeamten werden die Staatsanwälte nicht gewählt („demokratischer Zentralismus"; S. u. 3), sondern vom Generalstaatsanwalt, dieser wiederum vom Obersten Sowjet, ernannt. 3. Staatsaufbau • Zu den unter 1. erwähnten 6 Unionsrepubliken waren im Zuge der Zerschlagung des einheitlichen Turkgebietes 1924 Uzbekistan, 1925 Turkmenistan und 1929 Tadzikistan hinzugetreten. Durch die Verfassung von 1936 wurden Kirgisistan und Kazakstan aus der RSFSR als selbständige Unionsrepubliken ausgegliedert. 1940 traten durch Annektion die drei baltischen Staaten hinzu. Zur Werbung gegenüber den Nachbarvölkern wurden die Moldauische und die Karelo-Finnische Sowjetrepublik geschaffen, letztere aber 1956 wieder in die RSFSR zurückgeliedert. Die UdSSR besteht somit aus 15 „Unionsrepubliken".

Die UdSSR bezeichnet sich als Bundesstaat (Art. 13). Die Union hat nach Art. 14 nur die üblichen Kompetenzen einer Zentralregierung. Der angebliche Bundesstaatscharakter wird aber schon allein dadurch ausgeschlossen, daß nach Art. 16 jede Unionsrepublik eine ihren Besonderheiten Rechnung tragende, im übrigen aber „in voller Übereinstimmung mit der Unionsverfassung aufgebaute" Verfassung hat. Auch steht der sog. „demokratische Zentralismus" entgegen, der für den gesamten Staats-aufbau der UdSSR und ausdrücklich auch für das Verhältnis Union-Einzelrepubliken gilt.

Er beinhaltet die unbedingte Verbindlichkeit aller Akte der übergeordneten Organe für die unteren und die Rechenschaftspflicht vor den Organen bzw. Wählern, die sie gewählt haben. Bei den Verwaltungsorganen führt dies zu der sog. „doppelten Unterstellung", nämlich einmal unter die übergeordnete Behörde, zum anderen unter den örtlichen Sowjet, der sie gewählt hat.

Das in Art. 17 vorgesehene Austrittsrecht der Republiken ist vollkommen irreal. Die Verfassungsänderung vom 1. 2. 1944, durch die den Republiken das Recht auf eigene Truppen und diplomatische Beziehungen zuerkannt wurde, erfolgte nur zu dem Zweck, der Sowjetunion in der UNO mehrere Stimmen zu verschaffen (und hat auch im Falle der Ukraine und Weißrußlands zu dem gewünschten Erfolg geführt).

Die Unionsrepubliken sind gegliedert in Gaue bzw. Gebiete (nur die 9 größten Republiken, erstere nur in der RSFSR) — Rayons — Dörfer bzw. Kleinstädte. Dazwischen schieben sich — unter Gewährung einer gewissen Scheinautonomie — Autonome Sowjetrepubliken, Autonome Gebiete und Nationale Bezirke. Eine lokale Selbstverwaltung ist dem sowjetischen Recht völlig fremd. Art. 97 gibt nicht nur eine völlig konturlose Umreißung der Zuständigkeit (Leitung der untergeordneten Verwaltungsorgane, Gewährleistung des Schutzes der staatlichen Ordnung, der Einhaltung der Gesetze und Wahrung der Rechte der Bürger, Leitung des örtlichen Wirtschaftsund Kulturaufbaus, Aufstellung des örtlichen Haushaltsplanes), auch in diesem Bereich fehlt jede Beschränkung der Aufsicht durch die übergeordneten Organe: „Deshalb darf sich das übergeordnete Organ auf keinen Fall in die Handlungen des untergeordneten Organs einmischen, wenn diese Handlungen gesetzmäßig und zweckmäßig sind" (Denisov-Kiricenko, Sovetskoe gosudarstvennoe pravo, Moskau 1957, S. 153).

Nach dem Grundsatz des „demokratischen Zentralismus " hat auch hier jedes höhere Organ das Recht, Maßnahmen der untergeordneten Organe aufzuheben (Art 82, Vers, der UdSSR, Art. 90/91, Vers, der RSFSR). 4. Grundrechte Die Verfassung sieht in Kap. X fast alle klassischen Grundrechte vor. Diese Grundrechte können jedoch nach der sowjetischen Rechtsauffassung nicht als gegen den Staat gerichtete Freiheitsrechte verstanden werden und sind daher mit den Grundrechten westlicher Verfassungen nicht vergleichbar. Durch das Fehlen jeder Ver-fassungs-und Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt es sich nur um sog. Reflexrechte. Fast alle Grundrechtsartikel enthalten einen zweiten Absatz, in dem die „Gewährleistung" des Rechts durch bestimmte wirtschaftliche Maßnahmen festgestellt wird. Nach sowjetischer Auffassung soll hierin die Überlegenheit des Sowjetstaates zum Ausdruck kommen, der nicht nur Grundrechte gewähre, sondern auch ihre Verwirklichung garantiere. In Wirklichkeit zeigt sich aber gerade hierin die völlige Verkennung des Wesens der Grundrechte durch den Bolschewismus; außerdem wird durch die automatische Verknüpfung der Grundrechte mit den wirtschaftlichen Maßnahmen des Staates die Möglichkeit einer Verletzung theoretisch ausgeschlossen. Über diese grundsätzlichen Einschränkungen hinaus stehen noch alle Grundrechte unter weiteren Vorbehalten.

Eigentum und Erbrecht (in Art. 10 im Anschluß an das Staatseigentum behandelt) sind nur an Konsumtionsmitteln und an Produktionsmitteln zum persönlichen Gebrauch möglich. Das Recht auf Arbeit (Art. 118) ist bei der gleichzeitig festgelegten Arbeitspflicht (Art. 12, 130, Parasitengesetze — vgl. B IV 2) sinnlos. Rede-, Presse-, Versammlungs-, Demonstrationsund Koalitionsfreiheit (Art. 125, 126) werden nur „in Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen'garantiert. Das Recht auf persönliche Freiheit entfällt schon bei bloßer Genehmigung einer Verhaftung durch den Staatsanwalt (Art. 127).

Aber auch dies reicht noch nicht aus: „Der sozialistische Charakter der Rechte und Pflichten der Sowjetbürger besteht darin, daß ihre Rechte und Pflichten gerichtet sind auf die Proklamierung, den Schutz und die Garantie der Interessen der Werktätigen, daß sie die Entwicklung der Gesellschaft in Richtung auf den Sozialismus und danach auch auf den Kommunismus fördern, daß ihre Benutzung zürn Nadtteil der Interessen der Werktätigen und gegen die Festigung des sozialistischen Systems eine Verletzung der Sowjetverfassung darstellt“ (Umanskij, Sovetskoe Moskau 1960, S. 3 55). gosudarstvennoe pravo, Sehr viel mehr Gewicht legt die sowjetische Verfassung dagegen auf die Grundpflichten: Achtung der Gesetze und der Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens, Wahrung der Arbeitsdisziplin, Erfüllung der gesellschaftlichen Pflichten, Wehrpflicht, Schutz des sozialistischen Eigentums und Verteidigung des Vaterlandes (Art. 130— 13 3), wobei die letzte Pflicht in seltsamen Kontrast zu dem Atheismus des Sowjetsystems sogar als „heilige Pflicht“, das sozialistische Eigentum als „heilige und unantastbare Grundlage des Sowjetsystems" bezeichnet wird. „Nur bei gewissenhafter Erfüllung ihrer Pflichten vor dem Staat, vor der Gesellschaft, können die Sowjetbürger ihre großen Rechte und Freiheiten in vollem Umfange verwirklichen“ (a. a. O., S. 363).

Diese Abhängigkeit zwischen Grundrechten und Grundpflichten gibt somit bei der Uferlosigkeit der letzteren eine weitere Möglichkeit, den Genuß der Grundrechte zu verweigern. 5. Partei und Staat Die Partei ist in der Verfassung nur an zwei unscheinbaren Stellen erwähnt: in Art. 126 wird sie als Beispiel für das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aufgeführt, hierbei allerdings als „leitender Kern aller Organisationen der Werktätigen, der gesellschaftlichen wie der staatlichen“ bezeichnet, und nach Art. 141 hat sie — formal neben anderen Organisationen, praktisch jedoch allein — das Recht, Kandidaten für alle Wahlen vorzuschlagen. Im übrigen geht aber das sowjetische Recht von der Trennung zwischen Partei und Staat aus und bedient sich zur Willensübermittlung zwischen beiden des sog. Systems der Transmissionen. Hierzu gehört — neben der weitgehenden Personalunion zwischen Partei-und Staatsämtern — vor allem das mittelbare (über die in jeder Körperschaft mit mindestens drei Parteimitgliedern zu bildenden Parteizellen) und das unmittelbare Weisungsrecht der Partei gegenüber den Staatsbehörden. Über das Weisungsrecht der Partei gegenüber der Justiz s. o. 2. II. Strafrecht 1. Allgemeine Entwicklung Die sowjetische Kriminologie sah die Ursache aller Kriminalität ursprünglich allein in der Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Dies galt nicht nur für die Staats-und Vermögensverbrechen — auch die Notzucht wurde z. B, damit erklärt, daß sich der Proletarier keine Ehe leisten könne. Daraus ergab sich ein reines Präventiv-strafrecht mit harten Vernichtungsmaßnahmen gegenüber dem Klassengegner, milden Erziehungsmaßnahmen gegenüber dem gestrauchelten Proletarier. Typisch für diese Auffassung ist Art. 10 der „Leitenden Grundsätze des Strafrechts der RSFSR“ von 1919: „Bei der Wahl der Strafe muß man im Auge haben, daß die Strafbarkeit in der Klassengesellschaft hervorgerufen wird durch die Umstände der gesellschaftlichen Beziehungen, in denen der Täter lebt. Deshalb ist die Strafe weder Vergeltung für eine „Schuld" noch ein Loskaufen von der Schuld. Als Schutzmaßnahme soll die Strafe zweckmäßig . . .sein."

Dieses Gesetz bezeichnete als Verbrechen jede „Handlung oder Unterlassung, die für ein gegebenes System der gesellschaftlichen Beziehungen gefährlich ist" und zwar mit 27 Artikeln eine der kürzesten Strafrechtskodifikationen aller Zeiten.

Die folgenden StGBer, das StGB der RSFSR von 1922, die Unionsgrundsätze von 1924 und das StGB der RSFSR von 1926 (die StGBer der übrigen Republiken stellten nur Kopien dar) zeigten nicht den hemmenden Einfluß der NEP (s. B 3), sondern gingen konsequent weiter in Richtung auf ein „Strafgesetzbuch ohne Schuld und Strafe“. Das StGB 1926 hat bis 1960 gegolten. Die Strafe war als „Maßnahme des sozialen Schutzes“ bezeichnet. Sie konnte sowohl gegenüber Tätern von „sozial-gefährlichen Handlungen" als auch gegenüber Personen, die wegen ihrer Umwelt oder ihrer früheren Tätigkeit gefährlich waren, angewendet werden. Fast alle Staatsverbrechen wurden mit dem Tode, Mord dagegen mit 1 bis 10 Jahren Freiheitsstrafe, Diebstahl mit dreimonatiger Besserungsarbeit bestraft.

Noch radikaler war der StGB-Entwurfvon Krylenko von 1930, der teilweise bereits als Gesetz benutzt wurde:

„Die Rekonstruktionsperiode gibt uns die Möglichkeit, einen neuen Typ von StGB zu schaffen, wo es schon keine Sanktion mehr für jedes einzelne Verbrechen gibt, die den Maßstab liefert, nach dem man für die Tat eine angemessene Strafe verhängt. StGB Proletarier-Richter neue soll dem statt des früheren Preisverzeichnisses von Verbrechen und Repressionsmaßnahmen nur eine orientierende Aufzählung der wichtigsten Verbrechen und der Isolierungs-und Zwangsmaßnahmen in die Hand geben. Eine solche StGB-Struktur erleichtert unseren Kampf für eine entschiedene Beseitigung des Äquivalenzprinzips und der Dosierung in der Kriminalpolitik, sie ist zu einer grundlegenden Rationa-lisierung der strafgerichtlichen Repression geeignet.“ (Krylenko, Tri proekta reformy Ugolovnogo kodeska, Moskau-Leningrad 1931, Eins, und These 23).

Schon fünf Jahre später mußte Krylenko jedoch zugeben:

„Die Fehler lagen darin, daß wir bestrebt waren, alles Irrationale aus unserer Kriminalpolitik auszumerzen, und dabei vergaßen, daß dieses Irrationale noch im Bewußtsein von Millionen Werktätigen verwurzelt ist und gerade dadurch eine reale Mache darstellt, die man nicht schlechthin dadurch abtun kann, daß man logische Betrachtungen über die Sinnlosigkeit dieser überkommenen Auffassung anstellt. Im öffentlichen Empfinden ist die irrationale Idee der Verhältnismäßigkeit zwischen Verbrechen und Strafe eine Tatsache. Mehr noch: diese Tatsache hat eine so ungeheure Bedeutung, daß die Überwindung dieser üblichen Vorstellung überaus schwer ist; gelegentlich kann die öffentliche Forderung nach Proportionalität zwischen Verbrechen und Strafe eine derartige Intensität erreichen, daß die Nichterfüllung dieser Forderung eine Kluft zwischen dem öffentlichen Empfinden und der Kriminalpolitik aufreißt, die unter keinen Umständen außer acht gelassen werden darf.“ (Sovetskaja Justicija, 1955 Nr. 11 S. 7).

In der Praxis schlug das Pendel allerdings nur zur Gegenseite, d. h. zu krasser Abschreckung, aus: 1932 wurde für Diebstahl von Staatseigentum die Todesstrafe vorgesehen, 1934 wurde für Vaterlandsverrat die Sippenhaft eingeführt (seit diesem Gesetz sprechen die sowjetischen Gesetze wieder von „Strafe"), 1935 wurde für Kinder vom 12. Lebensjahr ab die volle Strafmündigkeit festgesetzt. Nach dem Kriege wurden auch individuelle Rechtsgüter (Eigentum, Leben, Geschlechtsfreiheit) mit hohen Strafdrohungen geschützt.

Zur Rechtfertigung dieser Strafen diente (unterstützt durch Stalins Thesen der „moralisch-politischen Einheit des Sowjetvolkes“ und des „Sowjetpatriotismus“ sowie die Propagierung der „Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens“ in Art. 131 der Vers, von 1936) eine grundlegende Moralisierung des Verbrechens, wie sie in den Kulturstaaten seit Jahrzehnten bekämpft wird und wie sie gerade der Bolschewismus anfangs kraß ablehnte. Diese Moralisierung wurde noch dadurch unterstützt, daß mit der Statuie-rung des Sozialismus in der UdSSR durch die Verf. von 1936 die Klassenkampf-Erklärung für die Kriminalität hinfällig wurde und man nunmehr alle Verbrechen als „kapitalistische Überbleibsel im Bewußtsein einzelner Menschen“ erklärte. Damit wurde praktisch die soziologische Verbrechensauffassung durch eine anthropologische ersetzt. Diese Erklärung ist nicht nur deshalb falsch, weil die meisten Sowjetbürger nie kapitalistische Verhältnisse kennengelernt un eine rein kommunistische Erziehung genossen haben, sondern auch, weil gerade der Sozialismus neue typische Verbrechen erzeugt hat: die Warenknappheit die Spekulation, die soziale Armut, die Reglementierung und Eintönigkeit des sowjetischen Alltags die Rauschdelikte und das Rowdytum (Hooliganwesen).

Das heutige Recht beruht auf den Unionsgrund-Sätzen über das Strafrecht vom 25. 12. 1958 und dem StGB der RSFSR vom 27. 10. 1960 (ähnlich die StGBer der übrigen Republiken). Dabei ist für Gelegenheitstäter wieder eine starke Privilegierung vorgesehen, sofern sie bereit sind, ehrliche Reue zu zeigen, sich während einer Bewährungsfrist von einem Kollektiv um-erziehen zu lassen oder während der Haft „vorbildliches Verhalten und ehrliche Einstellung zur Arbeit" zu zeigen, d. h. sich der moralischen Diktatur zu unterwerfen. Gegenüber Tätern von Staatsverbrechen, Verbrechen gegen das sozialistische Wirtschaftssystem und das Staatseigentum sowie gegenüber Rückfalltätern ist dagegen die schonungslose Strenge erhalten geblieben und sogar gesteigert worden. Damit ist der ursprüngliche Dualismus des sowjetischen Strafrechts wiederhergestellt, wobei allerdings beide Bereiche durch die allgemeine moralische Ächtung des Verbrechens verknüpft werden.

Die schon 193 5 von Krylenko angedeutete Abkehr von der ursprünglichen bolschewistischen Konzeption wird nunmehr radikal: „Wenn man aber die Vergeltung als Akt der Gerechtigkeit versteht, als Befriedigung der moralischen Forderung, Verbrechen, die die Empörung der sowjetischen Gesellschaft hervorrufen, nicht ohne die verdiente, der Schuld des Täters entsprechende, Strafe zu lassen, dann kann man nicht leugnen, daß eine solche Strafe von den Werktätigen als gerechte Vergeltung für den Verbrecher aufgefaßt wird. Ein gerechtes Llrteil ruft bei den Werktätigen nicht ein Gefühl der Schadenfreude hervor, sondern das Bewußtsein, daß das Verbrechen nicht ungesühnt geblieben ist, daß der Täter die verdiente Strafe davongetragen hat, daß Recht und Gerechtigkeit triumphiert haben ...“ (Sovetkoe ugolovnoe pravo. Obaja cast', Mosk. 1959, S. 260f.). 2. Art und Rangfolge des unter Strafe gestellten Verhaltens Für beide Fragen ist entscheidend die rom bolschewistischen Strafrecht vollzogene Funktionalisierung der Rechtsgüter des liberalen Strafrechts nach ihrem — jeweiligen — Nutzen für den Staat.

„Die Interessen unseres Staates an der Erhaltung des menschlichen Lebens werden durch die Ermordung eines Bürgers (§ 211 StGB) verletzt" (Lehrbuch des Strafrechts der DDR, Berlin 1957, S. 324).

An erster Stelle steht naturgemäß das Interesse an der Erhaltung des Staates selbst. Hier wertet das sowj. Recht bereits die Flucht ins Ausland oder die Weigerung, von dort zurückzukehren, als Landesverrat (Art. 64 StGB RSFSR). Ein Verbrechen, und zwar Staatsverbrechen, ist auch die „Agitation und Propaganda zur Schwächung der Sowjetmacht“ (Art. 70). Staatsverbrechen mit der Folge der Todesstrafe sind ferner Schädigungen der Wirtschaft zur Schwächung des Staates sowie Falschmünzerei und Devisenstraftaten (Art. 68, 69, 87, 88). Auch viele Delikte gegen die öffentliche Ordnung (Landfriedensbruch, Überqueren der Grenze ohne Genehmigung, Verletzung von Flug-und Transportvorschriften) werden als Staatsverbrechen mit hohen Strafen bedroht.

An zweiter Stelle stehen in der sowj. Legalordnung die Delikte gegen das öffentliche Eigentum, die in nicht weniger als 22 Artikeln geregelt sind.

Das Interesse des Staates an der Erhaltung persönlicher Rechtsgüter war zunächst gering: Mord wurde nach dem StGB 1926 mit 1— 10 Jahren Freiheitsstrafe, Diebstahl mit 3 Monaten Besserungsarbeit bestraft. Erst mit der von Stalin begonnenen Politik der sozialen Differenzierung und dem dadurch bedingten Entstehen einer neuen privilegierten Schicht wuchs dieses Interesse: die Strafen für Diebstahl, Mord und Notzucht wurden erhöht und das Kapitel der Straftaten gegen persönliche Rechtsgüter ist im neuen StGB von einem der hintersten Plätze auf den dritten Platz emporgerückt.

Nach dem Kapitel über die Verletzung der politischen und arbeitsrechtlichen Rechte der Bürger folgen die unpolitischen Wirtschaftsdelikte, die zumeist nur aus dem sozialistischen Wirt-schaftssystem erklärlich sind: Auslieferung schlechter Produktion, private Betriebs-und HandelsVermittlertätigkeit, An-und Verkauf von Gegenständen zur Gewinnerzielung (Spekulation), Übervorteilung beim Kauf, Verletzung der Vorschriften für den Verkauf von Gold an den Staat u. a. (§§ 152ff.).

Auch die Amtsverbrechen sind gegenüber dem liberalen Strafrecht erweitert; z. B. ist schon die nachlässige Erfüllung von Dienstpflichten strafbar (§ 172).

Als Verbrechen gegen die Verwaltungsordnung ist u. a.der — sehr verbreitete — Handel mit den vom Staat zugeteilten Bodenparzellen strafbar (Art. 199).

Unter den Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung fallen das Rowdytum mit Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren und die Landstreicherei mit Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren auf (§§ 206, 209).

Das sowj. Strafrecht stellt jedoch nicht nur Handlungen, sondern vielfach schon den bloßen gefährlichenZustand einer Person unter Strafe.

Nach Art. 7 StGB 1926 konnten alle Strafen auch bei bloßer Gefährlichkeit verhängt werden (s. o. 1). Für die Verbannung wurde diese Regelung erst 1946 aufgehoben, und die Verwaltungsbehörden durften bis 1953 „sozial-gefährliche" Personen in die Arbeitslager einweisen. Die neuen Parasiten-Gesetze bestrafen mit ihrem Tatbestand „parasitische Lebensweise und Ausweichen vor gesellschaftlich-nützlicher Arbeit“ praktisch auch wieder einen gefährlichen Zustand (s. B 7 und C IV). 3. Nulla poena sine lege Die rechtsstaatliche Garantiefunktion der Strafrechtlichen Tatbestände (Verbot der rückwirkenden oder analogen Anwendung von Strafgesetzen) kennt das sowjetische Recht nicht.

Die Grundsätze von 1919 enthielten überhaupt keinen Besonderen Teil, sondern sahen jede „für ein gegebenes System der gesellschaftlichen Beziehungen gefährliche Handlung oder Unterlassung“ als Verbrechen an (Art. 6). Die StGBer von 1922 und 1926 enthielten zwar wieder einen Besonderen Teil, entwerteten ihn jedoch durch die Möglichkeit der Analogie (Art 10 bzw. 16):

„Wenn die eine oder andere sozial-gefährliche Handlung nicht direkt in diesem Gesetzbuch vorgesehen ist, so bestimmen sich Grund und Umfang der Verantwortlichkeit für sie nach den Vorschriften des Gesetzbuchs, die die ihrer Art nach ähnlichsten Verbrechen vorsehen.“ Zur Bestimmung der Strafbarkeit einer Handlung blieb praktisch nur deren Sozialgefährlichkeit übrig, was auch durch entsprechende Generaldefinitionen des Verbrechens noch unterstrichen wurde (Art. 6). Die sowj. Rechtswissensdiaft sprach daher von einem materiellen erbrechensbegriffim Gegensatz zum formellen des liberalen Strafrechts. Für die wichtigsten Deliktsgruppen sah das StGB außerdem noch allgemeine Ober-Tatbestände (sog. Gattungstatbestände)

vor, die ebenfalls der Auf-

weichung der konkreten Tatbestände dienten.

Ein Beispiel ist der berüchtigte Art. 58/1:

„Als konterrevolutionär gilt jede Handlung, die gerichtet ist auf den Sturz, die Untergrabung oder die Schwächung der Macht der Arbeiter-und Bauernräte und der durch sie auf der Grundlage der Verfassung der UdSSR und der Arbeiter-und Bauernregierungen der UdSSR, der Unions-und der Autonomen Republiken, oder auf die Untergrabung oder Schwächung der äußeren Sicherheit der UdSSR und der grundlegenden wirtschaftlichen, politischen " nd nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution.“

Nach dem neuen Strafrecht ist nur noch die im besonderen Teil des StGB vorgesehene Handlung strafbar (Art. 7). Geblieben ist aber die Aufweichung des Grundsatzes Nulla poena sine lege durch die bewußt unscharfe, „normative“, Fassung der Tatbestände. So gilt z. B. als Landesverrat u. a.der „Übergang auf die Seite des Feindes" (im nichtkörperlichen Sinne), als Spionage gilt das „Sammeln sonstiger Daten zur Benutzung zum Nachteil der Interessen der UdSSR", als Rowdytum gelten „vorsätzliche Handlungen, die eine öffentliche Ordnung grob verletzen und eine offensichtliche Mißachtung der Gesellschaft zum Ausdrude bringen“. Diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren (Vgl. auch die Parasiten-Gesetze, ob. 2 a. E., unt. IV).

Die Rückwirkung von Strafgesetzen war zwar nach Art. 3 der Grundsätze des Strafverfahrens von 1924 ausdrücklich verboten. Trotzdem wurden bei Erlaß des StGB 1926 diesem durch Gesetz alle noch nicht abgeurteilten Taten unterworfen, und das StGB enthielt auch selbst in Art. 58/13 (Kampf gegen die Arbeiterklasse zur Zarenzeit oder im Bürgerkrieg) eine rückwirkende Norm. Entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ließ daher das sowj. Schrifttum die Rückwirkung von Strafgesetzen „nur“ zu bei Berührung wichtiger Staatsinteressen oder einem entsprechenden Hinweis in dem betreffenden Gesetz. Als das neue Strafrecht wiederum und noch deutlicher als früher ein Rückwirkungsverbot aussprach, schien es, als ob dieses nunmehr ernst gemeint sei. Inzwischen ist aber der Erlaß über die Einführung der Todesstrafe für Wertpapier-und Devisen-spekulation vom 1. 7. 1961 wiederum rückwirkend angewendet worden. Diese Tatsache ist typisch für den Wert auch der neuesten sowjetischen Garantiebestimmungen. 4. Strafen a) Todesstrafe Sie hat im sowj. Strafrecht seit jeher eine dominierende Rolle gespielt. 1920 wurde sie zur Erleichterung von Verhandlungen mit den Interventionsmächten für 5 Monate teilweise abgeschafft wobei die Tscheka jedoch ihre Abteilungen anwies, die wichtigsten Personen vorher noch zu erschießen und später zu erschießende Personen in Gebiete unter Kriegszustand zu verbringen, wo die Todesstrafe noch zulässig war. Seit dem StGB von 1922 wird die Todesstrafe als „außerordentliche Maßnahme, bis zu ihrer völligen ihrer völligen Abschaffung“ bezeichnet.

Tatsache ist jedoch, daß sie in der SU in weitaus größeren Umfang angewendet wird, als in den westlichenLändern, sofern sie dort nicht fehlt (Bundesrepublik, Österreich, Italien, Skandinavien, Schweiz u. a.). Am 26. 5. 1947 wurde die Todesstrafe in der SU tatsächlich abgeschafft, nicht ohne daß die UdSSR gleichzeitig in der UNO einen Antrag zur allgemeinen Abschaffung dieser typisch kapitalistischen Strafart einbrachte. dominierende Die Wiedereinführung für Landesverrat, zur Spionage und Wirtschaftsstaatsverbrechen Interventionsmächten am 12. 1. 1950 wurde dann als „Ausnahme abgeschafft, von dem Abschaffungserlaß“ bezeichnet. Inzwischen Abteilungen ist der Anwendungsbereich erheblich erweitert noch worden: Mord (30. 4. 1954), Banditismus und Terrorakte (25. 12. 1958), Großdiebstahl zu von Staatseigentum, gewerbsmäßige Falschmünzerei, zulässig Gefangenenmeuterei durch Rückfall-

Todesstrafe und Schwerverbrecher (5. 5. 1961), Devisen-und bis zu Wertpapierspekulation (1. 6. 1961), qualifizierte Tatsache Notzucht (15. 12. 1962), schwere Bestechlichkeit größerem (20. 2. 1962). Zu den letzten Erweiterungen westlichen überhaupt s. B 7. b)

Freiheitsstrafe Die Freiheitsstrafe hatte in der SU bislang eine gewaltige wirtschaftliche Bedeutung, da alle größeren Wirtschaftsprojekte, vor allem soweit sie unter ungünstigen klimatischen Bedingungen standen, vorwiegend mit Strafgefangenen durchgeführt wurden. So wurden allein nach der Fertigstellung des Weißmeer-Ostsee-Kanals 1953 72 000 Häftlinge amnestiert, 1937 nach der Errichtung des Moskau-Wolga-Kanals über 55 000. Am 7. 4. 1930 wurden alle Arbeitslager der Staatspolizei (OGPU), am 10. 7. 1934 mit dieser dem neugegründeten Volkskommissariat für Inneres (NKWD/MWD) unterstellt. Das NKWD wurde dadurch zu einem der größten Industrieunternehmen der SU und der ganzen Welt. Nach dem von deutschen Truppen erbeuteten Volkswirtschaftsplan für 1941 sollte es 14°/0 der gesamten Bautätigkeit, 12, 5°/0 der Nutzholzproduktion, über 75°/0 der Gold-, 40°/, der Chrom-, 3°/0 der Kohleförderung und bei vielen Konsumgütern über 10°/0 der gesamten Produktion der SU erbringen. Diese Zahlen sind nach dem Kriege mit Hilfe der Kriegsgefangenen noch erheblich gesteigert worden. Etwa seit 1950 und vor allem nach Stalins Tod erfolgte, teilweise erzwungen durch die großen Lagerstreiks, ein spürbarer Abbau des Zwangsarbeitssystems. 1958 wurde die Höchstdauer der Freiheitsstrafe von 25 auf 15 Jahre herabgesetzt — längere Fristen benötigt das sowj.

Recht an sich nicht, da ihre Funktion, die dauernde Unschädlichmachung des Täters, durch die Todesstrafe erreicht wird. Außerdem muß man berücksichtigen, daß bei Schwerverbrechen in der Regel als Nebenstrafe 5jährige Verbannung verhängt wird, die meist am Ort des Straflagers abzubüßen ist. Eine Abkürzung der Strafe ist möglich in Form der bedingten Entlassung bei „vorbildlicher Führung und ehrlicher Einstellung zur Arbeit", ferner in Form der sog.

Anrechnung (Zacjct), bei der für Tage, an denen das Arbeitssoll übertroffen wurde, mehrere Hafttage angerechnet werden. Dieses System wurde 1954 zur Berechnung der in den großen Arbeitslagerstreiks zu Tage getretenen Solidarität der Gefangenen eingeführt. Es preßt aus den Gefangenen dauernd Höchstleistungen heraus und verführt außerdem die Gerichte dazu, diese Möglichkeit schon im Strafmaß einzukalkulieren. 1956 hat die SU die Ersetzung aller Arbeitslager durch sog. Arbeitskolonien verkündet, in denen vorher Strafen bis zu 3 Jahren verbüßt wurden und die Häftlinge eine Berufsausbildung erhalten sollen. Hierbei dürfte es sich jedoch weitgehend um einen sog. „Etikettenschwindel“ handeln. Für Schwerverbrecher und Rückfalltäter sieht das sowjetische Recht Gefängnishaft vor; diese Haftart wurde vor 1958 auch bei kleineren Delikten zur Abschreckung benutzt (z. B. Rowdytum). 1948 waren außerdem Sonderlager (Spez-lager) für politische Häftlinge eingerichtet worden, was deren Behandlung verschärfen sollte, sie aber durch die Befreiung von der Tyrannei der Berufsverbrecher eher erleichterte.

Die unter 1. geschilderte Moralisierung des Verbrechens hat die Resozialisierung entlassener Gefangener überaus erschwert. Vielfach sind diese daher gezwungen, Stellungen in der Lagerverwaltung anzunehmen. c) Besserungsarbeit ohne Freiheitsentzug Sie stellt eine der am häufigsten angewendeten Strafarten dar. Sie wird in der Regel am Arbeitsplatz des Verurteilten, in schweren Fällen an fremden Arbeitsplätzen verbüßt, wobei von dem Verdienst 5— 20°/0 einbehalten werden. Im ersten Fall handelt es sich um eine verkappte Geldstrafe; die eigentliche Wirkung der Strafe besteht darin, daß ihre Dauer nicht auf das für Pensionen, Urlaub u. ä. wichtige Dienstalter angerechnet wird. d) Sippenhaft Das sowjetische Strafrecht hat wiederholt im Interesse einer wirksamen Abschreckung auch die Angehörigen von Straffälligen mit Strafe bedroht. Berüchtigt ist das Gesetz vom 8. 6. 1934, das bei Landesverrat durch Militärpersonen sogar die Familienmitglieder, die von dem Vorhaben nichts wußten, mit fünfjähriger Verbannung bedrohte. Diese Regelung ist 1958 abgeschafft worden. Noch heute gibt es aber eine Bestrafung der Familienangehörigen des Verurteilten durch die Nebenstrafe der totalen Vermögenskonfiskation, die bei fast allen Staatsverbrechen vorgesehen ist. Daß diese Strafe in erster Linie die Familie des Verurteilten trifft, ist auch in der SU bei der Reform zugegeben worden. 5. Strafzumessung Die Strafen sind in der SU allgemein erheblich höher als in westlichen Ländern. Allerdings ist auch die Strafempfindlichkeit des russischen Volkes inzwischen abgestumpft, so daß mehrjährige Freiheitsstrafen als relativ milde angesehen werden.

Das sowj. Strafrecht bekennt sich offiziell zu der Vereinigung der relativen und der absoluten Strafauffassung: „Die Strafe ist nicht nur Sühne für das begangene Verbrechen, sondern bezweckt auch die Besserung und Umerziehung des Verurteilten..., ferner die Vorbeugung gegen die Begehung neuer Verbrechen sowohl durch den Verurteilten als auch durch andere Personen (Art. 20 Grundsätze 1958).

In Wahrheit dient jedoch die Berufung auf den Sühnegedanken — wie ob. 1 a. E. ausgeführt — nur der Verbrämung der harten Abschreckung gegenüber Staatsfeinden und Rückfalltätern, während auf der anderen Seite Gelegenheitstäter, sofern sie sich zum System bekennen, erhebliche Straferleichterungen genießen.

Dieselbe Zweiteilung wiederholt sich im Bereich der konkreten Strafzumessung, die nach Art. 32 Grundsätze „vom sozialistischen Rechtsbewußtsein geleitet" wird. „Das sozialistische Rechtsbewußtsein sind die rechtlichen Ansichten, Ideen, die Anschauungen über das Gehörige, das Gesetzliche, das Rechtmäßige, die in der sozialistischen Gesellschaft herrschen, es ist das Verständnis der Aufgaben des Rechts gemäß der marxistisch-leninistischen Weltanschauung” (Vsesojuznyj institut juridiceskich nauk, Naucno-prakticeskij kommentarij k Osnovam ugolov-sudoproizvodstav Sojuza SSR i sojuznych respublik, Mosk. 1960, S. 54). Zwar kann die Rechtsprechung den früher dominierenden Strafzumessungsgrund der Klassenzugehörigkeit des Täters heute nicht mehr verwenden. Als Strafzumessungsgründe werden jedoch vorwiegend Zeugnisse vom Arbeitsplatz, Verdienste vor der Heimat, die tägliche Führung, der moralische Ruf, die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben u. ä. angesehen. 6. Jugendstrafrecht Das Dekret vom 14. 1. 1918 hatte verkündet: „Art. 1. Gerichte und Gefängnishaft für Kinder und Minderjährige sind abgeschafft; für alle Straftaten von Personen unter 17 Jahren werden besondere Kommissionen eingerichtet.“

Bis zum Jahre 1935 erfolgten nur unwesentliche Änderungen. Die Bildung riesiger vagabundierender Kinderhorden (besprizornye), die bei der Kollektivierung ihre Eltern verloren hatten, führte jedoch am 7. 4. 1935 zu einer noch nicht dagewesenen Härte des Jugendstrafrechts: für Diebstahl, Gewaltanwendung, Körperverletzung, Tötung und Tötungsversuch (seit 1941 auch Gefährdung des Eisenbahnverkehrs) waren Kinder vom 12. Lebensjahr ab voll strafmündig, und zwar auch bei Fahrlässigkeit (Erlaß vom 7. 7. 1941). Für alle übrigen Delikte trat die Strafmündigkeit seit dem 31. 5. 1941 mit dem 14. Lebensjahr ein. Bei geringfügigen Delikten konnten seit dem 15. 6. 1943 sogar Kinder von 11— 16 Jahren in Erziehungskolonien eingewiesen werden.

Das neue Recht hat die Strafmündigkeitsgrenzen auf 14 bzw. 16 Jahre heraufgesetzt, die 14jährige Strafmündigkeit aber auf böswilliges Rowdytum und Sachbeschädigung mit schweren Folgen ausgedehnt. Bei geringfügigen Vergehen von Tätern unter 18 Jahren sind Erziehungsmaßnahmen (Entschuldigung, Rüge, Verwarnung, Schadensersatz, Beaufsichtigung, Einweisung in Erziehungsanstalt) möglich (Art. 10 Grundsätze, 10 und 63 StGB).

Das sowj. Recht mißachtet die typische Jugendstrafrechtsproblematik, da es sowohl bei der Abstufung der Strafmündigkeit als auch bei der Möglichkeit von Erziehungsmaßnahmen nicht auf die Entwicklung des Jugendlichen, sondern vor allem auf die objektive Schwere der Tat abstellt. III. Gerichtsverfassungs- Strafverfahrensrecht 1. Rechtsquellen Jas heutige Recht beruht auf den Unionsgrundsätzen über das Gerichtsverfassungsund das Strafverfahrensrecht von 195 8 und den auf dieser Grundlage erlassenen GVGen und StPOen der Republiken (RSFSR: 27. 10. 1960). Vorgänger waren entsprechende Unionsgrundsätze von 1924, eine StPO der RSFSR von 1922, GVGen der RSFSR von 1922 und 1926 und ein Unions-GVG von 1938. Die Verfassung von 1936 proklamierte alle prozessualen Grundrechte, ohne daß diese jedoch verwirklicht wurden. Für die Staatsanwaltschaft gilt die VO über die staatsanwaltliche Aufsicht von 1955, früher von 1922. Der OGH der UdSSR erhielt Statuten 1923, 1929 und 1957. 2. Gerichtsaufbau und Zuständigkeit Es besteht ein dreistufiges Gerichtssystem, mit Volksgerichten auf der Ebene der Rayons (bzw.der ihnen gleichgestellten Städte), Gebiets-bzw.

Gaugerichten und den OGHen der Republiken. Die Volksgerichte sind 1. Instanz für die kleineren Delikte, die Gebietsgerichte für Staatsverbrechen und andere schwerere Delikte. Der OGH entscheidet in 1. Instanz Sachen von besonderer Bedeutung. Gebietsgerichte und OGH sind außerdem Kassations-und Revisionsinstanz für die jeweils untergeordneten Gerichte. Zu diesen Gerichten, die formell den Republiken unterstehen, treten der OGH der UdSSR und die — zweistufig aufgebauten — Militärtribunale. Die anderen Sondergerichte, die Eisenbahn-und Wassertransportgerichte und die Militärtribunale für die Truppenverbände des NKWD/MWD, sind nach Stalins Tod aufgelöst worden. Der OG. I der UdSSR entscheidet in 1. Instanz Sachen von besonderer Bedeutung; außerdem kann er die Entscheidungen aller übrigen Gerichte im Wege des Aufsichtsverfahrens kassieren oder revidieren.

In der Generalklausel für die Zuständigkeit der OGHe liegt eine Negierung des rechtsstaatlichen Grundsatzes des gesetzlichen Richters, der die Zuweisung konkreter Fälle an bestimmte Gerichte und Instanzverluste verhindern soll. Noch weitergehend hat sich im sowj. Recht der Grundsatz entwickelt, daß jedes höhere Gericht jede bei einem unteren Gericht anhängige Sache ohne Begründung an sich ziehen kann. In der Vergangenheit wurden daher fast alle Staatsschutzsachen vor dem OGH der UdSSR entschieden, und zwar entweder vor dessen Militärkollegium oder vor einem für den konkreten Fall einberufenen „Spezialkollegium", das aus Personen des öffentlichen Lebens bestand. 3. Besetzung der Gerichte In allen Instanzen gilt das Kollegialprinzip. In der 1. Instanz entscheiden ein Richter und zwei Volksbeisitzer, sonst drei Berufsrichter.

Alle Richter werden in der SU gewählt, die Richter und Beisitzer des Volks-und gerichts direkt durch die gesamte Bevölkerung bzw. auf Versammlungen am Arbeits-oder Wohnplatz der Beisitzer, die der übrigen Gerichte durch die betreffenden Sowjets. Die Amtszeit d Richter beträgt 5 Jahre. Hierin li jt gegenüber früher (3 Jahre, vor 1936: 1 Jahr) eine wesentliche Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und die Tendenz zur Schaffung von Berufsrichtern. Allerdings können alle Richter von ihren Wählern, denen sie periodisch rechenschaftspflichtig sind, vorfristig abberufen werden. Einzige Vorausetzung für das Richteramt ist die Erreichung des 25. Lebensjahrs (auch dies eine Stärkung des Richteramts, da das Mindestalter vor 1958 23 Jahre, vor 1938 nur 18 Jahre betrug). Tatsächlich rerden jedoch noch andere Voraussetzungen verlangt: „Zum Richter können alle Bürger gewählt werden, die das Wahlrecht besitzen. Jedoch berücksichtigen die gesellschaftlichen Organisationen, die die Kandidaten für die Wahl zum Richteramt empfehlen, daß die Erfüllung der komplizierten und verantwortungsvollen Pflichten des Richters die Kenntnis der sowjetischen Gesetzgebung erfordert, die tiefe Aneignung der Lehre von Marx-Engels-Lenin, die Fähigkeit, sie bei der täglichen Arbeit anwenden zu können“ (D. S. Karev, Organizacija suda i prokuratury v SSSR, Minsk 1960, S. 64).

Die Regierung bemüht sich heute um eine juristische Ausbildung der Richter. 1958 besaßen 55°/0 der Volksrichter eine höhere, 37°/0 eine mittlere juristische Ausbildung, 4/° 0 eine Ausbildung in Richterkursen und 3, 5°/e keinerlei juristische Ausbildung (Izvestija v. 26. 12. 1958). Freilich ist damit der Übergang zum Berufsrichtertum unvermeidlich: 65°/0 der Volksrichter waren schon mehr als 5 Jahre im Amt.

Da für die Staatsanwälte eine juristische Hochschulbildung obligatorisch ist (Art. 52 der VO von 1955), da sie nicht gewählt, sondern ernannt werden und da sie schließlich die Kontrolle der gesamten Verwaltung wahrnehmen (s. o. C I 2), haben sie im sowj. Gerichtsverfahren rein psychologisch ein erhebliches Über-gewicht gegenüber den Richtern.

Zur richterlichen Unabhängigkeit im Allgemeinen s. C I 2. 4. Verfahren Das sowj. Strafverfahren wies bis 1958 eine radikale Zweiteilung auf. Ursprünglich hatte man sogar zwei getrennte StPOen schaffen wollen, eine für Werktätige und eine für Klassen-feinde. Dieser Plan wurde zwar nicht durchgeführt, jedoch wurde durch die unterschiedliche Ausgestaltung des Verfahrens vor den Volks-und den Gebietsgerichten derselbe Erfolg erreicht. Während das Verfahren vor den Volksgerichten relativ liberal ausgestaltet war, entbehrte das Verfahren vor den für die Staatsverbrechen zuständigen Gebietsgerichten und allen höheren Gerichten jeglicher rechtsstaa: licher Garantien.

Die Zulassung von Anklage und Verteidigung oblag der freien Entscheidung des Gerichts „in Abhängigkeit von der Schwierigkeit der Sache, der Erwiesenheit des Verbrechens oder der besonderen politischen oder gesellschaftlichen Bedeutung des Falles“. Auch bei grundsätzlicher Zulassung der Verteidigung konnte das Gericht wiederum einzelne Personen als Verteidiger ablehnen, „falls es die Person für ein Auftreten in der gegebenen Sache in Abhängigkeit von dem besonderen Charakter der Sache für nicht geeignet hielt“. Die Anklageschrift war dem Angeklagten erst drei Tage vor der Verhandlung auszuhändigen. Im Vorverfahren vernommene Zeugen, deren Aussagen keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit erweckten, brauchten zur Verhandlung nicht geladen zu werden; während der Verhandlung konnte die Vernehmung von Zeugen jederzeit abgebrochen werden, wenn das Gericht die Tatsachen für ausreichend festgestellt hielt. Das Gericht konnte das Urteil auch auf bei den Akten befindliche, im Hauptverfahren nicht verlesene, Urkunden und Zeugenaussagen stützen. Schließlich konnte es die Plädoyers untersagen, wenn es die Sache für ausreichend geklärt hielt. Rechtsmittel waren nur innerhalb von 72 Stunden nach Aushändigung des Urteils, die wiederum spätestens 24 Stunden nach der Verkündung zu erfolgen hatte, zulässig. Die Beschwerde mußte bei dem Gericht eingelegt werden, das das Urteil gefällt hatte; dieses konnte sie bei der Weiterleitung an den OGH mit eigenen Erläuterungen versehen (Art. 380 ff. StPO 1926).

Diese Vorschriften stellten aber noch nicht den Höhepunkt der Negierung der prozessualen Grundrechte durch das sowjetische Recht dar. 1934 wurde bei der Auflösung der GPU deren Inquisitionsverfahren in Form der L e x K i r o v in das ordentliche Gerichtsverfahren übernommen. Es galt für Verfahren gegen Terrorakte, organisierte Vorbereitung von Staatsverbrechen und — in etwas milderer Form — seit 1937 auch für Schädlingsarbeit und Diversion. Danach war die Anklageschrift dem Angeklagten erst 24 Stunden vor dem Verfahren auszuhändigen. Die Verhandlung erfolgte in Abwesenheit des Angeklagten. Rechtsmittel, ja selbst Gnadengesuche waren nicht zugelassen. Das Urteil war unmittelbar nach Erlaß zu vollstrecken (Art. 466 ff. StPO).

Hieran änderte sich nichts, als die Verfassung von 1936 die Öffentlichkeit aller Gerichtsverhandlungen und das Recht auf Verteidigung proklamierte.

Dazu kamen noch eine Reihe von Beweisgrundsätzen zum Nachteil des Angeklagten. Da nach Art. 282 StPO bei einem Geständnis des Angeklagten keine Untersuchung mehr nötig war, sahen es die sowjetischen Untersuchungsorgane als „regina probationum“ an und bemühten sich mit allen Mitteln, es aus dem Angeklagten herauszupressen. Generalstaatsanwalt Wyschinski entwickelte die These, daß das Gericht immer nur die maximale Wahrscheinlichkeit der Täterschaft feststellen könne und daß diese zur Verurteilung genüge, daß die Beweise nicht nur logisch-mathematisch, sondern mit den „moralischen Kräften, dem Charakter" zu würdigen seien und daß der Angeklagte die Behauptung seiner Unschuld zu beweisen habe. „Wenn der Ankläger verpflichtet ist, die Richtigkeit der vorgebrachten Beschuldigung zu beweisen, dann ist auch der Beschuldigte oder Angeklagte nicht frei von einer analogen dflicht in bezug auf die Behauptungen, die er zu seiner Verteidigung vorbringt" (A. J. Vysinskij, Teorija sudebnych dokazatel’stv v suovetskom pra-ve, Moskau 1950, S. 242).

Diese Mißstände sind durch das neue Recht im wesentlichen beseitigt. Es gibt nur noch eine einheitliche Verfahrensordnung für alle Gerichte und damit Verbrechen. Diese berücksichtigt die Grundrechte des rechtlichen Gehörs, der Öffentlichkeit und des Rechts auf Verteidigung. Kein Beweismittel (Geständnis!) darf einen Vorrang genießen (Art. 17 Abs. 2 Grundsätze).

Allerdings ist die Reform erheblich hinter den Forderungen aus der Tauwetterperiode zurückgeblieben. So wurde der Grundsatz „in dubio p r o r e o“ in die abgeschwächte Formel gekleidet: „Das Gericht, der Staatsanwalt, der Untersuchungsrichter und der Ermittlungsführer sind nicht berechtigt, die Beweislast auf den Beschuldigten abzuwälzen“ (Art. 14 Abs. 2 Grundsätze).

Die Boweiswürdigung soll „vom sozialistischen Rechtsbewußtsein geleitet" sein; darin liegt, wenn auch einige sowjetische Juristen diese Formel nur zugunsten des Angeklagten verstehen wollen, ein deutlicher Anklang an die subjektive Beweiswürdigung Wyschinskis. Zur Definition des soz. Rechtsbewußtseins s. o. C II 5. Die vorgeschlagene Einführung von Schwurgerichten wurde als bourgeoise Abirrung abgelehnt.

Bestehen geblieben ist die Negierung des rechtsstaatlichen Grundsatzes „ne bis in idem“. Denn neben der — in allen Rechtssystemen üblichen — Kassation und Revision auf Antrag des Staatsanwaltes oder des Verurteilten sieht das sowjetische Recht noch eine sehr weitgefaßte Möglichkeit der Wiederaufnahme abgeschlossener Verfahren bei „neuentdeckten Umständen“ und die Aufhebung rechtskräftiger Urteile durch die OGHe im „Aufsichtsverfahren“ vor. In beiden Fällen genügt eine „zu große Milde der Strafe“ (Art. 48— 50 Grundsätze, 371 ff. StPO 1960). Das Aufsichtsverfahren ist allerdings jetzt auf die Frist von 1 Jahr seit der Rechtskraft des Urteils beschränkt.

Die Kampagne zur „Heranziehung der Öffentlichkeit zur Strafrechtspflege“ bringt sogar — von ihrer radikalen Beseitigung aller Verfahrensgarantien im Bereich der außerordentlichen Justiz ganz abgesehen (s. IV 2) — ieue Beeinträchtigungen der Stellung des Angeklagten: durch das Institut der gesellschaftlichen Ankläger oder Verteidiger treten oft mehrere Ankläger gegen einen Angeklagten gleichzeitig auf und die bevorzugte Abhaltung von Strafprozessen am Arbeitsoder Wohnplatz des Angeklagten verwandelt das rechtsstaatliche Institut der Öffentlichkeit des Verfahrens zum Schauprozeß mit dem Zweck der Demütigung des Delinquenten und der Abschreckung der Zuschauer.

Während bei leichteren Delikten die Ermittlungen von der Miliz geführt werden, erfolgt bei schweren Verbrechen eine gerichtliche Vorunter-suchung durch einen Untersuchungsrichter. Bei Staatsverbrechen werden besondere Untersuchungsrichter des Staatssicherheitsdienstes tätig. Diese haben in der Vergangenheit vielfach, insbesondere bei dem Kameralverfahren der GPU, eine überragende Bedeutung für die Verurteilung gehabt.

IV. Außergerichtliche Justiz Im sowjetischen Recht hat das ordentliche Strafverfahren bisher regelmäßig nur einen Teil der Strafjustiz dargestellt. Daneben erfolgt die Verhängung von Strafen durch Verwaltungsbehörden oder durch die Bevölkerung selbst; in bei-den Fällen kommen selbst die bescheidenen, für das ordentliche Verfahren vorgesehenen, Bestimmungen zum Schutze des Angeklagten nicht zur Anwendung. 1. Außerordentliche Justiz durch Verwaltungsbehörden Die gefährlichste Art der außerordentlichen Justiz ist die Befugnis von Verwaltungsbehörden, insbesondere der Staatspolizei, zu unmittelbarem Eingreifen.

Zur Organisation des bewaffneten Aufstands wurde am 25. 10. 1917 von Lenin das Petersburger Militär-Revolutions-Komitee unter Leitung von Felix Edmundovic Dzerzinskij gegründet. Am 20. 12. 1917 wurde es in die „Allrussische Außerordentliche Kommission beim Rat der Volkskommissare zum Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage“ umgewandelt, die nach ihren russischen Anfangsbuchstaben als „Tscheka" bekannt ist. Sie besaß ein dichtes Netz von lokalen Dienststellen und eigene Truppenverbände. Sie nahm von Anfang an massenhaft Erschießungen vor und erhielt durch das Dekret „Über den Roten Terror" vom 5. 9. 1918 auch formal das Recht hierzu sowie zur Einweisung in „Konzentrationslager“. Besonders charakteristisch war das Dekret „Über die Revolutionstribunale“ vom 18. 3. 1920: „... Zum Zwecke des Kampfes mit den parasitären Elementen der Bevölkerung verbleibt für

den Fall, daß in der Ermittlung keine ausreichenden

Anhaltspunkte für eine Behandlung der Sachen im Wege der Strafverfolgung festgestellt worden sind, der Allrussischen Außerordentlichen Kommission das Recht, diese Personen für nicht länger als 5 Jahre in ein Zwangsarbeitslager einzuschließen.“

Zu Beginn der NEP, am 6. 2. 1922, wurde die Tscheka aufgelöst, mit dem gleichen Personal-bestand jedoch eine Staatliche Politische Ver-waltung (GPU) beim Volkskommissariat für Inneres errichtet. Diese besaß anfangs formal nur das Recht zur unmittelbaren Bekämpfung von Banditismus, Raub und Spionage, erhielt aber durch Dekrete vom 10. 8. und 16. 10. 1922 wieder die Befugnis, Teilnehmer an gegenrevolutionären Aufständen und Mitglieder antisowjetischer Parteien für 3 Jahre in Zwangs-arbeitslager einzuweisen. Spätestens seit dem 15. 11. 1923 bestanden bei der GPU (seit der Gründung der UdSSR: Vereinigte GPU = OGPU) Gerichtskollegien, sog. „Troikas“, die den Großteil der politischen Strafsachen an sich zogen und in Geheimverfahren aburteilten. Am 10. 7. 1934 wurde die OGPU in das neugebildete Unions-Volkskommissariat für Inneres (NKWD, seit 1946: Ministerium, MWD) eingegliedert; gleichzeitig (Ausführungsgesetz vom 5. 11. 1934) erhielt eine dort gebildete „Besondere Konferenz“ das Recht, „sozialgefährliche" Personen für 5 Jahre in Arbeitslager einzuweisen. Da das NKWD gleichzeitig die Arbeitslager verwaltete und wirtschaftlich ausnutzte, benutzte es diese Quelle für die Erweiterung seines Arbeitspotentials äußerst häufig und erneuerte oft die 5-Jahres-Frist nach ihrem Ablauf.

Im Augenblick besteht — abgesehen von dem in vielen Staaten üblichen Ordnungsstrafrecht und der Mitwirkung der lokalen Verwaltungsbehörden bei der Verbannung durch gesellschaftliche Urteile (s. u. 2) — keine Strafkompetenz von Verwaltungsbehörden; die Organe des Staatssicherheitsdienstes sind nur zur Ermittlung befugt. 2. Außerordentliche Justiz durch Gesellschaftsgerichte Kameradengerichte, bestehend aus gewählten Vertretern von Betriebsbelegschaften, Dörfern, Wohnblocks und Straßen wurden bald nach der Revolution eingeführt. Sie schliefen während der NEP (s. B 3) wieder ein, wurden Ende der zwanziger Jahre reaktiviert und schliefen Mitte der Jahre dreißiger abermals ein. Diese Gerichte konnten bei Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin und gegen die öffentliche Ordnung, Delikten gegen das Privateigentum, Beleidigungen und Körperverletzungen kleinere Strafmaßnahmen verhängen.

Seit 195 8 sind sie unter einer allgemeinen Kampagne zur Heranziehung der Öffentlichkeit zur Strafrechtspflege neubelebt worden, am 3. 7• 1961 ist in der RSFSR eine neue Kameradengerichtsordnung ergangen.

Vorgesehen ist eine Zuständigkeit für: Fehlen, Verspätung oder vorzeitiges Fortgehen bei der Arbeit, minderwertige Arbeit oder nicht gewissenhafte Pflichterfüllung durch Arbeiter; Nichtbeachtung der Sicherheitsvorschriften; Beschädigung von Betriebsvermögen; Trunkenheit und unwürdiges Benehmen in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz; unwürdiges Verhalten gegenüber Frauen und Eltern, Nichterfüllung der Erziehungspflicht; Beleidigung, Verleumdung und Zotenreißen; Beschädigung von Bäumen, von Grünanlagen oder Gebäuden; Verletzung von Hausordnungen; Verwaltungsrecht und sonstige kleine Rechtsverstöße, soweit die Justizorgane eine Verhandlung vor dem Kameradengericht für nötig halten. Als Strafen sind vorgesehen: Verpflichtung zur öffentlichen Entschuldigung, Rügen in drei Schärfegraden, Geldstrafe bis zu 10 Rubel, Antrag beim Betrieb auf Versetzung auf einen geringer bezahlten Arbeitsplatz oder Amtsdegradierung; Antrag auf Wohnungsausweisung, Verpflichtung zum Schadensersatz.

Noch sehr viel einschneidender ist das Verfahren auf Grund der seit Mitte 1957 in fast allen Unionsrepubliken erlassenen sog. Parasiten-gesetze. Hier richtet die gesamte Einwohnerschaft von Häuserblocks, Straßen und Dörfern und die gesamte Betriebsbelegschaft selbst durch öffentliche Abstimmung in Abwesenheit des Angeklagten. Dabei ist für so verschwommene und ethisch indifferente Tatbestände wie „Ausweichen vor gesellschaftlich-nützlicher Arbeit" und „parasitische Lebensweise" Verbannung von 2— 5 Jahren vorgesehen. Dies, ferner die Tatsache, daß kein Rechtsmittel möglich ist und daß das Urteil von der örtlichen Verwaltungsbehörde „bestätigt“ werden muß, erinnert lebhaft an die frühere Rechtsprechungsbefugnis des Innenministeriums.

Das neueste dieser Gesetze, das der RSFSR vom 4. 5. 1961, zeigt gewisse bescheidene Vergünsti-gungen: die Verurteilung durch das Kollektiv ist nur bei Personen möglich, die zum Schein ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind (dies sind aber praktisch alle Parasiten), die Ermittlung obliegt den ordentlichen Ermittlungsorganen und die Verurteilung ist erst nach vorheriger Verwarnung möglich. Seit dem 10. 3. 1959 sind schließlich sog. Volksdruzinen eingeführt worden, d. h. eine Laienpolizei.

Die Tatbestände zeigen deutlich die Ausdehnung der sozialen Kontrolle auf das tägliche Leben und das Privatleben. Die auf den ersten Blick positiv erscheinende Demokratisierung der Rechtspflege bietet keineswegs einen ausreichenden Schutz vor Willkür. Der unbeschränkte Volkswille bedroht den einzelnen ebenso wie die Macht des Despoten. Vor allem aber setzt die gesellschaftliche Rechtspflege, wenn sie sich rechtsstaatlichen Verhältnissen wenigstens annähern will, zu allererst eine pluralistische Gesellschaftsform voraus, so daß sich innerhalb des rechtsprechenden Kollektivs eine gewisse Gewaltenhemmung ergibt. In der monistischen Gesellschaftsordnung der Sowjetunion führt die gesellschaftliche Rechtspflege nur zu einer anderen Form der Herrschaft des Systems über den einzelnen, wobei noch die Gefahr individueller, auf aufgestacheltem Neid und nachbarlicher Mißgunst beruhender Exzesse hinzutritt.

Die sowjetische Presse ist voll von Berichten über Übergriffe der Laienpolizei. Ein recht-sprechendes Kollektiv ließ die Angeklagten vor sich niederknien und um Gnade bitten (Komsomolskaja Pravda v. 7. 7. 1959).

V. Zivilrecht 1. Allgemeines In der Sowjetunion spricht man vom „Bürgerlichen Recht, Zivilrecht (grazdanskoe pravo)“, da die in dem Begriff Privatrecht enthaltene Zweiteilung des Rechts in öffentliches und privates nicht anerkannt wird. „Wir erkennen nichts . Privates'an, für uns ist alles auf dem Gebiet der Wirtschaft öffentlich-rechtlich, und nicht privat. Wir lassen nur den Kapitalismus des Staates zu ... Daher ist die Anwendung der staatlichen Einmischung in die , privat-rechtlichen'Verhältnisse zu erweitern, ist das Recht des Staates, . private'Verträge aufzuheben, zu erweitern, ist nicht das Corpus juris romani auf die . bürgerlichen Rechtsverhältnisse'anzuwenden, sondern unser revolutionäres Rechtsbewußtsein, ist an Hand einer Reihe von Musterprozessen systematisch, beharrlich und nachdrücklich zu zeigen, wie man es mit Verstand und Energie machen muß.“ (Lenin, Brief an Kurskij v. 20. 2. 1922.)

Das heute noch geltende, im Zuge der NEP erlassene (s. o. B 3), BGB von 1922 zeigt nach Aufbau (Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Schuldtecht, Erbrecht) und Inhalt typisch romanistische Züge und betreibt nur in einzelnen Bestimmungen die von Lenin verlangte Einmischung des Staates. „Art. 1: Die bürgerlichen Rechte werden vom Gesetz mit Ausnahme der Fälle geschützt, daß sie in Widerspruch zu ihrer sozial-ökonomischen Zweckbestimmung verwirklicht werden.“ „Art. 30: Nichtig ist ein Vertrag, der in gesetzwidriger Absicht oder zur Umgehung des Gesetzes geschlossen ist, sowie ein Vertrag, der einen offensichtlichen Schaden des Staates bezweckt."

Der Gegenstand des Vertrages verfällt nach Art. 147 dem Staat.

Der Mensch ist nicht — wie in den klassischen Rechtssystemen — von Natur aus rechtsfähig, sondern: „Art. 4: Zur Entwicklung der Produktionskräfte des Landes gewährt die RSFSR allen Bürgern, die nicht gerichtlich in ihren Rechten beschränkt sind, die bürgerliche Rechtsfähigkeit ...“

Seit der offiziellen Verurteilung der Theorie des-Zweisektorenrechts Ende der zwanziger Jahre (s. B 4) gilt das BGB endgültig auch für die Beziehungen der staatlichen Wirtschaftsbetriebe untereinander und muß nunmehr durch ein System von Zwangsverträgen, Allgemeinen Vertragsbedingungen u. ä. mit den Erfordernissen der Planwirtschaft kombiniert werden.

Nach der Kollektivierung der Landwirtschaft und dem Übergang zur Lohndifferenzierung (s. B 5) schuf die Verfassung von 1936 die Grundlagen des heutigen Eigentumsrechts (s. u. 2).

Die am 1. 5. 1962 in Kraft getretenen neuen Unions-Grundsätze für das Zivilrecht bringen keine wesentlichen Neuerungen. Die Rechts-fähigkeit des Menschen wird nunmehr „anerkannt". Trotz der wiedererstandenen, verbreiteten Befürwortung eines selbständigen Wirtschaftsrechts gelten die neuen Zivilrechts-Grundsätze wiederum auch für die Rechtsbeziehungen unter den staatlichen Wirtschaftsorganen. Zur Abgrenzung des Wirtschafts-Verwaltungsrechts vom Wirtschafts-Zivilrecht bedienen sich die Gegner eines einheitlichen Wirtschaftsrechts dabei des Kriteriums der Über-und Unter-bzw.der Gleichordnung der Parteien, d. h. gerade jenes Kriteriums, das die klassischen Rechtssysteme für die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht verwenden. 2. Eigentumsrecht a) Allgemeines Das sowjetische Recht unterscheidet vier Eigentumsarten: das Staatseigentum, das genossenschaftlich-kollektivwirtschaftliche Eigentum (diese beiden Arten werden als „sozialistisches Eigentum“ bezeichnet), das persönliche Eigentum und die kleine Privatwirtschaft von Einzel-bauern und Kleinhandwerkern. Die letzte der aufgezählten Eigentumsarten ist bedeutungslos, da ihre Träger nur 0, 5 % der Bevölkerung ausmachen.

Bestimmte Gegenstände können sich nur im Eigentum des Staates befinden, nämlich der Boden einschließlich der Bodenschätze, Gewässer und Wälder, dieindustriebetriebe, das Eisenbahn-, Wasser-und Luftverkehrswesen, die Banken, das Post-und Fernmeldewesen, die staatlichen Landwirtschaftsbetriebe (Sowchosen), die Kommunalbetriebe und der Grundbestand an Wohnhäusern. Im Eigentum der Kolchosen und Genossenschaften, das grundsätzlich nur die zur Erreichung des jeweiligen Genossenschaftszwecks unmittelbar erforderlichen Produktionsmittel umfaßt, dürfen an sich die oben angeführten Gegenstände nicht stehen. In dem Bestreben, sich von den Mängeln der Planwirtschaft unabhängig zu machen, haben sich aber die Kolchosen vielfach eigene Zulieferungs-und Verarbeitungsbetriebe geschaffen. Größere Auswüchse hierbei mußten von der Regierung wiederholt beseitigt werden; heute versucht man, den Kolchosegoismus durch die Schaffung sog.

Inter-Kolchos-Organisationen, d. h. gemeinsame Unternehmen mehrerer Kolchosen, einzudämmen. Andererseits ist der Staat an der Bildung von Kolchosvermögen interessiert, da es den sog.

Unteilbaren Fonds, den der einzelne, dem Kolchos angeschlossene Hof bei einem — praktisch freilich kaum vorkommenden — Aus-scheiden nicht ausbezahlt erhält, auf Kosten des Einkommens der Kolchosmitglieder vergrößert. Seitdem 195 8 den Kolchosen die Landmaschinen verkauft worden sind, die Stalin zur Kontrolle der Kolchosen in staatlichen Maschinen-Traktoren-Stationen organisiert hatte, wurden die Abzüge zugunsten des Unteilbaren Fonds von 15— 20 auf ca. 30’/o erhöht. Durch den Einbau der Kolchosen in den Volkswirtschaftsplan übt der Staat eine sichere Kontrolle über das genossenschaftliche Eigentum aus. Die eigentliche Schwierigkeit des Kolchossystems für den Staat liegt in seinen Nebenerscheinungen auf dem Gebiet des persönlichen Eigentums: die Kolchosmitglieder wurden bisher nach der Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitstage anteilmäßig am Gewinn der Kolchose beteiligt und zwar z. T. in Naturalien, außerdem haben sie das Recht auf eine individuell zu bestellende kleine Bauernwirtschaft. Durch die Einführung eines fixen Geldlohnes und die „Überzeugung der Kolchos-mitglieder von der Überflüssigkeit ihrer Neben-wirtschaft" sollen die Besonderheiten des Kolchossystems beseitigt werden.

Persönliches Eigentum ist nach Art. 10 der Verfassung möglich an: selbsterarbeiteten Einkünften und Ersparnissen, am Wohnhaus und der häuslichen Nebenwirtschaft, an den Hauswirt-schaftsund Haushaltungsgegenständen, an den Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts; ferner — bei Kolchosbauernhöfen — nach Art. 7 Abs. 2 an: einer Nebenwirtschaft, einem Wohnhaus, Nutzvieh, Geflügel und landwirtschaftlichem Kleininventar. Der Sinn dieser Aufzählung ist es, daß sich im persönlichen Eigentum nur Konsumtionsmittel befinden dürfen bzw. daß Güter, die auch Produktionsmittel sein können (Autos, Nähmaschinen), nicht zur Erzielung eines arbeitsfreien Einkommens benutzt werden dürfen.

Berühmt geworden ist der Fall Poljakov aus dem Jahre 1944. P. hatte als Stachanov-Arbeiter ein Auto als Prämie erhalten und dies für 1200 Rubel im Monat an einen staatlichen (!) Trust vermietet. Als P. Zahlungsrückstände und Reparaturkosten einklagte, wurde der Vertrag nach Art. 30 BGB für ungültig erklärt und das Auto beschlagnahmt.

Jede Familie darf, abgesehen von einem Landhaus (Datscha), nur Eigentümer eines Hauses sein. Da aber die Anerkennung des persönlichen Eigentums das Erbrecht voraussetzt (s. u. 3) und da das sowjetische Recht die Familiengründung fördert (s. u. VI 1), gilt die Beschränkung nicht bei dem Erwerb mehrerer Häuser durch Erbfall oder Heirat. Da die herrschende Schicht sich weitgehend nach unten abschirmt, ist es daher häufig, daß sich in einer Familie nicht nur die Häuser der beiden Ehegatten, sondern auch Erbgut von beiden Elternteilen zusammenfindet.

Die Eigentümerbefugnisse sind für alle drei Eigentumsarten gleich bestimmt als das Recht auf Besitz, Nutzung und Verfügung. Der Eigentümer kann mit der actio vindicatoria seine Sache vom unrechtmäßigen Besitzer herausverlangen und mit der actio negatoria die Beseitigung von Eigentumsstörungen verlangen. Der Gutgläubige erwirbt Eigentum auch vom Nichtberechtigten, allerdings nicht bei Staatseigentum. Da es keine Ersitzung gibt, sondern Eigentum, das wegen Verjährung nicht mehr herausverlangt werden kann, dem Staat verfällt, wird die Verjährung gegenüber Staatseigentum gar nicht erst angewendet und wird bei Streitigkeiten zwischen dem Staat und Privatpersonen oder Genossenschaften das Eigentum des Staates vermutet. b)

Die Ausübung des Eigentumsrechts durch den Staat Das Eigentumsrecht des Gesamtstaats ist eine Fiktion, die von den sowjetischen Juristen nur unter großen Schwierigkeiten aufrechterhalten werden kann.

Seitdem in der NEP für die Betriebe das Prinzip der „wirtschaftlichen Rechnungsführung (chozra-zjot)" und damit eine gewisse vermögensrechtliche Selbständigkeit eingeführt wurde, mußten den Betrieben Quasi-Eigentümerbefugnisse zuerkannt werden. Diese bezeichnet man als das „Recht auf operative Verwaltung". Es wird von den Betrieben oft gegeneinander geltend gemacht:

Eine Leningrader Kesselfabrik beauftragte einen Straßenbaubetrieb, ihren Fabrikhof zu asphaltieren. Als Bezahlung wurde die Reparatur einiger Kessel vereinbart. Mit den Baumaschinen brachte der Baubetrieb gleichzeitig seine Kessel in die Kesselfabrik. Diese bezahlte daraufhin in bar und verweigerte die Herausgabe der Kessel, da der Baubetrieb sein Eigentum nicht mittels Quittung beweisen könne (loffe, Sovetskoe grazdanskoe pravo, Len. 1958, S. 362).

Es ist anerkannt, daß sich die Betriebe untereinander der Eigentümerherausgabeklage bedienen können. Einzelne sowjetische Juristen haben daher ein Ober-und Untereigentum zwischen Staat und Betrieben ähnlich der mittelalterlichen Lehnsverfassung behauptet.

Auch das staatliche Eigentum am Boden ist weitgehend fiktiv. Den Kolchosen wird der Boden „zu ewiger, unentgeltlicher Nutzung“ überlassen. Auch für individuelle Wohnhäuser werden Grundstücke unbefristet zur Verfügung gestellt, die bei jeder Veräußerung des Hauses automatisch mit übergehen. Häufig werden daher mit provisorischen Bauten versehene Grundstücke illegal gehandelt, oder die Inhaber von Grundstücken überlassen diese anderen gegen die Gewährung einer Wohnung in dem zu errichtenden Haus. 3. Erbrecht Das Erbrecht wurde am 27. 4. 1918 abgeschafft. Da aber gleichzeitig die nächsten Verwandten des Verstorbenen bei Bauernhöfen, Hausrat und Arbeitswerkzeug im Wert bis zu 10 000 Goldrubel das „Recht der unmittelbaren Verwaltung und Verfügung" erhielten, handelt es sich um einen Fall der im sowjetischen Recht häufig anzutreffenden Begriffsjurisprudenz. Im Zuge der NEP wurde das Erbrecht zunächst 1922 bis zur Höhe von 10 000 Goldrubeln und 1926 sogar in unbeschränkter Höhe wieder eingeführt. Zwar war der Kreis der Erben auf die nächsten Verwandten beschränkt, aber im Interesse der Kapitalbildung ließ der Staat die freie Verfügung von Todes wegen bei allen Bankeinlagen zu (Art. 436 BGB). Die Wiedereinführung des Erbrechts wurde zunächst als vorübergehend angesehen: „Bei der Wiederherstellung des Erbrechts geht das BGB davon aus, daß Großkonzessionäre angelockt werden sollen, die — in der Sorge um ihre Nachkommenschaft — ohne dieses Gesetz nicht zu uns kommen würden. Deshalb wurde das bourgeoiseste aller Rechte übernommen. * (Stuka, Kurs sovetskogo grazdanskogo prava, Bd. 2, Mosk. 1929, S. 142.)

Nach dem Übergang zur Politik der sozialen Differenzierung Anfang der dreißiger Jahre wurde das Erbrecht endgültig übernommen und in der Verfassung garantiert. 1943 wurde sogar die Erbschaftssteuer abgeschafft, die bis dahin bis zu 90% des Nachlasses verschlang. Ein Erlaß vom 14. 3. 1945 ließ — neben den Kindern und dem Ehegatten des Erblassers — auch die Vererbung an dessen Eltern und Geschwister zu und führte Erbenordnungen ein, während vorher alle Erben zu gleichen Teilen erbten. Seit 1962 kann der Erblasser jede beliebige Person zum Erben einsetzen.

Zum Erben eingesetzt werden können auch staatliche oder gesellschaftliche Organisationen, nicht aber die Kirche (Beschluß des OGH der UdSSR v. 23. 10. 1947, Nr. 1068). 4. Die „erzieherische Funktion des Sowjetrechts'7 im Zivilrecht Seit der Moralisierung des Sowjetrechts Anfang der dreißiger Jahre (positivrechtlich zum Ausdruck gekommen in den „Grundpflichten“ der Verfassung, s. ob. C I 3) versuchen die sowjetischen Juristen, auch im Zivilrecht die „erzieherische Funktion des Sowjetrechts“ zu entdecken.

Bei dem Schadensersatzrecht ist dies nicht schwierig, zumal es wegen der Unmöglichkeit anderweitiger Beschaffung in der Planwirtschaft fast nur zur Erzwingung der Erfüllung verwendet wird. Andere klassische Rechtsinstitute bereiten aber erhebliche Schwierigkeiten. So wird die Haftung für das Verschulden des Erfüllungsgehilfen durch den Hinweis auf die Regreßmöglichkeit des Dienstherrn gegenüber dem Gehilfen mit dem Schuldprinzip in Einklang gebracht. Ein weiteres Problem ist die Kausalhaftung bei Benutzung besonderer Gefahrenquellen. Während der schuldnegierenden Periode des sowjetischen Rechts hatte man sogar allgemein das „individualistische Prinzip der Schuld" durch das „soziale Prinzip der Verursachung“ ersetzen wollen und auch die allgemeine Schadensersatz-vorschrift (§ 403 BGB) als bloße Kausalhaftung interpretiert. Später versuchte man unter dem Einfluß des Dogmas von der erzieherischen Funktion des Sowjetrechts umgekehrt, auch in die Vorschrift über die Kausalhaftung ein Verschulden hineinzuinterpretieren. Für die in Art. 404 BGB zum Ausdruck ge-brachte Norm die erzieherische Bedeutung zu bestreiten, die allen Normen des Sowjetrechts, die das Verhalten der Menschen regulieren, eigen ist, würde bedeuten, sie nicht als Rechtsnorm anzuerkennen" (K. K. Jaikov, Voprosy grazdanskogo prava, Mosk. 1957, S. 166). 5. Zivilprozeßrecht Das Zivilprozeßrecht (ZPO der RSFSR von 1923, neue Unionsgrundsätze 1961) zeigt eine konsequente Negierung der liberalen Prozeßgrundsätze. Die Verhandlungsmaxime (Herrschaft der Parteien über das Verfahren, insbesondere über die vorgetragenen Tatsachen, Beweislast der Parteien) wird durch die Inquisitionsmaxime (Aufklärung von Amts wegen) ersetzt; an die Stelle der Dispositionsmaxime (Herrschaft der Parteien über die Einleitung, den Gegenstand, den Umfang und die Beendigung des Verfahrens) tritt die Offizialmaxime: der Staatsanwalt kann „zum Schutze der Interessen des Staates oder der Werktätigen" an Stelle des Berechtigten und sogar gegen seinen Willen den Prozeß führen und jederzeit in schwebende Verfahren eintreten, das Gericht kann Unterhalts-Verfahren gegen den Willen einer oder beider Parteien einleiten, Verfahren gegen den Willen einer Partei fortführen und neue Beklagte in das Verfahren hineinziehen. Bemerkenswert ist, daß das sowjetische Schrifttum sich lebhaft bemüht, die Durchführung der Grundsätze der Verhandlungsund der Dispositionsmaxime im sowjetischen Recht nachzuweisen.

Alle Streitigkeiten zwischen Staatsbetrieben werden nicht vor den ordentlichen Gerichten, sondern in einem Schiedsgerichtsverfahren (Arbitrage-Verfahren) entschieden. Streitigkeiten mit ausländischen Firmen entscheidet die Außenhandels-Arbitrage.

VL Familienrecht 1. Ehe, Ehescheidung, Im Familienrecht kommt der Wandel zwischen dem frühbolschewistischen Radikalismus und der späteren Stabilisierung besonders kraß zum Ausdrude. 1917 wurden die obligatorische Zivilehe und die unbeschränkte Scheidungsfreiheit auf Antrag auch nur eines Ehegatten eingeführt. Das Familiengesetzbuch der RSFSR von 1918 übernahm diese Regelung und setzte die unehelichen Kinder in jeder Beziehung mit den ehelichen gleich. Das FamGB der RSFSR von 1926 brachte im Zuge des allgemein propagierten Absterbens des Rechts einen weiteren Linksruck: als Ehe wurde auch das bloß faktische Zusammenleben anerkannt, für die Scheidung genügte umgekehrt das einfache Auseinandergehen.

Ein Gesetz vom 27. 6. 1936 brachte dann unter großem Propagandaaufwand (erstmals wurde in der Sowjetunion die Diskussion eines Gesetz-entwurfs zugelassen) einen ersten Umschwung: die Ehescheidung wurde durch die Festsetzung einer spürbaren Gebühr (50 Rubel mit Verdoppelung bei jeder weiteren Scheidung) erschwert. Die gleichzeitig vorgesehenen Maßnahmen: Erhöhung der staatlichen Beihilfe für Wöchnerinnen und ihre Einführung für Kinderreiche, Vermehrung der Entbindungsheime, Erhöhung der Strafe für die Verletzung der Unterhalts-pflicht und Einführung der Strafbarkeit der Abtreibung zeigen klar den bevölkerungspolitischen Zweck des Gesetzes.

Eine weitere Tendenz zur Stabilisierung zeigt der Erlaß vom 8. 7. 1944. Dieser schaffte die faktische Ehe ab und erschwerte die Ehescheidung radikal: sie ist nur noch unter persönlichem Erscheinen beider Teile vor den Gau-und Geuneheliche Kindschaft bietsgerichten (Benachteiligung besonders der Landbevölkerung) nach einem Sühneverfahren vor dem Volksgericht möglich; das Verfahren kostet 500 bis 2000 Rubel. Voraussetzung ist außerdem eine Bekanntgabe durch den Scheidungswilligen in der Zeitung (Kosten und Diskreditierung).

Die Richtlinie des OGH der UdSSR vom 16. 9. 1949 erschwerte die Scheidung noch mehr: „Nur dann, wenn das Gericht ... zu der Über-zeugung gelangt, daß die Einleitung des Ehescheidungsverfahrens auf gründlich bedachte und begründete Ursachen zurückzuführen ist und daß eine Aufrechterhaltung der Ehe im Widerspruch zu den Prinzipien der kommunistischen Moral stehen würde und keine normalen Bedingungen für ein gemeinsames Leben und die Erziehung der Kinder bieten kann, kann das Gericht die Ehe scheiden."

Die unehelichen Kinder behandelt das Gesetz von 1944 unter krasser Mißachtung elementarer sozialistischer Forderungen und in einer Weise, wie sie in westlichen Staaten kaum noch vertreten wird; sie sind nicht nur mit ihrem Vater nicht verwandt, sondern haben auch keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn. Statt dessen erhalten sie bis zum 12. Lebensjahr eine bescheidene Rente vom Staat. Auch bei dem Gesetz von 1944 zeigen die weiteren Maßnahmen (Erhöhung der Unterstützung für Kinderreiche und werdende Mütter, Einführung von nach der Zahl der Kinder gestaffelten Mutterorden, Besteuerung der Ledigen und Kinderlosen) deutlich den bevölkerungspolitischen Zweck des Gesetzes.

Das sowjetische Schrifttum fordert heute überwiegend die Abschaffung der reaktionären Bestimmungen über die Scheidung und die Stellung der unehelichen Kinder. 2. Elterliche Gewalt Für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist in der Sowjetunion allein das angebliche Wohl des Kindes maßgeblich.

Dies gilt für die Erteilung des Sorgerechts bei der Scheidung (keine Berücksichtigung des Verschuldens), aber auch für die Herausgabeklage: „Für die Entscheidung von Klagen von Eltern auf Herausgabe ihrer Kinder von Verwandten oder Dritten gilt die Regel, daß bei gleidten Bedingungen die Eltern das Vorrecht der unmittelbaren Erziehung ihres Kindes genießen. ... Aber wenn in einem solchen Verfahren festgestellt wird, daß nicht nur keine gleichen Bedingungen für die Erziehung bei den Streitteilen vorhanden sind, sondern daß die Herausgabe des Kindes an die Eltern im Gegenteil dem Kind Schaden zufügt, gehen die Eltern dieses Vorrangs verlustig." (Sverdlov, Sovetskoe se-mejnoe pravo, Mosk. 1958, S. 201 f.)

Bei „nicht ausschließlich im Interesse des Kindes erfolgender, unrechtmäßiger Ausübung“ der elterlichen Rechte können diese sogar gerichtlich entzogen werden.

Diese Regelungen gehen nicht nur weiter als die entsprechenden westlicher Staaten — der unbestimmte Rechtsbegriff des Interesses bzw.

Schadens des Kindes muß darüber hinaus in der politisch engagierten sowjetischen Rechtsprechung eine besonders anti-individualistische Auslegung erhalten. Dies vor allem wenn es heißt:

„Die wichtigste Pflicht der Eltern in bezug auf ihre Kinder ist die Erziehung der Kinder im Geiste der Hingabe an die Heimat, einer ehrlichen Einstellung zur staatlichen und gesellschaftlichen Pflicht, der Achtung der Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens.“ (a. a. O., S. 198.)

Bibliographie

Vorbemerkung: Die unten aufgeführten Werke von Maurach, Schroeder und besonders das von Gsovski und Grzybowski sowie Sovetskoe ugolov-noe pravo. Bibliografija enthalten eingehende Bibliographien. Das folgende Titelverzeichnis beschränkt sich daher auf die wichtigsten neueren Veröffentlichungen zu den einzelnen Rechtsgebie-ten. Zeitschriftenaufsätze werden nicht gesondert aufgeführt. 1. Literatur aus dem Osten Antimonov, B. S„ Grave, K. A., Sovetskoe nasledstvennoe pravo. M. 1955. (Das sowjetische Erbrecht.)

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Recht in Ost und West. Berlin. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Karl Dietrich Bracher: „Plebiszit und Machtergreifung"

Heinz Gollwitzer: „Weltbürgertum und Patriotismus"

Babette L. Gross: „Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren"

Romano Guardini: „Der Glaube in unserer Zeit"

Henry A. Kissinger: „Die ungelösten Probleme der europäischen Verteidigung"

Hans Kohn: „Wege und Irrwege. Vom Geist des deutschen Bürgertums"

Wolfgang Mitter: „Gesichtspunkte zur Didaktik und Methodik der Behandlung von Ost-fragen"

Franz Petri: „Deutschland und die Niederlande"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: Friedrich-Christian Schroeder, geb. 14. 7. 1936, wis-senschaftlicher Assistent für Strafrecht und osteuropäisches Recht an der Universität München, Mitarbeiter des Instituts für Ostrecht München. 1955— 1957 Stipendiat am Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen: Das sowjetische Strafrecht de lege ferenda, Berlin 1958; Die Grundsätze der Strafgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken (Kommentar), Herren-alb 1960; Beiträge zum Sowjetrecht u. a. in den Zeitschriften . Recht in Ost und West" und „Jahrbuch für Ostrecht".