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Die Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges | APuZ 50/1962 | bpb.de

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APuZ 50/1962 Historie und weltpolitische Situation Die Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches"

Die Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges

GOTTHARD JASPER

Einmütigkeit der internationalen Forschung

In der internationalen Forschung besteht heute weitgehend Einmütigkeit darüber, daß die Hauptverantwortung für den Ausbrudi des Zweiten Weltkrieges auf Hitler und den Nationalsozialismus fällt. Sicherlich hat man das etwas grobschlächtige Bild der Nürnberger Prozesse längst differenziert. Kein ernstzunehmender Historiker wird Hitler so weit überschätzen und dämonisieren wollen, als ob er lange im voraus den Zweiten Weltkrieg, so wie er am 1. /3. September Wirklichkeit wurde, plante und kaltblütig herbeiführte. Weltkriege kann man nicht in beliebiger Situation „machen“. Es hat mancherlei Momente ursächlicher Verstrickung, viele gefährliche Irrtümer und Fehleinschätzungen auf allen Seiten gegeben, ohne die der Zweite Weltkrieg kaum möglich geworden wäre. Aber das alles ändert doch nichts an der Tatsache, daß Hitler es war, der mit dem Entschluß zum Angriff auf Polen den Weltkrieg auslöste, und daß er die Hauptverantwortung für diese Katastrophe trägt, soweit im Fluß der Geschichte ein Mensch überhaupt Verantwortung tragen kann.

Taylors neue Deutung

Dieses allgemein akzeptierte Bild ist jüngst durch A. J. P. Taylor und David L. Hoggan heftigst angegriffen worden. Taylor wie Hoggan interpretieren Hitlers Außenpolitik als rein revisionistisch. Der Führer habe einzig und allein Deutschland von den Ketten des Versailler Vertrages befreien wollen. Daß die Außenpolitik Hitlers von ganz bestimmten Grundanschauungen geprägt und beherrscht ist, wollen sie nicht gelten lassen, obwohl die Kontinuität dieser außenpolitischen Zielvorstellungen des Führers, deren Kern die Eroberung von Lebensraum im Osten ist, von der ersten Niederschrift des Kampfbuches an bis hin zum politischen Testament aus dem Februar 1945 evident ist und durch jedes neue Dokument — wie etwa jüngst durch Hitlers zweites Buch — aufs neue be-stätigt wird Für Taylor ist Hitler ein im Grunde friedfertiger Politiker und der Zweite Weltkrieg nicht etwa die Folge des nationalsozialistischen Expansionsdranges, sondern „der Krieg von 1939, weit davon entfernt, im voraus geplant zu sein, war ein Irrtum, das Ergebnis beiderseitiger diplomatischer Schnitzer“ (S. 281).

Da Taylor für diese seine Deutung keine neuen Quellen benutzt hat, sondern sich auf auch vorher schon bekanntes Material stützt, ist es unumgänglich, diese seine neue Deutung an den Quellen auf ihre Glaubwürdigkeit nachzuprüfen. Beim Beweis seiner These stellt sich für Taylor die Schwierigkeit, daß Hitler zu unzähligen Malen geäußert hat, er wolle die Expansion in den Osten, obwohl das nur mit Gewalt möglich sein werde. Taylor erklärt alle diese eindeutigen Willenskundgebungen Hitlers als Wachträume, Visionen oder Bluff und vorgespielte Drohungen. In seinen politischen Handlungen sei Hitler nicht etwa diesen Plänen gefolgt, auch wenn es hinterher so aussieht, sondern er erweise sich vielmehr als „ein Meister in den Schlichen des Wartens, ... bis die ihm widerstehenden Kräfte durch ihre eigene Verwirrung unterminiert worden waren und ihm den Erfolg selbst aufzwangen (!) . . ." S. 97). Die Initiative habe Hitler nie ergriffen.

Das Hoßbach-Mernorandum ein „Wachtraum”?

Die Stichhaltigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Argumentationen sei an einigen Einzelbeispielen geprüft. Nachdem Taylor alle Lebensraum-und Weltherrschaftspläne Hitlers in seinem Kampf-buch, in den Tischgesprächen von 1942 oder in den Bunkererklärungen vom Februar 1945 als „Wachträume“ und „Verallgemeinerungen eines machtvollen aber ungeschulten Verstandes, (als) Dogmen, die das Echo der Unterhaltungen in einem jedem österreichischen Cafe oder deutschem Wirtshaus waren" (S. 94/95), disqualifiziert hat, setzt er sich dann mit der bekannten Besprechung vom 5. November 1937 auseinander, die uns durch das sogenannte Hoßbach-Mernorandum überliefert ist (S. 174 ff.). Taylor referiert zunächst den Inhalt von Hitlers Erklärungen, insbesondere seine Absicht, die deutsche Frage im Sinne des Lebensraumes zu lösen, auch wenn das den risikoreichen Weg der Gewalt erfordere und zuvor die Tschechei und Österreich niederzuwerfen seien Taylor stellt dazu fest, daß für Hitler „Gewalt", „Drohung mit Krieg nicht notwendigerweise Krieg selbst“ bedeutet hätte und daß Hitlers Darlegungen „zum großen Teil ein Wachtraum ohne Beziehung zur Wirklichkeit“ gewesen sei. Darum gibt es für Taylor „nur einen Schluß, der aus diesem wuchernden Elaborat gezogen werden kann: Hitler spekulierte auf eine Laune des Glücks, die ihm einen außenpolitischen Erfolg bescheren sollte. Es gab keine konkreten Pläne, keine Richtschnur für die deutsche Politik . . ., und wenn es eine gab, dann schrieb sie vor, die Ereignisse abzuwarten“. „Hitler machte keine Pläne — um die Welt oder irgend etwas anderes zu erobern, er ging vielmehr davon aus, daß andere für die Gelegenheiten sorgen würden und er sie ergreifen würde." Der eigentliche Kriegsschuldige mußte folgerichtig der sein, der Hitler die Gelegenheiten besorgte. Chamberlain ist nach Taylors Worten der „geeignete Kandidat“ dafür (S. 178).

Nun wird niemand behaupten wollen, daß am 5. 11. 1937 sozusagen die Verschwörung zur Anzettelung des Zweiten Weltkrieges ihren Anfang nahm, auch wenn das die Anklage in Nürnberg so darzustellen versuchte. Hier wurde kein verbindlicher Fahrplan zur Welteroberung in allen Einzelheiten aufgestellt. Ferner ist unbestritten, daß Hitler den Krieg gegen die Westmächte an sich nicht wollte. Aber unbezweifelbar bleibt doch, daß der „Führer" hier eindeutig seinen Willen zu einer expansiven Ost-politik unter militärischer Gewaltanwendung bekundete.

Die Spitzengremien der Wehrmacht hatten das klar erkannt Sie nahmen Hitlers Erklärungen nicht als Wachtraum, sondern so ernst, daß sie sie sofort in ihre strategischen Planungen einarbeiteten. Noch im Dezember 1937 wurde Hitler ein „ 1. Nachtrag zur Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht vom 24. 6. 1937“ zur Unterschrift vorgelegt. Diese Neufassung betraf vor allem den soge-nannten Fall „Grün“, den Aufmarschplan gegen die Tschechei. War dieser bisher lediglich ein — wenn auch präventiver — Teil einer insgesamt defensiv bestimmten Planung, so wurd 1937“ zur Unterschrift vorgelegt. Diese Neufassung betraf vor allem den soge-nannten Fall „Grün“, den Aufmarschplan gegen die Tschechei. War dieser bisher lediglich ein — wenn auch präventiver — Teil einer insgesamt defensiv bestimmten Planung, so wurde er jetzt in den Mittelpunkt gestellt und verlor seinen defensiven Charakter. In engster Anlehnung an den Vortrag Hitlers vom 5. 11. 1937 hieß es nun: „Hat Deutschland seine volle Kriegsbereitschaft auf allen Gebieten erreicht, so wird die militärische Voraussetzung geschaffen sein, einen Angriffskrieg gegen die Tschechoslowakei und damit die Lösung des deut-

schen Raumproblems auch dann zu einem siegreichen Ende zu führen, wenn die eine oder andere Großmacht gegen uns eingreift. .. Tritt aber eine Lage ein, die durch Englands Abneigung gegen einen allgemeinen europäischen Krieg, durch seine Un-interessiertheit an dem mitteleuropäischen Problem und durch einen zwischen Italien und Frankreich im Mittelmeer ausbrechenden Konflikt die Wahrscheinlichkeit schafft, daß Deutschland außer Rußland keinen weiteren Gegner an der Seite der Tschechoslowakei findet, so wird der Fall , Grün'auch vor (im Original unterstrichen) der erreichten vollen Kriegsbereitschaft eintreten 4).

Hier offenbart sich schlagartig der große Realitätsgehalt des Hoßbach-Memorandums. Die Aggressivität dieser Einleitungsbemerkungen zum neugefaßten Fall „Grün“ läßt sich weder als . Wachtraum“ noch etwa als generalstabsmäßige Routinearbeit wegerklären. Der Wille zum Krieg ist offenkundig. Zugleich entpuppt sich hier das Hitler zugeschriebene passive Warten auf Gelegenheiten als die höchst gespannte Aufmerksamkeit eines Mannes, der sich daranmacht, seinem Nachbarn eine Bombe mit Zeitzünder ins Haus zu legen, der dabei aber auch bereit ist, in einem unbewachten Augenblick schon vorher mit der Axt einzubrechen. Im Lichte dieser Quellen und Zusammenhänge wird man Taylors Interpretation als im höchsten Maße gekünstelt ansprechen müssen.

Die Zerstörung der Tschechoslowakei ein „Nebenprodukt" ?

Als Hitler im März 1939 Prag besetzte, da spürten die Zeitgenossen erstmals ganz klar, daß hinter seiner Politik mehr stand, als nur die Revision von Versailles und die Durchsetzung des deutschen Selbstbestimmungsrechtes. So führte dann dieser den expansiven nationalsozialistischen Imperialismus verratende Schritt zu dem entscheidenden Umschwung in der britischen Politik. Taylor verharmlost freilich auch diesen Vorgang, der ein Musterbeispiel für Hitlers passive abwartende Taktik sei. Die Besetzung Prags war nach Taylor (S. 249 ff. und 259 ff.) nicht eine gewollte Aktion, mit der sich Hitler holte, was ihm in München 1938 versagt geblieben war, sondern ein völlig unbeabsichtigter Schritt, sie war „das unvorhergesehene Nebenprodukt der Entwicklung in der Slowakei", deren Autonomiebestrebungen Hitler völlig selbstlos „begönnerte“. Die dieser These entgegenstehenden militärischen Weisungen vom Oktober und Dezember 1938 sind für Taylor reine Vorbeugungsmaßnahmen. Die Entwicklung sei erst in Gang gekommen, als die Slowaken weiter gingen, als es Hitler vorgesehen hätte. Sie, nicht Hitler, hätten die Krise des tschechischen Staates herbeigeführt. Da es aber für Hitler unerträglich gewesen wäre, wenn die Tschechen ihr geschädigtes Ansehen durch einen Erfolg über die Slowaken wiederherstellten, sei er zum Eingreifen gezwungen worden. Dies hätte auch geschehen müssen, um zu verhindern, daß die Ungarn die Slowakei besetzten. Die Er-richtung des Protektorats war demnach „nicht mit bösem Vorbedacht geplant“.

Versucht man, sich mit dieser Sicht auseinander-zusetzen, so wird man zugestehen können, daß Hitler wahrscheinlich Anfang Januar noch nicht genau wußte, wie er das tschechische Problem lösen würde. Der Entschluß und Wille, es „so oder so" zu lösen, ist aber in den Akten eindeutig belegt. Hitler derartig ins Schlepptau der Slowaken geraten zu lassen, läßt sich in gar keiner Weise mit der klaren Sprache der Dokumente vereinbaren. Sie geben Auskunft darüber, wie Hitler alles tat, um den Volkstumskampf in der Tschechei anzuheizen und den Prozeß der Desintegration zu beschleunigen. Er ermunterte die Ungarn zu Grenzzwischenfällen, und er war es auch, der die Slowaken durch ultimative Drohungen zum offenen Bruch mit der tschechischen Zentralregierung zwang und vor den Karren seiner eigenen Absichten spannte 5). Taylor nimmt das alles nicht zur Kenntnis. Lind so endet seine Verharmlosung der nationalsozialistischen Aggressivität mit ihrer bewußten Indienststellung deutscher wie fremder Volkstums-bewegungen bei der Behauptung: „Hitler unterstützte die Slowakei um ihrer Selbst willen" (S. 251). Damit vertauscht er Ursache und Wirkung. Nicht Hitler war der Getriebene, sondern die Slowaken. Die Akten lassen nichts von Passivität und geduldigem Warten, jenen angeblichen Meistertugenden Hitlers, verspüren.

Der Kriegsausbruch ein „Irrtum" ?

Das Absichts-und Planlose der Hitlerschen Außenpolitik und ihren gewaltlosen Charakter will Taylor auch in der unmittelbaren Vorgeschichte des 1. September 1939 bestätigt finden. Er berichtet von den militärischen Planungen und Vorbereitungen zum Polenfeldzug und erwähnt dabei auch die Generalversammlung vom 23. Mai, in der Hitler seinen Kriegsentschluß und Kriegswillen offen bekanntgab 6).

Aber das alles gehörte nach Taylor zum Nervenkrieg. Hitlers wahre Absichten zielten, so glaubt Taylor, auf ein zweites München, er spekulierte darauf, daß die Westmächte den Nervenkrieg nicht durchhalten würden und für ihn die Kapitulation der Polen erzwängen. Diesem und nur diesem Ziel soll schließlich auch der Pakt mit Moskau, der Ribbentrop-Molotow-Vertrag vom 23. 8. 1939, gedient haben. Einen Tag zuvor hatte Hitler freilich am 22. 8. im Wissen um den bevorstehenden Abschluß mit Moskau seine Generäle durch „seine wildeste Ansprache“ aufgehetzt Aber auch das soll nur Bluff gewesen sein. Hitler drohte ganz offensichtlich. Doch ob diese Drohung Bluff war oder nicht, das kann Taylor kaum beweisen. Gegen seine These und für die Ernsthaftigkeit der Kriegsabsichten Hitlers spricht, daß der „Führer" noch am Tage des Moskauer Paktes den deutschen Angriffstermin gegen Polen auf den 26. August vorverlegte. Dieser Sachverhalt ist doch nur dahingehend deutbar, daß Hitler am 23. 8. glaubte, unter dem Eindruck des Abschlusses mit Stalin würden die Engländer und Franzosen die Polen im Stich lassen, angesichts der Aussichtslosigkeit, ihnen wirksame Hilfe bringen zu können. Um diesen Eindruck zu verstärken und die Engländer zusätzlich zu verwirren, machte Hitler dann am 25. 8. mittags noch ein großes Bündnisangebot an England, um dann — kaum hatte der englische Botschafter ihn verlassen — kurz nach 15 Uhr den Fall „Weiß“, den Angriff auf Polen, endgültig am 26. 8. auszulösen. Damit entlarvte er zwar sein Angebot an England als Bluff, bewies aber so eindeutig, wie es eben nur geht, seinen Kriegswillen Von einem Hinarbeiten auf ein neues München ist in diesen unzweideutigen Handlungen Hitlers nirgends mehr etwas zu entdecken. Hitlers Kriegswille in diesem Moment war unbezweifelbar, auch wenn er im Laufe des Abends unter dem Eindruck der englisch-polnischen Allianz und der italienischen Absage den Befehl widerrief.

Auch Taylor kennt diese Fakten. Aber unbekümmert erklärt er, daß die Vorverlegung des Angriffstermins am 23. 8. „nur Schmierenschauspielerei, um die Generäle zu beeindrucken", gewesen sei. Einen Beweis dafür sieht Taylor in den deutschen Aufmarschplänen, die frühestens am 1. September einen Krieg gegen Polen erlaubt hätten. Das ist jedoch eine unhaltbare Behauptung. Die Weisung zum Fall „Weiß" sah ausdrücklich vor, daß die Durchführung bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich sein müßte Tatsächlich war ja auch der deutsche Aufmarsch bereits seit dem 20. August vollzogen.

Doch Taylor mutet seinen Lesern noch mehr zu, denn Hitler hat ja am 25. 8.seine „Schmierenschauspielerei“ vom 23. 8.selber ernst genommen, indem er nun den Befehl zum endgültigen Angriff für den Morgen des 26. 8. gab. Dafür hat Taylor eine reichlich seltsame Erklärung: Hitler hatte „seinen Terminkalender vergessen und konnte sich nicht klarmachen, daß seine Befehle, nachdem sie einmal gegeben waren, schließlich auch ausgeführt würden* (S. 344). Überzeugen kann eine derartige Interpretation gewiß nicht, sie erregt allenfalls den Verdacht, der Oxforder Professor wolle seine Leser zum Narren halten.

Taylor kann denn auch keine befriedigende Erklärung dafür finden, daß der Krieg schließlich doch noch am 1. September ausbrach. Er betont zwar, daß Hitler ernsthaft auf ein polnisches Verhandlungsangebot gewartet habe: aber er habe sich auch hier in der Zeit verrechnet. So wurde „Hitler in einen Krieg verwickelt (I), weil er erst am 29. 8. ein diplomatisches Manöver lancierte, das er schon am 28. hätte lancieren sollen" (S. 3 54). Jetzt konnte Hitler also nicht mehr warten, oder wollte er nicht mehr warten? Taylor gibt offen zu, daß der Bruch zwischen England und Polen das Ziel der diplomatischen Aktivität des Führers in den letzten Tagen vor dem 1. September war (S. 351). Er muß weiterhin auch zugeben, daß selbst ein Bruch zwischen England und Polen den polnischen Außenminister Beck kaum zur Kapitulation gebracht hätte.

Das Vorbild von München und Prag schreckte ihn. Das zuzugeben bedeutet aber, daß dann Hitlers ganze diplomatische Aktivität darauf ausging, Polen zu isolieren und anschließend zu überfallen. So hatte er es seinen Generälen gesagt und dem entsprachen seine Handlungen im Frühjahr und Sommer 1939. Taylor gesteht das auch an anderer Stelle indirekt ein, wenn er schreibt: Hitler „wollte ohne Krieg Erfolge erringen, oder jedenfalls nur durch einen so geringfügigen Krieg, daß man ihn kaum von einem diplomatischen Schachzug unterscheiden könnte. Einen größeren Krieg plante er nicht" (S. 279). Damit enden aber Taylors gesamte Ausführungen bei dem Nachweis, daß der Zweite Weltkrieg — völlig unbeabsichtigt — entstand, weil Hitler seinen kleinen Krieg gegen Polen nicht bekam. Der „Irrtum“, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, war demnach letztlich doch allein Hitlers illusionistischer Fehlschluß oder Selbstbetrug, daß England nicht eingreifen würde, wenn er Polen angriffe. Für Taylor heißt das, Hitler wurde in einen Weltkrieg „verwickelt“, weil durch seine Ungeschicklichkeiten die in ihre eigenen diplomatischen Netze verstrickten Engländer gezwungen worden seien, wenn auch widerwillig, den starrsinnigen Polen beizuspringen. Fast legt das den Verdacht nahe, als ob di« Polen die Hauptschuld trügen. Taylor scheint dieser Auffassung zuzuneigen, denn „nüchterne Staatsmänner hätten sich auf Gnade oder Ungnade ergeben, nachdem sie die Gefahren, die Polen drohten, und die Unzulänglichkeit seiner Mittel ewogen hatten“ (S. 322 f.).

Das heißt letztlich, weil Beck nicht bereit war, Polen zu einem Satelliten Hitler-Deutschlands werden zu lassen, kam es zum Krieg, da Hitler nicht auf seine Forderungen verzichtete. Da Taylor aber selbst zugibt, daß es Hitler Polen gegenüber nicht um Volkstumsfragen, sondern um die „politische Zusammenarbeit oder Unterwürfigkeit“ (S. 252 f.) ging, bleibt bei nüchterner Betrachtung dieser Zusammenhänge der nationalsozialistische Expansionswille die eigentliche Ursache des Krieges. Das kann auch Taylor nicht verwischen.

„Taylor verharmlost Hitlers Rolle*

Trotz aller Kritik, die noch fortsetzbar wäre, wird man Taylor besonders in seinen Analysen des diplomatischen Spieles zwischen den Mächten vielfach recht geben können. So ist etwa seine scharfsichtige Durchleuchtung der Problematik des Völkerbundes und vor allem der Appeasement-Politik kaum anzufechten. Das gilt auch von der Darstellung der inneren Schwierigkeiten der Verhandlungen zwischen London und Moskau 1939, wenngleich er dabei das durchtriebene Spiel Stalins etwas zu verharmlosen scheint.

Man mag ihm weiterhin recht geben, wenn er immer wieder auf das Improvisierte der Hitler-sehen Aktionen und dessen Begabung, die Schwächen der Gegner zu durchschauen und auszunutzen, hinweist. Der Nationalsozialismus barg sicherlich mancherlei Entwicklungsmöglichkeiten in sich. Vieles verlief tatsächlich ungeplanter, als es hinterher aussah. Aber dennoch darf man diese Form nicht mit dem Inhalt der Hitlerschen Politik verwechseln. Taylor scheint dieser Gefahr zu erliegen, wenn er Hitlers Fähigkeit, zu warten und in günstigen Gelegenheiten zuzugreifen, als Wesen seiner Politik erklärt und so den „Führer“ zu einem geduldigen, passiven Staatsmann macht, der eigentlich nur das aufnahm, was seine Gegner ihm zuwarfen, aber kaum eigene große Pläne verfolgte.

Taylor wird ferner unsere Zustimmung finden mit seiner Behauptung, daß die Versailler Ordnung zum Nährboden des Zweiten Weltkrieges wurde. Die innere Problematik dieser Ordnung lähmte gewiß die englische und französische Politik gegen Hitler ebenso, wie sie andererseits diesem die Möglichkeit gab, seine Helfer und Gegner über seine wahren Ziele, die eben über die Revision von Versailles weit hinausgingen, zu täuschen. In diesem sehr komplexen Sinne gehört Versailles zweifellos zu den Ursachen des Zweiten Weltkrieges. Zu ihnen wird man auch mit Taylor die mannigfachen „diplomatischen Schnitzer“ der Westmächte und Polens rechnen müssen, wenngleich die allzu vordergründige Kategorie des „Schnitzers“ die tief in den Strömungen der Zeit eingewurzelten Schwächen der Gegenspieler Hitlers kaum zutreffend zu erfassen vermag.

Aber das alles rechtfertigt es nicht, die verhängnisvolle Rolle Hitlers bei der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges so zu verharmlosen, wie das Taylor tut. Seine eigenwillige und höchst anfechtbare Auswahl und Interpretation der Quellen kann — wie an den obigen Beispielen gezeigt — keineswegs überzeugen.

„Hoggans langunterdrückte Wahrheiten*

Taylors Arbeit ist nach seinen eigenen Worten als „akademische Übung" (S. 278) gedacht. Dem entspricht ihr etwas spielerischer, oft hypothetischer Stil. Der Oxforder Historiker referiert stets die Gegenmeinungen und präsentiert die seinen nur als die wahrscheinlicheren und vernünftigeren. Unwillkürlich gewinnt man den Eindruck, das eigentliche Motiv Taylors sei es gewesen, gegen die Version seiner Kollegen zu beweisen, daß es auch andersherum gehe. AIs Prüfstein für die eigenen Thesen und als Denkanstoß mag darum sein Buch in manchen Partien durchaus akzeptierbar sein.

Im Gegensatz dazu tritt das dickleibige Werk von Hoggan mit höchst pathetischem Anspruch auf. Hoggan will endlich die langunterdrückte Wahrheit über Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkrieges „durch eine den Tatsachen gerecht werdende und der historischen Wahrheit entsprechende Geschichtsforschung", durch „kritisch nüchterne Quellenforschung“ an den Tag bringen. So verspricht es wenigstens sein Herausgeber im Vorwort. Diesem Anspruch scheint der mächtige Anmerkungsapparat und das außerordentlich umfangreiche Literaturverzeichnis Rechnung zu tragen. Freilich stutzt man, wenn man Hoggans kritische Bemerkungen zu den einzelnen Titeln liest. Bücher, die den Nationalsozialismus belasten, bekommen durchweg schlechte Noten, während solche, die Hitler entlasten und Großbritannien belasten, positiv hervorgehoben werden, auch wenn sie inzwischen durch neuere Aktenpublikationen längst widerlegt worden sind. So stützt sich Hoggan z. B.sehr stark auf Ribbentrops Memoiren, weil sie „unentbehrlich zum Verständnis der deutschen Politik“ seien, und Hans Grimms Altersmeditationen „Warum — Woher — Aber wohin“, die wissenschaftlich nun wirklich nichts hergeben, hält er ebenfalls für. „unentbehrlich für die Analyse der deutschen Politik", sie kehren denn auch in seinen Anmerkungen immer wie-der. Die gegen Hitlers und Ribbentrops Politik kritischen Memoiren von Botschafter Dirksen dagegen verdeutlichen nach Hoggan nur „die Wirkung der britischen Propaganda auf den deutschen Botschafter". In diesem Stil geht es weiter, und wenn man nun noch bedenkt, daß Hoggans Herausgeber Herbert Grabert — bekannt auch durch die von ihm edierte neonazistische Deutsche Hochschullehrer-Zeitung — wegen seine neonazistischen Schrift „Volk ohne Führung" am 30. April 1960 vom Bundesgerichtshof zu 9 Monaten Gefängnis mit drei Jahren Bewährung verurteilt wurde, so wird man doch etwas skeptisch gegenüber dieser „kritisch nüchternen Quellenforschung“.

Lord Halifax ist der „Verschwörer wider den Weltfrieden"

Hoggans These ist im Grunde höchst einfach. Er glaubt, in dem britischen Außenminister Halifax den eigentlichen Verschwörer wider den Weltfrieden gefunden zu haben. In jahrelangem Intrigenspiel habe Halifax nur darauf gesonnen, das ihm zu stark werdende Deutsche Reich zu erdrosseln. Zu seinem Werkzeug habe sich dabei der polnische Außenminister Beck gemacht, der es absichtlich über Danzig zum Krieg habe kommen lassen, um Halifax einen Anlaß zum Eingreifen zu geben. Unterstützung für seine Kriegspolitik fand der britische Außenminister laut Hoggan ferner bei Roosevelt und der deutschen Opposition gegen Hitler, über die Hoggan nur in der abschätzigen Terminologie Hitlers zu berichten weiß.

Hitler dagegen — so stellt es Hoggan dar — wollte immer den Frieden und vor allem die Verständigung mit England, ja er war sogar bereit, „Deutschland Großbritannien unterzuordnen". Zuvor freilich wollte er „durch ein Einvernehmen mit seinen Hauptnachbarn und durch ein beschränktes und maßvolles Programm der Gebietsrevisionen" Deutschlands Stellung sichern. Völlig gegen seinen Willen sei er durch die Provokationen Becks und die diplomatischen Manöver Halifax zum Krieg gezwungen worden.

Was uns hier als epochemachendes Werk in der Geschichte der Erforschung der Ursachen des Zweiten Weltkrieges offeriert wird, ist also offensichtlich ein Rückfall in das längst differenzierte Bild von Nürnberg, bloß mit umgekehrtem Vorzeichen, nach dem Motto: Wenn man das, was man Hitler vorgeworfen hat, Halifax ankreidet, dann stimmt die Sache. Daß mir solch plumpen „Bäumchen, Bäumchen verwechselt euch“ die Wissenschaft nicht vorwärts-gebracht werden kann, dürfte evident sein.

Hoggan ist von seiner Idee derartig fixiert, daß er ihretwegen in eine unerträgliche Plakatierung verfällt.

Der Kriegstreiber Halifax ist „einer der selbstsichersten, rücksichtslosesten, klügsten und scheinheilig-selbstgerechtesten Diplomaten, den die Welt je gesehen hat“ (S. 132), er spinnt „die unglaublichsten Intrigen der neuzeitlichen Diplomatie (S. 400), nur um die englische Bevölkerung kriegsbereit zu machen. Denn „sein Ziel war die Vernichtung Deutschlands. Er war der verschworene Todfeind des deutschen Staates und Volkes“ (S. 753).

Im Gegensatz zu den finsteren Kriegstreibern in England ist Hitler friedliebend und stets verständigungsbereit. Ihm liegt an einer echten Zusammenarbeit mit den Polen, er macht ihnen „großzügige“ Angebote, beweist ihren „Herausforderungen" gegenüber größte Geduld und schließt seinen Pakt mit Stalin 1939 nur, um den Frieden zu wahren (S. 5 59 ff.). Seine Unterschrift unter die deutsch-englische Erklärung vom 29. 9. 1938 ist vorbehaltlos im Gegensatz zu der Chamberlains (S. 166). Ebenso war es 1934 beim deutsch-polnischen Pakt. Hitler war es ernst, während Pilsudskis Haltung „unverhüllt zynisch“ war.

In diesem Stil geht es weiter. Lediglich die Polen provozieren Zwischenfälle in Danzig und an den Grenzen. Der nationalsozialistische Senatspräsident in Danzig und Hitlers allgemein als scharfmacherisch bekannter Danziger Gauleiter Forster verhalten sich maßvoll, sind „verständigungsbereit“, während der polnische Hochkommissar Chodacki ein „arroganter herausfordernder Chauvinist" ist (S. 86 f. und 353). Die umstrittensten aller Appeasement-Politiker, der französische Außenminister Bonnet und der englische Botschafter in Berlin, Henderson, die Hitler um nahezu jeden Preis den Frieden abzukaufen gewillt waren, werden gelobt. In starkem Kontrast zu dem tüchtigen Ribbentrop sind die deutschen Botschafter in London, Paris Warschau und Moskau samt und sonders „unfähig“, allenfalls „Möchtegern-Kapitäne“, ihr Können ist nicht groß. (S. 110 f„ 335, 473, 532, 538, 573, 648 f.). Hier spürt man freilich allzu deutlich den Einfluß des Ressentiments des Außenministers Ribbentrop gegenüber den langgedienten Berufsdiplomaten seines Amtes, zumal gleichzeitig die junge nationalsozialistische Garde Ribbentrops, wie Hesse und Lueck, gelobt werden.

Einseitige Verurteilung Roosevelts

Roosevelt wird stets in den schwärzesten Farben gemalt. Darin erweist sich Hoggan als Schüler der amerikanischen Revisionisten, die man mit Taylors Worten dahin charakterisieren kann, daß sie „ihre eigene Regierung noch immer für gemeiner halten als jede andere“, deren Werke jedoch „unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftlichkeit . . . unbedeutend“ seien Die wissenschaftliche Objektivität Hoggans mag folgendes Beispiel erhellen: Auf Seite 139 stellt er ausführlich dar, Roosevelt habe, als er im September 1938 stark an Schnupfen litt, erklärt, daß er „Hitler am liebsten umbringen und die Nase abschneiden möchte“. Hoggan löst diese Äußerung völlig aus dem eindeutig ironischen Zusammenhang und kommentiert mit deutlich erhobenem Zeigefinger: „Es war wenig erbaulich, in dem Oberhaupt Amerikas einen Mann zu erkennen, der sich mit dem Wunsch brüstete, einen fremden Staatsmann mit eigenen Händen umzubringen.“ An anderer Stelle betont er dann, deutlich auf dieses Zitat Bezug nehmend, daß sich in Deutschland niemals die Frage nach der Ermordung Churchills oder Roosevelts erhob, denn „die Nationalsozialisten lehnten den Mord als politische Waffe gegen ein herrschendes System grundsätzlich ab." (S. 813, Anm. 32). An der nationalsozialistischen Bereitschaft zur Ermordung von einzelnen oder Massen, die sich allerdings mehr an innerpolitischen Gegnern — wirklichen oder angeblichen — betätigte, aber auch in die Außenpolitik einwirkte, wie im Anschlag auf Dollfuß, stößt sich Hoggan offenbar nicht, sonst könnte er sie nicht so verharmlosen. Hier enthüllt sich seine mit hohem Pathos vorgetragene sittliche Entrüstung über eine Gelegenheitsäußerung Roosevelts als fanatische Einseitigkeit, da er alle seine Maßstäbe vergißt, wenn er die andere Seite betrachtet.

Hitlers programmatische Erklärungen bleiben unbeachtet Daß Hoggan dem totalitären Herrschaftssystem Hitlers in Deutschland und der nationalsozialistischen Ideologie kaum seine Aufmerksamkeit widmet — und wenn, dann nur schönfärschon bend und bagatellisierend (vgl. S. 92, 139, 212 u. ö.), soll nur am Rande angemerkt werden, obwohl sich daraus entscheidende Schwächen und Mängel seiner auf die Außenpolitik beschränkten Darstellung herleiten. Denn nir-gens ist ja der Zusammenhang und die gegenseitige Abhängigkeit von Gesellschaftsform und auswärtiger Politik, vom inneren Zustand des Staates und seiner außenpolitischen Aktivität so eng wie in einer totalitären Diktatur, zumal gerade die expansive Außenpolitik des Nationalsozialismus so eindeutig von ihrer Ideo-logie, vom angeblichen Herrschaftsanspruch der Herrenrasse bestimmt war.

Hoggan freilich deutet Hitlers Außenpolitik völlig anders und es sei darum im folgenden ganz einfach geprüft, ob sich diese neue Deutung aus den Quellen belegen läßt.

Für den amerikanischen Historiker steht es fest, daß die Lebensraumpläne in der deutschen Politik der Jahre 1933-39 überhaupt keine Rolle spielten. Darin berührt er sich durchaus mit Taylor. Entgegenstehende Quellen nimmt er nicht zur Kenntnis oder erklärt er als Fälschung. So ist z. B. das „trügerische" Hoßbach-Memo-randum „als historisches Dokument wertlos“. Denn Hoßbach, „dem jedes ungesetzliche und revolutionäre Mittel recht war, um Hitler auszuschalten", sei nur darauf bedacht gewesen, Generaloberst Bede „mit allem möglichen Propagandamaterial zu versorgen“, da man angesichts der Beliebtheit des Führers nur mit „ungewöhnlichen Methoden“ die Opposition wirksam machen konnte. (S. 116 f.). Nachdem, was oben zur Umsetzung der Hoßbach-Konfe-renz in die militärische Planung gegen die Tschechei gesagt wurde, erübrigt sich hier eigentlich jedes weitere Wort.

Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß ja das Hoßbach-Memorandum keineswegs das einzige Zeugnis für den Hitlerschen Expansionswillen unter kriegerischer Gewaltanwendung ist. Schon am 3. Februar 1933 hatte Hitler in einer Besprechung mit den Befehlshabern der Reichswehr über die Verwendung der durch den Neuaufbau der Wehrmacht und des Staates zu erringenden politischen Macht geäußert: „Vielleicht Erkämpfung neuer Export-Möglichkeiten, vielleicht — und wohl besser — Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung."

Mit nicht zu überbietender Deutlichkeit heißt es in einer Rede Hitlers am 30. November 1938 vor 400 namhaften deutschen Journalisten und Verlegern, die uns auf einer Schallplattenaufnähme überliefert ist: »Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stüde für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig war. Es ist selbstverständlich, daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, daß sich in den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren ... Es war nunmehr notwendig, das deut-sehe Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klar zu machen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außen-politische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. Das heißt also, bestimmte Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten Massen des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde: wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß man es mit Gewalt abstellen; so kann es aber auf keinen Fall weitergehen. Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt. Viele haben sie nicht begriffen, meine Herren; viele waren der Meinung, das sei doch alles etwas übertrieben. Das sind jene überzüchteten Intellektuellen, die keine Ahnung haben, wie man ein Volk letzten Endes zu der Bereitschaft bringt, geradezustehen, auch wenn es zu blitzen und zu donnern beginnt . . ,

Derartige Zeugnisse ließen sich leicht vermehren. Auch Hoggan lagen sie vor, aber er hält sich lieber an Hitlers öffentliche Friedensbekundungen und glaubt z. B„ daß Hitlers Erklärung in der Sportpalastrede vom 26. September 1938: die Forderung nach dem Sudetenland sei „die letzte Gebietsforderung, die ich in Europa stelle", tatsächlich mit seiner Politik übereingestimmt habe. Daß dies angesichts der oben zitierten Äußerungen Hitlers und angesichts seiner Taten eine pure Fiktion ist, dürfte klar sein.

Um diese Fiktion aufrechterhalten zu können, ist Hoggan denn auch gezwungen, Hitlers Einmarsch in Prag im März 1939 als von purer Friedensliebe diktiert zu sehen. Hoggan zufolge griff Hitler ein, um die „Kriegsgefahr zwischen den Tschechen und Slowaken" zu beseitigen, und da „die Slowakenführer wünschten, ihr Land unter den Schutz deutscher Truppen zu stellen“, war Hitler wegen der militärischen Verbindungswege gezwungen, „zumindest vorübergehend“ Prag zu besetzen. Es gelang ihm aber, „durch besondere Verträge mit den tschechischen und slowakischen Führern, die rechtliche Seite dieses Unternehmens sicherzustellen“ (S. 305 f.). Auch hier ist nach dem, was oben zu Taylor gesagt wurde, jeder Kommentar überflüssig

Was nackte Machtexpansion mittels brutaler Erpressung war, wird bei Hoggan rechtlich abgesicherte Befriedigungsaktion. Die Akten geben freilich ein anderes Bild. Hoggan versucht demgegenüber, seine Version auf die Memoiren Weizsäckers zu stützen, der auch nach 1945 noch geglaubt habe, daß die Auflösung des tschechischen Staates nicht durch künstliche Machenschaften Deutschlands hervorgerufen sei, und der das deutsche Eingreifen für rechtlich begründet gehalten habe (S. 410). Prüft man diese Behauptung an der Quelle nach, dann liest es sich plötzlich ganz anders. Weizsäcker schreibt lediglich, er sei bei Ausbruch der Slowakenkrise nicht informiert worden und hätte darum nicht ausmachen können, „ob und was daran deutsche Zutat war“. Als ihm dann Hitlers Versuch, „einen slowakischen Hilferuf zu provozieren“, bekannt wurde, sei er über Hitlers Absichten kaum im Zweifel gewesen. Die Abrede mit dem tschechischen Staatspräsidenten Hacha nennt Weizsäcker „eine politische Erpressung", durch die Hacha gezwungen wurde, mit seiner Unterschrift „den scheinrechtlichen Start zu Hitlers Marsch auf Prag“ zu geben.

Was Hoggan aus diesen Ausführungen macht, kann man nicht anders als eine glatte Verfälschung bezeichnen. Derartig willkürliche Verdrehungen von Akten und Sekundärliteratur sind bei ihm kein Einzelfall. Mit Leichtigkeit ließen sich viele ähnliche Bespiele nachweisen.

Unbequeme Quellen werden unterschlagen

Bei seiner Darstellung der deutsch-polnischen Verhandlungen 193 8/39 wird man Hoggan auch die schwersten Vorwürfe methodischer Art nicht ersparen können. Wir haben über viele dieser Verhandlungen zwei Quellen, einmal die deutschen und dann auch die polnischen. Hoggan aber unterschlägt z. B. die wichtigen Berichte des polnischen Botschafters Lipski über seine Gespräche mit Ribbentrop, obwohl — oder weil? — sie ein anderes Bild entwerfen. Würde Hoggan wissenschaftlich sauber arbeiten, dann müßte er zumindest die abweichenden Versionen referieren und begründen, weshalb er sich für die eine gegen die andere entscheidet. Aber Erwägungen solcher Art vermißt man bei ihm, obwohl der Quellenbestand, auf den er sich stützt, ständig dazu Gelegenheit bietet und es ebenso ständig auch erfordert.

Für den kritischen 25. August mit Hitlers später widerrufenem Angriffsbefehl findet Hoggan folgende Erklärung: Hitler hätte den Angriff ausgelöst, weil er glaubte, England würde unter dem Eindruck des Russenpaktes und seines eigenen großen Angebotes nicht eingreifen, wenn er jetzt die Chance ergriffe, „den Streit mit Polen mittels einer militärischen Aktion in einem örtlichen begrenzten Krieg beizulegen" (S. 670).

Immerhin anerkennt Hoggan mit seiner Argumentation, daß Hitler den Krieg gegen Polen auslöst, daß der Russenpakt nicht eine friedenserhaltende, sondern eine das englisch-polnische Bündnis auflösende Funktion haben sollte und daß drittens Hitler sein Angebot an England kaum aufrichtig meinen konnte, wenn er wenige Minuten später einen Bundesgenossen Englands zu überfallen sich anschickte.

Falsche Interpretation des italienischen Verhaltens

eigentliche Motiv zur Auslösung des Befehls sieht Hoggan aber in der italienischen Absage, nicht mitmarschieren zu wollen. Hitler habe darum kombiniert, er müsse jetzt schnell handeln, ehe die Alliierten von dieser Absage erführen, denn das würde ihre Kriegsbereitschaft stärken und so die Chancen der Nichteinmischung verringern. Diese Kombinationen sind jedoch hinfällig, da nach Ausweis der Akten Hitler erst gegen 17. 30 Uhr von der italienischen Absage erfuhr, während er den Angriffsbefehl kurz nach 15 Uhr ausgelöst hat 30 Uhr von der italienischen Absage erfuhr, während er den Angriffsbefehl kurz nach 15 Uhr ausgelöst hatte 16).

Hoggan stützt sich mit seiner Chronologie offensichtlich auf Ribbentrop, der in seinen Memoiren erzählt, Hitler hätte ihn, als er selbst dem Führer die Nachricht vom Abschluß des englisch-polnischen Vertrages brachte, davon unterrichtet, daß der italienische Botschafter Attolico „am Vormittag mitgeteilt habe“, Italien werde nicht mitmarschieren. Hitler sei im übrigen überzeugt gewesen, daß die italienische Stellungnahme aus Rom nach London mitgeteilt worden sei und die Ratifizierung des englisch-polnischen Paktes herbeigeführt habe 17). Es mag hier offen-bleiben, ob Ribbentrop absichtlich fälscht, um einen italienischen Dolchstoß zu konstruieren, oder ob ihn einfach sein Gedächtnis im Stich gelassen hat. Hitler kann nämlich diese Äußerungen so nicht getan haben. Denn nach den Notizen Halders in seinem Tagebuch und den übereinstimmenden Berichten Weizsäckers und des Dolmetschers Paul Schmidt, der in den kritischen Stunden bei Hitler war, kam Attolico erst gegen Uhr, als der Befehl zum Angriff längst gegeben war und das britisch-polnische Bündnis ebenfalls in Berlin schon bekannt war 18). Die genaue Analyse der Entstehung der italienischen Absage ergibt darüber hinaus, daß Mussolini noch am frühen Nachmittag — nicht zuletzt unter dem Eindruck der deutsch-russischen Verständigung — gewillt war, seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen, daß er dann aber im Laufe des späteren Nachmittags auf Cianos Zureden hin plötzlich umkippte. Nicht ohne einen erheblichen Wahrscheinlichkeitsgrad ist deshalb vermutet worden, daß das ja auch in Rom spätestens um 17 Uhr bekannte Zustande-kommen des britisch-polnischen Paktes den letzten Anstoß zu Mussolinis Entscheidung gegeben habe, die Ciano dann um 17. 30 Uhr an Attolico durchgab

All diese Quellen haben auch Hoggan vorgelegen, er benutzt sie an anderen Stellen seines Werkes. Wenn er hier dennoch seine abwegige und auf Grund des eindeutigen Quellenbefundes unhaltbare Motivierung des Auslösungsbefehls vorträgt, dann geschieht das ganz offensichtlich, um Hitlers Bereitschaft zum Losschlagen als von der Sorge um den europäischen Frieden diktiert hinzustellen und um zum andern Ciano wegen seines Dolchstoßes in den Kreis der Kriegsverbrecher mit einzubeziehen. Das Prädikat der Wissenschaftlichkeit wird man diesen Deduktionen, die mit der Chronologie so großzügig umgehen, freilich nicht zuerkennen können.

Für Hoggan müssen auch die vergeblichen Vermittlungsbemühungen Mussolinis vom 2. September zum Beweis der Hitlerischen Friedensliebe und der englischen Kriegstreibereien herhalten. Höchst bezeichnend überschreibt Hoggan den entsprechenden Abschnitt mit der suggestiven Überschrift: „Hitler mit einem Waffenstillstand und einer Konferenz einverstanden“ (S. 770 ff.). Ohne Quellenangabe berichtet er, Hitler habe am 2. September „hoch erfreut“ die italienische Information über die eventuell mögliche Konferenz vernommen. Nach Klärung einer Vorfrage „ging Hitler augenblicklich darauf ein, indem er sich vorbehaltlos mit dem italienischen Vermittlungsplan einverstanden erklärte. Er versprach die Kampfhandlungen in Polen könnten am 3. September mittags eingestellt werden. Um 4 Uhr nachmittags konnte Attolico Ciano kabeln, die Deutschen hätten den italienischen Vorschlag einer . Konferenz angenommen. Ciano war es innerhalb von 6 Stunden gelungen, Mussolinis Vermittlungsplan in Deutschland zum Siege zu verhelfen" (S. 772). Hoggan belegt diese Aussage in einer Fußnote mit einem Telegramm Attolicos an Ciano. Prüft man dieses nach, dann stellt man fest, daß Attolico dort seinem Außenminister berichtet, daß Ribben-Das ihm gegenüber bestätigt habe: „daß der Führer die von mir in der Notiz schriftlich niedergelegten Vermittlungsvorschläge gerade erwäge, daß er sich aber seinerseits darüber hinaus eine endgültige Antwort vorbehalte" Drei Stunden später telegraphiert Attolico noch einmal und berichtet, Ribbentrop habe ihm ausgerichtet, daß der Führer seine wohlerwogene Meinung über den Konferenzvorschlag bis zum nächsten Morgen oder Mittag dem Duce mitteilen lassen würde, zuvor wolle er nämlich noch einige seiner Ratgeber, die an der Front seien, konsultieren.

Von „vorbehaltlosem Eingehen“ kann also gar keine Rede sein, und schon gar nicht von einer ausgesprochenen Bereitschaft zur Kampfeinstellung. „Kritisch nüchterne Quellenforschung* wird aus diesen Reaktionen Berlins allenfalls herauslesen können, daß Hitler sich sämtliche Wege offenhielt und auf Zeitgewinn arbeitete, was bei dem gleichzeitigen Vorrücken seiner Truppen kaum die Chancen auf ein glückliches Zustandekommen der Konferenz stärkte, vor allem aber die englisch-französische Kriegserklärung hinauszögern mußte. Hoggans Umgang mit diesen Telegrammen — das zweite erwähnt er bezeichnenderweise nicht — wird man nicht anders als Verfälschung eines klaren Tatbestandes bezeichnen können. Angesichts solcher Quelleninterpretationen wird sich niemand wundern, wenn schließlich herauskommt, daß der Konferenzplan nur durch eine „unverschämte Lüge" von Halifax zum Scheitern gebracht werden konnte (S. 779)

An allem ist Lord Halifax schuld

Wer staunend vernommen hat, daß dank einer „souveränen“ Quelleninterpretation Hitler zu einem Friedensengel wurde, der wird nicht überrascht sein zu vernehmen, wie Hoggan den britischen Außenminister Halifax zum Kriegstreiber schlechthin macht. Daß Halifax jeden Gedanken an einen Präventivkrieg wiederholt abgelehnt hat, kümmert Hoggan nicht Ihm gelingt es vielmehr aus Halifax'Memoiren herauszulesen: „Halifax entschied 1936, daß es zu einem Krieg mit Deutschland kommen würde“ (S. 841). In seinen Memoiren aber schreibt der britische Außenminister — 1956 — im Rückblick zur Verteidigung seiner Politik von 1938, die zum Münchener Abkommen führte, daß der entscheidende Moment für einen energischen Widerstand gegen Hitler schon 1936 von seinen Vorgängern verpaßt worden sei. Wörtlich heißt es dann: „So that moment which, I would guess, offered the last effective chance of securing peace without war, went by.“ Daraus kann nur böswilliger Haß einen Kriegsbeschluß machen.

Wie Hoggan aus allem und jedem den Intriganten und Kriegsverschwörer Halifax sucht und angeblich auch findet, dafür noch ein weiteres Beispiel: Im Juni 1939 war Adam von Trott zu Solz zu politischen Gesprächen in England. Laut Hoggan bekannte ihm Chamberlain, „die Gewährung der britischen Garantie an Polen am 31. 3. 1939 gefalle ihm persönlich keineswegs. Er erweckte damit den Eindruck, als sei Halifax der Alleinverantwortliche für die britische Politik, und er überlasse alles resigniert dem Lauf der Dinge“ (S. 529). Jeder Kennner der Persönlichkeit des britischen Premiers wird hier stutzen, denn Chamberlain war ein viel zu aktiver Mann und sich seiner Stellung als Premier viel zu sehr bewußt, daß er sich in solchem Maße die Verantwortung für die Außenpolitik hätte aus der Hand nehmen lassen. Tatsächlich äußerte Chamberlain zu Trott: „Glauben Sie, daß ich diese Verpflichtungen gern eingehe? Herr Hitler zwingt mich zu ihnen" Chamberlains Resignation bezog sich also allenfalls auf Hitler, auch wenn Hoggan versucht, statt seiner Halifax einzusetzen. Die Dokumente sprechen eine eindeutige Sprache.

In ähnlicher Weise lassen Hoggan die Dokumente im Stich, wenn er behauptet, der ganze Meinungsumschwung in England im März 1939 sei nicht die Folge von Hitlers Einmarsch in Prag, sondern Produkt betrügerischer Machenschaften von Lord Halifax, der damals eine der „unglaublichsten Intrigen der neuzeitlichen Diplomatie" gesponnen habe, obwohl sich in allen von Hoggan angegebenen Dokumenten keinerlei Hinweise auf dieses Spiel finden (S. 400 f.).

Auf der gleichen Linie liegt es, wenn er ohne den Schatten eines Beweises die Starrsinnigkeit der polnischen Politik im Winter 1938/39 damit erklären will, daß Beck angeblich schon seit langem gewußt habe, daß die Briten Deutschland vernichten wollten (S. 225, 236, 344, 417), eine These, die der nationalsozialistischen Kriegspropaganda und den Ribbentrop-Memoiren entstammt.

In seinen Memoiren beschuldigt Ribbentrop den britischen Außenminister der Unaufrichtigkeit bei seiner Vermittlungsaktion zwischen Berlin und Warschau in den allerletzten Friedenstagen. Er bezweifelt, ob für die britische Meldung, Warschau sei zu Verhandlungen bereit, wirklich eine polnische Ermächtigung vorgelegen habe. Hoggan geht noch weiter und behauptet, Halifax habe mit der Meldung von der polnischen Verhandlungsbereitschaft die Reichsregierung „betrogen“, denn es habe keine britische Demarche zugunsten von Verhandlungen in Warschau stattgefunden, Halifax habe diese vielmehr nach Kräften hintertrieben (S. 700). Die Akten freilich enthalten sowohl die Antwort Becks auf diese Demarche, in der der polnische Außenminister seine Verhandlungsbereitschaft erklärte und London bat, Berlin davon zu informieren, als auch eine weitere Nachricht Becks an den polnischen Botschafter in Paris, aus der hervorgeht, daß der britische Botschafter ihn zugunsten von Verhandlungen mit Berlin interpelliert hatte und er darauf eingegangen war. Der Vorwurf des Betruges fällt damit nicht auf Halifax'sondern allenfalls auf Hoggan selber.

Hoggans Werk ist keine wissenschaftliche Arbeit

Wir verzichten darauf, Hoggans Erörterung der letzten Friedenstage weiter zu verfolgen. Sicherlich gibt es an den diplomatischen Aktionen der Engländer und vor allem an der polnischen Un-elastizität vieles zu kritisieren. Doch man darf dabei die Schwierigkeiten nicht übersehen, die durch Hitlers Verhalten in München und Prag heraufbeschworen worden waren, Schwierigkeiten, die jede Appeasement-Politik bewältigen muß, wenn sie in der Auseinandersetzung mit einer expansiven dynamischen Macht vor die auch heute so aktuelle Frage nach dem Punkt Daß Hoggan weder die Kategorien noch die methodischen Fähigkeiten hat, diese Schwierigkeiten angemessen zu interpretieren und historisch zu würdigen, dürfte nach den gebotenen Kostproben evident sein.

Die kritische Analyse des Hogganschen Werkes mußte sich auf ausgewählte Beispiele beschränken. Doch sind diese beliebig vermehrbar. Aber schon die hier vorgeführten zeitigen ein eindeutiges Ergebnis: Um seine These zu beweisen, unterdrückt Hoggan große ihm nicht passende Quellengruppen, verfälscht und verzerrt er andere, reißt sie aus ihrem Zusammenhang oder stellt schlechtweg unbeweisbare Behauptungen auf, ja sogar vor einem Durcheinanderbringen der Chronologie scheut er nicht zurück.

Wer so mit den Quellen umspringt, dem fällt es natürlich nicht schwer, Hitlers Außenpolitik zur gesamteuropäischen Friedenspolitik umzustilisieren und die englische Konzessionsund Revisionsbereitschaft wandelt sich dann in das alte Klischee von der Einkreisungs-und Erdrosselungspolitik.

Angesichts dieser Interpretationskünste Hoggans wird man sich kaum wundern, wenn er in Erwiderung auf die diese Zeilen zugrunde-liegende umfangreichere Auseinandersetzung mit seinem Opus in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte erschien, in den gegen ihn erhobenen Vorwürfen „zum größten Teil reines Geschwätz" sieht, auf das detailliert einzugehen er vorsorglich vermeidet. Den lästigen Kritiker tut er vielmehr als „arroganten Propagandisten" und „Schande für die Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft“ ab, der „das Nürnberger Anklagematerial mit Geschichtsforschung“ verwechsele Trotz dieser massiven Angriffe wird man aber daran festhalten müssen, daß man auch Hoggan an seinen Quellen nachprüfen darf — nur das war unser Anliegen —, auch wenn er ein solches Unterfangen als „Hackebeil-Methode" oder „Rufmord" disqualifizieren möchte. Dieser Wunsch ist begreiflich, denn die kritische Durchsicht des Hogganschen Werkes führt zwangsläufig zu der Feststellung, daß es weder in seiner historischen Begrifflichkeit noch in seinen Wertungen und schon gar nicht in seinem Umgang mit Quellen und Sekundärliteratur den Rang einer wissenschaftlichen Arbeit beanspruchen kann. Den Maßstäben „kritischer nüchterner Quellenforschung", die im Vorwort gesetzt wurden, genügt es denkbar wenig.

Fussnoten

Fußnoten

  1. A. J P. T a y 1 o i Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges. Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1962 David L Hoggan, Der erzwungene Krieg Die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkrieges. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Nach-kriegsgeschichte Bd. 1. In Verbindung mit zahlreichen Gelehrten des In-und Auslandes hrsg von Dr habil Herbert Grabert Verlag der Deutschen Hochschullehrer-Zeitung. Tübingen 1961

  2. Vgl dazu H R Trevor-Roper, Hitlers Kriegs-ziele In: VfZG, Jg. 8 (1960), S. 121 — 133, sowie die Bemerkungen dazu von Hans Herzfeld Ebd., S 312 ff

  3. Daß Hoßbach-Mernorandum ist abgedruckt in: ADAP, Serie D Bd I, Nr. 19, sowie auszugsweise bei Walther Hofer, Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933— 1945 Fischer Bücherei Bd. 172, Frankfurt, Hamburg 1957, S. 193 ff.

  4. Eine Aufzeichnung über Hitlers Rede ist abgedruckt in ADAP, Serie D, Bd. VI, Nr. 433 und bei Walther Hofer, Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. Fischer Bücherei Bd. 323, Frankfurt/Ham-bürg 1960, S. 61 ff. Hitler führte damals u. a. aus: . Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Fs handelt sich für uns um Erweiterung des Lebensraums im Osten ... Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen und bleibt der Entschluß, bei erster bester Gelegenheit Polen anzugreifen."

  5. Aufzeichnungen über diese Rede, die auch Taylor zitiert, finden sich: ADAP Serie D, Bd. 7 Nr. 192 f. sowie bei Hofer, Entfesselung, S. 68 ff.

  6. Vgl. dazu Hofer, Entfesselung S. 204 ff.

  7. Vgl. Walther Hubatsch, Hitlers Weisungen für die Kriegführung. Frankfurt a. M. 1962, S. 19.

  8. Taylor a. a. O., S. 20. Zur näheren Charakteristik der amerikanischen Revisionisten, die in Roosevelt den eigentlichen Verschwörer wider den Frieden sehen vgl. Eugene C. Murdock, Zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg. VfZG. Jg. 4 (1956) S. 93 ff., Fritz Wagner, Geschichte und Zeitgeschichte — Pearl Harbor im Kreuzfeuer der Forschung. In: HZ 183 (1957), S. 303 ff. und die Rezension des Buches von Tansill. Ebd., 187 (1959) S. 155 ff.

  9. Vgl. oben S. 647.

  10. Vgl.den Gesamttext dieser Aufzeichnung über Hitlers Ausführungen in VfZG 2 (1954), S. 434 bis 436.

  11. Der Text der Rede ist abgedruckt in VfZG 6 (1958), S. 175 ff.

  12. Vgl. oben S. 648 f.

  13. Ernst von Weizsäcker, Erinnerungen. München 1950, S. 216 ff.

  14. Joachim von Ribbentrop, Zwischen London und Moskau. Leoni 1953, S. 187.

  15. Weizsäcker a a. O., S. 256 f.; Paul Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne. Bonn 1953, S. 458 ff.; Halder Tagebuch: . Nochmals Ersuchen auf Duce einzuwirken. Daher Verzögerung 14. 00— 15. 00 Uhr am 25. Dann Entschluß des Führers, ohne Mussolinis Antwort Befehl auszulösen 15. 02 Uhr. 17. 45 Uhr Ital. Antwort: ...

  16. Vgl. die minutiöse Darstellung von Ferdinand Siebert, Italiens Weg in den Zweiten Weltkrieg. Frankfurt 1962, S. 294 ff.

  17. Zu diesen Verhandlungen und deren Darstellung vgl. Siebert a a. O., S 329 ff und Hofer a. a. O., S. 308 ff. Die Telegramme Attolicos Doc. Dipl. Ital. Serie VIII, Bd. 13, Nr. 584 und 586.

  18. Es ist nicht uninteressant festzustellen, daß die einzige Stütze für Hoggan wieder nur Ribbentrops Memoiren sind, wo es lapidarisch heißt: „Wir nahmen diesen Vorschlag an ... Nur die britische Regierung lehnte ... diesen letzten Friedensvorschlag ab." A. a. O. S. 201. Daß die Engländer lediglich die Zurücknahme der Truppen hinter die deutsche Grenze forderten und Mussolini den Plan fallen-ließ, da er einsah, daß er diese angesichts der englischen Verpflichtung Polen gegenüber selbstverständliche Forderung Hitler nicht zumuten konnte, verschweigt Ribbentrop. Im Lichte der Akten ist seine allzudeutlich von dem Bestreben nach Apologie gefärbte Darstellung unhaltbar.

  19. Vgl. dazu statt vieler anderer Belege: Halifax’ Brief an den brit. Botschafter In Paris vom 9. 9. 1938. Doc. on Brit. For. Prl., III. Ser., Bd. 2, Nr. 184.

  20. So im Bericht Trotts in ADAP, Serie D, Bd. VI, Nr. 497, den Hoggan auch angibtl des unbedingten Widerstandes gestellt wird.

  21. So Hoggan in der Deutschen Hochschullehrer-zeitung Nr. 3 (1962), S. 9 ff.

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Anmerkung: Gotthard Jasper, Dr. phil., Assistent am Institut für politische Wissenschaften der Universität Erlangen.