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Ut Omnes Unum Sint. Birger Forell und die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe | APuZ 51-52/1962 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 51-52/1962 Ut Omnes Unum Sint. Birger Forell und die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe

Ut Omnes Unum Sint. Birger Forell und die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe

HARALD v. KOENIGSWALD

Der schwedische Pfarrer Birger Forell ist einer der unermüdlichen ökumenischen Helfer in den deutschen Not-jahren seit 1933 gewesen. In der Ausgabe B 29/62 vom 18. Juli 1962 wurde das Kapitel „Birger Forell und der Kirchenkampf in Deutschland" als Vorabdruck aus der soeben im Eckart-Verlag, Witten, erschienenen Biographie „Birger Forell“ von Harald v. Koenigswald veröffentlicht. Es folgt hier die aus Raumgründen erheblich gekürzte Darstellung von Forells letztem Wirken in Deutschland in den Jahren 1951 bis zu seinem Tod 1958. Forell war, nachdem er 1942 nach Schweden zurückgerufen und Hauptpastor in der Textilindustriestadt Boras östlich von Göteborg geworden war, Anfang 1944 beauftragt worden, sich der deutschen Kriegsgefangenen in England anzunehmen. Er hat für die Erleichterung ihrer Lage Großes geleistet und sich in der Fürsorge für die heimkehrenden Gefangenen bemüht, trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten die Flüchtlingsstadt Espelkamp als ein Zeichen tatkräftiger Hilfe zu gründen und durch viele andere großherzige Unternehmungen den hungernden Deutschen in den Jahren nach 1945 zu helfen. 1951 entschließt er sich auf Drängen seiner Freunde in Deutschland, sein Amt als Pfarrer in Boras niederzulegen, um sich ganz der Bewältigung der Not in Deutschland zu widmen. Hier beginnt das nachfolgende Kapitel, das in der Gründung der „Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe“ und in der fast aussichtslosen Aufgabe, heimatvertriebenen und geflüchteten Bauern in Westdeutschland zur Wieder-ansiedlung zu helfen, gipfelt.

Die 1960 gegründete Birger-Forell-Stiftung setzt die Arbeit Forells auch in der verwandelten Gegenwart an den siedlungswilligen Bauern aus Ost-und Mitteldeutschland in der Bundesrepublik fort.

Hunderttausende leben in Not und Hoffnungslosigkeit

Auf vielfachen Leserwunsch erscheint die Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte" ab Januar 1963 in einem handlicheren Format von 26 X 18 cm.

Nirgends in Westdeutschland lastet die Flüchtlingsfrage schwerer als auf Schleswig-Holstein. Städte wie Kiel sind durch den Krieg hart mitgenommen, das flache Land ist in großen Teilen unzerstört geblieben — aber von den 2, 6 Millionen Einwohnern des Landes sind fast eine Million Flüchtlinge. Auf der großen Flucht in den Monaten des Zusammenbruchs und mit der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten sind sie in Trecks längst der Küste oder mit Schiffen über die Ostsee vor allem aus Pommern und Ostpreußen gekommen, vorwiegend Bauern, die in dem bald überfüllten Land kärglichen Unterschlupf, aber keine Arbeitsmöglichkeit fanden. In rund 800 Flüchtlingslagern, die weit verstreut liegen, und in den Notunterkünften bei den Bauern herrschen Elend und Arbeitslosigkeit. Es scheint auch noch sechs Jahre nach dem Zusammenbruch fast aussichtslos, in Schleswig-Holstein eine erträgliche Lösung für die Masse der Flüchtlinge zu finden. Forell weiß, daß die Lage der Bauern unter den Flüchtlingen am hoffnungslosesten ist. Westdeutschland hat nicht genug Boden, um sie wieder ansiedeln zu können. Auch sind die Kosten der Wiederansiedlung eines Bauern naturgemäß um ein vielfaches höher, als die Einrichtung eines Arbeitsplatzes in der Industrie. Schleswig-Holstein ist ein armes Land.

Von welcher Seite man auch die Lösung des Flüchtlingsproblems anpacken will, stößt man sehr rasch auf enge, unüberwindbar scheinende Grenzen. Die Arbeitslosigkeit ist bei der Menge der Arbeitsuchenden nicht ohne Industrie zu bewältigen, aber Schleswig-Holstein hat nur wenig Industrie. Die Industrie an der Ruhr und im Westen Deutschlands ist zwar ganz langsam wieder im Aufbau begriffen, aber die zerstörten Städte können noch nicht neue Arbeitsuchende aufnehmen und für einen Pendelverkehr sind große Teile Schleswig-Holsteins zu abgelegen.

Umsiedlungspläne werden zwischen den einzelnen Bundesländern besprochen, aber Niedersachsen ist selbst mit Flüchtlingen überfüllt, nach Bayern haben sich die Trecks aus Schlesien und dem Sudetenland ergossen. Die Arbeitslosigkeit in dem überwiegend agrarischen Land ist nicht viel geringer als in Schleswig-Holstein. Nordrhein-Westfalen bewältigt mit seinen zerstörten Industriestädten kaum die Not der dort eingeströmten Flüchtlingsmassen. Nur der Südwesten hätte noch Aufnahmemöglichkeiten, aber hier verwehren die Franzosen für die von ihnen besetzte Zone den Flüchtlingen jeglichen Zuzug. So ringt jedes einzelne Land um die Bewältigung der eigenen Not und ist nicht bereit, sich auch noch mit der Not des anderen zu belasten. Es wird über die Umsiedlung von Flüchtlingen verhandelt, aber nichts führt zu einem greifbaren Ergebnis.

Die Untersuchungskommissionen, die in Schleswig-Holstein erscheinen, machen mehr Stimmung gegen die Umsiedlung, als daß sie sie fördern. „Ihr kommt in ein Lager und bekommt doch keine Arbeit" sagt man den Bauern. „Kommt nicht, Ihr habt bei uns gar nichits zu erwarten . . Nur bei wenigen Antragstellern entschließen sie sich, die Umsiedlung einzuleiten. Lakonisch heißt es in einem Bericht: „Die Autokarawane war viel größer als das, was sie erreicht haben . . .“

Es ist verständlich, daß unter diesen hoffnungslosen Bedingungen viele Flüchtlinge in Schleswig-Holstein durch jahrelanges stumpfes Herumsitzenmüssen in den Lagern oder in Unterkünften, die oft menschenunwürdig sind, ganz mutlos geworden sind. Sie hatten oft nicht mehr die Kraft, sich aus eigenem Entschluß aus ihrem Elend aufzuraffen. Auch zeigt bald die Erfahrung, daß bei Menschen, die Heimat und alle alten Bindungen verloren haben, wirklich die Familie allein noch den letzten Halt gibt, an den sie sich festklammern. Deshalb scheuen sich viele Väter, ihre Familien zu verlassen, um anderswo Arbeit zu suchen, weigern sich Eltern, ihre Kinder fortzugeben, auch wenn ihnen irgendwo in der Ferne Ausbildungsmöglichkeiten angeboten sind. So schließt sich um die Unglücklichen ein Kreis von Hoffnungslosigkeit aus eigenem und fremden Versagen, aus Hilflosigkeit, Gleichgültigkeit, allmählich stumpfer Ergebung in ein Schicksal, das sich nie mehr zu ändern scheint. Unter einem anderen Teil der Flüchtlinge schwelt dumpfe Unruhe. Der Gedanke taucht auf, mit einem Demonstrationsmarsch nach Bonn und in die französisch besetzte Zone auch gegen den Willen der Besatzungsmacht eine Änderung der verzweifelten Lage zu erzwingen. Politische Spannungen wachsen.

In Süderbrarup, einem Dorf, das vor dem Krieg 2 160 Einwohner hatte, in dem nun aber 4 251 zusammengedrängt sind, wird eine Tredebewegung gegründet. Es sind sieben aktive Mitglieder. »Der Gedanke, den Treck in Bewegung zu setzen, kam auf, als bekanntgegeben wurde, daß die Umsiedlung gescheitert war. Die Satzungen sind so gemacht, daß Bonn nicht sagen kann, daß es eine kommunistische Sache ist. Wir sind weder parteipolitisch noch weltanschaulich gebunden ..."

Forell setzt sich mit Pastor Pacholke in Süderbrarup in Verbindung. Pacholke: Wir wollen den Leuten nur zum Recht verhelfen, denn die , Elendskapazität‘ ist so groß, daß es einfach nicht mehr tragbar ist.“

Auch der Bürgermeister Ehlers von Süderbrarup setzt sich für die Treckbewegung ein. „Die Bauernaktion ist eine politische und ökonomische Aktion.“

Die eingesessene ländliche Bevölkerung Schleswig-Holsteins ist verschlossen und mißtrauisch gegen die Eindringlinge. Auch der Treckbewegung stehen sie mißtrauisch gegenüber. Sie fürchten, die billigen Arbeitskräfte zu verlieren, selbst die Kaufleute wollen die Flüchtlinge trotz ihrer Armut als Kunden behalten. Und wenn schon die Gesunden und Arbeitskräftigen fortziehen — wo soll, wie es die unbarmherzige Sprache des technischen Zeitalters nennt, das „Sozialgepäck“, die Alten, Kranken und Kinder, bleiben? Schon jetzt ist mehr als die Hälfte aller Einwohner Schleswig-Holsteins auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Auf der anderen Seite aber sind die einheimischen Bauern nicht bereit, den Flüchtlingsbauern von ihrem eigenen Boden abzugeben. Der Treck der empörten Flüchtlingsbauern kommt nicht zustande. Es werden neue Umsiedlungsverhandlungen ausgenommen.

Hilfe von außen ist sehr nötig. Die Mutlosigkeit ist groß. Forell ist entschlossen, mit dem Mut seines Glaubens eine Bresche in die Mutlosigkeit zu schlagen. Darin vor allem sieht er seine Aufgabe.

Zunächst zieht er, wie er einmal sagt, „seine Bettlerschuhe“ wieder an, um seine eigenen Landsleute zu neuen Anstrengungen mobil zu machen.

Der Vater der Flüchtlinge

Von dem frischen Eindruck vieler offener Hilfsbereitschaft befeuert, fährt Forell nach Deutschland. Zuerst ist er in Stuttgart, um im Zentralbüro des Hilfswerks mit Dr. Krimm die genauen Pläne ihrer Zusammenarbeit zu besprechen. »Dr. Krimm war sehr herzlich und begrüßte mich in kleinerem Kreis und dann bei einer . Stabsbesprechung'mit etwa zehn Mitarbeitern. Alle Fragen wurden durchgesprochen und gegenseitiges Verständnis konstatiert. Überraschend war es, daß sie froh sind, mich als . Sachbearbeiter für Flüchtlingshilfe für ganz Deutschland'zu bekommen und daß dies höchst wünschenswert sei. Er berichtet von einer Konferenz in Genf über das D. P. -Problem (Displaced per»ons) und war sehr enttäuscht über das geringe Interesse an der deutschen Flüchtlingsfrage. Nun hofft er, das Interesse würde gesteigert werden, wenn ich ihnen nun einen Schubs gebe.

Krimm ist ein vorsichtiger General . . .

Danach ist Forell in Düsseldorf, das er sich zu seinem Standquartier für seine Arbeit in Deutschland ausgewählt hat. Es mag zunächst erstaunen, daß er sich soweit ab von seinem »konkret begrenzten Arbeitsauftrag“ in Schleswig-Holstein niederlassen will, aber seine Freunde, mit denen er darüber gesprochen hat, haben zu Düsseldorf geraten, und Forell ist sich bewußt, daß er in seiner Arbeit auf die Mithilfe vieler deutscher Stellen, nicht nur des Hilfswerks, sondern auch der Behörden und der Industrie angewiesen ist. Düsseldorf ist der Kreuzungspunkt vieler solcher Verbindungen. Auch Bonn mit seinen Bundesministerien ist nahe. Es mag vor allem dabei mitsprechen, daß die Aufgeschlossenheit, die er in den verschiedenen Düsseldorfer Ministerien, vor allem im Sozialmini-sterium, für Espelkamp gefunden hat, ihn ermutigt, von dort auf neue Hilfe zu hoffen, wenn es darum geht, „neue Espelkamps ins Leben zu rufen“. Der Empfang, der ihm in Düsseldorf bereitet wird, übertrifft Forells Erwartungen. Die Presse ist wach. Die „Verschwörung des Schweigens“, die sonst weithin über dem Flüchtlingsproblem liegt, scheint für einen Augenblick durchbrochen. Verschiedene Zeitungen berichten ausführlich über den Aufbau von Espelkamp, und zu dem „Vater der Kriegsgefangenen“, wie Forell genannt worden ist, wird er nun der „Vater der Flüchtlinge". Im Namen der Landesregierung gibt das Sozialministerium im Gästehaus der Regierung zu seinen Ehren einen Empfang. „Ministerialdirigent Kehren empfing ihn im Auftrag des Sozialministers. Er ist der Chef der Flüchtlingsbetreuung im Sozialministerium. Der Ministerpräsdent hatte seinen Staatssekretär geschickt. Der schwedische Gesandte Kumlin mit Dr. Keller als Adjutant, der Chef der Inneren Mission, der Chef des Hilfswerks Westfalen, Pastor Puffert, der Vorsitzende des CVJM, der Leiter der Flüchtlingsabteilung des Hilfswerks im Rheinland und vier Reporter.

Von mehreren Seiten wurde unterstrichen, daß die Flüchtlingsarbeit ein internationales Problem sei, und Kumlin meinte, daß die schwedische Regierung davon überzeugt sei, daß Deutschland damit nicht allein fertig würde und daß sie die Konsequenzen aus dieser Überzeugung ziehen würde.“

In dem schwedischen Gesandten in Bonn, Kumlin, entdeckt Forell auf diesem Empfang einen Gesinnungsgenossen und bereitwilligen Helfer, dem er für seine Arbeit in Deutschland noch viel verdanken wird. „Kumlin ist bedrückt über die politische Situation und ihre Auswirkungen auf die Flüchtlingsfrage. Eine zunehmende Radikalisierung unter den Flüchtlingen ist unvermeidlich, wenn die Hilfe so spät kommt, und andererseits wird angesichts solcher Radikalisierung der Hilfswille auch geringer — das ist das Tragische an der Situation. Er sieht deshalb meine Arbeit für wertvoll an, weil ich hie und da dämpfend eingreifen kann..."

Elendslager

Dann bricht Forell nach Schleswig-Holstein auf, um sich mit großer Genauigkeit mit dem Problem vertraut zu machen. 28. November 1951: „Besuch in Wahlstedt. Es gibt ungefähr 2 500 Flüchtlinge und 2 000 Einheimische. Die Stimmung ist zum Teil sehr gespannt. Die Bauern wollen ungern den . Fremden'etwas abgeben. Am interessantesten war der Besuch bei Herrn Bierbaum, der komplizierte Rundstrickmaschinen für den Export herstellt. Die Firma war früher in Chemnitz und wurde von den Russen Cemontiert. In Wahlstedt hat Bierbaum nun den Betrieb trotz vieler Schwierigkeiten mit unglaublicher Energie wieder aufgebaut, und das ist unbedingt ein großer Gewinn für Schleswig-Holstein.“ 29. November 1951: „Das schlimmste Flüchtlingselend trafen wir in Geesthacht an der Flbe an. Es gab hier große Rüstungswerke und die 2 500 Flüchtlinge sind in den früheren Arbeiter-baracken einquartiert. Besonders in den Lagern . Grüner Jäger'und . Grünhof'gibt es Flüchtlinge, die alle Hoffnung verloren haben und ni-h auf dem besten Weg zum Nihilismus befinden Die Mehrzahl besteht aus Bauern und Landarbeitern, die hier absolut nicht Fuß fassen können. Man hat viel Anlaß zum traurigen Nachdenken über die Lage der Flüchtlingsbauern und deren besonderes Problem. Was soll aus den 250 000 Bauernfamilien werden, die aus dem Osten geflüchtet sind? Der . Grüne Jäger'und der , Grün-hof'sind ein abschreckendes Beispiel zu dieser Frage“. All diese Eindrücke machen Forell nicht mutlos. Er verkennt nicht die schwere Lage, die innere Not der Menschen und die Schwere seiner eigenen Aufgabe, aber er setzt dem allen ein optimistisches Vertrauen entgegen, das auf seine Erfahrungen aus der Arbeit für die deutschen Kriegsgefangenen in England gegründet ist; er glaubt an die trotz aller Schicksalsschläge im Kem noch ungebrochene Lebenskraft des Volkes, das sich aus dem Elend wieder erheben könnte.

Auch bei den Verzweifelten und Stumpfgewordenen in den Flüchtlingslagern vertraut er auf diese Fähigkeit. Man muß ihnen nur helfen. Sie müssen einen Weg sehen. Sie müssen — und das meint er ganz wörtlich für die arbeitslos in den Lagerbaracken Schleswig-Holsteins herumsitzenden Bauern und Landarbeiter — nur erst wieder Boden unter den Füßen haben, um sich aufzuraffen und ihr zerschlagenes Leben neu aufzubauen. „Es gibt nur eine Schwierigkeit: „Geld, Id, Geld/“

Der große Bettler

Forell hat sich oft einen „großen Bettler“ genannt. Er ist es mit der Fröhlichkeit dessen, der sich dabei bewußt ist, für eine gute Sache einzustehen. Er kann seine „Bettlerschuhe" nicht mehr ausziehen und muß seine Landsleute immer wieder ausrufen und mahnen, daß sie an der Verantwortung mitzutragen haben, damit dieses zerschlagene und zerstörte Volk sich wieder eine Lebensmöglichkeit schaffe. Er hat genug ideen, um seine eigenen Leute zu verantwortlichem Handeln anzuregen und die Deutschen anzuspornen, mit eigener Entschlossenheit den Weg aus unsäglichen Schwierigkeiten zu finden. Seitdem Forell zum erstenmal nach dem Krieg wieder nach Deutschland kam, ist schon vieles sehr anders geworden. Mit der Unterstützung durch amerikanische Gelder bahnt sich das an, was die Welt bald das „deutsche Wirtschaftswunder" nennt. Mag es zunächst nur eine glanzende Fassade sein — und noch lange bleiben —, unter der die eigentlichen menschlichen Werte in einem hektischen Streben nach materiellem Wohlstand und dem Taumel „besser leben“ zu wollen erdrückt werden: die heimatvertriebenen Bauern in Schleswig-Holstein spüren noch nichts von alledem. Sie sind auf die Schattenseite des Lebens versdilagen. Sie sind erdrückt von Heimatsehnsucht und Angst vor der Zukunft. Forell schafft es, ihnen einen neuen Impuls zu geben. Ihre menschliche Not liegt offen zutage. Forell fragt nicht, was andere, Näherstehende, die deutsche:. Landsleute, tun sollten oder tun könnten, um den Unglücklichen zu helfen, er ist entschlossen, diese schwerste Aufgabe im deutschen Flüchtlingsproblem auf sich zu nehmen, solange seme Kräfte reichen.

„Du fragst mich nach Plänen für meine neue Aufgabe. Ich will unsere in Espelkamp tut der Zusammenarbeit von Staat, Kirche und Flüchtlingsorganisationen gemachten Erfahrungen für die Hilfsaktion an den Flüchtlingsbauern in Schieswig-Holrtein ausnützen. Von den 250 000 Flüdhtlingsbauern wohnen etwa 50 000 in Schleswig-HoIstein und nur ganz wenige sind wieder angesiedelt worden, knapp 10 Prozent. Der Rest sitzt in Massenlagern oder verstreut in den Dörfern. Es ist ein erschütterndes Erlebnis, sie so tatenlos in den Baracken sitzen zu sehen, ohne Aussichten für die Zukunft. Ich habe nun folgenden Plan: Ich will schwedische Bauernverbände zu Spenden überreden, so daß ein Fonds von etwa 100 000 schwedischen Kronen zur Verfügung steht, aus denen wir dann die Eigen-leistungfüi 15 bis 20 Siedlerfamilien ziehen wollen. Das könnte ein ganzes Dorf aus schwedischen Mitteln werden . . .“ Immer wieder taucht der Gedanke an das „Modell Espelkamp““

in Forells Überlegungen für eine Bauernhilfe in Schleswig-Holstein auf. Nachdem die Anfangsschwienigkeiten dort überwunden sind und Espelkamp ein ausblühender Ort geworden ist, ist es verlockend , den Versuch zu wiederholen. Auch von araeren Seiten wird Espelkamp als Begriff der „Hilf'* zur Selbsthilfe“ aufgegriffen. Bei seinem Besuch in Schleswig-Holstein sind Forell gleich zwei Projekte präsentiert worden: Trappenkamp und Wahlstedt, für die ähnliche Mög-lidhkeiten wie in Espelkamp zu bestehen scheinen — freilich nur ähnliche, denn jeder Fall ist von besonderen Bedingungen abhängig und in keinem wird sich der Erfolg von Espelkamp wiederholen.

„Es gibt viele Komplikationen dort, weil der ganze Anfang sowohl in Trappenkamp wie in Wahlstedt ziemlich planlos vor sich ging.

Die Leute, die dort arbeiten, scheinen mir aber wert zu sein, daß man versucht, Hilfe zu geben, und ich habe schon in Göteborg verhandelt, ob man nicht von dort aus wenigstens einen Kindergarten für Trappenkamp in die Wege leiten kann, damit die Menschen dort ein sichtbares Zeichen bekommen, daß Hilfe gegeben wird. In Wahlstedt besteht das Problem eines Gemeinde-zentrums, und darüber werde ich mit anderen Städten verhandeln . . .“

Eines ist aber auch in Espelkamp nicht geglückt, worauf Forell gerade in Schleswig-Holstein besonderen Wert legt: die Wiederansiedlung von Bauern. Espelkamps Anlage und Entwicklung steuert dahin, eine Stadt zu werden, in der bäuerliche Wirtschaften naturgemäß keinen Platz haben. Die Gründung von Flüchtlingsbauernhöfen im Ausstrahlungsgebiet von Espelkamp ist nicht gelungen. Vielleicht gibt aber Schleswig-Holstein die Möglichkeit zu einem bäuerlichen Espelkamp.

Fliegender Hilfsdienst

Forell will eine Anregung für seine Arbeit in Schleswig-Holstein freudig aufgreifen, weil ihn die Zweckmäßigkeit des Gedankens sofort überzeugt hat* die Einrichtung eines „fliegenden Hilfsdienstes". Damit sollen die weit im Lande verstreuten, einzeln wohnenden Flüchtlinge, die bei Bauern in abgelegenen Dörfern und meist in kümmerlichen Behausungen, manchmal in Ställen eder unheizbaren Kammern untergebracht sind, besucht werden, um ihnen beizustehen und vor allem, um ihnen das Gefühl ihrer Verlassenheit zu nehmen.

Ich habe auf meiner Vortragsreise mit verschiedenen Gruppen hier gesprochen“, schreibt Forell aus Schweden, „es sieht so aus, als ob genügend Interesse dafür vorhanden wäre, so etwas ins Leben zu rufen. Eine passende Persönlichkeit habe ich auch zur Hand: eine 26jährige Missionarin, Schwester Maj-Brit Bergström-Wala, die eigentlich für China ausgebildet ist, aber nun nicht dorthin reisen kann und die letzten zwei Jahre in Hamburg in den Bunkerr gearb. ’tet hat. Sie würde für eine solche Arbeit außerordentlich geeignet sein, und ich werde nun mit dem Hilfswerk verhandeln, ob wir einen Lieferwagen bekommen können und einen Fahrer dazu.

Willige Kreise hier, die bereit sind, für Kleidung, Schuhwerk usw. als eisernen Bestand für einen solchen fliegenden Dienst zu sorgen, können wir sicher findeh nach den Erfahrungen, die ich in den letzten Tagen gemacht habe. Ich habe schon nach Kiel geschrieben, um von dort einige Angaben zu bekommen, wo solche kleinen, vergessenen Gruppen von Flüchtlingen herumsitzen. Im Planungsamt hat man ja Zahlen über diese Menschen." Aber als Forell wieder in Deutschland ist und in Kiel diesen Plan besprechen will, stößt er auf Bedenken, „daß eine solche Sache unter Umständen störend wirken könnte in der routinemäßigen Arbeit des Hilfswerks". Es wird ihm vorgeschlagen, „daßman die Rundreisen zunächst durch die Propsteien vermitteln sollte und im Einvernehmen mit den Bauftragten (des Hilfswerks) die Reisepläne machen sollte, dann würden an Hand dieser Vorschläge Anweisungen gegeben werden können, in welcher Propstei man am besten anfangen sollte ..."

Gerade die Frische der Initiative, die zur Erfüllung eines solchen Unternehmens nötig wäre, ist damit abgeleitet in die Kanäle bürokratischer Schwierigkeiten und Bedenken — und es geschieht daraufhin nichts mehr. Der Plan ist stillschweigend, wohlwollend begraben. Forell fügt sich. Er will gerade im Anfang seiner Zusam-

menarbeit mit den Hilfswerkstellen in Schleswig-Holstein nicht Schwierigkeiten-und Auseinandersetzungen heraufbeschwören. Außerdem ist der Plan ja gar nicht wirklich abgelehnt — der Initiative sind nur solche Zügel angelegt, daß sie sich nicht entfalten kann. Wer trägt dabei die Schuld? Die Initiative, die zu schwach ist, sich gegen die mächtige Bürokratie durchzusetzen, oder eben diese Bürokratie, die ihre Machtposition zu verteidigen entschlossen ist? Forell muß die Erfahrung mähen, daß an vielen Stellen, die mit der Lösung der Flüchtlingsfrage in Schleswig-Holstein beauftragt sind, diese Taktik des Hinschleppens bewußt oder unbewußt geübt wird, bis jeder lebendige Entschluß dabei welk geworden ist. Es gibt durchaus stichhaltige Gründe und genug Schwierigkeiten, hinter denen man sich jederzeit glaubwürdig verschanzen kann, nicht aus Böswilligkeit, sondern mehr aus innerer Schwerfälligkeit und Phantasielosigkeit. „Risiken muß man ja immer auf sich nehmen, wenn man etwas in großem Stil anfangen will", schreibt Forell. „Auch in Espelkamp waren viele Fragen ungeklärt und die Leute haben dennoch angefangen ...“ Er ist überzeugt, „daß die Flüchtlingsfrage erst dann gelöst werden kann, wenn man davon abkommt, die Flüchtlinge nur als Zahlen zu bewerten. Man muß sie auch als Menschen ansehen und das Problem vom menschlichen Gesichtspunkt aus behandeln.“ Schon im Sommer 1951 hat ihm ein Ministerialrat im Vertriebenenministerium in Bonn, Middelmann, freimütig erklärt: „Man sei sich im Bundesministerium vollkommen darüber klar, daß die Bedeutung der Privatinitiative weit über das Maß der investierten Mittel, die man aus den Jahresberichten der Hilfsorganisationen herauslesen kann, hinausgeht. Diese Mittel können im Zusammenhang mit dem Riesenproblem als recht bescheiden betrachtet werden und dennoch bedeuten sie unendlich viel." Gerade diese Privat-initiative ist es, die Forell wecken will. Dafür ist er wieder nach Deutschland gegangen. Aber er muß erkennen, wie wenig Platz dafür gelassen ist, damit sie wirksam werden kann. Zweifellos ist die Leistung großer Organisationen wie des Hilfswerks ein wihtiger Pfeiler für die Aufgabe, der Flühtlingsnot einmal Herr zu werden. Aber die Organisationen selbst sind in ständiger Gefahr, in einem Shema zu erstarren und der Routine zu verfallen — und damit niht mehr das eigentlih Menshlihe ihres Auftrages erfüllen zu können. Darin liegt das Besondere eines Menshen wie Forell, daß er unbeshwert durh organisatorishe Erwägungen, ohne persönlihen Ehrgeiz und mit Phantasie das gleihe Ziel anstrebt wie die Organisation, in die er sih gestellt hat und sih doh die innere Freiheit bewahrt, das Unmittelbare zu sehen und zu tun. Er könnte Anstoß geben, das Erstarrende zu lockern — und wird meist doh nur selbst als Ärgernis empfunden, weil er sih in das Festgefügte niht fügen will.

So ist der Gegensatz zwishen Forell und dem Hilfswerk als Organisation, bei aller Gemeinsamkeit der Absiht zu helfen, von Anfang an vorhanden und läßt verhältnismäßig bald in Forell die Überzeugung entstehen-„Man brauht eine eigene Plattform für einen solhen Auftrag ...

Devisen oder Menschen Zunächst aber glaubt er, der Schwerfälligkeit der Entschlüsse, auf die er sowohl im kirchlichen wie im behördlichen Getriebe in Schleswig-Holstein überall stößt, mit immer neuer Initiative begegnen zu können. Die Entscheidung über die Industriepläne in den beiden ehemaligen Muna-Lagern Trappenkamp und Wahlstedt nach dem „Modell Espelkamp" zieht sich lange hin, viel zu schleppend, als daß auf die Fragen die der lebendige Alltag beantwortet haben will, noch eine fördernde und Zukunft bauende Antwort gefunden werden könnte. Forell sieht keine Möglichkeit, die Sahe rascher vorwärtszutreiben. Aber, so ist er überzeugt, es gibt schließlich auch andere Möglichkeiten, den Flüchtlingen zu helfen. Ihm liegt nicht so sehr die industrielle Siedlung am Herzen wie das Schicksal der Menshen, die durch die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten aus der deprimierenden Arbeitslosigkeit befreit werden müssen. Gelingt die Beschäftigung in der Industrie nicht, so muß ein anderer Weg eingeschlagen werden, der schwerer ist, voller Widerstände, Forell hat das schon zur Genüge erfahren: Es ist der Weg der ländlichen Siedlung. Er ist den vielen Flüchtlingsbauern in Schleswig-Holstein ihrer Herkunft nah viel gemäßer. Forell ist entshlossen, sih dafür einzusetzen. Er wird in Kiel von der Referentin des stellvertretenden Ministerpräsidenten Krafft, der Gräfin Finckenstein, gefragt, „ob dies nun bedeuten sollte, daß ih mih für die Industriesiedlung in Shleswig-Holstein niht mehr interessieren würde, worauf ih geantwortet habe: . Liebe Gräfin“, wenn es zu langsam geht mit irgend etwas, so nehme ih mir immer etwas anderes vor, damit ih niht ohne Beshäftigung bin. Die Bauern-aktion ist mein . etwas anderes“, bis man endlih soweit ist, daß die Regierung oder die Industrie in Trappenkamp oder Wahlstedt etwas anfangen will. Wenn dies geschieht, dann binih dabei... ’ Auf meine Frage, wie die Regierung zu Trappenkamp stehe, wurde sie energish und sagte: . Trappenkamp muß mit allen Mitteln unterstützt werden. Wir können es uns niht leisten, Trappenkamp aufzugeben, denn dort sitzen die wenigen Leute in Schleswig-Holstein, die Devisen ins Land bringen. Wir möhten auh niht gerne, daß die Süddeutshen uns diese Leute wegschnappen’..."

Ist das wirklich das Entsheidende: die Devisen und die Arbeiter, die man sih „niht wegshnappen“ lassen möhte, weil sie „Devisen bringen“ können? „Wir sollten uns stattdessen fragen, ob wir nicht unter Aufbietung aller Kraft und durh Aufrütteln des Gewissens unserer Mitmenshen wenigstens einem Teil dieser Bauern wieder auf die Beine helfen können ...“ meint Forell in einem Interview.

Hundertfältig klingen ihm die Notshreie bei seinen Besuhen in den Flüchtlingslagern entgegen. „Hat man denn wirklih alle Möglichkeiten versuht, um uns neue Stellen zu vershaffen? Man liest in den Zeitungen von allen möglihen Plänen, aber was kommt dabei heraus? Wir haben ja keine großen Ansprühe an das Leben. Wir sind besheiden geworden, aber sih hier herumzutreiben ohne Arbeit ist shwer...', Was soll aus unserm Jungen werden? Es sind hier ja so viele Menshen,, die keinen Halt mehr im Leben haben. Es gibt für die Kinder keine Geheimnisse mehr, sie haben viel zu viel gesehen, shon auf der Fluht und dann im täglihen Zusammenleben’. — , Am liebsten würde man alle Baracken in die Luft sprengen! ’ — , Es ist doh kein Leben für Menshen, nein, es ist kein Leben für Menshen... ’ — , Man will doh niht immer von Almosen leben. Arbeit, Arbeit, Herr Pastor, das ist das Wihtigste für uns alle... ’“

Forell ist in Shweden herumgereist, um die shwedishen Bauernverbände zur Hilfe für die Flühtlingsbauern in Schleswig-Holstein aufzu-rufen. Er hat mit vielen Bauernführern gesprohen und große Bereitshaft gefunden. Er hat den Attahe Ljungmann von der shwedishen Botshaft in Bonn, einen landwirtschaftlichen Fachmann, nah Schleswig-Holstein geholt, um mit ihm Hlfsmöglichkeiten zu besprechen. Er hat es erreiht, daß 32 Bauern aus Shweden nah Schleswig-Holstein kommen, um sih von der Lage der Flühtlingsbauern selbst zu überzeugen und Siedlungsmöglihkeiten anzusehen, für die sie Patenshaft übernehmen sollen. Die Reise ist ein Erfolg. Die Bauern von Västra Tunhem sammeln 10 000 Kronen für die Flühtlinge in Schleswig-Holstein. Bei der Spitze der schwedishen Bauernverbände in Stockholm ist Forell aber zunähst auf einen Vorbehalt gestoßen, und gerade das benutzt er, um in Schleswig-Holstein eine entsheidende Frage zu stellen:

„Ih wies darauf hin, daß bei der Sitzung in Stockholm die zögernde Haltung des Vorstandes darauf zurückzuführen ist, daß die entsprehende Berufsorganisation in Deutshland bisher nicht ihre Stellungnahme zu der Flühtlingssiedlung bekanntgegeben hat. Die shwedische Organisation will deswegen niht gern in Deutshland auftreten, ohne vorher zu wissen, wie ihre Komponente in Deutshland sih zu solch einer Aktion stellen würde. Es wäre deswegen wünshenswert, durh Verhandlungen mit den Bauernverbänden hier eine solche Stellungnahme herbeizuführen, niht nur als Diskussion, sondern in einer freiwilligen Hilfe, die von den einheimishen Bauern den Flühtlingen angeboten wird...“ Er knüft daran die Hoffnung: „Wenn man sie veranlassen könnte, eine Art Patenschaft zu gestalten, etwa in der Form, daß einige einheimishe Bauern in einer Gemeinde sih zusammentun und ein Stück Land einer Flüchtlingsfamilie geben, und dann von Shweden aus eine zusätzliche Hilfe für diese Bauernfamilie käme, dann würde man gerade das er-reihen, was wir mit unserer Aktion bezwecken, nämlih ein Beispiel zu geben, damit auh von anderen Seiten etwas geshieht und der Schneeball ins Rollen kommt..

Dann müßte man Sie totschlagen ...! ”

Graf Platen, Weißenstiin, der sich dafür eingesetzt hat, daß der Großgrundbesitz freiwillig 30 000 ha Land zur Ansiedlung von Flüchtlingsbauern hergeben s » 11, erzählt Forell: „Wenn ich zu den Bauern hier in Schleswig-Holstein komme, kann mir folgendes passieren: Ich war neulich eingeladen bei dem Bauernverband zu einer Besprechung. Ehe diese Besprechung anfing, saßen wir Männer zusammen und haben Bier getrunken. Einer von den Bauern kam zu meinem Tisch und fragte, ob ich Graf Platen sei. Ich bejahte, und er sagte: . Dann müßte man Sie totschlagen, Sie sind doch der Mann, der die anderen veranlaßt hat, Boden freiwillig abzugeben. Wissen Sie denn nicht, daß dieser Boden unser Boden ist, der doch für unsere Söhne bestimmt ist und nicht für das Pack aus dem Osten! ’ Und dann als er wegging, fügte er hinzu: , Und eines schönen Tages werden wir mit ihnen abrechnen, lieber Herr Platen, ich möchte Ihnen das nicht vorenthalten, so daß Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben..

Trotz der Bereitschaft einzelner geschieht weder in Schleswig-Holstein, noch in dem übrigen Westdeutschland vom Landbesitz aus Entscheidendes, um die Lage der Masse der Flüchtlings-bauern ändern zu können. Die große Möglichkeit, hier die Solidarität eines unter das gleiche Schicksal eines verlorenen Krieges gebeugten Volkes zu bezeugen, vergeht ungenützt. Was geschieht, um der Not der bäuerlichen Flüchtlinge zu begegnen, muß von oben durch Verordnungen und Gesetze bestimmt werden, und es geschieht zögerd, bürokratisch, ohne einen großzügigen Impuls.

So wenig Forell jemals für sich nach Besitz getrachtet hat, so wenig denkt er daran, sich über das bäuerliche Besitzdenken in Deutschland moralisch zu entrüsten. Er bemerkt es nur, und er zieht daraus eine unerwartete Konsequenz: je mehr die Deutschen versagen, ihren eigene!'Landsleuten in ihrer Not beizustehen, desto mehr sieht er die schwedischen Bauern verpflichtet, ihren ins Unglück geratenen Berufsgenossen in Deutschland zu helfen, denn geholfen werden muß ihnen. Dafür wird er sich einsetzen bis an sein Lebensende in immer neuen Reisen und Sammlungen bei den schwedischen Bauern. Er denk daran, deutsche Bauern in Schweden wieder ansässig zu machen, und hat auch sehr bald schon ein Objekt in Tived dafür. „Aber“, schreibt er an Bischof Cullberg, „ich komme von dem Gedanken nicht los, daß diese Aktion übermäßig teuer wird, verglichen mit dem gewünschten Ziel. Die Häuser sind in schlechtem Zustand und würden viel Geld fürs Herrichten brauchen. Eine Beihilfe von der Schwedischen Kirchen-hilfe wäre in Höhe von 100 000 Kronen nötig. Das bedeutet, daß wir für mindestens ein viertel Jahr keine Mittel für andere Zwecke hätten ..

Nicht neugierig auf fremde Redner

Forell ist inzwischen in voller Tätigkeit für die Flüchtlinge bei den schwedischen Gemeinden. Es ist eine mühselige Arbeit, Tag für Tag von einem Ort zum andern, um Vorträge zu halten, Predigten, Kollekten zu sammeln. Manchmal sind es 400, manchmal 600 Kronen, oft auch 200, einmal 39 bei acht Zuhörern. „Der Jämtländer ist nicht neugierig auf fremde Redner" versichert ihm der Ortspfarrer zum Trost. Und doch hat Forell in etwas mehr als zwei Wochen mit 23 Vorträgen und Predigten fast 6000 Kronen gesammelt und viele Versprechen erhalten, weiter zu sammeln und ihn in seiner Arbeit für die Flüchtlingsbauern zu unterstützen. Diese Erfolge erfüllen ihn mit Zuversicht. Immer wieder klingt sie in seinen Briefen aus diesen Wochen durch.

„Selbstgenügsamkeit, die sich bei uns breit macht, kann man doch zerschlagen, wenn man in richtiger Form die Wirklichkeit des Flüchtlingsdaseins schildert. Auf alle Fälle habe ich in den letzten Wochen erfreuliche Aktionen in den Landgemeinden gefunden, und besonders freue ich mich darüber, daß meine Heimatprovinz Helsingland in Nordschweden sich bereit erklärt hat, mit ihren Bauernverbänden eine Sammelaktion durchzuführen. Die Bauernverbände in Westschweden sind jetzt auch bereit, in größerem Umfang Sammlungen durchzuführen, und das Schönste von allem habe ich in Stockholm erlebt, wo ich mit der Regierung direkt verhandelt habe. Der stellvertretende Außenminister hat uns zugesagt, einen Antrag zu unterstützen, damit wir einen beträchtlichen Zuschuß für unsere Flüchtlingsarbeit in Schleswig-Holstein für die Flüchtlingsbauern bekommen ...“

Überall sieht sich Forell nach Möglichkeiten um, wie den Bauern zu helfen sei.

Es ist ja keineswegs so, daß in Deutschland nichts geschieht. Es wäre falsch, Forells Bemühen nicht in einem großen Geflecht anderer Hilfe zu sehen, er würde sich selbst dagegen am meisten verwehren; aber bei der Größe der Not reicht alles nicht aus, und die große, das ganze Volk umfassende und erfüllende Tat bleibt aus.

Durch die freiwillige Landabgabe des Groß-grundbesitzes und durch Verkäufe zur Bezahlung von Lastenausgleichsabgaben sind verschiedene Güter frei geworden. Das Land soll aufgesiedelt werden, aber es fällt nur zum Teil Flüchtlings-bauern zu, denn auch die Einheimischen beanspruchen ihren Anteil. Für die ungeheure Zahl von Flüchtlingsbauern in Schleswig-Holstein sind es nur sehr wenige Siedlungen, die an die Bauern abgegeben werden können, hier 8, dort 16, 21 oder 14 Bauernstellen, dazu noch etwas Land für Handwerker, Landarbeiter und Gastwirte.

Forell ist dennoch optimistisch. Es ist wenigstens ein Anfang. „Es sind in Schleswig-Holstein 800 ha Boden zur Verfügung für die Ansiedlung. Unsere Pläne betreffen das Nebengut Wilden-horst mit etwa 400 ha. Diese 400 ha wollen wir nun versuchen in Zusammenarbeit mit Staat, Kirche, Siedlungsstellen, Flüchtlingsorganisationen und Ausland so aufzuziehen, daß es wie Espelkamp als eine Art Modell für andere, ähnliche Unternehmen dienen kann. Ich habe schon Verbindung ausgenommen mit Amerika, um zu sehen, ob nicht die Amerikaner veranlassen können, etwas ähnliches auch in der amerikanischen Zone zu tun, und auch in England sind ein paar Freunde tätig, um für die Sache zu werben, obwohl wir von da nicht viel Hilfe erwarten können, weil die Engländer ja viel ärmer sind als die Westdeutschen, aber kleine Beihilfen können sie immerhin geben und besonders die Quäker haben viel mehr als die meisten anderen. Mit ihnen habe ich gerade die guten Beziehungen..."

Wildenhorst wird in den nächsten Jahren immer wieder von Forell bedacht werden. Auch Sven Danell, Forells schwedischer Amtsbruder, der sich für die Arbeit in Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt hat, nimmt sich in ganz besonderem Maß der Siedler von Wildenhorst an. „Wir haben nicht die Absicht, als Siedlungsträger aufzutreten. Unsere Aufgabe soll sein, zusätzliche Hilfe zu leisten, um den Siedlern zu helfen, Engpässe zu überwinden“, hat Forell als Richtlinie der schwedischen Hilfe für Wilden-horst erklärt. Am Anfang der Verhandlungen der „Schwedisdi-deutschen Arbeitsgemeinschaft Wildenhorst" steht die lapidare Erklärung: „Pastor Birger Forell teilt mit, daß zur Hilfe für die Siedler in Wildenhorst von schwedischer Seite 5 5 000 DM zur Verfügung stehen. Außerdem kommen Sachspenden in Form von Maschinen und Geräten in Frage. Es wird ausdrücklich betont, daß die Geldmittel nach dem Willen der schwedischen Geber nur zur Hilfe für vertriebene Landwirte verwendet werden dürfen. Den Einheimischen, die in Wildenhorst angesiedelt werden, muß dieses offen gesagt werden..."

In einem anderen Brief aus dieser Zeit berichtet Forell: „Von dem Ministerium für Landwirtschaft in Hannover habe ich heute morgen eine Übersicht über die Siedlungsarbeit für Flüchtlingsbauern, die in Niedersachsen betrieben wird, mit recht interessanten Angaben bekommen. Es handelt sich dabei durchweg um Arbeiten, die schon im Gange sind, aber im Anschluß daran werden wir wahrscheinlich leicht weitere Angaben bekommen, wo im nächsten Jahr ähnliche Vorhaben geplant sind. Eine Siedlung in Groß-moor, die im Aufbau ist und ganz in der Nähe von Celle liegt, wurde uns als Patenobjekt für unsere schwedischen Bauern empfohlen. Von dieser Siedlung schreibt der Bericht: , Die Siedlung — es sind ausgewiesen 20 Bauernstellen und 2 Landarbeiterstellen — wird sich nur dann zur Blüte entwickeln, wenn die Siedler mit Fleiß und Zähigkeit das harte Leben eines regelrechten Kolonisten auf sich nehmen. Hier wird jede Hilfe besonders dankbar empfunden werden’ . .

Der konkret begrenzte Arbeitsauftrag

Der »konkret begrenzte Arbeitsauftrag" Forells in Schleswig-Holstein, wie ihn das Hilfswerk von ihm erwartet, erweist sich immer mehr als zu eng. So wie Forell seine Aufgabe ansieht, läßt sie sich nicht konkret begrenzen. Um den in Schleswig-Holstein ausweglos zusammengedrängten Flüchtlingen helfen zu können, ist es nötig, die Aktivität auf die anderen Bundesländer auszudehnen, um durch eine allmähliche Umsiedlung eine Erleichterung in Schleswig-Holstein zu erreichen. Es wird Forell immer deutlicher, daß Schleswig-Holstein nur Ausgangspunkt sein kann, von dem aus die Arbeit sich über das ganze Bundesgebiet erstrecken muß, wenn sein Einsatz sinnvoll werden soll. Aber die Ländergrenzen sind schwer überwindbar. Bei der regionalen Aufteilung der Organisation des Hilfswerks und ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung verschiedener Gremien und Instanzen, von denen jede genau ihre „Zuständigkeit" beachtet wissen will, ist es unmöglich zu einer raschen Entscheidung zu kommen, vor allem wenn auch noch die Vorbehalte und Bedenken verschiedener Länder dabei Berücksichtigung finden sollen. Deshalb kann Forell auf seine Handlungsfreiheit nicht verzichten. Er hat nie einen Sinn für „Zuständigkeiten“ gehabt, wenn es darum geht, Menschen in akuter Not beizustehen. Vor diesem Auftrag ist er nicht bereit, auf die Selbstherrlichkeit irgendwelcher Organisationen Rücksicht zu neh-men. Das bedeutet für ihn keine Absage an die Arbeit des Hilfswerkes — sie beide bemühen sich ja um die gleiche Aufgabe —, aber Tempo und Art der Arbeit müssen naturgemäß unterschiedlich sein. Noch immer ist er bereit, „daß meine Arbeit im . Rahmen des Evangelischen Hilfswerks'geschehen soll“, aber er interpretiert die Zusammenarbeit in aller Freiheit: „das fasse ich so auf, daß ich mit den Dienststellen Fühlung halte und nur dort das Hilfswerk einschalte, wo es für unsere Arbeit zweckmäßig erscheint . .

Andererseits ist es für Forells Arbeit wichtig, auf eigener Plattform zu stehen. Es war von vornherein ausgemacht, daß die Sammeltätigkeit in Schweden unter der Schirmherrschaft der Schwedischen Kirchenhilfe stehen sollte. Das ist nötig, damit er in der schwedischen Öffentlichkeit nicht als Privatmann auftreten muß. Die Anlehnung an die Organisation der Schwedischen Kirchenhilfe erleichtert ihm Zugang und Wirkung, wie er sie als Beauftragter des deutschen Hilfswerks nicht haben würde. So denkt er bald an ein Kuratorium, das sowohl sein Werben in Schweden wie seine Arbeit in Deutschland als „Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe" nach außen legitimieren soll. Bei der doppelten Ausrichtung seiner Aufgabe sollen Deutsche und Schweden in diesem Kuratorium gemeinsam die Verantwortung tragen.

Mitverantwortung

Der schwedische Gesandte in Bonn, Kumlin, unterstützt diese Bestrebungen. Kumlin ist es ernst mit der Überzeugung, die er auf dem Empfang Forells in Düsseldorf äußerte, daß die Flüchtlingsfrage ein internationales Problem ist „und die schwedische Regierung die Konsequenzen aus dieser Überzeugung ziehen wird". Gerade deshalb fördert er den Gedanken einer „DeutschSchwedischen Flüchtlingshilfe“. Wenn Forell zur Rechtfertigung seiner Aufgabe in Deutschland immer wieder die Auffassung vertritt, „unsere eigene Kirche sollte das größte Interesse daran haben, die Entwicklung auf diesem . Schlachtfeld'mit Aufmerksamkeit zu verfolgen", so ist Kumlin bereit, das schwedische Volk und seine Regierung in die Mitverantwortung an Forells Arbeit einzubeziehen, nicht nur als eine Sache der schwedischen Kirche, sondern im Bewußtsein einer europäischen Verpflichtung in der politischen Haltung Schwedens. „Wir werden uns nicht mit 15 Höfen begnügen, setzen wir uns für hundert ein, dann können wir ganz anders draufdrücken! meinte er. Er rief gleich den -Außenminister des Bauernverbandes', den Gutsbesitzer Gulander auf Geringe an. Er kam mit einer Menge guter Vorschläge und ist ohne Vorbehalt bei unserem Plan . . .“ „Dann hatte ich ein langes Gespräch mit dem (Landwirtschaftsattach der schwedischen Botschaft in Bonn) Landwirtschaftsrat Ljungman“, berichtet Forell weiter in seinem Brief an seine Frau. „Er und seine lebhafte Frau meinten, daß wir eine Million von den Bauern in Schweden bekommen müßten für den Bauernplan. Optimismus ist etwas Schönes. Beide Ljungmans stammen vom Lande, haben sehr gute Verbindungen zum schwedischen Bauernverband, und es bedeutet natürlich sehr viel, was er zu Hause seinen Freunden berichtet. Ljungman will an der nächsten Rundreise in Schleswig-Holstein teilnehmen, wenn Gullander und sein Kollege kommen. Das würde dem Unternehmen einen offiziellen Charakter verleihen, und dagegen habe ich nichts einzuwenden . . .“

Gerade dieses „Offizielle" läßt eine selbständige Organisation wünschen, die, zwar von der Organisation des Hilfswerks unterschieden, doch keineswegs in einem Gegensatz zu ihr stehen soll.

In diese Überlegungen, die sich durch das ganze Jahr 1952 hinziehen und die das Zentralbüro des Hilfswerks in Stuttgart von Forell in aller Offenheit unterrichtet ist, tritt, von Carl Neu-mann angeregt und empfohlen, eine Persönlichkeit, durch die für Forell die Entscheidung zur Gründung einer eigenen Organisation um vieles erleichtert wird: Dr. Emil Weerts. „Er ist Siedlungsexperte, seit 1947 beim Hilfswerk als Planungschef für Siedlung angestellt. Er ist offensichtlich ein selbständiger Mensch mit eigenen Ideen und eigenem Willen. Vielleicht hat er eine gewisse überintellektuelle Einstellung in gewissen Fragen, aber dieser Zug wirkt nicht snobistisch, sondern gibt ihm eine intensive Gedankenschärfe. Zugleich hat er nicht den bei Akademikern üblichen Glauben an die alleinseligmachende Macht der Wissenschaft. Dafür ist er zu sehr Künstler. Er hat in Abessinien und Südwestafrika gearbeitet und hat wohl Pioniergeist in sich . . .“ schildert ihn Forell nach seinen ersten Eindrücken. Wie Forell ist er bedrückt von der zunehmenden bürokratischen Schwerfälligkeit, von der der zunächst spontane Impuls in der Arbeit des Hilfswerks immer mehr zurückgedrängt wird. Aus diesem Grund trägt er sich mit dem Gedanken, aus dem Hilfswerk auszuscheiden. Hier treffen sich die Überlegungen Forells mit denen von Weerts: Wenn Forell die Langsamkeit der Entscheidungen des Hilfswerks durch seine eigene Initiative ausgleichen will, um den Flüchtlingen rascher und unbürokratischer zu helfen, braucht er die Mitarbeit eines Fachmannes, der ihn in Siedlungsfragen berät. Es ist ein sehr sorgfältiges Abtasten und Prüfen, ehe Forell sich am 8. September 1952 an Weerts wendet: „Ich habe an Herrn Neumann geschrieben, daß ich nach reiflicher Überlegung keine Bedenken habe, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, weil ich glaube, daß wir uns sehr gut ergänzen können.“

Es wird eine jahrelange, ungemein fruchtbare Zusammenarbeit, auch wenn daraus keine so nahe Freundschaft entsteht, wie aus der an Spannungen und Reibungen so viel reicheren Zusammenarbeit Forells mit John Barwick in den Jahren in England. Die Aufgabe, vor die Forell sich gestellt weiß, wenn die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe nun ihre Aufgabe in Deutschland aufnehmen soll, ist riesenhaft. „ 294 000 selbständige Bauern kamen 1945/46 als Flüchtlinge nach Westdeutschland. Im letzten Jahr sind weitere 28 000 aus der Sowjetzone in den Westen geflohen. Bis zum 1. Juni 1953 konnten erst 12 Prozent dieser 320 000 Landwirtsfamilien wieder auf einem eigenen Hof untergebracht werden. In manchen Teilen Deutschlands gibt es aber noch große Flächen Ödland. Allein im Emsland an der holländischen Grenze kann man mit der Gewinnung von 240 000 ha rechnen. In Bayern gibt es tausende sogenannter . auslaufender Höfe', in vielen Fällen kaum noch bebaut, weil der Erbe gefallen ist. Im Rheinland könnten auch solche Möglichkeiten ausgenutzt werden, ebenso in Hessen. Großbetriebe haben ebenfalls genügend Boden für Siedlungen, wenn auch in begrenzter Menge, zur Verfügung gestellt.“ Das Feld ist wahrhaftig weit genug, um anpacken zu können. Art und Ziel, wie Forell sich die Arbeit der „DeutschSchwedischen Flüchtlingshilfe" und auch die Zusammenarbeit mit Dr. Weerts denkt, umreißt Forell nach einer Besprechung mit Carl Neu-mann und Weerts am 6. Oktober 1952 in einer Aktennotiz: „Die kommende Gestaltung der Flüchtlingsarbeit darf sich nicht versteifen auf eine bestimmte Form, sondern muß lässig genug sein, um nach dem jeweiligen Stand der Dinge gerade dort einzusetzen, wo die Hilfe am aller-nötigsten ist. Unsere Aufgabe muß sein, nicht Doppelarbeit etwa für Ministerien oder Hilfs-Organisationen zu leisten, sondern die Hilfsquellen sowohl bei den staatlichen Stellen wie auch bei den Hilfsorganisationen so auszunützen, daß dabei ein möglichst hoher Ertrag für die Flüchtlinge herauskommt. Es muß aber darauf geachtet werden, daß wir nicht nur auf die äußeren Leistungen zu sehen haben und uns vornehmen, in einer bestimmten Zeitspanne etwa so und so viel Wohnungen und Arbeitsplätze zu schaffen, sondern unsere Arbeit muß darauf gerichtet sein, daß für die Menschen, denen wir helfen wollen, die Möglichkeit geschaffen wird, in einer im besten Sinn christlicher Gemeinschaft leben zu können. Damit ist nicht nur eine kirchliche Gemeindeform gemeint, sondern eine Gestaltung des Zusammenlebens, das nicht davor zurückschreckt, neue, andere Formen zu verwirklichen. Es muß von vornherein klar sein, daß wir die ganze Arbeit nicht als eine gewöhnliche humanitäre Hilfe betrachten, sondern daß wir uns auf eine konstruktive Hilfe zur Selbsthilfe für unsere Flüchtlingshilfe einstellen müssen . . . Eine enge Zusammenarbeit mit den besten Kräften in den staatlichen Stellen ist nötig, aber wir wollen nicht ein neues Ministerium werden, sondern die schon vorhandenen Dienststellen soweit wie möglich für unsere Arbeit benützen . . .“

Jetzt gilt es, das Kuratorium zusammenzustellen. Forell setzt sich deswegen mit dem Bundesvertriebenenminister Lukaschek in Bonn in Verbindung, denn er möchte gerade den amtlichen Stellen in Deutschland gegenüber höflich und korrekt sein. Am 25. Oktober berichtet er Carl Neumann darüber: „Das Gespräch mit Minister Lukaschek fand gestern statt. Er war sehr glücklich über unseren Plan und schien besonders angetan zu sein, daß wir ihn persönlich in dieser Angelegenheit befragt hatten. Er bot sich an, selbst Kontakt aufzunehmen mit ein oder zwei geeigneten Persönlichkeiten, und schlug zunächst Herrn Abs vor mit der Bemerkung, daß wir wohl am besten . ganz hoch'greifen sollen. Weiter meinte Lukaschek, daß es günstig wäre, Hermes als Präsidenten des Bauenverbandes zur Rückversicherung gegen die einheimischen Bauern in das Kuratorium zu nehmen. Auf alle Fälle ist es wichtig, daß wir ein gutes Verhältnis zu den Bauernverbänden haben."

Anfang Dezember ist Forell so weit. „Wir hatten gestern einen großen Tag, da ich mit Dr. Weerts zusammen den Präses des Bauernverbandes, den früheren Landwirtshaftsminister Hermes, besuchte und ihn zur Mitgliedshaft in unserer , Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe’ gewinnen konnte. Samstag war ih beim Groß-fürsten der Ruhrindustrie, Generaldirektor Kost in Essen, und gewann auh ihn als Mitglied. Er ist der Vater des sogenannten Kost-Planes, der durh Shaffung von lOOOOO neuen Arbeitsplätzen die Massenlager aufheben will. Dieser Plan wird am 8. Dezember den Industriellen bei einem großen Treffen in Köln vorgelegt werden, und unser Vorshlag kam wie eine willkommene Abrundung des großen Planes und sagte dem großen Herrn sihtlih zu. Am nähsten Samstag treffe ih den dritten Ruhrfürsten, Direktor Abs, Chef der Bank für Wiederaufbau, der auh versprah, mitzuwirken, aber vorher Näheres über unsere Pläne hören möhte . .

Dänische Befürchtungen

In einem anderen Brief shreibt Forell: „Auf shwedisher Seite haben wir Vertreter der zwei großen shwedishen Konzerne hier in Deutschland, Zündholz A-G. und Shwedenerz. Wir hoffen, durh diese Gruppe einen Eindruck auf die deutshen Kapitalisten zu mähen, die bisher viel zu wenig geleistet haben für eine konstruktive Flühtlingshilfe. Wir hoffen, im nähsten Jahr mehrere solhe Ansatzpunkte wie Wilden-horst in Schleswig-Holstein einrihten zu können und hoffen, daß wir auh andere Kreise veranlassen können, ähnlihe zusätzlihe Hilfe zu leisten ..."

Aber gerade Wildenhorst wird der Anlaß, der die Gründung der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe noh einmal hinausshiebt. „Eben war ih in Köln und habe mit dem Gesandten Kumlin über unsere Arbeit und im Besonderen über Wildenhorst gesprohen. In der dänishen Presse hat es sih zu einem , Sturm im Wasserglas'zusammengezogen und der Gesandte war reht verärgert darüber, wenn er auh das meiste auf das Konto menshliher Dummheit shiebt. Die Dänen fürhten eine Überbevölkerung Shleswigs und damit einen gesteigerten Druck auf die dänishe Grenze. Ein shwedisher Beitrag zur Siedlung wäre eine Drohung gegen das Dänentum in Shleswig! Auh wenn unsere kleine Siedlung in Holstein, südlih des Nord-Ostsee-Kanals liegt! Das Ganze ist so einfältig, daß es einfah shade wäre, lange darüber zu reden. Aber nun hat unser . Expressen', den man ja niht der Deutshfreundlihkeit verdähtigen kann, die Sahe aufgegriffen und ein Referat aus der dänishen Zeitung gebraht. Das verärgerte Kumlin am meisten. Er fürhtet, daß die Regierung von der Einstellung der dänishen Presse beeinflußt werden wird und will einer Absage zuvorkommen . . .“ „Wir müssen der Regierung klar mähen, daß es große Möglihkeiten für ähnlihe Einsätze in anderen Teilen Westdeutshlands gibt und daß die deutshen Behörden größten Wert auf dies . beispielhafte Handeln'legen, weil es einen moralishen Druck auf ihre eigenen Landsleute bedeutet, die ja unbestreitbar bisher etwas zu lahm waren.“

Der dänishe Presseangriff hat viel Staub in Shweden aufgewirbelt und niht nur zu positiven Reaktionen auf Forells Arbeit in Deutschland geführt, wie bei den Halland-Bauern, die sih dadurh veranlaßt sahen, für ein „zweites’ Wildenhorst“ zu sammeln, sondern auh die Vorsihtigen und ewig Bedenklihen auf den Plan gerufen, die eine Erklärung darüber im shwedishen Reihstag verlangten. „Inzwischen habe ih in Kopenhagen verhandelt“, shreibt Forell, „und sie haben sih wohl beruhigt. Heute wird wahrsheinlih im Reihstag in Stockholm vom Landwirtshaftsminister eine Antwort auf eine Interpellation gegeben, die wegen unserer Hilfsarbeit gemäht worden ist. Das alles hat dazu beigetragen, daß die Gründung der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe etwas verzögert wurde, weil unser Gesandter erst mit der dänishen Regierung ins reine kommen mußte, ehe er als Shirmherr für unsere Arbeit auftreten kann . . .“ Aber auh nah dem sih die Wogen in der Presse beruhigt haben und am 18. Dezember 1952 die Gründung der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe unter der Schirmherrschaft Kumlins und Lukasheks vollzogen ist, wirkt sih der dänishe Protest noh weiter aus. „Kumlin hat (bei einem Besuh in Shweden) ein langes Gespräh mit dem Außenminister wie auh mit dessen Stellvertreter Dag Hammerskjöld gehabt, der zuständig für die internationalen Hilfsaktionen ist. Bei dem Letzteren war ih nun heute auh selbst nah meinem Gespräh mit Kumlin. Die von uns erhofften 100 000 Kronen für Wildenhorst können wir wegen der dänishen Einstellung niht bekommen. Aber Hammerskjöld betonte sehr eifrig, daß diese Absage durhaus niht bedeutet, daß man im Auswärtigen Amt irgendwelhe Bedenken gegen unsere Arbeit im allgemeinen hat, sondern nur aus Vorsiht das Geld für Wildenhorst niht geben kann. Kumlin bittet nun darum, daß wir sobald wie möglih einige Projekte in Süddeutshland oder Mitteldeutschland namhaft mähen. Wenn wir etwas Konkretes gefunden haben, sollen wir damit zu unserer Regierung gehen und für unsere Arbeit um Zushüsse bitten. Wir können da noh höher greifen als 100 000 Kronen. Kumlin meinte, wir könnten damit rehnen, daß wir eine Zusage bekommen werden, wenn wir einige konkrete Pläne vorlegen . .

Seitdem sheint es geraten, daß die shwedishe Hilfe sih niht mehr direkt in Schleswig-Holstein einsetzt, auh wenn Forell die weitere Unterstützung von Wildenhorst deswegen keineswegs zurückstellt. Als er in den ersten Monaten der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe an einen Mitarbeiter des Hilfswerks in Schleswig-Holstein, General Burmeister, froh über neue Erfolge berihtet, versihert er zugleih, daß es niht heißen sollte, seine Hilfe gelte nun niht mehr der Not der Flüchtlingsbauern in Shleswig-Holstein. „Es ist uns gelungen, etwa 60 Häuser für den landwirtshaftlihen Sektor zu bekommen, und zwar so, daß 40 Häuser für Rheinland-Pfalz vorgesehen sind und 20 für Niedersahsen. Sie werden nun, wenn Sie dies lesen, sagen: , Da haben wir den Salat, — Shleswig-Holstein bekommt gar nihts?'Aber seien Sie beruhigt, lieber Freund, ih habe mit dem shwedishen Gesandten gesprohen, daß wir hier eine Möglihkeit haben, einige Umsiedler aus Schleswig-Holstein in Rheinland-Pfalz einzusetzen, und der Gesandte war sehr begeistert davon. Sie sehen also, daß wir Schleswig-Holstein niht vergessen haben . .

Kompetenzstreitigkeiten

Noch während der Vorbereitungen zur Gründung hat Forell am 31. Oktober 1952 über die weitere Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk an Bischof Cullberg geschrieben: „Ich glaube, das dürfte kein Problem sein. Die Bedürftigen, die wir gefunden haben, sind größtenteils Menschen, die vom Hilsswerk gar nicht erreicht werden, und wir bilden dadurch keine Konkurrenz. Wir halten Kontakt mit dem Hilfswerk, und das dürfte störungsfrei und ohne Komplikationen gehen Dr. Krimm, mit dem ich schon im Mai darüber sprach, meinte, wir könnten versuchen, dadurch etwas mehr aktive Hilfe von der Industrie zu bekommen . . Gerade das hofft Forell durch die Industriellen im Kuratorium der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe zu erreichen.

Umsomehr muß ihn die schroffe Reaktion des Zentralbüros auf die Mitteilung der Gründung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe erstaunen.

Dr. Krimm vom Zentralbüro des Hilfswerks schreibt am 28. Januar 1953: „Ich habe Ihre Tätigkeit in Deutschland so verstanden, daß sie im Rahmen des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland stattfinden soll. Ich kann nicht verschweigen, daß dieser Rahmen mit der Gründung eines Vereins überschritten würde, und wäre jedenfalls außerstande, die Ermächtigung zur Gründung dieses Vereins aus jenem Auftrag abzuleiten, den Sie, lieber Herr Forell, von der Schwedischen Kirchenhilse für Ihre Wirksamkeit in Deutschland im Rahmen unseres Hilfswerks erbeten haben ..." „Er sorgt sich so viel um , Zuständigkeitsprobleme‘, daß er zuweilen vergißt, sich darum zu kümmern, wie man so vielen als nur möglich helfen könnte ..." schreibt Forell, und etwas später an Carl Neumann: „Wir haben jetzt eine Bescheinigung von höchster Stelle, daß wir außerhalb der Kirche arbeiten, und es ist ja schön, daß man weiß, wo man seinen Standort hat..

Aber es ist ein bitterer Spott, denn niemals hat Forell daran gedacht, den Standort seiner Arbeit außerhalb der Kirche zu suchen. Es wäre eine Verfälschung seines ganzen Wesens, ihm diese Möglichkeit zu unterschieben; dafür ist ihm der Auftrag, Menschen seelsorgerlich zu helfen, zu ernst. Allerdings wird er immer für sich in Anspruch nehmen, diesen Auftrag zuerst aus seinem Gewissen als Christ und berufener Seelsorger empfangen zu haben und nicht von irgendeiner Organisation und sei es selbst von der organisierten Kirche. Forell hat zuerst geglaubt, den Vorwurf des Zentralbüros entkräften zu können.

Aber der Bruch geht tiefer, als Forell meint. Es ist die Organisation, die das Handeln des Einzelnen, der sich nicht in ihr Schema fügt, nicht ertragen kann. Und darin hat Dr. Krimm zweifel-los recht: Forell kann und will sich nicht in ein Schema einzwängen lassen, das seiner Natur widerspricht, weil es mehr von geschäftlichen Bedenken als von vertrauender Hilfsbereitschaft bestimmt wird. „Wir arbeiten nicht nach Schema F, so daß für jede Familie dasselbe geschieht, sondern wir versuchen festzustellen, wo die besondere Not und Schwierigkeit bei den einzelnen Familien zu finden ist,, und danach richten wir unsere Hilfsaktion ein...“, schreibt Forell aus den ersten Arbeitswochen der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe, und wieder klingt dabei die stille Hoffnung an, daß die Deutschen selbst doch endlich begreifen mögen, welche Aufgabe ihnen mit den Flüchtlingen gestellt ist. „Wir wissen selbst, daß die (einheimischen) Bauernfamilien alle mehr oder weniger zwangs-weise für die Flüchtlinge allerhand geleistet haben, aber uns liegt daran, daß über den von den Behörden befohlenen Einsatz hinaus auch noch freiwillige Spenden gegeben werden. Erst dadurch kann die bittere Stimmung zwischen den Einheimischen und Flüchtlingen etwas behoben werden. Die Flüchtlingshilfe ist ja nicht nur eine Frage der materiellen Hilfe, sondern im tiefsten Sinn eine seelsorgerliche Angelegenheit . .

Das Zentralbüro in Stuttgart mag wohl eingesehen haben, daß es in seiner Kontroverse mit Forell zu scharf gewesen ist. Als ein Jahr später die „Dankesspende des deutschen Volkes“ ins Leben gerufen wird, ist es das Hilfswerk, das Forell dafür vorschlägt.

Die Letzten in der Reihe

Es wäre falsch, anzunehmen, daß Forell seine Hilfstätigkeit nun ausschließlich auf die Wieder-ansiedlung von Bauern richtet. Das Bemühen darum wird zwar die Hauptlinie seiner Arbeit. „Ehe Flüchtlingsbauern sind immer die letzten in der Reihe (der offiziellen Hilfsmaßnahmen), und gerade deswegen suchen wir nun, neue Hilfsmöglichkeiten für sie zu finden . .

Daneben aber kämpft Forell immer wieder kräftig gegen die weitverbreitete Auffassung an, das „deutsche Wirtschaftswunder" habe alle Not behoben, und Hilfe sei nun nicht mehr nötig. „Es liegt auf der Hand, daß der oberflächliche Betrachter, der auf Reisen durch Deutschland die äußere Fassade sieht, vergißt, wieviel innere und äußere Not sich dahinter verbirgt, die weder mit Gesetzen noch durch staatliche Maßnahmen behoben werden kann. Hier braucht es persönliche Initiative, auch um die Behörden und Ämter ebenso in Schwung zu halten wie die deutschen Hilfsorganisationen in ihrer Aufbau-arbeit. Es ist für uns Außenstehende immer wieder eine große Freude, daß wir überall auf diesen Aufbauwillen treffen. Daß man hie und da auch auf eine gewisse Sattheit stößt, ist keine besondere deutsche Eigenschaft, sondern wir kennen das ganz gut auch aus unserem eigenen Land . . Sattheit und Gleichgültigkeit der anderen sind für Forell ein Grund, sich der Verantwortung für seine Mitmenschen erst recht bew’ußt zu sein. „Die Hilfe der Schweden regt die Bereitschaft der Menschen hier an", schreibt er nach Boräs, „das meiste müssen ja die Deutschen selbst tun. Die Regierung in Bonn teilte uns mit, daß sie seit 1945 25 Milliarden für Flüchtlinge ausgegeben hat. Das klingt nach viel — aber wenn es unter zehn Millionen Menschen aufgeteilt werden muß, entfällt nicht viel auf den Einzelnen ..." Und: „Vorerst schaffen sie es nicht aus eigenen Mitteln. Wir müssen also weiter helfen . . .“

Freiwilliger Arbeitsdienst ?

Immer wieder hat Forell den Versuch gemacht, auch die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone einzubeziehen, aber die sowjetischen Besatzungsbehörden verhindern eine größere Hilfe aus dem Westen, auch aus dem westlichen Ausland. Berlin steht von neuem im Brennpunkt der Sorge. Die Flüchtlingszahlen wachsen ständig, bis sie im April 1953 die Höchstzahl von fast 60 000 Flüchtlingen im Monat erreichen. Die Berliner Flüchtlingslager sind überfüllt. Den deutschen Dienststellen gelingt es nur mühsam, diesen neuen Flüchtlingsstrom allmählich aus Berlin abzufliegen und über Westdeutschland in Flüchtlingslager, die rasch überfüllt sind, zu verteilen. Das Elend ist riesengroß. Unter den Flüchtlingen sind viele Bauern, die, wegen „Nichterfüllung ihres Solls“ mit Gefängnis bedroht, fliehen mußten. Auch ein großer Teil Jugendlicher, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur „Jungen Gemeinde“ verfolgt wurden, ist darunter. Forell bemüht sich mit Spenden, die nach Berlin geschickt werden, die Situation in den Lagern zu erleichtern. Er will den Jugendlichen und den Bauern durch praktische Maßnahmen helfen. „Es besteht nach meiner Meinung die Gefahr, daß wir soviel planen und Dinge aufs Papier bringen, daß wenig Zeit übrig bleibt für die einzelnen Menschen. Ich denke dabei besonders an die Jugendlichen . . ." schreibt Forell am 8. April 1953. „Wir müssen dazu kommen, für diese jungen Leute nicht nur eine , recreation‘ zu vermitteln, sondern wir müssen alle Möglichkeiten ausnützen, um für diese jungen Leute auch Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen. Dabei dürfen wir uns auch nicht scheuen, das vielgelästerte Wort . Arbeitsdienst'zu gebrauchen, obwohl man in Bonn Kreuzzeichen macht, sobald dieses Wort in irgendeinem Zusammenhang auftaucht. Ich weiß auch genügend von den Einwänden der Gewerkschaften usw.

Aber all diese Hindernisse müssen überwunden werden, und hier sehe ich nun eine ganz besondere Aufgabe der YMCA, wenn wir dafür eintreten, daß kleine Arbeitskommandos gemischt werden mit ein paar Ausländem. Skandinaviern, Amerikanern usw. ..." Es ist ein Plan, der Forell sehr beschäftigt. »Vorige Woche war ich mehrere Tage in London, um midi zu vergewissern, daß die Engländer uns nicht wegen . militärischer Absichten'ein Bein stellen. Die Antwort war sehr zustimmend. Wenn es uns glücken sollte, diese Arbeitsgruppen aufzustellen, müßten wir auch versuchen, freiwillige Arbeitskräfte aus dem Ausland zu bekommen, die eine Zeitlang mitmachen könnten. Hier könnte die christliche Jugend eine große Aufgabe finden. Die Gefahr, daß diese Flüchtlingsjugend, die eben zu Tausenden über Westberlin herüberkommt, eine Beute billiger kommunistischer Propaganda wird, ist groß, wenn man sich ihrer nicht annimmt und ihnen nicht, den Weg zeigt, der zum Leben führt'..."

Jeder Gedanke an einen „Arbeitsdienst", sei er noch so freiwillig und auf ein sinnvolles Ziel gerichtet, weckt böse Erinnerungen. Der Widerstand ist zu groß. Forell muß den Plan aufgeben.

Briefe, Briefe!

Je mehr die deutsche Presse von der Hilfstätigkeit Forells Notiz nimmt und sein Name in den Zeitungen auftaucht, desto mehr häufen sich Bitt-und Bettelbriefe auf seinen Schreibtisch. Als Gerd Feuerhake, ein Düsseldorfer Journalist, der Forells Arbeit mit viel innerer Anteilnahme verfolgt, ihm eines Tages einen Packen mit Zeitungsberichten schickt, die über Forell erschienen sind, antwortet Forell: „Was werden wohl die armen Flüchtlinge von diesem wunderbaren Mann erwarten? Ich fürchte, daß nur ein Bruchteil von alldem erfüllt werden kann. Ich verstehe durchaus die Wohltätigkeit Ihrer Kollegen, aber sie schaffen mir viel Arbeit mit dem Briefe-schreiben, ganz besonders die Zeitung, die einfach meint, daß man sich an mich wenden solle, um eine Lehrstelle in Schweden zu bekommen. Trotzdem bin ich auch fernerhin bereit, mich ausquetschen zu lassen, und mit den lieben Journalisten muß man wohl allerhand in Kauf nehmen, damit man überhaupt etwas Hilfe bekommen kann . . .“ Und die Flüchtlinge schreiben. Vernunft und Unvernunft steht in diesen Briefen, Tapferkeit und Verzweiflung, auch Verlogenheit und Schönrederei. Die ganze Mannigfaltigkeit menschlicher Eigenschaften spiegelt sich in diesen Bitten, geprägt von der Vielfalt bitterer Schicksale. „. . . ich möchte mich an den Funken Hoffnung klammem, der durch Ihre Anwesenheit hier in Düsseldorf in mir entstanden ist. Ich bin an der Grenze aller Verzweiflung angelangt. Bitte gewähren Sie mir eine halbe Stunde Gehör ..." . . Lieber Vater, als ich in der Zeitung von Dir als dem Vater der Flüchtlinge las, stand mein Entschluß fest, daß ich Dir meine Not gleich schreiben wollte. Ich war sehr glücklich, daß es wieder einen guten Vater für mich gibt, wie früher einmal, und für die Kinder einen Opa. Du mußt uns bitte nicht übel nehmen, wenn wir Dich als Opa bezeichnen. Lieber Vater, ich habe unbeschreiblich viel in den vergangenen Jahren gearbeitet, jede Nacht bis drei oder vier Uhr, in den letzten Wochen war es oft halb fünf früh . . . Nun habe ich eine Wohnung bekommen und die Kinder sind zu mir gekommen. Lange haben wir auf der Erde geschlafen, dann habe ich mir glücklich ein paar gebrauchte Wohlfahrtsmöbel gekauft. Nun komme ich trotz so vieler Anstrengungen nicht über den finanziellen Berg. Bitte, bitte hilf mir. Ich ersticke in all den Abzahlungen für primitivste Möbel, Wintersachen, Schuhe, Lampen, Krankenhaus, Miete, Unkosten, Schulgelder usw. Ich kann es allein nicht schaffen. Bitte, bitte, lieber guter Vater, hilf uns, wir vertrauen in höchster Not auf Dich . . .“

Sie warten alle auf Antwort, und Forell gibt sich Mühe, ihnen allen zu schreiben. Oft ist es nur ein tröstendes Wort, denn er kann unmöglich alle Bitten erfüllen. Es sind aber nicht nur Bitten um materielle Hilfe: Viele, denen Forell einmal begegnet ist, oder die von ihm gehört haben, suchen seinen Rat auch in ganz persönlichen Dingen. „Warum mußte ich Sie in England sehen und hören, warum bin ich der einzige von den vielen gefangenen Offizieren, die nach hier kamen!", schreibt ihm ein Enttäuschter aus Espelkamp. Er ist in Espelkamp gescheitert. Er kann dort nicht Fuß fassen — nun schüttet er seinen ganzen Grimm auf die Mitmenschen aus. Er will alles hinwerfen, auswandern, Forell antwortet ihm mit viel Geduld; „Was Ihre besondere Note anbelangt, kann ich durchaus verstehen, daß Sie mit vielen Dingen in Espelkamp nicht zufrieden sind.

Es ist vollkommen richtig, wenn Sie sagen, daß es nur ganz wenige Mitmenschen gibt, die uneigennützig sich für andere einsetzen und innerlich bereit und reif sind, in einer engeren Gemeinschaft mit anderen zu leben. Es ist dies nun allerdings nicht etwas typisch Deutsches, sondern leider etwas allgemein Menschliches. Das ist ja die große Not in dieser Zeit, daß die Menschen leicht vergessen, was sie durchgemacht haben, sobald es ihnen etwas besser geht, und ihre Türen und Tore zumachen, um sich dessen zu erfreuen, was sie besitzen. Sie werden sicherlich überall in der Welt ähnliche Erfahrungen machen müssen. Und wenn Sie nach Kanada auswandern, fürchte ich, daß Sie auch dort denselben Kampf aufnehmen müssen, nur mit dem Unterschied, daß möglicherweise die äußeren Bedingungen etwas ungünstiger sein werden..."

Es bleibt nichts in diesen hunderten von Briefen von menschlichen Eigenschaften und Schicksalen in der Zeit verschwiegen, von der stillen, bescheidenen Frage eines Pfarrers, „ob es möglich sei" ein Kleid für „die Frau eines Kriegsverbrechers“ zu bekommen, bis hin zu der schäbigen Verlogenheit eines Flüchtlingsbauern aus Vorpommern, der glaubt, sich damit eine Hilfe zu erbetteln: „Wir Vorpommern haben schon 1918 gehofft, daß wir wieder zu Schweden kämen, dann wäre uns all dieses Leid erspart geblieben..."

Über nichts ist Forell erstaunt. Was er erlebt, will ihm manchmal als eine nüchterne Schule zur Menschenkenntnis erscheinen. Aber seine Bereitschaft, mitverantwortlich für die Last all dieser Menschen zu sein, wird durch ihre Unzulänglichkeit nicht schwächer. „Es scheint mir, als ob die meisten Menschen mit Scheuklappen und Wunschträumen durch das Leben gehen“, schreibt er, aber unverdrossen setzt er hinzu: „Meine Zeit wird für praktische Hilfsmaßnahmen gebraucht, und ich tue dasjenige, was der englische Historiker Butterfield in seinem Buch , Christianity and History'sagt: Es ist das Beste für den Verlauf der Geschichte, daß jeder von uns das Gute tut, das ihm vor die Nase kommt. Es bleibt uns kaum etwas anderes übrig in diesen turbulenten Zeiten, es ist ja immer doch eine Freude, wenn man hier und dort ein paar Menschen in ihrem harten Lebenskampf helfen kann ..."

Eine Million Kronen

Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe kann ihre Arbeit mit einem sehr großartigen Auftakt beginnen: die Stockholmer Regierung spendet eine Million schwedischer Kronen. Aus Forells Briefen wird nicht ersichtlich, ob er es war, der anregte, daß dieser Betrag nicht in bar zur Verfügung gestellt wird, sondern in Gestalt von 72 schwedischen Holzhäusern, die nach Deutschland gebracht werden. Sicherlich liegt gerade diese Art der Spende ganz besonders in der Richtung von Forells Wünschen, der ja mit einer Spende immer weiter wirken will zu neuem Bewußtsein einer viel tiefer als nur im Materiellen liegenden Gemeinsamkeit der Mitverantwortung des Einen für den Anderen.

Die schwedischen Fertighäuser werden nach Deutschland kommen und heimatvertriebenen Bauern zur neuen Wohnstatt dienen. Um aber aufgestellt werden zu können, müssen von deutscher Seite die Fundamente dazu gelegt werden, und vor allem, da es sich ja um bäuerliche Wohnungen handelt, muß auch das Land dazu beschafft werden, auf dem der angesiedelte Flüchtlingsbauer fortan als Landmann wirken kann. Es scheint eine ideale Form des Zusammenspiels in der Richtung zu sein, in der Forell mit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe zu arbeiten gedenkt. Er will durch seinen Einsatz den deutschen Partner veranlassen, nun auch das Seine zu tun. Die Hilfe soll nur der Anstoß zur Selbsthilfe sein, sei es, daß die deutschen Behörden dadurch zu rascherem Handeln bestimmt werden, sei es, daß die einzelnen Flüchtlingsbauern neuen Mut bekommen, die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, eben weil ihnen Hilfe versprochen ist. Von der Beschaffung des Bodens für eine bäuerliche Siedlung will Forell die Vergabe der schwedischen Holzhäuser abhängig machen. Aber in dieser Voraussetzung liegen die Schwierigkeiten. 40 Schwedenhäuser hat Forell für Rheinland-Pfalz vorgesehen. Als Forell mit dem zuständigen Referenten im Mainzer Ministerium die Aufstellung der Häuser und Ansiedlung der Flüchtlings-bauern bespricht, erscheint dem Referenten die Beschaffung des Landes kaum möglich; Bedenken türmen sich höher und höher. Es scheint viel einfacher, auf die angebotenen Schweden-häuser zu verzichten, als sich mit unübersehbaren Mühen und Schwierigkeiten zu beladen. Er möchte ablehnen. Forell aber läßt sich damit nicht abspeisen. Er trägt sein Angebot dem Ministerpräsidenten Altmaier persönlich vor. Der versteht sofort das Anliegen Forells. Die von dem herbeigerufenen Referenten vorgebrachten Bedenken schiebt er beiseite, und im Beisein Forells gibt er die Anweisung, die Beschaffung des nötigen Landes sofort einzuleiten, damit die schwedische Spende dem Land nicht verloren gehe. Forell ist befriedigt über diesen Ausgang des Gesprächs, aber als er dann im Juni 195 3 in Birkenfeld an einer Sitzung teilnimmt, auf der die Verteilung von 20 Schweden-häusern im Kreis Birkenfeld besprochen werden soll, stößt er bei den dort versammelten Vertretern aller mit der Frage befaßten Behörden und Vertretern der Regierung in Mainz — es sind im Ganzen rund dreißig — auf die alten Widerstände und Bedenken. „Ich bin glücklich, daß ich der einzige Schwede war, der anwesend war,“ schreibt er, „denn ich fürchte, daß meine Freunde in Schweden recht betrübt von dieser Sitzung gegangen wären, weil so viele Vertreter von staatlichen Instanzen laute Klagen von sich gegeben haben, wie schwierig alles ist, und ob man dieses und jenes nicht einer anderen Instanz abgeben könnte. Erfrischend war dabei, festzustellen, daß der Landrat und ein Ministerialrat im Sozialministerium mit erfreulicher Tat-kraft die andern allmählich zur Mithilfe gebracht haben, um das nötige Land für die Familien zu bekommen — und das scheint tatsächlich zu gelingen. Aber wie gesagt: Die Atmosphäre bei dieser Sitzung würde wohl die meisten freiwilligen Helfer abhalten, sich weiter zu beteiligen. Ach, wir müssen uns hier einfach weiter bemühen, auch wenn die Atmosphäre noch so eisig ist...“

Nie wird Forell seine Enttäuschungen verallgemeinern, mit dem Versagen einzelner die Gesamtheit belasten, ja selbst den sachlichen Gegnern wird er in seinen Hemmungen, seiner Argumentation zu verstehen suchen, um vielleicht durch ein Wort auch ihm zu helfen, zu der inneren Freiheit und Sicherheit zu finden, mit der er selbst den Enttäuschungen stand-zuhalten vermag. Das Ziel, das er als wichtig erkannt hat, steht als unverrückbare Notwendigkeit vor ihm. Unverdrossen ist er bereit, sich einzusetzen. „Wir haben neulich mit Dr. Weerts zusammen ein interessantes Gespräch mit Herrn Kost gehabt, um unser Anliegen für die Flüchtlings-bauern auch in den Rahmen des Kost-Planes einzubauen. Wie Sie wohl wissen, hat Kost unvorsichtigerweise in seinem Plan den Ausdruck gebraucht: . Mein Vorschlag geht nun dahin, zunächst diese 30 000 Vertriebenen mit ihren Angehörigen auf die einzelnen Berufe und Gemeinden aufzuteilen. Hierzu ist nötig, daß die Landwirtschaft, die Industrie, die Handwerkerschaft, die Banken und Versicherungen, der Bergbau, die eisenschaffende Industrie und der Handel sich grundsätzlich bereit erklären, diese Menschen aufzunehmen ...'Hier nennt er an erster Stelle die Landwirtschaft. Ich habe mir deswegen erlaubt, ihm die Frage vorzulegen, wieweit es ihm gelungen sei, die landwirtschaftlichen Kreise für seinen Plan zu gewinnen, worauf er mit einem etwas grimmigen Gesicht dagegen sagte: . Überhaupt nicht! ’ Darauf fragte ich, ob er etwas dagegen hätte, wenn wir mit den landwirtschaftlichen Kreisen in seinem Auftrag verhandeln, und ob er damit einverstanden sei, auch für die Flüchtlingsbauern einen Teil der Mittel, die für den Kost-Plan vorgesehen sind, abzuzweigen. Er war damit einverstanden. Vielleicht können wir doch eine kleine Gruppe von der . Grünen Front’ für unsere Pläne gewinnen. Herr Kost zweifelte an der Möglichkeit, aber warum soll man es nicht versuchen! Meine Leute in Schweden zweifelten auch daran, daß wir jemals für unsere Arbeit Geld von unserer Regierung bekommen würden, und nun haben wir doch eine Million Kronen bekommen ..

Aber mit dem Optimismus, die Verbände der einheimischen deutschen Bauern für seine Arbeit zu gewinnen, behält Forell nicht recht. Sie sind in ihrer Gesamtheit nicht zu bewegen, die Wiederansiedlung der Vertriebenen und Flüchtlingsbauern als eine Aufgabe anzusehen, in der gerade sie sich als erste zur Mitverantwortung aufgerufen suhlen sollten. Um so mehr freut sich Forell über jedes einzelne Bemühen, die Kluft zwischen Einheimischen und Flüchtlingsbauern zu schließen. „In Hessen sieht es verheißungsvoll aus, weil dort die einheimischen Bauern mit den Flüchtlingen zusammen schon eine Arbeitsgemeinschaft gegründet haben. So sollte es ja überall sein, und wir hoffen, daß wir allmählich so weit kommen. Aber viel Kleinarbeit in den Gemeinden ist dafür nötig ...“

Nach Hessen gibt Forell sieben Schwedenhäuser, die restlichen 25 werden in Niedersachsen aufgestellt.

Für Rheinland-Palz stellt er zeitweise zwei „Landsucher" an, die von Dorf zu Dorf ziehen, um zu erfahren, wo Möglichkeiten sind, um Flüchtlingsbauern anzusiedeln. Er selbst macht sich auf, wieder der „große Bettler“, diesmal nicht um Geld, sondern um Acker für seine Flüchtlingsbauern. Er schildert einem der einheimischen Bauern so lange und so plastisch die Not der vertriebenen Bauern in Schleswig-Holstein, bis dieser bereit ist, ein Stück Acker abzugeben. Dann geht er weiter zum nächsten Bauern im gleichen Dorf, um unter Hinweis auf die Zusage des ersten auch von ihm etwas Land zu erbetteln — solange, bis es genug ist, um einen Flüchtlingsbauern in diesem Dorf unterzubringen. „Besonders in Rheinland-Pfalz haben wir viel mehr erzielen können, als wir eigentlicht gehofft hatten. Zunächst sah es sehr wenig verheißungsvoll aus, aber durch die Hilfe der Schwedenhaus-Aktion ist nun das Eis gebrochen, und wir hoffen, daß wir nun unsere Vermittlungsaktion, um auslaufende Höfe in die Hand zu bekommen, fortsetzen können ...“ Es taucht ein neuer Plan auf, Land zu gewinnen. In Rheinland-Pfalz gibt es an den Hängen und zwischen den Feldern viel Heckenland, das keinen wirtschaftlichen Nutzen bringt. Die Arbeiten, die zur Rodung, Vernichtung der Stubben und weiterer Kultivierung zu Ackerland nötig wären, sind teuer — aber wenn die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe eine moderne Rodungsmaschine beschafft, wird es möglich sein, weitere Bauern auf diesem neugewonnenen Land anzusiedeln. Die Rodungsmaschine wird beschafft, und wieder entstehen neue Siedler-stellen für Flüchtlingsbauern. „Es müssen kolonisatorisch gesinnte Leute sein“, schreibt Forell, „die nicht nur arbeiten, sondern schuften können, denn ihrer Lage nach sind ja die meisten Höfe etwas strapaziös, wie mir scheint. Auf der anderen Seite scheint es so zu sein, daß richtig tüchtige Leute die Aussicht haben, daß sie durch Zupacht von Brachland ihre Höfe erweitern können..."

Als Forell am 3. September 195 3 an Bischof Dibelius einen ersten Arbeitsbericht schickt, kann er dazu schreiben: „Besonders freuen wir uns über die Erfolge in Rheinland-Pfalz, wo zunächst große Schwierigkeiten zu überwinden waren. Es ist ja schon allerhand, wenn man in wenigen Monaten für insgesamt 8 3 Flüchtlings-bauern einen neuen Hof vermitteln kann und dazu die nötige Patenschaftshilfe gibt. Auch in Niedersachsen geht es jetzt gut voran. Eine neue Siedlung ist vor den Toren Hannovers geplant mit etwa insgesamt 50 Vollbauernstellen. Dort haben meine Landsleute eine Patenschaftshilfe von rund 100 000 DM zugesagt. Wir bemühen uns im Zusammenhang mit solchen Kultivierungsvorhaben, auch für Jugendliche aus der Zone, die aus der Landwirtschaft kommen, passende Arbeit zu vermitteln, und überhaupt beschäftigen wir uns momentan mit der Frage, was man tun kann für die ostzonale Jugend, die nun im Westen bleiben muß...“ Neben den Siedlungsvorhaben der niedersächsischen Regierung in Großmoor und Klausmoor und Altwarmbüchen, an denen die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe ihre Mithilfe zugesagt hat, entsteht die Emsland-Siedlung Neugnadenfeld der Herrnhuter Brüdergemeinde. Die Tapferkeit und Entschlossenheit dieser in sich glaubensmäßig geschlossenen Siedlergruppe in einem armseligen Barackenlager am Rand des Moores — heute stehen dort zweckmäßig gebaute Häuser und das Land ist in großen Flächen kultiviert — hat sich sehr rasch Forells große Sympathie erworben. Immer wieder hat er sich dafür eingesetzt, ihre Bemühungen zu unterstützen.

478 Anträge

In Wildenhorst in Schleswig-Holstein sind die Siedler auf ihren neuerbauten Höfen eingezogen. Mit schwedischer Hilfe wird nun eine Kapelle gebaut. Und auch der frühe Plan Forells, Flüchtlingsbauern in Schweden zur Ansiedlung zu verhelfen, verspricht jetzt, wenigstens für fünf Familien, in Erfüllung zu gehen. 5. Oktober 1953 (Schweden): „Vor zwei Tagen war ich bei Pastor Ahmann wegen Tivedstorp. Wir erwarten nun eine Liste von fünf Familien, die ausgewählt sind, zunächst mit der Bestimmung, daß der Hausvater oder eventuell ein Sohn bereit ist, einen Arbeitsvertrag als Waldarbeiter zu schließen, so daß sie dadurch genügend Geld für den Lebensunterhalt verdienen. Die landwirtschaftliche Seite kann man dann an Ort und Stelle in Angriff nehmen, sobald die ausgewählten Waldarbeiter-Landwirte ihre Arbeit ausgenommen haben. Pastor Ahmann ist bereit, eine Stiftung . Tivedstorp'ins Leben zu rufen, mit der Aufgabe, diesen Familien in den ersten Jahren zu helfen. Dann würde der Ober-förster in Tivedstorp für die staatliche Domäne und der Forstmeister für die Asabolaget (eine schwedische Firma, die sich zur Hilfe bei der Ansiedlung dieser Bauern bereit erklärt hat) den Antrag auf Arbeitserlaubnis stellen. Die Familien könnten etwas später nachkommen, sobald die Häuser repariert sind. Das Geld für diese Reparatur haben wir schon gesichert. Für den Umzug hoffen wir, aus Bonn Zuschüsse bekommen zu können. Die Zusammensetzung der Familien muß so sein, daß der Hausvater oder ein Sohn die Waldarbeit machen und die Frau mit Tochter oder anderer Hilfe die kleine Landwirtshaft übernehmen können ..

Freilich hat gerade dieses Unternehmen noch ein Nahspiel, aus dem deutlich wird, mit wei-hen Schwierigkeiten sih Forell auseinanderzusetzen hat. Die deutshe Presse hat über Tivedstorp berihtet und war unbedaht genug, den Namen des shwedishen Forstmeisters in dem Aufsatz zu nennen. „Der arme Forstmeister hat daraufhin 478 Anträge bekommen und wußte selbst natürlih gar nihts davon. Wir bekommen auh eine Menge Anfragen, und es mäht uns nur unnötige Arbeit. Für die Bewerber wird es ja auh eine große Enttäushung sein..

Und Forell shreibt: „Als Antwort auf Ihre Anfrage darf ih zunähst mit Bedauern feststellen, daß uns die Presse allerlei Bärendienste dadurh geleistet hat, daß sie verfrühte Angaben über die Arbeit, die wir betreiben, veröffentliht hat. Wir haben die größte Mühe, die Widerstände der shwedishen Behörden zu überwinden, und jede Zeitungsnotiz über die Sahe ershwert uns die Arbeit. Es hat shon seine Rihtigkeit, daß wir uns bemüht haben, zunähst eine kleine Gruppe von Bauern anzusiedeln. Aber wir können momentan keine weiteren Anträge annehmen, weil wir damit rehnen müssen, daß dann auh die shwedishe Presse von der Sahe Wind bekommt und wir dann von daher nur weitere Shwierigkeiten haben werden ...“

Die Möglihkeit von Tivedstorp wiederholt sih niht mehr. Um so mehr geht die Arbeit der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe in Deutschland vorwärts. „Es freut uns immer wieder, zu sehen, daß unser bloßes Dasein genügt, die Arbeit anderer zu beschleunigen", shreibt Forell. „Wir sind für etlihe Behörden zu einer Art Antreiber geworden, dem man gewiß dankbar ist — von dem man aber auh befürhtet, daß er zuweilen seine Kompetenz überschreitet...“

Das mühsame Werben

Natürlih verlangen all diese Pläne, Hoffnungen und Versprehungen, Geld, sehr viel Geld. Forell denkt darin sehr nühtern. Er mäht niemandem Hoffnung auf Hilfe, wenn er niht siher weiß, daß er auh das Geld dafür beshaffen kann. Mit jedem Projekt, dem er zustimmt, spürt er deshalb die Anforderungen an sih selbst wachsen, denn er muß den Spender dafür suchen. Auh liegt ihm daran, mit der finanziellen Hilfe eine menshliche Verbindung zwischen dem Geber und dem Empfangenden herzustellen. Er will niht das Spenden in einen anonymen Topf, sondern Verständnis für das Schicksal des anderen. Er will menshlihe Verantwortung, und die Aufgabe der Deutsch-Schwedishen Flühtlingshilfe soll niht eine allmählih erstarrende, routinemäßig weiterlaufende Organisation sein, die das Shicksal der einzelnen „bearbeitet“. In dieser Haltung findet Forell in Weerts einen zuverlässigen Bundesgenossen. Auh das Geld wird in diesem Zusammenhang etwas anderes als nur ein Zahlungsmittel. Es ist nicht gleihgültig, woher es kommt, wohin es fließt.

Es tauht der Gedanke auf, einen sogenannten „revolving fund“ zu gründen, einen Kredit aufzunehmen, um Kredite zum Ankauf von Land geben zu können, ein Fonds, der, durh zurück-fließende Kredite immer wieder gespeist, über lange Zeit aktionsfähig bleibt. Ein Plan, der später auh in die Wirklihkeit umgesetzt wird. Er wird zuerst bei einer Besprehung im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtshaft und Forsten mit Oberregierungsrat Palmer erörtert. „Palmer bot uns 300 000 DM aus einem ihm zur Verfügung stehenden Fonds an als Bundes-beitrag zu diesem revolving fund, wenn wir dadurh von seifen der shwedishen und deutshen Industrie leihter die fehlenden Beträge bekommen könnten. Er wäre sogar bereit, eine ganze Million als Anleihe zu 3 °/o Verzinsung zu geben, wenn dadurh die Angelegenheit beshleunigt werden könnte. Dagegen wehrte sih Dr. Weerts und meinte, daß wir in dieser Form keine Bundesmittel gebrauhen dürfen. Der Startshuß muß durh Privatinitiative kommen ...“

Aber gerade an Privatinitiative, für Flüchtlinge zu sorgen, fehlt es oft. In einer Aktennotiz über ein Gespräh zwishen Carl Neumann. Forell und Weerts aus den ersten Monaten der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe, in dem Weerts über den Siedlungsplan von Groß-moor in Niedersahsen berihtet — („Da wurde Carl Neumann enthusiastish und shlug vor, daß wir sofort das Projekt Großmoor , Espelkamp-Land-Modell’ nennen sollten. Seine alten Siedlungsinstinkte wurden wah, und er träumte shon von großen Plänen, wie man mit Groß-moor als Katapult über das ganze Westdeutschland weiterfliegen könnte, um ähnlihe Projekte hier und dort auszuführen ...") — heißt es weiter: „Carl Neumann war sehr unzufrieden mit dem bisherigen Ergebnis der Spenden und hat vorgeshlagen, daß wir entweder selbst oder mit seiner LIntershrift einen Mahnbrief in freundliher Formulierung an die Gründer schicken sollten. Wir beide haben diesen Vorshlag freundlihst abgelehnt, was er mit einem Läheln zur Kenntnis nahm. Wir wollen in dieser Frage etwas vorsihtig sein und persönlih die betreffenden Herren ansprehen ...“

Aber auh die persönlihe Vorsprahe bei einzelnen deutschen Industrieunternehmen hat in vielen Fällen niht den erhofften Erfolg. Der Versuh, einen Werber, der über gute Verbindungen zur Ruhrindustrie verfügt, für diesen Zweck anzustellen, wird rash fallengelassen. Es bringt niht so viel ein, daß es sih lohnt. Briefe werden geshrieben. Auh das läßt die Spenden niht reihliher fließen. Forell mäht sih auf und reist in Deutshland herum, um selbst bei deutschen und in Deutshland ansässigen shwedishen Firmen für die Arbeit der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe zu werben. Niht alle seine Besuhe verlaufen so amüsant und erfolgreih wie der bei dem Direktor der shwedishen Kugellagerfabrik in Schweinfurt, von dem Forell später erzählt hat „Die erste Frage an mih nah der Begrüßung lautet: . Warum in aller Welt habt ihr euh in Shweden dies Religionsfreiheitsgesetz angeshafft? Wir haben shon genug mit den Katholiken hierzulande zu tun. Sollen wir sie auh noh nah Shweden hineinlassen?'Du mußt doh zugeben, daß das eine etwas ungewöhnlihe Gesprähseinleitung war, besonders wenn dieses Gespräh von der Deutsh-Shwedishen Flühtlingshilfe handeln sollte. Wir blieben etwa eine Stunde bei religiösen und kirhlihen Themen, und als er einmal Luft holen mußte, konnte ih mih rash mit meinem Anliegen einshalten, nämlih ihn zum Eintritt in das Kuratorium zu bewegen. Aber er antwortete nur kurz: , So leiht kann man mih niht hereinlegen. Ih mag keine Kuratorien, und außerdem ist es wohl niht mein Name, den ihr brauht, sondern Geld.'Worauf ih zugab, daß Geld höhst erwünscht und verwendbar wäre, aber daß wir auh gern ihn als Kuratoriumsmitglied sähen. Die nähste Frage lautete: , Was meinen Sie wohl, wieviel der SKF zahlen könnte?'Worauf ich antwortete: , 10 000 DM, denn soviel spendet auch die Zündholz AG. Unser Landsmann lachte schallend und meinte: , Das war doch das Frechste, was ich seit langem gehört habe! Wollen Sie das Geld nicht gleich mitnehmen?'Natürlich weigerte ich midi und bat ihn, es auf unser Konto zu überweisen. Dann schlug er plötzlich um und fragte mit seiner sanftesten Stimme: , Und wie steht es nun mit Ihnen? Haben Sie eine anständige Aktentasche?'Er ging an seinen großen Schrank, zog eine Menge Schubladen heraus und überreichte mir eine schöne Aktentasche, eine Weckeruhr, Manschettenknöpfe, eine Tasche für Calise und allerlei Kleinigkeiten. Es ist doch nett, solche Landsleute in der weiten Welt anzutreffen!..."

Audi er, der „fröhliche Bettler“, muß manche Absage hinnehmen. Man interessiert sich nicht sehr für die Flüchtlingsfrage. „Sehr geehrte Herren! Wir haben zur Kenntnis genommen, daß Sie nicht in der Lage sind, unsere Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe durch eine Spende zu fördern. Da Sie aber in Ihrem Brief einige Gedanken geäußert haben, die das ganze Problem betreffen, möchte ich als Urheber dieser Hilfsaktion einige Worte dazu sagen. Ihre Äußerungen scheinen mir auf dem Mißverständnis zu beruhen, daß wir uns vorgenommen hätten, das Flüchtlingsproblem zu lösen. Wie Sie aus dem Abschnitt unserer Satzung ersehen, wollen wir zusätzliche Hilfe zu der von der Bundesregierung, den Ländern und anderen Stellen schon geleisteten geben. Wir sind aber davon überzeugt, daß diese zusätzliche Hilfe dringend nötig ist, weil viele Flüchtlinge aus eigener Kraft nicht die ihnen gesetzlich zugesprochenen Hilfeleistungen bekommen können, weil sie einfach sich nicht durchfinden durch die verwickelte Maschinerie der Gesetze und Verordnungen.

Sie brauchen deshalb Sprecher und Vertreter, und als solche sehen wir uns zunächst an. Wir haben im Jahr 195 3 bisher für 200 vertriebene Landwirte eine neue Existenz durch Patenschaftshilfe vermitteln können und wir hoffen, im nächsten Jahr wenigstens die doppelte Zahl zu erreichen. Die zusätzliche Hilfe, die wir für diese Familien geben, beträgt im allgemeinen nicht mer als 2 bis 3 000 Mark pro Familie. Die andere Hilfe kommt ja schon vom Bund und den Ländern. Daß wir Schweden uns besonders für diese Hilfe eingesetzt haben, hängt damit zusammen, daß wir meinen, daß nicht nur Deutschland, sondern auch Schweden, ja Europa es sich nicht leisten kann, auch nur eine einzige Bauern-familie vor die Hunde gehen zu lassen. Allzu-viele sind schon für die Landwirtschaft verloren, weil sie nicht schnell genug Hilfe bekommen haben. Sie müssen mir verzeihen, daß ich, obwohl schwedischer Staatsangehöriger, mir erlaubt habe, diese Gedanken auszusprechen, aber ich fühle mich dazu verpflichtet, weil mir daran liegt, daß Sie unsere Aufgabe in der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe nicht mißverstehen . . .“

Forell schreibt an einen Freund nach Schweden: . Wohl weiß ich, daß Du keiner besonderen Ermahnung bedarfst, uns nicht zu vergessen, aber es könnte nicht schaden, wenn Du auch anderen in Deiner Gemeinde erzählst, daß der Bedarf an Kleidern und Schuhen bei den neu eingetroffenen Flüchtlingen ebenso groß ist wie bisher. Nun wagen sie nichts mehr mitzunehmen, nicht einmal einen kleinen Koffer, um nicht bei der Flucht entdeckt zu werden. Sie kommen wie sie gehen und stehen und haben nicht einmal Wäsche zum Wechseln. Kurz vor meiner Heimreise war ich in Bremen in einem Lager, das männliche Jugendliche aufnimmt, die mit dem Flugzeug von Westberlin ausgeflogen werden. Hier habe ich einen . Patensohn'aus der Zone bekommen, genauer gesagt aus Vorpommern, der alle seine Angehörigen verloren hat und durch seine Weigerung, in die kommunistische Partei einzutreten, in solche Schwierigkeiten gekommen ist, daß er den elterlichen Hof verlassen mußte, den er einmal übernehmen sollte. Er ist nun einer der vielen, die vor dem neuen Leben im Westen hilflos dastehen. Wir haben ihn auf einem Hof in der Nähe von Espelkamp untergebracht, und ich hoffe, ihm auch späterhin helfen zu können, da er Landwirt werden will. Er ist ein reizender Junge, und wenn man ihn in seiner stillen Art erzählen hört, was die Jugend in der Zone durchmachen muß, die nicht von ihrem christlichen Glauben lassen will, dann ist man dankbar, daß es noch viele Menschen in Schweden gibt, die verstehen, worum es geht, und die bereit sind, zu helfen . . „Nun spürt man wirklich, daß es sich lohnt, sich hier zu plagen und seine Mitmenschen in der Heimat für unsere Sache zu interessieren . . .“ steht in einem anderen Brief.

„Ungewöhnlich verrückte Leute"

Die zwei Jahre, für die Forell zunächst von der schwedischen Kirche für die Flüchtlingsarbeit in Deutschland beurlaubt worden ist, gehen ihrem Ende zu. Im September 195 3 wird Forell 60 Jahre, es ist der Zeitpunkt, von dem an ihm die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung zugesagt worden ist, ein Termin, den Forell im stillen herbeigesehnt hat, um ganz frei zu werden für seine Aufgabe in Deutschland, „ohne ständig das Gefühl zu haben, daß man eine andere Aufgabe versäumt, für die man offiziell ausersehen ist."

Seinen Geburtstag begeht Forell in Boräs.

Die schwedische Presse feierte ihn an diesem Tag mit herzlichen Artikeln. Auch aus Deutschland erfährt Forell vielen ehrlichen Dank. Es freut ihn, aber es ist nicht seine Art, darauf auszuruhen, Rückschau zu halten oder mit seiner Leistung zufrieden zu sein, sondern er nimmt Anerkennung nur als Ansporn. Jede Zustimmung, die er erfährt, ist er bereit, umzumünzen zu neuem Ansatz, um Unterstützung für seine Arbeit zu werben.

Ein schwedischer Journalist, Fritz Salin, schreibt an Forell: „Ich habe den Redakteur des Örebro Dagblad heute bewogen, Dir 10 Exemplare der Zeitung mit einem Artikel zuzusenden. Was den Blumenstrauß anbetrifft, den ich Dir damit zu Füßen lege, so ist das meine ehrliche Ansicht über Dich und Deine Calise. Weder Du noch die große Frau Calise können von einem Blumen-regen verdorben werde. Ihr bleibt immer die gleichen, eine Art verrückter Leute, die nie an sich selbst denken. Ihr beide gehört zu den wenigen richtigen Menschen, die ich getroffen habe. Ein Menschenschlag, der am Aussterben ist: ungewöhnlich verrückt und völlig selbstlos. Nun findet Ihr wahrscheinlich, daß diese Worte eine Art sentimentaler Schmeichelei darstellen. Aber obwohl ich heutzutage gezwungenermaßen zu einer Art Zyniker geworden bin, so stehe ich trotzdem zu meinen Worten. Dein Besuch, Birger, gab mir so viel, viel mehr, als Du weißt, denn er zeigte mir, daß es auch etwas anderes als Materialismus in unserer Welt gibt. Es gibt ja auch den einen oder anderen bei uns, der nicht so ist , wie die anderen', aber sie sollten sich nicht so verdammt einkapseln, wie sie es hierzulande tun.“ Lind er schreibt weiter: „Du brauchst für Deine Mission viel nötiger Geld als warmen Beifall, so schroff das auch klingt. Intensive Saat braucht auch intensivere Erntehilfe.

Glaub es mir, rasches Handeln ist vonnöten.“

Er nennt Forell verschiedene Adressen, an die er sich wenden soll. „Du kannst ihm getrost schreiben, daß Du durch mich von seiner Absicht gehört hast, Anzüge für die Flüchtlinge zu spenden. Es macht sich besser, wenn Du ihn daran erinnerst, als daß ich wieder davon anfange.

Wenn dieser Rat auch etwas zynisch klingt, so wirst Du als alter Weltmann ihn schon verstehen.

Man muß um der gute Sache willen Realist sein.“

„Die Wege der Obrigkeit*

Mit dem 1. Oktober kommt der Termin heran, an dem Forells Beurlaubung für seine Arbeit in Deutschland offiziell zu Ende ist. Schon im April hat Forell dem Kirchenrat in Boräs geschrieben, daß er ein neues Abschiedsgesuch einreichen wird, nachdem ein erstes Gesuch, das er vor einem Jahr über das Domkapitel von Skara an den König geschickt hat, bisher unbeantwortet geblieben ist. „Sie sollten sich über Ihre Einstellung klar sein, und ich kann mir nur eine Antwort von Ihrer Seite vorstellen, nämlich Unterstützung. Etwas anderes erwarte ich nicht.“ „An und für sich ist ja Boräs kein Strafkommando“, schreibt Forell, „aber ich würde es als eine Art Verrat an meinen Flüchtlingen empfinden, sollte ich dazu gezwungen werden, sie zu verlassen. Wir haben für das nächste Jahr so viele Projekte in Aussicht, daß ich optimistisch genug bin, anzunehmen, wir bringen noch eine bedeutend größere Zahl Flüchtlingsbauern als bisher unter, falls ich meinen Auftrag fortsetzen darf.“

Aber trotz allem Drängen Forells bleibt die Entscheidung aus. Forell schreibt an den König, dem er einen genauen Bericht vorlegt über das, was er in Deutschland erreicht hat. »Die Flüchtlingslage in Deutschland ist so beschaffen, daß man mit Sicherheit noch eine lange Reihe von Jahren der Hilfe von außen bedarf, bis die Flüchtlinge menschenwürdig im deutschen Volks-ganzen ausgenommen sind. Als ich 1951 als Delegierter der schwedischen Kirchenhilfe die Aufgabe in der Flüchtlingshilfe übernahm, war ich überzeugt, daß diese Arbeit weit über die zwei Jahre hinaus andauern würde, für die mir Urlaub erteilt worden ist. Der im letzten Jahr ständig zunehmende Strom von Flüchtlingen aus der Ostzone hat mich in dieser Überzeugung bestärkt. Ich empfinde es daher als eine dringende Pflicht, auch nach dem 1. Oktober 1953 meine Aufgabe noch auf viele Jahre hinaus weiterzuführen.“

Er wendet sich an seine Boräser Gemeinde. „Da die Weltlage so intensiv von den Spannungen zwischen Ost und West bestimmt wird und die Zahl der Flüchtlinge in Westdeutschland im letzen Jahr bedeutend zugenommen hat, ist die Hilfsarbeit jetzt mindestens ebenso wichtig wie vor zwei Jahren. Mein Entschluß steht daher fest, diese Arbeit so lange fortzusetzen, wie meine Kräfte es erlauben. Ich hoffe, meine liebe Gemeinde in Caroli begreift, daß ich meinen Dienst als Pfarrer nicht aufgebe, weil ich mich in Boräs nicht wohl fühle, wo ich so viele persönliche Freunde und Helfer in der Flüchtlings-arbeit gefunden habe. Es war nicht so leicht, wie es vielleicht aussieht, mein Pfarramt aufzugeben und mich einer Arbeit zu widmen, die im Grunde jüngere Kräfte erfordert hätte. Es gibt aber Stunden in unserem Leben, da wir unter solchem Gewissenszwang leben, daß es keine Rüdekehr gibt. Das Verständnis, das ich unter meinen Amtsbrüdern, meiner Gemeinde und vielen persönlichen Freunden gefunden habe, war mir eine unschätzbare Hilfe in der oft harten Arbeit, die eine Flüchtlingshilfe verlangt. Die vielen Verbindungen freundschaftlicher Art, die während meiner Arbeit in Berlin, unter den Kriegsgefangenen in England und nun in der Flüchtlingsarbeit in Deutschland entstanden, werden mir von großem Nutzen sein. Es ist eine Arbeit, die große Freude schenkt und die ich mit Gottes Hilfe noch lange fortsetzen will.“

Aber Forells Gesuch schläft weiter bei den Akten. Mehrmals ist er in Stockholm gewesen, um die Sache vorwärtszutreiben. „Trotzdem zögert man im Innenministerium, besonders der Kanzleirat, der die Sache persönlich bearbeitet. Er findet es nicht in der Ordnung, daß meine Angelegenheit durch Pensionierung erledigt werden soll. Er versucht, das Auswärtige Amt von seiner Meinung zu überzeugen, bekam aber eine Absage. Im September war ich wieder bei ihm, und da stellte er in Aussicht, daß die Angelegenheit bis Oktober, spätestens Anfang November, erledigt würde. Daraufhin bekam ich vom Dom-kapitel in Skara weitere zwei Monate Urlaub, wenn auch nicht ohne Einwände von Seiten der Gemeinde, die klaren Bescheid haben will, ob ich weiter im Dienst bleibe oder nicht. Dies ist der augenblickliche Zustand.“ „Wir hoffen, in diesem Monat auf endgültigen Bescheid“, schreibt Forell an Erzbischof Brilioth am 5. November 1953. „Fällt er abschlägig aus, kehre ich zu meinem Dienst als Pastor nach Boräs zurück.“ „Dann ist es so ziemlich aus mit meiner Flüchtlingsarbeit in Deutschland“, steht in einem Brief nach Deutschland und in einem anderen aus den gleichen Tagen: „Die Ökumene ist leider auch im Lande Nathan Söderbloms kein fester Begriff, und die Schar derer, die dafür erwärmt werden können, ist nicht groß.“

Freilich läßt sich Forell trotz aller Warterei nicht beirren. Er reist in Schweden herum, um Vorträge zu halten und neue Freunde für seine Arbeit zu werben. Ein 8 8jähriger Pfarrer legt ihm einen 100-Kronen-Schein in die Kollekte, im Rotaryklub in örebro gibt ihm ein „unbekannter" Spender einen Scheck über 5 OOO Kronen. Überall, wo er hin kommt, spürt er so starken Widerhall und Verständnis für seine Arbeit. Wie könnnte er sie aufgeben, da er doch weiß, wie dringend nötig sie ist?

Im Ärger über die unnütze Warterei fängt Forell einen Brief an: „Lieber Sven, Du kennst wohl die Geschichte vom englischen Bischof, über den bei einem Diner eine Soßenschale gekippt wurde, und der darauf hin sagte: »Gibt es hier einen Laien, der meine Gefühle aussprechen könnte?'. Dieses Wort würde ich gern über die ganze Sache setzen.“ 30. November 1953: „Meine Pensionierung scheint soweit klar zu sein, nur grübeln die Herren noch über das »Formulieren der Motivirung'." 1. Dezember 1953: „Ein Telefonanruf vom Kirchendepartement, das mir nur 26 Jahre und 9 Monate Dienstzeit anerkennt als Grundbetrag für meine Pensionierung. Mein Auslandsdienst wird also einem gewöhnlichen Gemeindedienst in Posemuckel gleichgestellt werden! Und der Staat verdient 1 200 Kronen jährlich an einem verrückten Pfarrer! Der Kanzleirat fügte hinzu, daß er nur mit . äußerster Überwindung'mir so weit entgegengekommen wäre. Das Ganze wäre . prinzipiell falsch', meinte er. Die Pension ist mit 12 Prozent Abzug bewilligt." 4. Dezember 1953: „Anruf vom Kirchendepartement, daß mein Abschiedsgesuch zum 1. Januar 1954 bewilligt ist. Gott sei Lob und Dank!“ Bischof Cullberg schreibt ganz entsetzt an Forell: „Daß man Deine Pension herabgesetzt hat, gehört zu den Jämmerlichsten auf diesem Gebiet, aber man muß sich wohl an alles gewöhnen. Ich nehme an, daß diese Regelung nur bis zu Deinem 65. Lebensjahr gilt und Du dann die volle Pension erhält." Aber Forell meint gelassen: „Die Staatskasse soll gern an dem verrückten Pastor verdienen, aber man denkt doch dabei, daß sie ihre Sparsamkeit an irgendeiner anderen Stelle hätte besser beweisen können. Die Wege der Obrigkeit sind für uns arme Untertanen nicht immer leicht zu durchschauen. Es ist jedenfalls schön, zu wissen, daß die Sahe entschieden ist und daß ich meine Arbeit fortsetzen kann."

Nah Deutshland shreibt er: „Ih habe mih bereit erklärt, diesen Preis zu zahlen. Das ist mein freiwilliger Beitrag zum Lastenausgleih für die Flühtlinge.“ Und: „Nun kann ih auf Lebenszeit Spreher für die Flühtlinge sein, und ih fürhte, daß ih in diesem neuen Amt niht die Möglihkeit haben werde, pensioniert zu werden.“

Die Dänen spenden Kühe

Über die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe veröffentlicht Forell im Mai 1954 einen Bericht, darin heißt es: „Mit besonderer Freude können wir berichten, daß der dänische Staat sich entschlossen hat, eine zur Linderung der Flüchtlingsnot bestimmte Spende von 750 000 dänischen Kronen nach dem Beispiel der Schwedenhausaktion des vergangenen Jahres den bedrängten, heimatvertriebenen und geflüchteten Landwirten zur Verfügung zu stellen. Durch diese dänische Spende kommen 375 wertvolle dänische Kühe zur Verteilung. Auf Vorschlag der dänischen Regierung wurden wir mit der Abwicklung dieser Aktion beauftragt. Diese dänischen Kühe werden im engsten Benehmen mit den zuständigen landwirtschaftlichen Dienststellen in den Realteilungsgebieten Hessens, Baden-Württembergs sowie im Bezirk Amberg/Bayern verteilt.

Die Haupthilfe für seine Arbeit in Deutschland findet Forell bei den schwedischen Bauern. In unermüdlicher Kleinarbeit zieht Forell von Ort zu Ort, von Landshaft zu Landshaft, um auf Bauernversammlungen, Gemeindeabenden und in Gottesdiensten von der Notwendigkeit zu sprehen, den Flühtlingsbauern in Deutshland brüderlih zu helfen. „Die letzte Reise in Shweden war sehr anstrengend. In 29 Tagen habe ih insgesamt 65 Vorträge und Predigten gehalten und eine endlose Reihe von einzelnen Gesprähen gehabt, aber es hat sih doh reihlih gelohnt, und meine Landsleute haben ein rührendes Interesse für unsere Arbeit gezeigt“, shreibt Forell einmal, und an Dr. Weerts: „Meine Zunge brauht etwas Ruhe.“ Immer wieder muß Forell solhe Fahrten mähen, wenn er in Shweden ist, bis hoh in den Norden, längs der Südküste, an der norwegishen Grenze — kein Landstrih ist ihm zu entlegen. „Die Nähe von Norwegen mäht uns etwas Shwierigkeiten, es gibt Kreise, die die Besatzungszeit in Norwegen niht vergessen haben. Diese Leute haben es shwieriger als die Norweger selbst, die jetzt ziemlich aktiv in der Flüchtlingshilfe sind." Forell ist unermüdlich. „Noch vor 5 Jahren konnte man bei einem Vortrag mit dem Thema . Flüchtlingshilfe in Deutschland'eine beachtliche Zahl von Zuhörern erwarten. Heute ist die Situation wesentlich anders. Eine gewisse Müdigkeit in den hilfsbereiten Kreisen ist zu verzeichnen. Auch einer verständlichen Skepsis, ob wohl in Westdeutschland eine weitere Hilfe wirklich nötig sei, begegnet man überall, besonders bei den Vertretern der Wirtschaft. Besucher in großer Zahl kommen ja auch aus Schweden nach Deutschland und sehen die blendende Fassade, merken aber wenig von der Flüchtlingsnot, wenn sie nicht direkt in Bunkern und Flüchtlingslagern herumgeführt werden. Deutsche Besucher im Ausland, die gerne vergessen wollen, was sie selbst in den vergangenen Jahren durchgemacht haben, tragen auch nicht immer dazu bei, die Hilfsbereitschaft des Auslandes wachzuhalten. Wenn man die mühselige Kleinarbeit nicht scheut, auch zu kleinen Gruppen von Menschen zu sprechen und durch unzählige Einzelbesuche Aufklärung über die tatsächliche Lage unter den Flüchtlingen zu geben, muß mit großer Dankbarkeit bestätigt werden, daß trotz vielfacher Müdigkeit und Skepsis, noch eine erstaunliche Hilfsbereitschaft in Schweden vorhanden ist. Erzählungen von Einzelschicksalen bewirken mehr als alle statistischen Aufzählungen. Bauern, hoch oben in Nord-Schweden, denen solche Einzel-Schicksale aus dem fernen Ostpreußen, Pommern und anders woher vor Augen geführt werden, verstehen oft besser, was es heißt, als Flüchtling zu leben, als viele Menschen hier in Deutschland, die selbst solche Flüchtlinge in ihrem Haus beherbergen müssen."

Wir wollen es ordentlich tun

Forell kann sich bei dieser Arbeit vor allem auf die Mithilfe der einzelnen Provinzialverbände des unpolitischen Berufsverbandes RLF (Reichsverband des Landvolkes) stützen, dem fast alle Bauern Schwedens als Mitglieder angehören. Aber er muß den Vorständen jedes einzelnen ProvinzialVerbandes verhandeln, bis er im Laufe der Jahre 19 von 26 dieser Verbände für die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingslilfe gewonnen hat. „Geschäftsführung und Vorstand in den verschiedenen Provinzialverbänden haben sich in geradezu rührender Weise für unsere Arbeit eingesetzt. Man hat dabei nicht gefragt, wie man sich wohl am billigsten von dieser Verpflichtung frei machen könne, sondern es wurde in den meisten Fällen gefragt, wie man am besten zu einem Höchstbetrag komme. Die Erwartungen des jeweiligen Vorstandes des Provinzialverbandes wurden deswegen in vielen Fällen durch die einmütige Teilnahme der Mitglieder übertroffen.“ Diese „Einmütigkeit der Mitglieder“ ist der Erfolg der unendlich vielen Reisen Forells in die ländlichen Gemeinden. Nachdem von den Bauern von Västeras schon 60 000 Kronen für Wildenhorst zusammengekommen sind, spenden nach einer Notiz Forells vom März 1953 die Halland-Bauern 80 000 Kronen, die von Östergötland 43 000, die von Norra Älvsborg 32 000. Die Bauern-verbände von Värmland, Södra Älvsborg und Jönköping wollen im Herbst sammeln. Die von Skäne und Skaraborg im Winter. Und immer wieder kann Forell, wenn er in Schweden ist, Dr. Weerts von neuen wesentlichen Beträgen für die Arbeit in Deutschland berichten. „In bezug auf die Sammelaktion hat jetzt auch Dalarna zugesagt, aber eine Sammlung wird erst im Frühjahr ansangen und höchstwahrscheinlich erst um Mai/Juni herum fertig sein können, dagegen hofft Västmanland bis zum neuen Jahr fertig zu sein. Eine erste Sammlung hat dort schon stattgefunden mit sehr bescheidenem Erfolg. Der Geschäftsführer hat deswegen den Vorstand veranlaßt, ein neues Rundschreiben an die Mitglieder des Verbandes zu verschicken, worin er auf die Beträge der Nachbarverbände hinweist und sagt, daß Västmanland so weit hinter den anderen zurückstehe. Er hofft, daß dieser Brief den gewünschten Erfolg haben wird. Västerbotten mit über 100 000 Kronen und Angermanland mit 50 000 Kronen wollen, wenn möglich, vor Weihnachten ihre Sammlung feierlich übergeben." „Allerdings", schreibt Forell in seinem nächsten Brief, „kann ich die erfreuliche Nachricht bringen, daß die 50 000 Kronen nicht der ganze Betrag ist, der in Angermanland gesammelt wurde. Sie geben uns vorläufig nur 50 000 Kronen, behalten aber etwa 15 000 zurück, weil sie damit rechnen, daß in einigen Fällen eine Nachhilfe nötig sein wird, und man möchte dann Mittel für diese Nachhilfe zur Verfügung haben. Der Vorsitzer sagt . Wenn wir einer Familie helfen, wollen wir es ordentlich tun', und mit einem Lächeln zu mir gewandt, sagte er in Anwesenheit des Bischofs , Ich kann mir denken, daß unser Herr Pastor ein gewisses Interesse hat, so vielen Familien wie möglich zu helfen, und daß die Summe dabei etwas knapp bemessen wird. Deswegen haben wir 15 000 Kronen vorläufig zurückbehalten." Das ist nun eine rührende Fürsorglichkeit von den Leuten, darüber können wir uns ja nur freuen.

Den schwedischen Bauern sind diese Sammlungen eine sehr ernste Sache, und es geschieht nicht selten, daß Forell der gesammelte Betrag nach einem feierlichen Gottesdienst vor dem Altar im Beisein des zuständigen Bischofs und oft auch des Regierungspräsidenten oder eines anderen hohen Vertreters der Regierung übergeben wird. Der Ernst und die Feierlichkeit machen die Gesinnung deu*lich, aus der heraus die Bauernverbände sich für ihre notleidenden Berufsgenossen in Deutschland einsetzen: es ist die christliche Verantwortung für den Nächsten. Es ist die Verwirklichung lebendiger Ökumene, für die Forell sein ganzes Leben lang gearbeitet hat. In Deutschland hat man diesen Hintergrund oft gar nicht gesehen oder sehr rasch wieder vergessen.

Und wieder ist es Forells Art, daß jeder dieser Beträge für genau bestimmte Fälle, die mit den Spendern besprochen und beratschlagt sind, verwendet werden. Der Patenschaftsgedanke ist Forell dabei ebenso wichtig wie das Geld, das dafür gesammelt werden soll — vielleicht sogar wichtiger, denn dadurch entstehen menschliche Bindungen. Das Geld, das ihm durch die Hände geht, wird zu einem lebendigen Band zwischen dem, der gibt, und dem, der es bekommen soll. „Es ist wichtig, daß wir die rein menschlichen Verbindungen mit unseren Freunden nicht verlieren. Es wird ja so viel Unfug gemacht auf dem politischen Gebiet, daß man sich freuen muß über jede Möglichkeit, die man hat, von Mensch zu Mensch miteinander in Verbindung zu kommen.“

Darum scheut Forell die Mühe und auch die Kosten nicht, immer wieder schwedische Bauern nach Deutschland einzuladen. Oft führt er sie selbst durch Flüchtlingslager und Flüchtlings-siedlungen, um ihnen an Ort und Stelle deutlich zu machen, worum es in seiner Arbeit geht. Es ist die nachdrücklichste Werbung für die Sache — die Bauern selbst bitten darum.

Es geht Europa und die Welt an

So lebendig nehmen diese schwedischen Bauern diese Patenchaftsverpflichtungen, daß sie selber fragen, wie es weitergeht und ob sie noch helfen müssen. Als der Betrag von 65 000 Kronen, den die Bauern von Skaraborg für die Moorkultivierung in Neugnadenfeld gesammelt haben, nicht gleich abgerufen wird, weil die deutschen Behörden mit der Weiterarbeit der Kultivierung zögern, reist der Geschäftsführer ven Skaraborg nach Boräs, um Forell zu fragen, was denn los sei. „Heute war der Geschäftsführer von Skaraborg RLF bei mir und hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er wird immer wieder gefragt, wann es endlich in Neugnadenfeld losgeht, und er fühlt sich bald , wie ein Schwindler', weil er keinen Bescheid geben kann. Um ihn zu entlasten, haben wir verabredet, daß er sobald wie möglich das Geld an die schwedische Kirchenhilfe überweisen läßt, so daß er wenigstens sagen kann, daß wir das Geld bekommen haben." Darunter schreibt Forell an Dr. Weerts die Bemerkung: „Bitte machen Sie davon Gebrauch bei den Behörden. Persönlich hat der Geschäftsführer durchaus Verständnis für die Lage in Neugnadenfeld, aber er kann unsere Mitteilung seinen Leuten nicht weitergeben, weil für eine so lange Verzögerung kein Verständnis vorhanden ist.“ Und auch das liegt in Forells Absicht: durch die menschliche Anteilnahme seiner Landsleute an den einzelnen Schicksalen in Deutschland die deutschen Behörden zu positiven Mitentschei-Seite sächlich gelingt es Dr. Weerts, durch den Hinweis auf die Skaraborg-Bauern die Wiederaufnahme der Kultivierungsarbeiten von 250 ha Moor und Heide in Neugnadenfeld bei den deutschen Behörden durchzusetzen, so daß 15 neue Höfe entstehen. „Soweit meine Zeit reicht, bin ich gern bereit, bei meiner Rüdekehr (nach Deutschland) die Bettlerschuhe’ anzuziehen und Besuche bei den deutschen Firmen zu machen. Hoffentlich werden sie ebenso gebefreudig sein wie unsere schwedischen Bauern . . Aber die Deutschen sind zunächst keineswegs so gebefreudig, wie es Forell hofft. In einer Zusammenstellung der Spendeneingänge von 1954 stehen 674 000 Schwedenkronen 227 000 DM aus deutschen Spenden gegenüber, und auch davon stammen noch 79 000 DM von schwedischen Firmen, die in Deutschland ansässig sind. Erst im Laufe der Jahre verbessert sich das Verhältnis. 1957 sind es 762 000 DM auf schwedischer und 766 000

DM auf deutscher Seite. Allerdings sind auch da wiederum 192 500 DM von schwedischen Firmen in Deutschland enthalten. Die Naturalspenden, die 1957 mit einem Betrag von 1, 4 Mill. DM beziffert werden, teilen sich etwa zur Hälfte in die dänische „Kuhspende“, während die andere Hälfte wohl ganz dem schwedischen Anteil hinzuzurechnen ist. An Naturalspenden hat die deutsche Seite kaum einen Anteil. Forell vermerkt das alles ohne Bitterkeit. „Das deutsche Flüchtlingsschicksal ist wohl in erster Linie eine deutsche Angelegenheit, es geht aber auch Europa und die übrige Welt an . . schreibt er immer wieder in seinen Werbebriefen an deutsche Industrielle, die er um ihre Mitarbeit in der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe bittet. „Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe wird keine Organisation von Dauer sein, aber jetzt brauchen wir noch größere Mittel, um der materiellen und ideellen Hilfsbereitschaft der Schweden eine volle Auswirkung zu sichern . .

Patenschaft

„Ich komme gerade aus Berlin, wo ich zehn Tage durch die Flüchtlingslager gegangen bin und sehr viele, auch Jugendliche gesehen und gesprochen habe. Wenn man die Menschen sieht, die vom Osten nach dem Westen ziehen, wird man bedrückt, und man fragt sich, wie soll das alles wohl ein Ende finden . .

Während andere aber abstumpfen an dem Monat um Monat nachfließenden Flüchtlingsstrom, schließlich resignieren und die Hilfe allein den Organisationen und bürokratischen Kräften zuschieben, bleibt er für Forell ein ständiger Anruf, seine Bemühungen immer noch mehr zu steigern. Und wieder, wie in England, als ihn die Sorge um die steigende Anzahl der deutschen Kriegsgefangenen nicht zur Ruhe kommen ließ, bewegt ihn jetzt das Schicksal der Flüchtlingsbauern, der Hoffnungslosesten unter den Flüchtlingen. „Die Zahl der vertriebenen Landwirte ist ja so groß, daß nur ein Bruchteil davon tatsächlich zu einer neuen landwirtschaftlichen Existenzgründung kommen kann.“ Forell kämpft dagegen an, daß sie resignieren . . . „Man kann ohne weiteres allen Hilfesuchenden sagen, daß sie sich nicht deprimieren lassen dürfen, sondern sie müssen mit Ellenbogen und zusammengebissenen Zähnen immer wieder vorwärtsdrängen durch den Dschungel des deutschen Zuständigkeitsfimmels. Wenn der schreckliche Zuständigkeitsgeist nicht überall herrschte, würden wir schon ein großes Stück vorwärts gekommen sein.“ Denen, die diesen Kampf wagen, will Forell beistehen. „Wir wollen dort eingreifen, wo staatliche bzw. staatlich geförderte Maßnahmen durch eine unbehördliche, ungebundene Initiative verstärkt und beschleunigt werden können.. heißt es in der ersten Berichterstattung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlings-hilfe. „Es ist nicht unsere Aufgabe, dort einzutreten, wo noch Möglichkeiten nicht ausgenutzt wurden, aus öffentlichen Mitteln eine Hilfe zu bekommen. Unsere Hilfe ist vielmehr als eine zusätzliche Hilfe zu der fehlenden Eigenleistung gedacht in solchen Fällen, wo der betreffende Siedler trotz eifriger Mühe die fehlende Spitze in der Finanzierung nicht hat. In jedem Fall setzen wir voraus, daß die Siedler, denen von uns geholfen wird, einen gewissen kolonisatorischen Schwung haben und bereit sind, ein Höchstmaß an Eigenleistung für ihre Siedlung zu geben“, antwortet Forell auf eine der vielen Anfragen, die an ihn von solchen gerichtet werden, die meinen, es sei nichts weiter nötig, als sich zu melden, um von der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe einen Hof zugewiesen zu bekommen. „Wir können Ihnen nichts abnehmen, soweit es sich darum handelt, mit allen zuständigen Behörden zu verhandeln, um festzustellen, was Ihnen nach dem Siedlungsgesetz und dem Lastenausgleich zusteht. Sie müssen auch selbst überall versuchen, eine Siedlerstelle ausfindig zu machen. Das wichtigste ist selbstverständlich, daß Sie sich zunächst mit den zuständigen Behörden, Kulturamt, Siedlerberatungsstelle, Bauernverband der Vertriebenen usw. in Verbindung setzen. Unsere Hilfe kann nur eine zusätzliche Hilfe sein zu dem, was von behördlicher Seite gegeben wird, und erst wenn Sie selbst ein Objekt gefunden haben, hat es einen Sinn, daß Sie mit uns wieder Verbindung aufnehmen ..." Und doch sieht Forell es als eine Aufgabe der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe an, „nach Kräften zu helfen, daß die Siedlungsmöglichkeiten, die latent sind, wirklich ausgenutzt werden“. Er weiß, daß es einfach die Möglichkeit vieler Flüchtlingsbauern, z. B. in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen überfordern hieße, von ihnen zu verlangen, Höfe oder irgendwelche Siedlungsmöglichkeiten selbst ausfindig zu machen. Weder in Schleswig-Holstein noch in Niedersachsen sind die Gegebenheiten danach, und zu weiten Fahrten etwa nach Rheinland-Pfalz oder Süddeutschland reichen die Geldmittel der Flüchtlingsbauern nicht aus. Deshalb trifft die Deutsch-Schwedische Flüchtlings-hilfe mit den Flüchtlingsbehörden in Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine Vereinbarung, wonach diese die Reisekosten solcher Bauern, die auf „Hofsuche" gehen, übernehmen. Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe sorgt für ihr zeitweiliges Unterkommen in Rheinland-Pfalz, stellt dafür einen Patenschaftsbetrag von 1000 DM zur Verfügung und versucht den Bauern in Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation“ in Kreuznach für sie geeignete Siedlungsmöglichkeiten nachzuweisen. Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe ist immer bemüht, die Initiative des einzelnen zu erhalten und sie anzuspornen, aber er hat „in dem Dschungel deutscher Zuständigkeiten“ den Rat und die Hilfe und die Fürsprache der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe als Rückhalt.

Beim Kauf einer geeigneten Siedlerstelle springt die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe meist, nachdem die finanziellen Voraussetzungen geklärt sind, für die Zeit, bis die öffentlichen Mittel, die dafür zur Verfügung stehen, bewilligt und ausgezahlt werden, mit einem Zwischenkredit ein, um diesen Flüchtlingsbauern rasch und unbürokratisch den Anfang auf dem neuen Hof zu ermöglichen. Es sind oft verhältnismäßig kleine Beträge von ein paar tausend Mark, die dazu nötig sind, und die manchmal schon nach wenigen Wochen wieder zurückfließen, aber sie helfen den Neusiedlern wirksam über die Anfangsschwierigkeiten — und beschleunigen auch die Entscheidungen der Behörden. Schon bei der Jahrestagung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe am 20. Oktober 195 3 kann Dr. Weerts berichten, die Aktion der Vor-finanzierung des Ankaufs freiwerdender Höfe habe ihren beispielgebenden Zweck erfüllt. Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe habe wesentlich dazu verhelfen, daß nunmehr in größerem Umfang öffentliche Mittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden. Die Schweden-haus-Aktion mit ihren 72 Wohnhäusern und die Eingliederungsaktion in Rheinland-Pfalz habe innerhalb von vier Wochen den Erfolg von 139 neuen bäuerlichen Existenzen für Heimat-vertriebene und Flüchtlinge erbracht. In dem Jahresbericht einjahr später heißt es: „In diesen Tagen haben wir auch in verschiedenen Landkreisen Nord-Badens und Nord-Württembergs eine ähnliche Tätigkeit (Höfe zu suchen und an Vertriebene zu vermitteln) ausgenommen: Wir tun es, weil wir gerufen wurden und weil in manchen Gegenden bisher die auch dort gebotenen Chancen nicht genutzt wurden ...“ Das ist eine Aufgabe, die der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe aus der Praxis erwachsen ist. „Diese Arbeit, Auswahl geeigneter Bewerber, Vermittlung von Quartieren für die Hofsucher, Nachweis brauchbarer und marktfälliger Höfe und die ganze Betreuung der Familien vor und nach der Übernahme dieser Betriebe, stellt an unsere Mitarbeiter fachlich und menschlich außerordentlich hohe Anforderungen. Viele Bewerber kapitulieren vor den schwierigen landwirtschaftlichen Verhältnissen des ihnen frem-den Landes. Viele angebahnte Verkäufe oder Verpachtungen zerschlagen sich. Daraus resultiert aber in den Erfolgsfällen eine besondere Qualität der Familien, die diesen Ausleseprozeß bestehen .. heißt es dann in dem 195 5 folgenden Jahresbericht. „Wir haben zu diesem Zweck von der Deutschen Siedlungsbank einen Kredit in Höhe von 150 000 DM ausgenommen. Die Rückflüsse gestatten eine laufende Fortsetzung dieser Vorfinanzierungsaktion.“ Es ist der schon früh aufgetauchte Gedanke des „revolving fund“. Seine Existenz ist für die siedlungswilligen Flüchtlingsbauern besonders von menschlicher Bedeutung, „denn leider ist der Weg vom Kreditantrag bis zur Auszahlung sehr lang, in vielen Fällen unverständlich lang. Während der Aktenvorgang irgendwo ruht, verzehrt sich die Familie in Sorge, und dies in all den Monaten, in denen sie alle Kraft dem neuen Anfang widmen soll.. Schließlich spricht ein Rückblick im Jahresbericht 1957 die Gesinnung sehr deutlich aus, die die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe beseelt, und die Auswirkungen, die sie damit erzielt. „Wir haben uns in all den Jahren eigentlich immer von zwei Absichten leiten lassen: einmal wollen wir im ursprünglichen Sinn der Patenschaft der einzelnen Familie in ihrem neuen, oft unerhört mühsamen Existenzaufbau menschlich und materiell zu Hilfe kommen, und andererseits wollen wir, zumal unsere Mittel und Möglichkeiten begrenzt sind,modellhaft arbeiten, so daß unsere Methoden auch der staatlichen Eingliederungspraxis Anregungen geben können. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß uns Letzteres weitgehend gelungen ist. In den Ämtern konnten wir vielerorts eine größere Aufgeschlossenheit und Verantwortungsfreudigkeit wecken. Wir haben immer wieder auf Beobachtungen und symptomatische wirtschaftliche Tatbestände hinweisen können, die nach besonderen Förderungsmaßnahmen einer Betriebsfestigung rufen. Solche Maßnahmen, für die wir uns gemeinsam mit dem Bauernverband der Vertriebenen eingesetzt haben, sind heute auf breiterer Grundlage, als wir sie mit unsern Mitteln bieten können, in Vorbereitung...“ „Es geht uns darum“, heißt es in dem Jahresbericht weiter, „mitzuhelfen, daß die Bauern aus dem Osten verständnisvoll behandelt werden, daß ihre individuelle Lage richtig gesehen und eingeschätzt wird und daß lebensnahe und betriebsnahe Entscheidungen getroffen werden. Wir können mit unseren geringen eigenen Kräften und Mitteln nur an besonderen Schwerpunkten die Verhältnisse unmittelbar beeinflussen und wissen, daß in anderen Gegenden Gleiches oder Ähnliches zu tun wäre. Es ist bedrückend, zu wissen, daß viele, die es bitter nötig haben und es verdienen, weder unsere noch andere Hilfe erreicht. Das Klima der Eingliederung darf nicht einseitig von dem Behördentum bestimmt sein. Oft sind es die Behörden selbst, die nach unserer . außerbürokratischen'Mitarbeit rufen, weil sie die Unzulänglichkeit spüren, die dem Behördenwesen zwangsläufig anhaftet ...“

Viel mehr als in der materiellen Hilfe liegt die Bedeutung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe eben in dieser ganz unkonventionellen Stellung, Mittler zwischen Behörden und den landsuchenden Bauern zu sein. Es bedarf dazu einer sehr genauen und fundierten Bearbeitung der einzelnen Fälle, für die Dr. Weerts als Siedlungsfachmann hervorragende Fähigkeiten mitbringt. Es bedarf ebenso der Unermüdlichkeit und Menschlichkeit Forells, um dieser Arbeit ihre überzeugende Kraft zu geben. Kein Erfolg kann in ihm die Meinung wecken, er habe nun genug getan. Die große Zahl der Flüchtlings-bauern, die immer noch in den Lagern hocken und sich nach einem Acker sehnen, und der Fluchtstrom, der nicht aufhört, aus Mitteldeutsch-land nach dem Westen zu fließen, steigern seine Aktivität bis zur Grenze des Möglichen. „Wir haben allerdings unter Beweis gestellt, daß die Siedlungsmöglichkeiten und die Eingliederung der vertriebenen Landwirte in viel größerem Maße vor sich gehen könnte, als die meisten Menschen wahrhaben wollen..." schreibt er, und er wendet sich an Präses Wilm von der westfälischen Kirche mit seinem Anliegen: „Die Patenschaftsaktion in Schweden geht gut voran. Es ist an und für sich kein Kunststück, das Geld unterzubringen, aber es liegt mir besonders daran, daß eine Patenschaftshilfe auch für Westfalen reserviert wird. Unsere Hilfe soll ja, wie Bischof Dibelius gesagt hat, nur ein . beispielhaftes Handeln'sein, und wir möchten deshalb in den verschiedenen Ländern solche Aktionen durchführen. Ich weiß wohl, daß es nicht leicht ist, Land in Westfalen zu finden, aber das war es auch in Rheinland-Pfalz nicht, und doch haben wir dort schon 139 Flüchtlingsbauern eine neue Existenzgründung vermitteln können. Wenn wir wenigstens für zehn Familien in Westfalen dasselbe tun könnten, würden wir froh sein...“

Aber wieder ist es ein Ruf ins Leere.

Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe arbeitet in Baden-Württemberg, in Hessen, in Rheinland-Pfalz, wo sie einen besonderen Schwerpunkt hat. Der Versuch, in größerem Ausmaß auch den Flüchtlingsbauern in Bayern zu helfen, ist schon frühzeitig an der Haltung der Landesbehörden gescheitert. In Schleswig-Holstein werden vor allem die Siedler in Wildenhorst von ihr betreut. In Niedersachsen sind es die Flüchtlingssiedlungen in Großmoor, Klausmoor und Altwarmbüchen, in denen die Patenschaft der Schweden wirksam wird. Auch die Schwierig-keiten in Neugnadenfeld im Emsland werden zum Teil mit schwedischer Hilfe überwunden. Schließlich nimmt sich die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe in besonderem Maße der Sieben-bürger Sachsen an. „Wir verhandeln augenblicklich mit den Siebenbüger Sachsen, für die wir mit schwedischen Mitteln eine Patenschaft übernommen haben. Sie sind eine besondere wertvolle Gruppe von Volksdeutschen, und sie bemühen sich seit Jahr und Tag, eine geschlossene Siedlung von etwa zehn Bauernhöfen im Bundesgebiet aufzubauen, damit sie dort ein kulturelles Zentrum für ihre Gruppe von etwa 50 000 Menschen gründen können. Wir hoffen, daß wir auch hier eine wesentliche Hilfe leisten können, und wenn wir mit unseren Plänen durchkommen, wird dies eine besonders interessante Aufgabe sein . .

schreibt Forell an Direktor Ritzauer von den Vereinigten Glanzstoffwerken in WuppertaL Er wendet sich an den Ministerialrat Dr. Landsberg im Arbeits-und Sozialministerium in Düsseldorf: Schon lange hatte ich die Hoffnung, daß wir uns in irgendeinem Zusammenhang sehen würden. Gestern hatten wir nun hier Besuch von einem Vertreter der Siebenbürger Sachsen, der uns die Sorgen dieser Volksdeutschen vorgetragen hat. Seit einiger Zeit stehe ich mit dieser Gruppe in Verbindung, und wir haben für ihr Bestreben, eine landwirtschaftliche Gruppensiedlung zu gründen, unsere Patenschaftshilfe zugesagt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit Ihren Beziehungen helfen können, daß diese Pläne etwas vorangetrieben werden. Vielleicht besteht die Möglichkeit, im Land Nordrhein-Westfalen diese Gruppensiedlung unterzubringen. Wir haben unsere Augen auf das Grenzgebiet von Emsland als eine Möglichkeit gerichtet. Möglicherweise kommt auch ein Stück in der Nähe der Reichswald-Siedlung in Frage. Schwierigkeiten, die solchen Plänen im Weg stehen, kennen wir zur Genüge, aber Sie werden ja genau wie ich aus den Erlebnissen mit dem Plan Espelkamp erkannt haben, daß man dennoch zum Ziel kommen kann, wenn man genügend von einem Plan besessen ist Jetzt bin ich wirklich von dem Plan . Siebenbürger Sachsen'ebenso besessen wie damals von Espelkamp Bitte helfen Sie uns, damit wir weiterkommen ...“

Forell weiß in Dr. Landsberg seit langem einen guten Bundesgenossen in seinem Einsatz für die Vertriebenen und Flüchtlinge. Das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt 1957 die Patenschaft für die Siebenbüger Sachsen.

Die Bauern in Mitteldeutschland

Auf seinen vielen Reisen durch Westdeutschland sieht Forell nun langsam die Früchte mühseliger Arbeit reifen. Die Wiedererstarkung der westdeutschen Wirtschaft bringt auch für die Vertriebenen und Flüchtlinge allmählich Erleichterungen und Verbesserungen. Aber eine bäuerliche Neusiedlung braucht viele Jahre, um festzuwurzeln. Die Ungunst des Wetters gerade in den Jahren 1954/55 läßt manche Ernte nicht reifen. Ein Unglück im Stall kann eine neubegründete Existenz wieder ins Wanken bringen. Eine große Last liegt auf den ersten, oft sehr schweren Jahren der neugesiedelten Flüchtlings-bauern. Wenn in der Statistik die Wiedereingliederung eines Bauern vollzogen zu sein scheint, beginnen oft erst die wirklichen Schwie-rigkeiten. Gerade dann ist eine sehr genaue wirtschaftliche und menschliche Betreuung vonnöten. Das Aufgabengebiet der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe scheint noch für lange Zeit unerschöpflich zu sein. Neben alledem denkt Forell unaufhörlich an die Bauern, die noch in der Zone leben. Es gelingt ihm, im Frühjahr 1954 durch schwedische Freunde 30 000 kg Saatkartoffeln von Schweden aus in die Zone zu schicken. Immer wieder erreichen ihn Not-berichte von der sehr schweren Lage der Landwirtschaft in Mitteldeutschland. Auch westdeutsche Stellen versuchen zu helfen. Bäuerliche Verbände spenden Vieh, Futter-und Düngemittel. Aber jede Spende ist begleitet von der Ungewißheit, ob die Einfuhr in die Zone gestattet wird, ob eingeführte Spenden nicht beschlagnahmt werden oder ob für die Empfänger bei der Annahme einer solchen Hilfe aus dem Westen nicht das „Ablieferungssoll“ von den sowjetzonalen Behörden willkürlich und unerträglich erhöht wird. Und doch erscheint die Aufstockung der durch sowjetische Plünderungen und Beschlagnahmen stark dezimierten Viehbestände dringend erforderlich, der Neubau von Gebäuden in den heruntergekommenen Landwirtschaften und Aufbau der fehlenden oder gänzlich verbrauchten Maschinenbestände notwendig: außerdem fehlten Düngemittel für die verkommenen Äcker und Futtermittel für das Vieh. . Die durchzuführenden Hilfsmaßnahmen werden sich nur dann wirksam erweisen, wenn sie bei der großen Schädigung der Landwirtschaften nach einem festen Plan fünf Jahre hindurch fortgesetzt werden .. heißt es in einem Brief von einem Besucher aus der Zone an Forell. Forell schreibt: „Ich habe ausführlich über die Situation mit vielen Freunden, besonders in der Landwirtschaft, verhandelt, und es sind wohl recht viele Menschen in Schweden, die an und für sich interessiert wären, zu helfen, aber es besteht gleichzeitig ein sehr großes Mißtrauen, daß die Hilfe, die man zur Verfügung stellt, nicht an die richtige Stelle kommt. Diese psychologischen Hindernisse müssen wir nun versuchen zu überwinden .. In einem anderen Brief: „Als erstes für unsere Arbeit ist wichtig, daß überhaupt nichts darüber geschrieben wird. Die Sache muß unter der Hand geschehen, und ich habe schon meine Pläne, wie wir das betreiben wollen...“

Forell sagt sich zu Besuch in Berlin an. „Aber ich bitte dringend darum, keinen Schwanz von Leuten zu besorgen. Ich möchte so unauffällig wie möglich durch die Lager gehen und hauptsächlich mit Landwirten sprechen ...“ Die Berichte, die er dabei hört, sind schlimm genug. Aber er will die Wirklichkeit sehen. Er fährt selbst in die Zone, und er sieht das zerstörte Land, das nach neun Jahren in weiten Teilen noch immer so daliegt, wie das grauenhafte Ende des Krieges es hinterlassen hat: zerschossene Dörfer, ausgebrannte Kirchen und nur an wenigen Orten ein Ansatz zum Wiederaufbau ... „ 40 v. H. Gebäudeschäden, aber die Bevölkerung durch Flüchtlinge verdoppelt. Das Land war nach dem Zusammenbruch fast ohne ein Stüde Vieh. Die Bevölkerung in großer Zahl geflohen, aber meist wieder zurückgekehrt ...“ Er hört von Verhaftung, Gefängnis, Flucht der Bauern, die ihr Soll nicht mehr erfüllen können, er spricht mit Bauern, Flüchtlingen und Pächtern. „Beim Zusammenbruch war das lebende Inventar restlos verloren, das tote zum Teil. Es versuchten nach 1945 zwei Pächter den Betrieb aufzubauen, sie scheiterten, weil ihnen das nötige Vieh zur Erfüllung der Ablieferungsnorm nicht zur Verfügung stand. Durch Zwangs-erfassung wurde der Aufbau der Viehbestände immer wieder zerstört. Der Hof muß mindestens 15 Kühe, das nötige Jungvieh und 60 Schweine halten. Der Ankauf der Kühe ist hier in der Zone nicht möglich, er müßte möglichst bald im Westen erfolgen ...“

Forell bewundert den Mut, hier auszuharren, den Willen, neu anzufangen, trotz aller Bedrükkung und Unsicherheit fest entschlossen die nötige Arbeit zu tun. Und er hört die Hoffnung, die auf ihn gesetzt wird. „Wir haben soviel gehört von Ihrem selbstlosen und erfolgreichen Dienst in Espelkamp und anderswo, daß wir der festen Gewißheit sind, daß Sie auch hier Mittel und Wege finden werden, die dazu beitragen, unsern in Erschütterung geratenen Bauernstand zu festigen und ihm neue Liebe zur ererbten Scholle zu geben..." Wie gerne möchte er wieder umkehren. Aber er läßt nicht nach, sich darum zu bemühen, noch einmal die Menschen in der Zone besuchen zu dürfen, wenn er ihnen auch sonst nicht viel helfen kann. Endlich, 1957, gelingt es ihm zu einer Tagung in Greifswald die Einreisebewilligung zu erhalten.

„Die acht Tage in der Zone waren so gedrängt gefüllt mit Eindrücken, daß man wohl einige Wochen nötig hat, um sie zu verarbeiten. Auf der einen Seite war es bedrückend zu sehen, wie die Menschen wie in einem Zuchthaus leben, und auf der anderen Seite doch endlich viele Beweise dafür, daß viele Menschen sich nicht klein kriegen lassen durch den Terror. Uns Ausländer hat man außerordentlich höflich behandelt und wir konnten sowohl in Gottesdiensten wie in anderen Gemeindeveranstaltungen sprechen ..." Er berichtet genauer: „Wir waren im ganzen 15 Skandinavier, die eigentlich nach Greifswald zu einer Tagung eingeladen waren, aber wir haben alle die Genehmigung bekommen, im Anschluß an die Tagung einer Rund-reise zu machen. Ich durfte bis in die Südostecke nach Cottbus fahren, wo elf Jahre kein Ausländer aus der Ökumene einen Besuch gemacht hatte. Es war deshalb eine unbeschreibliche Freude über diesen Besuch, und obwohl vieles bedrückend ist, kann man auch wirklich sagen, daß man selbst gestärkt von einer solchen Rund-reise zurückgekehrt, weil doch noch so viele Menschen da sind, die aufrecht stehen. Natürlich ist es unverkennbar, daß seit dem Aufstand in Ungarn die Stimmung dort mehr gedrückt ist als früher, aber in der Kirche gibt es hier und da noch Menschen und Gruppen von Menschen, die mit einer bewundernswerten Zähigkeit es verstehen, eine gewisse Bewegungsfreiheit zu bewahren. Erfreulich war es auch zu sehen, daß viele junge Menschen sich aktiv beteiligen, obwohl es wirklich mit großen Risiken verbunden ist. Eine Bitte auch an Sie habe ich von drüben mitgebracht: Sagen Sie allen Leuten, wie ungeheuer wichtig es ist, daß man jede Gelegenheit zu einem persönlichen Besuch drüben ausnützt oder viele Briefe schreibt. Das bedeutet eine so große Stärkung für die Menschen, daß wir uns davon hier keine richtige Vorstellung machen können ...“

Der „Eiserne Vorhang" wird immer undurchdringlicher. Die starre Unmenschlichkeit der Zonenmachthaber zerstört für Forell die Möglichkeit zu helfen, gerade dort, wo er die Hilfe am nötigsten weiß.

Überheblichkeit den Menschen im Osten gegenüber

Im März 195 5 ist Espelkamp der Ort für die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. „Daß gerade Espelkamp als Treffpunkt für diese wichtige Synode ausgesucht wurde, bedeutet eine große Anerkennung für unsere Arbeit, was in Presse und Rundfunk auch hervorgehoben wurde. Die . Schwedenhilfe'ist durch diese Synode für viele ein Begriff geworden. Du kannst Dir denken, daß es mir recht eigentümlich erschien, in der Kirche zu sitzen und die etwa 300 Teilnehmer, darunter 30 Bischöfe und Kirchenpräsidenten, diskutieren zu hören ...“ Aber Forell ist nicht glücklich über diese Diskussionen. „Ih kann nicht umhin, zu sagen, daß gewisse Dinge in der Entwicklung der Nachkriegszeit auf kirchlichem Gebiet mir große Sorgen bereiten. Es scheint mir oft so, daß wir, die wir im Westen wohnen, nicht genügend die furchtbare Lage der Bevölkerung in der Zone erkennen wollen. Die meisten gehen mit Scheuklappen und freuen sich darüber, daß daß sie aus den Drangsalen des Dritten Reiches erlöst sind. Eine gewisse Überheblichkeit den Menschen im Osten gegenüber macht sich breit, und die deutsche Tendenz, alles ins Grundsätzliche zu übertragen, schafft auch in der Kirche oft sehr unnötige Kämpfe...“ Forell vermißt den großen, einheitlichen Willen, die Last des verlorenen Krieges gemeinsam zu tragen.

Die Hamburger Rotarier

Viel erfreulicher ist es ihm, in dieser Zeit vor den Rotariern in Hamburg sprechen zu können. Forell ist selbst Rotarier. Er hat die große Hilfsbereitschaft der Rotarier schon in England für die deutschen Kriegsgefangenen erfahren. In Schweden sind sie immer wieder eine Stütze für seine Arbeit in Deutschland. Nun spricht er zu dieser wichtigen und einflußreichen Gruppe der deutschen Rotarier über die Notwendigkeit der deutsch-schwedischen Zusammenarbeit in der Flüchtlingshilfe ... „Es geschehen manchmal auch Wunder“, sagt Forell.

„Als ich im November 1945 in Stockholm bei einem Lunch über unsere Pläne für die Flüchtlingshilfe in Deutschland sprach, sagte die Gastgeberin: „Sie brauchen doch viel Geld dafür.

Ich habe mit meinem Mann gesprochen. Wir wollen 50 000 Kronen geben...'Eine andere Dame sagte: , Wir geben ebenfalls 50 000...'

So waren die ersten Sendungen im Herbst 1945 gesichert. Aber auch in den Kriegsgefangenenlagern konnten Wunder geschehen. Bei einer Besprechung in einem großen Offizierslager an der schottischen Grenze wurde mir wieder die gewöhnliche Frage gestellt: , Was können wir tun?'Antwort: , Man kann immer etwas tun ...', Es gibt so viele Militäranlagen in Deutschland, die jetzt leerstehen, zum Beispiel Espelkamp ... Heute wohnen in Espelkamp 7 000 Menschen, 3 200 Arbeitsplätze wurden dort geschaffen. Die Synode der Evangelischen Kirche hat dort getagt. Für uns ist aber Espelkamp ein Beispiel für den guten Erfolg planvoller deutsch-schwedischer Zusammenarbeit in der Flüchtlings-hilfe ..." Dann entwickelt er die Aufgaben und Ziele der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe: „Wir sind bereit, immer neue Wege zu beschreiten und neue Methoden zu verwenden, wenn dadurch eine Beschleunigung der Eingliederung der Heimatvertriebenen herbeigeführt werden kann ..." Er hofft mit dieser Entschlossenheit zum Neuen, die Hamburger Kaufleute verlocken zu können. Er will von ihnen nicht die herkömmliche Wohltätigkeit, er will sie fortreißen, selbst etwas Neues zu wagen. „In geradezu rührender Weise haben die schwedischen Bauern uns geholfen ...“, fährt er fort, „von 26 Provinzialverbänden haben bisher 19 ihre Mitarbeit bei den Sammlungen zugesagt, 14 schon durchgeführt. Etwa 700 000 Kronen sind bisher von den Bauernverbänden gesammelt. Innerhalb Deutschlands wurden insgesamt 3 50 000 DM gesammelt. Damit haben wir in der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe 620 vertriebenen Bauern im Bundesgebiet zu einer neuen Existenzgründung als Landwirte, meistens auf Vollbauernstellen, verhelfen können. Wenn wir von deutscher Seite eine entsprechend fortgesetzte Hilfe bekommen können, hoffen wir durch diese deutsch-schwedische Zusammenarbeit in der Flüchtlingshilfe einen Beitrag zu leisten für den Wiederaufbau nicht nur eines neuen Deutschlands, sondern eines neuen Europas. Die Flüchtlingsfrage ist ein Anliegen für uns alle, die auf den Frieden hoffen und für den wirklichen Frieden arbeiten wollen . ..“ „Hamburg war ein großer Erfolg“, schreibt Forell an Weerts. „Es wird da natürlich keine Vollbauernstelle geben, sondern nur Nebenerwerbsstellen, aber wir können uns ja auch damit begnügen, wenn wir dadurch 25 Familien eine erhebliche Erleichterung in ihrem Existenzkampf verschaffen können . .

Neue Ziele

Forell an Frau Marianne Hamm v. Sahr.

17. März 1955. „Heute habe ich ein Anliegen an Sie. Eine Delegation von fünf Damen, die alle Vorstandsmitglieder in dem schwedischen Landfrauenverband sind, kommt nach Deutschland, um sich über unsere Arbeit zu orientieren und gleichzeitig mit der Absicht, diesen Verband für eine Patenschaft zu interessieren, die zum Ziel hat, besonders den bedrückten Landfrauen in den Flüchtlingsfamilien zur Hilfe zu kommen. Wir haben ja in unserer Arbeit festgestellt, daß in vielen FäHen die Landfrauen eine so schwere Arbeitslast haben, sowohl in der Küche wie auf dem Feld, daß sie beinahe zusammenbrechen. Wir würden gern unsere schwedischen Landfrauen dafür interessieren, eine Hilfsaktion für sie in die Wege zu leiten. Ich habe die Absicht, beinahe die ganze Zeit mitzufahren, weil diese Reise sehr wichtig ist. Aber ich muß von deutscher Seite Hilfe haben von Damen, die in der Frauenarbeit stehen, und ich möchte deswegen fragen, ob Sie sich wenigstens für ein paar Tage freimachen könnten, um uns eine Strecke zu begleiten?“ „Mein Leben ist jetzt ebenso unruhig wie damals in der Kriegsgefangenenarbeit. Ich bin immer unterwegs.. schreibt Forell, und in einem anderen Brief: „Gerade jetzt komme ich von einer Rundreise durch Süddeutschland zurück und habe dort etwa 12 Familien besucht, die von uns schon eine Patenschaftshilfe bekommen haben oder dafür vorgesehen sind. Ich muß sagen, daß es sich hierbei durchweg um Menschen handelt, die wirklich wert sind, daß ihnen geholfen wird ..

Immer wieder auf seinen Reisen durch Deutschland kehrt Forell bei „seinen“ Flüchtlings-bauern ein, um teilzunehmen an ihren Freuden und Sorgen, als Seelsorger und als ihr Freund, ihnen zu raten, sie zu ermutigen, wenn sie niedergedrückt sind, zu helfen, wenn es ihm möglich ist. Er wird ihr Vertrauter in vielen Nöten, so wie er der Vertraute der deutschen Kriegs-gefangenen in England war. „Ich habe immer etwas Sorge um diejenigen, die früher große Betriebe gehabt haben und jetzt sehr bescheiden mit irgend etwas anfangen müssen, wo sie selbst mit Hand anlegen müssen und ordentlich schuften, um ihre Existenz vor Not zu sichern. Sie müssen einen gewissen Kolonistengeist haben, sonst schaffen sie es nicht. .

Oft ist Forell ganz niedergedrückt von dem, was an Schwierigkeiten auf die Neuangesiedelten einstürmt. „Daß es ein schwerer Kampf ist, als Siedler sich durchzusetzen, haben wir in so vielen Fällen feststellen können, daß es uns oft bange wird, wie wir den Familien durch diese Schwierigkeit hindurchhelfen können. Auf der anderen Seite habe ich besonders auf meiner letzten Rundreise feststellen können, wieviel Mut, Ausdauer und Berufstüchtigkeit bei den vertriebenen Landwirten noch vorhanden ist, und ich hoffe deswegen, daß die meisten Familien durchkommen werden ..."

Froh schreibt er ein anderes Mal: „Ich habe kaum eine einzige . Niete'unter den Familien in Baden-Württemberg gefunden. Teilweise waren es außerordentlich tüchtige und charakterlich hochstehende Personen. Aber wie nötig es ist mit einer Vermittlung zu den Einheimischen, habe ich auch wieder bestätigt bekommen...“

Es liegt ein gewisser Stolz darin, wenn er feststellen kann, „daß wir auf unseren Listen durchweg tüchtige Landwirte haben, und in einigen Fällen haben diese Siedler sogar ganz hervorragende Leistungen vollbracht. Ich denke dabei an einen volksdeutschen Siedler aus Jugoslawien, der seit 1946 etwa 3 ha Wald gerodet hat, in einer Elendsbaracke wohnte und vier Jahre lang seine Familie über Wasser hielt mit dem Ertrag der verkauften Baumstümpfe, die er mit primitiven Mitteln aus dem Boden gerissen hat. Seine beiden Töchter mußten bei dieser schweren Arbeit mithelfen. Durch die Einschaltung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe hat nun diese Familie endlich nach zehn Jahren im Nachbardorf Gemeindeland und dazu eine Hofreite übernehmen können. Zu den drei gerodeten ha kommen nun 15 ha Pacht, wodurch die Familie endlich zu einer Vollbauernstelle kommt. Ich hätte gewünscht, daß Sie bei diesem Besuch dabei gewesen wären. Ich glaube. Sie hätten Ihre helle Freude daran gehabt. Wir haben unter unseren Siedlern wirklich prachtvolle Menschen, nur muß man leider sagen, daß es oft bei den Behörden viel zu lange dauert, bis diese Siedler die nötige Hilfe bekommen ..

Im Schatten des „Deutschen Wunders"

Audi die Arbeit in Schweden erfordert viel Sorgfalt und immer wieder den persönlichen Einsatz Forells. „Leider muß ich Ihnen berichten, daß sich in den letzten zwei Jahren die Stimmung in Schweden sehr geändert hat. Die meisten Menschen sind der Überzeugung, daß Westdeutschland nun in der Lage ist, sich selbst zu helfen. Wir haben deswegen große Schwierigkeiten, überhaupt noch Mittel aufzubringen für unsere Hilfsarbeit. Die einzige große Ausnahme ist die Hilfe für unsere Flüchtlings-bauern, die unter den Berufsgenossen in Schweden sehr viele Freunde hat..."

Im Februar 195 5 wurde Forell noch nach einem feierlichen Gottesdienst in der Gemeindekirche von Umea im nördlichen Schweden in Anwesenheit des Bischofs und des Regierungspräsidenten vom dortigen Bauernverband eine Spende von 100 000 Kronen überreicht. Im September des gleichen Jahres schreibt Forell; „Die Bauern auf Gotland haben sich nun bereit erklärt, eine Sammlung für unsere Flüchtlingsbauern durchzuführen, die allerdings erst im Frühjahr stattfinden soll, weil unsere Bauern eine ziemliche Mißernte durch die große Trockenheit hatten.

Bei der Sitzung sagte der Vorsitzende, ein Reichstagsabgeordneter: , Es wird wohl zweckmäßig sein, daß wir die Sammlung bis zum nächsten Frühjahr aufschieben, dann haben wir die Dürre vergessen.'Auch in Skäne habe ich auf einem Kirchentag gesprochen, und dort waren sehr viele Landwirte und Landfrauen, die sich nachher sehr positiv ausgesprochen haben, so daß wir damit rechnen dürfen, die reichen Bauern von Skäne auch endlich mobil zu bekommen ..."

Damit haben rund 80 Prozent der schwedischen Bauern mit Spenden die Arbeit Forells für die deutschen Flüchtlingsbauern unterstützt. Noch mehr von den Bauernverbänden zu fordern, erscheint Forell nicht möglich. Er muß nun einen neuen Weg finden, um weitere Mittel für die Arbeit in Deutschland flüssig zu machen. „Wir wagen zu hoffen", schreibt Forell in seinem Jahbericht 1955 an die Schwedische Kirchenhilfe, „daß die bisher von Schwedens Landwirten übernommene Patenschaftshilfe durch persönliche Patenschaften der Gemeinden und Pastorate abgelöst werden kann. 195 5 ist bereits ein Anfang gemacht. Einige Gemeinden haben auf unsere Anfrage zustimmend geantwortet. Die Möglichkeit, mit den bisher von uns angewandten Arbeitsmethoden weiteren Flüchtlingsbauern zu einem Hof zu verhelfen, sind noch immer so groß, daß unsere Mitarbeit dringend erwünscht ist. Der Aufschwung in der deutschen Industrie ist so beispiellos und es wird mit mehr oder weniger Recht vom . Deutschen Wunder'

gesprochen. Daß dadurch die Eingliederung der Flüchtlinge durch die Behörden erleichtert wird, liegt auf der Hand. Aber der ständige Strom neuer Flüchtlinge aus der Zone macht es den Deutschen auf die Dauer unmöglich, damit allein fertig zu werden. In den letzten drei Monaten des Jahres 1955 kamen durchschnittlich je 30 000 Flüchtlinge nach Westdeutschland. Daß viele mit der Feder ausrechnen, was die Deutschen selbst in der Flüchtlingshilfe verabsäumt haben, ist wohl kaum eine christliche Art, um mit der Not fertig zu werden. Unendlich viel ist von ihren eigenen Landsleuten hinsichtlich der Hilfe für die Flüchtlinge unterlassen worden. Aber deren Los wird deshalb nicht erträglicher, wenn wir uns der Pflicht entziehen, unseren Brüdern in der Not zu helfen . .

Auf die Anfrage einer schwedischen Journalistin antwortet Forell: „Daß von deutscher Seite, besonders freiwillig, viel mehr geschehen könnte, läßt sich nicht bestreiten. Aber die meisten in Schweden haben ja keine Ahnung davon, daß alle Deutschen, die Besitz oder Kapital haben, durch eine kräftige Extrasteuer einen namhaften Betrag für die Flüchtlinge zahlen. Dadurch sind die 2, 4 Milliarden zusammengekommen, die jährlich für die Flüchtlingshilfe ausgegeben werden. Diese Menschen in Deutschland meinen daher, daß sie genug getan haben, um den Flücht-lingen zu helfen, und daher ist die Bereitschaft, mit freiwilligen Gaben die Arbeit zu unterstützen, nicht allzu groß. Die Hilfe vom Ausland ist nicht durch den finanziellen Beitrag so wertvoll — der im übrigen recht bescheiden ist im Vergleich zu dem, den die Deutschen bezahlen müssen —, sondern durch die Tatsache, daß die Menschen aus einem anderen Land und einer anderen Kirche durch ihre Anwesenheit hier in Deutschland der Solidarität Ausdruck geben, die wir als Christen und Menschen dort empfinden müssen, wo Menschen in Not geraten sind ... Es muß sehr stark betont werden, daß die Flüchtlingsfrage nicht nur eine finanzielle ist, sondern vor allem ein Seelsorgeproblem. Ich könnte über Flüchtlingsschicksale berichten, die so grausig sind, daß ein Durchschnitts-Schwede es kaum fassen wird, wie solche Menschen noch weiterleben können. Darum sah ich mich genötigt, meinen sicheren Gemeinde-dienst in Schweden aufzugeben und hinauszugehen, um zu versuchen, wenigstens einigen aus der Schar der Flüchtlinge zu helfen, mit sich und ihrem Lebensschicksal fertig zu werden ..

Audienz beim schwedischen König

Schon lange fühlt Forell sich nicht gesund. Aber in der Unrast seines Lebens hat er keine Zeit, sich zu schonen. Endlich, Anfang Januar 1956, geht Forell in Boräs zur Untersuchung ins Krankenhaus. Der Arzt ist nicht zufrieden. Er hält eine Operation für nötig. Sie soll am 19. März stattfinden. In der Zwischenzeit soll noch viel geschafft werden. Drei Tage später ist er in der Kirche von Stora Tuna, wo ihm der Bauernverband von Darlarna eine Spende von 36 000 Kronen übergibt. „Es war eine wirklich ergreifende Feier. Die Bauern waren von weither gekommen, darunter auch der 86jährige Bauern-könig Liss Olof Larsson, dessen Vater einmal Reichstagspräsident war und mit unserem König auf Du und Du gestanden hat. Der Sohn jedenfalls, ohne weiteres auf Du und Du mit mir, hat gesagt, ich müßte öfter zu ihnen kommen, dann würden sie schon Geld zusammenbringen. Es kommt ja auch tatsächlich Geld zusammen . ..“ Eine Woche später ist Forell in Deutschland. „Auf meinen vielen Reisen finde ich immer wieder ehemalige Kriegsgefangene, die plötzlich auftauchen und immer sehr hilfsbereit sind, wenn sie zufällig in eine Position gekommen sind, wo sie viel mit anderen Menschen zu tun haben. Neulich habe ich einen solchen Mann gesprochen, der Sprecher (der Gefangenen) in einem großen Krankenhaus (in England) war und damals sehr viel Gutes für seine Kameraden getan hat. Jetzt sitzt er in einem Ministerium und hat sich bereit erklärt, in unserer Arbeit mitzuhelfen. Solche Freunde habe ich nun hier und dort im Land, und es macht Freude zu sehen, wie die Hilfen, die wir damals den Männern hinter dem Stacheldraht geben konnten, sich nach zehn Jahren auswirken ...“ Forell verhandelt im Hilfswerk über eine Unterstützung der Bauern in der Zone, er besucht wiederangesiedelte Bauern in Rheinland-Pfalz, hält Vorträge, nimmt an Tagungen teil, macht einen kurzen Besuch im Spätheimkehrerlager in Friedland, um mit einigen Spätheimkehrern zu sprechen. Er ist voller Energie und entschlossen, noch keine Rücksicht auf die Krankheit zu nehmen. „Daß unsere Arbeit noch sehr dringlich ist, erfahren wir von so vielen Seiten und besonders von den Behörden, die uns mit großem Wohlwollen aufnehmen. Durch den ständigen Zustrom aus der Zone werden ja immer wieder die Planungen der Behörden auf den Kopf gestellt, und private Initiative ist deswegen so dringend nötig ..." Anfang März ist Forell wieder in Schweden und stürzt sich dort in die Arbeit. 3. März 1956: „Vortrag über , Die Arbeit der Schwedischen Kirchenhilfe in Deutschland'. Kollekte 804 Kronen." 4. März 1956: „Nachmittags nach Järsjö. Dort Vortrag über die . Flüchtlinge zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs'. 401 Kronen.“ 5. März 1956: „Vortrag in Hudiksvall . Flüchtlinge und Heimatlose'in schöner, mittelalterlicher Kirche. 245 Kronen.“ 6. März 1956: „Vortrag im Gemeindesaal Hu disvall. 265 Kronen.“ 7. März 1956: „Vortrag in Gärle. 335 Kronen.“ 9. März 1956: „Vortrag in Balsta. 300 Kronen. Zusagen für Patenschaften. Sehr gute Stimmung ..."

In Stockholm erwartet ihn ein Interview mit „Stockholms Tidningen" und am 13. März eine Audienz beim König. „In Stockholm war ich eine ganze Stunde bein König und habe dort so ziemlich alles erzählen müssen, was mit unserer Arbeit zusammenhängt. Am 8. April soll im Konzerthaus eine große Versammlung stattfinden, und zu dieser Veranstaltung soll sowohl der König als auch die Königin kommen. Um die Sache etwas schmackhafter zu machen, sind zwei berühmte Künstler gebeten worden, mit Gesang mitzuwirken, und auch ein bekanntes Kammerorchester. Wir tun also, was wir können, um die Öffentlichkeit warm zu halten, und das ist dringend nötig ..."

An Dr. Weerts schreibt Forell über diese Audienz: „Er (der König) hat sich über alle Einzelheiten unserer Methode unterrichten lassen. Der Besuch erinnerte stark an eine Prüfung bei einem Professor.“ („Das ärgste Examen“, schreibt er in einem anderen Brief.) „Er wollte alles wissen. Auch die Frage wurde erörtert, ob wir später mit einer nochmaligen Bitte wegen einer Spende von der Regierung kommen könnten ..."

Als Forell sich dann am 19. März im Krankenhaus meldet, findet der Arzt, „der Magen des . Prälaten'sähe übel aus“. Er wagt keine Operation, schlägt eine innere Behandlung von zwei Wochen Dauer vor und bestellt Forell auf den 12. April wieder ins Krankenhaus. Und wieder sind Forells Tage vollgestopft mit Arbeit. „Die große Versammlung in Stockholm war ein ganzer Erfolg mit 6600 Kronen Kollekte und einem sehr zufriedenen Königspaar. Das letzte, was der König beim Abschied im Konzerthaus gesagt hat, waren gute Wünsche für unsere weitere Arbeit in Deutschland. In einem Jahr werde ich mich wohl wieder zu einer Audienz melden und Bericht erstatten ..."

In einem anderen Brief schreibt Forell: „Schade, daß wir nicht jeden Monat eine solche Versammlung abhalten können. Sonst können wir uns nicht über die Schweden beklagen. Blekinge RLF hat unerwartet eine Sammlung abgeschlossen und uns 19 000 Kronen zur Verfügung gestellt. Wenn man bedenkt, daß Blekinge eine vollkommene Mißernte hatte, muß man diese Hilfe um so höher einschätzen ..."

Noch einmal verschiebt der Arzt die Operation auf Ende August.

Wiedei macht Forell sich auf die Reise nach Deutschland und in die Schweiz. 7. Mai 1956: „Beginn der Konferenz in Bossey. Lebhafte Diskussion über das Thema , Die Einstellung der Flüchtlinge zu dem neuen Vaterland'.“ 8. Mai 1956: „Neues Thema: , Die Einstellung der Flüchtlinge, die kein Vaterland haben.'Der Russe Tarnomeroff gab ein ausgezeichnetes Ex-pose über dieses Thema. Er mißtraut allen Regierungen. Abends wurde ein neuer Flüchtlings-film des Britischen Kirchenrats gezeigt...“

Die Rückreise aus der Schweiz benutzt Forell, um Flüchtlinge in Baden zu besuchen. 24. Mai 1956: „Nach Frankfurt. Beim Hilfswerk Besprechungen wegen Siedlungen in Hessen." 25. Mai 1956: „Siedlerbesuche.“ 26. Mai 1956: „Mehrere Siedlerbesuche.“ 27. Mai 1956: „Weitere Siedler, zum Teil in sehr primitiven Verhältnissen, besucht.“ 28. Mai 1956: „Familie aus Ostpreußen besucht. Sechs Kinder von 13 bis 22 Jahren. Ausreichend Land. Barmittel fehlen. Brauchen eine Kuh.“ 29. Mai 1956: „Zwei Siedlerfamilien besucht.“ 30. Mai 1956: „In Rheinland-Pfalz bei mehreren Siedlern.“ 31. Mai 1956: „Bei einem früheren Kriegsgefangenen aus dem Lager 21 in Schottland und jetzigen Siedler zu Besuch. Alte Erinnerungen. Zufrieden trotz harter Arbeit. Abends in Köln ...“

Und immer noch kommen Briefe von Bauern, die Forell bitten, sie zu besuchen, wenn er es möglich machen kann.

Es gibt keine Pause. 13. Juni 1956: „Mit Weerts Besprechung bei dem Finanzminister und verschiedenen ande-ren. c 14. Juni 1956: „Verhandlungen wegen neuer Siedlungsmöglichkeiten.“ 15. Juni 1956: „Kuratoriumssitzung in Bonn ...“

Forell kehrt nach Schweden zurück.

Am 28. August wird Forell operiert. Der Arzt ist zufrieden. Die Operation scheint gelungen. Aber vier Tage später tritt in der Nacht plötzlich eine Lungenembolie ein. Der Arzt gibt „Injektionen und Teufelsmedizin“.

Forell an Dr. Hartwell. 11. Oktober 1956: „Schon lange hast Du nichts von uns gehört, das hängt damit zusammen, daß ich drei Monate krank geschrieben war. Nun habe ich seit einigen Tagen anzufangen, zu arbeiten, aber mit langsamerem Tempo als bisher. Für die nächste Zeit muß ich mich etwas schonen, aber auf der anderen Seite gibt es hier so viel zu tun, daß ich froh bin, wieder in Köln zu sein. Auch mit langsamerem Tempo kann man etwas leisten. Die Arbeit geht an sich im selben Umfang weiter wie bisher. Wir sind schon fast auf tausend Familien gekommen. Das bedeutet aber, daß von jetzt an die eigentliche Betreuungsarbeit viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, und wir müssen zusehen, daß wir für diese Aufgabe freiwillige Hilfskräfte bekommen. Wir stellen immer wieder fest, daß die Menschen ein so großes Bedürfnis haben, sich mit jemand in aller Ruhe über ihre Sorgen zu unterhalten. Und dazu kommen Beamten im allgemeinen nicht. Ich habe natürlich allerlei versäumt durch meine Krankheit, und alles kann nicht wieder eingeholt werden. Aber das läßt sich nun nicht ändern. Eine große Freude hatte ich in der letzten Woche vor meiner Abreise nach Deutschland, als die letzte Sammlung in Schweden, die auf Gotland stattgefunden hat, in der Kathedrale in Visby übergeben wurde. Die guten Gotländer haben alle anderen übertrumpft. Wir rechneten mit 20 000 Kronen, und sie haben 40 000 gesammelt. Es ist erfreulich zu sehen, daß die große Bereitschaft noch vorhanden ist, wenn die Menschen nur persönlich angesprochen werden. Wir haben auch einige Zusagen aus den Gemeinden in Schweden bekommen und hoffen, daß diese Form der Patenschaftsarbeit fortgesetzt werden kann — wenigstens noch für die nächsten Jahre. Meine Amtsbrüder aber verlangen meistens, daß ich persönlich für die Sache in der Gemeinde spreche, und da komme ich oft mit der Zeit zu kurz . ..“

Deshalb gönnt sich Forell auch kaum eine Atempause, als er im November nach Schweden zurückkommt. 12. November 1956: „Vorbereitungen für die Vortragsreise.“ 14. November 1956: „Nach Langered. Vortrag in der Kirche. Kollekte 25 50 Kronen!" 18. November 1956: „Vortrag in der Kirche von Grams. , 300 000 Flüchtlingsbauern und die Arbeit der Kirche für sie'475 Kronen. Abends Vortrag in Segmor. Kollekte 142 Kronen.“ 19. November 1956: „Nach Bragvik. Schöne Kirche, aber wenig Leute. 75 Kronen.“ 20. November 1956: „In Nor Ungarn-Abend. Alle fachlichen und beruflichen Vereine mit Standarten angetreten. Ein Kommunist trägt die ungarische Fahne mit Trauerflor. Nach meinem Vortrag Kollekte 873 Kronen. 21. November 1956: „Vortrag in Segerstad. Die Kollekte von 523 Kronen wird zwischen Flüchtlingsbauern und Ungarn geteilt.“ 22. November 1956: „Großes Treffen des Bauernverbandes in Dädersjö. Der Vorstand teilte in einer Ansprache mit, daß etwa 100 000 Kronen durch ihre Sammlung einkommen und zwischen Flüchtlingen und Ungarn geteilt werden sollen. Nachher hielt ich meinen Vortrag.“ 16. Februar 1957: „Ich bin eben von einer langen Reise durch Jämtland, Dalarna und Smaland zurückgekehrt. Alle Menschen sind voll beschäftigt mit der Ungarnhilfe, und es ist nicht leicht, sie für etwas anderes zu interessieren. Gerade jetzt! Es regnet förmlich Geld für Ungarn, aber es ist schwer, Geld für unsere Flüchtlinge zu bekommen, die so leicht vergessen werden. Aber wir wollen nicht klagen. 1956 konnten wir 351 Familien zu einem neuen Hof verhelfen und wir hoffen, auch 1957 200 bis 300 Familien auf die gleiche Weise helfen zu können...“

Den Bauern der Zone darf nicht geholfen werden

Zweierlei liegt Forell jetzt sehr am Herzen. Das eine sind die Bauern in der Zone. Ihn beunruhigt der Widersinn, daß gesunde bäuerliche Betriebe durch politische Maßnahmen und überhöhte Abgabeforderungen dahin gebracht werden sollen, daß sie sich wirtschaftlich nicht mehr halten können. Er spürt darin die Zerstörung einer natürlichen Lebensordnung, die viel mehr bedeutet als Äcker, Vieh und Scheunen. Der Mensch, der darin getroffen wird, herausgerissen aus seiner Verwurzelung, ist der Willkür politischer Macht preisgegeben. Es ist der Gegenpol zu dem, was er selbst mit der Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe bezweckt. Auch da ist es nicht das Bauerntum als ein Wirtschaftszweig, für den er sich einsetzt, weder Bauernromantik noch etwas von der nationalsozialistischen Phrase von „Blut und Boden“. Viel tiefer ruht in ihm die Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Bindung des Menschen von Urzeiten her an die Fruchtbarkeit der Erde, die Abhängigkeit des menschlichen Lebens von Saat und Ernte, die nicht preisgegeben werden darf, ohne daß der Mensch gefährdet wird. Und wie Forell sich bemüht, unter den Flüchtlingen denjenigen wieder zu einem Acker zu verhelfen, die, an den Acker gebunden, nun durch die Gewalt der Ereignisse aus der Bindung herausgerissen wurden, so will er auch denjenigen, die auf ihrem eigenen Boden bedroht sind, bei-stehen, sich darin zu erhalten. Das kann nur durch praktische Maßnahmen geschehen, durch nüchterne Umsicht, aber dahinter steht unabdingbar für Forell die Überzeugung, daß alle wirtschaftlichen Erfolge nichts bedeuten, wenn nicht viel tiefer die zerstörte Ordnung wiederhergestellt werden kann, nicht in einem restaurativem Sinn, sondern in der Besinnung auf die Grundelemente des Lebens.

Forell bemüht sich, den Bauern in der Zone dadurch zu helfen, daß Landmaschinen aus Schweden in die Zone geschickt werden können. Aber es ist nicht wirtschaftliche Vernunft, die die Agrarpolitik in der Zone bestimmt, sondern der entschlossene Wille, eine politische Doktrin durchzusetzen. Die einzelnen Bauern sollen durch die Einrichtung der MTS, der Maschinen-und Traktorenstationen, in jeglicher maschinellen Arbeit auf dem Feld von der Partei abhängig gemacht werden. Sie sollen so zur Aufgabe ihrer Selbständigkeit und zum Eintritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gezwungen werden. Die Lieferung landwirtschaftlicher Maschinen, woher sie auch immer kommen, müßte gerade diesem Bestreben der herrschenden Partei entgegenwirken. Deshalb ist Forells Plan zum Scheitern verurteilt. Die Zonenregierung erlaubt diese Hilfe nicht.

Die Not der Frauen

Die andere Sorge Forells gilt der Lage der Flüchtlingsbäuerinnen auf den neuangesiedelten Höfen. „Ich reise sehr viel herum, besuche die betreffenden Familien und muß dann oft mit Schrecken feststellen, daß die Hausfrauen am Rande des Zusammenbrechens sind, weil sie einfach durch die langen Jahre des Flüchtlings-daseins und durch die Übernahme eines oft sehr schlechten Hofes überfordert sind... ” Er ist mit dem Vorstand des schwedischen Landfrauenverbandes durch Deutschland gefahren und hat überall das gleiche gesehen. Er hat sich bemüht, durch Patenschaftshilfe in den Häusern der Neusiedler moderne, praktische Küchen, wie sie in Schweden üblich sind, einzurichten. Er weiß, daß das kein Luxus ist, sondern Kraft-ersparnis für die Hausfrauen bedeutet. Aber auch diese Erleichterung genügt nicht, wenn die Kräfte verbraucht sind. Darum, so überlegt Forell, müssen die Bäuerinnen selbst erst wieder zu Kräften kommen, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden zu können. So entsteht der Gedanke, Freizeiten für die Flüchtlingsbäuerinnen einzurichten, auf denen sie sich in vierzehn Tagen gründlich erholen sollen. Die evangelische Kirche stellt ein Erholungsheim, Stromberg, in Rheinland-Pfalz zur Verfügung.

In Marianne Hamm v. Sahr, die selbst Flüchtling, Gutsbesitzerin aus Sachsen, ist, kennt Forell schon lange den Menschen, der besonders geeignet ist, sich dieser Frauen anzunehmen.

Sie hat mehrere Fahrten zu Neusiedlern unternommen und kennt die Situation. „Sie hat eine besondere Fähigkeit, mit Menschen Kontakt zu finden. Sie versteht die Sprache der Bauern und ihre Sorgen und Nöte und nicht zum mindesten die vielen Schwierigkeiten der ermüdeten Bäuerin. Mit der Sicherheit ihres Glaubens kann sie auch Menschen in seelischer Not helfen. Ein befreiender Humor hilft Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen und von den Gästen in Stromberg ist sie vielen ein Freund fürs Leben geworden“, schildert Forell sie.

Er verfaßt einen kleinen Aufsatz, um in Schweden für diese neue Aufgabe, die der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe zuwächst, zu werben. „Ein Flüchtlingsbauer schrieb uns: , In einigen Tagen wird es wieder Weihnachten, das Fest der Freude und der Liebe, und das ist auch für uns Bauern eine stillere, ruhigere Zeit. Da will ich nicht versäumen, Ihnen und unsern Berufskollegen in Schweden unsern warmen Dank zu sagen für die Hilfe, die wir als Aufbauzuschuß für unsere Landwirtschaft bekamen. Aber ganz besonders danken wir dafür, daß Mutter die Freizeit in Stromberg mitmachen konnte.

Sie kam wie ein neuer Mensch zurück . . .'Das ist nicht der einzige Dankesbrief, den wir von unsern Flüchtlingsbauern bekamen. Nun sind es 1400 Familien, die einen neuen Hof bekommen haben. Es ist wie eine Revolution im Leben eines Flüchtlingsbauern, wenn er nach jahrelangem Warten einen neuen Hof übernimmt und wieder Bauer wird. Das ist nun nicht, daß man sich an einen gedeckten Tisch setzt und alles fix und fertig vorfindet. Schwere Arbeit in fremder Umgebung erwartet ihn, mit anderen Arbeitsmethoden, neuen Sitten und Nachbarn, die oft einen mehr oder minder unverständlichen Dialekt sprechen. Oft ist der Hof in schlechtem Zustand. Das wird ein Jahre dauernder harter Kampf, bevor man alles so weit hat, daß man sein Auskommen findet. Alle müssen überall mitanfassen. Oft liegt die schwerste Arbeit auf den Schultern der Bäuerin, die auf Acker und Wiese, im Stall und in der Küche arbeiten muß und dazu noch dem Mann helfen, den Kopf hochzuhalten, wenn er nach einem langen Arbeitstag in der Ofenecke sitzt und grübelt, wie er mit Abzahlungen und Krediten fertig werden soll..."

Forell übernimmt die Schilderung des Schicksals einer Frau aus dem Bericht über die erste Frauenfreizeit in Stromberg von Frau Hamm. „Die Unterhaltung zieht sich anfangs etwas schleppend hin. Es ist alles noch so ungewohnt. Da hat man seine besten Kleider an und sitzt am Tisch, den ein anderer gedeckt hat. Aber bald tut der Kaffee das Seine. Man wendet sich an seine Nachbarin, fragt, erzählt, hört zu. Als die Dämmerung kommt, gehen die Gedanken heim. Es ist bald Zeit zum Melken. Wie das wohl ohne Mutter gehen wird? Nie hätte sie gewagt, an Ferien zu denken, wenn sich nicht die ganze Familie gegen sie verschworen hätte und alle Einwendungen niedergeredet. Seltsam ist das alles. Aber man sieht dem Jetzt und der Zukunft ruhiger entgegen. Nicht, als ob man die Vergangenheit vergessen könnte. Die Narben der letzten zehn Jahre schmerzen noch immer. Nicht nur daß sie Haus und Hof verlassen mußten, daß sie Tage und Nächte mit Pferd und Wagen auf dem zugefrorenen Haff fest-saßen im Januar 1945. Hinter ihnen Feuer und Rauch der Geschütze und Fliegerbomben, vor ihnen das schwarze Eis. All das hätte man noch ertragen können. Aber die Männer wurden verschleppt, die erwachsene Tochter vor ihren Augen mißhandelt. Die Kinder erkrankten und starben. Eiskalt pfiff der Sturm über das Haff.

Würde sie es schaffen und in Sicherheit kommen, bevor ihr Kind geboren würde? Eine Frau aus Ostpreußen verweilt beim Gedanken an diese Erlebnisse und an die erste Zeit der Mühseligkeiten in Holstein, als in fast jedem Haus Flüchtlinge saßen. Glücklicherweise gibt es auch andere Erinnerungen. Es werden Freundschaften zwischen Einheimischen und Flüchtlingen geknüpft. , Als wir von Niedersachsen herzogen, da weinten die meisten — wir auch', erzählt eine andere Frau, . und der Bauer, bei dem wir wohnten und arbeiteten, gab uns eine Zuchtsau mit.

Das war ein Glückschwein, denn es brachte uns 17 Ferkel'. So erzählen die Gäste von Strom-berg. Nun haben sie nach jahrelangem Warten einen Hof in Rheinland-Pfalz übernommen.

Aber was hat man alles durchgemacht, bis es so weit gekommen ist! Während sie erzählt, sinkt die Frau in sich zusammen. Sie weiß nicht, wie sie fortfahren soll. Die Erinnerung bringt sie zum weinen. Sich ausweinen tut gut.. Geht cs den Deutschen gut?

So überzeugt Forell ist, daß die Flüchtlingsarbeit in Deutschland fortgesetzt werden muß, und so sehr er auf seinen Reisen durch die schwedischen Provinzen sich bemüht, dafür zu werben, soviel menschlich Erfreuliches er dabei erfährt — er kann sich nicht verhehlen, daß die große Spendenfreudigkeit vom Anfang längst nicht mehr da ist. Er ist zu nüchtern und zu praktisch, um sich nicht die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zu überlegen. „Sie werden dafür Verständnis haben", schreibt er schon zum Jahresende 1956, „daß wir auf unbeschränkte Zeit nicht in dem bisherigen Umfang unsere Arbeit weiter betreiben können. Wir müssen uns wohl überlegen, wie wir eine Überbrükkung zu einer Tätigkeit in etwas bescheidenerem Ausmaß finden können. Uns liegt daran, daß eine kommende Abwicklung so vorgenommen wird, daß wir die Erfahrung, die wir in einer bald fünfjährigen Tätigkeit gemacht haben, den vertriebenen Bauern noch auf Jahre hinaus zugute kommt. WiY haben uns schon mit staatlichen Stellen in Bonn über diese Frage unterhalten. Aber für das Jahr 1957 werden wir wohl im bisherigen Umfang unsere Tätigkeit fortsetzen können.“ Das Jahr 1957 bringt keine wesentliche Änderung. Die Spenden gehen. weiter zurück. Das mag zum Teil durch die Krankheitszeit Forells bedingt sein, vor allem aber ist das schwedische Interesse durch die ungarische Revolution und die Unterstützung ihrer Opfer von der Hilfe für die deutschen Flüchtlinge abgelenkt. Auch läßt die Blüte der westdeutschen Wirtschaft eine Hilfe durch das Ausland immer weniger dringend erscheinen. Aus Schweden gehen die Spendeneingänge von 162 000 DM im Jahr 1956 auf 40 000 zurück, aus deutschen Industriekreisen, wobei aber auch schwedische Firmen in Deutschland eingeschlossen sind, von 187 000 auf 99 000. Dafür haben sich aber die Staatszuschüsse für die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe erheblich erhöht.

Am 13. April schreibt Forell an Bischof Dibelius: „Die Situation hier und in Schweden ist so, daß wir damit rechnen müssen, unsere Arbeit in der bisherigen Form im Laufe des nächsten Jahres etwas stärker in deutsche Hände zu übergeben. Die Auffassung, daß die Bundesrepublik aus eigener Kraft die Flüchtlingsnot wenigstens wirtschaftlich beheben kann, breitet sich bei uns immer mehr aus. Meine Werbung für diese Arbeit in Schweden wird deshalb mit jedem Monat schwieriger. Im Einverständnis mit unserem Vorstand habe ich deshalb meinem deutschen Mitarbeiter, Dr. Weerts, sagen müssen, daß er wohl im Laufe des nächsten Jahres als unser Geschäftsführer ausscheiden muß und wir als Deutsch-Schwedische Flüchtiingshilfe unsere Arbeit verkleinern. Das gilt nun aber nicht für mich persönlich. Ich habe nicht die Absicht, das Schiff zu verlassen, sondern ich bleibe, solange wie Gott mir die nötige Kraft dazu gibt und solange ich sehe, daß meine Anwesenheit in Deutschland wirklich nötig und erwünscht erscheint. Die seelsorgerische Betreuung der Familien soll selbstverständlich in den Händen der Gemeindepastoren liegen, aber es sind so viele Vermittlungsdienste nötig, daß ich noch lange volle Beschäftigung haben kann. Zum Schluß möchte ich nicht versäumen, Ihnen persönlich dafür zu danken, daß Sie mich aus meinem , Heimatland vertrieben'haben. Die Arbeit war nicht leicht, aber es war eine schöne Arbeit, und ich habe es nicht bereut, daß ich damals Ihrem Ruf gefolgt bin ..

Bei der Jahresversammlung der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe im Mai 1957 ist der Bundesminister für Vertriebene persönlich anwesend. „Er war ziemlich entsetzt, als das Kuratorium ihm erklärte, daß eine Abwicklung im bisherigen Umfang im Laufe des Jahres 1958 unmöglich wäre. Er hob sehr engerisch hervor, daß die Eigenart unserer Arbeit so sei, daß der Staat allein diese Aufgabe nicht meistern könne und daß es schließlich nicht nur eine Angelegenheit von hohen Spenden wäre ...

Er verwies auf den sogenannten . Grünen Plan'und meinte, daß man davon für die Weiterführung der Arbeit eine gewisse Hilfe bekommen könnte ..."

Forell fügt hinzu: „Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß die eine staatliche Stelle nun nicht die Mitverantwortung für diese Arbeit von sich auf andere staatliche Stellen abschiebt unter Gebrauch von dem wunderbaren deutschen Wort . Zuständigkeit'...“ Längst aber hat die sachliche, zuverlässige und unbürokratische Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe das Vertrauen, die Zustimmung und weitgehende Unterstützung der Behörden, mit denen sie bei Wiederansiedlungsfragen zusammenzuarbeiten hat, gefunden. Es ist nicht nur der Vertriebenenminister, es sind viele andere Dienststellen im Bund und auch in den Ländern, die das Wirken der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe nicht mehr missen wollen. „Wir arbeiten ungefähr wie gewöhnlich auf deutscher Seite, aber in Schweden können wir nicht so viel tun, weil die deutsche Währung so hoch steht, daß alle Menschen glauben, daß es den Deutschen viel zu gut geht und sie deswegen keine Hilfe mehr nötig haben ...", schreibt Forell am 23. Oktober 1957 an seinen Freund Dr. Pfefferkorn. „Uns beschäftigt natürlich die Frage, wie im nächsten Jahr die Arbeit weitergehen soll, und wir hoffen, daß wir allmählich eine Lösung finden können..."

So wird die darauffolgende Jahresversammlung am 10. Juni 1958 zu einem großen Rechenschaftsbericht über die bisher geleistete Arbeit. Über drei Millionen DM sind an Spenden und staatlichen Zuschüssen für die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe zusammengekommen. In 1644 Fällen wurde materielle Hilfe gegeben, darunter in über 500 Fällen Flüchtlingsbauern durch die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe direkt ein Hof vermittelt, 121 Flüchtlingsbäuerinnen sind auf Freizeiten gewesen. Aber wie soll es weitergehen?

Oberregierungsrat Palmer vom Bundesvertriebenenministerium bittet mit eindringlichen Worten, die Arbeit der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe noch nicht einzustellen. „Gesetze sind leere Schalen und Hülsen, wenn nicht wirkliche Menschen sie anwenden“, sagt er. „Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe ist nicht von irgendwelchen Verordnungen abhängig, darum ist sie eine so glückliche Ergänzung der Behörden." Auch der Präsident des Bauern-verbandes der Vertriebenen, Baur, unterstreicht die Notwendigkeit, das Wirken der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe fortzusetzen. Er sagt dafür jede Unterstützung zu.

Es ist eine große Apotheose.

Es wird beschlossen, die direkte Spendenwerbung sowohl in Schweden wie in Deutschland nun ganz einzustellen, die Tätigkeit derDeutschSchwedischen Flüchtlingshilfe aber soll, wenn auch in verkleinertem Umfang, weitergehen und die Arbeit weiterhin aus unaufgefordert eingehenden Spenden und staatlichen Zuschüssen bestritten werden. Dr. Weerts erklärt, er fühle sich der Sache so verbunden, daß er „trotz seiner wirtschaftlich auf die Dauer ungesicherten Existenz" weiterarbeiten wolle.

Forell ist froh. „Wir haben gerade die Jahres-versammlung hinter uns . ..“, schreibt er seiner Frau. „Wir haben so gut abgeschlossen, daß wir 400 000 DM für 1958/59 zur Verfügung haben, wobei wir zukünftige Spenden noch nicht einrechnen, sondern nur das, was wir jetzt schon haben. Das bedeutet, daß wir bis zum Ende des nächsten Jahres so weiterarbeiten können wie bisher. Die beiden Vertreter der Bundesregierung in Bonn, die anwesend waren, versprachen, uns zu helfen, soviel staatliche Beihilfe zu verschaffen, daß es reicht, die Organisation in Gang zu halten. Wir werden also praktisch gesehen alles andere Geld zur direkten Hilfe für die Flüchtlingsbauern verwenden können ..

Er ist voll neuer Pläne und Energien.

Wieder ist Forell bei „seinen Bauern“. Es bedrückt ihn, daß er nie genug Zeit dafür hat, denn hier spürt er seine eigentliche Aufgabe. „Ich war auf einer Rundreise bei annähernd 20 Familien, und mein erster Besuch galt unserm Freund E. Dort nehmen die Sorgen kein Ende. Sie haben eine Kuh durch die Tbc-Umstellung verloren, schlechte Ernte und allerlei Schikanen haben das Ehepaar ziemlich mitgenommen. Um ihnen über das Ärgste hinwegzuhelfen, habe ich ihnen aus meinen Ersparnissen 1500 DM geliehen, damit sie sich eine Kuh kaufen können, und nun war er heute hier, holte sich das Geld und ging damit zum Viehmarkt. Wir haben die Kuh schon im voraus Birgitta getauft Er sah heute schon ruhiger aus und wenn Birgitta ihm über Müdigkeit und Verzweiflung hinweghilft, so habe ich eine gute Kapitalanlage gemacht...“

Forell rüstet zur Reise nach Schweden. Wie immer liegt für ihn Espelkamp als Station am Wege.

Diesmal ist es ein großer Tag, als er nach Espelkamp kommt. Ein berühmter Chor aus Stockholm ist unterwegs nach Paris und hat sich in Espelkamp angesagt. So klein es ist, man hat in Schweden so viel davon gehört, daß der Chor es sehen will. Als die Espelkämper ihre Gäste durch den ganzen Ort führen, erklären und erzählen, wie alles entstanden ist, sind die Schweden stolz auf ihren Landsmann, den sie immer wieder dankbar den „Vater Espelkamps* nennen hören.

Als sie am Abend Forell selbst in Espelkamp treffen, beschließen sie, ihn zu ihrem Ehrenmitglied zu machen und überreichen ihm ihre goldene Nadel. Forell ist von dieser Geste sehr ergriffen. In seinem Dank sagt er, wie er schon als junger Student aufgefordert worden sei, die-sem Chor beizutreten. Er hätte es gern getan, aber er sei zu arm gewesen, um wegen der vielen Auslandsreisen des Chors vielleicht ein ganzes Jahr seines Studiums zu opfern.

So habe er damals verzihten müssen, aber der Verzicht hätte ihn immer geshmerzt, denn er sei sih wohl bewußt, weihe Ehre es sei, diesem Chor anzugehören — und nun nah 40 Jahren werde ihm dieser Wunsch erfüllt... Der Chor singt und Forell singt mit; Am anderen Tag fährt er nah Shweden.

Dort ist Forell am 4. Juli 1958 an einem Herzinfarkt gestorben.

Birger-Forell-Stiftung

Die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe hat anderthalb Jahre nach Forells Tod ihre Arbeit eingestellt. Es war war nicht Mangel an Arbeit — Aufgaben gab es genug, es war auch nicht Mangel an Geld; Dr. Weerts drängte auf ein Ende. Er wollte auch nicht die Arbeit in andere Hände übergeben.

Das Kuratorium stimmte zu.

Zur gleichen Zeit wurde in der Zone der letzte Rest eines freien Bauernstandes unter politischen Drohungen und Zwang ausgelöscht, wurden 250 000 Bauern „freiwillig“ enteignet und in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gezwungen.

Unter dem Eindruck dieser Vorgänge in der Zone und nachdem die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe aufgelöst war, entschloß sich die Evangelische Kirche in Deutschland im Oktober 1961 eine „Birger-Forell-Stiftung“ ins Leben zu rufen. In ihr sollen, in Fortführung der Aufgaben, die Forell der Deutsch-Schwedischen Flüchtlingshilfe gestellt hatte, als deutsche Dankesschuld dem Vermächtnis Forells gegenüber den Bauern unter den Vertriebenen und Flüchtlingen, die noch nah Land streben, und denen, die auf neugesiedelten Höfen schwer um ihre wirtschaftliche Existenz zu ringen haben, geholfen werden, in neuem Boden festzuwurzeln.

Espelkamp hat 1959 die Förderschule für spätrückgeführter Kinder und Jugendliche nah Forell genannt. In Neugnadenfeld soll eine Straße nah ihm heißen. Der Leiter der Evangelishen Flühtlingsseelsorge in Berlin, Superintendent Karl Ahme, ließ in seiner Verbundenheit mit der Arbeit Forells am Neubau des Hauses der shwedischen Viktoriagemeinde in Berlin, dort wo Forell in den Jahren von 1928 bis 1942 gewirkt hatte, eine Erinnerungstafel anbringen. Am 25. Januar 1961, bei der Einweihung der Tafel, die ein Flüchtling, Bildhauer Kunz Rihter, in Kupfer trieb, sagte Bishos Dibelius in seiner Festansprahe: „Wir shauen aus nah Leitbildern einer Arbeit, die frei ist von jedem persönlihen Ehrgeiz, von jedem persönlihen Eigennutz, die wirklih nur anderen Menshen dienen will um Jesu Christi willen. Birger Forell ist uns ein solhes Leitbild, und ih denke, überall wo sein Gedähtnis bekannt wird, wo die Menshen etwas erfahren von dem, was er in aller Stille an Großem geleistet hat, da wird von diesem Gedähtnis auh ein Segen ausgehen . . .“

Forell war durhaus ein Mensh unserer Zeit. Niht nur, daß er berufen wurde, die geistige und materielle Not dreißig schicksalsvoller Jahre als Seelsorger zu erfahren; er stellte sih freiwillig dieser Not, um an ihren Brennpunkten unermüdlih darum zu ringen, die Kräfte zu mobilisieren, die der großen Zerstörung standhalten könnten.

Er selbst hat nie irdishe Reihtümer besessen. Er war auh kein Funktionär einer caritativen Organisation, er verstand es nur mit seiner praktishen Hilfsbereitshaft, das Vertrauen seiner Mitmenshen zu gewinnen, und er hatte die große Gabe, sie zur Tat mit sich fortzureißen, die einen, daß sie sih im Erkennen ihrer Mitverantwortung dafür einsetzten, die Not überwinden zu helfen, die andern, daß sie in der Hilfe, die sie erfuhren, die Ermutigung spürten, ihre eigenen Kräfte anzustrengen, um sih aus ihrer zerstörten Existenz wieder herauszuarbeiten.

Man hat Forell einen „Brückenbauer“ genannt. Er war es niht nur in dem Sinn, daß er über die aufgerissenen Abgründe zwishen den Völkern hinweg zum Verständnis für den Anderen beitrug, indem er das Fremde in seiner Eigenart bestehen ließ, ohne es ändern zu wollen und doh darüber das Gemeinsame aufrief und verteidigte. Er wurde dadurh zum großen Mahner mitmenshliher Brudershaft und zum „ökumenishen Wandersmann", der die Botschaft, der er sih in seinem Gewissen verpflihtet wußte, über alle Zerrissenheit der Zeit und die konfessionellen Gegensätze hinweg zu denen trug, die der Hilfe bedurften.

Die frühere Wohltätigkeit, die dem Hilfsbedürftigen zu geben bereit war, wessen er zum Leben bedurfte, gleihzeitig aber die Armut fast als ein Makel ansah, kann heute keine Gültigkeit mehr haben. Das soziale Gewissen unserer Zeit ist empfindlicher und zugleih verantwortungsbewußter geworden. Not ist allgemeiner. Es gibt nihts, das niht jeden zu jeder Stunde treffen könnte. Und es liegt niht in der Kraft oder in der Geschicklichkeit des einen oder des anderen, vershont zu bleiben oder Opfer zu werden. Gerade darum aber ist die Hilfe aus brüderliher Mitverantwortung an den in Not geratenen das Gebot der Zeit.

In dieser Überzeugung hat Forell gelebt und aus ihr heraus gehandelt. Daß die ihn treibende Kraft aus seiner hristlihen Überzeugung kam, hat Forell niemals vershwiegen, aber er forderte von keinem, dem er half, daß auh er ein Christ sei. So nühtern und zugleih so phantasievoll er die praktishe Hilfe angriff und immer wieder variierte, so gab es doh für ihn kein Zweifel, daß alles Materielle niht mehr sein konnte als ein äußerer Shutzmantel, unter dem sih die seelishe Stabilisierung vollziehen sollte. Er ließ dabei jedem einzelnen die Freiheit, sih selbt zu entsheiden, und er respektierte diese Entsheidung. Er hatte Freude an jegliher menshliher Eigenart, und auh wenn sie ihm mühsam zu ertragen war, bemühte er sih, sie in ihren Beweggründen zu verstehen.

So wirken viele Kräfte in Forells Handeln, Toleranz und Führung, Realismus und Phantasie, Idealismus und Nühternheit. Das Besondere an Forell ist aber niht die Fülle seiner „guten Werke“, sondern die Güte, mit der er sie tat. Es ließe sih dafür der Lobgesang der Liebe aus dem Korintherbrief anführen. Die selbstlose Liebe ist dem Menshen niht aus seiner Natur angeboren, sondern ist die Fruht einer unermüdlichen Selbsterziehung und Selbstüberwindung. So wenig Forell in all seinen Gesprähen und shriftlihen Mitteilungen über sih selbst ausgesagt hat, diese strenge Selbsterziehung zur Güte durhdringt sein Leben und bestimmt sein Handeln, bis er vielen seiner Mitmenshen als das ershien, „was Gott gemeint haben mag, als er den Menshen ins Leben rief . . Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Robert J. Alexander: Die kommunistische Durchdringung Lateinamerikas Walter Bußmann : Friedrich Meinecke Jakob Hommes: Kommunistische und freie Gesellschaft philosophisch kontrastiert K. A. Jelenski: Die Literatur der Enttäuschung Prhr. v. Lansdort: Sowjetische Wirtschaftspolitik Walter Z. Laqueur: Rußland mit westlichen Augen Helmut Schmidt: Was bedeutet heute eigentlich rechts ?

Gerhard Stoltenberg : Was heißt heute eigentlich links ?

Hermann Weber : Die Parteitage der KPD und SED Egmont Zechlin: Friedensbestrebungen und Revolutlonlerungsversuche (IV. Teil)

Dreißig Jahre danach. Hitlers Machtergreifung in der Sicht deutscher und ausländischer Historiker

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: Harald von Koenigswald, Münstereifel, freier Schriftsteller, geb. 21. März 1906.