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Sozialismus in der Entwicklung -Kommunistische und freie Gesellschaft | APuZ 8/1963 | bpb.de

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APuZ 8/1963 Sozialismus in der Entwicklung -Kommunistische und freie Gesellschaft

Sozialismus in der Entwicklung -Kommunistische und freie Gesellschaft

Jakob Hommes

Einführung

Inhalt Einführung Der verzweifelte Humanismus der kommunistischen Gesellschaft Überwindung der menschlichen Selbst-entfremdung Das philosophische Gerüst des Kommunismus Mystischer Materialismus Mystischer Kollektivismus Mystische Diesseitigkeit Gnostisch-gewalttätige Gegen-religiosität Der verzweifelnde Humanismus der westlichen Gesellschaft Die Krise des westlichen Humanismus Die technizistische Mystik der Erde Die Enttäuschung der Jugend Der neue Sozialismus der Existentialphilosophie Die positive Gegenlosung

In dem elementaren Welt-und Lebensgefühl der heutigen Menschheit, wie es als eine Art Glaube vor allem die Ordnung in der Gesellschaft trägt, ist eine tiefgreifende Entwicklung, ja ein Umbruch im Gange. Das Ergebnis dieses Umbruches wird eines Tages Weltgeschichte machen, darum verdient er unsere höchste Aufmerksamkeit.

Immer formuliert sich das tragende Welt-und Lebensgefühl des Menschen in seiner Philosophie Die kritische Durchleuchtung der Philosophie einer Zeit wirkt daher stets wie ein Seismograph, der die Bewegung der Tiefe registiert. noch bevor sie an die Oberfläche tritt und dort ihre allen sichtbare Richtung und Kraft entfaltet. In den beiden politischen Hemisphären, in die die Welt heute sich aufgeteilt hält, der östlichen und der westlichen, treffen wir auf diese geistige Grundbewegung der Gegenwart, die wir hier in ihrer Tendenz darstellen und würdigen wollen; sie verläuft in ihnen zwar nicht völlig einheitlich wie in kommunizierenden Röhren. aber eine Kommunikation der geistigen Entwicklung ist in beiden Lagern gegeben auf Grund ihrer gemeinsamen Wurzel im europäischen Humanismus und dem mehr oder weniger zwangsläufig aus ihm hervorwachsenden Sozialismus. Unter Sozialismus wird dabei die — im einzelnen verschieden weitgehende — Verleugnung der eigenständigen Einzelwesentlichkeit der einzelnen und die unmittelbare Einordntng der einzelnen in ein gesellschaftliches Groß-und All-wesen verstanden. Wenn wir daher in dem so verstandenen Sozialismus der Gegenwart einen Umbruch und Umschlag feststellen, so geht es dabei um nichts Geringerers als um eine neue schicksalhafte Einordnung des einzelnen in das Ganze und damit um die Grundsituierung des Menschen in der Gegenwart.

In einer elementaren Umschichtung finden wir heute auch den die westliche Welt tragenden Humanismus und Sozialismus, und es fragt sich, in welche Beziehung zum Kommunismus wir dabei kommen werden.

Wie ein Alptraum lastet der Kommunismus auf der Seele der Völker. Wir haben alle das Gefühl, daß hier im Gefüge der Menschheit als solcher eine elementare unbewältigte Krise schwelt. Diese innere Unsicherheit, ja Angst, die uns angesichts des Kommunismus beschleicht, müssen wir packen und aufarbeiten; wir müssen uns klar werden, was hier an Entzweiung in dem einen Körper der Menschheit geschieht, und was wir an diesem unserem gemeinsamen Körper der Menschheit und in der ihn belebenden Seele, dem humanistischen Glauben des Menschen, vor allem an sich selbst, zu tun haben.

Im Kommunismus hat sich offenbar ein uns fremdes Seelentum zu einem System verdichtet und politisch formiert; aber dieses uns fremde Wesen ist nicht nur uns geographisch benachbart und für uns, ob wir es wollen oder nicht, der weltpolitische Partner, es beruft sich zu seiner Rechtfertigung auf uns selbst, auf unseren eigenen Humanismus — als „den mit dem Humanismus zusammenfallenden Materialismus“ definiert ihn Marx. Diese Berufung des Kommu3 nismus auf den Humanismus wird manchen Humanisten ärgern, aber vor allem sollte sie uns beunruhigen. Schauen wir in den Spiegel hinein, den der Kommunismus uns vorhält! Ist das in ihm formierte Seelentum uns wirklich so fremd, d. h. sind wir davon noch so weit entfernt, wie wir glauben? An welchem Punkt müssen wir daher die Unterscheidung unserer selbst von dem kommunistischen Wesen mit vollem und entschlossenem Bewußtsein tätigen?

Unser Humanismus, der Glaube des Menschen an sich selbst, ist durch diese Existenz des Kom-munismus als solche in eine entscheidende Krise getreten. Unter dem Zeichen des Humanismus ist die Welt zu einer Einheit geworden, aber in diesem einen Körper der Menschheit ist, und zwar gerade in der ihn einheitlich belebenden und dirigierenden Seele, dem Humanismus, ein ungeheurer Auseinanderbruch eingetreten: der eine Teil dieses Menschheitskörpers ist sozusagen in die Sezession gegangen; befremdet, anklagend, feindselig stellt er sich dem übrigen Ganzen gegenüber mit dem Entschluß, dieses übrige Ganze der Menschheit nicht etwa sich selbst zu überlassen, sondern seinerseits gewaltsam anzugehen und auf die eigene Linie herumzudrehen. Dieser innere Auseinanderbruch unserer ganzen Gattung, des einen Menschheitskörpers, der auch uns trägt — das ist der eigentliche Grund der tiefen Unruhe, die uns bei dem Gedanken an den Weltkommunismus befällt und wahrhaft wie ein Alptraum bedrückt.

Was im Kommunismus die Gesellschaftsordnung als Prinzip oder geistiges Gerüst bestimmt, das ist ein alles tragender Glaube, also nicht, wie man es häufig darstellt, ein rational ersonnenes wirtschaftlich-politisches System zur Sicherung bestimmter Zwecke — oder gar noch, wie man da oder dort geringschätzig feststellen zu können glaubt, ein System voller Ungereimtheiten und Widersprüche; — mit solchen „Widerlegungen“

werden wir dem weltgeschichtlichen Phänomen des Kommunismus nicht gerecht, das sind Luftstreiche, die seinen ehernen Gang nicht aufhalten, die uns vielmehr daran hindern, dem weltgeschichtlichen Phänomen des Kommunismus uns wirklich zu steilen.

I Um einen tief sitzenden Glauben handelt es sich beim Kommunismus, um einen Glauben, der sich in der Tat aus jenem humanistischen Glauben ableitet, wie er auch bei uns im Westen die Gesellschaftsordnung trägt und wie er sich heute zu einer menschheitlichen, die ganze Welt umfangenden Grundgesinnung und öffentlichen Ordnung, zu einer Weltzivilisation entfaltet. Auf dem XXII. Parteitag der KPdSU hat Chruschtschow erklärt: „Das Hauptergebnis des Vormarsches der Gesellschaft in unserer Epoche ist die Bildung des sozialistischen Weltsystems“. In der Tat deutet sich das Erwachsen einer Art einheitlichen Weltzivilisation an. Ob diese aber, wie Chruschtschow meint, den „Triumph des Sozialismus im Weltmaßstab“ bedeuten wird — das hängt von uns ab. Stützt sich etwa Chru-schtschow auf die Vorstellung, daß wir selber dein Kommunismus entgegenreifen? Sicher ist, daß das Wesen des Kommunismus erforschen, dies bedeutet: in uns selbst hineinschauen und zusehen, wie es mit uns, mit unserem eigenen geistigen Wesen steht. Wenn, wie es in einer Schrift über „Das Fadi Philosophie in der So-wjetzone" geschehen ist, davor gewarnt wird, diese kommunistische Philosophie philosophisch ernst zu nehmen, so kann ich dazu nur sagen: Wollten wir dieser Parole folgen und unseren Gegner geistig-philosopisch nicht ernst nehmen, dann hätten wir in dieser großen Auseinandersetzung, die uns bevorsteht, von vornherein verspielt.

Aus der kommunistischen Glaubensgrundlage also wollen wir, auf Marx zurückgehend, in einem ersten Teil unserer Betrachtung die Gesellschaftsordnung des Kommunismus ableiten und dadurch verstehen; im zweiten Teil werden wir dann der kommunistischen Gesellschaftsordnung unsere westliche Gesellschaftsordnung gegenüberstellen, aber dabei uns fragen, ob das Prinzip, das sich in unserer eigenen Ordnung ebenfalls von Marx her formiert, der westliche Humanismus also und seine gesellschaftspolitische Folgeform, der Sozialismus marxistischer und nachmarxistischer Prägung, dem Kommunismus wirklich Widerstand zu leisten, zumindest unter welchen Bedingungen allein er das vermag.

Der verzweifelte Humanismus der k o m m u n i s t i s c h e n G e s e 11 s c h a f t

Auch im Kommunismus ringt der Mensch um einen Glauben, und der Glaube, auf den sich Marx ausdrücklich beruft, ist der Humanismus, d. h.der Glaube des Menschen an sich selbst oder daran, daß die Welt es dem Menschen gestattet und ihn geradezu auffordert, sidt auf sich selbst zu stellen — auf sich selbst, d. h. auf den Menschen als auf die für die Ordnung der Welt allein zuständige Instanz. Den Menschen und nicht Unmenschen, so fordert in diesem Rahmen Marx, müssen die gesellschaftlichen Verhältnisse dem Menschen darbieten. In der Welt dem Menschen den Menschen zu sichern, ihm die Welt heimatlich zu machen — zu diesem Streben kommt Marx von weither und mit einem Glauben, der das Ganze des Daseins allgewaltig umgreift und aus seiner angeblich deformierten Gestalt wieder zurechtbiegen will, wieder zurechtbiegen zu können glaubt. Überwindung der menschlichen Selbstentfremdung In all seinem angeblich nicht mehr utopischen, sondern wissenschaftlidten Sozialismus denkt Marx aus einem merkwürdig inbrünstigen, ja ekstatischen Glauben heraus. Er definiert das Wesen des Kommunismus als „Rückkehr des Menschen“ aus aller Entfremdung seines Wesens heraus in seine Wahrheit, in jenen seinen ursprünglidien und eigentlichen Stand zurüd^, der bisher in der Geschichte, ausgenommen die Urgeschichte, verlorengegangen sei, der aber jetzt, im technisch-industriellen Zeitalter, wiederhergestellt werden könne.

Die Selbstentfremdung des menschlichen Wesens liegt für Marx im Privateigentum, dieser rechtlich-politischen Sicherung der personalen Eigenständigkeit des Menschen, beschlossen.

Darum verkündigt er die Rückkehr des Menschen „in sein menschliches, d. h. gesellschaftliches Dasein“. Das gesellschaftliche Dasein, ge-

nau.: das absolut gesellschaftliche, das total vergesellschaftete Dasein, wird als die rettende Wahrheit des Menschen angestrebt — aus seiner währenden und jetzt noch wachsenden Unordnung und Unwahrheit heraus. Marx denkt, um das schon hier vorgreifend als These aufzustellen, als Kommunismus die Verzweiflung des Menschen an der großen Kraft, die bis dahin die Welt zu tragen beansprucht hatte, die Verzweiflung an der Macht des personalen Gewissens und den Glauben nur noch an das gesellschaftliche Dasein und damit den Glauben nur noch an das Gewaltsystem der Gesellschaft. Verzweiflung an der Kraft des Gewissens, Vertrauen nur noch auf die Gewalt — das ist das Grundwesen des Kommunismus.

Ein endgültiger Riff und Brudt hat im Kommunismus stattgefunden. Wir müssen ihn sehen als das System der Verzweiflung an dem personalen Gewissen und seiner Kraft, die Welt in Ordnung zu halten. Marx kommt dabei, so sagten wir, von weit her. Wir meinen das ebenso philosophisch, also was die Tiefe der Daseins-analyse betrifft, wie historisch, in bezug auf das menschheitsgeschichtliche Bewußtsein. Der Kommunismus hat einen philosophisdten Ursprung: Marx fühlt sich zunächst als Verwirklicher der Philosophie seiner Zeit, und nur als Träger dieser Verwirklichung grüßt er das Proletariat, das in seiner Situation des Ausgeplündertseins und in seiner Verzweiflung an dem Gewissen der bürgerlichen Gesellschaft ihm zu dieser historischen Mission vorbestimmt zu sein scheint, seine Philosophie, die am Gewissen des Menschen verzweifelt hat, zu verwirklichen.

Schauen wir uns diese Philosophie näher an, die bei Marx alles trägt und sich schließlich zum kommunistischen Glauben verdichtet und zum politischen Weltkommunismus formiert. Marx geht von einer angeblich uralten Selbst-entfremdung des Mensdien aus und glaubt an die jetzt gegebene Möglichkeit einer Selbstver-Versöhnung des Menschen. Diese währende Selbst-entfremdung und mögliche Selbstversöhnung des Menschen ist für Marx von ganz grundsätzlicher Art, sie betrifft das Verhältnis des Menschen zu dem von ihm gehandhabten Naturgeschehen und zu den Mitmenschen, die mit ihm zusammen das Naturgeschehen handhaben. Immer haben wir im menschlichen Dasein dieses Grundgefüge: in Gemeinschaft mit seinesgleichen handhabt der Mensch das Natur-geschehen.Für den Menschen muß nun nach Marx, damit ihm sein Wesen aus der es bannenden Entfremdung herauskomme, die Natur zum Mensdien werden. Die Identischwerdung des Menschen mit der Natur, die er handhabt — das ist das den Mensdien Rettende für Marx, das Mittel, um aus seiner Selbstentfremdung heraus wieder in sein wahres Wesen zurückzukehren.

Die Natur werde aber für den Menschen zum Menschen nur in der absoluten Gesellschaftj in der zu ihrer kommunistischen Gestalt als zu ihrem Urund eigentlichen Wesen zurückgekehrten Gesellschaft: „Erst hier (d. h. erst in der völligen Vergesellschaftung aller menschlichen Verhältnisse) ist ihm (dem Mensdien) sein natürliches Dasein, sein menschliches Dasein und die Natur für ihn zum Menschen geworden;

also die Gesellsdiaft ist die vollendete Wesens-einheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durdtgefiihrte Naturalismus des Menschen und der durdigeführte Humanismus der Natur". (Dieser wichtige Text, den ich im folgenden erläutere, ist genommen aus den Pariser „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844", in der Ausgabe „Kleine ökonomische Schriften“ des Verlags Dietz 1 95 5, Seite 128/129).

Resurrektion der Natur. Auferstehung der Welt im Mensdien und als der Mensch! Die Natur ist ursprünglich von „menschlichem" Wesen: Humanismus der Natur, der Mensch seinerseits Natur: Naturalismus des Menschen — diese überaus inhaltsvolle Kennzeichnung, die Marx dem Wesen des Kommunismus als der Wahrheit des Menschen gibt, möchte ich nun näher auslegen — denn der Humanismus der Natur und der Naturalismus des Menschen bedeuten, wie wir eben von Marx, selbst hörten, die kommunistiVerfassung der Gesellschaft.

Das philosophische Gerüst des Kommunismus In drei grundlegenden Denkschritten entfaltet sich dieses zentrale Dogma des kommunistischen Glaubens, wie Marx es formuliert, das Prinzip von der Identität des Menschen mit der Natur. Im Stuhl, den der Mensch aus dem Holz des Baumes fertigt, schaut er sich selbst an, und damit hat der Mensch auch schon im möglichen Stuhl, dem Baum, nicht nur das, womit er in seinem Werk und in seinem Dasein überhaupt eins wird und sich sozusagen vermählt — das ist ja das Wesen der Technik und des menschlichen Daseins überhaupt, wie wir alle es verstehen. Vielmehr hat hier der Mensch im Baum und damit in der Natur überhaupt sein eigentliches Wesen. Die Dialektik, diese technizistische Philosophie von der Identität des Menschen mit der Natur, nimmt eine völlige Umpolung der Welt und des menschlichen Daseins, eine Untsinnung des Naturgeschehens wie seiner Handhabung durch den Menschen vor. Im Hinblick auf unser Thema — Philosophische Kontrastie-rung der kommunistischen und der freien Gesellschaftsordnung — möchte ich schon hier bemerken, daß dieses Grundwesen des Kommunismus, wie es sich in der absoluten Dialektik oder der These von der Identität des Menschen mit der Natur philosophisch ausspricht, in dieser allgemeinen Formulierung auch die Grundphilosophie unserer Zeit überhaupt, auch bei uns im Westen, bildet. Was in dieser absoluten Dialektik mit dem Anspruch, unser Dasein zu bestimmen, vor uns auftritt, das ist — nach der im Westen heraufziehenden Philosophie (s. u.) — der Technizismus, d. h. die Entfesselung der Technik, der Betrieb der Technik um ihrer selbst willen oder die Technik, die sich selbst-gesetzlich zu entwickeln das Recht bekommen hat.

Mystischer Materialismus Der Materialismus ist keineswegs, wie man manchmal das hochmütig-geringschätzige Urteil hört, eine niedere, verächtliche Angelegenheit; er ist ganz im Gegenteil eine sublime Philosophie. Der Kommunismus ist aus der Philosophie hervorgegangen, er ist, wie man gesagt hat, eine „Philosophie in Aktion“. Was bedeutet die hochphilosophische Definition des Kommunismus, die wir soeben aus Marxens Munde vernommen haben: Humanismus der Natu? und Naturalismus des Menschen?

Das menschliche Dasein wird hier gefaßt nicht nur als leuchtende Vermählung oder Einswer-

dung des Menschen mit der Natur — dies ist ja die Technik in der Tat für den Menschen -, sondern viel weiter gehend als Identischwerdung des Menschen mit der Natur. Diese ist möglich nur durch eine gloriose Herumdrehung der Welt ganz zum Menschen her. Die Welt ist der Mensch — sonst nichts im Grunde, der Mensch nur noch die Welt, in der er sein Leben hat: Humanismus der Natur — Naturalismus des Menschen!

Humanismus der Natur: Die Welt atmet dem Menschen nur noch ihn selbst, d. h.sein Wesen, mit dem er die Welt, diesen seinen Daseins-apparat, betätigt. Für Marx wie vor ihm für Hegel und heute für die Existentialphilosophie darf die Welt, das Naturgeschehen, genommen werden nur noch als die gegenständliche Gestalt oder Verkörperung des Subjekts, kurz: als das, womit sie das Wesen des Menschen atmet: die Welt ist der potentielle Mensch, das, was der Mensch als seine Lebensmöglichkeit um sich herum hat und was er sich aneignen muß, das „materielle Leben des Menschen“.

Aber in dieser seiner Weltverkörperung, in der Welt als seiner gegenständlichen Gestalt, sieht auch das menschliche Subjekt seinerseits sein ganzes und eigentliches Wesen: Naturalismus des Menschen. Die Welt, diese seine Lebensmöglichkeit, eignet sich der Mensch an, er hält sie als die seinige. Es ist der gegenständliche Maduleib des Menschen, der sich hier, indem er vom Menschen aus der Welt hervorgegebildet werden will, allgebietend über dem menschlichen Dasein zmporreckt. Die Welt ist der gegenständlich werdende Mensch, und der Mensch seinerseits nichts anderes mehr als diese seine gegenständliche Gestalt, die die Welt ihm darbietet. Mensch und Welt fallen zusammen — Identität des Menschen mit der Natur. Wir müssen einmal die materialistische Folge-

richtigkeit dieses Ansatzes durchschauen, sodann ihn kritisch beleuchten. Die Welt bildet hier für den Menschen die gegenständliche Großgestalt seines Wesens, sein Element sozusagen, von dem er lebt und in dem er sich tummelt wie der Fisch im Wasser. Dieses sein Element, diesen seinen Machtleib strebt der Mensch in der Welt als sein eigenes Wesen zu entfalten und zu verwirklichen.

Das ist Materialismus, sagten wir. Was heißt das? Nun, gegenüber dieser so verstandenen Natur, gegenüber der Natur als nur noch seiner gegenständlichen Gestalt oder Verkörperung oder nur noch seinem Machtleib ist der Mensch nicht mehr im eigentlichen Sinne frei, sondern er wird von ihr unausweichlich in Bann geschlagen und regiert, er ist ihr verfallen. Der Mensch hat hier sein Dasein nur noch zu betrachten als die Widerspiegelung dieser objektiven Realität, die vor seinem Auge als er selbst sich entwickelt, als ihre bloße Widerspiegelung oder Ausführung, wohlgemerkt, hat er nun zu leben, in einer undurchbrechbaren Gefolgschaft zu der einen Natur, die sich ihm, der ganz darinnen steht, als er selbst entwickelt. Dies nennt man dann „Freiheit als Bewußtsein der Notwendigkeit", d. h. als Annahme und Ausführung des notwendig ablaufenden Geschehens der Natur, das ihn trägt, ohne daß ihm ein ein hoheitlicher Darüberstand über der Natur möglich wäre.

Ein kurzes kritisches Wort zu diesem ersten und wichtigsten Denkschritt, dem Materialismus. Es ist in keiner Weise mehr der alte mechanistische Materialismus -der Kommunismus redet von diesem als dem Vulgärmaterialismus. Nach diesem ist der Mensch einfach ein Stück der Natur, in ihrem naturgesetzlichen Zusammenhang mitbewegt und sozusagen mitgeschoben. Ganz anders in dem neuen, dem dialektischen Materialismus. Iw Menschen hat hier die Natur ihre Resurrektion, sagt Marx, ihre Auferstehung. Humanismus der Natur, sagt er, Zurückführung des Sinnes der Welt ganz auf den Menschen, rein menschlicher Sinn des Geschehens. Daß die Natur, die der Mensch wissenschaftlich erforscht und in der Technik tätig handhabt, in seinem Dasein nur noch diesen menschlichen Sinn habe, darin liegt für Marx ihre Auferstehung, d. h. die neue innerliche Qualität, die sie hier erhält.

Auch für die naturrechtlich-thomistische Philosophie hat das Naturgeschehen ein sozusagen „menschliches" Element, eben seine Möglichkeit, durch den Menschen gehandhabt zu werden. Diese Handhabung durch den Menschen leistet der Mensch durch die Betätigung seines menschlichen Eigenwesens, seiner Menschen-kunst oder Freiheit. Indem er also bei der Handhabung der Welt in dieser eine gegenständliche Gestalt seiner selbst erblickt, hält er sich in der Welt an seine Menschenkunst oder Freiheit als an einen Grund und Hort seines menschlichen Daseins. Darin liegt eine Art Selbstbegründung des Menschen beschlossen, der Mensch stellt sich auf sein eigenes Können. Wir verstehen das vielleicht am besten, wenn wir den Rilke’schen Spruch erwägen: „Ich fühle, ich kann, und ich fasse den plastischen Tag“: die Welt als gegenständliche Gestalt meines Könnens oder als das, was mir in der Welt und aus der Welt heraus tagt, wenn ich sie plastisch oder bildnerisch angehe: „Ich fühle, ich kann, und ich fasse den plastischen Tag“, d. h. ich stelle mich in der Welt auf mich selbst, vollziehe die mir mögliche Selbstgründung meines Daseins.

Wir sind weit davon entfernt, diese Grundhaltung des Menschen zur Welt als solche anzugreifen. Diese Möglichkeit, durch den Menschen gehandhabt zu werden, liegt ursprünglich bereits im Wesen der Dinge selbst. Die Naturdinge selbst laden den Menschen zu dieser Selbst-gründung seines Daseins ein: Erde, ist es nicht dies, was du willst: einmal unsichtbar in uns erstehn! Erde, unsichtbar! Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag! — so singt wiederum Rilke —, und er formuliert damit ein Grundanliegen des heutigen Menschen, das dem Kommunismus wie dem westlichen Denken gemeinsam ist.

Audi für unsere kreatürlich-naturrechtliche Philosophie muß der Mensch das Naturgeschehen auch als gegenständliche Gestalt seiner selbst nehmen, er steht eben darinnen, und nur durch diesen Darinstand in dem Naturgeschehen vermag er es zu führen. Wir dürfen nur über diesem Darinstand in der Natnr seinen Darüberstand über der Natur nicht vergessen, seine personale Hoheit, mit der er die Welt hat, nicht bloß von der Welt sich haben läßt.

Im radikalen Humanismus freilich haben wir viel mehr als dies, daß der Mensch das Natur-geschehen auch als die gegenständliche Gestalt seiner selbst und damit als Raum und Material für die Betätigung seiner Selbstgründung nimmt — dies hat, wie gesagt, der Mensch auch nach der kreatürlich-naturrechtlichen Philosophie zu tun; aber indem er hier das Natur-geschehen als Raum und Gegenstand der Entfaltung seines eigenen Könnens nimmt, hält er es zugleich als die ihm gegenüberstehende Wirklichkeit fest, als ihm von oben her gegebenen sichtbaren Ausdruck einer anderen Kunst, der Kunst des Schöpfers, der Ars Divina.

Hier atmet also dem Menschen die Welt mehr als nur ihn selbst. Sie ist ihm Gegenstand und Medium für die Sorge, die Gott ihm zusammen mit allen seinesgleichen angedeihen läßt, für jene Vorsorge oder Vorsehung, in die der Mensch mit der Sorge für sich und die Seinen gleichsam einzusteigen hat und die recht eigentlich seine menschliche Ehre, sein Privileg als Mensch bedeutet. In diese wahrhaft personale Dimension und den hoheitlichen Darüberstand über der Natur ist der Mensch nach der thomistischen Philosophie durch sein und der Dinge Wesen hinaufgehoben, die Natur ist ihm Mittel seiner den Menschen als Menschen oder als ein hoheitliches Wesen hegenden Vorsehung.

Dagegen wird der Mensch für den dialektischen Materialismus, wo er in dem Naturgeschehen nur noch seine gegenständliche Gestalt oder sein Lebenselement gelten läßt, durch eben dieses Naturgeschehen als seine Lebensmöglichkeit völlig in den Bann geschlagen. In einem extremen Humanismus übersteigert und verabsolutiert der Mensch damit den eigenmenschlichen Anteil an der Wirklichkeit seines Daseins und die Möglichkeit und Notwendigkeit seiner Selbstgründung im Dasein. Indem er sich gleichsam ganz hinter die Dinge der Natur steckt, d. h. die Entwicklung der Welt ganz nur als sein eigenes Wesen geschehen läßt, gelingt es ihm, wenigstens bewußtseins-und willens-mäßig ganz auf sich selbst zu stehen. Der Materialismus besteht, philosophisch präzis formuliert, darin, das Naturgeschehen nur noch als gegenständliche Gestalt oder Lebenselement des Menschen zu nehmen. Dieses „nur noch“ ist Ausdruck seines extrem humanistischen Willens zur Selbstbegründung des Daseins und bestimmt das Wesen des Materialismus.

Aus diesem extremen Humanismus der Natur aber folgt dann notwendig der Naturalismus des Menschen, die Vernaturalisierung, Verweltlichung, Versachlichung des Menschen -eine mystische Versachlichung, gewiß — statt vom dialektischen Materialismus können wir vom mystischen Materialismus sprechen —; aber es ist eine ganz grundsätzliche, sozusagen zur Tugend erhobene Versachlichung des Menschen und damit eine Unterdrückung des innersten Kerns des Menschen, seiner Personalität.

Gewiß ist dieser Materialismus nicht völlig abwegig. Der Mensch ist ein animal rationale, mit seinem niederen animalischen Wesensteil ganz und gar in den naturgesetzlichen Zusammenhang verstrickt; dieser durchwaltet ihn, er ist in ihm als Lebenstrieb wirksam, und mit diesem seinem Lebenstrieb ist der Mensch ganz an die Welt verwiesen, in das Naturgeschehen und seinen gesetzmäßigen Zusammenhang ein-und untergetaucht. Sein Lebenstrieb verbindet ihn in urspünglicher und unauflöslicher Weise einesteils mit dem Naturgeschehen, das er handhabt, andemteils mit den Mitmenschen, die mit ihm zusammen das Naturgeschehen handhaben.

In diesem Bereich seines Daseins, in der körper-haft-sinnlichen Grundlage seiner Arbeitswelt also, können wir vereinfachend sagen, bildet die die Welt tatsächlich das Element, in dem der Mensdt dahinschwimwen und von dem er leben und sich tragen lassen muß —. Wehe, wenn er sich in dem Entwurf seines Daseins von der Naturgesetzlichkeit entfernt! Bei der Bewegung in diesem Bereich, in der Welt als dem Leibe seiner Arbeit also, ist für den Menschen der von Marx beschriebene Materialismus sozusagen eine Selbstverständlichkeit. Aber das ist natürlich kein Materialismus, solange der Mensch sein Dasein nicht darauf beschränkt, in der Welt als seinem Element sich zu tummeln und sie sich anzueignen. Auch in seiner ursprünglichen Verbundenheit mit dem Naturgeschehen und mit den Mitmenschen bewegt sich der Mensch nicht nur einfach mit seinem Lebenstrieb und auch nicht einfach nur mit seiner technischen Intelligenz, mit der er in der Welt als dem Leibe seiner Arbeit den Weg zum erfolgreichen Gebrauch der Natur erspäht, sondern die Welt ist ihm in sein höheres Wesen hineingegeben, mit dem er seinen Leib und die Welt, das Naturgeschehen und dessen gesetzmäßigen Zusammenhang, nur als ein Mittel für seine hoheitliche Aufgabe festhält und gebraucht, für sich und die Seinen Vorsehung zu sein.

Mystischer Kollektivismus Wir kommen zum zweiten Denkschritt des dialektischen Materialismus, vom Verhältnis des Menschen zum Naturgeschehen, das den Gegenstand des ersten Denkschrittes bildet, zu dem Verhältnis des Menschen zu den Mitmenschen, mit denen zusammen er das Naturgeschehen handhabt. Dieser zweite Denkschritt offenbart das unaufhebbar kollektivistische Grundwesen der materialistischen Dialektik. Der Mensch glaubt ja hier, so sahen wir im ersten Denkschritt, sein Leben und Wesen nur noch in der Welt zu haben: Materialismus. Aber diese gegenständliche Gestalt, die dem Menschen von der Natur oder Welt als die von ihm zu ergreifende Möglichkeit seiner selbst dargeboten wird, ist für alle Menschen dieselbe eine Natur oder Welt und damit dieselbe eine große Daseins-möglichkeit, sozusagen das eine materielle Großleben aller Menschen. Daraus folgt unausweichlich die strenge Gesellschaftlichkeit des gemeinsamen Gebrauchs der Natur: der Humanismus der Natur oder das rein menschliche Wesen der Welt und der Naturalismus des Menschen oder dessen rein gegenständlich-welthaftes Wesen schließen das rein gesellschaftliche Groß-wesen des Menschen in sich ein.

Marx hat diesen zwingenden Zusammenhang sehr klar gesehen. Das menschliche Wesen der Natur, so heißt es bei ihm, ist erst da für den gesellschaftlichen Menschen — das menschliche Wesen der Natur, jener Humanismus der Natur, durch , den für den Menschen die Natur zum Menschen wird. Jetzt führt Marx den Gedanken fort: Die Natur kann für den Menschen zum Menschen werden nur, wenn er sich in die absolute Gesellschaftlichkeit seiner Handhabung der Natur begibt. Erst der Kommunismus, die ausschließlich gesellschaftliche Verfassung des menschlichen Daseins, ist die Wahrheit oder das eigentliche Wesen des Menschen. Das ist eine zwingende Logik. Nicht zunächst eine politische, sondern eine philosophische Angelegenheit ist der Kommunismus. Die Begründer des Kommunismus hätten nicht so grausam sein können, wie sie es gewesen sind, wenn sie nicht Philosophen gewesen wären.

Dennoch steckt auch in diesem zweiten Denkschritt des dialektischen Materialismus ein Stück Wahrheit. In seiner gegenständlich-technischen Selbstverwirklichung als solcher, in seiner Um-fangenheit durch den Leib seiner Arbeit ist der Mensch in der Tat — auch für die kreatürlichnaturrechtliche Philosophie — ein streng gesell-10 schaftliches Wesen. In einem Teil seines Wesens betreibt der Mensch ganz selbstverständlich einen ttrsprüi-iglidien Kowwuviismus. Der Mensch ist ein animal rationale, und damit steht er zu einem Teil seines Wesens wie mit den Dingen so auch mit den Mitmenschen, die mit ihm zusammen die Dinge handhaben, in einer elementaren und unaufhebbaren, seinem Belieben entzogenen Verbundenheit, und von dieser Einheit und Ganzheit seiner selbst mit den Mitmenschen wird er sozusagen „geführt, wohin er nicht will"; die Natur und die menschliche Mitwelt umfangen ihn zusammen wie ein einziger mystischer Körper, eben als jener Leib seiner Arbeit, von dem er lebt und in dem er sich rühren, dem er sich anpassen muß, um sein Leben zu haben.

Auch dort, wo er über diesen mystischen Leib aller Dinge und Menschen hinausragt, muß er ihn als unausschaltbaren Teil seines Wesens entfalten und bestehen. In der technisch-industriellen oder Arbeitswelt, wie sie sich heute immer entschiedener mit einer sozusagen zwangsläufigen Vergesellschaftung herausbildet, tritt der Teil des menschlichen Wesens materielle und damit die unaufhebbare Zusammen-gebundenheit aller Menschen in der Einheit der Gattung mehr und mehr in Erscheinung. Dieser gewissermaßen Tendenz seiner sozialisierenden technisch-industriellen Entwicklung kann der Mensch in der Tat nicht entgehen, und es wird in der Zukunft für den Menschen gewiß immer schwieriger werden, über dieser fortschreitenden Selbstsozialisierung sozusagen seiner Arbeitswelt die Fahne seiner personalen Hoheit zu verteidigen.

Für den mystischen Materialismus aber ist ein solches Streben grundsätzlich Utopie, eine den Fortschritt störende phantastische Bestrebung. Der Anspruch auf personale Eigenständigkeit ist hier nicht nur Sand im Getriebe, sondern eine schlechte Urneigung des Menschen — wir werden darauf zurückkommen. Für den mystischen Materialismus besteht das eigentliche Wesen des Menschen in der Welt als seiner eigenen gegenständlichen Großgestalt; die durch die Technik in den Menschen einzuverwandelnde Erde bildet hier das einzige Grundgesetz seiner Gesellschaft, das was sich in seiner Gesellschaftsordnung zu verkörpern und zu sichern hat.

Gewiß tritt dafür auf der Seite des Subjekts, in der Führung des menschlichen Daseins, dessen Selbstgründung und damit jenes Ja zum Menschen deutlicher hervor, das der Mensch selber durch das von ihm gehandhabte Naturgeschehen hindurch zum Menschen auf die Weise zu sagen hat, daß er die Welt, diesen gemeinsamen Leib der Arbeit, allen einzelnen in strenger Gesellschaftlichkeit angehören läßt. Aber zugleich verleugnet er dabei den eigentlichen personalen Sinn dieser seiner ursprünglichen Zusammen-gebundenheit mit dem Naturgeschehen und den Mitmenschen: daß nämlich der gemeinsame Daseinsapparat oder Machtleib der Menschheit allen einzelnen Menschen zusammen in dem Sinne gehört, daß sie einander in den Stand setzen, alle miteinander ihn in einer hoheitlidten Stellung zu gebrauchen. Indem der Mensch ausschließlich nur noch von sich und seinesgleichen aus dem Menschen das Naturgeschehen angetan sehen will, wird er gezwungen, sich selbst und seinesgleichen in einer unaufhebbaren Gesellschaftlichkeit zu sehen.

Mystische Diesseitigkeit Wir kommen zum dritten Denkschritt des dialektischen oder mystischen Materialismus. Der erste Denkschritt spielte sich im Verhältnis des Menschen zur Natur ab und lehrte den Materialismus, d. h. die Verabsolutierung der elementaren Verbundenheit des Menschen mit dem Naturgeschehen, das er handhabt. Der zweite Denkschritt bezog sich auf das Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen und lehrte den Kommunismus, die unauflösliche Zusammen-gebundenheit aller Menschen zu einem einzigen gesellschaftlichen Großwesen. Der dritte Denk-schritt geht auf den Gehalt der mit der Natur zusammenfallenden menschlichen Gesellschaft, dieses Groß-und Allwesens des Menschen. Dieser Denkschrift offenbart den der absoluten Dialektik eigenen Historismus, die Verabsolutierung seiner Geschichtlichkeit, er behauptet das rein irdische Wesen des Menschen. Aus der ursprünglich gegebenen Gestalt der Welt oder aus jener Schöpfungsordnung herausgerissen, bei der der Mensch ebenso das Naturgeschehen überragt, wie er in der Gesellschaft einen personalen Eigenstand hat — aus dieser ursprünglichen oder Schöpfungsordnung sich heraushaltend und dadurch aus seiner angeblichen Entfremdung in sein eigentliches Wesen zurückgeholt, gehört der Mensch jetzt nur noch jenem Ganzen an, das er selbst und seinesgleichen mit der Natur als ihrer einen gegenständlichen Groß-gestalt bildet. Hinter dem jeweils gehandhabten einzelnen Naturgeschehen scheint ihm als sein eigenes leuchtendes Großwesen auf: jenes eine, allumfassende Ganze, das ihn, den Menschen, auf der einen und das Naturgeschehen auf der anderen Seite miteinander verbindet und in das auch die Mitmenschen auf ihre Weise eingegliedert sind.

Dieses Subjekt-Objekt, das aus der Identität oder Wesenseinheit von Subjekt und Objekt hervorgeht, wird von Hegel als der Weltgeist vor Augen gestellt — der Weltgeist, d. h. die Welt als Verkörperung der Wissenschaft, der Technik, des industriellen Unternehmertums — jener Weltgeist, der sich zu seiner Verwirklichung die „welthistorischen Individuen und Völker" auswählt. Für Marx ist das wie ein rotes Tuch, nämlich eine nackte Philosophie der Macht, den Herren der Industrie und des Handels auf den Leib zugeschnitten. Von seinem Ausgangspunkt aus, den er mit Hegel teilt, hat Marx recht, und er vertritt hier ein wirkliches Ethos: die Welt ist für alle da, nicht bloß für jene großen Herren. Wenn die Welt wirklich nur, wie Marx mit Hegel lehrt, das materielle Groß-leben des Menschen und sozusagen der bloße Machtleib des Menschen ist, dann gehört diese Welt allen in gleicher Weise, und dann ist sie den Händen derer, die sie für sich allein oder zunächst beanspruchen, zu entwinden.

Nicht dieser Wille, alle in gleicher Weise an der einen Welt zu beteiligen, an der sie mitarbeiten, ist der Fehler von Marx, darin liegt vielmehr, wie gesagt, ein Ethos: sondern dies ist sein Fehler, daß er mit Hegel, diesem Philosophen des bürgerlichen Materialismus, die Welt nur noch als den Machtleib des Menschen ansah und dadurch gezwungen war, statt dem Gewissen der bürgerlichen Gesellschaft nur noch der Gewalt zu vertrauen. Die von ihm befolgte Philosophie hat Marx, wie er beteuert, aus der bürgerlichen Gesellschaft selbst abgelesen. Anstatt von Hegel und dieser seiner Konzeption von der Welt als nur noch dem Machtleib des Menschen abzurücken und zurückzukehren zu der naturrechtlichen Stellung der Welt als des Mittels der Vorsehung, die dem Menschen als Sorge für sich und seinesgleichen auferlegt ist, behält Marx jene materialistische Konzeption Hegels von der Welt als nur noch dem Element, in dem der Mensch dahinschwimme und in dem er seinen Machtleib ausbilde, bei; er will diese Hegeische Konzeption nur ungefährlich machen, d. h. sie von der Tücke, die sie für den schwächeren Teil der Gesellschaft in sich birgt, befreien, und darum fordert er, dieser Machtleib der Menschheit müsse auf alle Menschen, die an ihm arbeiten, in gleicher Weise verteilt werden. Aber die Philosophie Hegels selbst von der Welt als dem bloßen Leib der technisch-industriellen Arbeit will Marx nicht aufgeben, er will sie im Gegenteil erst recht verwirklichen, wie er erklärt.

Für Marx ist es nicht — wie bei Hegel — der Geist, der den Menschen und die Natur zu einem einzigen Leistungskörper, dem Leibe der Arbeit und damit zum Machtwesen der Menschheit zusammenführt, sondern die Natur selber tritt ursprünglich als Subjekt-Objekt oder als die mögliche Arbeit des Menschen auf — die Natur, die sozusagen alle ihre Kinder oder wenigstens Glieder in gleicher Weise liebt. Diese Natur oder Materie ist es, die nun als das eine Subjekt-Objekt angesprochen wird — die Natur als die mögliche Gestalt der gesellschaftlichen Arbeit. Im Diamat wird dieses Subjekt-Objekt als die siel'! selbst bewegende Materie formuliert. Selbst-bewegung hat die Natur oder Materie, eine Instanz über der Natur, die sie bewegen könnte, gibt es hier nicht mehr, weder den Schöpfer noch den hoheitlich sie gebrauchenden Menschen. Diese „Aufhebung Gottes“ und die „Aufhebung des Privateigentums“, d. h.der personalen Eigenständigkeit des Menschen, spricht Marx ausdrücklich als das Wesen des Kommunismus an.

Aufhebung der Person also und damit der ganzen spezifisch menschlichen und personalen Welt! Nichts anderes kennt der Mensch jetzt, als diese Welt sich anzueignen und zu der seinigen zu machen, mit der Folge aber, daß nun auch diese seine Welt ihn hat und hält und regiert, in einem geschichtlich notwendigen Ablauf, in den der Mensch selbst einbezogen ist als der Vollstrecker der Geschichte: er ist weiter nichts als seine Geschichte, die Geschichte ist sein Grof^wesen, das sich in ihm verwirklicht.

Wiederum ein kritisches Wort zu diesem dritten Denkschritt des mystischen Materialismus. Zunächst muß klar gesagt werden: Der Mensch trennt sich hier von seinem übergeschichtlichen Grunde, und dadurch verfällt er in strenger Folgerichtigkeit der Natur und der Geschichte, die hier zu einem einzigen gegenständlichen Großwesen des Menschen zusammenschwimmen. Mit dem übergeschichtlichen Pole seines Daseins gibt aber der Mensch auch sein innerstes über-geschichtliches Wesen, seinen Darüberstand über der Geschichte preis. Ein solches Dasein wird man nun sicher nicht mehr als Selbstverwirk-lichung des Menschen ansprechen dürfen. Was vielmehr hier von dem einzelnen zu betreiben ist, das ist die Verwirklichung des techmsch indnstriellen Machtleibes der Menschheit, die ausschließliche Herrschaft der Mittel des Daseins; dieser bloßen gegenständlichen Gestalt seiner selbst gehört der Mensch an. Gewiß will hier der Mensch nicht vom Brot allein leben in dem Sinne, wie es häufig falsch dargestellt wird, nur vom Brot des Leibes. Nicht dies ist der moderne Materialismus, er ist von wesentlich höherer, feinerer Art. Wohl aber will hier der Mensch ausschließlich von jenem rein mensch-liehen Brot seiner Seele leben, in das die Technik als eine Art Sakrament ihm die Welt verwandele.

Dennoch macht auch diese kommunistische Verabsolutierung der Geschichte in verzerrter Gestalt ein Stück der Wahrheit des Menschen geltend. Das sozusagen „menschliche“ Element der Natur, die Handhabbarkeit der Dinge, die der Mensch in seiner Geschichte entfaltet und die dabei ihre zwingende Logik der Entwicklung hat, bildet in der Tat die unausweichliche und nicht zu überspringende Basis für die freie Selbstvollbringung des menschlichen Daseins. Der Schauplatz und das Material der menschlichen Geschichte haben diese ihre Eigenlogik, die die Freiheit des Menschen grundlegend einschränkt. Auch diese Eigenlogik der geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklung mit jener ihrer sanften Gewalt, mit der sie sich uns in einer unaufhörlichen Verwandlung unserer Verhältnisse auferlegt, ist in sich selbst ein Teil der Führung Gottes, des Herrn der Geschichte. Für die Konkretisierung des Gedankens Mensch in seiner jeweiligen, dem einzelnen in seiner Gemeinschaft schicksalhaft zuwachsenden Sonder-gestalt und geschichtlich einmaligen Sonderausgabe hat der Schöpfer uns an die Erde und an die Geschichte selbst verwiesen.

Gnostisch-gewalttätige Gegenreligiosität In allen drei Denkschritten, mit denen der dialektische Materialismus sein Wesen aufbaut, steckt also ein Stück Wahrheit. Nur die Aus-13 schließlichkeit, mit der der Kommunismus diese drei Denkschritte vollzieht, macht ihn zu einer Theorie des Daseins, die für die kreatürlichnaturrechtliche Philosophie nicht annehmbar ist. Materialistisd'i vertritt er die elementare Verbundenheit des Menschen mit dem von ihm gehandhabten Naturgeschehen, kowmitnistisch die ursprüngliche gesellschaftliche Zusammen-gebundenheit aller das Naturgeschehen handhabenden Menschen, und schließlich historisch die geschichtliche Selbstentwicklung des mystischen Ganzen aus Mensch und Naturgeschehen samt Mitsubjekten als das einzige Wesen des menschlichen Daseins. In dieser Ausschließlichkeit aber kann die kompakte mystische Körperhaftigkeit, die der einen Menschheit in dei Zusammengebundenheit von Natur, Gesellschaft und Geschichte in der Tat eigen ist, weder als das ganze noch als das eigentliche Wesen des Menschen angesehen werden. Die vom dialektischen Materialismus als das Eins und All hingestellte Eigengewalt der Entwicklung, die der Welt als dem Leibe der Arbeit eignet, verschüttet hier im Bewußtsein des Menschen dessen Getragenheit durch das Wort, das Gott in die Dinge hineingesprochen hat durch jene potentielle Intelligibilität der Dinge, mit der der Schöpfer durch die Gegebenheit der Naturdinge zum Menschen als einem hoheitlichen Wesen Ja gesagt hat, und damit auch die Berufung des Menschen, durch die für sich und die Seinen ausgeübte Vorsehung dieses von Gott zum Menschen gesagte Urja fortzusetzen.

Wir müssen aber nun den besonderen Charakter begreifen, der jener Ausschließlichkeit des kommunistischen Glaubens nur noch an den Leib der Arbeit zukommt, und der den dialektischen Materialismus und die kreatürlich-naturrechtliche Philosophie unvereinbar macht. Damit kommen wir nach der Heimholung des Anliegens, das auch den kommunistischen Glauben trägt, nunmehr zum eigentlichen scharfen und dadurch für uns unannehmbaren Wesen des Kommunismus.

Durch ihre Selbstbewegung, d. h. dadurch, daß ihr Zusammenhang in der Gestalt, wie die Naturwissenschaft ihn erforscht und die Technik ihn tätig handhabt, einfach hingenommen und nur noch als Element des Menschen betätigt wird, erhebt sich hier die Welt — die sich selbst-bewegende Materie als Einheit von äußerer Natur und menschlicher Geschichte — zu dem alles tragenden Allgemeinen und Ganzen, das als mystischer Großkörper aller Dinge und Menschen die wahre und eigentlidie Natur des Menschen bildet. Auf diese Einheit des Menschen und der Natur, der der Mensch unmittelbar innesteht und durch die er gebannt ist, geht nun hier der die gesellschaftliche Ordnung tragende Glaube des Menschen als auf das mystische Groß-und Allwesen aller Dinge und Menschen, dem allein er nur noch zugehöre — die große „Natur" oder „Erde", an deren ihn tragende Verläßlichkeit er jetzt allein noch glaubt.

Dagegen wird jetzt zu einer Selbstentfremdung oder Entartung des Menschen gestempelt jene personale Eigenständigkeit des einzelnen, die sich aus der tatsächlichen intellektiv-hoheitlichen Handhabung des Naturgeschehens durch den Menschen als Folgerung für sein Dasein ergibt und von der natürlichen und naturrechtlichen Philosophie als Natur des Menschen oder als deut Dasein vorgegebene Möglichkeit für jeden Menschen verteidigt wird.

Als wahre und letztlich allein gültige Natur des Menschen gilt vielmehr in dieser Theorie von der Selbstbewegung der Welt nur noch die Anlage und Berufung des Menschen zu jener seiner Weltunmittelbarkeit und Weltgebanntheit, wie sie in der naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Handhabung des Naturgeschehens als solcher in der Tat waltet. Damit ist nun über das Wesen und die Bestimmung des Menschen das autorativ entscheidende Wort gesprochen.

Folgerichtig betrieben kommt die materialistische Dialektik dazu, jenes Corpus mysticum aller Dinge und Menschen, das für sie das ein-14 zige und ganze Wesen der Welt bildet, feindselig entgegenzusetzen jenem von oben her gestifteten finalen oder Ordnungsganzen, das in der Schöpfungsordnung die Einzelwesen miteinander bilden, und das dem menschlichen Einzel-wesen einen personalen Insichstand und die ganze naturrechtliche Mitgift für sein Dasein garantiert. Der dialektisch-materialistische Glaube macht die technisch-gegenständliche Selbstverwirklichung, vor allem auch die dabei unvermeidliche Einswerdung aller Menschen untereinander, zu einer Art Religion. Es muß dies aber eine scharfe Gegenreligion sein nicht nur gegen die christliche Offenbarungsreligion, sondern auch gegen jene natürliche Gestalt der religiösen Bindung und Weihe unseres Daseins, wie wir sie als Philosophen in dem menschlichen Dasein um des Menschen selbst willen zu bewahren haben und wie sie den innersten Kern des wahren Glaubens des Menschen an sich selbst bildet.

Die moderne Dialektik und die Praktizierung des Glaubens an die Identität des Menschen mit der Natur hat ihre unaufhaltsame Logik, und dort, wo sie allein herrscht, zerstört sie das eigentlich menschliche Wesen des Menschen, indem sie die menschliche Gesellschaft in einen Termitenstaat verwandelt. Die Begeisterung des Menschen für sein angeblich wahres Wesen, die Welt als seinen Machtleib, und für die Selbst-gründung seines Daseins — dieser humanistische Enthusiasmus auf der einen Seite erfüllt den Menschen auf der anderen Seite mit einer förmlichen gegen die Eigenständigkeit Erbitterung des einzelnen und deren gesellschaftliche Sicherung, das Privateigentum, wie gegen die ganze naturrechtlich-politische Sicherung der ursprünglichen Lebenskreise im vorstaatlichen Bereich. Die ursprüngliche, naturrechtliche oder Schöpfungsordnung wird für den folgerichtigen Technizismus des politischen Materialismus eine Art Sündenfall oder Verrottung der ursprünglichen menschlichen Natur.Wesen der absoluten Dialektik hervor. Der vom Menschen in Naturwissenschaft und Technik entfaltete „menschliche" Faktor der Welt, der nach dem Kommunismus den rein menschlichen Sinn der Natur bedeutet, fordert, wenn er verabsolutiert wird, die totale Gesellschaftlichkeit des menschlichen Daseins, und diese erscheint nun als eine Art Sakrament, dagegen die natürliche Form des Menschen als solche oder das menschliche Dasein in seiner Urordnung als das, was erst durch dieses Sakrament erlöst und zu einer gültigen Darbringung gemacht werden muß. in sich selbst dagegen ist die ursprüngliche Ordnung der Welt das Verkehrte schlechthin, der verderbliche Hang des Menschen, dem seine wahre und eigentliche Gestalt erst abgerungen werden muß.

Der revolutionäre Marxismus mündet hier in den uralten gnostischen Traum der Menschheit von einer ursprünglichen Verfallenheit der Welt und von der Möglichkeit und Notwendigkeit des Menschen, aus ihr selber sich zu Befreien. Erinnern wir uns hier an die eingangs erwähnte Forderung von Marx, in den gesellschaftlichen Verhältnissen müsse der Mensch und nicht Unmensch hervorgebracht werden. In der Gesellschaft seiner Zeit sieht Marx den Unmenschen verkörpert. In diesem Stichwort Unmensch stimmt er für seine Zeit in jene alte große Klage ein, die wie eine nie abreißende schmerzliche Melodie durch die ganze Geschichte der Menschheit tönt: die Klage, der-Menschen werde alles, war er anfasse, von innen heraus verwirrt und gefährdet, ja zur Falle, wie Heidegger es formuliert. Aber Marx ist mit dem Hauptteil seines Wesens noch Optimist, ja in all seinem angeblich wissenschaftlichen und nicht mehr utopischen Sozialismus dennoch ein großer Utopist. Er glaubt noch daran, dieses dem Menschen aus ihm selbst heraus unterlaufende Unheil abfangen und gerade jetzt, im technisch-industriellen Zeitalter, in der Gesellschaft endlich den Menschen statt des Unmenschen heraufführen und die Welt dem Menschen heimatlich machen zu können. Von einem esdiatologisdien Bewußtsein zuletzt ist Marx getragen. Den seligen Urzustand der Menschheit glaubt er jetzt wieder aufrichten zu können.

Lenin ist in bezug auf die Gegebenheiten und Möglichkeiten der menschlichen Natur schon viel realistischer. Er weiß, daß das, was der Kommunismus im Menschen bekämpft, wie ein unausrottbarer Hang seiner Natur wirksam ist. Seine Partei des neuen revolutionären Typus, die kommunistische Partei, stiftet er bewußt als einen „Bund der Verzweifelten“, um diesen psychologisch sehr tief greifenden Ausdruck von Cantus zu verwenden: „Bruderschaft der Verzweifelten“, heiliges, d. h. unbedingtes Zusammenstehen derer, die aus der überlieferten Gestalt der Welt und des Menschen selbst heraus nichts Gutes erwarten und mit gemeinsamer Leidenschaft nur in einer „neu“ gemachten Welt am Menschen festhalten zu können glauben und, so gut es gehen mag, gemeinsam den Menschen und nicht den Unmenschen im Dasein hervor-kommen zu lassen und durchzusetzen entschlossen sind.

Diese Bruderschaft der Verzweifelten halte ich für die eigentliche Wurzel des Kommunismus. Für ihn wie für alle jene Denker der Menschheit, die wir die gnostischen nennen, hat die Welt, so wie sie ist und wie wir sie als Gegebenheit vorfinden, einen unseligen Faktor in sich, der den Menschen befremdet, einen Faktor, mit dem die Welt uns die Heimat verweigert, und dieser grundlegende Strukturfehler der Welt begründet das Verhängnis, das offensichtlich über aller Geschichte, über allen Unternehmungen und Einrichtungen des menschlichen Daseins walte, und darum müsse, so verkündigt aus ‘dieser uralten gnostischen Tradition heraus Marx in seiner letzten These über Feuerbach, die Welt nicht, wie bisher, von den Philosophen anders ausgelegt werden (wobei sie diesselbe dann doch noch in ihrer gegebenen Gestalt binnähmen), vielmehr müsse die Welt revolutionär verändert, sie müsse in ihr eigentliches und Urwesen, das in der Geschichte verloren gegangen sei, zurück-gewälzt, revolviert, revolutionär herumgedreht werden. Die Dialektik, sagt Herzen, und der dialektische Materialismus wiederholt es mit Emphase, ist die Algebra der Revolution.

Revolution! Die Botschaft von einem Rettenden, von einem im technisch-industriellen Zeitalter trotz allem nun endlich sich öffnenden Heimweg des Menschen bildet das tiefste Wesen des Kommunismus. Die Kehrseite dieses inbrünstigen eschatologischen Glaubens ist die Über-zeugung von einer verhängnisvollen Verrottung der in der bisherigen Geschichte entfalteten menschlichen Natur. Man müsse die Urgemeinschaft, den reinen Urstand der Menschheit wieder herstellen, fordert Marx, und dies sei der Kommunismus.

In solcher pessimistischen Mystik aber schwelt und züngelt ein überaus gefährliches Feuer. Der Mensch ist des Menschen Feind (homo homini lupus) — klagt Hobbes, und er deckt damit den Wesensgrund der von ihm proklamierten Diktatur des Staates auf. Allgemein gehören anthropologischer Pessimismus und staatsphilosophisches Diktaturdenken zusammen.

Ich habe es für wichtig gehalten, diesen religionsgeschichtlich-mystischen Hintergrund des Kommunismus klar und entschieden ins Auge zu fassen, nur dann gewinnen wir ihm gegenüber die rechte Stellung, indem wir nämlich dafür sorgen, daß wir der inneren Unsicherheit und Zerrissenheit unserer Zeit aus einer ähnlichen Tiefe herauf und mit der gleichen Entschlossenheit, wenn auch aus der freiheitlichen Form unseres Wesens heraus Herr zu werden uns bemühen. Nur dem unbedingten Denken ist ein Wirken heute noch möglich.

Der verzweifelnde Humanismus der westlichen Gesellschaft

Als einen Glauben haben wir den Kommunismus kennengelernt, als einen extrem humanistischen, d. h.den Menschen und damit auch seine Welt ausschließlich für ihn selbst reklamierenden Glauben. Wir können die ersatzreligiöse Mächtigkeit des dialektisch-materialistischen Glaubens gar nicht hoch genug einschätzen; gerade sie gibt dem Kommunismus dieses innerlich verzweifelte und damit wilde zynisch-gewalttätige Wesen, vor dem uns bei seiner Betrachtung graut.

Wir haben nun diesem inneren Wesen der kommunistischen Gesellschaftsordnung die freie Gesellschaft des Westens philosophisch gegenüber-zustellen und zu kontrastieren. Das eigentlich Aufregende an dem Studium der drei Denkschritte, in denen der dialektische Materialismus zu dem Bilde der despotischen Gesellschaft als einer im gewissen Sinne religiösen Notwendigkeit aufsteigt, ist nun gerade dies, daß diese drei Denkschritte mit gewissen Änderungen als das allgemeine Grundwesen auch jener Philosophie angesprochen werden müssen, die die westliche Gesellschaft trägt und formt — Änderungen, die zunächst eine Milderung zu bedeuten scheinen, die aber endgültig, das möchte ich schon hier als These an die Spitze stellen, dem Kommunismus an Gewaltsamkeit nicht nachstehen werden, sobald einmal der auch hier vor sich gehende Umbruch des humanistischen Glaubens und seiner sozialistischen Folgehaltung seine volle Wirksamkeit entfalten wird.

Die Krise des westlichen Humanismus Auch die Gesellschaftsordnung des Westens ist von einem radikalen kuwanistiscken Glauben getragen. Was den kommunistischen Osten und den freien Westen innerlich miteinander verbindet, und was auch im Westen mit einer unaufhaltsamen Logik sich entwickelt, das ist der Teckniziswus oder Artifizialisvnus, der das technische Zeitalter tragende Glaube, mit dem der Mensch in der von ihm durchwalteten Welt nur nur noch an sich selbst glaubt. Folgerichtig fortg• eführt endet er im Atheismus, um nicht zu sa-gen: Antitheismus, und führt in eins damit zum Antiltumaniswus, zum gegenmenschlichen Wesen. Wir stehen auch im Westen mitten in dieser Entwicklung. Der unsere freiheitliche Ordnung tragende Humanismus ist, was sein sozialistisches Folgewesen betrifft, in einem elementaren Umschlag begriffen, an dessen Ende, wenn wir uns nicht mit aller Entschiedenheit aufraffen, das Ende der personalen Ordnung stehen wird.

Auf die menschliche Person und ihre personale Eigenständigkeit ist unsere Zeit nicht gut zu sprechen; sie sind in unserer Gesellschaft offenbar diskreditiert, sie haben ihren Kredit, ihre Glaubwürdigkeit verloren. Wenn wir daher vorhin festgestellt haben, daß anthropologischer Pessimismus und staatsphilosophisches Diktaturdenken immer zusammengehen, so haben wir damit auch eine Aussage über den Zustand des Westens selbst gemacht. Die philosophische Verkleinerung und Vernichtung des Menschen droht heute zur großen Mode zu werden, und damit ist unsere eigentliche Gefahr im politi-Raum bezeichnet: unsere labile Position inmitten der von links und von rechts drohenden Diktatur. Ja, in der technokratischen Diktatur, die heute bei uns im Westen unter der Oberfläche zu brüten und auf ihre Stunde zu warten scheint, verschwimmt dieser Unterschied von rechts und links zu dem einen für alle gleichen Schicksal des Ausgeliefertseins an den selber sich entwickelnden technischen Fortschritt, an das im Menschen als „Wesen der Technik“ geschehende Sein, wie Heidegger sagt.

Es ist ein Glaube, der auch bei uns im Westen die naturwissenschaftlich-technisch-industrielle Zivilisation trägt. Nicht die Wissenschaft als solche trägt diese unsere Gesellschaft, sooft dies auch behauptet werden mag, wenigstens nicht die Wissenschaft im landläufigen Sinn des Wortes als Erforschung des Gegebenen und als rationale Planung dessen, was zu tun ist. Was unser heutiges Dasein trägt, das ist die Wissenschaft in jenem sublimen Sinn, den wir auch bei Marx haben feststellen müssen, und bei dem die Wissenschaft, die Gnosis, zu einem Mittel des Heiles und der Rettung des Menschen wird. Der Gegenstand der Wissenschaft und der Technik, also der allgemeine Zusammenhang alles Geschehens, steigt dabei für den Menschen zu einem Grofl-und Allwesen auf, das auch ihn, den Menschen, in sich einschließt und regiert, insofern diese von der Naturwissenschaft erforschte und von der Technik tätig entfaltete Welt als eine mögliche gegenständliche Gestalt oder Verkörperung seiner Handhabung derselben vor ihm auftritt und damit dann, wenn der Mensch in solcher gegenständlichen Selbstverwirklichung und Gestaltwerdung, wie die Technik sie ihm in der Tat darbietet, sein eigentliches Wesen erblickt, zum Eins und All wird. Dies ist unsere These: In all seiner Rationalität ist der wissenschaftlich-technische Geist unserer Tage eine Art innerlich-mystisch-religiöser Glaube, der Glaube des Menschen an sich selbst, an sein Schöpfertum, an seine Allzuständigkeit — ein Glaube des Menschen nur /roch an sich selbst, wo diese Haltung folgerichtig zu Ende gebracht wird. Es ist, so sahen wir, ein solch radikaler humanistischer Glaube des Menschen nur noch an sich selbst, der den Menschen als Menschen oder in seiner Eigenschaft als ein hoheitliches Wesen zerstört.

Wenn wir nun zu dem, was die kommunistische Gesellschaft als extrem humanistischer Glaube trägt, die freie Gesellschaftsordnung des Westens in Gegensatz stellen, so müssen wir von dem reden, was wir tatsächlich sind, nicht von dem, was wir zu sein beanspruchen und was wir an Resten einer früheren Ordnung noch in unserer Gesellschaft zu verzeichnen haben — jetzt, da wir mit der dritten industriellen Revolution, der Automation der technisch-industriellen Fertigung, in die hohe Zeit des technisch-naturwissenschaftlidren Unternehmens, um nicht zu sagen Abenteuers eingetreten sind. Wir dürfen das positive Gegenbild vom Menschsein und von der Erziehung, das wir dem Kommunismus entgegensetzen, nicht als Loblied unserer westlichen Gesellschaft vortragen, sondern als Kritik der inneren Tendenz, die auch in unserer westlichen Daseinsform und Gesellschaft wirksam ist. Es gilt, den Kommunismus bei uns selbst zu überwinden.

Was ist es, was in diesem unserem Zustand von heute sich als unser Schicksal für morgen entwickelt? Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, muß ich freilich vorausschicken, daß der Philosoph nur grundsätzlich und allgemein eine Art Konzept für die Meisterung unserer Situation bieten kann. Aber wiederum darf ich sagen, daß ich versuchen werde, die freie Gesellschaft des Westens in jener Tendenz ihrer Entwicklung zu beschreiben, wie sie der Erzieher, der in dieser Gesellschaft die Jugend heran-bilden will, erfährt, und dabei die Gesellschaft von heute als den großen ebenso entscheidend wirksamen wie vom einzelnen aus ungreifbaren Miterzieher vor Augen bekommt.

In ihrer kritischen Analyse der Tendenz, der die freie Gesellschaftsordnung des Westens von heute unterliegt, steht die Philosophie nicht allein. Den Glauben des Menschen an sich selbst und damit den Humanismus finden wir heute, da das technische Zeitalter seinem Höhepunkt zustrebt, in einer elementaren Unruhe und in einem ekstatisdten Aufbruch begriffen. Gegenüber der gewaltigen Macht, die heute dem Menschen durch die technische Entwicklung seiner äußeren Mittel des Daseins in die Hand gegeben ist, greift in den Menschen immer mehr ein Unbehagen Platz, ja eine förmliche Angst. Es graut uns vor dem, was da plötzlich eines Tages in unserer Mitte hervorbrechen könnte. Dieses elementare, halb unbewußte Krisengefühl aber, wie es heute durch alle Herzen schleicht, ist selber ein in seiner Gefahr nicht zu unterschätzender Faktor unserer Entwicklung. Falls es nicht rechtzeitig gepackt und geistig aufgearbeitet und bewältigt wird, kann es der Vorbote einer Katastrophe sein — so wie die Tiere Erschütterungen, die im Anzug sind, vorauszuspüren scheinen.

Diese rationale gewissensmäßige Aufarbeitung der elementaren Unruhe, ja Angst, die heute irgendwie in uns allen bohrt, ist die Aufgabe der Philosophie. Sie stützt sich dabei auf das allgemeine Bewußtsein. In der Tat scheint heute, was den Glauben des Menschen an sich selbst betrifft, eine weltweite Besinnung in Gang gekommen zu sein. Wir alle beginnen zu erkennen, daß wir in der glänzenden Entwicklung dieses unseres naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Zeitalters etwas Entscheidendes vergessen und unterlassen, daß wir immer nur an die Mehrung unserer Macht gedacht haben, und daß wir dabei sind, diesen äußeren Mitteln des Daseins den Menschen selbst zu opfern. Wo bleibt, so fragen wir, in dieser gloriosen wissenschaftlich -technisch -industriellen Entwicklung von heute der Mensch selbst?

Wenn wir diese Frage stellen, die die Fragwürdigkeit unseres immer mehr sich verwissenschaftlichenden und technisierenden Daseins formuliert, so meinen wir damit natürlich nicht, daß es sich für uns Menschen des 20. Jahrhunderts darum handeln kann, die humanistische Bahn, auf der der Mensch der Neuzeit selber sein Dasein zu begründen unternommen hat, wieder aufzugeben. Selbst wenn wir dies wollten, würde es uns unmöglich sein, es zu tun. Der Humanismus und die aus ihm hervorgewachseneTechnik sind unserSchid^sal geworden. Wie sollten wir eine durch und durch technisierte Welt untechnisch angehen wollen?

Dennoch, dies fühlen wir alle: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Wir müssen einerseits die Technik in unseren Humanismus, in unseren Glauben und Willen zu uns selbst einbauen — diese Einheit von Humanismus und Technik, genauer: die Verhütung ihres weiteren Auseinanderbruches, diese menschliche Bewältigung der Technik ist die entscheidende Bildungsaufgabe unserer Zeit. Aber wir müssen andererseits jene Entwicklung des Wesens der Technik, die wir als Wesen des Kommunismus dargestellt haben, sozusagen als Spiegel für unsere eigene Gewissenserforschung uns vergegenwärtigen, damit wir erkennen, daß der Humanismus, wie er in der verwilderten Technik von heute praktiziert wird, revidiert werden muß.

Die technizistische Mystik der Erde Zu dieser kritischen Selbstbesinnung drängt uns auch die Tatsache, daß der Kommunismus selbst sich als Humanismus ausgibt. In der Tat läßt uns die Erwägung des kommunistischen Wesens auch in unserem eigenen humanistischen Glauben an uns selbst eine brüchige Stelle sehen. Erschreckt von der materialistisch-technizistischen Verwilderung der Technik, die den Menschen als Menschen zerstört, fragen wir nach der Einheit von Technik und Humanismus mit einem kritischen Zurückblick auf die bisherige Gestalt des humanistischen Glaubens an uns selbst. Dieser kritische Zurückblick auf uns selbst hat sich uns zu der Frage verdichtet: Wo bleibt in der glänzenden Entwicklung des naturwissenschaftlich -technisch -industriellen Fortschritts der Mensch selbst — der Mensch, den Marx doch gerade gesucht hat und den wir alle mit ihm in dem großen neuzeitlichen Experiment von Naturwissenschaft und Technik herbeizuführen getrachtet haben? Die technizistische Gestalt des technisch-industriellen Zeitalters erweist sich uns als getragen von einem in sich widersprüchlichen und zerstörenden Glauben des Menschen an sich selbst. Ich möchte von einem mystischen Materialismus im weiteren (nicht bloß dem kommunistischen) Sinn als derjenigen Philosophie reden, die die Gesellschaftsordnung auch unserer westlichen Welt trägt und mehr und mehr umzuformen sich anschickt. Nach diesem mystischen Materialismus verlangt die Natur danach, vom Menschen wissenschaftlich und technisch in die Hand genommen und dadurch in den Menschen einverwandelt zu werden. Diese sich in ihn einverwandelnde Natur — das ist hier der Mensch selbst, sein Großwesen, das sich ihm schenkt, das aber auch über ihn als über ein Mittel des Fortschritts verfügt. Die Erde hat den Menschen als das Werkzeug dieser ihrer Einverwandhtng in ihn — Mystik der Erde als Glaube des technisch-industriellen Zeitalters, als Glaube des Menschen an sich selbst. Erde, ist es dein Traum nicht, einmal unsichtbar in uns zu erstehn? Was wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag? Erde, du liebe, ich will; namenlos bin ich zu dir entschlossen! Zu dem, was da aus der Welt leuchtend aufscheint, schauen wir empor wie zu einer Art Wunder, das uns geschieht. Diesem unserem Wesen, das da bei der gemeinsamen technischen Selbstverwirklichung aus dem Schoß der Natur leuchtend auf uns zukommt, gehen wir im geschichtlich-gesellschaftlichen Prozeß entgegen mit einer förmlichen Weltseligkeit, Weltgläubigkeit, eben dem mystischen Materialismus, d. h. jener Mystik der Identität des Menschen mit der Natur, die wir als das allgemeine Grundwesen des Kommunismus freigelegt haben. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir teilen mit dem Kommunismus jenes allgemeine Grundwesen, das ich als technizistische Ausprägung der Mystik der Erde anspreche. In unserem heutigen Zustand ist diese Mystik der Erde wohl zunächst noch als eine bloße weichlich-schwüle Ganzheitsseligkeit wirksam, als jener Genußmaterialismus, möchte ich sagen, mit dem der einzelne in diesem Ganzen als seinem ihn wohlig umfangenden Element dahinschwimmt, mit dem Anspruch, man solle ihn ungeschoren lassen mit all dem, was das Lebensganze bisher von seinen einzelnen Gliedern gefordert hat — „Ohne mich. ’“. Aber diese gleiche Mystik der Erde finden wir heute bei der Jugend und bei den avantgardistischen Geistern in einem Umschlag begriffen. Gegenüber der genußmaterialistischen Ausprägung dieser Mystik der Erde mit ihrer sozialistischen Ganzheitsseligkeit reckt sich heute eine Art asketische Ganzheitsfrömmigkeit empor — ähnlich dem Kommunismus, aber wohl noch radikaler als er — wir werden es sehen.

Gerade diesen Umschlag der materialistischen Mystik der Erde, der heute im Gang zu sein scheint, müssen wir aufmerksam ins Auge fassen. Welches ist seine Ursache?

Die Enttäuschung der Jugend Das entscheidende praktische Ergebnis jener materialistischen Mystik der Erde liegt darin, daß der Mensch nun nur noch an das glaubt, was er als seine gegenständliche Gestalt, d. h. als seinen Machtkörper aus der Welt hervorbringt.

In ihm hat er das Mittel zur Selbstgründung seines Daseins in der Hand. In dieses sein angeblich eigentliches Selbst hinein, das ihm strahlend aus der Welt aufscheint, packt er, forschend und arbeitend, alles zusammen, was es auf der Welt gibt. Aber in diesen nun allein noch leuchtenden einen Punkt hinein, wie ihn die Welt als seine gegenständliche Gestalt oder als sein Machtkörper ihm bildet, wird zwangsläufig schließlich auch der Mensch selbst eingeplant und verrechnet, und damit wird der Sinn des menschlichen Daseins, ja gerade auch sein Streben nach Selbstgründung, in aller Form umgekehrt. Vom lebendigen Menschen hinweg verlagert sich der Schwerpunkt des Daseins auf die äußeren Mittel, deren angeblich selbständige Entwicklung hier das Dasein des Menschen dirigiert. Auch der Mensch selber wird zu einer Sache, Mittel zum Zweck.

Wahrhaft in sich widersprüchlich ist diese Mystik der Erde! Nicht mehr möglicher Heimweg des Menschen und Mittel seiner Vorsehung ist jetzt die Welt, denn dazu wird sie nur, wenn in ihr der Wille des Menschen, für sich und die Seinen die personale Hoheit zu wahren, das Feld behauptet. Je mehr wir die Welt mit unserer Menschenkunst ergreifen und verwandeln und dabei an sonst nichts mehr denken, als in ihr die gegenständliche Gestaltwerdung unserer schaffenden Kraft und die Ausbildung unseres Machtleibes zu betreiben, desto stärker verstricken wir uns in diese unsere Welt, und desto entschiedener waltet dann über dem Dasein aller einzelnen als eine einzige alleinigende Macht das Werk des Menschen und seine eigenmenschlich-künstliche Welt überhaupt, und auch schon die Natur, sein mögliches Arsenal. Mit der fortschreitenden Entfaltung des technisch-industriellen Unternehmens werden die Menschen, solange sie nur nach der Steigerung ihrer Macht trachten, mehr und mehr zusammengerückt, aber auch zusammengedrückt, sozusagen wie Sklaven ihres Leistungssolls aneinandergebunden und in Marsch, gesetzt — in Marsch gesetzt, wohin? Auf den Weg des Fortschritts des Ganzen, sagt man. Wohin geht diese Reise? Ist sie eine Heimreise, muß der Philosoph und der Erzieher fragen. Kann die Jugend diese aus dem bloßen Machtstreben hervorkommende Ordnung unserer Gesellschaft als möglichen Heimweg empfinden? Nein, sie kann es nicht. Die materialistische Mystik der Erde, dieser Glaube, der die bisherige technizistische Phase des technischen Zeitalters bestimmt hat und noch bestimmt, ist nicht eine Konzeption der Welt und eine Weisung für unser Leben von der Art, daß wir dadurch mit unserer Jugend zu einer heiligen, mitreißenden Kameradschaft des Daseins uns zusammengebunden fühlen. Es fehlt ihr das, was allein zuletzt und zuinnerst Menschen aneinander bindet: der Wille, in den gemeinsamen Verhältnissen einander die Möglichkeit des personalen Königtums offen zu halten, einander heimkommen zu lassen.

Von daher verstehen wir nun jene äußerst labile innere Situation der Jugend in unserer Gesellschaft, auf die gerade die Erzieher in ihrer täglichen Erfahrung immer häufiger gestoßen werden. Durch eine Reihe von merkwürdigen Symptomen — ich erinnere an das Halbstarken-wesen, an die Jugendbanden, allgemein an die Aufsässigkeit vieler Jugendlicher in Schule, Arbeitswelt, ja schon im täglichen Verkehr der Straße — zeigt uns diese Jugend, daß offensichtlich die Verhältnisse, in denen sie sich findet, und die Ordnung, in die sie nach unserem Willen hineinwachsen soll, ihr entleert, unbegründet, ungültig erscheinen. Die Jugend sieht diese Ordnung nicht mehr von dem in uns herkommen, was in ihr die Ehrfurcht weckt und von wo allein her der Mensch sich auf die Dauer in Zucht nehmen läßt: aus jenem gemeinsamen Willen von uns allen, miteinander eine solche Ordnung zu bauen, mit der wir, kurz und zusammenfassend gesagt, alle miteinander wohl-geborgen sind und heimkommen können. Das Verhalten unserer Jugend bringt die Krise auch des westlichen Humanismus an den Tag.

Damit stellt sich uns nun ein anderer Humanismus dar als wie wir ihn dem Technizismus oder Artifizialismus der Gegenwart zugrunde liegen sahen. Ich möchte ihn den kreatürlicken Humanismus nennen, d. h.denjenigen, der der Schöpfungsordnung ergeben ist — diesem großen Ja, das der Schöpfer durch die Natur hindurch zum Menschen gesagt hat — zum Menschen als einem hoheitlichen Wesen oder zum Menschen um seiner selbst willen. Als möglid'ie Heimkunft sprechen wir diesen Humanismus an — was heißt das?

Daheim fühlen wir uns dort, wo man um unserer selbst willen zu uns ja sagt; nicht daheim, sondern in der Fremde sind wir dort, wo man immer nur auf das schaut, was wir zu geben haben, im übrigen aber uns beiseite drängt und gar wegwirft. Aber wenn wir heimkommen, zu den Unseren, da grüßt man uns mit leuchtendem Auge, da freut man sich über uns, daß wir kommen; d. h., da schaut man nicht nur auf das, was wir bringen und zu geben haben, sondern da gibt man sich uns, da läßt man uns um unserer selbst willen sein — um unserer selbst willen und nicht bloß um dessentwillen, was wir zu leisten vermögen. Dies ist der Urquell und die Spitze menschlichen Daseins: für sich und die Seinen die Möglichkeit der Heimkunft zu betreiben, mit anderen Worten: das Wesen jener Vorsehung, die uns von oben her ebenso zuteil wird wie füreinander ausgetragen ist, diese eigenmenschliche Eigenvorsehung des Menschen für sich und die Seinen, in der allein die eigentlich menschliche Ehre besteht und die allein menschliches Leben und Schaffen glaubwürdig macht.

Was sagt dazu unsere Jugend? Wie steht es mit dieser eigentlich menschlichen Ehre in der technisch-industriellen Gesellschaft von heute? Sagen wir in ihr ja zueinander — ja zu uns um unserer selbst willen? Die Jugend vor allem erfährt es anders in dieser unserer Welt, die das Wesen des Menschen in das aufgelöst hat, was er zu leisten, was er zu der Welt als dem allgemeinen Machtleib und Leistungskörper beizutragen vermag. Diese technizistische Verzerrung des Wesens des Menschen müssen wir für das verantwortlich machen, was wir heute an unserer Jugend in schmerzvollem Nichtverstehenkönnen erleben. Es ist kalt geworden in unserer Gesellschaft, ihre innere Unverbindlichkeit und Fremdheit wächst, in ihr muß die Jugend seelisch frieren, und darum schlägt sie aus.

Der neue Sozialismus der Existentialphilosophie Aus der konkreten Erfahrung heraus, die wir als Erzieher mit der Jugend von heute machen, vermögen wir uns so das zerstörende Wesen jener Philosophie klarzumachen, die wir als die allgemeine und gemeinsame Grundlage des Kommunismus wie unseres eigenen geistigen Wesens ansprechen: jener materialistischen Mystik der Erde und des ihr zugrunde liegenden Prinzips von der Identischwerdung des Menschen mit der Natur, bei der der Mensch die anderen Wesen, die Naturdinge, die er handhabt, und seine Mitmenschen, mit denen zusammen er die Natur-dinge handhabt, nur noch im DunstHreis seiner selbst sich bewegen läßt, anstatt wie Metaphysik und Naturrecht es fordern, den anderen als anderen oder je von sich aus in seinem Dasein auftreten zu lassen. In der heute so beliebten Lyrik und Erotik von der Erde als der möglichen Gestalt des Menschen oder als dem, was in den Menschen einzuverwandeln ist, läßt der Mensch an den anderen Wesen nur noch das als gültige Größe für sein eigenes Dasein gelten, was sich ihm an diesem anderen Wesen unmittelbar erschließt. Aber damit sperrt der Mensch diese anderen Wesen in seine eigenen Lebensinteressen ein, und dann ist es um die Gerechtigkeit gegenüber dem anderen Wesen geschehen. Diese Gerechtigkeit beruht durchaus auf jenem hoheitlichen Abstand gegenüber den anderen Wesen, wie die Metaphysik ihn als Wesenszug des Menschen aufweist und das Naturrecht ihn als dem menschlichen Wesen gemäß für die gemeinsame Handhabung der Welt vorschreibt. Das Wort Gottes hat der Mensch in den anderen Wesen anzuerkennen und an ihnen zu befolgen — das Wort, mit dem Gott durch die Natur hindurch zu jedem einzelnen Menschen um je seiner selbst willen ja gesagt hat und das wir zu jedem einzelnen Menschen hin nachsprechen müssen.

Dies allein bietet die große Möglichkeit der Heimkunft für uns alle in dem gemeinsamen Gebrauch der Welt. Nur indem wir dieses Wort, das in der Schöpfung an den Menschen gerichtet ist, vernehmen und nachsprechen, bleibt die Welt für uns alle erträglich. Der Jugend vor allem läßt sich nur auf diese Weise endgültig imponieren und damit Autorität und Zucht auferlegen. Nur wenn wir die Vorsehung, diese Sorge für die Möglichkeit, gemeinsam miteinander heimzukommen, an unserer Jugend üben, bekommt diese Jugend das Gefühl, daß es in der Ordnung, die wir in der Gesellschaft bauen, um sie selbst geht, und dann macht sie, aus einem Urverlangen nach Heimkunft heraus, unweigerlich mit. In unserer heutigen Gesellschaft aber haben wir jene merkwürdigen Symptome der Skepsis, des Unmutes, der Aufsässigkeit, ja der Gewalttätigkeit einer Jugend vor uns, die die Ordnung, in die wir sie hinein zu führen uns bemühen, nicht mehr glaubwürdig findet und daher sich nichts mehr sagen lassen will. Als Vorboten eines Umschlages in dem unsere Gesellschaftsordnung tragenden Welt-und Lebensgefühl sprechen wir diese Erscheinungen an — Vorboten jenes Umschlags der Mystik der Erde, mit dem diese aus ihrer genußmaterialistischen Ganzheitsseligkeit in eine asketische Ganzheitsfrömmigkeit umschlägt.

Diesen Umschlag hat die Philosophie der Gegenwart schon umrißhaft formuliert. Ich möchte auch diesen westlichen Zweig der Philosophie der Gegenwart wiederum aus der konkreten Erfahrung heraus deutlich machen, die der Erzieher und allgemein der auf dem sozialen und staatlichen Feld tätige Mensch heute an der Jugend macht und die der Vertreter der empirischen Soziologie wie folgt beschreibt: Schelsky berichtet in seinem Buch „Die skeptische Generation" (1957) von einer Erscheinung heutiger Jugend, die sich zunächst zwischen den erschrek-kenden Symptomen der Glaubenslosigkeit wie ein tröstliches Zeichen des Gegenteils ausnimmt. In den jüngeren Vertretern der heutigen Jugend-generation zeige sich ein elementarer Widerspruch gegen die, wie Schelsky sagt, „Welt in Watte“, die der Jugend von heute durch die Gesellschaft angeboten werde, d. h. gegen die zum sozialen Programm gewordene allzu weiche Norm. Diese Jugendlichen, so berichtet Schelsky, fordern wieder Autorität von Seiten ihrer Eltern und Lehrer, sie sind zu Disziplin und asketischer Selbstzudit bereit, mitten in einer Welt, in der das Gegenteil zum sozialen Grundrecht geworden ist

Schelsky erwartet freilich von diesen hoffnungsvollen Regungen der jüngeren Generation keine sozial programmierbaren Auswirkungen. Er erklärt: „Wenn überhaupt elitäre Reaktionen von der kommenden Generation zu erwarten sind, dann in Richtung moralischer und religiöser Rigorositäten persönlicher Lebensgestaltung.“

Diesem Urteil Schelskys kann ich mich nicht anschließen. Mir scheint vielmehr in diesen radikalen Stimmungen der heutigen Jugend ein Feuer zu züngeln, das wir sehr genau im Auge behalten müssen. Wenn die Jugend von heute in dieser Weise nach Opfer und Askese ruft, dann müssen wir fragen, welcher Fahne sie in diesem ihren hochgemuten Aufbruch folgen werde. Die Abkehr vom bürgerlichen Materialismus des Genusses und die Hinwendung zu Opfer und Askese genügen als solche durchaus nicht für den Wiederaufbau der Zukunft. Opfer und Askese verlangt vom Menschen auch der Kommunismus: das Opfer der völligen Auslieferung des einzelnen Menschen an das Ganze oder, wie Marx sagt, der Aufhebung des Individuums in die Gattung. Zum Opfer ruft dann auch die Existentialphilosophie auf, diese im Westen selber gegen den Genußmaterialismus aufstehende Philosophie, die heute in Literatur, Theater, Film und allen Mitteln des öffentlichen Daseins einen breiten Anhang avantgardistischer Geister hat. Aufrüttelnd kritisiert sie das heutige Massendasein nicht nur in seiner feigen und feilen Willfährigkeit, die alles dem Genuß opfere. Frösche müssen ihre Störche haben! — so etwa schiebt die Existentialphilosophie diese bisherige unbekümmert — genußsüchtige Ausprägung des westlichen Materialismus beiseite, um die Jugend aus dem ihm entsprechenden allzu weichlich gefälligen Kollektivismus hervorzuholen. Auch nicht nur in seiner Bemühung um die individuelle und gruppenmäßige Erlangung gegenständlicher Macht und Sicherheit greift die Existentialphilosophie den heutigen Menschen an, sondern in jenem Sinn zuletzt ruft sie die Jugend zu Opfer und Askese auf, daß sie den Menschen auch noch aus der Gesellschaft existieren, d. h. innerlich heraus-23 stehen läßt, damit er das Land der Verheißung, das rettende neue Ufer erreiche — aus der Gesellschaft, die vom marxistischen Sozialismus und Kommunismus fälschlicherweise noch als der allein den Menschen bergende Hort verkündigt werde.

Achten wir auf diesen Umbruch, der heute auch in dem die westliche Gesellschaftsordnung tragenden humanistischen Glauben des Menschen an sich selbst geschieht. Zunächst zielt diese neue Philosophie — und sie vermag damit viele vor allem jugendliche Geister zu bedrücken — auf die Heraussdiälung der Elite aus der Masse ab. Aber was heißt dann für sie Elite, und was ist es, was sie damit dem von ihr geforderten Opfer als Sinn gibt?

Nun, als Elite können hier bei dem Aufbruch in das „Wesen der Technik“, wie Heidegger in seiner Existentialphilosophie ihn formuliert, nur diejenigen gelten, die in der technischen Selbstdarstellung des Menschen oder in der Hingabe an das Wesen der Technik vorne daran sind, in der Darlebung also jenes tediviizistisd'ien und artifizialistisdien Glaubens, den wir in seinem radikal-humanistischen Wesen analysiert haben. Bei tieferer Prüfung erweist sich die Existentialphilosophie als nichts anderes denn eine Theorie der technokratischen Diktatur. Sie verkündigt, indem sie das technische Schaffen zu einer Art Religion macht, die rücksichtslose Selbstgesetzlidikeit des tedinisdien Fortschritts als des wadi-senden Hervortritts des Menschen „selbst“ in der Gestalt des Seins, das in ihm als dem „Dasein“ geschehe. Gegenstand des von ihr verkündigten Glaubens ist dieses Sein, dessen Da oder Geschehen der Mensch sei, Gegenstand des von ihr geforderten Opfers daher muß nur, wie im Kommunismus, die personale Eigenständigkeit, sondern jedwede, auch die kollektive Subjektivität, d. h. Daseinsführung; auch diese sei zu opfern zugunsten einer restlosen Einordnung des Menschen in das Sein; diesem strahlenden Aufgang des Menschen „selbst“ habe der einzelne sich völlig als Werkzeug hinzugeben. Hier kommt also der technizistisch-artifizia-listische Glaube oder die materialistische Mystik der Erde mit der sie kennzeichnenden Depersonalisation des Menschen auf ihre Spitze: der Selbstgesetzlichkeit des technischen Fortschrittes heißt die Existentialphilosophie alles opfern, was ihr in der heutigen Gesellschaft an Überbleibseln der personalen Eigenständigkeit des Menschen und der naturrechtlichen Ordnung überhaupt noch entgegensteht. Audi in unserer westlichen Gesellschaft brütet unter der weichlich-sdiwülen Oberfläche des Genuf^materialismus die Diktatur, und wir müssen dafür sorgen, daß die Jugend in ihrem neuen Sinn für Opfer und Askese nicht den Verkündigern dieser technokratischen Diktatur zum Opfer falle. Ich sehe in der Existentialphilosophie und ihrem breiten Gefolge innerhalb der jungen westlichen Intelligenz eine faschistische Theorie der Elite, die höchst verderblich ist.

Diese Bewegung putscht in dem einzelnen jenes zwiespältige Gefühl auf, das in ihm gegenüber einer Welt erwächst, die sich ihm als gleichmacherische Massengesellschaft präsentiert, um ihm zwar mit der einen Hand alles, was er für das Leben nötig hat, zu geben, mit der anderen Hand aber ihm sein spezifisch menschliches Gut, die personale Eigenständigkeit, zu verweigern. Für das Leben in diesem kollektivistischen Ganzen gibt die Existentialphilosophie die einzige Weisung: der einzelne solle hier Gewalt gegen Gewalt setzen und das ihn räuberisch ausholende Ganze der heutigen Gesellschaft seinerseits in seine räuberisch-harte Hand nehmen und rücksichtslos ganz zu sich selbst, in seinen eigenen „plastischen Tag“ herumdrehen, d. h. die Welt völlig nur als die je seinige handhaben und aus ihr glorreich sich selbst hervor-arbeiten. Das Wort „räuberisch“ in dieser Wesenskennzeichnung des menschlichen Daseins stammt nicht von mir, sondern von der Existentialphilosophie selbst. Was bedeutet es?

Das, wohinein hier der Mensch alles Technische, also auch den technisch schaffenden Menschen als solchen trayiszendieren und wofür er alles opfern muß, ist das „Wesen der Technik“, d. h. die innere Einsamkeit und sozusagen heilige Bergeshöhe der „schaffenden Sehnsucht“. „Wenn Dir einmal,“ so argumentiert Heidegger mit den dichterischen Worten von Hölderlin, „das Sein als die leuchtende technische Neugestalt der Welt und des menschlichen Lebens aufzugehen und Dich in seinen Bann zu schlagen begonnen hat — trauernd verweilest Du dann am kalten Gestade bei den Deinen und kennst sie nie! Als Schaffender darfst Du auch die Deinen in ihrem Anspruch auf die Geborgenheit in der Gesellschaft nicht kennen; auch von denen, die zu Dir gehören, in jener ihrer Zusammengeballtheit zu einem Kollektivsubjekt des Daseins, mußt Du . Abschied“ nehmen, die mit der Technik, wenn sie als das Wesen des Menschen betrieben wird, notwendig einherkommt, und die bei Marx noch das Erste und Letzte oder das rettende Eins und All des menschlichen Daseins bildet.“

In jene seine äußerste Innerlichkeit hinein muß nach der Existentialphilosophie der Mensch bei der gemeinsamen Handhabung des Geschehens sich abscheiden, in der allein ihm als die wahre Natur der Dinge und seiner selbst jener heimliche Quell sprudelt, der alle, die Unternehmer wie die Arbeiter, mit der gleichen leuchtenden Substanz nährt und aufbaut, die sie zu dem einen Dasein als dem Da des Seins oder zu der Stätte und dem Organ des „Wesens der Technik“ macht — des „Wesens der Technik“, zu dessen selbstgesetzlicher Entwicklung alle miteinander als das Da des Seins, d. h.der im Menschen erstehenden leuchtenden Neu-gestalt der Welt, aufgeboten sind.

Sicher verkündigt die Existentialphilosophie auf dieser Grundlage an die Träger der Macht ein neues, gegen die Unbekümmertheit des Genußmaterialismus gerichtetes Ethos: in einer mit der religiösen Ergriffenheit wetteifernden Unbedingtheit fordert sie den schaffenden Menschen auf, in Opfer und Askese Hirte des Seins zu sein, d. h. „inständig“ von allem Technischen hinweg in das Wesen der Technik oder in den im menschlichen Schaffen geschehenden leuchtenden Aufgang der Welt und des menschlichen Lebens hineinzustehen.

Die Existentialphilosophie verkündigt also eine Theorie der Elite, nach der der starke einzelne zu Gunsten der postulierten Selbstgesetzlichkeit der sich entwickelnden Technik auch von dem dabei sich zusammenballenden Corpus mysticum aller Dinge und Menschen sich abzuwenden, also auch die kollektivistische Gesellschaft nicht mehr als Instanz für das Geschehen der Technik anzuerkennen, vielmehr der Technik nur nach ihrem heiligen „Wesen“ sich zu ergeben habe. Vom Opfer alles Personalen schlechthin lebt dieses „Wesen der Technik“, von der Hineinverfügung auch der Gesellschaft in das Abenteuer der Technik hinein.

Was die Existentialphilosophie damit vertritt, ist die absolute Funktionalisierung des Menschen. Gewiß meint diese Philosophie damit in der Theorie auch den Verzicht des Menschen auf die ihm durch die Technik gegebene Macht, und zwar auf sie auch noch in der Form eines seiner eigenen Kollektivform überantworteten Besitzes. Aber was die philosophische Theorie nobel meint, gewinnt in der Praxis des Lebens oft ein die Theorie geradezu umkehrendes Gesicht, und damit müßte diese Philosophie rechnen, wenn sie sich anschickt, in ihrer Theorie des Daseins den Menschen auch noch von den letzten Haltetauen loszulösen, die ihn an die übermenschlichen Grundlagen seines Daseins binden.

Die in der Existentialphilosophie geforderte Existenz oder der innerliche Herausstand des Menschen auch nodt aus der kollektivistischen Gesellsdiaft — so sehr ihn diese auch in sich banne — bedeutet nicht etwa die Zurückkehr de» Menschen zu der auf die personale Eigenständigkeit des Menschen zielenden Ordnung, sondern umgekehrt die Reinigung der Gesellschaft auch noch von dem, was in ihr als letzter demokratischer Rest institutioneller Sicherung der personalen Hoheit des Menschen noch enthalten ist. Unbeschwert von dem Schicksal der Massen, die ihn tragen, darf sich hier der schaffende Mensch in die sich selbstgesetzlich entwickelnde Technik hineingeben, um in und mit ihr allein seine eigene leuchtende Sternenbahn zu ziehen.

Dies ist die philosophische Formulierung jenes Umbruches im Welt-und Lebensgefühl der heutigen Gesellschaft des Westens, wie er der in dieser Gesellschaft aufwachsenden Jugend mehr oder weniger zwangsläufig sich ergibt. Was in dieser existentialphilosophischen Theorie der Elite einerseits, in der radikalen und gewalttätigen Stimmung heutiger Jugend andererseits sich zeigt, das scheint uns aus einer und derselben giftigen Wurzel zu sprießen: aus der Verzweiflung an der guten Kraft der Person und ihrem Gewissen springt der Aufstand gegen die ordnende Macht alles dessen auf, was in der heutigen Gesellschaftsordnung noch auf dem Glauben an die Freiheit und Würde der mensch-liehen Person beruht. Eine Theorie der gegen-demokratischen Revolution also steckt in dem existentialphilosophischen Postulat der Existenz. Diese Eksistenz oder der innerliche Herausstand des Menschen auch noch aus der Gesellschaft bringt in diese eine ungeheure Schärfe hinein, sie bedeutet sozusagen die totale Vereisung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch in unserer westlichen Gesellschaft brütet unter der weichlich schwülen Oberfläche des Genußmaterialismus und rüstet sich geistig unter dem Titel der Existentialphilosophie zur politischen Aktion die technokratische Diktatur.

Dieses System der Verzweiflung an der guten Kraft des personalen Gewissens und der auf ihr aufbauenden naturrechtlichen oder Schöpfungsordnung, dieser Glaube nur noch an die Je-meinigkeit der Welt, der den Verlust des Glaubens daran bedeutet, daß die Menschen die Welt miteinander für alle heimatlich zu halten vermögen, breitet sich heute aus, und aus ihm kommt unaufhaltbar die zynische Mißachtung der personalen Hoheit des Menschen. In dieses dem Kommunismus sehr verwandte Welt-und Lebensgefühl beginnt heute auch im Westen die weichlich-genußmaterialistische Form der Mystik der Erde umzuschlagen — falls wir sie nicht entschieden stellen und packen und damit unseren Humanismus wieder auf die rechte Bahn zurückbringen.

Wir sehen diese neue Mystik der Erde, diesen harten, wilden und gewalttätigen Glauben des Menschen nur noch an das Je-seinige der Welt verkörpert und zu neuer Ausstrahlung zusammengeballt in dem Welterlebnis jener kleinen Schar der jungen Intelligenz von heute, die sich als angebliche Elite berufen fühlt, dieses Ganze der Welt drakonisch an die Zügel ihrer eigenen glorreichen Selbstdarstellung zu nehmen.

Das Wort Elite scheue ich: es ist an dem Menschen ausgerichtet und nicht an der sachlichen Aufgabe: wir finden es in der Menschheitsgeschichte immer wieder in Verbindung mit dem in der Gegenwart neu aufstehenden Gnostizismus, wo die Erleuchteten, die Auserwählten, die Begnadeten, die „welthistorischen Individuen“ usw. aus der Masse heraus-und ihr gegenübertreten. Diese politische Verwendung des Wortes Elite in der Gegenüberstellung zur Masse führt doch wohl unweigerlich zur Diktatur. Nicht Elite zu sein gegenüber der Masse hat der Mensch, sondern Vorsehung hat er zu sein für sich und die Seinen, d. h. allen Menschen insgesamt und in ihrer schicksalhaften Gemeinschaft die Möglichkeit offenzuhalten, je in ihrem Bereich sozusagen ein König und damit gemeinsam mit den anderen um je ihrer selbst willen sein zu dürfen oder heimzukommen.

Die positive GeQenlosung

Vor dieser unserer naturrechtlichen Warte können die existentialphilosophischen „Hirten des Seins", diese Träger einer angeblichen antidemokratischen Erneuerung, in keiner Weise bestehen. Was ihnen fehlt, das ist, mit einem Wort, der Wille zur Vorsehung, d. h. die Entschlossenheit, wie für sich selbst so auch für die Ihrigen die Möglichkeit der Heimkunft offen-zuhalten.

Gegenüber dieser existentialistischen Philosophie der Elite, die sich uns als Theorie der technokratischen Diktatur entlarvt, richten wir damit unser Gegenbild auf: was das Dasein zu tragen und die Welt heimatlich zu halten vermag, das ist ausschließlich die Vorsehung als Sorge dafür, daß die Welt die geweinsaute Heimstatt von uns allen bleibe — die Vorsehung Gottes und die Eigenvorsehung des Menschen. Indem wir für die Unseren sorgen, gewinnen wir selber erst unser wahres Sein. Es sind unsere Aufgaben, die uns tragen; als deren Träger allein bekommen wir selber Boden unter die Füße und strahlen wir durch das, was wir in uns verkörpern, Autorität gegenüber den anderen aus, machen wir unser gemeinsames Dasein und die Ordnung der Gesellschaft, die wir bauen, glaubwürdig. Dies ist der einzige Weg, der uns bleibt, um diesem schrecklichen Unglauben, diesem gefährlichen Skeptizismus zu steuern, der heute die Jugend gegenüber der Ordnung, in die wir sie eingliedern wollen, befallen hat.

Noch konkreter weist uns hier die Jugend selber den Weg: indem sie gegen ihre Vereinnahmung durch eine Gesellschaft sich auflehnt, die ihr nicht mehr glaubwürdig und gültig erscheint, konstatiert sie den Bankerott dieser Gesellschaft, die dem Menschen nur noch die Aneignung und Nutznießung der Welt zumutet, dafür aber auch den Menschen selbst für den Fortschritt ihrer Handlichkeit in Anspruch nimmt. Als den eigentlichen Grund der seelischen Not unserer Jugend von heute müssen wir die zunehmende gesellschaftliche Unwirksamkeit der die Familie aufbauenden Kräfte erkennen. Hineingeworfen in die Kluft, die heute zwischen der Familie und ihrer aus der väterlichen und mütterlichen Hingabe strahlenden Wärme einerseits und der Gesellschaft, der Arbeitswelt und dem öffentlichen Leben andererseits aufgerissen ist, muß die Jugend die Geborgenheit und den Frieden der ursprünglichen Lebenskreise schmerzlich entbehren. In eben dieser ihrer Erfahrung des Mangels aber ist sie dazu berufen, das, was ihr in unserer Gesellschaft mangelt, wieder aufzubauen. Was wir Erwachsenen, von der Mystik der Erde verführt, bisher der Jugend schuldig geblieben sind — den Aufbau der gesellschaftlichen Ordnung als Ausdrud? unseres gemeinsamen Willens, einander Heimstatt zu gewähren — das muß die Jugend gleichsam selber sich schaffen.

Die ursprünglichen und allein Heimat schaffenden Kräfte, die sich in der Familie und von dort aus in den persönlichen Lebenskreisen formieren, büßen in der heutigen Gesellschaft deshalb in fortschreitendem Maße ihre Wirksamkeit ein, weil diese heutige Gesellschaft einseitig von den Trägern jener Kräfte geprägt ist, für die die werkhafte Selbstverwirklichung des Menschen dessen eigentliches Wesen bedeutet.

Was der heutigen Gesellschaft grundlegend fehlt, ist die Auswirkung jenes innersten Bestandes der Wirklichkeit, mit dem diese gleichsam auf die menschliche Person als solche wartet: jene potentielle Intelligibilität oder mögliche Persongegenständlichkeit des Naturgeschehens, mit der dieses dem Menschen vom Schöpfer gleichsam als ein Nest und Hort in der Welt bereitet ist — vom Schöpfer im Naturgeschehen angelegt, wenn auch als ein solches, das dem Menschen in die Hand gegeben ist und das daher die Menschen einander tätig anzutun und als Möglichkeit für alles, was Menschen-antlitz trägt, zu bewahren haben. In dieser Weise handhaben das Naturgeschehen für den Menschen in ursprünglicher Selbstverständlichkeit die Väter und Mütter, d. h. diejenigen, die den Menschen als Mensch oder um je seiner selbst willen hegen und pflegen.

Von den Managern des wissenschaftlich-technisch-industriellen Fortschrittes dagegen wird die Wirklichkeit nicht mehr in ihrer personalen Fülle und Tiefe, sondern nur noch sozusagen in ihrer Oberfläche, als gemeinsamer Daseins-apparat und Machtkörper der Menschheit, bestanden. Szientifistisch-technizistisch betreibt der Mensch bei der gemeisamen Handhabung des Geschehens in diesem Geschehen nur noch die gegenständliche Gestaltwerdung seiner selbst, er nimmt die Welt nur noch als Material seines Könnens: „Ich fühle, ich kann, und ich fasse den plastischen Tag!“ (Rilke). Nichts gegen diesen plastischen Tag des Menschen, er gehört zur menschlichen Natur! Aber wenn der Mensch nur noch diesen plastischen Tag oder die glorreiche tätige Anschauung seiner selbst in der Welt als den Sinn seines Daseins kennt, dann wird es darin für den Menschen als Menschen Nacht, und in dieser szientifistisch-technizistischen hausen die Dämonen.

Die seelische Beute dieser tückischen Kräfte droht die enttäuschte Jugend von heute zu werden. In dieser unserer Jugend müssen wir daher die Gegenkräfte zu dieser den Menschen als Menschen bedrohenden Entwicklung wecken. Irgendwie schlummern diese heilenden und zur Abwehr der Bedrohung tauglichen Kräfte in jedem Jugendlichen als solchem, sei es von seinem Vater und von seiner Mutter her, sei es auf die eigene ihm winkende Bestimmung hin, einmal väterlicher oder mütterlicher Grund und Hort der Seinen zu sein. Diesen Fundus einer antikollektivistischen Sehnsucht nach dem eigenständigen Dasein in der Jugend zu beleben und zu entwickeln — das ist der einzige

Weg, der sich uns bietet, der heutigen Entwicklung, die den Menschen als Menschen bedroht, Herr zu werden.

Nur indem wir die Jugend zu diesem ihrem und unserem Beruf der menschlichen Vorsehung führen, vermögen wir ihr festen Halt zu geben. Die dem Jugendlichen anvertraute Sorge für die anderen erhebt und festigt ihn selbst. Einmal Vater und Mutter zu sein, für diejenigen, die auf einen angewiesen sein werden, zu sorgen und dafür sich durch seiner Hände Kraft eine Existenz zu bauen — das ist es, was allein der Jugend in ihren inneren Stürmen und gegenüber der äußeren Verführung der Welt Halt zu bieten vermag. Diese eigentlich menschliche Ehre, selber Vorsehung sein zu dürfen, diesen innersten Grund und Halt bringen wir in die Jugend hinein auf die Weise, daß wir ihnen diese eigentliche Ehre des Menschen selber erweisen, also sie selber als Vorsehung auftreten lassen; nur indem wir diese eigentlich wensdtlische Ehre des Menschen an ihnen üben, vermögen wir sie mit fortzureißen in jene heilige Kameradschaft des Menschseins hinein, die allein uns allen Heimat zu geben vermag.

Dies also ist die Bahn, auf die wir im naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Zeitalter unseren Glauben an den Menschen bringen müssen: gegenüber der heraufziehenden einseitigen Herrsdiaft der Manager, d. h.der wissenschaftlich-technischen Spezialisten, Organisatoren usw., müssen wir in der Jugend jene väterliche und mütterliche Vorsehung erwecken, die den Menschen als Menschen oderumseiner selbst willen hegt und pflegt. Aber um in dieser Weise von der eigentlichen menschlichen Ehre gepackt zu werden, muß die Jugend unsererseits dieselbe erfahren. Nur durch das, was wir an unseren Jugendlichen tun, nur indem wir sie in ihrer Eigenschaft als Menschen ehren, beleben und entwickeln wir in ihnen jenen -eigentlichen und allein legitimen Glauben des Menschen an sich selbst, den Glauben an die Ehre der menschlichen Vorsehung, an das personale Gewissen. Der Widerhall dieser höchsten Ehre des Menschen in einem menschlichen Bewußtsein — diese wahre kreatürlich-humanistische Erwek-kung der Herzen und Gewissen ist es, die die Welt als eine mögliche Heimstatt für alle bewahrt. aus politik und Zeitgeschichte Aus dem Inhalt der nächsten Beilagen:

Dean Acheson, Henry A. Kissinger, Malcolm W. Hoag, Christian A. Herter, Lionel Gelber:

Die Vereinigten Staaten und Europa Robert J. Alexander:

Die kommunistische Durchdringung Lateinamerikas Walter Grottian:

Die neue Phase im öffentlichen Kampf zwischen Moskau und Peking seit 1962

K. A. Jelenski:

Die Literatur der Enttäuschung Wanda Kampmann:

Die Vorgeschichte der bolschewistischen Revolution als Einführung in das politische System der Sowjetunion Walter Z. Laqueur:

Rußland mit westlichen Augen Richard Löwenthal:

Kommunismus und nachkoloniale Revolution Boris Meissner:

Die marxistisch-leninistische Lehre von der . Nationalen Befreiung" und dem „Staat der nationalen Demokratie“

Günther Nollau:

Zerfall des Weltkommunismus — Einheit oder Polyzentrismus Helmut Wagner:

Ich habe nur das Beste gewollt Egmont Zechlin:

Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche (IV. Teil)

Fussnoten

Weitere Inhalte

Jakob Hommes, Dr. phil., o. Professor für Philosophie und Theologie. Rektor der Phil. -theol. Hochschule Regensburg, geb. 12. Oktober 1890 in Völklingen/Saar.