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Anhang | APuZ 22/1963 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 22/1963 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche im Ersten Weltkrieg Anhang

Anhang

Nr. 30

AA. Deutschland 131 geh.

Der deutsche Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler (Abschrift)

pr. 2. April 1914 Nr. 108

Petersburg, den 31. März 1914

Die Auslassungen einiger hiesiger Blätter und der-Moskauer Russkoje Slowo über eine Annäherung zwischen Rußland, Frankreich und Deutschland haben hier weniger Beachtung gefunden als im Auslande. Der sensationelle Artikel der Russkoje Slowo betreffend angebliche Äußerungen, die Seine Majestät der Kaiser und König im Dezember 1912 zum General Suchomlinow gemacht haben sollte, ist von keiner einzigen hiesigen Zeitung reproduziert oder besprochen worden

Wie mir der Militär-Attache, Major von Eggeling, der am Tage nach der Rückkehr des Kriegs-ministers von diesem empfangen wurde, sagte, machte die Entrüstung des Generals Suchomlinow über den erwähnten Artikel einen durchaus ungekünstelten Eindruck. Man muß daher annehmen, daß der General an dem Erscheinen des Artikels tatsächlich unschuldig und durch denselben peinlich berührt worden ist.

Offen bleibt aber die Frage, wer der wirkliche Urheber der angeblichen Enthüllungen des Moskauer Blattes ist. Herr Sasonow ist überzeugt davon, daß, wie die Artikel der Nowoje Wremja und der Wetschernaja Wremja über die im Jahre 1908 erörterte Idee der oben erwähnten Neu-gruppierung der Mächte, so auch die Mitteilungen der Russkoje Slowo, betreffend angeblich über den Nutzen einer solchen Gruppierung von unserem Allergnädigsten Herrn im Dezember 1912 getane Äußerungen, vom Grafen Witte ausgehen.

Daß Graf Witte den erstgenannten Artikeln nicht fern steht, scheint mir außer Zweifel. Der Graf ist ein Gegner der russisch-englischen Entente, und aus Äußerungen, die er gelegentlich auch mir gegenüber getan hat, geht hervor, daß ihm eine Kombination Rußland-Frankreich-Deutschland als Ideal vorschwebt. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, daß die Vermutung des Herrn Sasonow richtig ist, und Graf Witte auch hinter den Veröffentlichungen der Russkoje Slowo zu suchen ist. Vielleicht hat er dabei auch dem Kriegsminister, indem er ihn in den Ruf der Indiskretion brachte, einen Streich spielen wollen.

Die Frage ist nur, was Graf Witte sonst in diesem Augenblick mit jenen Preßtreibereien bezwecken konnte. Ich möchte glauben, daß keine andere Absicht zu Grunde lag, als von sich reden zu machen. In der Tat sucht der Graf besonders seit einigen Monaten bei jeder Gelegenheit die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und Einfluß auf den Gang der Politik auszuüben. Er rühmt sich laut, daß er es gewesen ist, der den Grafen Kokowtzow gestürzt hat und fährt auch jetzt noch fort, die Finanzverwaltung Kokowtzows aus das Schärfste zu kritisieren. Da er weiß, daß er sich der Kaiserlichen Gnade persönlich nicht erfreut, so hat er neuerdings enge Beziehungen mit Persönlichkeiten angeknüpft, deren großer Einfluß auf den Zaren allgemein bekannt ist. Man spricht sogar von geheimen Zusammenkünften, die der Graf in finnländischen Dörfern mit dem bekannten, bei Hof hochangesehenen religiösen Eiferer Rasputin, mit dem das Ehepaar Witte schon seit einiger Zeit Verkehr pflegt, haben soll. Die Ansicht, daß Graf Witte auf den verschiedensten Gebieten intriguiert, ist so sehr verbreitet, daß ich sogar die Vermutung habe aussprechen hören, er stehe auch der gegenwärtigen Streikbewegung unter der hiesigen Arbeiterschaft nicht fern. Man glaubt vielfach, daß Graf Witte um jeden Preis wieder zur Macht gelangen möchte und selbst nicht davor zurückscheuen würde, innere Erschütterungen hervorzurufen, um dann als der Retter Rußlands aufzutreten.

Die über die Intriguen des Grafen verbreiteten Gerüchte mögen gewiß stark übertrieben sein, daß er aber neuerdings gerne bei jeder Gelegenheit hervortritt und hinter den Kulissen Einfluß auszuüben sucht, ist Tatsache.

Es läßt sich nun sehr wohl denken, daß der Graf Kombinationen auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik lanziert, von denen er weiß, daß sie vielen Russen sympathisch sind. Er mag dabei die Absicht haben, den Gedanken anzuregen, daß, wenn Rußland über einen genialen Leiter seiner auswärtigen Politik verfügen würde, wie Graf Witte, manche politischen Träume und Wünsche sich vielleicht verwirklichen ließen.

Wie ich in meiner Berichterstattung schon öfters hervorzuheben mir erlaubt habe, begegnet man, abgesehen von denjenigen Kreisen, welche alles Deutsche leidenschaftlich hassen, bei vielen Russen der Ansicht, daß Rußland und Deutschland in den besten Beziehungen miteinander stehen könnten, wenn Österreich nicht zwischen uns stünde. Da man nun andererseits die Vorteile Jes Bündnisses mit Frankreich nicht preisgeben möchte, so ergibt sich daraus die Wittesche Kombination.

Als ich neulich in einem längeren vertraulichen Gespräch Herr(n) Sasonow sagte, ich hätte den Eindruck, daß es hier Leute gebe, denen eine Kombination, wie sie angeblich von Graf Witte angeregt worden sei, nicht unsympathisch wäre, erwiderte Herr Sasonow lebhaft, es gebe nicht nur einige Russen, sondern die meisten würden diese Mächtegruppierung gern sehen, aber leider, fügte der Minister hinzu, würde Frankreich für diese Gruppierung nur um einen Preis zu haben sein, den Deutschland nicht zahlen könne.

gez. Pourtales.

Nr. 31

AA, Wk geh.

Jagow an Pourtales (Privatbrief-Ausfertigung)

Lieber Pourtalesl Gr. Hauptquartier, den 11. Nov. 1914

Die Mitteilung des Lucius'schen Briefes betr. Divergenzen mit dem Großfürsten Nicolai hat den Reichskanzler auf folgenden Gedanken gebracht. Wäre es möglich, mit irgend welchen russischen Persönlichkeiten Fäden zu spinnen, um die Mißstimmigkeiten zwischen Kaiserin-Mutter, Kaiser, Großfürsten und eventuell Generälen zu vertiefen?

Wir müssen bei dem Übermaß unserer Feinde natürlich immer trachten, die Dreiercoalition zu sprengen. Väterchen Nicolaus soll nach einer schwedischen Nachricht ja schon einmal recht kriegs-müde gewesen und nur von Nicolai zum Ausharren bewogen oder gezwungen worden sein. Ob wahr oder unwahr, ist wohl schwer zu ermessen. Ganz unwahrscheinlich klingt es ja nicht. Könnte man nicht zunächst die Uneinigkeit im eigenen russischen Lager schüren? Die Intriguen werden ja — wie auch anderswo — in Petersburg nicht aufhören. Kennen Sie irgendwelche Persönlichkeiten, durch die man Nachrichten über die Vorgänge erhalten oder die man in dieser Richtung noch ansetzen könnte? Vielleicht über Schweden? Kennt Lucius welche? Besteht im russischen Lager wirklich Uneinigkeit und sollte etwa der Großfürst fallen, so würde damit die event. Sprengung der Coalition auch erleichtert.

Selbstverständlich müssen wir jeden Anschein vermeiden, als wünschten wir Frieden zu machen. Das würde unsere Position nur schwächen.

Aber in der russischen Armee scheint doch vieles zu hapern: Offiziersmangel, Riesenverluste, schlechte Verpflegung, Munitionsmangel, unpassierbare Wege in Polen etc. Sonst wäre es unerklärlich, daß die russische Armee den Erfolg bei Warschau noch nicht schneller und energischer ausgenutzt hätte. Lassen Sie sich die Sache durch den Kopf gehen und suchen Sie nach Fäden. Es ist für alle Eventualitäten nützlich solche an der Hand zu haben. Mit herzlichen Grüßen in Eile stets aufrichtigst der Ihre

Jagow.

AA, Wk 2 secr.

Bethmann Hollweg an Albert Ballin AA, Wk 2 geh. (Reinkonzept)

Lieber Herr Ballin!

Gr. Hauptquartier, den 25. Dez. 1914

Die Verzögerung einer Antwort des Staatsrats Andersen läßt mich vermuten, daß entweder die Stimmung in Petrograd für Friedensvorschläge überhaupt noch nicht reif ist oder daß der Zar sich auf keine Antwort einlassen will, ohne sich vorher mit den anderen Alliierten ins Benehmen zu setzen. Beides würde ich gleichmäßig bedauern, da uns vor allem an einer Sprengung der Koalition, also an einem Separatfrieden mit einem unserer Gegner, und bei der jetzigen Kriegslage mit Rußland gelegen sein muß.

Nach privaten, über Stockholm gekommenen Nachrichten aus Petersburg scheint der Einfluß des Grafen Witte wieder im Wachsen zu sein, man will in ihm sogar schon den Nachfolger des jetzigen Finanzministers Bark sehen, der sich als unzulänglich erwiesen haben soll. Bei den bekannten Ansichten Wittes würde mir ein Wiedererscheinen desselben auf der politischen Bühne natürlich sehr vorteilhaft erscheinen. Vielleicht wäre es angezeigt, beizeiten mit ihm Fäden anzuknüpfen. Stehen Sie mit dem Grafen noch in Verbindung oder verfügen Sie über Kanäle, die zu ihm führen? Glauben Sie in einer die Regierung nicht kompromittierenden Weise, ganz von sich aus, eine Taube mit einem diskreten Ölzweig an Witte gelangen lassen zu können? Wenn diese Voraussetzungen wirklich erfüllt sind, könnte sich so vielleicht doch eine günstige Entwicklung anbahnen lassen.

Schluß m. p. gez.: v. Bethmann Hollweg Nr. 33

AA, Wk 2 geh.

Robert Mendelssohn an Staatssekretär Jagow (Brief, eigenh.)

Liebe verehrte Exzellenz, Berlin W 56, d. 26. Dez. 1914

Ihren Brief v. 24. d. M. erhielt ich heut vormittag und Sie können sich denken, wie stark er mich beeindruckt und wie er mich beschäftigt, es wäre mir eine außerordentlich große Freude, wenn ich mit meinen schwachen Kräften zur Verwirklichung Ihres herrlichen Gedankens beitragen könnte und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich alles daransetzen will, damit es gelingt. — Aber Sie werden es mir nicht verübeln und es mir nicht als Kleinmütigkeit auslegen, wenn ich es nicht wage, in einer so gewichtigen Sache etwas zu unternehmen ohne Ihren Rat und Ihre Billigung dazu einzuholen.

Ich erlaube mir daher, einen Entwurf eines Briefes an W. beizufügen mit der Bitte, möglichst viel daran zu ändern und zu korrigieren.

Zur Erläuterung, besonders des Einganges möchte ich erwähnen, daß ich außer der Ihnen bei Ihrer letzten Anwesenheit hier erzählten Episode bezüglich des W’schen Depots seit dem Kriege in gar keiner Verbindung mit ihm stand oder stehe und deshalb einen anderen Vorwand, ihm zu schreiben, nicht habe; der Grund meines Briefes ist daher etwas an den Haaren herbeigezogen, aber ich weiß mir nicht anders zu helfen. Was die Sache selbst anbelangt, so habe ich bisher keinen Einblick in die Stimmung, welche in Petrograd herrscht, besonders nicht, ob die Mutlosigkeit schon so weit gediehen ist, daß der Wunsch nach dem Frieden vorherrschend ist, wenn man auch hoffentlich in großer Sorge, angesichts der Niederlagen und sonstigen Schwierigkeiten, welche Sie erwähnen, ist. Aber hält man sich dort wirklich für genügend geschlagen? Ist der Munitions-und Waffenmangel so groß? Können die zahlreichen und großen Fabriken, welche Tag und Nacht arbeiten sollen, nicht Ersatz schaffen?

Ich werfe diese Fragen nur auf, um den Gedanken anzuregen, ob wir jetzt schon den östlichen Feinden gegenüber in die möglichst günstige Situation für den Schritt W. gegenüber gekommen sind. Allerdings ist Fortuna veränderlich und die Lage könnte sich für uns, wovor ein gütiges Geschick bewahren möge, auch verschlechtern. Die Wahl für den richtigen Zeitpunkt für m. Quod Dii bene vertant. y In wärmster Erwiderung Ihrer gütigen freundlichen Wünsche und mit herzlichen Empfehlungen auch von meiner Frau verbleibe ich in bekannter größter Hochschätzung Euer Exzellenz treu ergebener Rob. Mendelssohn

Robert Mendelssohn an Witte Entwurf Mon eher et trs honor Comte, (Anlage)

Ayant une occasion pour vous faire parvenir un mot par l’entremise de la Legation de Suede, je m'empresse den profiter pour revenir sur le sujet de votre dpt dans notre maison. J’ai ete dsol de ne pas pouvoir acceder ä votre desir de transferer vos titres en Suisse, mais votre Excellence aura compris que vu les mesures prises en Russie mettant les Allemands dans l’impossibilite de disposer de leurs fonds en Russie, on a du user de reciprocite ici. Ce dont je voudrais vous persuader, Monsieur le Comte, c'est que vous pouvez tre absolument sür et tranquillise sur ce que vos fonds resteront tout ä fait intacts chez nous et qu'il n'y a aucun doute que votre dpt ne soit completement ä votre disposition apres la fin de cette terrible guerre. Quand cela sera-t-il? Vous m'avez fait l'honneur de m’ecrire dans votre lettre du 3 novembre, que vous esperez et souhaitez de tout cceur, que les relations entre nos deux pays soient retablies au plus vite, et vous pensez bien, que de mon ct je ne desire rien plus ardemment. Sans vouloir parier d’intrts prives, ce serait tellement pour le bien des deux nations que ce terrible carnage, ces lüttes insensees cessassent. Quand on pense, en outre, ä l’minent essor economique qu'ont pris nos deux pays dans les dernieres annes et les relations commerciales si etendues entre eux, il est navrant de voir s'ecrouler ce bei edifice lev avec tant de soin et de travail. J'ose m’exprimer aussi ouvertement vis-ä-vis de votre Excellence sachant que cet ordre d'idees vous est homogene. Ne croyez-vous pas que vous pourriez suggerer ä votre public que la guerre a assez dur? Quant ä moi, il m'est impossible de voir sinteret que la Russie et l'Allemagne pourraient avoir de la continuer. (Übersetzung)

Mein lieber und sehr geehrter Graf.

Da ich durch die Vermittlung der Schwedischen Gesandschaft Gelegenheit habe, eine Nachricht zu Ihnen gelangen zu lassen, will ich den Augenblick schnell benutzen, um auf Ihre Hinterlegung von Wertsachen in unserem Haus zurückzukommen. Es hat mir sehr leid getan, Ihrem Wunsche, Ihre Wertpapiere in die Schweiz zu transferieren, nicht entsprechen zu können. Aber Eure Exzellenz werden verstehen, daß man hier angesichts der russischen Maßnahmen, die es den Deutschen unmöglich machten, über ihre Vermögen in Rußland zu verfügen, entsprechend handeln mußte. Ich darf Ihnen aber versichern, verehrter Graf, daß Sie ganz sicher und beruhigt darüber sein können, daß Ihr Vermögen bei uns unversehrt bleibt und es keinen Zweifel daran gibt, daß nach Ende dieses schrecklichen Krieges Ihre hinterlegten Werte Ihnen voll und ganz zur Verfügung stehen werden. Wann wird das sein?

Sie haben die Güte gehabt, mir in Ihrem Brief vom 3. November zu schreiben, daß Sie von ganzem Herzen hoffen und wünschen, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mögen so schnell wie möglich wiederhergestellt werden, und Sie dürfen glauben, daß ich meinerseits nichts sehnlicher wünsche. Ohne von privaten Interessen sprechen zu wollen, würde es doch entscheidend dem Wohle der beiden Nationen dienen, wenn dieses schreckliche Blutbad, diese sinnlosen Kämpfe endeten. Wenn man dann weiter an den großartigen wirtschaftlichen Aufschwung denkt, den beide Länder in den letzten Jahren genommen haben, und an die ausgedehnten Handelsbeziehungen, so zerreißt es einem das Herz, diesen schönen Bau Zusammenstürzen zu sehen, der mit so viel Sorgfalt und Arbeit errichtet wurde. Ich wage, mich Eurer Exzellenz auch offen zu erklären, weil ich weiß, daß dieser Gedankengang Ihren Überlegungen vertraut ist. Glauben Sie nicht, Ihrer Öffentlichkeit einreden zu können, daß der Krieg lange genug gedauert hat? Was mich betrifft, so kann ich nicht sehen, daß Rußland und Deutschland ein Interesse daran haben könnten, diesen Krieg weiterzuführen. Nr. 34

AA, Wk 2 geh.

Der Reichskanzler an Auswärtiges Amt (Entzifferung)

Gr. Hauptquartier, den 6. Januar 1915 1 Uhr 35 Min.

Ankunft 2 Uhr 45 Min Nm Nr. 6 Antwort auf Telegramm Nr. 37 Bitte Kopenhagen telegrafieren:

Ganz geheim. Antwort auf Telegramm Nr. 14.

Aus Mitteilungen Herrn Ballins mußten wir annehmen, daß Initiative zur Demarche Andersen vom König ausginge, der hierzu vielleicht durch Kenntnis der Stimmung an Höfen in St. Peters-burg und London veranlaßt wäre. Da dies nicht der Fall ist, müssen wir Wert darauf legen, daß eventuell Demarchen nicht etwa Eindruck erwecken als ginge Wunsch nach Frieden von uns aus. Gegen Sondierung St. Petersburg durch Andersen an sich sonst keine Bedenken.

Nur für Euer Hochgeboren:

Eine Absprengung Rußlands von Koalition wäre uns am erwünschtesten. England scheint zur Nachgiebigkeit am wenigsten bereit.

Bethmann Hollweg

Nr. 35

A. A. Wk 2 geh.

Ballin an Bethmann Hollweg (Brief, masch.)

Ausw. Amt. Hauptqu. Nr. 392 pr. 18. Januar 1915

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Hamfelde bei Trittau, (Holstein) den 15. Januar 1915

Ich hatte heute den Besuch des Herrn Melnik aus Kopenhagen, der mir mitteilte, daß das Gerücht über Witte's Anwesenheit in Biarritz von dem Russischen Gesandten in Kopenhagen stamme. Es sei dem Russischen Gesandten ein Exemplar der „Frankfurter Zeitung" vorgelegt worden, welche vor etwa 10 Tagen in einem telegraphischen Börsenbericht von Berlin die Mitteilung brachte, daß an der Berliner Börse bekannt geworden sei, daß Witte in Berlin eingetroffen. Der Russische Gesandte in Kopenhagen habe darauf erklärt, daß diese Nachricht den Tatsachen nicht entspreche, daß Witte aber in Biarritz sein dürfte. Nach einigen Tagen hat der Gesandte diese Mitteilung dementiert, und tatsächlich hat Witte seit August 1914 Rußland nicht für einen Tag verlassen.

Ich sende Euerer Exzellenz anliegend die Abschrift eines schriftlichen Berichtes des Herrn Melnik, der noch vor seiner Ankunft hier eingetroffen und mancherlei Interessantes enthält. Ebenso gestatte ich mir einen älteren Bericht beizufügen.

Melnik ist der Ansicht, daß in Rußland das Friedensbedürfnis in den Hof-und Adelskreisen ein sehr starkes sei, und daß, wenn die Russen noch eine Niederlage erleben, es höchstwahrscheinlich ist, daß man nach einer Gelegenheit suchen wird, diesem unglücklichen Kriege ein Ende zu machen. Zugeben mußte Melnik, daß diese Lage der Dinge den deutschen Staatsmännern es richtig erscheinen lassen könnte, auf Friedensverhandlungen nicht einzugehen, sondern den Ereignissen ihren Lauf zu lassen, die, wie Melnik meint, sicher auf eine Revolution hinausgehen. Witte hatte Melnik kürzlich durch einen Herrn aus Kopenhagen, den Melnik mit einem Empfehlungsbrief an ihn ausgerüstet hatte, sagen lassen, er möge bald nach Petersburg kommen, und Melnik hat die Absicht, durch einen zuverlässigen Mann Witte zu verständigen, daß er bereit sei, nach Rußland zu kommen, wenn Witte selbst veranlassen wolle, daß ihm ein sogenannter Diplomaten-Paß für die Hin-und Rückreise zur Verfügung gestellt wird.

Irgend einen Auftrag hat Melnik von mir nicht empfangen, wohl aber habe ich ihm gesagt, daß es für mich als den verantwortlichen Leiter eines der größten wirtschaftlichen Unternehmen der. Welt natürlich nach wie vor von ungeheurer Wichtigkeit sei, über politische Strömungen und Gegenströmungen unterrichtet zu bleiben, und daß ich deshalb seine Berichte, einerlei ob sie auf direkten persönlichen Ermittlungen in Petersburg beruhten oder durch einen Vertrauensmann eingezogen sind, mit besonderem Interesse entgegennehmen und ihm selbstredend für die Bestreitung von Reisespesen die Mittel zur Verfügung stellen würde.

Melnik betonte ganz besonders, daß der Großfürst Michael, der Bruder des Zaren und eventuelle Thronfolger, wieder großen Einfluß gewonnen habe. Dieser Großfürst bezeichnet sich selbst als Schüler Witte's und nimmt in weitem Maße seinen Rat in Anspruch. — Ich bin, Euerer Exzellenz in besonderer Verehrung ganz ergebener Ballin Nr. 36

AA, Wk 2 geh. pr. 26. Januar 1915

Aufzeichnung Ballins über Unterredung mit Andersen in Hamburg

Der Staatsrat Andersen hatte mir aus Kopenhagen telegraphisch mitgeteilt, daß er gestern — Freitag, den 22. Januar, abends zwischen 9 und 10 Uhr in Hamburg eintreffen würde und am nächsten Tage weiterzureisen beabsichtigte. Ich hatte gestern Abend noch eine Zusammenkunft mit Herrn Andersen, zu welcher ich auch Herrn Direktor Huldermann hinzugezogen hatte, um für alle Fälle einen einwandfreien Zeugen zu haben. Aus den Mitteilungen, welche Herr Andersen machte, ist folgendes festzustellen:

Vom Zaren hat der König von Dänemark bis jetzt noch keine direkte Antwort erhalten. Dagegen hat die Zarin den Prinzen Waldemar, und die Kaiserin-Mutter den König und andere Verwandte am dänischen Hofe wissen lassen, daß der Zar noch schwankend sei, wie er den Brief beantworten solle. Der König sowohl, als auch Andersen sind der festen Überzeugung, daß der Zar sich an den König von England gewandt hat und dessen Antwort abwarte. Der König von Dänemark ist aber, wie Andersen behauptet, inzwischen sehr ungeduldig geworden, weil er befürchtet, daß die Verzögerung ihn unserm Kaiser gegenüber in eine schiefe Lage bringen könnte und hat deshalb Andersen auf eine Informationsreise nach London geschickt. Andersen hat diese Reise über Hamburg gerichtet, weil er von mir gern über die Stimmung in Deutschland unterrichtet sein wollte, da er voraussieht, daß man natürlich darauf bezügliche Fragen an ihn stellen wird. Er ist durch seinen König zum nächsten Montag bei dem Könige von England angemeldet und beabsichtigt, mindestens acht Tage in London zu bleiben. Andersen teilte mit, daß nach den Briefen der Zarin sowohl, als auch der Kaiserin-Mutter, sowie nach anderen Berichten, welche am dänischen Hofe eingelaufen sind, der Zar kriegsmüde sei, aber seiner Natur nach dieser Stimmung keinen lauten Ausdruck gebe, während seine Familie und seine weitere Umgebung ganz ausgesprochen den Wunsch nach baldigem Friedensschluß erkennen lassen Nach Nachrichten, welche von England am dänischen Hofe eingetroffen sind, ist auch bei dem König sowohl als bei der Königin der Wunsch nach Beendigung des Krieges sehr lebhaft, und nach diesen Nachrichten sollen auch Sir Edward Grey und Asquith sich mit dem Gedanken, in welcher Form eine friedliche Annäherung möglich wäre, emsig beschäftigen. Ich vermag natürlich den Wert dieser Mitteilungen nicht zu beurteilen. Andersen deutete an, daß sie übereinstimmend aus Briefen entnommen sind, welche die Königin von England nach Kopenhagen gerichtet hat, und insbesondere wohl aus Nachrichten von der Königin-Witwe Alexandra.

Ich habe dann den Wunsch des Staatsrat Andersen, daß ich ihm über die Stimmung in Deutschland Auskunft geben solle, damit er in der Lage wäre, die Fragen des Königs und seiner Minister zu beantworten, erfüllt. Ich habe Herrn Andersen gesagt, daß die Siegeszuversicht in Deutschland nicht nur unverändert bestehe, sondern meinen Eindrücken nach sich bis zur Siegesgewißheit gesteigert habe. Ich habe ihm gesagt, daß ich dieses Gefühl persönlich vollkommen teile, und daß ich in der Lage wäre, zu versichern, daß diese Überzeugung ohne Einschränkung hier herrsche bis hinauf zur Allerhöchsten Stelle. Ich habe Herrn Andersen weiter gesagt, daß das englische Vorgehen in Deutschland natürlich einen geradezu elementaren Haß ausgelöst hätte. Man hätte sich in Deutschland zur Not noch damit abgefunden, wenn die Engländer zu einem ritterlichen Kampfe gegen uns sich gestellt hätten. Die Art und Weise aber, wie die Engländer diesen Krieg führen, wie sie ihn übertragen auf einen mit den elendsten Mitteln bereiteten Handelskrieg, wie sie die gelbe und andersfarbe Rassen gegen uns herangeholt hätten, wie sie wehrlose Deutsche in die Concentration Camps gebracht, — das würde man schwerlich ihnen je verzeihen.

Ich habe Andersen ferner darauf aufmerksam gemacht, daß nach meiner Ansicht die Erfahrungen, welche man mit den Unterseebooten nunmehr praktisch gemacht habe, den Anfang darstellen vom Ende der englischen Weltmacht. England würde, wenn kluge Politiker seine Interessen leiteten, vielleicht das Glück haben, aus diesem Kriege noch einen verhältnismäßig ehrenvollen Ausgang zu finden; den nächsten Krieg, den England gegen eine Macht wie Deutschland oder gegen eine Koalition von anderen Mächten führte, würde es nicht mehr als Großmacht beenden. England müßte deshalb meiner Meinung nach kein Mittel unversucht lassen, um mit Deutschland zu einer Einigung zu kommen Wie eine solche Einigung für England erreichbar wäre, darüber dürfte ich mir natürlich kein Urteil erlauben, darüber müßten die berufenen Persönlichkeiten sich unterhalten, und die Vorschläge müßten, wenn sie auch vom König von Dänemark überbracht würden, doch von England ausgehen. —

Hamburg, den 23. Januar 1915.

Ballin Nr. 37

AA, Wk 2 geh.

Witte an Robert Mendelssohn

Witte an Robert Mendelssohn 1) (Abschrift v. d. Hand Mendelssohns)

I.

Personnellement je regrette beaucoup l'immense malheur qui est arrive; c’est l’enfer sur la terre; et si j'etais au pouvoir probablemenl cet enfer n'aurait pas eu lieu. Si je suis prive ä present de la possibilite d'agir, c’est un peu gräce ä celui qui a dclar formellement cette guerre 2) qui etait preparee d'avance par vos ennemis les plus acharnes d'outre-mer Je vois le seul moyen de s'approcher ä la paix, c’est une explication tranche des deux Empereurs et des propositions qui puissent donner satisfaction et pleines garanties pour le futur g la Russie et d la France; mais il ne taut pas laisser trainer la guerre; il saut agir vite et nergiquement. Les liens de famille pourraient aider ä l’initiative des pourparlers. (Übersetzung)

Persönlich beklage ich das ungeheure Unheil, das geschehen ist; es ist die Hölle auf Erden; und wäre ich an der Macht, so wäre es zu dieser Holle wahrscheinlich nicht gekommen. Wenn ich gegenwärtig der Möglichkeit zu handeln beraubt bin, so verdanke ich das ein wenig dem, der diesen Krieg, welcher von Ihren erbittertsten Feinden jenseits des Meeres (bzw des Kanals) bereits vorbereitet worden war, formell erklärt hat. Ich sehe das einzige Mittel, dem Frieden näher zu kommen, in einer freimütigen Aussprache der beiden Kaiser und in Vorschlägen, die Rußland und Frankreich Genugtuung und volle Garantien für die Zukunft geben könnten; aber man darf en Krieg sich nicht hinziehen lassen; man muß schnell und entschlossen handeln Die Familienbande könnten bei der Einleitung von Friedensverhandlungen helfen.

II.

Cher Monsieur, 25/7 fevrier 15.

Je crois indispensable de vous faire savoir. par le courrier mme de la legation, ce qui suit.

On a pris une decision que quand viendra le moment de la Conference pour faire la paix, de me prier de prendre pari dans cette Conference comme dlgu. Je ne pourrais pas consentir ä cette nomination jusqu'ä ce que qui que cela soit pourrait critiquei mes points de vue pacifiques en disant que j'ai des intrts personnels dans ma maniere de me conduire. Dj j'ai entendu de pareils cancans.

Pour que je puisse prendre part dans la Conference je dois tre debarrasse de cet tat de choses. En cas que vous pensez que ma participation dans la confrence peut et re utile vous deve? agir de maniere d’enlever les conditions qui me tont prendre la resolution de retuser l'ottre Vous devez immediatement. tout l’avoir de mon ami ainsi que I avoit de mes enfants faire passer au nom de ma femme dans une banque de tout ä fait premier ordre ä Copenhague ou ä Stockholm en donnant tous les renseignements necessaires.

Votre tres dvou

C(omte) W(itte) (Übersetzung)

Geehrter Herr, Ich halte es für unerläßlich, Sie durch den Gesandtschaftskurier selbst folgendes wissen zu lassen.

Man hat beschlossen, wenn der Augenblick für eine Friedenskonferenz kommt, mich zu bitten, als Delegierter an dieser Konferenz teilzunehmen. Ich könnte diese Ernennung nicht annehmen, solange jeder beliebige meine friedliebenden Ansichten mit der Behauptung kritisieren kann, ich verfolgte mit meinem Verhalten persönliche Interessen. Ich habe von ähnlichen Verleumdungen bereits gehört.

Um an der Konferenz teilnehmen zu können, muß ich von einer solchen Nachrede frei sein. Wenn Sie glauben, daß meine Teilnahme an der Konferenz nützlich sein kann, müssen Sie danach hinsehen, die Hindernisse zu beseitigen, die mich zwingen, das Angebot abzulehnen. Sie müssen sofort das gesamte Guthaben meines Freundes, sowie das meiner Kinder auf den Namen meiner Frau an eine absolut vertrauenswürdige Bank in Kopenhagen oder Stockholm überweisen lassen und alle nötigen Auskünfte dazu geben.

Ihr sehr ergebener Graf W(itte)

Nr. 38

AA, Nachl. Stresemann, Polit. Schriftwechsel, Bd. 139

Aufz. Stresemanns Konferenz beim Reichskanzler am Dienstag, dem 8. Dezember 1914 (Fortsetzung)

Wir überreichten dem Herrn Kanzler dann die Denkschrift deren eingehendes Studium er uns zusagte. Die Besprechung dauerte bis 5 Uhr. Vom Reichskanzler begaben wir uns zum Herrn Staatssekretär Delbrück, dem wir ebenfalls unsere Denkschrift überreichten und mit ihm eingehende Besprechungen über die wirtschaftlichen Fragen hatten. Auch bei dem Herrn Staatssekretär wurden die politischen Fragen flüchtig behandelt und ziemliche Übereinstimmung der Auffassung festgestellt. Eingehender wurden mit ihm sodann die wirtschaftlichen Fragen besprochen. Die Frage einer Zollunion zwischen Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, der Schweiz und den Skandinavischen Ländern: Der Herr Staatssekretär sagte, daß er gerade diese Frage schon ziemlich weit durchdacht habe, und zu der Überzeugung gekommen sei, daß trotz mancher Bedenken die Idee an sich gesund sei. Natürlich müßten die Staatseinnahmen der einzelnen Länder insofern erhalten bleiben, als jeder Staat gewisse Landeszölle erheben müsse: beispielsweise wäre ja das österreichische Tabaksmonopol sonst ein schweres Hindernis, es könne sich allerdings fragen, ob wir nicht ebenfalls zu einem Monopol kommen würden, um unsere Einnahmen nach dem Kriege wesentlich zu erhöhen, aber auch andere Abgaben, die vor allen Dingen in der verschiedenen Währung lägen, machten es unmöglich, ein unbegrenztes steuerfreies Staatsgebiet in dem Umfange zu schaffen. Wir würden also wahrscheinlich dazu übergehen müssen, Zwischenzölle 3) zwischen den Staaten einzuführen, die natürlich viel niedriger wären als die Zölle, die wir den Ländern außerhalb des Zollgebiets während der Verhandlung gewähren würden. Günstig wäre es jedenfalls, daß unsere Handelsverträge 1917 ablaufen, so daß wir in der Lage wären, die Meistbegünstigung zu eliminieren, die uns verbieten würde, untereinander uns Vorteile zu gewähren. Die Folge wäre natürlich die Kündigung sämtlicher Handelsverträge und die Fassung der Meist-begünstigung in der Form, daß wir dem großen Zollgebiet angehörenden Ländern durch Zwischenzölle andere Rechte gewähren, als den außerhalb stehenden Ländern. In bezug auf Belgien hatte der Staatssekretär schwere Bedenken. Er halte es für ganz unmöglich, daß wir mit der uns feindlichen nach Frankreich neigenden Bevölkerung fertig werden. Es werde sicher ein zweites Elsaß oder Polen werden. Wenn wir Belgien behalten wollen, so wäre das nur möglich durch eine großzügige Expropriierung, d. h. wir müßten die Französisch gesinnten Belgier enteignen und mit Deutschen besiedeln, das sei aber auch keine leichte Aufgabe, da wir keinen Uberschuß an Menschenmaterial haben. Ebenso sei es im Osten, wenn wir Ehstland und Kur-land bekämen, so wüßte er nicht, wo die Ansiedler herkommen sollten. Wir fänden dort eine nicht sehr erwünschte und wenig wertvolle Ehstländische Landbevölkerung vor. Polen würde uns mit seinen auf der niedrigsten Culturstufe stehenden Polnischen Juden überschwemmen, und das wäre ebenfalls eine unerwünschte Zugabe. Herr Landrat Rötger warf ein, daß wir in Ehstland, Kurland und Belgien mit unseren Invaliden coionisieren sollten, wir würden damit die staatlichen Verpflichtungen vermindern und hätten immerhin noch sehr wertvolles Menschenmaterial zur Bewirtschaftung kleiner Güter. Der Staatssekretär bezweifelte die Möglichkeit, er meinte, so kleine Güter, wie wir sie besiedeln wollten, erforderten die Mitarbeit eines gesunden Mannes, immerhin aber sei dies zu erwägen. Der Herr Staatssekretär ging dann dazu über, unsere Versorgung mit Lebensmitteln und Rohmaterialien zu behandeln. Mit Getreide sind wir bis August nächsten Jahres versorgt. Es sei zwar augenblicklich an einzelnen Orten Getreidemangel, an anderen aber Überfluß durch den eingeführten Declarationszwang und Höchstpreise habe er es aber in der Hand, regulierend einzugreifen. Er werde sich der Magistrate bedienen, um den Bedarf einzelner Bezirke festzustellen und dadurch den notwendigen Ausgleich herbeizuführen. Mit Kartoffeln reichten wir gleichfalls bis August. Zucker sei reichlich vorhanden. Wenn der Krieg sehr lange daure, so käme für uns vielleicht eine Verlegenheit in Baumwolle, Jute und Wolle. Ebenso reichen die Vorräte in Metallen nicht. Alles in Allem seien wir aber auf den Krieg besser vorbereitet, als unsere Gegner, auch finanziell. Nach seiner Meinung sei Frankreich nach dem Kriege ebenso wie Österreich ungefähr bankerott, England, dessen Finanzen sehr künstlich durch die Notenpresse günstiger erscheinen, werde Jahre brauchen, um wieder in Ordnung zu kommen. Am schnellsten werde auch ohne Kriegsentschädigung Deutschland mit seiner Währung wieder in Ordnung kommen. Herr Rötger bat den Staatssekretär dafür einzutreten, daß namentlich die Kohlen-und Erzgebiete Frankreichs Deutschland angegliedert würden. Der Staatssekretär versprach dies. Mit einem großen Mitteleuropäischen Zollverband war der Staatssekretär vollkommen einverstanden, da wir nach seiner Meinung in absehbarer Zeit England und Frankreich als Absatzgebiet zum großen Teil verlieren würden. Rußlands Markt würde sich schneller wieder herstellen. Da würde dann dies große Gebilde einen Ersatz im Inland für den verlorenen Auslandsmarkt bilden. Auch er sah die Zukunft des Deutschen Reiches sehr günstig an und war überzeugt, daß das Deutsche Reich in Europa einen maßgebenden Einfluß erlangen würde. Unsern Sieg hielt er für zweifellos.

Die Conferenz ging um 6 Uhr zu Ende. Nr. 39

AA, Wk 2 geh.

Der Reichskanzler an den Gesandten in Kopenhagen (Reinkonzept) Nr. 167 ab 6. März 5 geh.

Der Reichskanzler an den Gesandten in Kopenhagen (Reinkonzept) Nr. 167 ab 6. März 5 Uhr 25 Min. Berlin, den 6. März 1915

Geheim. Aus zuverlässiger Quelle 1) hören wir, daß Montag 6-stündige Sitzung des Generalstabs in Petersburg stattgefunden hat, bei welcher Stimmung äußerst pessimistisch gewesen sei. Ferner aus anderer Quelle 2) Einfluß des Großfürsten N. nehme ab, Stimmung in Petersburg sei unruhig, Graf Witte hat am 19. Februar einem Vertrauensmann gesagt, daß Zar, obgleich noch gegen S. M.den Kaiser gereizt, voller persönlicher Hochachtung für Allerhöchstdenseiben sei. Von anderer privater Seite wird mitgeteilt, der Zar wäre zum Frieden geneigt und eventuell bereit, entsprechenden Privatbrief an S. M.den Kaiser zu schreiben, nur fürchte er auf Unnachgiebigkeit vei uns zu stoßen wegen Einflusses „deutscher Militärpartei". Auch fürchte er zu schwere Bedingungen Deutschlands, namentlich Forderung der Abtretung Warschaus. Andererseits würde er geneigt sein, uns gewisse Grenzkonzessionen zu machen, nicht aber Österreich, weil dieses von Rußland geschlagen. Letztere Nachrichten lassen sich von hier nicht ganz kontrollieren. Bitte Angelegenheit streng vertraulich mit Herrn v. Scavenius besprechen und ihm andeuten, daß unsere Bedingungen nicht schwer sein und nur kleinere Konzessionen zum Schutz unserer östlichen Grenze (nicht aber Warschau) sowie finanzielle und Handelsvertrags-Bedingungen im Auge haben würden. Wir wünschen in dauerndem Frieden mit Rußland zu leben.

Hat Andersen schon aus Petersburg berichtet?

gez.: Bethmann Hollweg

Nr. 40

H. H. StA Wien, PA 1/949

Der österreich-ungarische Botschafter in Berlin an den Minister des Äußern Berlin, den 9. März 1915

Der Leiter des Pressedepartements im Auswärtigen Amt hat, wie ich erfahren habe, den versammelten Pressevertretern unlängst folgende Mitteilung gemacht:

„Unter den Russen, die für Deutschland betreffs eines Friedens in Betracht kommen, steht Witte an erster Stelle. Es würde gut sein, wenn seine Tätigkeit nicht durch Kommentare der Presse gestört wird; nach den Nachrichten des Auswärtigen Amtes scheint eine frühere Aktion, die Witte eingeleitet hatte, durch übereifrige Kommentare der Presse stark gestört worden zu sein."

Ich habe Herrn von Jagow gefragt, was es mit dieser Mitteilung für eine Bewandtnis habe und zur Antwort erhalten, die Nachrichten, die man hier hätte, mehrten sich, daß Graf Wittes Einfluß im Wachsen wäre. Da Witte heute der einzige Mann in Rußland sei, den man für stark genug halten könne, den Kaiser auch gegen den Willen des Großfürstlichen Generalissimus zu zwingen, Frieden zu schließen, so schiene es geboten, alles zu vermeiden, wodurch Wittes Aktion kompromittiert werden könne. Hierzu gehöre aber vor allem, die unangebrachten Lobeshymnen hintanzuhalten, die von der deutschen Presse, sobald Wittes Name genannt werde, angestimmt würden und die seinen zahlreichen Feinden nur Anlaß gäben, ihn als Vaterlandsverräter zu brandmarken. So habe die deutsche Presse schon einmal vor einigen Monaten durch ihre ganz inopportunen Artikel einen Sturm „patriotischer" Entrüstung gegen Witte in Rußland hervorgerufen, an dem sich auch Sasonow — Wittes erbitterter Gegner — beteiligt habe.

Da Wittes Stern nunmehr wieder im Steigen sei, habe man es vorsichtshalber für nötig erachtet, der Presse rechtzeitig einen entsprechenden Wink zu geben.

Der k. u. k. Botschafter

G. Hohenlohe Nr. 41

AA, Wk 2 geh.

Der deutsche Gesandte an Auswärtiges Amt (Entzifferung)

Kopenhagen, den 11. März 1915 pr. 12. März 1915

Nr. 429 Im Anschluß an Telegramm Nr. 421 vom 9. März.

Ganz geheim.

Etatsrat Andersen bestätigte in Hauptsache fast wörtlich die mir vorgestern von Herrn von Scavenius gemachten Mitteilungen, die er in einigen Punkten ergänzte. Ich leitete unsere Unterredung mit den Worten ein, Herr von Scavenius habe mir von seiner resignierten Bemerkung „je weiter er reise, desto weiter entferne er sich von dem Friedensgedanken", Kenntnis gegeben; der Minister habe dabei geäußert, die Russen seien offenbar für diesen Gedanken noch nicht „reif“; mir scheine — fügte ich hinzu — die Russen brauchten „um reif zu werden“ noch einige schwere Niederlagen. Andersen erwiderte, die Russen seien „Kinder" und gegenwärtig noch sehr „groß", ein Stimmungsumschlag könne aber bekanntermaßen in Rußland unerwartet plötzlich eintreten. Ich wisse, daß er aufrichtig und ohne Nebenabsichten sich um Frieden bemühe, er werde dabei, was er auch in St. Petersburg betont habe, keineswegs durch besondere Sympathien für eine Partei geleitet. Im Interesse des angestrebten Zieles halte er es für seine Pflicht, mir offen zu sagen, daß die in der deutschen Presse vor einigen Wochen verbreiteten Nachrichten von einem Separatfrieden zwischen Deutschland und Rußland der Sache sehr geschadet hätten. Herr Sasonow habe ihm eine deutsche Zeitungsmeldung vorgelegt, die gerade erschienen war und erklärt, bei jeder derartigen Nachricht kämen der englische und der französische Botschafter sofort, um ihn darauf aufmerksam zu machen und Aufklärung zu verlangen. Von seiner Audienz bei Kaiser Nikolaus erzählte Andersen, der Zar habe sich mit großer Bestimmtheit gegen einen Separatfrieden ausgesprochen und erklärt, er werde seine Verbündeten niemals im Stiche lassen. Graf Witte habe allerdings versucht, für einen Separatfrieden Stimmung zu machen. Witte besitze aber keinen Einfluß mehr und irre sich, wenn er glaube, daß er wieder zur Macht gelangen werde. „Ich bin’ — hat Kaiser Nikolaus etwa wörtlich gesagt — „bereit, durch meinen Vetter den König von Dänemark zu verhandeln, lehne aber jede Vermittlung von unberufener Seite ab.“ Aus Andeutungen Andersens entnehme ich, daß Kaiser Nikolaus persönlich noch ganz unter englischem Einfluß steht und der Überzeugung ist, daß ihm der Krieg aufgezwungen wurde.

Sicherlich hat jetzt der englische Botschafter eine zweideutige Rolle gespielt und wie es scheint, die Audienz Andersens zu hintertreiben versucht. Sir George Buchanan hat Andersen, als dieser ihn aufsuchte, mit den Worten empfangen, er komme wohl, um für einen Separatfrieden mit Deutschland zu arbeiten, der französische Botschafter sei auch bereits über diese Pläne informiert. Andersen hat sehr scharf erwidert, er komme im Auftrage des Königs von Dänemark höchstweicher ihn persönlich bei dem Zaren angemeldet habe.

Herr Sasonow, von dem Andersen bemerkte, er habe ihm den Eindruck einer starken Persönlichkeit gemacht, ist zu Beginn der Unterredung sehr reserviert gewesen, schließlich aber »aufgetaut", Andersen ist der Ansicht, daß sein Eintreten für den Friedensgedanken nicht ohne Eindruck auf Sasonow geblieben ist. Einen positiven Erfolg scheint mir Andersen nur bei der Kaiserin Mutter gehabt zu haben; er hält ihren Einfluß für stärker als je. Die Kaiserin hat ihm gesagt, sie sei fest entschlossen, für den Frieden zu arbeiten. Während der Unterredung, die zwischen Andersen und Herrn Sasonow stattfand, hat der Zar bei ihr gespeist. Die Kaiserin hat, bevor der Zar nach Zarskoje Selo zurückkehrte, an Andersen telephoniert und ihn gefragt, wie seine Unterredung mit Herrn Sasonow abgelaufen sei. Andersen hat darauf geantwortet, er hoffe zufrieden sein zu können, worauf die Kaiserin sehr erfreut erklärte, sie werde den Kaiser sofort verständigen. Am nächsten Tage erhielt Andersen unmittelbar vor seiner Abreise ein Billett der Kaiserin Witwe, in dem sie ihm schreibt, das Eisen sei heiß und er könne sich darauf verlassen, daß sie kräftig mitschmieden werde.

Ganz geheim und mit der ausdrücklichen Bitte, keine Meldung zu erstatten, erzählte Andersen in diesem Zusammenhang, er habe einen Brief der Kaiserin Witwe an ihren Bruder, den Prinzen Waldemar, mitgebracht. In diesem schreibt die Kaiserin: „Wenn mein Mann noch lebte, wäre der Friede schon zustande gekommen." Andersen hat, um keine Unterbrechung in den direkten Beziehungen zwischen König Christian und Zar eintreten zu lassen, eine kurze Aufzeichnung über seine Eindrücke in St. Petersburg ausgearbeitet, die der König mit einem eigenhändigen Schreiben an Kaiser Nikolaus senden wird. Er sagte mir, der König sei glücklich in dem Gedanken, für den Frieden wirken zu können. Als ich einwarf, mir sei offen gestanden nicht klar, auf welcher Basis nach den Beobachtungen, die er in Petersburg gemacht habe, jetzt mit Aussicht auf ein positives Ergebnis für den Frieden gearbeitet werden könne, entgegnete Andersen wörtlich: „Auf der Basis, die wir besprochen haben.“ Andersen wollte, wie ich aus dieser Bemerkung entnehmen zu können glaube, damit andeuten, daß er aufrichtig bestrebt sein wird, unseren Standpunkt zur Geltung zu bringen.

Herr von Scavenius, den ich sofort von der Unterredung verständigte, teilt diese Auffassung und betonte, er halte es unbedingt für richtig, den Etatsrat nicht auszuschalten; daß Andersen die Kaiserin Witwe gewonnen habe, sei zweifellos ein bedeutender Erfolg, und wenn auch sonst die Reise nach Petersburg nicht das Ergebnis gehabt habe, das er (der Minister) und ich wünsche, wäre doch denkbar, daß Andersen uns vermöge seiner eigenartigen Beziehungen gerade in Rußland noch einmal sehr nützliche Dienste leisten könnte.

Andersen ersuchte mich am Schluß unserer Unterredung zu melden, daß er, falls es gewünscht werde, bereit sei, schon in den nächsten Tagen nach Berlin zu kommen, und daß er um baldigen Bescheid bitte. Auf Grund meiner vertraulichen Aussprache mit Herrn von Scavenius halte ich eine Ablehnung dieses Anerbietens nicht für erwünscht, Erbitte Drahtweisung behufs Verständigung Andersen.

Rantzau Nr. 41 a AA, Deutschland 128 Nr. 1 geh.

Aufzeichnung Falkenhayns (eigenhändig) pr. 1. März 1915

Sowohl der österreich-ungarische Vorstoß über die Karpaten und in die Bukowina als auch der deutsche aus Ostpreußen haben zwar bedeutende taktische Erfolge erzielt. Die erhofften strategischen Ergebnisse sind aber bisher in beiden Fällen ausgeblieben, und es kann zur Stunde kein Urteil darüber abgegeben werden, ob überhaupt und wann sie noch erwartet werden dürfen. Verzögern sie sich noch längere Zeit — und diese Möglichkeit liegt vor —, so ist einmal der Fall von Przemysl mit seinen unabsehbaren Folgen für das Ansehen Osterreich-Ungarns im Balkangebiet zu befürchten und andererseits zu besorgen, daß Deutschland, da es dann nicht in der Lage ist, Truppen von Ost nach West zu verschieben, in ernste Schwierigkeiten an der Westfront kommt. Die Lage ist also gewiß nicht hoffnungslos, aber sie ist so ernst, daß es eine Katastrophe wäre, wenn man nicht alles täte, um neue Feinde am Eintritt in den Kampf gegen uns zu hindern.

v. Falkenhayn 1. /3. Nr. 42

Im Besitz des Vers.

Bethmann Hollweg an den Chef des Zivilkabinetts, v. Valentini (Brief, eigenhändig)

Sehr verehrte Exzellenz!

Berlin, 12. 3. 15

Vielen Dank für den freundlichen Brief vom 10. Meine persönlichen Pläne sind noch ungeklärt.

Wegen der österreichisch-italienischen Frage bleibe ich gern noch hier, kann ja überhaupt hier mehr arbeiten und wirken. Auf der anderen Seite wirkt die hier noch mangelhaftere Kenntnis der militärischen Lage hemmend. Einen so guten Einblick wie ich neulich in 6 Stunden bei Hindenburg erhielt, bekomme ich freilich in Charleville nicht in 6 Monaten, (übrigens fiel in Lotzen nicht ein unfreundliches Wort über F.) Ich muß aber jetzt bald ein klares Bild von den militärischen Möglichkeiten im Westen ebenso bekommen, wie ich es für den Osten zu haben glaube. So komme ich vielleicht doch in den nächsten Tagen.

In Rußland ist momentan von Kriegsmüdigkeit keine Spur, in Frankreich die absolute Siegeszuversicht in beständigem Wachsen. Ich hatte darüber gestern sehr interessante Mitteilungen. Dabei spielen die Dardanellen eine große, aber durchaus nicht die einzige Rolle.

Hier ist die Stimmung eigentlich unerklärlich. Selbst bei den meisten Politikern ist sie nicht nur siegesgewiß, sondern geradezu vermessen. Das erstere brauchen wir, das zweite erscheint mir vom Übel. Dagegen wirken kann ich nicht. Die Psyche unseres Volkes ist während der letzten 25 Jahre so durch Renommisterei vergiftet, daß sie wahrscheinlich zaghaft würde, wenn man ihr die Großsprecherei verböte. Nur eine richtige Redaktion der Tagesberichte der Obersten Heeresleitung könnte helfen. Bei den Frauen des niederen Volkes, die anfangen, ungeduldig zu werden, begegnet man immer wieder der Frage: Warum machen wir nicht Frieden? Seit 7 Monaten tun wir ja nichts als glänzend siegen. Die Alldeutschen und Konsorten, über die übrigens Hindenburg und Umgebung sehr hart urteilte, finden darin tagtäglich eine Grundlage für ihr Geschrei. Die wenigen nachdenklichen Leute die es gibt, vergleichen Wolff mit Havas, schütteln die Köpfe und werden pessimistischer als gut ist. Der Exkurs über die „Winterschlacht in der Champagne" hat viel Verwunderung und Mißstimmung erregt. Alle Welt freut sich über den Dank und die Anerkennung, die dem unvergleichlichen Heldenmut unserer Truppen in der 3. Armee und ihren Führern gezollt wird. Aber der Vergleich so inkommensurabler Dinge wie der defensiven Abwehr einer Katastrophe und einer großangelegten und geglückten Offensive erweckt bei den Menschen, die nun einmal boshaft sind, die Erinnerung an den Pour le mrite und seine Ankündigung, Vorstellungen, die für den Verfasser des Exkurses nicht schmeichelhaft sind. Lerchenfeld sagte mir mit Bezug hierauf gestern abend: „Warum will er sich denn immer mehr unmöglich machen?" und gab damit einer sehr verbreiteten Ansicht Ausdruck. Auch politisch halte ich die Sache für schädlich. Wir können den Krieg nur zu einem glücklichen Ende bringen, wenn wir unsere Feinde, außer daß wir sie schlagen, auch moralisch dahin bringen, das Rennen aufzugeben. Bei einer so siegesgewissen Nation wie der französischen kann aber das Gefühl der Unterlegenheit unter den Gegner nicht gesteigert werden, wenn dieser Gegner eine glücklich abgeschlagene Offensive, wobei indes viel Gelände verloren ist, zu einem ungeheuren Siege stempelt, und die Beendigung der Schlacht in einem Moment verkündet, wo sie ruhig weitergeht. Das haben die Franzosen nach Ypern nicht getan. Ein Schweizer, der ganz für uns arbeitet und der die französische Psyche sehr genau kennt, war ganz traurig, als er gestern mit mir darüber sprach. Wie wir mit Brandenstein herauskommen, weiß ich noch nicht. Er ist doch ein gar zu schwieriger Mensch. Sachlich soll er vortrefflich gearbeitet haben. Und die Herrschsucht und die Mißgriffe der Soldaten sind ja auch an anderen Orten unerträglich.

In Ihrer persönlichen Sache muß ich mich einer groben Nachlässigkeit schuldig bekennen. Ich wollte dem Kaiser zum 27. Februar eine entsprechende Order vorschlagen. Meine Audienzen boten aber keine geeignete Gelegenheit, die Sache anzubringen. Nun muß ich aber eine andere occasion abwarten. Mit Wien und Rom werden wir noch viel Schwierigkeiten bei den Detailverhandlungen haben. Hoffentlich führen sie nicht zu neuen Krisen. Den besten Ausschlag in Wien soll die Schilderung der militärischen Lage gegeben haben, die Hindenburg durch Ludendorff an Conrad geben ließ. Ich bitte dies für sich zu behalten, da, wie Sie wissen, Falkenhayn sich mit Händen und Füßen gegen jede Äußerung Hindenburgs gegenüber Conrad sträubt, weil Hindenburg mit den Österreichern nicht kramen könne. (So wie ich es neulich sah, soll in Wien in keiner Stube das Bild Hindenburgs fehlen.) Gleichzeitig hatten wir der haute finance und den Führern der politischen Parteien so eingeheizt, daß diese selbst bei Burian und Stürgk Sturm gelaufen haben.

Hindenburg und seine Männer beurteilten die östliche Lage zuversichtlich, aber ernst und ohne Illusion. Sie würden Ostpreußen halten, den Russen noch Teilschlappen beibringen, aber keine große Entscheidung mehr herbeiführen, die die Abgabe von Truppen nach dem Westen ermöglichte. Ihre Hoffnungen für die Karpaten und Galizien waren sehr gering.

Intrigiert wird heftig weiter. Man wirft mir vor, ich sei schuld daran, daß wir nicht jetzt schon Belgien und Nordfrankreich annektiert hattten. Hintergrund: Alldeutsche, Marine und S. K. u. K. H.

Der Brief ist wie Kraut und Rüben. Verzeihen Sie. Aber ich werde auf jeder Seite zehnmal gestört.

Mit besten Grüßen aufrichtigst der Ihre Bethmann Hollweg Empfehlen Sie mich bitte allen empfehlenswerten Herren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ob dieser sich bei dem Empfang Suchomlinow gegenüber im Sinne einer Annäherung Frankreichs, Rußlands und Deutschlands ausgesprochen hat, ist fragwürdig: Suchomlinow verfolgt in seinen Erinnerungen sehr aufmerksam den Plan eines ost-westlichen Dreibundes (W. A. Suchomlinow: Erinnerungen, dt. Berlin 1924 S. 229 ff.), erwähnt jedoch bei der sehr ausführlichen Schilderung seines Zusammentreffens mit Kaiser Wilhelm II. Ende 1912 eine derartige Äußerung nicht. Zu dem genannten Zeitpunkt hielt sich Suchomlinow als russischer Kriegsminister an der Spitze einer Delegation seines Landes zur Schlußsteinlegung des Völkerschlachtdenkmals in Deutschland auf und wurde überraschend zum Kaiser eingeladen. (Suchomlinow: a. a. O. S. 235 ff).

  2. In einem Antwortbrief vom 17. Nov. 1914 schrieb Pourtales, er habe sich den Gedanken durch den Kopf gehen lassen, „mit russischen Persönlichkeiten Fäden zu spinnen, um die Unstimmigkeiten zwischen dem Zaren bzw.seiner Mutter und dem Großfürsten Nicolai Nicolajewitsch zu schüren". „Ich wüßte schon Leute, in Petersburg, die in diesem Sinne zu verwerten wären, die große Schwierigkeit ist nur, an dieselben heranzukommen. Vorläufig sehe ich keinen anderen Weg als über Schweden und Dänemark. Besonders von Kopenhagen aus scheint mir noch am ersten möglich, auf Petersburger Kreise einzuwirken. Die Kaiserinmutter steht in fortwährender Verbindung nicht nur mit dem Hof in Kopenhagen, sondern auch mit ihren dortigen Freunden. Ich vermute, daß diese Verbindung auch jetzt während des Krieges weiter besteht. Sie liest auch dänische Zeitungen Ich habe daher außer an Lucius in Stockholm auch an Brockdorff-Rantzau geschrieben und ihn gefragt, ob ihm nicht irgendwelche Kanäle bekannt sind, durch welche man Nachrichten nach Petersburg lancieren, bzw. von dort über Vorgänge beim Hofe erhalten könnte." Brief schließt: „Die Angelegenheit betr Einwirkung auf russische Persönlichkeiten werde ich im Aune behalten. Vielleicht bietet sich noch irgend ein anderer Kanal." (Pourtales an Jagow [Privatbrief], 17. Nov. 1914, AA, Gr. Hq., Europ. Krieg.

  3. Der genannte Brief ist nicht in den Akten auffindbar.

  4. Von Ballin am 23. Jan.dem Reichskanzler übersandt. Uber die Antwort Bethmann Hollwegs vom 26. Jan. s. o. Text.

  5. Wie ernst Bethmann Hollweg diese Nachricht nahm, zeigt, daß er noch in der Sitzung des Bundesratsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten vom 7. April mitteilte: „Der Zar habe Anfang Januar seiner Umgebung gegenüber den Wunsch Frieden zu schließen geäußert". (Ernst Deuerlein, Der Bundesratsausschuß f. Ausw. Angel. [1955] S. 280.)

  6. In diesem Zusammenhang interessiert, daß Ballin, der Befürworter eines englisch-deutschen Bündnisses (s. o. B. 20/61, S. 277) in einem von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erbetenen Neujahrsgruß sich für die Erwerbung eines außerhalb der Deutschen Bucht (des „nassen Dreiecks") gelegenen Flottenstützpunktes aussprach, „der in Zukunft uns wenigstens in diesem Teil der Welt die gleiche Möglichkeit sichert, wie England sie besitzt und rücksichtslos ausbeutet". („Hansa“ Jg. 52/1915 vom 9. Jan. 1915, S. 27.)

  7. Beide Schriftstücke sind dem Ausw. Amt als Anlagen des Briefes Robert Mendelssohns an Jagow vom 16. Feb. 1915 (AA, Wk 2 geh) zugegangen Das von Jagow als „ 1. Brief von Witte an R Mendels-sohn“ bezeichnete Schriftstück ist von Mendelssohn nur in einem Auszug dem Ausw Amt mitgeteilt worden, was nicht ausschließt, daß es Jagow bei einer möglichen früheren Unterredung im Original ganz bekannt geworden ist und er erst nachträglich, bei der Besprechung des 2 Briefes mit Mendelssohn am 14 Februar, davon wie von diesem Schreiben eine abschriftliche Mitteilung erbat Das Mendelssohn den 1 Brief nur im Auszug mitteilte, maq auf den Fortfall persönlicher Mitteilungen Wittes deuten, die für Jagow nicht von Wichtigkeit waren.

  8. Einfügung von der Hand Jagows-„unser Kaiser".

  9. Dem Sinnzusammenhang nach ist hier wohl an die analoge Konstruktion „d'outre-Manche" zu denken.

  10. übers. Var.: „Gesandtschaftspost".

  11. Den 1. Teil der Aufz. Stresemanns, der die Unterredung zwischen ihm sowie Roetger und dem Reichskanzler wiedergibt, s. o. Ani. Nr. 6, „Aus Politik und Zeitgeschichte" B 24/61, S. 335.

  12. S. o. Kap. X, „Das bevölkerungspolitische Dilemma der Grenzsicherung", Anm. 37.

  13. Korrektur für „Schutzzölle“.

  14. S. Lucius an Ausw. Amt, Tel. Nr. 295, 5. (pr. 6.) März 1915, ebenda.

  15. Diese Mitteilung ist in den Akten nicht nachweisbar. Das Hauptjournal des Zentralbüros vermerkt hierzu: „Rk. mitgenommen “ Es ist damit wahrscheinlich, daß das entsprechende Schriftstück in die verlorengegangenen Handakten des Reichskanzlers ausgenommen wurde.

  16. Teile dieses Briefes, den ich auf einer Autographenauktion ersteigern konnte, wurden, wie auch aus Bleistiftzeichen im Orginal zu ersehen ist, aus diesem in dem 1931 von Bernhard Schwertfeger herausgegebenen Buche „Kaiser und Kabinettschef" (1931, S. 266 f.) abgedruckt.

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