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Automation -Herausforderung an das 20. Jahrhundert. | APuZ 41/1963 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 41/1963 Automation -Herausforderung an das 20. Jahrhundert. Artikel 1

Automation -Herausforderung an das 20. Jahrhundert.

Walter Buckingham

Die technische Revolution

Abbildung 1

Die Ausbreitung der Automation

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint als das Zeitalter der Technik in die Geschichte eingehen zu sollen. Seit 1650 hat der Mensch sein Wissen von der Welt alle hundert Jahre etwa verdoppelt. In den letzten fünfzig Jahren wurde mehr technisches Wissen gewonnen als in der gesamten bisherigen Geschichte, und dieser Wissenszuwachs vollzieht sich immer rascher. Der britische Philosoph Alfred North Whitehead hat gesagt: „Früher spielte sich das Leben in einem Ochsenkarren ab, künftig wird es im Flugzeug verbracht werden, und die Veränderung der Geschwindigkeit läuft auf einen Unterschied der Qualität hinaus." Die Zeit ist durch die Technik gewissermaßen zusammengezogen worden. Der Abstand zwischen Theorie und Erfindung betrug in der Renaissance fünfzig bis hundert Jahre; heute beläuft er sich auf rund ein Jahrzehnt, manchmal auf weniger. Zwischen Newtons Axiomen und Watts Dampfmaschine verging ein ganzes Jahrhundert — der Entwicklungsprozeß von der Atom-zur Wasserstoffbombe währte nur zehn Jahre.

Die Anwendung dieses sich rasch erweiternden Wissensvolumens könnte ein wirtschaftliches Paradies auf Erden schaffen, ebenso leicht vermag es allerdings zu einem gewaltsamen Ende der gesamten Zivilisation zu führen. Auf jeden Fall wird die stürmische Entwicklung der naturwissenschaftlichen und technischen Kenntnisse eine Fülle wirtschaftlicher, sozialer und politischer Piobleme aufwerfen, für deren Lösung unsere Wirtschaftsführer die Hauptverantwortung übernehmen müssen. Mit der Ausbreitung des fast automatisch wachsenden Wissens über die ganze Welt werden Probleme geschaffen, die in erster Linie wirtschaftlicher und sozialer Natur sind und nicht mehr wie vormals vorwiegend politischer und militärischer Art.

Naturwissenschaft ist systematisiertes und formuliertes Wissen zur Entdeckung allgemeiner Wahrheiten. Technik ist auf das industrielle Schaffen angewandte Naturwissenschaft. Die Wissenschaft befaßt sich mit dem Verstehen, die Technik mit den praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Zur Technik gehört die Entwicklung von Werkzeugen, die eine Arbeitsteilung nach Maßgabe unterschiedlicher Fähigkeiten erlaubt. Sie umfaßt die Mechanisierung von Industrie, Transport, Handel und Landwirtschaft, die Entwicklung neuer Energieformen, die Normung von Teilen, die Massenproduktion von Waren und Dienstleistungen und automatische Reglersysteme.

Jeder weiß, daß die Technik eine Fülle von Problemen zu lösen vermag; unser sensationelles wirtschaftliches Wachstum ist großenteils technischen Fortschritten zu verdanken; besonders in den unterentwickelten Teilen der Welt erwarten Millionen von Menschen von Wissenschaft und Technik eine restlose Lösung ihrer dringendsten Probleme. Hingegen sind sich nur wenige bewußt, daß die Technik wohl zahllose alte Probleme löst, gleichzeitig aber viele neue schafft. Die technische Verbesserung ist keineswegs ausschließlich als Reingewinn zu werten. Zunächst einmal ist ein Teil der neuen Technik notwendig, um die Übel früherer Technik wettzumachen. Verbessert man beispielsweise die Nachbrenner für Auspuff-rohre, so wird dadurch die Luft allenfalls so sauber, wie sie es vor dem Auftauchen der Autos gewesen ist. Zweitens, ein Teil der nuen Technik ist zwar funktionsfähig, aber noch keineswegs wirtschaftlich — beispielsweise die Auswertung der Sonnenenergie. Drittens, in fast allen Formen der Technik stecken ungeheuere Möglichkeiten zu einer Verbesserung des menschlichen Lebens, sie können aber, sofern man sie nicht wirklich durchsichtig macht, mehr schaden als nutzen. Das gilt besonders für die Automation.

Der Mensch hat rund fünfzigtausend Jahre ohne Technik gelebt. Bestenfalls zehn Prozent der Menschen vermochten sich mehr als das nackte Existenzminimum zu beschaffen, gewöhnlich indem sie die übrigen versklavten. In den letzten zweihundert Jahren, seit der industriellen Revolution, ist der Prozentsatz der Menschen, die in tiefster Armut leben, in den industrialisierten Ländern Nordamerikas und Westeuropas auf etwa fünfzehn Prozent gesunken Nicht nur einen höheren Lebensstandard, die Technik hat zusätzlich bessere Bildungsmöglichkeiten gebracht, leistungsfähigere und demokratische Regierungssysteme, sie hat Aberglauben und Traditionalismus in die Schranken gewiesen, kurzum, zu einem besseren Leben geführt. Aber die vollen Auswirkungen der geistigen Versklavung durch die Massentechniken sind noch nicht in ihrem ganzen Ausmaß erkannt worden Obwohl unsere Gesellschaft den höchsten Lebensstandard der Weltgeschichte hat, ist sie fast vollkommen von Maschinen abhängig; die Schwachsinnigenmentalität der Maschinen hat unsere Kultur nicht nach geistiger Leistung oder nach künstlerischer Fertigkeit gewertet, sondern nach den PS-Zahlen der Automobile, der Milde von Zigaretten und der Wirkungsdauer von Desodorierungsmitteln.

Es ist bemerkenswert, wie wenig ernste Beachtung man in der gegenwärtigen, derart vom technischen Fortschritt beherrschten Ara der Weltgeschichte den Folgen des technischen Wandels geschenkt hat. Seit mehr als einem Jahrhundert werden materielle und soziale Verbesserungen in hohem Grade vom technischen Fortschritt bestimmt; dennoch haben sich die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Technik weitgehend dem Zugriff wissenschaftlicher Forschung entzogen. Nationalokonomen, Techniker, Psychologen und Soziologen — jeder war der Meinung, dieses Feld solle zweckmäßiger von anderen bearbeitet werden.

Die Segnungen der Technik sind, insgesamt betrachtet, so viel größer und augenfälliger als ihre Nachteile, daß wir unbeschwert dazu neigen, die Nachteile als überhaupt nicht vorhanden anzusehen. Nimmt man indessen den Gewinn der Technik als gegeben hin und läßt man die wirtschaftlichen und sozialen Folgen unbeachtet, so setzt man einen Teil ihres Nutzens aufs Spiel. Aldous Huxley schreibt in seinem Buche Brave New World Revisited:

„Für diese erstaunlichen und bewunderungswürdigen (technischen) Errungenschaften muß ein Preis bezahlt werden. Man muß noch immer dafür bezahlen, wie für die Waschmaschine vom vorigen Jahr, und jede Rate ist höher als die vorhergehende."

Die Krankheiten des Fortschritts sind unheilbar. Jede Änderung läutet, mit Browning zu reden, „das Totenglöckchen für etwas Altes und Vertrautes". Frühere Erfahrungen legen es nahe, daß eine Neuerung vom Ausmaß der Automation zweifellos ernste wirtschaftliche und soziale Probleme aufwerfen wird. Durch die Einführung der Dampfmaschine wurde zwar der Grundstein zu unserem blühenden, städtischen Industriesystem gelegt mit seinem hohen Lebensstandard und seinen unbegrenzten Möglichkeiten, gleichzeitig aber auch das handwerkliche Können und die geistige Ruhe zerstört, die dem ländlichen, landwirtschaftlichen Leben des Mittelalters das Gepräge gab.

Die moderne Industriewirtschaft verbindet Unsicherheit mit hohem Lebensstandard, bis ins kleinste gehende Spezialisierung mit hohem Ausstoß, neue Verantwortlichkeiten mit Freiheit und Individualismus, Ängste und Gefahren mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten.

Aber so ist das stets gewesen. Die Zivilisation selber hat die Notwendigkeit der Anpassung an organisiertes kollektives Leben erzeugt. Ein altes Sprichwort sagt, man kann sich nicht in der Sonne eines neuen Tages baden, ohne einen Schatten zu werfen.

Verglichen mit den Standardverfahren der Betriebstätigkeit hat sich die Automation als eine große Verbesserung erwiesen, so wie die mechanisierten Fabriken der industriellen Revolution dem mittelalterlichen Zunfthandwerker überlegen waren Selbst dem Skeptiker bietet die Automation die Möglichkeit zu größerem Ausstoß, zu kürzeren Arbeitszeiten, zur Schaffung einer Fülle von Fachtätigkeiten für die Instandhaltung, zu Konstruktion und Planung, sichereren Arbeitsbedingungen und zur Produktion neuer und besserer Waren genormter Qualität bei wirtschaftlicherer Verwendung der Rohstoffe.

Ein Historiker hat einmal bemerkt, der einzige Unterschied zwischen Krieg und sozialer Evolution bestünde im Tempo, in welchem beides vonstatten geht. Wie diejenige der früheren Technik, so ist auch die Wirkung der Automation nicht so sehr ihrem Ausmaß als ihrer Geschwindigkeit zuzuschreiben. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich ihr Tempo weniger wie eine Flutwelle gesteigert, sondern viel eher wie eine Folge von Grunddünungen; sie hat verschiedene Industrien zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Wirkungen erreicht.

Die Automation ist die dritte Phase in der Entwicklung der Technik, die mit der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts anhob. Am Anfang steht die Mechanisierung, die das Fabriksystem schuf und Arbeit und Management in der Produktion trennte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sodann mit der Massenproduktion das Fließband und andere so außerordentlich kostspielige Maschinen eingeführt, daß das Eigentum in der Industrie vom Management geschieden und in Millionen einzelner Aktienanteile atomisiert werden mußte. Seit dem Zweiten Weltkrieg schließlich hat die Automation die Elemente automatischer Regelung und Entscheidung hinzugefügt und die Fabrik aus einem zusammengewürfelten Haufen von Maschinen zu einer einzigen, integrierten Einheit zusammengeschlossen, die eine Produktion ungeheuren Ausmaßes verlangt. Die Mechanisierung war eine Technik, die auf Grundsätzen der Produktionsordnung beruhte. Die Automation ist eine Technik, die auf Kommunikation und Regelung beruht.

Die Automation stützt sich auf sämtliche Prinzipien dieser drei Stufen der technischen Entwicklung. Sie verkörpert die im England des 18. Jahrhunderts verwirklichte Mechanisierung, das kontinuierliche Massenproduktionsprinzip der Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die automatischen Regelungsprinzipien, die seit dem Kriege in der ganzen industrialisierten Welt zur Anwendung kommen. Aber Automation ist mehr als eine Technik. Sie ist eine neue Form industrieller Fertigung. Sie erfordert, daß der ganze Produktionsprozeß, vom Rohstoff bis zum Endprodukt, so analysiert wird, daß jede Operation aufs wirkungsvollste zur Erreichung der Unternehmensziele beiträgt.

Prinzipien der Automation

Automation zu definieren, ist für einen Wirtschaftler ebenso schwierig wie die Definition der Sünde für den Geistlichen. D. S. Harder, Vorstandsmitglied der Ford Motor Company und wahrscheinlich Urheber des Begriffs Automation, bezeichnet sie als eine " philosophy of manufacturing”. Gordon Brown vom Massachusetts Institute of Technology umschreibt sie als eine „offene Angelegenheit", das heißt eine „große Sache, eine der größten der Geschichte, deren Wirkungsbereich sich immer noch erweitert, je mehr wir von den in ihr ruhenden Möglichkeiten erfahren". Man hat sie eine intellektuelle Revolution genannt, ein neues Denksystem, die Mechanisierung des Urteilsvermögens, die Steuerung von Maschinen durch nicht-menschliche Mittel, oder (wie Boston) eine Bewußtseinslage. Milton Aaronson, der Herausgeber von Instruments and Automation, beschreibt Automation als „den Ersatz menschlicher Entscheidungs-und Leistungsorgane durch mechanische, hydraulische, pneumatische, elektrische und elektronische Geräte". Im Scherz hat man die Automation den „Ersatz menschlicher Irrtümer durch maschinelle" genannt. Wieder andere Definitionen gehen von elektronischen Reglergeräten aus, von automatischen Fließbändern, von der Zusammenfassung dieser beiden, von Transfermaschinen, Industrialisierung im allgemeinen, einem raschen Industrialisierungstempo und sogar von vollautomatischen Wirtschafts-und Sozialsystemen. Peter Drucker sagt: „Vor allem dürften wohl kaum Zweifel bestehen, daß Automation nicht etwa eine andere Bezeichnung für . Technokratie'ist und daß die , Schaltknopffabrik'keineswegs ihr Wahrzeichen darstellt. Automation ist keine Spielerei mit technischen Raffinessen, sie hat nicht einmal etwas mit Technik zu tun! Sie ist ein Prinzip hinsichtlich Aufbau und Ordnung des Wirtschaftslebens, der Plan seiner Grundstrukturen, die zu einem harmonischen, ausgewogenen und organischen Ganzen integriert werden"

Zum Zwecke der Analyse läßt sich Automation am besten definieren als jeder kontinuierliche und integrierte Arbeitsgang eines Produktionssystems, bei welchem man elektronische oder andere Vorrichtungen benutzt, um Menge und Güte der Produktion zu regeln und zu koordinieren. Im weitesten Sinne umfaßt sie sowohl die Fertigungs-als auch die Verwaltungsvorgänge eines Unternehmens. Aus diesen Vorgängen lassen sich vier wesentliche Prinzipien herausarbeiten: Mechanisierung, kontinuierlicher Prozeß, automatische Regelung und Rationalisierung. Jedes dieser vier Elemente hat sich gesondert entwickelt. Die Neuartigkeit der Automation als Technik eigener Art besteht darin, daß sie eine Synthese aus allen vieren darstellt, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer einzigartigen Kombination wissenschaftlicher Errungenschaften und wirtschaftlicher Verhältnisse entstanden ist.

Mechanisierung

Die industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts wurde in der Produktionstechnik durch die Verschmelzung verschiedener neuartiger Vorstellungen eingeleitet. Diese als Mechanisierung bezeichnete Kombination sollte sich zur stärksten wirtschaftlichen und sozialen Kraft in der Geschichte entwickeln. Sie beruhte auf den Grundsätzen des Maschinenwesens, besonders auf der Normung der Betriebsanlagen und der Aufgabenspezialisierung.

Mechanisierung bedeutet die Verwendung von Maschinen zur Verrichtung einer Arbeit.

Manchmal ersetzt die Mechanisierung tierische oder menschliche Muskelkraft durch Maschinen; hierin bestand die Funktion der Dampfmaschine. In neuerer Zeit ersetzt die Mechanisierung menschliche Sinnesorgane und Denkarbeit der einfachen routinemäßigen Stufe durch Maschinen. Maschinen können heute messen, rechnen und andere Maschinen steuern, gemäß den Informationen, die sie durch die Meß-und Rechengeräte erhalten. Dies ist die Funktion der programmgesteuerten elektronischen Rechenanlage. Die Kraft, die Raum-ersparnis und die Geschwindigkeit des Maschinenbetriebes ermöglichen es der Mechanisierung, nicht selten Aufgaben durchzuführen, welche durch menschliche Arbeit allein nie hätten bewältigt werden können, auch nicht durch den stärksten Einsatz an Arbeitskräften oder die-beste Organisation und Steuerung des Arbeitsvorgangs.

Die erste industrielle Revolution stützte sich vor allen Dingen auf den Grundsatz der Spezialisierung. In der berühmten (bezeichnenderweise 1776 veröffentlichten) wirtschaftlichen Unabhängigkeitserklärung Der Reichtum der Nationen hat Adam Smith den Begriff der Arbeitsteilung an seinem vielzitierten Beispiel der „Nadelfabrik“ sinnfällig gemacht. Im Mittelalter konnten handwerkliche Nadeler pro Tag eine bestimmte Anzahl von Nadeln herstellen. Jeder hatte die Arbeit in jahrelanger Lehrzeit erlernt. Nun zerlegte man die Nadelherstellung in verschiedene Bestandteile, wie Drahtrichten und-schneiden, Spitzen, Hämmern der Nadelkopfe, Polieren usw., wodurch sich jeder Arbeiter spezialisieren konnte. Nach kurzer Zeit erhöhte sich die Nadelproduktion bei der gleichen Zahl von Arbeitsstunden ungeheuer. Der zusätzliche Ausstoß ergab sich aus dem hohen Fertigkeitsgrad, der sich bei hochspezialisierten Tätigkeiten und mit hochspezialisierten Arbeitskräften erreichen läßt.

Ein klassisches Beispiel dafür ist Humphrey Potter, ein zwölfjähriger Junge, der zu Anfang des 18. Jahrhunderts in England durch einen Hebelgriff Dampf in den Zylinder von Newcomens erster Dampfmaschine strömen lassen mußte. Potter, der über eine nicht unbeträchtliche Intelligenz verfügte, bemerkte, da er nichts weiter zu tun hatte, als Dampfventile zu öffnen und zu schließen, daß der Kolben sich an einem Ende des Zylinders befand, ein Ventil öffnete und daß er jedesmal, wenn er am andern Ende war, ein anderes öffnete, um den Dampf in die andere Seite des Kolbens strömen zu lassen. Er beobachtete die Beziehung zwischen Kolben und Ventil, verband das Ventil mit dem Kolben, so daß der Kolben das Ventil automatisch bediente, und erfand damit die noch heute gebräuchliche Schieber-steuerung. Auf diese Weise machte er sich selber arbeitslos 'und verhalf sich zu einer angenehmeren Tätigkeit.

Maschinen und andere Betriebsanlagen vermögen sich, wenn sie von der Unternehmensführung entsprechend mit Arbeitskräften und natürlichen Hilfsquellen kombiniert werden, wie Kaninchen zu vermehren und hinreichend wirtschaftliche Werte zu schaffen, um die gesamten Kosten der Einrichtung einzubringen und darüber hinaus noch einen Gewinn für die Eigentümer abzuwerfen. Die Heraufkunft bestimmter Umstände, welche technische Änderungen verursachen, die ihrerseits Umstände herbeifühlen, die einen weiteren technischen Wandel bewirken, ist keineswegs einer sinnlosen Schraube ohne Ende vergleichbar; es handelt sich vielmehr um die kontinuierliche Entwicklung eines Wechselwirkungen ausgesetzten Wachstumsprozesses. Neue Maschinen verlangen neue Fertigkeiten von den Arbeitskräften, neuartige Kenntnisse und Fähigkeiten vom Management, was bei einer gesunden Entwicklung wiederum zu weiteren technischen Verbesserungen führt. Auch im Maschinenbau läßt sich eine Tendenz zu immer weitergehender Spezialisierung nachweisen, in deren Gefolge Arbeiterschaft und Management sich gleichfalls weiter spezialisieren müssen. Diese selbsttragende Aufwärtsspirale der Produkti-vität kann eine Gesellschaft mit stagnierender Eigenbedarfswirtschaft, wie sie das mittelalterliche Europa oder das moderne Afrika darstellt, in eine fortschrittliche Industrienation mit hohem Lebensstandard verwandeln. Der Prozeß verläuft nicht ständig kumulativ, weil Engpässe und abnehmende Erträge ihn unter Umständen hemmen, allerdings gewöhnlich erst dann, wenn ein großes wirtschaftliches Wachstum stattgefunden hat.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sensationelle Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektronik und des Nachrichtenwesens die Herstellung verschiedener Typen von programmgesteuerten elektronischen Rechenanlagen ermöglicht. Diese Automaten vermögen eine Fülle im voraus entwickelter theoretischer Wirtschafts-und Geschäftsprinzipien so zu übertragen, daß sie tatsächlich praktische Bedeutung gewinnen. Mit nahezu unglaublicher Schnelligkeit können sie Daten verarbeiten. Nach Eingabe von Informationen, die gewöhnlich auf Band erfolgt, werden eine Reihe logischer Operationen durchgeführt, um nach Maßgabe eingebauter Kriterien unter verschiedenen im voraus zu erwartenden Handlungsverläufen ausgewählt zu werden. Selbst Fehler werden automatisch korrigiert. Obwohl diese Rechenanlagen, zumindest teilweise, nichts anderes sind als eine Ausdehnung der Mechanisierung auf die Büroarbeit, bezeichnet man ihre Operation zur Lösung von Problemen in Wissenschaft und Geschäftswelt häufig als Automation.

Der wesentliche Unterschied zwischen modernen elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen und herkömmlichen Maschinen, welche sich aus der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert entwickelt haben, besteht darin, daß elektronische Geräte Entscheidungen treffen und Steuerungsfunktionen ausüben, während die älteren Maschinen lediglich Arbeit im physikalischen Sinne leisteten. Ersetzten die früheren Maschinen ausschließlich von Menschen-hand oder von Tieren geleistete Arbeitsvollzüge, so übernehmen die neuen Maschinen gewisse vom Management durchgeführte Aufgaben. Automation umschließt zwar die Prinzipien der Mechanisierung, ist aber sehr viel mehr als das. Sie ist eine gewaltige Erweiterung und Integration verschiedener Sonder-formen der Maschinentechnik und leistet mehr als irgendeine dieser Formen allein.

Fließarbeit

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollzog sich eine zweite technische Revolution, die auf dem Prinzip der Massenproduktion beruhte. Das System der Massenproduktion geht auf Bemühungen zurück, den Gedanken der Fließarbeit zur Anwendung zu bringen. Die Technik der Massenproduktion wird oft als zweite Stufe der industriellen Revolution bezeichnet und manchmal mit der Automation selbst verwechselt. Aber wie die Mechanisierung ist auch die Massenproduktion, deren Kern das Prinzip der Fließarbeit darstellt, nur ein Teil der Automation. Die Besonderheit der Massenproduktionstechnik besteht darin, daß sie eine ungeheuere Steigerung der Produktivität oder der Leistung pro Arbeitsstunde erlaubt, und zwar nicht durch Verwendung neuer Maschinen oder durch die Entwicklung neuer Kraft-quellen, wie dies für die Mechanisierung gilt, sondern in der Hauptsache durch ein neues System, den Produktionsprozeß selbst zu organisieren. Der Begriff der Fließarbeit war schon im 18. Jahrhundert geläufig und wurde gelegentlich verwendet, beispielsweise in Hinblick auf Getreidemühlen; weitverbreitete Anwendung aber hat er erst in unserem Jahrhundert gefunden. Die erste Neuerung der Massenproduktion geht auf eine Entdeckung zurück, die um die Jahrhundertwende unabhängig und fast gleichzeitig in Europa und den Vereinigten Staaten in der noch in den Kinderschuhen steckenden Automobilindustrie gemacht wurde. Man stellte fest, daß sich die Produktion, ohne daß neue Maschinen angeschafft zu werden brauchten, allein durch Arbeitsspezialisierung, ungeheuer beschleunigen läßt; wenn nämlich Facharbeiter von einem Wagen zum nächsten gingen und immer wieder die gleichen Arbeitsvollzüge verrichteten. In den Vereinigten Staaten wird diese Entdeckung Ford und Olds zugeschrieben, obwohl sie unabhängig davon in England, Frankreich und möglicherweise auch in anderen, auf einer ähnlichen Stufe der Technisierung befindlichen Ländern gemacht wurde.

Der ersten folgte schnell die zweite Neuerung. Warum sollte man nicht die Arbeiteran Ort und Stelle lassen und die Arbeit an ihnen vorbeiführen? Diese Fließbandidee holte man sich von der Fleischkonservenindustrie Chikagos, wo schon in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Förderkette in Gebrauch gewesen war. Obwohl man dort, da Rinderkadaver an den Arbeitern vorbeigezogen und von ihnen aus-geschlachtet wurden, richtiger von einem De-montageband, statt von einem Montageband gesprochen hätte, übernahm man das Prinzip zuerst für die Montage von Magnetzündern, später für die ganzer Automobile. Indem man nichts anderes tat als die Art der Kombination von Arbeitskräften und Maschinen zu ändern, erfuhr die Produktivität ein weiteres Mal eine ungeheure Steigerung.

Zwischen den beiden Weltkriegen setzte sich das Fließband in zahlreichen Industriezweigen durch; und die Automobilindustrie, wo es zuerst und mit dem größten Erfolg verwendet worden war, schoß zu einer der größten Industrien der Welt auf. Der Zweite Weltkrieg brachte eine weitere Neuerung, welche die Entwicklung der Massenproduktionstechnik weiterhin verbesserte. Es handelte sich dabei um die Entwicklung von automatischen Transfermaschinen, von Werkzeugmaschinen mit automatischem Durchlauf der Stücke, welche die verschiedenen Produktionsstufen so zusammenfaßten, daß ohne Zwischenschaltung menschlicher Arbeit ein kontinuierlicher Fluß oder Prozeß gewährleistet werden konnte. Diese Maschinen greifen ein Werkstück, bringen es in die richtige Lage, spannen es ein, verrichten irgendeinen Bearbeitungsgang, klinken es aus, befördern es zur nächsten Arbeitsstelle und nehmen das nächste Stück in Empfang Alles das geschieht ohne jedes unmittelbare menschliche Zutun. Die ganze Fertigungsstraße wird von einem entfernten elektronischen Schaltpult gesteuert.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Massenproduktion in der Automobilindustrie und anderen Industriezweigen stark beschleunigt worden, indem man die herkömmliche Fließbandarbeit durch diese neuen automatischen und halbautomatischen Transfergeräte ergänzte. Hunderte von einzelnen mechanischen Funktionen werden jetzt ohne unmittelbaren menschlichen Eingrif! verrichtet. Diesen integrierten Fließbandbetrieb nennt man Detroit-Automation, obwohl er, wie die Mechanisierung, nur einen weiteren Bestandteil im Gesamtbild der Automation darstellt. Die erste automatische Transferanlage wurde in Wirklichkeit im Jahre 1923 von der Morris Motor Company in Großbritannien verwendet. In technischer Hinsicht war sie für die damalige Zeit ein Erfolg, nicht aber in wirtschaftlicher, da das Kapital im Verhältnis zur Arbeit teuer war. Deshalb schaffte man die Maschinen wieder ab. Heute, da sich die Realstundenlöhne verdoppelt haben und die Kosten der Maschinen infolge des technischen Fortschritts und eines freizügigeren Welthandels vergleichsweise gesunken sind, nimmt die Verwendung dieser Maschinen in Großbritannien, in den Vereinigten Staaten sowie in vielen anderen Ländern sehr schnell zu.

Bei einigen Industrien, die Flüssigkeiten, wie Ol, Milch oder Bier, verarbeiten oder homogene pulverisierte, gemischte oder fein verteilte feste Stoffe, wie Mehl, Papier oder Zement, sind Transfermaschinen für die Automation nicht erforderlich, wohl hingegen für Industriebetriebe, die sich mit der Herstellung oder der Montage getrennter Teile befassen, wie Autos, Fernsehgeräte oder Eloktromotoren; hier gestattet die automatische Transfermaschine die Kombination vieler einzelner Teilfließbänder zu einem einzigen kontinuierlichen Fertigungsprozeß. Auf diese Weise können Transfermaschinen eine Folge getrennter, einzelner Bearbeitungsgänge zu einem einzigen integrierten, automatisch gesteuerten Prozeß zusammenschließen. Die Technik des kontinuierlichen Prozesses findet eine immer breitere Anwendung, da die ihm zugrunde liegende Konzeption von vielen individuellen Produktionsprozessen auf das Unternehmen und schließlich auf die gesamte Wirtschaft ausgedehnt worden ist. Massenproduktion. wachsende gegenseitige Interdependenz und heute die Automation verkörpern diesen Grundsatz, der darauf hinausläuft, das Unternehmen als einen ununterbrochenen fortlaufenden Prozeß zu verstehen. Wirtschaftliche Unternehmungen haben weithin aufgehört, als eine Betätigung zu gelten, die begonnen und mit geringem Verlust wieder abgebrochen werden kann. In der Regelung eines ständig fortlaufenden Güterstromes erblickt das Management seine Hauptaufgabe.

Automatische Regelung

Das dritte Prinzip der Automation ist die automatische Regelung oder Rückkopplung Es handelt sich dabei um einen Typus von Regelung, bei dem der Leistungseinsatz von Maschinen durch deren eigene Endleistung geregelt wird, so daß der Ausstoß den Bedingungen eines vorbestimmten Ziels entspricht. Wie bei einem einfachen, thermostatisch geregelten Heizsystem kontrollieren die durch die Endleistung geschallenen Bedingungen automatisch ihrerseits die Menge der zugeführten Energie und damit die Leistung der Maschine. Nach dem Rückkopplungssystem geregelte Maschinen schalten sich selber ein und aus und regeln Güte und Menge des Produktes automatisch. Im Gegensatz zu Mechanisierung und Fließverfahren ist die Rückkopplung ein ausschließlich die Automation kennzeichnendes Merkmal. In der Natur gibt es unzählige Beispiele für Rückkopplungen. Eines davon ist der bekannte kanadische Pelzzyklus, in dessen Verlauf die Zahl der Kaninchen und der Luchse in regelmäßiger Folge schwankt. Dies geht auf die Tatsache zurück, daß Luchse von Kaninchen leben. Steigt der Kaninchenbestand, so steigt auch die Überlebensrate der Luchse, die dann die Kaninchenbestände erschöpfen und dadurch wiederum eine Abnahme der Luchse verursachen und so fort.

Darwin hat vor mehr als hundert Jahren eine auf dem Rückkopplungsprinzip beruhende Erklärung für das Faktum benutzt, daß man in englischen Städten so viele Hummeln antrifft. Die Napoleonischen Kriege hatten die männliche Bevölkerung Englands dezimiert; die Zahl der unverheirateten Frauen wuchs; in der Regel lebten diese in Kleinstädten und hielten sich viele Katzen. Katzen fressen Mäuse, Mäuse wiederum fressen Hummeln. Daher verursachte eine Zunahme der Katzen eine Abnahme der Mäuse und, da Mäuse Hummeln fressen, eine Zunahme der Hummeln. Mehr Katzen, mehr Hummeln. Der Krieg hatte das natürliche Rückkopplungssystem oder das Gleichgewicht der Tierwelt gestört. Es gibt zahllose andere Beispiele für Rückkopplungssysteme — etwa das Blutsystem von Tieren, den Sauerstoff-Kohlendioxyd-Zyklus in der Atmosphäre, das allgemeine Gleichgewicht von Preis und Nachfrage in der klassischen Wirtschaftstheorie und das Beschäftigungsniveau in der Wirtschaftsanalyse von Keynes. Die Volkswirtschaft und ebenso der wirtschaftliche und technische Fortschritt werden mehr und mehr nach Maßgabe von Rückkopplungsprinzipien geregelt.

Rückkopplungsprinzipien kennt und benutzt man in der Mechanik seit Jahrhunderten. Im 17. Jahrhundert wurden die Flügel der Windmühlen mit Hilfe von Rückkopplungsgeräten in Winde gehalten. James Watts bekannter Fliehkraftregler regelte 1788 — wie er dies noch heute tut — automatisch die Geschwindigkeit von Dampfmaschinen. Charles Babbage entwarf 1840 einen Analysator, die erste Rechenmaschine, und machte sich Rückkopplungsprinzipien zunutze. Es gibt noch weitere frühe Beispiele der Rückkopplungstechnik, aber wie im Falle von Babbages Rechenmaschine standen jene handwerklichen Fertigkeiten, Werkzeuge und Materialien nicht zu Gebote, die man benötigt hätte, um diese Geräte in großem Maßstabe zu verbessern und sie für weitere Zwecke nutzbar zu machen. Erst im Zweiten Weltkrieg erlaubten technische Errungenschaften auf dem Gebiete der Elektronik die Herstellung echter automatischer Regler-geräte.die einen breiten Anwendungsbereich besaßen und äußerst leistungsfähig waren.

Heute bedient man sich der Rückkopplung in Verbindung mit Mechanisierung und Fließbandtechnik und erzielt dabei Ergebnisse, die noch vor zehn Jahren unerreichbar gewesen wären. Elektronischen Rechengeräten werden durch Lochkarten oder Magnetbänder Informationen zugeführt, die als „Befehle" an die Maschinen gelten können. Produktionsprobleme, welche sich den Maschinen stellen, regeln oder bestimmen die Information, die in einem späteren Stadium dem Rechengerät vorgesetzt wird. Die Maschinen können ihren Ausstoß regeln, zwischen verschiedenen Aktionsmöglichkeiten wählen und sich selber berichtigen, um Zufuhr, Ausstoß, maschinellen Verschleiß und so weiter zu ändern. Durch Automation können Maschinen Vorgänge auslösen, anhalten, beschleunigen, verlangsamen, sie können zählen, untersuchen, prüfen, erinnern, vergleichen und die Dimensionen von Raum, Zeit, Schall, Temperatur und anderer physikalischer Eigenschaften messen. Mit Rückkopplungsmechanismen läßt sich all das automatisch bewerkstelligen.

Rationalisierung

Dieses Prinzip verbindet die technische Seite der Automation mit der wirtschaftlichen, sozialen und unternehmerischen. Rationales Vorgehen meint die Anwendung der Vernunft bei der Lösung von Problemen oder bei der Suche nach Wissen; dies führt zur Entwicklung objektiver Kriterien, zur umsichtigen Auswahl der wirksamsten Verfahren, zu nüchterner Bewertung der Leistung, zur Erhaltung von Kapital und Energie, zur Ausschaltung von Verlusten, kurzum: zu einer optimalen Kombination von Mitteln im Hinblick auf die wirksamste Erreichung klar umrissener Ziele. In einem Produktionssystem bedeutet dies, daß der gesamte Weg vom Rohmaterial bis zum Endprodukt sorgfältig analysiert wird, damit sich jeder Arbeitsgang so durchplanen läßt, daß er auf die effektivste Weise zur Erreichung klar formulierter Unternehmensziele beiträgt.

Im Grunde genommen ist die rationalistische Denkweise nichts Neues; seit der Renaissance stellt sie in der Welt ein bedeutsames Kräftepotential dar. Die Rationalisten haben sich weder um Autorität, noch um Offenbarung und Aberglauben gekümmert, sie haben sich vielmehr auf ihren Verstand verlassen, als sie die Geheimnisse des Alls erforschten. Ihr starker Einfluß setzte sich zuerst in den Naturwissen-schäften durch; sie entfalteten die Alchemie zur Chemie und die Astrologie zur Astronomie. Ein bedeutender Vertreter der rationalistischen Bewegung war Francis Bacon, der die exakte Beobachtung und das Experiment in die Reihe wissenschaftlicher Verfahrensweisen eingeführt hat. Isaac Newton entdeckte später die Schwerkraft und gab einen rationalen Schlüssel zum Universum, womit er das Fundament für den neuen Glauben legte, daß nämlich der Lauf der Welt vernunftbedingt sei und vom menschlichen Verstand begriffen werden könne.

Heute sind wir Zeugen eines ungeheuren, den Menschen selbst betreffenden Wissenszuwachses, einer Entwicklung, welche sich mit den Entdeckungen vergleichen läßt, die in der Vergangenheit auf dem Gebiete der Physik gemacht worden sind. Wir erleben eine Beschleunigung in der Entfaltung unseres Wissens und die Entwicklung neuartiger Theorien in der Volkswirtschaft, der Psychologie und anderen Sozialwissenschaften; ganz neue Verhaltenswissenschaften zeichnen sich am Horizont ab.

Sofern sie sich auf moderne Elektronengeräte übertragen läßt, eröffnen sich der wissenschaftlichen, rationalistischen Denkweise zahlreiche neue Möglichkeiten, den Menschen zu verstehen, unter Umständen auch ihn zu steuern. Die Entwicklung elektronischer Rechenanlagen hat dazu geführt, daß man sich von neuem fasziniert die Möglichkeit vergegenwärtigt, der Super-Rationalismus im wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Bereich könne sich auch über andere Gebiete ausdehnen und die Gesellschaft in einen exakt funktionierenden Mechanismus verwandeln, in dem sämtliche Momente des Zufalls, des Risikos, der Laune und des freien Willens ebenso eliminiert sind wie alle geistigen Wertbestimmungen. Gewisse Zweifel am Rationalismus sind bereits geäußert worden. Marx mit seiner Theorie unvermeidlicher historischer Veränderungen, Freud mit seiner These, daß das Unterbewußtsein die Handlungen des Menschen bestimmt, und Pawlow mit seinen Experimenten über bedingte Reflexe —, alle lassen Zweifel an der Rationalität und Zuverlässigkeit des menschlichen Geistes laut werden. Und heute halten sich popularisierende Schriftsteller bei der Möglichkeit auf, eine Rationalisierung menschlicher Wertvorstellungen könne zu einer enthumanisierten Gesellschaft führen, gezeichnet von unerfreulichem Wohlstand, totalitärer Sicherheit und der kalten, tödlichen Religion der Tüchtigkeit.

Die scheinbare Ähnlichkeit und der geschichtliche Zusammenhang zwischen Automation und früheren technischen Veränderungen haben gewichtige Spekulationen in Gang gebracht über Fragen wie: „Ist es unvermeidlich, daß Demokratie und Individualismus durch einen Kollektivismus ersetzt werden?"

und „Steigert sich das Risiko der Arbeitslosigkeit und Armut?" Die Werbebroschüren der großen Herstellerfirmen für Automationsteile haben eine üppig wuchernde Literatur hervorgebracht, in welcher von der Möglichkeit die Rede ist, Verwaltungs-und Fertigungsprozesse in ein einziges, stummes, automatisches Ungeheuer zu integrieren, das eine endlose Kette von Produkten ausspeit, ohne daß ein Mensch dabei eine Rolle spielte. Diese furchterregenden Spekulationen haben die Phantasie mancher Menschen belastet und die Herzen anderer mit Schrecken erfüllt.

Derartig wortreiche Auslassungen ermangeln zwar nicht der Einbildungskraft, sehr wohl aber jener Art kritischen Denkens und sorgfältiger Dokumentation, die quantitative, wissenschaftlich exakte Ergebnisse liefert. Es ist unbedingt notwendig, das empirische Beweismaterial, welches allein die phantastischen Vorhersagen und Verallgemeinerungen dieser Schriften zu widerlegen vermag, zu sammeln, zu sichten, zu ordnen und auszuwerten. Sich über solchen Pessimismus zu mokieren, genügt keineswegs; Argumente müssen widerlegt oder aber überzeugend und logisch bewiesen werden. Die genannten Betrachtungen mögen übertrieben sein, man sollte sie indessen durchaus ernst nehmen, damit derart entsetzliche Möglichkeiten unter allen Umständen vermieden werden. Die Auswirkungen der Technik müssen schon im voraus erkannt werden, damit wir, während wir ihre Weiterentwicklung fördern, auch im voraus zu planen und die drohenden Gefahren zu bannen vermögen, welche ihre großen Vorteile sämtlich zunichte machen könnten.

Der heutige Stand der Automation

Der Aufstieg der Automation Noch im Jahre 1955 gab es in den USA nicht mehr als ein Dutzend elektronische Datenverarbeitungssysteme. Heute sind, nach einer von Ende 1960 stammenden Aussage des Computer-Experten John Diebold vor dem Kongreß-Unterausschuß über Automation und Energievorräte, etwa 11 000 programmgesteuerte Rechenautomaten in Gebrauch (einschließlich der 6 800 Lochkartenrechner) und 4 500 weitere sind in Auftrag gegeben. Etwa ein Drittel der in Betrieb befindlichen elektronischen Rechengeräte sind für wissenschaftliche und technische Probleme programmiert, der Rest besorgt Büro-und Verwaltungsarbeit. Vor fünf Jahren war die automatische, numerisch gesteuerte Fräsmaschine des Massachusetts Institute of Technology ein einzigartiges Labormodell; heute sind Hunderte solcher Maschinen täglich in Betrieb. Im Jahre 1957 stellten nur vier Firmen große elektronische Datenverarbeitungssysteme her; heute sind es neun. Die Zeitschrift Automation schätzt, daß die US-Industrie im Jahre 1960 etwa 6, 2 Milliarden Dollar für automatische Steuerungen und Ausrüstung ausgegeben hat. Die Zeitschrift Life prophezeit, daß es sieben Milliarden werden. Harvey Firestone jr. bemerkte kürzlich, die Industrie habe in der Verwertung der Automation kaum mehr als die ersten Schritte unternommen; er prophezeite, daß in weniger als einem Jahrzehnt die Automation „ebenso zur Standardausrüstung in Handel und Industrie gehören werde, wie heute Schreibmaschine, Registrierkasse und Telephon".

Frühe Beispiele Gewisse Formen der Automation sind nicht neu. Denis Papin, ein Franzose, erfand 1680 ein automatisches Druckventil. Automatische Steuermaschinen waren schon im 18. Jahrhundert bekannt. Oliver Evans entwickelte 1784 in der Nähe von Philadelphia eine automatische, mit Wasserkraft betriebene Getreide-mühle — eine Eimerkette schüttete Korn in die Mühle, und Transportschnecken beförderten es durch verschiedene Mahlgänge, bis das fertige Mehl herauskam. Pascal baute in den Jahren 1642 und 1643 mehrere „arithmetische Maschinen". Ein anderer Franzose, Joseph Jacquard, führte 1801 in Paris einen automatischen Webstuhl vor, der vollständig nach Anweisungen arbeitete, die ihm durch Lochkarten zugeführt wurden. Automatische Telephonschaltanlagen stellen eine bekannte Spielart der Automation dar, obwohl sie bis in den Anfang der zwanziger Jahre zurückdatieren. Die A. O. Smith Company eröffnete ihre automatische Kraftfahrzeugchassisfabrik 1920. Seit 1925 betreibt das Londoner Hauptpostamt eine unterirdische Paketeisenbahn mit kleinen, unbemannten elektrischen Zügen. Bei der Iowa Electric Light and Power Company befindet sich ein automatisches Wasserkraftwerk, welches der ständigen Beaufsichtigung durch Menschen nicht bedarf, seit mehr als dreißig Jahren unablässig in Betrieb.

Fabrikautomation In großem Maßstab aber wurde die Automation erst nutzbar, als im Zweiten Weltkrieg einige aufsehenerregende theoretische Erkenntnisse zur Entwicklung elektronischer Rechengeräte führten. Trotz mannigfaltiger erfolgreicher Verwendungen in der Industrie, wie etwa im 1957 eröffneten automatischen Motorenwerk von Ford, lief eine allgemeine Verbreitung der Automation erst Mitte der fünfziger Jahre an.

Die bei der Fabrikautomation verwendeten Maschinen kann man in drei Gruppen einordnen: erstens automatische Fertigungsmaschinen wie Fräsmaschinen und Drehbänke; zweitens automatische Maschinen zur Kontrolle der Arbeitsgänge, wie sie in Ölraffinerien und chemischen Werken verwendet werden, und drittens automatische Einrichtungen für den Materialtransport, welche fertige oder halbfertige Produkte von einer Stelle oder Maschine zu einer anderen transportieren. Alle diese Maschinen können von elektronischen Rechenanlagen betrieben werden, die Magnetbänder, Lochkarten oder automatische, den menschlichen Seh-, Hör-oder Tastsinn nachahmende Abtastvorrichtungen, wie etwa photoelektrische Zellen, benutzen.

In der Clevelander Motorenfabrik von Ford bedient ein einziger Mann eine Transfer-maschine, die mehr als fünfhundert Arbeitsgänge bewältigt. Vor der Automatisierung erforderte diese Arbeit den Einsatz von fünfunddreißig bis siebzig Mann. Achtundvierzig Mann stellen im Automationsbetrieb einen Motorblock in zwanzig Minuten her, dazu brauchten vordem vierhundert Mann doppelt so lange. Das Werk wird jetzt modernisiert, weil es veraltet ist. In einer Rundfunkgerätefabrik in Chicago werden von zwei Mann täglich tausend Geräte zusammengebaut — eine Arbeit, die vor der Automatisierung zweihundert Mann beansprucht hätte. Die duPont Company löste mit einer programmgesteuerten Rechenanlage beim Massachusetts Institute of Technology in dreißig Stunden ein chemisches Problem, an dessen rechnerischen Teil allein ein Mann zwanzig Jahre lang vierzig Stunden wöchentlich hätte arbeiten müssen. Beim Institute for Advanced Study in Princeton arbeitet ein elektronisches Rechengerät in drei Stunden Wettervorhersagen aus, für welche ein mit einer Addiermaschine ausgerüsteter Mann dreihundert Jahre brauchen würde. In den beiden letztgenannten Fällen wäre ohne eine Automatisierung die Bewältigung der Aufgabe überhaupt nicht möglich, geschweige denn wirtschaftlich.

In der Ölindustrie werden „Tankfarmen", riesige Flächen mit zahllosen „Speicherbehältern"

von Hunderte von Kilometern entfernten Büros aus mit Hilfe von Elektronengeräten automatisch überwacht. Ein Techniker im Stadt-büro wählt eine Tanknummer, und ein Meßgerät am Behälter telegraphiert unverzüglich dessen Flüssigkeitsstand zurück. In anderen Fällen wird der jeweilige Flüssigkeitsstand vieler entfernter Lagerbehälter ständig gemeldet und in der Hauptverwaltung automatisch niedergeschrieben. Wenn ein Tank leerzulaufen oder überzulaufen droht, ertönt ein Alarmzeichen. Automatische Steuerung von Lenkwaffen ist ein entscheidend wichtiger Teil des amerikanischen Verteidigungsprogramms. Die fliegende Waffe funkt dem Mann, der das Steuer-werk bedient, die verschiedensten Informationen zu. Diese Daten werden von elektronischen Rechengeräten automatisch ausgezeichnet und mit so hohen Geschwindigkeiten verarbeitet, daß rechtzeitig wichtige Entschlüsse gefaßt werden können. Ein IBM-701 -Rechenzentrum erhält 963 Befehle, führt in zwei Minuten 1 100 000 Berechnungen durch und liefert dann Angaben zur Berechnung der Flugbahn des Geschosses so schnell, daß man seinen Weg im Fluge noch ändern kann. Die jüngsten Lenkwaffen fliegen freilich noch schneller als die Automaten ihre Position zu berechnen vermögen; deshalb muß nach ein paar Flugminuten die Position einer Lenkwaffe theoretisch bestimmt werden. In der Regel benutzen Flugzeuge aller Art zahlreiche automatische Kontrollinstrumente, wie Dehnungsmeßgeräte und Feuerwarnanlagen. Annäherungswarngeräte zur Vorbeugung von Zusammenstößen in der Luft befinden sich in der Entwicklung.

Automatische Ausrüstungen zur Verkehrs-kontrolle sind heute in mannigfaltigen Formen allenthalben in Gebrauch, wie etwa die automatische Abfertigungseinrichtung, die bei zahlreichen Eisenbahnen in den USA und in Europa Verwendung findet. Vollständig automatische Güter-und Personenzug-Verschiebebahnhöfe mit Dutzenden von Gleiskilometern und Tausenden von Wagen sind für uns etwas Alltägliches. In den USA gibt es allein mehr als zwei Dutzend automatische Verschiebe-bahnhöfe; in Europa noch weitaus mehr. Elektronische Geräte werten viele Faktoren aus, wie Gewicht, Wind und Bestimmungsort, so daß lange Züge — sieht man von der Tätigkeit eines Rangiermeisters in einem entfernten Kontrollturm ab — ohne jeden menschlichen Arbeitsaufwand richtig aneinandergekuppelt werden.

Das Londoner Verkehrssystem mit seinen mehr als zehntausend Omnibussen und neunhundert Zügen, das größte der Welt, hat seinen gesamten Eisenbahnbetrieb auf Lochband programmiert. Wenn das Band durch die Anlage läuft, tasten Fühler die Löcher ab und schließen elektrische Kontakte, welche täglich Signale und Weichen für neunhundert Züge in Gang setzen. Wenn ein Zug Verspätung hat, denkt das Rechenzentrum mit Hilfe seines Trommelspeichers daran, ihn, sobald er ankommt und die Strecke frei ist, über das richtige Gleis zu schicken.

Mittels automatischer Techniken löste die All American Engineering Company vor kurzem ein kompliziertes Problem theoretisch und ersparte sich dadurch die Kosten für praktische Versuche. Der Präsident der Firma, Charles W. Wendet, bemerkte hierzu: „Gleich beim ersten Problem, das wir mit dem Rechenautomaten durchgingen, erzielten wir einen Volltreffer. Wir waren drauf und dran, mit einem Versuchsmodell eines neuen Sperrgetriebes für Strahltriebflugzeuge in die Produktion zu gehen. Unser Automat zeigte bei seiner ersten Aufgabe, daß das Getriebe das Flugzeug nicht zum Stillstand brachte, sondern daß seine Bremskraft schon erschöpft sein würde, wenn das Flugzeug noch eine Geschwindigkeit von dreißig Meilen in der Stunde hat". Dieser Unterschied hätte sich zwar auf dem Versuchsgelände herausgestellt, der Rechenautomat ersparte der Firma aber beträchtliche Verluste an Fertigungs-und Versuchszeit. Bei manueller Rechenarbeit hätte ein Ingenieur viele Stunden für die Berechnungen gebraucht, die der Automat in Minuten und mit größerer Genauigkeit bewältigte.

Die Produktivitätsteigerungen durch Automation sind erstaunlich. Die Ford Motor Company brauchte für die Herstellung eines Motor-blocks aus einem gegossenen Rohling vierundzwanzig Stunden. Vermittels der Automatisierung beansprucht derselbe Prozeß 14, 6 Minuten. Im Jahre 1908 formte ein Blechfacharbeiter das Oberteil eines Treibstofftanks in acht Stunden. Mit Stanzautomaten dauert dies heute zwanzig Sekunden. Die North American Aviation Company hat ein Kaltnachwalzwerk, das automatisch eine aus einem Stück bestehende Tragfläche für eine F 100-Super-Sabre aus festem Metall schneidet und zwar in dreieinhalb Stunden, ein Arbeitsgang, der früher sechzig Stunden lief. Ein anderer Flugzeugfabrikant nennt durchschnittliche Zeitersparungen von achtzig Prozent bei einigen Arbeitsgängen. Wieder ein anderer behauptet, die von der Blaupause bis zum fertigen Teil erforderlichen Arbeitsstunden seien, als die herkömmlichen Methoden durch die numerische Kontrolltechnik ersetzt wurden, von 104, 6 auf 3, 5 Stunden zurückgegangen.

Automation im Büro Die Maschinen, die für die Automation der Verwaltung verwendet werden, dienen meist der Bearbeitung von Informationen und erfordern die Verwendung elektronischer Rechen-automaten. Es gibt zwei Arten solcher Automaten: Analog-und Digitalrechner. Analog-rechner verdanken ihren Namen der Tatsache, daß sie Bedingungen schaffen, die mathematischen Problemen gleichen und sie durch Messung lösen, in der Art eines Geschwindigkeitsmessers oder eines Rechenschiebers. Digitalrechner lösen Aufgaben durch Zählen wie eine Addiermaschine oder eine Uhr, mit dem Unterschied, daß sie es blitzschnell tun. Der erste funktionierende automatische Analogrechner war der 1931 von Vannevar Bush gebaute „Differentialanalysator", obwohl man schon im 19. Jahrhundert einige Analoggeräte gekannt hat. Zum Beispiel sagte Lord Kelvins „Gezeitenmaschine" durch Verarbeitung von Schwerkraftinformationen in einem komplizierten System von Getrieben und Gewichten den höchsten und niedrigsten Flutstand in London voraus. IBM entwickelte 1944 den ersten Digitalrechner; der erste vollelektronische Rechenautomat wurde 1946 in Betrieb genommen. Die rasche Ausbreitung der Verwertung solcher Anlagen setzte freilich eigentlich erst etwa zehn Jahre später ein.

Die Automation dringt schnell in solche Industriezweige vor, wo viele Informationen bearbeitet oder zahlreiche Buchungsvorgänge durchgeführt werden müssen, selbst wenn der gesamte Betrieb, besonders die eigentliche Fertigung, heute vielleicht noch nicht automatisiert werden kann. Die Elektronik vor allem hat die Automatisierung der genannten Gebiete gefördert, indem sie den Bereich der automatischen Regelung erweiterte und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung steigerte.

Die Bank of America zum Beispiel hat eine elektronische Rechenanlage installiert, die 237 000 Additionen und Subtraktionen in der Minute durchführen kann. Automatisch bearbeitet sie täglich über 90 000 Hypothekendarlehen, 190 000 Abzahlungskredite und macht statistische Aufstellungen für die Geschäftsleitung. Für die automatische Abrechnung mit etwa sechshundert Zweigstellen allein in Kalifornien hat die Bank vierzig Maschinen angeschafft. Im amerikanischen Bundesfinanzministerium ist ein Rechenzentrum in Dienst gestellt worden zur Kontrolle der dreihundertfünfzig Millionen Schecks, welche es jährlich ausstellt. Dieses Rechengerät ersetzt vierhundertfünfzig Angestellte und kostet neunhunderttausend Dollar Miete, also zweitausend Dollar pro ersetzten Angestellten. Die Sylvania Electric Products, Inc. verwendet eine Rechenanlage, um wöchentlich in fünfundzwanzig Minuten die Lohnzahlungen für sechsundzwanzigtausend Beschäftigte auszurechnen, und zwar regulären Lohn, Überstunden, Abzüge für Fehlzeiten, für verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz, für Steuern, Gewerkschaftsbeiträge, Sozialabgaben, für den Erwerb von Wertpapieren, für die Pensionskasse, den Wohlfahrtsfonds und so weiter.

Langfristige Wettervorhersagen sind zwar seit langem theoretisch möglich, praktisch indessen undurchführbar gewesen, weil die Daten nicht schnell genug verarbeitet werden konnten. John Diebold berichtete kürzlich dem Kongreßunterausschuß für Automation über eine neue Datenverarbeitungsanlage, die am Tage mehr als hundert Milliarden arithmetische Berechnungen durchführen kann und langfristige Vorhersagen so rechtzeitig liefert, daß sie noch ausgewertet werden können. Die Luftfahrtgesellschaft American Airlines hat eine elektronische Datenverarbeitungsanlage für Platz-buchungen; es bedarf nicht mehr als einer Zehntelsekunde, um zu erfahren, ob ein Platz für irgendeinen Flug von New York frei ist. Ein Rechenzentrum ist mit kleinen Tischge-räten gekoppelt, die Fluginformationen anzeigen. Durch Druck auf die richtige Kombination von Knöpfen kann ein Agent eine Buchung, eine Abbestellung oder eine Anfrage melden. Anworten auf Anfragen wegen freier Plätze oder nach dem Stand von Flügen werden von dem Rechenzentrum auf Anzeige-lämpchen zurückgeblinkt. Buchungen werden nicht bestätigt, wenn kein Platz frei ist. Bei Annahme einer Bestellung oder einer Abbestellung wird die richtige Zahl der Plätze in dem magnetischen Trommelspeicher zum Platz-bestand addiert oder davon subtrahiert. Auf diese Weise hat man kostspielige Verzögerungen ausgeschaltet.

Die Londoner Firma J. Lyons and Company, Ltd., hat Bahnbrechendes geleistet hinsichtlich der Verwendung von Rechenanlagen für den Geschäftsbetrieb Die Berechnung des Lohnes für jeden ihrer siebentausend Beschäftigten in mehr als hundertfünfzig Läden nimmt heute zwei Sekunden in Anspruch, während bei den üblichen Verfahren neun Minuten durchschnittlich dafür gebraucht wurden. Lyons verfügt darüber hinaus über ein raffiniertes System der Bestandsüberwachung, welches vollständig von einer englischen Datenverarbeitungsanlage durchgeführt wird, die 1947 als eine der ersten kommerziellen Datenverarbeitungsanlagen der Welt in Betrieb genommen wurde.

Die United Airlines benutzen elektronische Geräte, um ihrem Vorstandsvorsitzenden jeden Morgen die neueste Gewinn-und VerlustRechnung vorzulegen. Die C & O Railroad bedient sich einer Datenverarbeitungsanlage, um neunzigtausend vierteljährliche Dividendenschecks in weniger als einer Stunde auszustellen. Noch interessanter ist die Erfahrung einer Speditionsfirma aus dem amerikanischen Mittelwesten, die eine Rechenanlage zur Verarbeitung aller wesentlichen Daten benutzte, welche mit der Frage zusammenhingen, ob eine Verlegung ihrer Hauptverwaltung wünschenswert sei. Das Schlußergebnis war eine Umzugsempfehlung, und die Umsiedlung an den neuen Standort führte zu einer Ersparnis von jährlich sechstausend Dollar.

Die Automation hat die Berechnungen, die erforderlich sind, um einen Schrapper im Werte von $1 250 000 optimal zu betreiben, von zweihundert Menschenarbeitsjahren aut einen Maschinentag reduziert. Die Southern Bell Telephone and Telegraph benutzt elektronische Datenverarbeitungsanlagen für Lohnzahlungen, Rechnungserteilung für Kunden und die automatische Herstellung von mehr als dreißig verschiedenen regelmäßigen Berichten an die Geschäftsleitung. Die General Electric benutzt solche Anlagen für eine Fülle von Aufgaben, einschließlich Absatzforschung, Budget-und Betriebsprognosen, Produktionsplanung und die Neuabstimmung von Fließbändern. Das Beschaffungsamt der Kriegsmarine in Philadelphia überwacht automatisch ein Lager von einer halben Million Teilen in dreiundsechzig verschiedenen Küstenstützpunkfen. Die Sunray Oil Company in Oklahoma hat einen elektronischen Lochstanzer, der die Angaben über den Ölfluß durch hundertvierundzwanzig Rohrleitungen in drei Minuten ausrechnet. Daran arbeitete vordem ein tüchtiger Buchhalter den ganzen Tag.

Ende 1959 kündigte die Sperry Rand Corporation an, sie habe eine Rechenanlage verkaufsbereit, die eine viertel Million Additionen und Subtraktionen zwölfstelliger Zahlen in einer Sekunde vornehmen könne. Das Gerät kostet zwar über $6 000 000 (oder mehr als $135 000 Monatsmiete), aber die Firma behauptet, es handle sich um die schnellste und technisch vollkommenste Anlage dieser Art auf der Welt. Sie könne die monatliche Gehaltszahlung für fünfzehntausend Beschäftigte in fünfzehn Stunden bewältigen, wofür eine herkömmliche Einrichtung vierhundertfünfzig bis neunhundert Stunden benötigt. Außerdem könne das Rechengerät gleichzeitig besondere wissenschaftliche Probleme lösen.

Entwicklungstrends Bisher ist das Schema, nach dem die Automation verläuft, gemischt. Das New Yorker Warenhaus Macy stellt eine Datenverarbeitungsanlage auf, Gimbel dagegen nicht. Etwa die Hälfte der fünfhundert größten Industrieunternehmen der USA bedient sich der automatischen Datenverarbeitung. Die sechsunddreißig (umsatzmäßig) größten Firmen haben sämtlich elektronische Rechengeräte, aber zehn von ihnen verfügen nur über mittelgroße Systeme. General Electric, American Telephone and Telegraph Company, General Motors, General Dynamics und Douglas Aircraft betätigen sechsunddreißig große Datenverarbeitungsanlagen und hundert mittelgroße. Ihr Wert wird auf eine Million Dollar geschätzt

In Karlsruhe füllt eine automatische P. rkmaschine sechzig Falttuben in der Minute und packt sie in einzelne Schachteln. Zwei Arbeiter stehen dabei, um die Maschine mit leeren Tuben zu versorgen. Die Franzosen sollen eine vollautomatische Hemdenfertigungsmaschine haben, und die britische Industrie ist auf dem Gebiete einiger theoretischer Entwicklungsarbeiten auf dem Felde der Automation führend in der Welt.

In der Sowjetunion stellt ein vollautomatisches Werk Aluminiumkolben für LKW-Motoren her. An Ort und Stelle sind keine Arbeitskräfte nötig. Selbst das Abfallmaterial wird automatisch entfernt. Eine andere Errungenschaft der Sowjets ist ein automatisches Kugellager-werk, wo das Erzeugnis vom Rohmaterial bis zum verschlossenen Karton nicht von Menschenhand berührt wird. Auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 zeigten die Russen ein ganzes Arsenal technisch hochentwickelter automatischer Ausrüstung, einschließlich einer riesigen bandgesteuerten Räumbohrmaschine. Der sechste Fünfjahresplan legt großes Gewicht auf die Automation. Zur Erleichterung und Lenkung dieser Entwicklung ist ein Ministerium für Werkzeuge und Automation errichtet worden.

Westliche Wissenschaftler, die am Ersten Internationalen Automationskongreß teilnahmen, der Mitte 1960 in Moskau abgehalten wurde, berichteten, die Russen hätten sich bei der Entwicklung automatischer Regelgeräte einer „Bocksprung-Technik" bedient und Zwischenstufen übersprungen. Daher hätten sie verschiedene Automationsgeräte in Produktion, die dem Westen kaum bekannt seien. Sie führten zum Beispiel „pneumatische Rechenautomaten" vor, die zwar langsamer arbeiteten als elektronische, aber keine beweglichen Teile haben und deshalb nicht nur zuverlässiger sind, sondern auch mit mehr Sicherheit in chemischen und anderen Betrieben verwendet werden können, wo elektronische Einrichtungen höchst gefährdet sein würden. Eine gelungene Verbindung von elektronischen und pneumatischen Rechengeräten könnte Rußland zu einem klaren wissenschaftlichen und fertigungstechnischen Vorsprung gegenüber dem Westen verhelfen.

Es hat den Anschein, als sei keine menschliche Tätigkeit völlig immun gegen eine Automatisierung, die Religion eingeschlossen. An den Evangelisten Billy Graham gerichtete Briefe werden unter Verwendung automatischer Einrichtungen beantwortet. Acht Frauen öffnen die zahllosen, täglich einlaufenden Briefe und unterstreichen Stichworte mit verschiedenen Farbstiften. Die Farben benutzt man zur Auswahl von einem oder mehreren von vierzig

Lochstreifen. Diese Lochstreifen steuern Schreib-automaten, welche gespeicherte Antworten auf die typischen Fragestellungen herunterhämmern, bei denen es sich um auf die schiefe Bahn geratene Menschen handelt, um Soldaten, „ungerettete" Ehemänner, die sich keiner religiösen Sekte anschließen wollen, und um Rassentrennung. Entsprechende Bibelstellen werden ebenfalls automatisch angefügt.

Die Zukunft verspricht einige nahezu phantastisch anmutende Anwendungen der Automation. Die eine bezeichnet die automatische Ubersetzertätigkeit. Es gibt heute keinen bedeutsameren wissenschaftlichen Engpaß als die Übersetzung russischer wissenschaftlicher Zeitschriften. Was schwedische, japanische und deutsche Zeitschriften anlangt, so ist die Situation — etwa in der genannten Reihenfolge — nahezu ebenso schlimm. Das mangelnde Interesse der Amerikaner am Erlernen von Fremdsprachen — unsere Verbündeten und Rivalen lernen in der Regel mehrere Fiemdsprachen — hat uns entschieden benachteiligt. Der Start des sowjetischen Erdsatelliten war Wochen vorher in russischen Fachzeitschriften, die wir abonniert haben, angekündigt worden, aber wir wurden fast alle davon überrascht, weil wir nicht dazu gekommen waren, die entsprechende Literatur zu übersetzen. In einem anderen nur allzu typischen Fall haben amerikanische Wissenschaftler fünf kostbare Jahre an einem elektrotechnischen Problem gearbeitet, das von den Russen bereits gelöst worden war und dessen Ergebnisse sie veröffentlicht hatten

Die Automation könnte dieses Sprachhindernis sehr bald überwinden. Eine Datenverarbeitungsanlage in Harvard hat fünfzehntausend russische Wörter mit ihren englischen Entsprechungen gespeichert. Sie kann russische Sätze abtasten und Rohübersetzungen herstellen; sie vermag aber nicht die Syntaxverflechtungen der russischen Sätze zu entwirren. Probleme der Grammatik, der Redewendungen, des Satzbaus und verbaler Mehrdeutigkeit können vielleicht durch ein neues Verfahren gelöst werden, das unter der Bezeichnung „predictive analysis" bekannt ist. Dieses Verfahren ermittelt die grammatische Rolle jedes Wortes, wie etwa ob es sich um Subjekt, Objekt oder Prädikat handelt, und verbindet durch Prüfung der flektierten Endungen russischer Wörter ein Wort mit dem dazugehörigen Bestimmungswort. Die Anlage liefert ein Blatt mit dem russischen Originalsatz und mehreren möglichen englischen Bedeutungen. Eine Endfassung der Übersetzung vermag auch ein nicht mit der russischen Sprache Vertrauter anzufertigen. Der nächste Schritt bestünde dann darin, auch den englischsprachigen Bearbeiter auszuschalten.

„Elektronengehirne"

Es ist bedauerlich, daß der Ausdruck „Elektronengehirn" so häufig für programmgesteuerte Rechengeräte gebraucht worden ist, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, daß sie denken können. Die Vorstellung denkender Maschinen erschreckt die Menschen; dabei ist denken genau das, wozu diese Maschinen nicht in der Lage sind. Sie können addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren und Fehler machen, alles blitzschnell. Manche Rechen-geräte können zehnstellige Zahlen in sechzig Mikrosekunden addieren oder subtrahieren (das sind etwa 16 600 Berechnungen in der Sekunde). Jeder Stromkreis in einem elektronischen Rechengerät reagiert auf einen Impuls in weniger als einer millionstel Sekunde, mehr als tausendmal schneller als ein Neuron im menschlichen Gehirn. Auf diese Weise können Rechenautomaten die Chancen aller möglichen Züge in einem Schachspiel beurteilen und im Handumdrehen die Gewinnkombination liefern.

Datenverarbeitungsanlagen können Feueralarm geben, wenn die Hitze zu groß wird; sie können entscheiden, was zu tun ist, wenn ein Tank überläuft; sie können Zahlen in einer Tabelle nachprüfen und zum Beispiel feststellen, wieviel Steuern vom Lohn eines Angestellten einbehalten werden müssen; sie können Zahlen auf eine bestimmte, vorher festgelegte Anzahl von Dezimalstellen abrunden. Datenverarbeitungsanlagen können einem Angestellten melden, wann der Lagerbestand unter eine bestimmte Höhe abgesunken ist. Sie können lange Ketten von Routinearbeiten ausführen, die Antwort ausschreiben, ihre Richtigkeit nachprüfen und sie nochmal machen, wenn sie falsch ist, oder zum nächsten Problem übergehen, wenn sie richtig ist. Sie können sich sogar selber Befehle erteilen und unbeaufsichtigt arbeiten.

Programmgesteuerte Datenverarbeitungsanlagen verfügen über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Gedächtnis bedeutet lediglich die Speicherung von Informationen in einer solchen Weise, daß man diese zu einem späteren Zeitpunkt abrufen und benutzen kann. Auch niedere Tiere haben diese Fähigkeit, wie der Elefant, der „niemals vergißt". Eine elektro nische Datenverarbeitungsanlage kann ohne weiteres ein russisch-englisches Wörterbuch auswendig lernen, tut sich indessen mit dem übersetzen selbst schwer, wegen grammatischer Schwierigkeiten und der häufig gegebenen Notwendigkeit, bei der Klärung von Wort-bedeutungen Urteilsvermögen und verstandes-bestimmte Mutmaßungen heranzuziehen.

Noch bemerkenswerter als ihr Gedächtnis ist der Umstand, daß Rechengeräte lernen können Lernen wird von Pädagogen * definiert als eine „Verhaltensänderung, die sich aus Aufnahme, Speicherung und Verwendung von Informationen ergibt". Um also lernen zu können, muß eine Maschine oder ein Lebewesen imstande sein, Informationen aufzunehmen, sie zu speichern und dann ihre oder seine Verhaltensschemata irgendwie zu wechseln oder zu ändern. Wenn diese Fähigkeiten gegeben sind, kann Erfahrung zu einer Verhaltensänderung führen, und damit hat, der Definition gemäß, ein Lernprozeß stattgefunden.

Niedere Tiere vermögen ein wenig zu lernen, sind aber durch ihre Unfähigkeit beschränkt, entweder Informationen aufzunehmen oder entsprechend zu handeln. Schaltiere und Austern zum Beispiel sind wegen ihres Außenskeletts außerstande, sich zu verändern oder auch nur sich über weitere Strecken zu bewegen. Selbst wenn sie gute Augen undOhren hätten, wüßten sie nichts mit dem anzufangen, worüber sie informiert sind. Fische und Insekten können handeln, haben aber ein derart begrenztes Atmungs-und Nervensystem, daß ihr Wahrnehmungsvermögen beschränkt ist. Säugetiere, von Mäusen bis zu Menschen, hingegen können lernen, weil sie ein inneres Skelett haben, das Wachstum gestattet, komplexere Nervensysteme und ein Organzubehör, welche eine Elastizität des Verhaltens zulassen.

Auf dem zweiten Kongreß der Internationalen Gesellschaft für Kybernetik in Namur Ende 1958 hat ein britischer Psychologe über eine interessante Entdeckung bei Mäusen berichtet. Im Mäusegehirn hatte man ein Lustzentrum entdeckt, vermittels dessen, wenn es durch einen milden elektrischen Schock gereizt wurde, der Maus anscheinend ein erhebliches Vergnügen bereitet wird. Man verband ihr Gehirnzentrum durch einen Draht mit einem kleinen Knopf. Die Maus wurde in ihrem Käfig freigelassen und berührte schließlich durch Zufall den Knopf. Bald kümmerte sich die Maus überhaupt nicht mehr um ihre Nahrung und um Mäuseweibchen, sondern betätigte unzählige Mal in der Stunde den Knopf.

Bei höheren Lebewesen ist Lernen die Regel. Jeder Viehzüchter weiß, daß man einen elektrisch geladenen Weidezaun aufrichten kann und so lange stehen lassen muß, bis jede Kuh ihn einmal berührt hat. Dann kann die Stromquelle entfernt werden; das Tier wird nie wieder in die Nähe des Zaunes gehen. Ein Hund kann viele Kunststücke auf Kommando ausführen und wird, ohne daß man es ihm beigebracht hat, immer näher an den Herd rücken, wenn das Feuer niedriger brennt. Er wird aber das Feuer ausgehen lassen. Wenn er überhaupt denken könnte, würde er sich die Beziehung zwischen der Holzkiste und der Feuerstelle klarmachen und ein neues Scheit auf das Feuer legen, ohne daß es ihm befohlen wird. Ein ausgewachsener Hund kann mehr lernen als ein dreijähriges Kind, aber ein normales vierjähriges Kind ist dem Hunde weit überlegen, weil sich bei ihm die Fähigkeit, abstrakt zu denken, entwickelt hat, was weder ein Hund noch eine Datenverarbeitungsanlage zu tun vermag.

Bisher konnten die Wissenschaftler nur geringfügige Lernfähigkeiten in ihre Datenverarbeitungsanlagen einbauen, aber die Lernhemmnisse sind technischer, nicht theoretischer Art, darum hegen die Kybernetiker große Zukunftshoffnungen. Bei der Tagung der Internationalen Gesellschaft für Kybernetik im Jahre 1958 führte R. J. Goldacre, ein britischer Wissenschaftler, eine Datenverarbeitungsanlage vor, die einfache Melodien komponierte. Die Briten behaupten, ein Gerät zu haben, das besser Schach spielt als sein Hersteller. S. Gill von der Ferranti Ltd. vermutet, daß Maschinen ungeahnte Lernfähigkeiten entwickeln werden. Sie würden nicht nur Musik komponieren mit Variationen in Stil und Komposition nach dem Grad ihrer Erfahrungen, sondern vielleicht sogar chirurgische Operationen vornehmen, ihre Schnitte mit Fernsehaugen beobachten, automatisch Atmung und Blutdruck kontrollieren und schneller nähen können als ein menschlicher Chirurg. Lucien Mehl, der Direktor der französischen Ecole Nationale d'Administration, meint, Datenverarbeitungsanlagen würden imstande sein, juristische Literatur nach Gesetzesbestimmungen und Präzedenzfällen zu durchforschen und dann aufgrund dieser Informationen Urteile zu fällen. Tröstend fügte er hinzu, daß man aber immer menschliche Richter brauchen würde, um die Entscheidungen zu revidieren und zu „humanisieren".

Bisher sind programmgesteuerte Datenverarbeitungsanlagen in ihrer Lernfähigkeit stark eingeschränkt, aber eher aus physikalischen, als aus theoretischen Gründen. Die Engpässe liegen in ihrer Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und entsprechend sich zu verhalten. Bei ihren riesigen Trommelspeichern bildet die Informationsspeicherung kein Problem. Da Rechenzentren nicht sehen, hören, fühlen oder schmecken können, muß die Informationseingabe sorgfältig durch Programmierer erfolgen und zwar auf Bändern mit magnetischer Schicht oder auf Lochkarten. Sie können sich nicht eine Rede anhören oder etwas in einem Buche nachschlagen, wie Menschen, oder auf Befehle hören wie ein Hund. Sie können auch nicht ohne weiteres handeln. Sie haben weder Arme noch Beine, aber sie können Töne von sich geben, farbige Blinkzeichen, und sie können Sätze und Zahlzeichen auf automatischen Schreibmaschinen tippen.

Keine noch so große Merk-und Lernfähigkeit kann sich je auf die Höhe des Denkens erheben. Keine Maschine kann Ideen hervorbringen, nachdenken, geistig erfassen, abstrakt analysieren, nicht eigens programmierte komplizierte Situationen deuten oder Schlüsse ziehen, ob richtige oder falsche. Eine Maschine vermag nicht darüber nachzudenken, wie ein bestimmtes Problem vor langer Zeit oder an einem weit entfernten Ort gelöst worden ist. Maschinen können nicht ihre Lösungen weiterverfolgen, um neue Tatsachen aufzuspüren oder komplexere und subtilere Folgerungen zu ziehen.

Menschen sind Maschinen in vieler Hinsicht überlegen, können es wenigstens sein, selbst hinsichtlich einiger ausgesprochener Routine-verrichtungen. Menschen besitzen ein Urteilsvermögen, wie es keine Maschine jemals haben kann. Eine automatische Feuerlöschmaschine wird ein Feuer in einem Ofen auslöschen (das wir brennen haben wollten) und später berichten, daß das Gebäude niedergebrannt ist. Menschen sind überall dort zu bevorzugen, wo auch nur das geringste Urteilsvermögen benötigt wird. Datenverarbeitungsanlagen können vorherbestimmte Entscheidungen treffen, die man in sie hineinprogrammiert hat, aber sie können nicht urteilen, daher denken sie auch nicht, und man sollte sie nicht „Elektronengehirne" nennen. Alles wirkliche Denken muß vorher von Wissenschaftlern besorgt werden, welche die Probleme formulieren, und von Programmierern, welche die genauen, von der Maschine zu befolgenden Befehle erteilen. Wenn Anfang und Ende gege-ben sind, können Datenverarbeitungsanlagen alle Zwischenpunkte ausarbeiten, aber das ist kein Denken im Sinne irgendeiner allgemein-gültigen Begriffsbestimmung.

Das menschliche Gehirn hat annähernd tausendmal soviel Nervenzellen, wie es selbst in den größten elektronischen Datenverarbeitungsanlagen Röhren gibt. Man schätzt die Assoziationskraft der größten elektronischen Rechenanlagen auf nur etwa ein Zehntausendstel von der des menschlichen Gehirns. Vergleichsweise besitzen Rechenanlagen weniger „Bewußtsein" als die meisten niederen Tiere, weniger zum Beispiel als ein Fisch. Elektronische Datenverarbeitungsanlagen ähneln menschlichen Wesen einzig und allein darin, daß sie Fehler machen können. Sie können den ganzen Tag lang mit mehr als neunzig Prozent Leistung in Betrieb sein und Milliarden falscher Antworten geben, sofern sie falsche Befehle erhalten. Man braucht noch immer menschliche Fachkräfte, die eine Situation analysieren, die Probleme formulieren, sie mathematisch ausdrücken, verschlüsseln, die Antworten deuten und die Maschine in Betrieb halten können. Elektronische Datenverarbeitungsanlagen aber werden oft bis an die Grenze ihrer Kapazität ausgenutzt, zumindest für kurze Zeitspannen, während wahrscheinlich neunzig Prozent der meisten menschlichen Gehirne ewig brachliegen. Der menschliche Verstand ist das größte unterentwickelte Gebiet der Welt. Wenn die Rechenzentren jemals Menschen steuern sollten, dann wird das nicht geschehen, weil die Menschen weniger intelligent wären als Maschinen, sondern weil sie fauler sind.

Warum automatisieren wir?

Manchmal kommt eine Firma zur Automation kaum anders als ein junger Mann zur Ehe. Er weiß, daß sein Schritt aus wirtschaftlichen zu ist, er aber Gründen nicht rechtfertigen kann der Versuchung einfach nicht widerstehen. In diesem Sinne gehen manche für die Automation aufgewendete Investitionen keineswegs auf vernünftige wirtschaftliche Überlegungen zurück.

Dennoch lassen sich eine Reihe von Gründen namhaft machen, aus denen man einen Betrieb auf wirtschaftliche Weise automatisieren kann. Manche Tätigkeiten sind ohne Automation überhaupt nicht möglich. Zum Beispiel können nur elektronische Datenverarbeitungsanlagen die Millionen Berechnungen durchführen, die für die Lenkung einer Rakete notwendig sind; Menschen vermöchten die ungeheure Menge an Rechenarbeit niemals so rasch zu bewältigen, daß die Ergebnisse noch von Nutzen sein würden. Wegen ihrer Betriebsgeschwindigkeit können Transferautomaten, elektronische Rechenanlagen und andere Automationsausrüstungen mancher Aufgabe gerecht werden, die ohne diese Einrichtungen nicht ausgeführt werden könnte, auch wenn man noch so viel Energie aufwenden und die Arbeit noch so gut organisieren und regeln würde. Ohne Automation wäre es einfach nicht möglich, einen Kernreaktor zu betreiben oder schnelle chemische Reaktionen zu kontrollieren. Manch neues Erzeugnis, wie etwa Polyäthylen, ein weicher, aber widerstandsfähiger Kunststoff, den man für die Herstellung einer Unzahl von Produkten benutzt, könnte ohne Automation nicht produziert werden. Farbfernsehen wäre ohne Automation nicht möglich, da kein menschliches Wesen jemals die Hundertausende farbiger Punkte ohne automatische Steuervorrichtungen an die richtige Stelle in den Bildröhren zu bringen vermöchte. Automatische Sinnesgeräte können unter Bedingungen arbeiten, die für Menschen tödlich wären:

bei starker Hitze, bitterer Kälte, in giftigen Gasen und in radioaktiv verseuchten Gebieten.

Die Automation spart Lohnkosten bei Tätigkeiten, die auch ohne Automation verrichtet werden. Ein maßgeblicher Mann eines großen Unternehmens der Autoindustrie bemerkte kürzlich, daß nach seinen Erfahrungen durch die Automation eine Verminderung des unmittelbaren Arbeitsaufwandes um fünfundzwanzig bis dreißig Prozent erzielt worden sei. Sprecher von Versorgungsbetrieben und Versicherungen berichten im Wall Street Journal (5. August 1956), daß elektronische Datenverarbeitungsanlagen jeweils hundertsiebzig bis zweihundert Bürokräfte ersetzen könnten. Dabei wurde auf einen Fall verwiesen, wo eine Investition von fünfundvierzigtausend Dollar für die Automatisierung der Anlagen den Ausstoß des Werkes vervierfacht hatte bei einem gleichzeitigen Abbau der Belegschaft von achtunddreißig auf fünfzehn Mann. Die Bendix Aviation soll durch Automation die Kosten einer nicht linearen Nockenwelle für Strahltriebwerke von fünftausend Dollar auf weniger als fünfhundert Dollar gesenkt haben. W. L. Garberding, der Präsident der Twentieth Century Manufacturing Company, sagte, ein automatisches Gerät „kostet nur sechshundert Dollar, kann aber in einem einzigen Jahr das Achtfache dieses Betrages an Lohnkosten einsparen". Eine Reihe von Arbeitsgängen in dieser Firma wuide früher in hundertsieben Sekunden von drei Maschinenarbeitern besorgt; heute bewältigt ein Arbeiter in siebenundfünfzig Sekunden dieselbe Verrichtung.

Aber auch andere als wirtschaftliche Beweggründe haben bei der Einführung der Automation eine Rolle gespielt, so etwa das Bestreben der Ingenieure nach neuen technischen Gipfelleistungen der Mechanisierung, der Stolz des Vorstands darauf, das modernste Werk der Branche zu besitzen, die Hoffnung auf einen Prestigegewinn bei den Aktionären und in der Öffentlichkeit durch betriebliche Expansion oder auch ganz einfach der Drang, sich ein Industrieimperium aufzubauen. Der Reiz, die phantastischsten Fabrikanlagen und die raffiniertesten Maschinen zu besitzen, hat in einigen Fällen zu ungeheuren Aufwendungen geführt, die möglicherweise in die Geschichte eingehen werden als Musterbeispiele für aus optischen Gründen bereitgestellte Investitionen. Eine gewisse Verschwendung ist allerdings unvermeidlich, wenn man Mut und Phantasie freien Spielraum gibt. In Forschung und Entwicklung investierte Kapitalien, deren Höhe zunächst übertrieben zu sein schien, haben sich später oftmals als zu knapp bemessen erwiesen. Produktions-und Einnahmeprognosen, die man bei Ende des Zweiten Weltkrieges extrem und phantastisch genannt hat, erwiesen sich später als zu vorsichtig. Mitunter siegt die Notwendigkeit über wirtschaftliche Erwägungen. Zum Beispiel kann bei der Herstellung von Lenkwaffen wissenschaftliche Erkenntnisse oder Zeit gewonnen werden, indem man die Arbeit mit allen Mitteln der zu Gebote stehenden Technik vorantreibt, selbst wenn es kostensparend wäre, abzuwarten, bis ein anderer die Versuchsarbeiten durchführt. Andererseits kann das, was technisch möglich ist, an und für sich unwirtschaftlich sein, weil keine Nachfrage besteht. Verschiedene Versuche mit automatischem Warenverkauf sind fehlgeschlagen, weil die Verbraucher sich nicht ohne weiteres an radikal geänderte Methoden gewöhnen konnten oder weil die Maschinen dem Bedürfnis nach persönlichem Kundendienst nicht genügten. Anders lagen die Dinge zum Beispiel bei der Ford Motor Company und der A. O. Smith Company, wo die Automatisierung nicht unmittelbar aus am Tage liegenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten durchgeführt worden ist. Hier ist die erfolgreiche Automatisierung der persönlichen Entschiedenheit eines einzelnen Mannes zu verdanken, der skeptischen, widerspenstigen Untergebenen seine Ideen aufzwang und vorübergehend den Spott der Konkurrenten und der Öffentlichkeit in Kauf zu nehmen bereit war.

Neben den von vornherein absehbaren Ergebnissen hat die Automation überraschende zusätzliche Vorteile und unvermutete Kosten zutage gefördert. Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der Qualität der Erzeugnisse sind keine Seltenheit gewesen. Andererseits ist man zuweilen auf unvorhergesehene Schwierigkeiten gestoßen, die ein neues Entwicklungsstadium einleiteten, das Stadium der „Pannenbeseitigung".

Grenzen der Automation Wenn ein Fertigungssystem automatisiert werden soll, muß es den vier im ersten Kapitel erörterten Merkmalen angepaßt sein: Mechanisierung, Fließverfahren, automatische Regelung und Rationalisierung. Theoretisch gibt es für die Automation keine Grenzen, ausgenommen bei der Fließarbeit. Zum ersten Grundsatz wäre zu sagen, daß beinahe jede wirtschaftliche Tätigkeit mechanisiert werden kann. Nur bei den allerpersönlichsten Dienstleistungen, wie ärztlichen, juristischen und erzieherischen, kann man aus maschinellen Einrichtungen keinen Nutzen ziehen; aber selbst auf diesen Gebieten hat man Spezialausrüstungen eingeführt. Für ungefähr fünfundneunzig Prozent des Wertes sämtlicher Güter und Dienstleistungen, die in den Vereinigten Staaten hergestellt beziehungsweise verrichtet werden, braucht man irgendwelche Maschinen; vor hundert Jahren waren es weniger als zehn Prozent.

In gleicher Weise kennt auch der vierte Grundsatz, die Rationalisierung, praktisch keine Grenzen. Es gibt heute keinen Aspekt der äußeren Welt, der sich dem Zugriff rationaler Überlegungen zu entziehen vermöchte. Selbst diejenigen Gebiete, auf welchen man traditionsgemäß spekulativ verfuhr, hat man zum großen Teil wissenschaftlicher Methodik und systematischer Erforschung zugeführt. Adam Smiths Lehre der Moralphilosophie ist heute in mehrere scharf unterschiedene akademische Disziplinen aufgesplittert, wie Nationalökonomie, Psychologie, Anthropologie und Soziologie. Zumindest soweit materielle und wirtschaftliche Probleme des Menschen betroffen sind, ist der Verstand und nicht Aberglaube, Eingebung oder Gefühl zum Schlüssel für neue Kenntnisse geworden.

Dagegen hat der Fließprozeß feste Grenzen. Automatische Regelung ist nur bei Massen-oder Fließproduktionsverfahren anwendbar. Automatische Regel-oder Rückkopplungs-gerate erfordern ein System, bei dem das Objekt — ob es sich um einen Automotor, eine ölmenge oder einen elektrischen Impuls handelt, der eine Nachricht trägt — sich stetig und kontinuierlich entweder durch einen Ruhe-stromkreis bewegt oder in ununterbrochener Folge vorüberzieht. Deshalb liegt im Prinzip des Fließprozesses der bedeutsamste einschränkende Faktor der Automation. Fast jeder Fließprozeß kann automatisch geregelt werden, während sich ein nichtkontinuierlicher Vorgang niemals voll automatisieren läßt. Man kann Industriebetriebe in drei Gruppen einteilen, je nach dem Ausmaß, in dem sie auf Fließarbeit umgestellt werden können.

Zur ersten Gruppe gehören jene Industriezweige, bei denen das gesamte System auf einen kontinuierlichen Fließprozeß reduziert werden kann. Das Raffinieren von öl und anderen flüssigen Brennstoffen, Kautschuk, Getreidemühlen, Chemikalien, Telekommunikation, Papiererzeugnisse, Kunstdünger, Seife, Zement und Ziegelsteine, Gärungsprodukte, Glas und einige Faser-und Nahrungsmittel-erzeugnisse sind sämtlich Beispiele für Industrien, in denen die Automation bedeutende Fortschritte gemacht hat und weiter machen dürfte Andere Industriezweige, die heute ganz oder teilweise automatisiert werden können sind, unter anderen, Glaswaren, Druck, Gerberei, Süßwaren, Landmaschinen, Werkzeugmaschinen, Getränke, Flugzeugteile, Zigaretten, Gießereien, Munition, Eisen und Stahl, Konserven und mehr noch die Automobilproduktion Außerdem ist der größte Teil der Massenbüroarbeit einer Automatisierung zugänglich.

Andere Industrien werden ihre Fertigungsanlagen weiterhin so umorganisieren, daß Serien von Teilarbeiten sich zu verschiedenen kontinuierlichen Prozessen zusammenschließen.'Einige Industrien arbeiten gegenwärtig zwar mit Verfahren, die für eine Automation nicht geeignet sind, man stößt indessen unablässig auf neue Verfahren, die sich ihr leichter anpassen lassen. Vor weniger als fünfzig Jahren benutzten zum Beispiel die Ölraffinerien das fraktionierte Destillationsverfahren, heute benutzen sie ein Fließkontaktverfahren und sind fast vollständig automatisiert. Ebenso erforderte der Zusammenbau von Rundfunk-empfängern zahllose Löt-und andere Handarbeiten bis nach dem Zweiten Weltkrieg die gedruckte Schaltung aus England übernommen wurde, welche die vollständige Automatisierung der Montage von Rundfunk-und Fernsehchassis zuließ. Der Kraftfahrzeugbau verkörpert in einigen Fabriken von Ford, Austin und Renault nahezu einen kontinuierlichen Fluß. Bis vor kurzem galten Inspektionen und Montage als Arbeitsgänge, die automatisch durchzuführen äußerst schwierig sei. Heute werden Automotoren großenteils automatisch inspiziert und zusammengebaut.

Bei der Herstellung von Werkzeugen und Maschinen ist der Mensch zunächst bestrebt gewesen, die Natur nachzuahmen. Der Hammer ist eine Verlängerung des menschlichen Armes, eine eiserne Faust. Aber häufig ist es wünschenswert und oft notwendig, sich von dergleichen Vorstellungen loszumachen und vollkommen neuartige, auf ganz anderen Prinzipien beruhende Maschinen zu konstruieren. Die ersten Fliegversuche stellten eine Imitation des Vogelflugs dar, aber alle Maschinen mit schlagenden Flügeln versagten, und man mußte neue Prinzipien ausfindig machen, für welche sich in der Natur kein Äquivalent findet. In der Natur gibt es keine Räder, und doch ist das Rad vielleicht unser gebräuchlichstes Werkzeug.

Man braucht keineswegs damit zu rechnen, daß mechanische Roboter gebaut werden, die Menschen ähneln, es sei denn als Spielzeuge oder Kuriositäten. Wahrscheinlicher ist vielmehr, daß man ganz neuartige Maschinen und Methoden ersinnen wird. In vielen Fällen ist die Normung und Vereinfachung von Konstruktionen für den Beobachter völlig unsichtbar, wie bei gedruckten Radioschaltungen. In anderen Fällen ist dies zu erkennen. Viele Verbraucherwaren, wie Flaschen, werden mit kleinen Vorsprüngen oder Einkerbungen versehen damit sie auf automatischen Maschinen in die richtige Stellung gebracht werden können. Manche in hohem Maße genormte Erzeugnisse können durch oberflächliche technische Spielereien und Zubehör maskiert werden, wie dies bei Autos der Fall ist.

Eine zweite Gruppe von Industrien ist dadurch charakterisiert, daß zwar eine begrenzte Automatisierung möglich, volle oder beinahe vollständige Automatisierung aber unwahrscheinlich ist Manche Firmen haben etwa fünfundsiebzig Prozent ihrer Tätigkeit automatisiert, die Kosten einer vollständigen Automatisierung des Werkes würden jedoch die durch Verwendung einer Teilautomatisierung erzielten Einsparungen mehr als wettmachen. In dieser Kategorie findet man Industrien, welche die Bearbeitung erheblicher Informationsmengen und rechnerische Operationen (von Natur aus kontinuierliche Verfahren) erfordern, wo freilich das gesamte Fertigungsverfahren oder die Zusammensetzung des Endproduktes bezie-hungsweise der Dienstleistung einer kontinuierlichen Fließtechnik nicht zugänglich ist. Häufig besteht die Hälfte oder mehr als die Hälfte der gesamten Tätigkeit eines Gewerbe-zweiges im wesentlichen aus Büroarbeit. Das gilt für Banken, das Transportgewerbe, Nachrichtenwesen, Einzelhandel im großen Rahmen und die Herstellung bestimmter, nicht genormter Verbrauchsgüter, wie Möbel. Die Bearbeitung von Mitteilungen und allgemeine Büro-aufgaben umfassen in vielen Industriezweigen einen umfangreichen und noch immer anwachsenden Anteil der gesamten Firmentätigkeit. Die zunehmende Größe und technische Kompliziertheit der Firmen und die sich unter solchen Umständen entwickelnde Managerbürokratie schaffen in vielen Industrien einen fruchtbaren Boden für eine Automatisierung des Bürobetriebes, auch dann, wenn eine Vollautomatisierung dadurch verhindert wird, daß die Produktion gemäß besonderem Auftrag erfolgt (wie im Schiffsbau und im Transport-gewerbe) oder aber ein gewisses unumgängliches Maß persönlicher Dienstleistungen erfordert, wie dies in den freien Berufen der Fall ist.

Drittens gibt es Industrien, bei denen eine nennenswerte Automatisierung unwahrscheinlich sein dürfte wegen der erheblichen technischen Beschränkungen einer Fließproduktion (wie im Hochbau und einem Teil der Montanindustrie), der Notwendigkeit persönlicher Arbeit (wie im Schulwesen), der wirtschaftlichen Nachteile großer Produktionsstätten (wie bei einem Teil des Einzelhandels) oder wegen riesigen Raumbedarfs (wie in der Land-und Forstwirtschaft). So scheint die Automation, selbst potentiell, auf Verarbeitungsbetriebe und Büroarbeit beschränkt zu sein. Immerhin stellt dieser entscheidende Sektor der Wirtschaft wertmäßig die Hälfte der gesamten Produktion, dar und beschäftigt mehr als ein Viertel aller Arbeitnehmer.

Viele Industrien sind für eine Teilautomation reif. Es gibt riesige Gebiete in der Bearbeitung von Material und Informationen, auf welchen sich ungeheuere Möglichkeiten eröffnen. Aus einer Untersuchung der Society for the Advancement of Management ging hervor, daß es in den untersuchten Firmen siebenmal mehr Arbeitsgänge für den Materialtransport gab als für die eigentliche Fertigung. In Werken der Westinghouse Corporation wurde jedes Teil im Durchschnitt hundertmal transportiert; das verschlang sechsundzwanzig Prozent der Arbeitsstunden in den Werken und kostete zehn Millionen Dollar im Jahr. Andere Firmen geben an, daß zehn bis vierzig Prozent ihrer direkten Lohnkosten durch Materialtransport entstehen. In Verkaufsbetrieben machen die Lohnkosten für den Materialtransport häufig mehr als die Hälfte der gesamten Arbeitskosten aus. Bei den meisten dieser Transport-tätigkeiten ist eine Automation technisch, wenn nicht wirtschaftlich möglich, obwohl sie für den übrigen Betrieb unzweckmäßig oder unmöglich sein mag. Hier eröffnet sich der Teilautomatisierung noch ein weites Neuland. Auch die Vereinheitlichung bietet große Automationsmöglichkeiten. Ein britisches Unternehmen stellte früher sechzehn Arten von Kochgeräten her. Der Ausstoß belief sich normalerweise auf achthundert bis neunhundert wöchentlich bei einer Maximalproduktion von zweitausend bis dreitausend. Um die Fertigung automatisieren zu können, konstruierte man das Gerät zu einer Grundeinheit um, die mit verschiedenen Zusatzgeräten kombiniert werden konnte. Durch die Anwendung automatischer Fertigungsmethoden stieg der Ausstoß auf achttausend bis neuntausend Einheiten in der Woche; gleichzeitig wurden die Stückkosten und -preise gesenkt G).

Einige Automatisierungsneuerungen im Bergbau sind für fünfzehn bis zwanzig Prozent der Untertagetätigkeit verwendbar. Durch die Verkaufsautomaten, die wie Pilze aus der Erde schießen, dringt die Mechanisierung mehr und mehr in den Einzelhandel ein. Die Bau-industrie hinkt allerdings nach; die Herstellung von Fertighäusern ist noch immer nicht sehr verbreitet. Von Motorsägen und Fertig-zement abgesehen, werden Häuser heute noch im großen und ganzen auf dieselbe Art gebaut wie vor zweitausend Jahren. Doch selbst in der Bauindustrie sind Anzeichen für ein Vordringen der Automation erkennbar. Bei der Herstellung von Halbfertigteilen für Häuser und Schiffe hat die Automatisierung zugenommen Der Verband der Fertighausfirmen berichtet, daß 1958 elf Prozent aller in den Vereinigten Staaten errichteten Häuser aus Fertigteilen gebaut worden sind, und prophezeit, daß in fünfzehn Jahren die Hälfte aller Häuser in automatisierten Fabriken vorgefertigt werden dürften.

Trägheit, Festhalten an herkömmlichen Denkvorstellungen und Mangel an Informationen schrecken wirksamer von der Automation ab als technische oder wirtschaftliche Hemmnisse, daher die rasche Vermehrung privater, genos senschaftlicher oder staatlicher Rechenzentren und anderer Dienstleistungsbetriebe für Automation. Diese neuentstandenen unabhängigen Organisationen sind weder durch Firmentradition gebunden, noch werden sie erheblich durch bestimmte Leute in der Firmenleitung behindert, die vor Veränderungen oder Fortschritten zurückschrecken. Sie können sich auf automatische Datenverarbeitung spezialisieren, können Fachpersonal heranholen und auf experimenteller oder anderer Basis ihren Kunden die Vorteile der automatischen Datenverarbeitung zugänglich machen, ohne daß diese sich auf hohe Anschaffungskosten oder Ausgaben auf weite Sicht festzulegen brauchen.

Der Automationsmythos

Die Automation sagt den meisten Managern deshalb zu, weil sie ihnen das Berufsleben leichter macht. Automaten streiken niemals, fehlen niemals ohne Grund, verlangen keine Lohnerhöhung und haben keine komplizierten psychologischen Probleme. Automaten können häufig besser, schneller und sicherer arbeiten als Menschen und können vieles tun, was Menschen nicht zu tun vermögen. Sie können bei extremer Temperatur, extremem atmosphärischem Druck, chemischen Veränderungen und Maschinengeschwindigkeiten arbeiten, bei denen menschliche Arbeit von vornherein ausgeschlossen wäre. Sie kennen keine Müdigkeit oder leiden nicht unter Monotonie und sind häufig zuverlässiger als Menschen, da sie weniger Fehler machen, niemals etwas vergessen und keine Fortbildungslehrgänge brauchen. Mit anderen Worten, der technische Fortschritt läßt sich in vielen Fällen von den Beschränkungen durch menschliche Arbeit und Kontrolle befreien. Auf diese Weise wird das industrielle Leistungspotential von Management und Belegschaft außerordentlich gesteigert. Andererseits vermögen Datenverarbeitungsanlagen zwar einfache Entscheidungen zwischen zwei klaren Alternativmöglichkeiten zu treffen, sie können aber nicht jene Entscheidungen fällen, die zu den Aufgaben des Managements gehören. Die Automation kann wohl eine Hilfe, niemals aber ein Ersatz für die Unternehmerverantwortung sein.

Die Männer der Wirtschaft haben sich über den Nutzen, den ihnen die Automation bietet, bisher kaum den Kopf zerbrochen, obwohl sie die technische Seite des Phänomens fasziniert hat. John Diebold stellt fest, daß sie Millionen Dollar für neue automatische Einrichtungen ausgegeben haben, die nicht mehr leisten als das, was die alten Einrichtungen, an deren Stelle sie getreten sind, einfacher und wirtschaftlicher besorgten. Beispielsweise wollte ein Karosseriebauer sein Montageband automatisieren. Er kaufte, ohne geplant zu koordinieren, Maschinen von verschiedenen Lieferfirmen.

Die Maschinen arbeiteten nicht richtig, so daß parallel zu den automatisierten Arbeitsgängen manuelle eingerichtet werden mußten. Am Ende wurde mit einem Verlust von zehn Millionen Dollar die ganze Anlage stillgelegt.

Ein Versorgungsunternehmen traf vier Jahre lang Vorbereitungen für ein Rechenzentrum, das eine bestimmte Arbeit in zwanzig Stunden pro Tag leisten sollte. Als die Anlage stand, zeigte sich, daß man sechzig Stunden dafür brauchte, und die Maschine mußte zurückgegeben werden Diese Fehlplanungen gehen auf die Tatsache zurück, daß die Vorstellungen des Managements von der Automation in der Mehrzahl der Fälle „bereits erstarrt und mit Stereotypen überladen sind, die einem echten Fortschritt im Wege stehen"

Zu den zentralen Stereotypien oder zu den Mythen, die sich um die Automation ranken, gehören — laut Diebold: „Erstens: die Automation ist in ihrem Kern eine arbeitsparende Einrichtung, zweitens: ein Maximum der Automatisierung läßt sich durch eine Ölraffinerie oder irgendein anderes in hohem Maße technisch ausgerüstetes Herstellungswerk symbolisieren, drittens: weil die Automation eine höchsttechnische Angelegenheit ist, muß man die Mehrzahl der in ihrem Zusammenhang zu treffenden Entscheidungen Ingenieuren und Technikern überlassen, und viertens: nur Firmen mit gewaltigen Geldmitteln und außergewöhnlich langen Produktionsserien können es sich leisten, zu automatisieren"

Um diese mythischen Vorstellungen zu widerlegen, weist Diebold zuerst nach, daß in den wenigen Fällen, wo die Automation dazu benutzt worden ist, neue und alte Probleme zu lösen, bessere Arbeit zu leisten und eine alte Tätigkeit zu beschleunigen, auffallende Kosten-senkungen zu verzeichnen sind, obwohl man wenig oder gar keine Arbeitskräfte eingespart hat. Zum Beispiel benutzte eine Fluggesellschaft eine elektronische Datenverarbei7) tungsanlage, um zu berechnen, wie man, wenn ein Flugzeug einmal ausfiel, andere Maschinen am besten in den Flugplan einsetzen könne Das Ergebnis dieser Bemühungen war eine jährliche Ersparnis von sechs Millionen Dollar durch Verringerung der Anzahl von Reserve-maschinen. Die Einsparung von Arbeitskräften war, streng genommen, lediglich ein Nebenergebnis.

Zweitens versichert Diebold, daß entgegen allgemeinen Vorstellungen Ölraffinerien nicht vollautomatisiert sind. Es ist hier gelungen, sich von der Fraktionierung auf das kontinuierliche Destillationsverfahren umzustellen, und die Hauptvariablen der Verarbeitungsvorgänge, wie Druck, Temperatur und Fließgeschwindigkeit, können mit automatischen Reglern auf einer gewünschten Stufe gehalten werden. Die Wahl dieser Werte muß jedoch manuell erfolgen, und die Steuerungsgeräte müssen wiederholt neu eingestellt werden, da das Verhältnis zwischen den Variablen sich im Laufe des Prozesses häufig verändert. Bei einigen Fertigungsprozessen, etwa bei der Herstellung von Dacron, gibt es so viele Variablen, und sie sind so raschen Schwankungen unterworfen, daß nur selten ein optimaler Betrieb erreicht wird und das Bedienungspersonal fortwährend Entscheidungen treffen muß, die häufig auf kaum mehr als Schätzungen beruhen. Diebold vermerkt, daß bei diesen komplizierten Fertigungsverfahren das Produkt entweder richtig oder falsch ist und ein äußerst feiner Kontrollpegel eingehalten werden muß. Das erfordert ständige manuelle Überwachung. Fehler lassen sich nicht durch irgendwelche Mischtechniken korrigieren, oder „indem man am Schluß irgendein besonderes Etwas hinzusetzt“. Bisher wissen wir noch nicht genügend über den wechselseitigen Einfluß der Variablen, und ebensowenig wissen wir, wie wir die Variablen, die das Produkt bestimmen, messen, zueinander in Beziehung setzen und programmieren können.

Drittens stellt Diebold fest, das Management sei von der außerordentlichen Komplexheit der Automationsgeräte nicht nur fasziniert, sondern auch erschreckt worden. Es habe den Technikern nicht nur den gesamten Betrieb der Maschinen überlassen, sondern auch die Managemententscheidungen über deren Verwendung Man habe Elektronikausschüsse ernannt, die kaum mehr täten, als den Eindruck zu erwecken, daß überhaupt etwas getan werde. Diebold erklärt, daß das Management die Fachkenntnisse von Ingenieuren zu überschätzen und ehrfurchtsvoll zu bewundern geneigt sei, während Ingenieure häufig die Komplexheit des Geschäftsbetriebes unterschätzen und der Meinung anhängen, so etwas könne man in ein paar Monaten beherrschen. Doch mit Glenn White von der Chrysler Corporation zu reden: „Wer in der Betriebsführung gut Bescheid weiß.. ., kann viel leichter in Elektronik geschult werden als jemand, der etwas von Elektronik versteht, in Fragen der Betriebsführung."

Viertens bestreitet Diebold die Vorstellung, daß Automation eine Menge Geld erfordere.

Diese Vorstellung geht auf das zurück, was er " job shop thinking” des Managements nennt. Nach seiner Auffassung könnten viele Firmen trotz verhältnismäßig kurzer Fertigungsreihen ihren Betrieb automatisieren, weil man automatische Maschinen oft auf einige wenige Erzeugnistypen konzentrieren kann, die den größten Teil des Ausstoßes bilden.

Diese vom Management genährten Mythen über die Automation entspringen der Ansicht, daß Automation nichts weiter ist als die Gesamtheit bestimmter Maschinen. Wie wir sahen, ist Automation viel mehr als das. Sie ist eine neue Idee, die auf völlig neuartigen Prinzipien beruht. Bei einigen Firmen haben elektronische Datenverarbeitungsanlagen Wunder gewirkt, bei anderen haben sie beinahe eine Katastrophe verursacht. Alles hängt davon ab, die Anlagen gemäß sorgfältiger Überlegung einzusetzen. Um aber die Ziele klar abzustecken, die Kosten wirklichkeitsgetreu zu schätzen und genau zu beurteilen, welche neuen Aufgaben die Automation im Rahmen des Unternehmens zu bewältigen vermag, müssen die gesamten Funktionszusammenhänge einer Firma von Grund auf neu durchdacht werden.

Merkmale automatisierter Fabriken

Nach J. R. Bright von Harvard, der dreizehn automatisierte Werke untersucht hat, lassen sich eine Reihe übereinstimmender Betriebs-merkmale automatisierter Fabriken nachweisen 10).

Erstens: die erwartete Zunahme der Produktivität oder des Ausstoßes pro Arbeitsstunde. Die genaue Zuwachsmenge, die zwischen fünf und hundert Prozent schwankt, hängt vom Stande der Technik und der Produktivität ab und von den für die Produktivi10) tätsmessung zur Verfügung stehenden statistischen Verfahren und Buchungsmethoden.

Zweitens ist eine höhere und gleichmäßigere Leistung zu verzeichnen. In einem typischen Falle stieg die Betriebsleistung eines Metallverarbeitungswerks durch die Verwendung automatischer Lade-und Transportausrüstung von sechzig auf achtzig Prozent.

Drittens: Qualitätsverbesserungen lassen sich allgemein nachweisen. Das hatte vielerlei Gründe, unter anderem: weniger Ausschuß (in einem Falle gab es beispielweise einen Rückgang von fünf auf rund drei Prozent), weniger Bruch durch mechanischen Transport und bessere Konzentration der Managementverantwortung. In einer Matratzenfabrik zum Beispiel stieg der Prozentsatz unbeanstandeter Erzeugnisse von fünfundsiebzig auf neunzig bis achtundneunzig Prozent.

Viertens: die Vorbereitungszeit verkürzt sich. In einer Ölraffinerie ließ sie sich durch die Automation von fünf Tagen auf vier Stunden reduzieren. In einer Düngemittelfabrik ging sie von zehn auf zwei Stunden zurück, in einem Futtermittelwerk von zwei Stunden auf fünf Minuten, in einem Werk zur Herstellung von ölfangringen von neunzehn Tagen auf zwei oder drei Tage. Doch in nur einem der dreizehn von Bright untersuchten Werke wurde das Lager verkleinert; in zwei Werken wurde es erweitert. Einige Firmen scheuten die Vollautomatisierung wegen des fehlenden Bestandes an Halbfabrikaten. Zum Beispiel baute eine Ölfirma kürzlich ein herkömmliches Tanklagersystem, statt eines voll-automatisierten, um nicht auf den großen Ausstoß eines einzigen Erzeugnisses angewiesen zu sein. Diese Firma wollte lieber eine elastische Produktion, um sich Veränderungen der Nachfrage anpassen zu können, als niedrigere Kosten.

Fünftens hat man festgestellt, daß sich die Materialkosten nach der Automatisierung in der Regel vermindern. Teilweise lag das an der Verminderung des Ausschusses; darüber hinaus bedingt eine bessere Konstruktion des Erzeugnisses eine Verminderung seines Materialgehaltes Bright weist aber nach, daß in vielen Industriezweigen weitgehend automatisierte Werke unelastisch sind, sowohl hinsichtlich des Leistungsbedarfs wie der Leistungsabgabe, wodurch sie gegen Änderungen in Güte und Menge der Rohstoffe äußerst empfindlich sind Die Automation versagte in einem Kohlenbergwerk wegen Schwankungen in der Stärke der Kohlenflöze. Ein Hersteller von Kraftfahrzeugteilen mußte sein Inspektionssystem verschärfen, weil die ankommenden Teile maschinell genauer bearbeitet werden mußten. Eine automatisierte Bäckerei stellte fest, daß fünf von ihren sechs Lieferanten anfangs nicht in der Lage waren, Mehl in den erforderlichen Mengen zu liefern oder entsprechend zu verladen.

Sechstens: die meisten automatisierten Fabriken leiden unter einem Mangel an Elastizität.

Ein Werk, das Stoßstangen plattiert, läuft durchgehend Tag und Nacht, sieben Tage in der Woche, obwohl nachts und sonntags nichts produziert wird und, vom Wachpersonal abgesehen, keine Arbeiter im Werk sind. Man stellte fest, daß es billiger ist, die Maschinen leer laufen zu lassen, als sie aus-und wieder einzuschalten. Eine andere Firma ertrank plötzlich in ihren Erzeugnissen, als das Werk eines Kunden überraschend geschlossen wurde. In einer automatisierten Matratzenfabrik fiel die Produktion um fünfundzwanzig Prozent, als die Fertigung von Matratzen auf Kissen umgestellt werden mußte. Aber überraschenderweise erreichte ein Düngemittelfabrikant durch die Automation größere Elastizität, weil sich zeigte, daß man von einer Formel zur andern überwechseln konnte, ohne die Produktion zu unterbrechen.

Siebtens: in den von Bright untersuchten Werken läßt sich eine straffere Zentralisierung der Kontrolle nachweisen. In einem Falle war ein Hauptgrund für die Automatisierung der Wunsch gewesen, „die Qualität zu verbessern, indem die Kontrolle einem einzigen Mann unterstellt wurde". Das Erfolgsgeheimnis in einer Ölraffinerie bestand darin, Koordination und Kommunikation zu konzentrieren, so daß jeder sofort wußte, was alles im Augenblick vor sich ging.

Achtens: die Produktionsgeschwindigkeit nimmt zu und macht schnellere Reaktionszeiten notwendig. Das ist für die Inspektion, Veränderungen dei Nachfrage und Arbeiterschulungsprogramme von Bedeutung. In einem Falle war das Produktionstempo so groß, daß, wenn Schwierigkeiten auftraten, der gesamte Betrieb stillgelegt werden mußte, bis die Ursache gefunden war; andernfalls wäre das Werk mit halbfertigen Erzeugnissen überschwemmt worden Neuntens: die Bedeutung der Instandhaltung nimmt mit der Automatisierung zu, ohne daß in jedem Falle die Instandhaltungskosten steigen müssen. In einem Futtermittelwerk ließen sich mehrere günstige Faktoren namhaft machen; zum Beispiel gab es nur einige wenige einfache mechanische Arbeitsgänge, einen niedrigen Genauigkeitsgrad und Standardmaschinen und -geräte, die ausnahmslos von ein und demselben Hersteller stammten. Auch in einer kleinen Ölraffinerie verringerte die Automation die Instandhaltung, in diesem Falle auf rund vierzig Prozent der Kosten in Standard-Raffinerien. In einem anderen Falle schaffte eine Firma zusätzlich mehr als tausend automatische Maschinen an, doch die Stärke des Instandhaltungstrupps blieb bei 4, 5 bis 5 Prozent der Belegschaft. Alles in allem läßt sich daraus der Schluß ziehen, daß der Grad der Instandhaltung nicht der Automatisierung proportional ist, sondern das Ergebnis vieler ineinandergreifender Kräfte darstellt.

Zehntens: gewöhnlich verbessert sich die Sicherheitsquote. Das Ford Cleveland Motoren-werk konnte in vier Jahren einen Rückgang der Betriebsunfälle um fünfzig Prozent verzeichnen. Nur in einem Falle steigerte die Automatisierung die Gefahren. Es handelte sich dabei um eine Ölraffinerie, wo durch die Automation Arbeitsvorgänge, die an sich schon gefährlich waren, auf eine kleinere Fläche zusammengedrängt worden waren, und wo zwei Wochen, nachdem das Werk die Arbeit ausgenommen hatte, ein Brand ausgebrochen war.

Elftens: die Automation scheint die Bewirtschaftung des Werkes zu erleichtern. Mechanische Abfallentfernung, Bänder über Kopfhöhe und so weiter gestatteten eine leichtere Säuberung der Werkshallen und schufen in dieser Beziehung bessere Arbeitsbedingungen.

Die soziale und ökonomische Revolution

Die wirtschaftlichen Vorteile des technischen Fortschrittes können auf vielerlei Art und Weise verteilt werden: durch Herabsetzung der Arbeitsstunden, durch die Erhöhung der Produktion von Konsumgütern, durch stärkere Investition in Kapitalausrüstungen und durch höhere Rüstungsausgaben. Im ersten Fall gewinnen wir mehr Freizeit; im zweiten Fall erhöht sich der materielle Lebensstandard; im dritten Fall geht das wirschaftliche Wachstum schneller vor sich, und der vierte Fall kann eintreten, wenn es für uns teurer wird, in einer geteilten Welt zu leben. Jeder dieser vier Wege kann nur auf Kosten der anderen beschritten werden. In diesem Abschnitt werden alle vier Möglichkeiten erörtert sowie die Rolle, die die Automation in jedem von ihnen spielt.

Die Drohung der Freizeit Der Niedergang der Arbeit.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitsdauer in der Industrie der Vereinigten Staaten hat ständig abgenommen, von vierundachtzig Stunden im Jahr 1800 über sechzig Stunden im Jahre 1900 zu jetzt etwas weniger als vierzig Stunden. Sowohl Walter Reuther als auch Richard Nixon haben die Vier-Tage-Woche vorhergesagt. Der Arbeiter von heute produziert in jeder Arbeitsstunde sechsmal mehr als sein Großvater. In der Vergangenheit sind die Vorteile des technischen Wachstums im Verhältnis von sechzig zu vierzig zwischen höherem Lebensstandard und längerer Freizeit aufgeteili worden. Falls es bei diesem Verhältnis bleibt, wird die Arbeitswoche, noch ehe die Kinder von heute sich zur Ruhe setzen, wieder um die Hälfte reduziert sein. Im Vergleich zu anderen Schätzungen, einschließlich der des Direktors der National Recreation Association, Joseph Prendergast, der noch in diesem Jahrhundert eine Arbeitswoche von siebenstündiger Dauer vorhersagt, ist dies eine sehr vorsichtige Schätzung.

Die Zeitschrift Tide nennt die Freizeit „den aussichtsreichsten Markt der Gegenwart". Businessweek meint: „Die künftige amerikanische Wirtschaft wird sich auf die Ausgaben für die Freizeit stützen." Heute wird jeder sechste Dollar des verausgabbaren Einkommens für die Freizeit aufgewendet. Golf ist zu einem Sport des Mittelstandes geworden. Mehr als die Hälfte der Motorboote werden an gelernte Fabrikarbeiter, an Angestellte und Handelsvertreter verkauft. Der Umsatz an Angelausrüstungen hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Während reiner Zuschauersport, wie Baseball und Boxen, zurückgegangen ist, hat der Teilnehmersport, wie Kegeln und Skilaufen, einen unerhörten Aufschwung genommen. Heute werden viermal soviel Auslandsreisen gemacht wie vor zehn Jahren. Reisen im Inland haben neue Industriezweige entstehen lassen, wie das Motel-1gewerbe, das in den vergangenen zwei Jahren über 600 Motels errichtet hat. Winthrop Rockefeller hat vorausgesagt, daß wir am Jahre 2000 vierzigmal soviel Gelände für Nationalparks benötigen werden als heute, und ein Soziologe von der Universität Columbia meint: „Die Massenproduktion von Zerstreuungen ist heute ebenso Teil der amerikanischen Lebens-art wie die Massenproduktion von Automobilen“

Ein großer Teil, aber nicht die gesamte freie Zeit, ist dem Verbrauch von Luxusartikeln gewidmet worden. Die gestiegene Nachfrage nach Dienstleistungen hat die Nachfrage nach den Produkten der warenerzeugenden Industrie, der Bergwerksbetriebe, der Bauindustrie und der Landwirtschaft weit überholt. Während 1870 ein Fünftel der Erwerbstätigen in Dienstleistungsbetrieben beschäftigt waren, sind es heute schon über die Hälfte. Während 1947 von jedem Dollar des Verbrauchers 31 Cent auf Dienstleistungen entfielen, waren es 1957 38 Cent. Zweifellos werden diese Dienste nicht nur für die Freizeit in Anspruch genommen, gewiß nicht der ärztliche Versorgungsdienst. Diese Zahlen machen in erster Linie deutlich, daß ein geringerer Teil unserer Anstrengungen darauf gerichtet ist, Dinge herzustellen, während ein größerer Teil dem Verkauf, der Lagerhaltung, der Finanzierung und dem Transport gilt.

Die " Do it yourself”-Bewegung hat ebenfalls riesige Ausmaße angenommen. Vierzig Prozent aller Farben für Hausanstriche werden heute an Amateure verkauft; vor zehn Jahren waren es zehn Prozent. Jährlich werden Maschinenwerkzeuge im Werte von $100 Millionen an Bastler verkauft. Obwohl in Massenproduktion gefertigte Frauenkleider relativ billig zu kaufen sind, wird in den Vereinigten Staaten pro Kopf der Bevölkerung mehr Hausschneiderei betrieben als in irgendeinem andern industrialisierten Staat. Man schätzt die in Gebrauch befindlichen Haushaltsnähmaschinen auf 35 Millionen Stück, und die amerikanischen Frauen geben jährlich mehr als S 200 Millionen für Schnittmuster aus. Etwa dreißig Millionen amerikanische Amateurgärtner geben jährlich für ihre Liebhaberei ebensoviel aus, wie für das gesamte höhere Schulwesen aufgewendet wird.

Man hat die Befürchtung ausgesprochen, daß dem legitimen Gewerbe durch diese Heimar12) beit ein großer Teil seiner Aufträge entgeht.

Das ist vermutlich übertrieben. Die meisten gelernten Arbeitskräfte können erfolgreich konkurrieren, weil sie viel leistungsfähiger sind als Amateure. Das " Do it yourself" ist eine Rückkehr zu den primitivsten Methoden der Produktion. Da es von der Massenproduktion und der Spezialisierung kaum Gebrauch macht, führt es im allgemeinen zu enormer Verschwendung von Arbeitskraft und Material. Der Hauptzweck ist aber auch der der Entspannung. " Do it yourself” ist nicht Produktion, es ist in Wirklichkeit Konsumtion. Überdies wird das meiste des " Do it yourself" -Materials von den Einkommensgruppen gekauft, die als Kunden für Fertigprodukte wie z. B. Boote, an denen sie so vergeblich in ihren Kellern herumbasteln, ohnehin nicht in Frage kommen. Man darf wohl annehmen, daß Amateur-Elektriker, -Installateure und -Tischler ebensoviel Reparaturarbeit für die Gewerbetreibenden verursachen, als sie selbst zustande bringen.

Für die Freizeit muß man, wie für alle anderen Waren-und Dienstleistungen, mit etwas anderem bezahlen. Man muß sie aber nicht unbedingt mit dem verdienten Lohn bezahlen: In erster Linie wird sie dadurch erkauft, daß man auf lohnbringende Arbeit verzichtet. So hat die Freizeitbeschäftigung darüber hinaus auch noch den Vorteil, daß man sie genießen kann, ohne vorher dafür mit der Einkommensteuer bezahlt zu haben. Jetzt schon erfreut sich ein großer Teil der Bevölkerung erheblicher Freizeit, für die sie nur mit dem Verzicht auf greifbareren Luxus bezahlt. Niemand kann sagen, wieviel Freizeit die Arbeitnehmer verlangen werden, wenn die Automation fortschreitet. Man kann nur hoffen, daß davon nicht zuviel geliefert wird in Gestalt öffentlichen Zwangskonsums auf Grund unfreiwilliger Arbeitslosigkeit.

Die Selbsttäuschung des 19. Jahrhunderts

Vor der industriellen Revolution waren die meisten Arbeitenden ziemlich autark. Wer nicht Sklave oder Leibeigener war, war im allgemeinen Handwerker. Der typische Handwerker war hochqualifiziert, aber nicht spezialisiert. Er war stolz auf sein Handwerk und hütete es eifersüchtig. Das Produkt des einzelnen Handwerkers war meistens eine vollständige Einheit, z. B. Brillen, Schuhe oder Schwerter. Die Arbeitenden waren in Zünften organisiert, die sich selbst verwalteten und wenig Unterschied machten zwischen Arbeit-nehmern und Arbeitgebern. Die Zünfte übten eine strenge Kontrolle über Preise, Löhne und Produktionsmethoden. Man hatte für alles genaue Vorschriften, die ethischen Anforderungen waren hoch, und es wurde hart gearbeitet. Fortschrittliche Ideen und Konkurrenz wurden nicht geduldet.

Die mit der industriellen Revolution einsetzende Mechanisierung änderte dies alles. Die ländliche Lebensweise wurde von der industriellen Disziplin verdrängt. Das Fabriksystem zerstörte die Zunft, trennte den Arbeiter vom Management, vom Besitz an seinen Werkzeugen und schuf neue Produktionsmittel, die der Kontrolle einer neuen Klasse von spezialisierten Manager-Besitzern unterstanden. Die Arbeit wurde in dem Maße trivialer und der Arbeiter heruntergestuft, in dem die Produktionsvorgänge in immer kleinere Handgriffe zerlegt wurden, die durch weniger geübte Arbeiter, durch Kinder und mehr und mehr von Maschinen ausgeführt werden konnten.

Durch die Spezialisierung der Funktionen konnte der Ausstoß pro Arbeitsstunde außerordentlich vergrößert werden. Der Handwerker jedoch, der ein komplettes Produkt lieferte und daraus große Befriedigung zog, wurde verdrängt durch den Spezialisten, der zum Endprodukt nur in winzigem Maße beitrug, indem er immer und immer wieder den gleichen Handgriff tat.

Disraeli drückte die Anschauungen der Viktorianer mit folgenden Worten aus: „Erhöhtes Einkommen und größere Muße sind die beiden Kräfte, die den Menschen zivilisieren." Heute können die meisten Menschen ein einigermaßen zureichendes Auskommen finden, wenn sie während der Hälfte der Tagesstunden arbeiten, doch erwies sich die viktorianische Prophezeiung, Muße werde Kultur produzieren, als eine Selbsttäuschung. Der von unablässiger Plage befreite Arbeiter hat die kulturelle und geistige Betätigung der über Muße verfügenden Klassen der Vergangenheit nicht nachgeahmt. Auch der alte sozialistische Traum von einer neuen, frischen Kultur der Arbeiterklasse ist nicht in Erfüllung gegangen. Statt der größeren geistigen und kulturellen Betätigung sehen wir uns Außenbordmotoren, Würstchenrosten im Garten und kommerzieller Freizeitgestaltung, beispielsweise durch das Fernsehens, gegenüber. Diese unaufhörlichen Zerstreuungen würden, gesehen vom Blickpunkt dei kulturtragenden Schichten, der Aristokraten und auch der Sozialisten des neunzehnten Jahrhunderts, zweifellos sinnlos, vulgär und sogar schädlich erscheinen.

Obgleich die Arbeitszeit verringert worden ist, ohne daß das Kulturniveau sich entsprechend gehoben hätte, stellt diese Veränderung nicht so sehr einen Rückschritt dar als einen Schritt zu einem neuen Ausgangspunkt. Vor der industriellen Revolution sah man in der Arbeit einen Selbstzweck, nicht ein Mittel zum Fortschritt. Alles, was sich auf die Arbeit bezog, wurde beherrscht von Tradition und Religion. Die Einstellung zur Arbeit unterschied sich so sehr von der heutigen, daß man sich kaum vorstellen kann, wie das Leben damals wirklich war. Zweifellos herrschte, ausgenommen bei den wenigen Privilegierten, große Armut, doch gab es allgemein anerkannte, traditionell überkommene Anschauungen von dem, was für jede Gesellschaftsklasse als angemessener Lebensstandard galt. Der Status quo war etwas so Heiliges, daß auch die geringsten Veränderungen am Herkömmlichen mit Folter oder Tod bestraft werden konnten.

Trotz niederdrückendster Armut war jedoch die Arbeitslast des mittelalterlichen Menschen für ihn weniger schwer als sie es für uns sein würde. Im Vergleich zu unserem gewohnten Lebensstandard und in Anbetracht unserer Abneigung gegen die Arbeit und unserer Hin-neigung zum Fortschritt, muß uns das vorindustrielle Leben sehr düster erscheinen. Das liegt aber daran, daß wir, würden wir in jene Welt zurückversetzt, uns verzweifelt darum bemühen würden, die damals herrschenden Bedingungen zu überwinden. Die Arbeit war für den mittelalterlichen Menschen die Erfüllung des Lebens und nicht eine qualvolle Pflicht, die man auf sich nimmt, weil man auf andere Weise kein Geld verdienen kann. Die Arbeit brachte dem Arbeitenden eine Art von Befriedigung, die wir entweder durch Spezialisierung vernichtet haben, der wir uns nach Kräften bemühen auszuweichen, oder die wir vergessen haben.

Bei einer achtzig-bis neunzigstündigen Arbeitswoche konnten die Arbeitenden aus ihrer Arbeit ebensowohl ein Spiel, eine Kunst oder selbst eine Religion machen. In einigen vorindustriellen Gesellschaften garantierten jedoch das Herkommen oder die Religion hundert oder mehr Feiertage im Jahr. Selbst im verarmten China der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts gab es mehr freie Zeit als in Europa und den Vereinigten Staaten des neunzehnten Jahrhunderts. Wenn Mehrarbeit wegen des Mangels an Land, an Techniken, an Transportmöglichkeiten und internationalen Handelsbeziehungen nichts erbringt, dann mag aus der Muße sehr wohl eine Kunst werden, die man betreibt und perfektioniert.

Mechanisierung und Automatisierung haben die Arbeit rationalisiert und sie den Regeln der Tradition, der Moral und des Herkommens entwachsen lassen. Die Arbeit wird nun von wissenschaftlichen Gesichtspunkten geregelt — man strebt nach einem Maximum von Produktion bei geringstem Kostenaufwand für die produktiven Hilfsmittel. Als man aber die Arbeit von der Tradition befreite, befreite man auch die Muße von der Tradition. Rationalisierung der Arbeit führte zu Rationalisierung der Freizeit. Die Rationalisierung der Freizeit bewirkte eine Nachfrage nach massenproduzierten Zerstreuungen, die bereitwillig und in Fülle geliefert wurden. Die Freizeit ist damit auf etwas reduziert worden, was Robert Bendiner die „freudlose Jagd nach dem Vergnügen" nennt

Doch ist eine Art Schizophrenie zurückgeblieben. Während unsere jüdisch-christliche Über-lieferung dazu neigte, die Arbeit entweder als Gottesdienst zu glorifizieren oder sie als Selbstzweck zu betrachten, hat unser Wirtschaftsdenken in der Arbeit ein notwenddiges Übel gesehen oder auch ein Mittel, wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Dieses Dilemma wird sehr gut durch das Beispiel vieler leitender Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens beleuchtet, die, nachdem sie sich zur Ruhe gesetzt haben, eine Verwaltungstätigkeit oder die Geldbeschaffung für wohltätige Organisationen übernommen haben und behaupten, zum ersten Mal im Leben das Gefühl zu haben, etwas zu tun, was die Mühe lohnt.

Ganz zweifellos stimmt etwas nicht, wenn solche wohlhabenden Persönlichkeiten sich erst zur Ruhe setzen müssen, um einen Sinn in ihrer Existenz zu entdecken. Es stimmt auch etwas nicht, wenn Arbeitnehmer keinerlei Neigung zu der Tätigkeit verspüren, der sie doch gleichzeitig die größte Bedeutung beilegen müssen. Der höchste Lebensstandard der Welt hat nur wenige Beweise dafür erbracht, daß die Menschen wirklich glücklicher geworden sind. Eine Philosophie, die an die Menschheit glaubt, muß auch darauf bestehen, daß man dem Menschen zumuten darf, müßig zu gehen. Eine Philosophie, die dem Individuum Würde zuerkennt, kann nicht gleichzeitig predigen, daß Müßigkeit aller Laster Anfang sei.

Verwendung der Freizeit

Indem die Automation die Arbeit verringert, auf vielerlei Weise die Arbeitsbedingungen verbessert und die Verantwortung des Arbeitnehmers erhöht, kann sie doch auch dazu beitragen, daß die Eintönigkeit zunimmt, die Anforderungen an die Fähigkeiten des Arbeitnehmers zurückgehen und im Arbeitnehmer ein ständig abnehmendes Bewußtsein seines Wertes entsteht. Die Automation vergrößert die optimale wirtschaftliche Ausdehnung der Werksanlagen und verschiebt einen großen Teil der Produktionskontrolle von Menschen auf Maschinen. Es wird dem Arbeiter dadurch schwerer gemacht, sich mit dem Gegenstand der Produktion zu identifizieren und Befriedigung in seiner Arbeit zu finden. Eine kürzich angestellte Befragung von Automobilarbeitern ergab, daß Dreiviertel von ihnen eine verkürzte Arbeitswoche sowohl einer Erhöhung des Lohnes als einer Verlängerung des Urlaubs vorziehen würden

Der Grund dafür schien zu sein, daß die Arbeit am Fließband von den Arbeitern nur geringe Fähigkeiten verlangt und ihnen kaum Abwechslung bietet. Sie brauchten dabei keinerlei Initiative aufzubringen, was die Arbeit so langweilig machte, daß die Arbeiter vor allen Dingen nach längerer Freizeit verlangten.

Wenn die Arbeit langweilig und sinnlos wird, so liegt es nahe, sich in der freien Zeit in Phantasien zu flüchten. Die Trunksucht, der Fluch des Arbeiters im neunzehnten Jahrhundert, macht Ersatzformen der Flucht Platz. Zuerst war es der Massensport, dann war es das Kino, und jetzt ist es das Fernsehen. Eben weil das tägliche Leben, besonders das Leben am Arbeitsplatz, so langweilig und sinnlos geworden ist, wenden sich so viele Menschen den Gruselfilmen, den Quizprogrammen und den Gesellschaftsspielen im Fernsehen zu. Diejenigen, die das geringste Interesse am Sport, am Fernsehen und anderen eskapistischen Formen der Unterhaltung nehmen, sind Menschen, die in ihrer Arbeit die Möglichkeit haben, ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verschaffen. Hierhin gehören u. a. die Akademiker, Künstler, Schriftsteller und leitende Personen der Wirtschaft, deren Arbeit schöpferisch und befriedigend ist.

Die meisten Lehrer, Schauspieler, Angestellten der Dienstleistungsbetriebe, Akademiker und leitenden Angestellten arbeiten auch heute noch ebensolange wie früher. Nach Angabe des statistischen Amtes arbeiten Manager und Firmeninhaber im Durchschnitt dreiundfünfzig Stunden in der Woche. Diese Angabe berücksichtigt nicht die Arbeit, die sie nach Dienstschluß zuhause erledigen. Viele leitende Angestellte und Akademiker geben zu, daß sie nie etwas tun, was nicht mit ihrem Beruf zusammenhängt. Die neue Klasse derer, die über freie Zeit verfügen, wird nicht aus den Menschen bestehen, die im Management, den akademischen Berufen und dem öffentlichen Leben den meisten Erfolg aufzuweisen haben, sondern eher aus Arbeitnehmern in der Fabrikation und verwandten Industriezweigen, die auf dem unteren Ende der Stufenleiter der Bildung und Wirtschaftskraft stehen. Jene, die die verantwortungsvollsten Plätze einnehmen, werden länger und härter als je zuvor arbeiten müssen, wenn sie ihre bedeutenden Stellungen nicht verlieren wollen. Das Ergebnis könnte sehr wohl Freizeit für die Massen und Arbeit für die führenden Schichten bedeuten. Es ist durchaus möglich, daß wir denjenigen, die sie am wenigsten benötigen, immer mehr freie Zeit verschaffen.

In vergangenen Zeiten mußten die Arbeiter beinahe pausenlos arbeiten, während Freizeit das Vorrecht einiger Aristokraten war. Eine Gesellschaft, in der die Massen der Arbeitnehmer müßig sind, während verhältnismäßig wenige leitende und akademisch vorgebildete Menschen unablässig arbeiten, wäre eine völlige Umkehrung aller bisherigen gesellschaftlichen Systeme. Obwohl dieser Zustand vermutlich nur teilweise verwirklicht werden könnte, wären die Folgen doch immer noch umstürzend. Die so zur Verfügung stehende Freizeit könnte dazu benutzt werden, den Straßenverkehr noch mörderischer zu machen, den Alkoholkonsum erheblich zu steigern oder ganz allgemein dummes Zeug anzustellen.

Doch ist es ebenso denkbar, die freie Zeit besser zu verwenden. So könnten beispielsweise Angehörige der unteren und mittleren Einkommensgruppen Verantwortung in gemeinnützigen Vorhaben und in der Politik übernehmen, Tätigkeitsfelder, die bisher den über Mußestunden verfügenden Oberschichten reserviert waren. Man könnte diese Zeit auch an die Erziehung, an das Lesen guter Bücher, an gute Musik und Kunst wenden. Dafür, daß das geschehen kann, finden sich bereits die Spuren eines Beweises. Der Umsatz an hochwertigen Plattenspielern, an Theaterkarten, an Schallplatten mit klassischer Musik und an guten Büchern hat einen höheren Stand erreicht als je zuvor und steigt noch. Insgseamt jedoch bietet sich kein ermutigendes Bild.

Die Ergebnisse der von der Nielson-Gesellschäft im ganzen Lande veranstalteten Befragungen zeigen, daß etwa 70 % der freien Zeit zu Haus vor dem Fernsehgerät verbracht werden. Das Fernsehgerät des Amerikaners ist durchschnittlich sieben Stunden am Tage in Betrieb! Zur Zeit gibt es in den Vereinigten Staaten etwa vierzig Millionen Fernsehgeräte, das bedeutet also für jeden Menschen praktisch die Möglichkeit, das Fernsehprogramm zu verfolgen. Es darf nicht überraschen, daß es dem Individuum schwer fällt, die Einzigartigkeit der eigenen Persönlichkeit in einer Welt zu wahren und zum Ausdruck zu bringen, die voll ist von Massenkommunikation und vor-verdauten Meinungen über alles und jedes.

Eine kürzlich von Gallup veranstaltete Umfrage ergab, daß zur Zeit der Umfrage 17 °/o der Amerikaner mit der Lektüre eines Buches befaßt waren, von befragten Engländern aber 55 °/o. Das Fernsehen erfreut sich in den USA offenbar viel größerer Beliebtheit als das Buch, auch als das schlechte Buch. Damit gibt eine Nation, die stolz auf ihren Individualismus und ihre Bildungseinrichtungen ist, ein trauriges Bild von sich. Wenn schon die Massen-zerstreuung unser Opiat werden soll, so müßte man doch wenigstens dafür sorgen, daß sie nicht auf dem niedrigsten Kulturniveau standardisiert wird. Es ist merkwürdig, daß viele von uns der Ansicht waren, unsere Kultur müsse den Unbedarften angepaßt werden, weil wir die reichste Nation der Erde sind. Warum ist beispielsweise niemals ein Gelehrter oder ein Kunstverständiger in die Federal Communications Commission entsandt worden, deren Funktion es ist, mit Klugheit, Intelligenz und Phantasie über die Massenmedien zu wachen? Wenn wir die zunehmende freie Zeit nicht dazu benutzen, unsere Bildung zu vergrößern und unseren Geschmack zu verfeinern, dann könnten wir uns eines Tages in einem Alptraum flacher Zerstreuung wiederfinden.

Die bewegliche Intelligenzgrenze

Dieses Problem könnte gelöst werden, falls wir in der Lage wären, eine Kultur zu entwickeln, die unserem Dasein nicht einzig durch Arbeit einen Sinn zu vermitteln weiß. Die Automation könnte dabei mitwirken, indem sie die ganze Frage von der physischen auf die intellektuelle Ebene hebt. Der Müßiggang würde nach wie vor ganz im Sinne der überkommenen Religionen für sündhaft gelten, doch wäre dann nicht die müßige Hand, sondern der müßige Geist zu verdammen. Verschwendete Produktivität wäre immer noch unverzeihlich, aber Produktivität wäre dann mehr eine Sache geistiger Regsamkeit als körperlicher Anstrengung. Thomas Edison hat einmal gesagt: „Der Magen ist der einzige Teil des Menschen, der wirklich befriedigt werden kann. Die Sehnsucht des menschlichen Geistes nach mehr Wissen und Erfahrung, nach angenehmeren und bequemeren Lebensbedingungen kann nie gänzlich gestillt werden." Die Stimulierung geistiger Tätigkeit zu Zwekken der Produktion führt nicht derart in eine Sackgasse, wie das die Stimulierung körperlicher Bedürfnisse und die körperliche Anstrengung tun. Man kann gewisse sportliche Leistungen mit Gewinn bis zu einem bestimmten Punkt treiben, doch die geistigen Freuden kennen keine Grenzen. Wenn der Mensch lernen kann, unabhängig, kritisch, analytisch und schöpferisch zu denken, dann wird er in seiner freien Zeit die große Gelegenheit sehen, sowohl sein eigenes Glück als seinen Wert in sozialer Hinsicht zu vergrößern.

Indem die Automation die Fähigkeiten der Intelligenz anregt, könnte sie zu unbegrenzten intellektuellen und kulturellen Leistungen und auch zu größerer Produktivität führen. Auch weiterhin mag die Arbeit es sein, die das Denken und das Verhalten bestimmt, doch wäre es dann geistige Arbeit und damit Arbeit, die dem Gefängnis der Rationalisierung körperlicher Tätigkeit entronnen wäre. Einmal von dem starren, vom Notwendigkeitsdenken inspirierten Glauben an die Arbeit als einem Mittel zur Rettung der Seele befreit, wäre der Mensch vielleicht endlich fähig, sich an dem Streben nach Glück zu beteiligen, das wenigstens dem Grundsatz nach einem jeden durch die Unabhängigkeitserklärung garantiert wird. Mindestens müßte begriffen werden, daß der Mensch nicht nur Arbeiter ist, sondern auch Verbraucher und Bürger, und daß er Anlagen zum Intellektuellen besitzt. Die Automation kann die für die volle Entwicklung aller dieser Anlagen erforderliche Freizeit liefern, falls unsere Wertmaßstäbe das nicht verhindern. Freizeit ist einer leeren Flasche vergleichbar. Ihr Gebrauch hängt ab von dem, was man hineinfüllt.

Ist die Freizeit einmal von den Beschränkungen der Technik befreit, dann kann der Mensch fähig werden, diese Freizeit auf positive und schöpferische Betätigung zu verwenden. Die Griechen kannten zwei Arten der Muße. Die eine war die ernste Muße, die sich mit dem Theater, den Künsten (einschließlich der Leibesübungen) und der Konversation befaßte, was alles als positive kulturelle Tätigkeit galt.

Das andere war Zeitvertreib, bei dem es darauf ankam, sich von ernster Betätigung, und dazu rechnete auch die ernste Muße, zu erholen. Hier gab es Spiele und leichte Unterhaltung. Diesen Unterschied finden wir auch bei den heutigen Schriftstellern, so etwa bei Russell Lynes, der sagt: „Das Problem der Muße ist es, die Langeweile nicht aufkommen zu lassen", und August Hecksher, der Direktor des Twenty Century Fund, bemerkt in seinem Jahresbericht für 1957: „Jene Klassen, die in den großen Zeiten der Geschichte Träger von Bildung und Gelehrsamkeit waren, die die Grenzen der physischen und der geistigen Welt immer weiter steckten, haben dafür gesorgt, daß das Wort Muße gleichbedeutend ist mit Selbstdisziplin und zweckfreier Bemühung. Immer hat die Gefahr bestanden, daß Muße in Luxus entarten oder zu einem Ritual erstarren könnte, und das ist auch immer wieder geschehen. Doch wenn wir die Herausforderung der Gegenwart annehmen wollen, dürfen wir das Ideal der freiwilligen, spontanen Aktion da, wo es sich mittelbar oder unmittelbar um den Dienst am Gemeinwesen handelt, nicht aufgeben."

Produktion wofür?

Materialismus in Amerika und Rußland

Vielleicht wird die neugewonnene Freizeit, geschaffen durch Automation, von jenen, die in ihren Genuß kommen, klüglich genutzt werden. Was wird in diesem Fall aus der Produktion? Ein Engländer hat die Vereinigten Staaten ein Land genannt, in dem jeder aus Leibeskräften Überstunden macht, um bei der Herstellung von Maschinen zu helfen, die Arbeitskräfte freisetzen sollen. Immer noch gibt es viele Menschen, die darauf dringen, daß wir mehr und mehr in geringerer Zeit und mit weniger Mühe produzieren, um Zeit und Kraft zu gewinnen für die Kultivierung von Geist und Seele. Der Wohlstand mag sehr wohl unsere Versuchungen vervielfachen, doch gestattet er uns auch ein besseres Leben, wenn wir uns dafür entscheiden. Vielleicht sollten wir nicht die Verantwortung auf unseren Wohlstand schieben, sondern uns darum bemühen, ihn zu übertreffen durch Verbesserung unserer Lebensbedingungen, unserer körperlichen und geistigen Gesundheit, durch die Einführung gleicher Rechte für alle und eine allgemeine Erweiterung der menschlichen Horizonte. Es ist aber auch wahr, daß der Zweck der Produktion nicht die Mittel heiligt. Der Mensch ist nicht ein Mittel zum Zwecke der Produktion, sondern die Produktion ein Mittel für die Zwecke des Menschen. Vielleicht ist es wichtiger zu wissen, was mit dem Menschen vorgeht, während er produziert, als zu wissen, was er produziert. Am Arbeitsplatz bereitet man sich nicht aufs Leben vor, sondern am Arbeitsplatz lebt man.

Vergleiche mit Rußland sind heutzutage sehr in Mode, und es ist viel geredet worden über unsere offenkundige Betonung des Lebensstandards, im Gegensatz zur offenkundigen Bevorzugung des wirtschaftlichen Wachstums bei den Russen. Ohne Zweifel ist das rapide Anwachsen der Technisierung Rußlands auf Kosten der Produktion von Konsumgütern gegangen, doch ist der hohe materielle Lebensstandard Amerikas nicht unbedingt ein Zeichen von moralischer Stärke oder von Kultur. Falls man aus dem Umstand, daß wir etwa 12 Prozent des Sozialproduktes für neue Investitionen bereitstellen, die Russen aber 22 Prozent, überhaupt etwas entnehmen kann, dann höchstens, daß es uns an Selbstdisziplin mangelt. Selbstverständlich muß man bedenken, daß in den Vereinigten Staaten großenteils freiwillig, in Rußland ebenso großenteils gezwungenermaßen gespart wird. Dies ist jedoch eher eine Erklärung, weniger eine Entschuldigung. Allen Dulles sagte neulich in einer Verlautbarung des Außenamtes: „Die Sowjets haben im vergangenen Jahr zwar nur ein Automobil produziert, wenn wir fünfzig produziert haben, sie haben aber viermal soviel Werkzeugmaschinen hergestellt als wir.“

Sowohl die Amerikaner als auch die Russen könnte man dafür tadeln, daß sie ihren Wirtschaftssystemen mit übertriebener Loyalität anhängen und Wissenschaft, Technik, Produktion, Leistungsfähigkeit und Lebensstandard anbeten. In Rußland wird der Materialismus offen als ein gültiges philosophisches System gelehrt, und man kann den Russen daher in dieser Hinsicht keine Inkonsequenz vorwerfen. Daß ein Marxist sich auf die Naturwissenschaften wirft, darf ebensowenig in Erstaunen setzen wie daß ein Jesuit sich mit der Theologie befaßt. Die traditionelle Philosophie in den Vereinigten Staaten ist jedoch großenteils eine idealistische, und diese läßt sich mit dem von uns praktizierten Materialismus schwer auf einen Nenner bringen. Es hat immer die Neigung geherrscht, sich mit konkreten Gegenständen zu befassen, eine Neigung, die ungreifbaren Werte, etwa das Streben nach Erkenntnis, geringzuschätzen. So wird z. B. viel mehr Geld für Automobile und Haushaltsgeräte ausgegeben als für die Bildung und die Beseitigung der Geisteskrankheiten. Was nun die Kunst betrifft, so liegt uns mehr daran, sie kaufen zu können, als sie selber zu machen. Die Unvereinbarkeit zwischen unserer Theorie und unserer Praxis ist gewiß besser als ein konsequent praktizierter Materialismus, denn immerhin ist es den Idealisten noch gestattet, sich um den Beifall der 'Öffentlichkeit zu bemühen, und in Notzeiten haben uns unsere Ideale über uns selber hinauswachsen lassen.

Wir bedürfen einer Wiedergeburt nicht der Dinge, sondern der Werte. Die Verantwortung hierfür fällt nicht auf eine einzige Gruppe, etwa die der Pädagogen, sondern auf uns alle. Die Verkäufer von Sachen sind gelegentlich tüchtiger gewesen als die Verkäufer von Ideen. Die Geschäftswelt hat ihre Waren wirkungsvoller an den Mann gebracht als die Universitäten, die Freiberuflichen, also Ärzte oder Anwälte, und auch besser als der Staat, dem ja die Last auferlegt ist, jene notwendigen unteilbaren Dienste wie Rüstung, Aufrechterhaltung der Ordnung und Wohlfahrt zu leisten. Dies hat zur Folge, daß die Produzenten von materiellen Gütern wohlhabender geworden sind als jene, denen es zufällt, die Bedingungen zu schaffen, innerhalb derer die Wirtschaft sich abspielt. Wir sehen uns also dem Paradox gegenüber, einerseits geradezu erdrückend reich an Gütern zu sein, die wir auf rationellste Weise produzieren, wie Automobile oder elektrische Geräte, andererseits aber Mangel an jenen Diensten zu leiden, die nicht so einfach durch Massenproduktion, Automation, Massenabsatz und Reklame bereitzustellen sind, wie also Bildung, ärztliche Versorgung und öffentliche Grünanlagen. Wir haben mehr Chrom und Pferdekräfte als wir brauchen, und es fehlt uns an Bildung und geistiger Beweglichkeit; unsere Wohnungen sind sauber, unsere Straßen jedoch sind schmutzig; unsere Automobile sind Meisterwerke der Ingenieurkunst und äußerst luxuriös, unsere Städte dagegen überwuchern und verschandeln die Landschaft. Raoul Denny sagt: „Während der Ärmste in den Vereinigten Staaten, ganz gleich in welcher Stadt er lebt, den besten vorhandenen Außenbordmotor auf Abzahlung kaufen kann, kann der Reichste, wenn er in einer der tausend Kleinstädte lebt, um keinen Preis ein gutes örtliches Rundfunkprogramm hören oder einen wirklich gebildeten Sprachlehrer für seine Kinder finden

Die Tyrannei des Konformismus

Der Materialismus bringt noch eine weitere Gefahr mit sich. Die Verlagerung des Schwergewichtes auf die Produktion in einer Wirtschaft mit zunehmender Massenproduktion birgt die Gefahr in sich, daß die resultierende Standardisierung der Produkte zu einer Standardisierung des Denkens führt. Die Automation erhöht sowohl die Gesamtproduktion als auch den Ausstoß pro Arbeitsstunde um ein erhebliches und ermöglicht die Produktion neuer und besserer Güter, obgleich es durch Standardisierung sehr oft zu einem Verlust an Mannigfaltigkeit kommt. Man kann durch die Kombination einiger weniger genormter Arbeitsgänge eine Anzahl verschiedener Modelle erzeugen, doch sind die Endprodukte einander ziemlich ähnlich, wie man das bei den Automobilen beobachten kann.

Die Standardisierung der Produktion ist nicht etwa eine Folge einzig der Automation. Sie trat zuerst als Folge der Technik der Massenproduktion vor rund fünfzig Jahren auf. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob die Automation zu größerer Einförmigkeit führen wird oder nicht, wenn auch die enormen Kosten der Ausrüstung und der daraus resultierende Zwang zu kontinuierlicher Produktion nicht gerade Anlaß geben, eine Produktion von größerer Mannigfaltigkeit zu erwarten. Die

Werbewirtschaft wird zweifellos damit fortfahren, haarfeine Unterschiede zwischen den Erzeugnissen auf übertriebene Weise herauszustreichen, handele es sich nun um Kosmetika, schmerzstillende Tabletten oder Automobile. Man wird auch mit lauter Stimme die Überlegenheit gewisser Markenfabrikate verkünden, wo wissenschaftliche Untersuchung nicht den mindesten Unterschied ergibt, sei es bei Benzin, bei Zigaretten oder einer Unmasse anderer Waren. Gefährlicher als Standardisierung, Konformität und Bürokratie ist jedoch, daß wir diese Erscheinungen akzeptieren, mindestens aber uns mit ihnen abfinden. Wo der Wunsch nach Uniformität in einer vom relativ freien Unternehmertum bestimmten Wirtschaft auftaucht, da ist es auch sehr wahrscheinlich, daß er ausgenutzt wird. So wird denn das „beliebteste" oder „meistgekaufte''oder „führende" Erzeugnis ausschließlich dieser Eigenschaften wegen besungen. Nachdenklichere Menschen fangen an, diese Hervorhebung des Massengeschmacks bedenklich zu finden. Warum, so fragen sie, soll ich mich eigentlich so verhalten wie alle anderen?

Selbstverständlich gibt es viele Menschen, die sich anzupassen wünschen und Angst davor haben, sich abzuheben oder gar hervorzutun. Ein Resultat dieser Einstellung ist, daß die meisten Amerikaner mit zunehmender Freizeit dazu übergegangen sind, in ihrer Muße das Gleiche zu tun. Sie kaufen für ihre Erholung die gleichen Gegenstände, sie betrachten das gleiche Fernsehprogramm, sie bewegen sich in gleicher Weise außerhalb des Hauses und verbringen ihre Ferien am gleichen Ort.

Die Begrenzung echter Unterschiedlichkeit, welche die Technik der Massenproduktion und der Automation erzwingt, und der Wunsch des Verbrauchers nach der Sicherheit, die im Konformismus liegt, üben eine befördernde Wechselwirkung aufeinander aus. Dieses, zusammen mit der wachsenden Ausdehnung und Kompliziertheit der Wirtschaftsunternehmen, verwandelt unsere Gesellschaft von einer auf Eigentum basierenden Gesellschaft, die es gestattet, der Individualität Ausdruck zu geben, in eine aut Position in und Zugehörigkeit zu Organisationen basierende Gesellschaft, die auf Konformismus drängt. Wir verwandeln uns aus einer Gesellschaft, der Sachen gehören, in eine Gesellschaft, die Sachen gehört. Wir sehen uns mehl mehr, wie im neunzehnten Jahrhundert, einem ausschweifenden Individualismus gegenüber, der zur Ausbeutung führt, sondern einem ausschweifenden Konformismus, der den Menschen dazu treibt, die Schutzfarbe seiner Gruppe anzunehmen. Unter etlichen Büchern, sn denen verschiedene Aspekte dessen behandelt werden, was ein Zyniker „Kollektivismus in Amerika" nennen könnte, befinden sich Adolf Berles Power without Property und David Riesmans Die einsame Masse. Die „Sozialethik" des Organisationsmenschen gründet sich nach William H. Whyte auf drei Voraussetzungen: „ ...den Glauben an die Gruppe als an die Quelle der Schaffenskraft; den Glauben an Zugehörigkeit’ als an das wichtigste Bedürfnis des Einzelwesens; und den Glauben daran, daß man durch Anwendung wissenschaftlicher Methoden die Zugehörigkeit erreiche"

Zweifellos sind neben der Automation noch viele Mächte am Werk, die zu der organisatorischen Revolution geführt haben, doch scheint die Automation bisher den Hang zur Einförmigkeit der Erzeugnisse und zur Gleichförmigkeit der Meinungen verstärkt zu haben. Es wird jedoch immer deutlicher, daß diese Entwicklung nicht, wie man früher gedacht hat, unvermeidlich ist. Der Beweis, daß ein Wiedererstehen des Individualismus möglich ist, wenn wir nur wollen, gibt uns Hoffnung.

Im neunzehnten Jahrhundert glaubte die Naturwissenschaft ebenso wie die Wirtschaftswissenschaft, daß Raum, Zeit und das Universum absolute Größen seien und von einer umfassenden Theorie erklärt werden könnten.

Nach dieser Auffassung war das Universum meßbar und determinierbar, und die Vorgänge darin ereigneten sich mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes. Der Mensch war, so gesehen, nur das Rädchen in einer riesigen Maschine.

Der Marxismus geht, ebenso wie die klassische Wirtschaftslehre, auf diese Philosophie zurück, derzufolge die Welt äußeren Gesetzen unterliegt, denen sich kein Mensch entziehen kann.

So wurde sowohl in der konservativen wie in der radikalen Philosophie das Individuum entweder als ein hilflos in der Strömung treiben-16) der Strohhalm odei als eine auf einem ungeheuerlichen Schachbrett bewegte Figur nach Art der griechischen Tragödie gesehen. War die Bühne einmal aufgebaut, so begannen Ursache und Wirkung in ihrer blinden, unwiderstehlich folgerichtigen Art zu wirken.

Die moderne naturwissenschaftliche Philosophie glaubt mit Einstein, daß das Universum weder gänzlich meßbar noch determinierbar sei. An Stelle der Gewißheit, der Meßbarkeit und Unentrinnbarkeit der Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts sind Relativität, Wahrscheinlichkeit und Zufall getreten. Damit ist die Tür zur individuellen schöpferischen Handlung geöffnet. Die Situation ist sehr anders als im optimistischen neunzehnten Jahrhundert mit seinem Glauben an die Gewißheit von Ursache und Wirkung und den unaufhaltsamen Fortschritt. Doch auch die neue Philosophie kann uns Hoffnung bieten, wenn wir bereit sind, die Verantwortung für unsere Rettung selbst zu übernehmen. Arnold Toynbee schrieb einmal, der Niedergang einer Gesellschaft beginne, wenn sie anscheinend die Höhe ihrer Macht erreicht habe und die schöpferische Minderheit verliere. Falls die Gesellschaft überhaupt überleben wird, dann nur dank der Individuen, die bereit sind, die den Menschen gegebene Macht, die Welt zu verändern, in die Hand zu nehmen und umsichtigen Gebrauch von ihr zu machen.

Herausforderung der Zukunft

Die Durchbrechung der Zeit

Mark Twain ging mit achtzehn Jahren von zu Hause fort, weil er der Ansicht war, sein Vater sei zu weit hinter der Zeit, zurück. Er kehrte mit vierundzwanzig Jahren heim und sagte, er könne sich gar nicht darüber beruhigen, wieviel sein Vater innerhalb von sechs Jahren gelernt habe. Hatte man damals einen Vater, der dreißig Jahre hinter der Zeit zurück war, so war das nicht schlimm, weil die Zeit sich nicht schnell vorwärts bewegte. Wenn man heute auch nur dreißig Monate hinter der Zeit zurück bleibt, ist man bereits veraltet. Man brauchte zweihundertfünfzig Jahre dazu, vom kurzen Flitzbogen zum langen überzugehen, die Entwicklung von der Atombombe zur Wasserstoffbombe dauerte jedoch nur zehn Jahre. Wenn wir die kürzlich erfogten beschleunigten Veränderungen in der Technik einzuschät-zen versuchen, so denken viele von uns in bereits veralteten Kategorien. Die Queen Mary beispielsweise kann innerhalb von fünfzehn Tagen 1500 Passagiere von Europa nach den Vereinigten Staaten und zurück befördern, doch wie vielen Menschen ist klar, daß ein einziges Düsenflugzeug die gleiche Ladung in der gleichen Zeit befördern kann, indem es mit hundert Passagieren an Bord fünfzehnmal hin-und herfliegt? Ein Bomber vom Typ B 52 kostet mehr als sein Eigengewicht in Silber, doch ist der Wert des Dollars seit dem Zweiten Weltkrieg längst nicht so zusammengeschrumpft wie die Meile und die Minute.

Technischer Fortschritt hat bereits zur Durch-brechung der Schranke der Schwerkraft geführt, hat das erfolgreiche Eindringen in den Weltraum erlaubt und wird eines Tages die Erforschung anderer Welten ermöglichen. Was unsere eigene Welt angeht, so nähert sich die Technik rasch den geographischen Schranken. Der unerbittliche Vormarsch der Technik hat endlich die Barrieren des Raumes und der Zeit durchbrochen, die in der Vergangenheit die Zivilisation stets vor den verderblichsten Folgen ihres immer schneller werdenden Fort-schrittes bewahrt hatten. Auch in der Vergangenheit hat es große Umwälzungen gegeben, doch war immer genügend Zeit, eine psychische und kulturelle Anpassung an die Forderungen einer sich ändernden Welt vorzunehmen. Die physischen Grenzen der Welt sind nun jedoch bis zu den Rändern unserer winzigen Erdkugel hinausgeschoben worden, und wichtige Veränderungen beliebiger Art haben weltweite Konsequenzen.

Auch die Therapie der Zeit, die früher bekanntlich alles heilte, hat fast ihre ganze Wirkung verloren Große Erneuerungen, politische und gesellschaftliche Krisen treten jetzt so schnell in Erscheinung, daß die ehemals für die menschliche Anpassung zur Verfügung stehende Zeit stark geschrumpft ist. Die Ungewißheit und der Mangel an Stabilität haben so zugenommen, daß heutzutage die lächerlichsten Störungen das hochempfindliche internationale Gleichgewicht ins Schwanken bringen und beinahe augenblicklich einen weltweiten Aufruhr bewirken können. Schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges durfte man sagen, daß ein einziger Admiral der britischen Flotte an einem einzigen Nachmittag den Verlust des britischen Weltreiches herbeiführen könnte. Wieviel mehr trifft das auf unsere heutige Situation zu, wo Automation, Atomenergie, ferngelenkte Raketen und internationale Machtkämpfe von einer Minute zur anderen zahllose Umstürze bewirken können.

Die Gefahr einer versehentlichen Vernichtung durch Automatisierung W. M. Pickering, der Chef des Laboratoriums für Düsenantriebe an der Technischen Hochschule von Kalifornien, hat auf dramatische Weise die Rolle deutlich gemacht, welche die Automation in unserer höchst unstabilen und unsicheren Situation spielt:

„Heute sind wir im Begriff, in eine Ära der Kriegstechnik einzutreten, von der man sich noch vor zehn Jahren nicht die geringste Vorstellung hatte machen können ... In wenigen Jahren schon wird jede Stadt auf unserem Planeten unter der Drohung einer plötzlichen Vernichtung leben, in einem Zustand, in dem ihre Weiterexistenz von den Handlungen eines einzigen Menschen abhängt. Und dieser Mann ist nicht etwa der Staatschef der feindlichen Partei, sondern der Soldat auf einem abgelegenen Startplatz für interkontinentale Lenkwaffen. "

Das wenigste, was wir hoffen dürfen, ist, daß er nicht einer jener jungen Hitzköpfe ist. die gerne ein Feuergefecht an der Grenze entfesseln Doch mag er sein, wer er will, seine Entscheidung entscheidet über Leben oder Tod der Stadt, die das Ziel des von ihm bewachten Flugkörpers ist.

Da diese Situation immer mehr als unvermeidlich hingenommen wird, sind die Strategen des Militärs zu der Schlußfolgerung gelangt, man könne eine solche Bedrohung nur durch die Gegendrohung mit sofortiger totaler Vernichtung beantworten. Wenn es nach diesem Rezept geht, werden die Flugkörper des Gegners unterwegs entdeckt und die eigenen Vergeltungswaffen abgefeuert, ehe die feindlichen Raketen ihr Ziel erreicht haben.

So wird die Vernichtung des Feindes bewirkt, auch wenn die eigenen Abschußrampen nicht überleben An dieser Strategie wird sich grundsätzlich nichts ändern, auch dann nicht, wenn die Antiraketenrakete perfektioniert sein wird. Um nun in den Stand gesetzt zu sein, unverzüglich den Gegenschlag auszulösen, benötigen die militärischen Planer leistungsfähige Radaranlagen samt hochkomplizierten Elektronenrechnern, die entscheiden müssen, ob ein durch Radar ausgelöstes Signal verursacht ist von einem feindlichen Flugkörper, einem harmlosen Flugzeug oder einem Meteor aus dem Weltraum, und dazu noch ein kompliziertes Nachrichtensystem, durch das angeflogene Ziele gewarnt werden und der Vergeltungsschlag ausgelöst werden kann.

So sehen wir uns denn vor folgenden Aussichten: die Entscheidung, ein feindliches Land zu zerstören — und damit auch unser eigenes —, wird von einer Radaranlage, einer Telephonleitung oder einem Elektronenrechner getroffen. Man wird ohne Mitwirkung menschlicher Intelligenz zu dieser Entscheidung gelangen. Sollte ein menschlicher Beobachter rufen, man möge ihn die Berechnung nachprüfen lassen, dann kommt er bereits zu spät, seine Abschußrampe ist zerstört, und der Krieg ist verloren.

Das ist eine grauenerregende Aussicht. Nicht nur sind wir die Sklaven unserer Maschinen, sondern unser Leben hängt von der Genauigkeit und Verläßlichkeit eines Elektronenrechners irgendwo auf der Welt ab. Das Versagen einer Handvoll Röhren und Transistoren kann das Geschick unserer Zivilisation entscheiden.

Wir haben uns damit beruhigt, daß keine Nation, von wem auch immer sie regiert werde, einen gegenseitigen Vernichtungskrieg beginnen wird. Dies trifft vielleicht zu, doch werden es in einigen Jahren nicht mehr die Regierungen sein, welche die Wahl zu treffen haben. Den Regierungen wird nichts anderes übrig bleiben, als sich auf die Zuverlässigkeit elektronischer Ausrüstung und die Befähigung einiger weniger Techniker zu verlassen.

Falls es also unter solchen Umständen zu einer länger dauernden Periode internationaler Spannungen kommt, muß man fast unvermeidlich irgendwo mit einem Versagen der technischen Ausrüstung rechnen, und die gegenseitige Vernichtung kann nicht mehr verhindert werden

Etwa ein Sechstel der gesamten Produktion dient heute der Rüstung. Vielleicht kommt man eines Tages dahinter, daß eine Weiterentwicklung der Kriegstechnik unsinnig ist. Besitzen beide Parteien die technischen Mittel, einen totalen und praktisch augenblicklichen Untergang des Gegners herbeizuführen, dann kann Kriegsgerät nicht veralten. Waffen von höchster Wirksamkeit, wie sie die Großmächte jetzt besitzen, können nicht verbessert werden. Wer seinem Gegner die geladene Pistole auf die Brust setzt und sie gleichzeitig selbst von seinem Gegner auf die Brust gesetzt bekommt, kann nichts durch eine weitere Verbesserung der Pistolenfertigung gewinnen. In unzähligen Lebensbereichen lassen sich Verbesserungen vornehmen, doch sind wir wohl an die Grenzen der Zerstörungskraft gelangt.

Andererseits haben fast alle Rüstungsentwicklungen, wie etwa die Atomenergie und die Raumfahrt, friedliche Anwendungsmöglichkeiten. Man hat zahlreiche Techniken zunächst für den militärischen Gebrauch entwickelt, die sich dann als allgemein nützlich erwiesen haben. Die Automation selber ist ein Produkt der Perfektion elektronischer Rechenmaschinen, deren man während des Zweiten Weltkrieges für die Lösung technischer, logistischer und wirtschaftlicher Probleme bedurfte. Es ist also nicht alles verloren, wenn wir mit der Entwicklung der Rüstungstechnik fortfahren — nur dürfen wir sie eben nicht für ihren eigentlichen Zweck gebrauchen. Wenn es gelingt, wirkungsvolle internationale Kontrollen einzuführen und zu verhindern, daß die Welt so lebt, wie ehemals die Bewohner von Pompeji, dann wird eine Zivilisation vorstellbar, die ebenso kultiviert ist, wie uns die jetzige, von Krisen geplagte grauenerregend erscheint. Falls das mißlingt, wird die irgendwann einmal eintretende Katastrophe auf unausweichlichen Wahrscheinlichkeiten basieren.

Konsequenzen der Technik

Gelingt es uns, den Krieg zu vermeiden, dann wird die künftige Weltwirtschaft eine der größeren Maßstäbe und der noch intimer verflochtenen Organisationen sein. Die Automation erfordert, wie ihre Vorgänger, die Mechanisierung und die Massenproduktion, größere Werksanlagen und umfangreichere Unternehmen, sie bedarf immer größerer Mengen an Rohstoffen und braucht, um ihren Segen austeilen zu können, wachsende Märkte-Die Technik übersteigt überall geographische und politische Grenzen. Die meisten der mehr als hundert Staaten unserer Welt sind zu klein, um in den vollen Genuß der Automation zu gelangen. Da diese unerfreuliche wirtschaftliche Tatsache begriffen worden ist, und ebenfalls aus dringlichen politischen Gründen, werden internationale Wirtschaftsabkommen getroffen und Organisationen gebildet. Die Enwicklung atomarer Waffen, die eine starke internationale Organisation notwendig macht, falls wir der Vernichtung entgehen wollen, hat es endlich an den Tag gebracht, daß alle Nationen und Wirtschaftsgruppen aufeinander angewiesen sind Die neuen internationalen Organisationen, die im Begriff sind, sich zu bilden, müssen sich beeilen. Alles, was dazu beiträgt, persönliche, wirtschaftliche, berufliche und kulturelle Beziehungen zwischen den Nationen zu erweitern, trägt auch zur Verringerung der Gefahr bei, daß ein törichter, gedankenloser Fehlgriff oder ein mechanisches Versagen das Ende unserer Welt herbeiführen wird. Unglücklicherweise dauert es lange, bis sich die Lebens-gewohnheiten den neuen Tatsachen angepaßt haben. Der Mensch kann seine Umgebung viel schneller verändern, als er sich selbst ändern kann, um mit diesen Veränderungen fertig zu werden. Die neugebildeten übernationalen Organisationen müssen eine durch Jahrhunderte der Tradition verursachte Trägheit überwinden. Das ist der Grund, warum die gesellschaftliche Entwicklung im Vergleich zur Blitzgeschwindigkeit des technischen Fortschritts sich nicht schneller zu bewegen scheint als ein Gletscher.

Die Wahrscheinlichkeit größerer wirtschaftlicher Konzentration und engerer Interdependenz erweckt die Befürchtung, die Automation führe zu einer weiteren Konzentration der politischen Macht. In dieser Richtung betätigen sich aber viel mächtigere Faktoren als die Automation. Gewiß werden bestimmte Formen staatlicher Bevormundung zunehmen, andere werden abnehmen. Das Anwachsen der Bevölkerung und die Interdependenz werden auch ein Anwachsen der Kontrollsysteme für den Straßenverkehr, für den Wohnungsbau, für sanitäre Einrichtungen usw. erforderlich machen, was nichts mit Automation zu tun hat.

Im Jahr 1800 betrug die Weltbevölkerung eine Milliarde. 1900 waren es 1, 5 Milliarden, und heute sind es 2, 5 Milliarden. Hält der augenblickliche Geburtenzuwachs an, so wird die Welt im Jahr 2000 fünf Milliarden Bewohner haben. Es hat vom Anbeginn der Zeiten bis zum Jahr 1830 gedauert, bis die erste Milliarde erreicht war. Um die zweite Milliarde zu erreichen, brauchte man nur noch weitere hundert Jahre. Wenn der augenblickliche Trend anhält, wird die dritte Milliarde nach weiteren fünfunddreißig Jahren, gegen 1965, erreicht sein. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird es fünfzehn Jahre dauern, bis die vierte Milliarde erreicht ist, und weitere zehn Jahre bis zur fünften Milliarde.

Asien, das nur über ein Fünftel des gesamten Festlandes verfügt, weist die Hälfte der Erdbevölkerung auf, und seine Bevölkerung wächst am schnellsten. Obwohl der größte Teil des Bevölkerungszuwachses in den asiatischen und afrikanischen Ländern zu verzeichnen ist, wird unsere eigene Verwaltung sich ebenfalls ausdehnen müssen, weil die wachsende Technisierung den Umfang aller wirtschaftlichen Organisationen und den Bedarf nach Sozialeinrichtungen wachsen läßt. Die wachsende Größe und die damit einhergehende Zunahme der Bürokratie in der Verwaltung und im Wirtschaftsleben sind weniger auf den persönlichen Ehrgeiz der Führungskräfte zurückzuführen, als vielmehr auf das Anwachsen der Bevölkerung und der Technik, die solche Organisationen notwendig macht.

In den dreißiger Jahren sahen wir in unserem Lande den Kampf zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen. Heute hat dieser gleiche Kampf weltweites Ausmaß angenommen, und die meisten von uns gehören zu den Besitzenden, während die Mehrzahl der übrigen Besitzlose sind. In den dreißiger Jahren verblüffte uns die Haltung der Armen, denen wir zu helfen suchten Sie schienen diese Hilfe nicht zu schätzen. Vielleicht ist das so, weil die Armen, wenn die Reichen geben, um den Armen zu helfen, sei es freiwillig, sei es durch erzwungene Umschichtung der Einkommensverhältnisse, nicht sehen, wie sehr sich ihre Lage verbessert hat, sondern eher erkennen, was ihnen bis dahin entgangen ist. Statt, was sie haben, mit dem zu vergleichen, was sie vorher hatten, vergleichen sie es mit dem, was sie für erreich-bar halten. So stillt Hilfe weniger den Hunger, als daß sie den Appetit anregt. Heute setzt uns aus den gleichen Gründen die Haltung der Bevölkerung von Entwicklungsgebieten in Erstaunen, denen wir zu helfen versuchen.

Um unsere Nation vor der wirtschaftlichen Auslöschung in den dreißiger Jahren zu bewahren, gaben wir den Individualismus auf, um zu erreichen, was nur der Gruppe möglich war. Heute haben diese Gruppen innerhalb der Nation (Wirtschaftsorganisationen, Gewerkschaften, Zusammenschlüsse des Gewerbes und der freien Berufe) ihre ursprünglichen Ziele großenteils erreicht. Der Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen ist nun zwar intern gemildert, hat dafür aber internationalen Umfang angenommen. Innerstaatliche Wirtschaftsgruppen haben sich bereits mit zunehmender staatlicher Kontrolle im Interesse nationaler Ziele abfinden müssen. Der nächste Schritt wird sein, daß ganze Nationen Teile ihrer Souveränität aufgeben müssen, wenn sie ihre Ziele und das Ziel der Erhaltung des Weltfriedens erreichen wollen.

Daraus folgt nicht unbedingt, daß mit dem Anwachsen der Role des Staates die Demokratie abnehmen muß. Die Griechen erwarteten von der repräsentativen Regierung nur, daß sie sich in kleinen Stadtstaaten bewähre. Allein schon in dem bei uns herrschenden System hygienischer Vorschriften hätten unsere Vorväter die vollständige Diktatur erblickt. Die durch bestimmte Situationen verursachten Bedingungen werden immer wieder mit den grundlegenden Prinzipien der Demokratie verwechselt. Eine Zentralisierung der demokratischen Verantwortung muß nicht unbedingt eine Verletzung der Grundrechte des Menschen bedeuten. Nicht jede Verordnung vermindert die menschliche Freiheit. Trotz aller Kontrolle durch Maschinen, durch Arbeitgeber, durch die Behörden und durch die Zivilisation selber, ist der Mensch heute freier, als er es im Mittelalter war. Und trotz aller staatlichen Bürokratie sind Arbeitnehmer und sogar die Geschäftsleute heute freier als in den dreißiger Jahren, als die Betätigungsmöglichkeiten durch die Depression so drastisch eingeschränkt waren.

Wir vertreten die These, der Arbeitnehmer müsse durch staatliche Maßnahmen vor den größten persönlichen Härten geschützt werden, die durch ökonomische Verdrängung, bedingt durch Automation, auftreten, und daß es Pflicht der Regierung ist, Produktion und Beschäftigtenstand in hohem Maße zu garantieren. Viele werden darauf entgegnen, solche Maßnahmen müßten unsere kostbaren Freiheiten vernichten. Dieser Einwand stützt sich mehr auf Worte als auf die Realität. Abraham Lincoln hat einmal gesagt, daß Freiheit nur selten das gleiche für einen Wolf bedeutet wie für ein Schaf. Baut man einen Zaun zum Schutz der Schafe, so stimmen die Wölfe ein Geheul an und behaupten, die Schafe hätten ihre Freiheit eingebüßt. Selbstverständlich begrenzen öffentliche Programme und kollektive Lohnverhandlungen gewisse Arten der Freiheit, doch schützen oder schaffen sie andere Arten von Freiheiten, die wichtiger sein können. Arbeitslosigkeit und das Gefühl der Unsicherheit können die Freiheit nachhaltiger zerstören als Gesetze und Verordnungen. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes setzt das Vorhandensein freier Arbeitsplätze voraus. Die Freiheit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nach Glück zu streben und sich der Segnungen der Demokratie innerhalb einer hochindustrialisierten Wirtschaft zu erfreuen, setzen Vollbeschäftigung und, bis zu einem gewissen Grade, für den einzelnen die Garantie des Arbeitsplatzes voraus. Einzig Stabilität und Prosperität garantieren dafür, daß jedermann die ökonomische Freiheit genießt, die die Grundlage der politischen Demokratie sein muß. Die Automation kann die Prosperität ermöglichen, macht aber zugleich die Stabilität unabdingbar.

Unser Zeitalter ist ein Zeitalter der Sicherheit im kleinen und der Unsicherheit im großen. Wir sind mehr als je zuvor gegen Unfälle, gegen Invalidität und gegen Arbeitslosigkeit versichert, doch die Welt als Ganzes droht in die Luft gesprengt zu werden. Dieser Sachverhalt hat unsere Ansichten in vieler Hinsicht verändert. So hieß es kürzlich, eine Regierungsstelle habe eine Studie der Umstände in Auftrag gegeben, unter denen die Vereinigten Staaten möglicherweise kapitulieren müßten. Der Präsident und achtundachtzig Senatoren erklärten die Anstellung einer solchen Studie unverzüglich und mit Nachdruck für undenkbar. Vor einigen Jahren noch hätte ein solches Unternehmen Gelächter hervorgerufen, heute ruft es maßlosen Zorn hervor. Es wäre inter-essant zu wissen, welche Ängste sich hinter einem solchen Ausbruch verbergen.

Abschließend wäre zu sagen, daß die Automation, wie jede große technische Neuerung, Probleme nicht nur löst, sondern auch schafft. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme, die aus unseren großen technischen Entwicklungen entstehen, dürften schwierig und verwickelt sein. Wir selbst sind ein Teil dieser Probleme. Diese Probleme haben wir selber heraufbeschworen. Sollen diese Probleme eine Lösung finden, so müssen wir in der eigenen Brust danach suchen. Wir, als Individuen, werden viele persönliche Anpassungen an die Verhältnisse unserer Zeit vorzunehmen haben. Insbesondere werden wir uns mit Veränderungen abfinden müssen, ja, wir werden sie herbeiführen müssen, wenn wir überleben wollen. Selbstverständlich brauchen wir nicht jede Veränderung hinzunehmen, bloß weil sie eine Veränderung ist. Veränderungen müssen mit logischer Überlegung und Weitblick gepaart sein. Zwar mag die Zeit unser rarstes Hilfsmittel sein, doch der Sinn für die Richtung ist wichtiger als die Geschwindigkeit, mit der wir Veränderungen hinnehmen. Die Zukunft wird gewiß ein Fortschreiten von Wissenschaft und Technik bringen, das größere

Verstädterung, größere Konzentration von Menschen und Industrien und größere weltweite Interdependenz bedeuten wird. Das wird ein ganzes Bündel von Problemen heraufbeschwören in bezug auf Wohnungsbau und Schulen, öffentliche Dienste, Bekämpfung von Verbrechen und Geisteskrankheiten, Wahrung der Rechte der Minderheiten und der Rechte der Großstadtbewohner ebenso, wie die Notwendigkeit, den Entwicklungsländern bei der Bewältigung der dringlichsten Aufgaben zu helfen. Allgemein gesprochen müssen wir lernen, nicht nur mit allen unseren Nachbarn im Gemeinwesen, sondern auf der ganzen Welt in Frieden zusammenzuleben. Der Haß des Fremden basiert auf Angst, und Angst basiert auf mangelndem Verständnis. Und doch werden wii alle mehr und mehr voneinander abhängig mit dem Fortschreiten der Automation.

Wir müssen eine neue Welt bauen, eine Welt, deren gesamtes Denken sich ändern muß, um dieser mächtigen Herausforderung gewachsen zu sein, eine Welt aber auch, deren überkommene moralische Werte nicht angetastet werden dürfen, wenn wir für uns selbst und unsere Kinder eine lebenswerte Existenz schaffen wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Aldous Huxley, Brave New World Revisited, Harper, New York 1958.

  2. Harper's Magazine, April 1955, S. 47.

  3. Francis Bello, " The War of Computers", in: Fortune, Oktober 1959

  4. W. N. Locke, “ Translation by Machine", in: The Sclentific American, Januar 1956.

  5. Norbert Wiener, The Human Use of Human Beings, New York 1954, S. 48 bis 73; deutsche Ausgabe Mensch und Menschmaschine, Alfred Metzner Verlag. Frankfurt a. M. 1952.

  6. S. Moos, " The Scope of Automation”, in: Economic Journal, Mär? 1957. S 32

  7. John Diebold, „Automation: Its Impact on Business and Labor“, National Planning Association, Washington, D. C. 1959, S 4/5.

  8. Jacobson und Roucek (Hrsg.), Automation and Society, Philosopbical Library, New York 1959, S. 311. Die folgenden Absätze beruhen teilweise auf Diebolds Artikel in dem zitierten Band.

  9. Jacobson und Roucek. a. a. O., S. 314.

  10. Zitiert in; Robert Bendiner, " Could You Stand a Four Day Week?", in: Reporter, 8. August 1957, S. 11 Viele der in diesem Abschnitt angeführten Tatsachen stützen sich auf diesen Artikel.

  11. The Reporter, 8. August 1957, S. 12.

  12. Jacobson und Roucek (Hrsg.), Automation and Leisure, Philosophical Library, New York 1959, S 300 f.

  13. " The Leisure Society“, in: Harvard Business Review, Mai-Juni 1959, S. 49.

  14. William H. Whyte, The Organization Man, New York 1956; deutsche Ausgabe: Herr und Opfer der Organisation, Econ Verlag, Düsseldorf 1958, S. 13.

  15. “ Machine’s Mistake May Doom World”, New York Herald Tribune, 22. Januar 1958, zitiert in: Computers and Automation, März 1958, S. 14.

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Walter Buckingham, Ph. D., Professor of Economics, Direktor der School of Industrial Management am Georgia Institute of Technology, geb. 2. Dezember 1924 in Vero Beach, Florida, ist einer der führenden Sachverständigen für Automationsfragen. In dieser Eigenschaft wird er häufig vom amerikanischen Senat und vom Repräsentantenhaus für gutachtliche Stellungnahmen hinzugezogen. 1961 war er Leiter des Unterausschusses des Repräsentantenhauses, der die Zusammenhänge zwischen Automation und Arbeitslosigkeit untersuchen sollte. Er entwarf das Gesetz zur Umschulung und Fortbildung von Arbeitskräften. das aus der Arbeit dieses Ausschusses entstanden ist.