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Ulbricht — Eine politische Biographie | APuZ 23/1964 | bpb.de

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APuZ 23/1964 Ulbricht — Eine politische Biographie Artikel 1

Ulbricht — Eine politische Biographie

Carola Stern

In den ersten beiden Kapiteln ihrer Ulbricht-Biographie schildert die Autorin ‘die Kindheit und Jugend des heutigen Staatsratsvorsitzenden, die politische Betätigung des jungen Tischlers in der Sozialistischen Arbeiterjugend und in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, seinen Bruch mit der SPD und seine Tätigkeit als KPD-Funktionär während der Weimarer Republik in Thüringen, Berlin und Moskau. Das zweite Kaptiel schließt mit einem Essay über den Typ des Apparatschiks, mit dem der Vorabdruck beginnt.

Beschreibung eines Typus: der Apparatschik

Als Walter Ulbricht am Ende der Weimarer Republik den ersten Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, als ihm der Aufstieg in die Führung gelungen war, verkörperte er in erstaunlicher Vollkommenheit einen Gruppen-typus. Sein Werdegang, Technik und Methoden seines Aufstiegs in der KP-Funktionärs-hierarchie, wiesen ihn als ein Musterexemplar des Apparatschiks aus. Was kennzeichnet den Apparatschik? Wie unterscheidet er sich von anderen Funktionärstypen? Unter welchen Voraussetzungen gelangt er zu Einfluß? Schon zu Beginn seiner Funktionärslaufbahn vermag der junge Leipziger Kommunist nicht zu gewinnen — nicht für sich und deshalb auch nicht für seine Sache. Ihm fehlen Verbindlichkeit, Charme, Liebenswürdigkeit, Dämonie, rhetorische Talente, Originalität und Brillanz, Bildung, Phantasie und die mitreißende Vitalität des leidenschaftlichen Revolutionärs. Ihm fehlt Format. Volkstribun kann er nicht werden; es fehlt ihm die Gabe, die Massen zu begeistern Er gehört nicht zu denen, die kommen, sehen, siegen. So fängt er ganz unten an und dient sich langsam hoch, lernt von der Pike auf das Handwerk des Apparatschiks: Organisation. Hier zeigt er Talent und wird ein brauchbarer KP-Organisator. Ist das ein Synonym für Apparatschik? Nein; die kommunistische Partei braucht und erzeugt zwei einander entgegengesetzte Typen des Organisators, den Revolutionär und den Bürokraten. Ohne die bis an den Rand des Phantastischen gesteigerte und dort noch ständig aus-und eingeübte Verbindung von schöpferischer Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepen-heuer & Witsch, Köln, werden in dieser Ausgabe Teile aus dem in Kürze erscheinenden gleichnamigen Buch vorabgedruckt.

Organisation und Improvisation gelingt schon lange keine Revolution mehr. Der russische Oktober, der Aufbau der Roten Armee inmitten der Revolutionswirren sind nicht denkbar ohne Leo Trotzki, den Meister revolutionärer Organisation und Improvisation. In solchen Zeiten der organisierten Unordnung und Regellosigkeit wird der ganz unschöpferische Bürokrat noch nicht gebraucht. An irgendeiner Stelle spielt er eine Statistenrolle. Ordnungshüter wirken lächerlich in Revolutionen. Und der Bürokrat, auch der kommunistische, ist ein Ordnungshüter.

Aber auf die Revolution muß die Ordnung folgen, und mit ihr kommt die Zeit des Bürokraten. Sie kam in Rußland, als nach dem Sieg der Revolution und nach dem Bürgerkrieg ein neuer Staat aufzubauen war, der die Revolutionäre von der Straße an die Schreibtische rief. Sie kam in Deutschland, als nach zahlreichen mißglückten Aufstandsversuchen der geordnete Rückzug anzutreten war. Dort mußte neue Macht verwaltet werden, hier eine trotz allen Muts entmutigte Gruppe von Revolutionären. Aber im Alltag nach der verlorenen, ja sogar nach der siegreichen Schlacht zerfällt nur zu bald die im Frontalangriff unerläßliche Einheit jeder Phalanx. Auch die Ideologie-Automaten der Kommunisten speien keine gebrauchsfertigen Ordnungen und Anordnungen aus; auch ihre Lehre ist nach vielen Seiten auslegbar. Sie liefert verschiedene Antworten auf die Frage nach dem richtigen Aufbauprogramm oder nach den Gründen der Niederlage.

Außerdem: Nach Sieg und Niederlage sind jeweils neue Posten zu besetzen. So ist der Boden für heftige Fraktionskämpfe bereitet, in denen schließlich auch noch brachgelegte Revoluzzer Ersatz für Aufruhr suchen. Von nun an sichert der Bürokrat die Kontinuität der Bewegung, weil er sich allen anderen Typen des Funktionärs auf trächtige und niederträchtige Weise überlegen erweist.

So hatten auch in der deutschen KP in den ersten Jahren nach der Novemberrevolution Tausende von aufrührerischem Charakter bestimmte Revoluzzer ihre Heimat gefunden und drängten auf Was-los-Zeiten, auf Aktion um der Aktion willen. Brauchbar für die kommunistische Partei sind sie nur als Landsknechte in der Revolution und als Schläger in Straßenschlachten. In Zeiten det Illegalität und des jahrelangen Wartens auf die neue Chance bilden sie durch Disziplinlosigkeit nur eine Gefahr und Belastung. Ihrem Wesen nach sind sie kontinuitätsfeindlich.

Hauptsächlich aus zwei Gründen konnte jedoch auch der Gegenspieler des Rabauken, der von der Lehre überzeugte gläubige Kommunist — ganz gleich, welchen Formats —, in den ersten dreizehn Jahren der KPD-Geschichte Kontinuität nicht sichern.

Erstens: Seinem Eintritt in die KPD war häufig eine selbständige Entscheidung, der Bruch mit der Sozialdemokratie, vorausgegangen. Dort hatte er gelernt, seine Meinung zu sagen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Waren die Kommunisten die echten Marxisten und Revolutionäre, wieviel größer noch war für ihn die Verpflichtung, nach bestem Wissen und Gewissen marxistisch-revolutionär zu denken, zu sagen und zu tun, was er als Kommunist für richtig hielt.

Selbstbefragung, eigene kommunistische Ge-wissensentscheidung, selbständiges Denken im Rahmen der Doktrin mußten jedoch unweigerlich in eine der unzähligen Fraktionen führen und konsequenterweise zu dem Versuch, andere Fraktionen mit „falschen" oder „irregeleiteten" Kommunisten von der Macht fernzuhalten oder wegzudrängen Woraus folgt: Jede Partei, die nicht verschiedenen Auffassungen und Interessengruppen Spielraum gewährt. sondern auf eine totalitäre Ideologie fixiert ist, muß sich vor einer Überzahl überzeugter und damit unbequemer, einheitzersto-render Anhänger hüten; diese Selbsterhaltung gebietet ihr, den Opportunisten in ihre Reihen zu ziehen Zweitens: Eine große Anzahl dieser überzeugten und gerade darum in Fraktionen aufgesplitterten deutschen Kommunisten sah zwar in der Sowjetunion das Land der Verheißung, den ersten sozialistischen Staat; sie sah aber auch die situationsund traditionsbedingten Unterschiede zwischen der sowjetischen und der deutschen KP. Sie hielt deshalb eine unkritische Übernahme sowjetischer Parteipraktiken für falsch und eine Unterordnung der KPD-Politik unter sowjetische Staatsinteressen für Verrat an den Prinzipien des „proletarischen Internationalismus". Als die Komintern immer mehr zu einem Machtinstrument Moskaus und schließlich Stalins wurde, zum Schiedsrichter in deutschen Fraktionskämpfen und zur bestimmenden Instanz für die KPD-Politik, meldeten deutsche Kommunisten verschiedener Fraktionen zwar Widerstand an (von vornherein zersplittert und darum ergebnislos), unterlagen jedoch zum Teil genauso wie die verschiedenen Gegner Stalins innerhalb der KPdSU der Versuchung, sich vorübergehend mit dem Mächtigen in Moskau zu verbinden, um andere Fraktionen, die in jahrelangen Auseinandersetzungen um die Linie zu Feindgruppen deklariert worden waren, zu verdrängen. Danach wurden sie selbst verdrängt. Fast Jahr für Jahr wurde der geschwächte Körper der KPD von einer neuen Krankheit befallen. Immer häufiger verseuchte der Bazillus „Abweichung" ganze Bezirke und gestern noch gesunde Glieder. Wenigstens über die Therapie waren sich die jeweils bestellten Ärzte einig: radikale Desinfektion durch Verjagung oder Isolierung aller Bazillenträger. Noch Gesunde, aber vielleicht morgen schon Kranke, wieder Genesene, aber vielleicht morgen schon Rückfällige, nahmen immer nur eine Zeitlang die Plätze der Verseuchten ein. Allein der Bürokrat erwies sich immun gegen die gefährlichste Krankheit der Kommunisten, gegen die Abweichung. Aber diese Immunität und die daraus erwachsende Stärke mit landläufigem Opportunismus erklären zu wollen, wäre zu einfach Der uns aus autoritären, totalitären und demokratischen Systemen, aus Geschichte und Gegenwart vertraute klassische Opportunist siedelt sich im Dunstkreis der Regierungen an. Hier bringt er seine Schafe ins Trockne, hier will er partizipieren, möglichst risikolos Gewinne einstreichen oder — im totalitären Staat — wenigstens relativ ungefährlich leben Was hatte ihm die KPD der Weimarer Republik schon zu bieten? Hier wurden von jedem, der sich auf das Wagnis der Mitgliedschaft einließ, erst einmal Opfer verlangt. Hier drohten Entlassung vom Arbeitsplatz und Gefängnis Wäre Ulbricht ein Opportunist im althergebrachten Sinne, er wäre vor 1918 nicht Sozial-demokrat und nach 1918 nicht Kommunist geworden. Sein Parteieintritt und sein Partei-wechsel beruhten auf Überzeugung. Auch als KP-Apparatschik wurde er kein nihilistischer Zyniker, sondern bewies in dieser dafür wie geschaffenen Funktion, daß Überzeugung und Opportunismus sich nicht ausschließen müssen, sondern einander bedingen können.

Der Apparatschik folgt den Gesetzen des Apparates. Hier, im Apparat, ist nicht das Feld der weitplanenden Politiker, hier werden nicht Programme und „Generallinien“ entworfen, hier wird Kleinarbeit geleistet, hier wird durchgeführt. Der Apparatschik ist ein Durch-führer. Ihm kommt es weniger darauf an, welche Richtung sich im Machtkampf der Fraktionen durchsetzt — das mögen andere besser entscheiden können als er —; ihm kommt es vor allem darauf an, daß sich überhaupt eine Richtung durchsetzt, daß eine Ordnung hergestellt wird, die er verwalten kann. Nicht zu wissen, an wen er sich zu halten hat, ist dem Apparatschik ein Greuel. Fraktionskämpte mit wechselndem Ausgang, ständige Führungskrisen sind ihm zuwider. In solchen Zeiten ständiger Unsicherheit kann er nichts weiter tun, als den technischen Apparat einigermaßen in Ordnung zu halten. Ihm fehlen verbindliche Richtlinien, ohne die er nicht organisieren kann. Aber unter straffer, fest im Sattel sitzender Führung kann auch straff verwaltet, ordentlich organisiert und perfekt durchgeführt werden.

Solange der Machtkampf tobt, bewahrt sich der Bürokrat jene Unabhängigkeit, die ihm seine Stellung gestattet. Er braucht sich von allen Funktionärstypen am wenigsten festzulegen. Er führt die Akten weiter. Sowie der Machtkampf entschieden ist, stellt er sich dem Sieger zur Verfügung, nicht mehr danach fragend, ob dieser einmal ein Abweichler war, wohl wissend, daß dieser ihn brauchen wird. Der Apparatschik ist ein Fachmann, ein „Nur-Fachmann", der bei klaren Machtverhältnissen seine Fähigkeiten am besten entfalten kann und der in seiner Partei dem am besten dient, der seine Dienste am nötigsten braucht und am besten zu schätzen weiß. Den Vorwurf des Opportunismus würde er, ähnlich wie ein unter mehreren Systemen gedienter Beamter, weit von sich weisen. Ihm gehe es um die Sache, würde er sagen. Aber was ist „die Sache"? Der Apparat? Die Partei? Der Kommunismus? Für den Apparatschik sind dies identische Begriffe Keine der zahlreichen KPD-Fraktionen, deren Mitglieder zu gegebener Zeit als Abweichler klassifiziert wurden, hat Ulbricht zu ihren verläßlichen Anhängern zählen können. Ruth Fischer sagte von ihm: „Wenn er sich bei den Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen für die eine oder andere entschied, dann immer mit einem Vorbehalt, der ihm später alle Möglichkeiten offenließ. Brandler? Ja! Aber da und dort zu rechts. Fischer? Ja! Aber da und dort zu links."

Anfänglich, in den ersten Jahren nach Gründung der KPD, mag Unsicherheit dabei im Spiel gewesen sein. Im Tohuwabohu der Meinungen fühlte sich Ulbricht überfordert, gab für sich selbst vielleicht erst diesem, dann wieder jenem recht. Aber während andere mit Genossen „um die richtige Linie kämpften", brachte er den Thüringer Bezirk „in Ordnung" und „organisierte ihn durch". „Ideologisches Geschwätz" lag ihm nicht. Seine Standardlormel, die er immer häufiger benutzte, lautete: „Heute steht die Frage." Er „stellte die Frage konkret". Spätestens 1924, als er zum erstenmal den Moskauer Komintern-

Apparat kennenlernte, muß ihm klargeworden sein, daß er ein Mann des Apparates werden wollte und werden würde, muß auch die Interessengleichheit der sowjetischen apparatschiki und Ulbrichts sich ergeben haben. Sie, die Sowjets, konnten einen Mann wie ihn gebrauchen; er, Ulbricht, fand hier alles, was er suchte: Tätigkeiten, die ihm auf den Leib geschrieben waren, Aufgaben, in denen auch noch seine Mängel — Trockenheit, Kontakt-armut, Phantasielosigkeit — als Vorzüge wirkten; eine Hierarchie, in der die Linie von anderen bestimmt wurde, aber die Durchführer hohes Ansehen genossen. War es verwunderlich, daß er sich alsbald für Moskau und, als dort der Machtkampf entschieden war, für Stalin entschied? Hier „stand" bereits ein Apparat, in dem sich Bürokraten zu Apparatschiks mausern konnten. Hier lag, das witterte er mit dem Gespür des sich freiwillig in die Abhängigkeit begebenden und nach einer stabilen Größe suchenden Bürokraten, das Zentrum der Macht. Als überzeugtem Internationalisten waren ihm patriotische Gefühle fremd.

Die Entscheidung für Moskau machte ihn auch vollends unabhängig von deutschen Fraktionskämpfen. Eine ihm einleuchtende und genehme Alternative gegen Moskau hatte keine der deutschen Gruppen zu bieten. Andererseits stellte die Unterwerfung der KPD unter den Willen des Zentrums zumindest zwei Vorteile in Aussicht: eindeutige Orientierung durch geklärte Machtverhältnisse sowie Prestigeerhöhung und Aufstiegschancen für Appa-B ratschiks. Die Moskauer Zentrale würde bestimmen, wer als Abweichler zu bekämpfen war, und dem Fraktionswesen ein Ende setzen Und die Moskauer Zentrale würde in der deutschen Sektion nicht eigenwillige Köpfe, sondern disziplinierte Durchführer brauchen. Ulbricht sah seine Chance und ergriff sie.

Konsequent vertrat er in der KPD der -Wei marer Republik die jeweiligen Interessen Moskaus. Konsequent trug er das Seine zur Ausschaltung der Andersdenkenden bei. Auch als er nicht mehr Betriebsgruppen organisierte, sondern den wichtigsten Bezirk der KPD, die Berliner Parteiorganisation, leitete und sein Name bei Reichstagswahlen an vierter Stelle der KP-Liste stand, blieb er ein Durchführer.

Seine Kollegen in der KPD-Zentrale liebten ihn nicht sonderlich. Thälmann, der bramarbasierende Volkstribun, nannte ihn „den Ulanen von Leipzig" und einen unverbesserlichen Bürokraten. Aber der Bürokrat hatte sich unersetzlich gemacht. Wie kein anderer kannte er den Apparat und handhabte ihn. Und während sich die Schultes, Schuberts, Schehrs, Florins als Politiker gebärdeten und um die Nachfolge „Teddys" in den Haaren lagen, muß der nüchterne Ulbricht nur Verachtung empfunden und sich besorgt gefragt haben, wie mit solchen, zu keiner systematischen Arbeit fähigen Männern ein bolschewistischer Staat organisiert werden könne. Hitler und Stalin befreiten ihn von dieser Sorge.

Illegalität

„Wenn es in diesem Hause nicht zulässig ist, eine Person wie den Herrn Goebbels so zu charakterisieren, wie es sich gehört, werden wir das woanders tun, und nicht nur mit Worten, sondern ... daß [den Nationalsozialisten] Hören und Sehen vergeht. ”

Beifall ganz links. Im Deutschen Reichstag hatte Walter Ulbricht, Bezirkssekretär der KPD in Berlin, gesprochen.

„Wir werden den Herren im Karl-Liebknecht-Haus alsbald Töne beibringen, die sie noch niemals vernommen haben."

Beifall ganz rechts. In der deutschen Reichshauptstadt hatte Joseph Goebbels, Gauleiter der NSDAP in Berlin, gesprochen.

Doch nicht den Nationalsozialisten — den Kommunisten verging das Hören und Sehen. Während aus dem Holz der Abgeordneten-sitze, der Balustraden und Rednerpulte des Deutschen Reichstages in der Nacht des 27. Februar 1933 die Flammen in den Himmel schlugen und die Führer der KPD nichts-ahnend in einem Schanklokal Wahlstrategie betrieben, machten die Nazis die Drohung wahr Sie waren die Sieger geblieben.

Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes wurden Tausende von Kommunisten, darunter

Parteiführer und zahlreiche Abgeordnete, verhaftet. Ihre Partei wurde verboten. Die nahezu fünf Millionen kommunistischer Wählerstimmen bei den Reichstagswahlen am 5 März — durch eine Regierungsverordnung sofort für ungültig erklärt — konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Koloß Partei auseinandergerissen war in Hunderte von Gruppen und Grüppchen ohne Verbindung und ohne Führung, in viele tausend benommene, kopflose, aufbegehrende oder resignierende Einzelne. Was nun? Die Parteibüros waren versiegelt, die Schalmeien der Roten Frontkämpfer verklungen, das Heilgeschrei anderer Verblendeter verschlug den Kommunisten den Atem. Die wehrlosen und wie betäubten Männer, die sich jahrelang darauf vorbereitet hatten, eines Tages selber „abzurechnen", konnten noch nicht fassen, daß sie die Unterlegenen sein sollten. In Zuchthäusern und den ersten Konzentrationslagern, in denen sie gefangen-gehalten wurden, in illegalen Quartieren, in dunklen Hinterzimmern, in Schuppen und Gartenlauben, auf Dachboden und in Wäldern, wo sie sich versteckt hielten oder zu heimlichen Treffs zusammenkamen, lernten sie die Angst kennen Mancher sah sich zum ersten-mal in seinem Leben gezwungen, ganz allein eine große Entscheidung zu treffen Viele erlebten, wie in ihnen der Glaube zu schwinden und der Wunsch zu wachsen begann, nicht ergriffen und nicht mißhandelt zu werden, sich nicht opfern zu müssen für eine aussichtslose Sache, sondern zu leben — und sei es um den Preis des Verrats. Unter diesen fand die Gestapo ihre Spitzel, fanden SA und NSDAP neue Mitglieder Andere flüchteten aus der Politik und versuchten unpolitische Bürger zu werden. War es denn nur Feigheit, an Frau und Kinder zu denken? Konnte man nicht fast täglich erleben, wie Genossen, die Widerstand leisteten, in die Hände der Gestapo fielen, ohne das geringste geändert zu haben?

Die vielen Kommunisten, die dennoch in den Widerstand gingen, verscheuchten solche Zweifel, manchen kamen sie überhaupt nicht. Berufsfunktionäre hatten gar keine Wahl. Ihre Namen standen auf allen schwarzen Listen. Ihre Steckbriefe hingen an den Anschlägen. Sie waren abhängig vom Apparat und konnten nur darauf hoffen, eines Tages ins Ausland, in die Emigration, geschickt zu werden, überdies waren zahlreiche Kommunisten überzeugt, der Spuk werde nicht länger als ein paar Monate, allerhöchstens ein, zwei Jahre dauern, und jede Aktion werde sein Ende beschleunigen. Anderen wieder war die Partei-disziplin derart in Fleisch und Blut eingegangen, daß sie wie selbstverständlich auch in der Illegalität den Anweisungen irgendeines Instrukteurs folgten, in der Nacht heimlich Bürgersteige und Häuserwände mit Anti-Nazi-Parolen beschrifteten und illegale Flugblätter verteilten.

Aber Abhängigkeit vom Apparat, Illusionen über das baldige Ende der Hitler-Herrschaft und Parteidisziplin sind noch keine ausreichenden Erklärungen für den Widerstand deutscher Kommunisten gegen den NS-Staat. Unzählige, die in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern des Dritten Reiches ihr Leben ließen, starben für ihren Glauben — wie Protestanten, Katholiken und Zeugen Jehovas. Als sie den ungleichen Kampf gegen die Sieger aufnahmen, folgten sie ihren Grundsätzen und ihrem Gewissen. Mancher starb, ohne zu ahnen, daß eigene Genossen ihn verraten hatten — und zwar nicht allein solche, die nun ganz bewußt als Handlanger für die Gestapo arbeiteten.

Vielmehr wurden Tausende von Kommunisten Opfei der wahnwitzigen Politik ihres Parteiapparates. Obwohl sich die KP-Zentrale in der Annahme, die Partei werde von der Regierung Papen verboten werden, schon ab Spätsommer 1932 auf die Illegalität vorbereitet hatte, obwohl sie gleich nach dem 30. Januar das Karl-Lieb knecht-Haus räumen ließ und mit Hilfe des Kippenberger-Apparates konspirativ zu arbeiten begann, lösten die Massenverhaftungen von Funktionären nach dem Reichstagsbrand und vor allem die Verhaftung Thälmanns am 3. März 1933 in der Parteispitze völliges Durcheinander aus. Größere Sicherheitsvorkehrungen waren zu treffen, um weitere Verhaftungen zu verhindern, es mußten unterbrochene Verbindungen zu den einzelnen Bezirken wiederhergestellt und neue Funktionäre bestimmt werden, die die Stellen der Verhafteten einnehmen konnten. Und man mußte einen Nachfolger für Thälmann finden

Ulbricht, der den ersten Massenverhaftungen entgangen war, beschloß, sich um diese Nachfolge zu bewerben, obwohl er natürlich nicht hoffen konnte, in das hohe Amt gewählt zu werden, solange Thälmann lebte. Zunächst ging es also darum, wer in Abwesenheit Thälmanns die Verantwortung tragen sollte Nicht nur Ulbricht wollte sie übernehmen; die gleiche Absicht hatten die Politbüro-Mitglieder John Schehr und Hermann Schubert, Bezirkssekretär der KPD in Hamburg. Ein zäher Machtkampf begann, in dem jeder der drei auf alle nur mögliche Weise versuchte, zu größerem Einfluß zu gelangen, Bündnispartner gegen die beiden anderen zu finden und seine Anhänger in Schlüsselstellungen der illegalen Organisation zu dirigieren. Jeder der drei hatte auch einen besonderen Trumpf in der Hand

Schehr konnte sich auf einen Beschluß Moskaus berufen, wonach er das Amt Thälmanns übernehmen sollte, und fand in Kippenberger einen wichtigen Bundesgenossen. Schubert konnte auf einen früheren Beschluß des deutschen Politbüros verweisen, mit dem ihm die Nachfolge versprochen worden war, und brachte als weitere Pluspunkte die enge Freundschaft Thälmanns und gute Verbindungen zu einigen Bezirkssekretären ein. Nur Ulbricht hatte nichts desgleichen in der Hand, und doch erwies er sich in diesem Erbfolgekrieg als der Stärkere. Um nicht von vornherein in einen Zweifrontenkrieg zu geraten, verbündete er sich während einer längeren Reise Schehrs nach Moskau zunächst mit Schubert. Schnell zeigte sich, daß dieser dem erfahrenen Apparatmann nicht gewachsen war. Im Laufe des Sommers 1933 resignierte Schubert, verließ Deutschland und versuchte anfangs von Prag aus, später im Saargebiet, eine eigene Fraktion um sich zu bilden. Schehr hingegen verließ sich zu sehr auf den Beschluß Moskaus und auf das Bündnis mit Kippenberger. Er vernachlässigte die Zusammenarbeit mit den Bezirkssekretären, deren Lagemeldungen für die Berichte nach Moskau wichtig waren, und überließ so Ulbricht eine wertvolle Informationsquelle und Aber der Leipziger eine nützliche Hilfstruppe.

baute nicht nur auf die Schwächen seiner Rivalen, sondern auch auf seine eigene Stärke.

„Ulbrichts Stärke", so schreibt Herbert Wehner in seinen Erinnerungen, „bestand in einer unermüdlichen Geschäftigkeit, die ich an ihm immer und in allen Lagen habe feststellen können. Er hielt seine Mitarbeiter und Untergebenen (er brauchte Untergebene) fortgesetzt in Bewegung und kontrollierte unnachsichtig deren Arbeit. Seine Überlegenheit über andere bestand nicht in tieferer Einsicht oder größerer Reife, sondern in seiner Fähigkeit, stets besser informiert zu sein als andere und viel hartnäckiger der Durchführung von Einzelheiten nachzugehen ..."

Gewissenhaft beachtete Ulbricht die strengen Regeln der Konspiration. Nach der Verhaftung Thälmanns verlangte er, alle Leute aus dem Apparat zu entfernen, die „mit Teddy herumgesoffen" hätten. Das war zwar ein wichtiges Argument gegen die Thälmann-Kumpane Schehr und Schubert — entsprach aber auch zweifellos seiner Überzeugung, daß die Illegalität jede Ausschweifung verbiete und eine strenge, spartanische Lebensweise erfordere. Ulbricht fiel es nicht schwer, nach diesen Grundsätzen zu leben.

In welchen Berliner Stadtteilen er sich in den ersten Monaten nach Hitlers Machtantritt aufgehalten hat, ist nicht bekannt. Als jedoch im Sommer Wilhelm Pieck emigrierte, übernahm er dessen illegales Zimmer in einem Berliner Vorort und blieb dort von Juli bis Anfang Oktober 1933 Der Besitzer des Hauses berichtet über seinen damaligen Untermieter: „Ulbricht war zu jener Zeit ein äußerst verschlossener Mensch, der meist zurückgezogen in seinem Zimmer lebte, und dessen abweisende Miene jeden Versuch ausschloß, sich mit ihm zu unterhalten. Das galt auch für die wenigen Male, da er sich an Sonntagen jenes Sommers 1933 an den Ballspielen beteiligte, die meine Frau in unserem großen, vor der Einsicht von außen her gut geschützten Garten für unsere Kinder und unsere Besucher aus der Stadt veranstaltete. Auch da blieb Ulbricht wortkarg und ließ sich mit den Mitspielern in keine Gespräche ein . .. Wir wußten freilich nicht, daß dieser Mann der Reichstagsabgeordnete Walter Ulbricht war, der unter einem anderen Namen bei uns lebte, und von meiner Frau verpflegt wurde, bis eines Tages ... sämtliche Berliner Zeitungen die Fotos mehrerer Personen mit der Aufforderung an die Bevölkerung veröffentlichten, ein Auge auf diese Personen zu haben und sie gegebenenfalls der Polizei zu übergeben. Darunter befand sich auch Herr Ulbricht, dessen richtigen Namen wir erst auf diese Weise erfuhren. Ich brachte ihm einige dieser Zeitungen auf sein Zimmer und sprach die Erwartung aus, daß es nun ja wohl die höchste Zeit sei, sein nunmehr besonders gefährlich gewordenes Versteck zu verlassen. Das gab er auch weiteres zu, aber ohne es dauerte immerhin noch mehrere Tage, bis er mit den Vorbereitungen . . . fertig war. Er gab auch jetzt seine Gewohnheit nicht auf, in der Dämmerung das Haus zu verlassen und seinen Geschäften nachzugehen ..." Anfang Oktober 1933 verließ Ulbricht Deutschland und folgte Pieck nach Paris, dem Sitz der Auslandsleitung. Angesichts der vielen Verhaftungen war nämlich beschlossen worden, die eigentliche Leitung der Partei ins Ausland zu verlegen und Schehr die Verantwortung für die Arbeit im Reich zu übertragen. Schon im November fiel dieser jedoch in die Hände der Gestapo. Im Februar 1934 wurde er zusammen mit zwei anderen Funktionären „auf der Flucht erschossen".

Damit war einer der Rivalen Ulbrichts ausgefallen, aber der Kampf um die Nachfolge Thälmanns noch immer nicht entschieden. Ulbricht, dessen Kandidatur die Eingeweihten erstaunte — mit ihm hatten die potentiellen Anwärter auf die Führung am wenigstens gerechnet —, zeigte auch in der Emigration, daß er den anderen Spitzenfunktionären durchaus ebenbürtig, ja überlegen war.

Emigration in Paris und Voiksfrontpolitik

Die Mitglieder der Auslandsleitung lebten illegal in Paris. Ihre Adressen waren nur einem sehr kleinen, ausgesuchten Kreis bekannt Kam ein Funktionär zur Berichterstattung aus Deutschland, wurde ihm nach dem illegalen Grenzübertritt sogleich mitgeteilt, wann er sich an einem bestimmten Ort in Paris, z. B. in einem Cafe, einzufinden und wann er dort wieder zu erscheinen habe, falls die Zusammenkunft mit einem von der Auslandsleitung beauftragten Funktionär zu der verabredeten Zeit nicht zustandegekommen sein sollte. Dieser Funktionär wies dem Besucher auch ein Quartier zu, versorgte ihn mit Geld und ließ ihn wissen, wann und wo er an einem der nächsten Tage mit einem oder mehreren Vertretern der Auslandsleitung Zusammentreffen könne. Kuriere aus Moskau meldeten sich zum Teil auch im Verlag Edition Carrfour am Boulevard Montparnasse, von wo aus der begabte, international bekannte Willi Münzenberg, der schon im Frühjahr 1933 nach Paris gegangen war, seine zahlreichen Propagandakampagnen gegen den Faschismus und für die internationale kommunistische Bewegung startete. Die Kuriere wurden dann von dort aus an die Auslandsleitung der KPD vermittelt. Auch für die KPD bestimmte Gelder aus Moskau gingen zum Teil über die Münzenberg-Zentrale. Wehner zufolge floß auf Beschluß der Auslandsleitung lediglich ein Drittel der der KPD zur Verfügung stehenden Gelder nach Deutschland zur Unterstützung der illegalen Arbeit; die übrigen zwei Drittel wurden für die Arbeit im Ausland verwandt. Die in der Illegalität arbeitenden Funktionäre erhielten monatlich 250 Reichsmark, emigrierte Politbüro-Mitglieder 400 bis 450 RM.

Als Ulbricht nach Paris kam, war dort immer noch nicht bekannt, ob Berlin einen Prozeß gegen Thälmann vorbereitete. Die Auslandsleitung fürchtete, die Nationalsozialisten könnten Thälmann in einem Geheimprozeß verurteilen und in irgendeinem Provinzzuchthaus verschwinden lassen; das lag keineswegs in ihrem Interesse. Die Emigrationsleitung hoffte vielmehr auf einen öffentlichen Prozeß nach Art des Reichstagsbrandprozesses, in dem Thälmann, ähnlich wie Dimitroff, die Rolle des Anklägers gegen den NS-Staat übernehmen und den deutschen Kommunisten zu weltweiter Publizität und Popularität verhelfen sollte.

Aus diesem Grund verbat sie sich auch alle Vorschläge und Bemühungen des inzwischen für Thälmann gewonnenen Rechtsanwalts, Dr. Langbehn, den KPD-Vorsitzenden durch Beziehungen zu hohen NS-Stellen ohne Prozeß freizubekommen. Der Anwalt protestierte gegen eine solche Haltung und legte sein Mandat nieder. Doch die Auslandsleitung blieb bei ihrer Meinung und untersagte 1934 in letzter Minute einen von Berliner Kommunisten geplanten Versuch, Thälmann zu befreien Ein Märtyrer Thälmann war ih. nützlicher als ein freier. Außerdem befürchtete sie, die Gestapo könne an einem Befreiungsversuch interessiert sein, um dann Thälmann „auf der Flucht" zu erschießen.

Daß Ulbricht von einer solchen Einstellung und Entscheidung in seinem Kampf um die Nachfolge profitierte, liegt auf der Hand; doch kann ihm nicht bewiesen werden, daß seine Haltung, die die übrigen Mitglieder der Auslandsleitung offensichtlich teilten, von persönlichen Motiven bestimmt war. Humanitäre Überlegungen haben bei den Kommunistenführer nie eine Rolle gespielt, und von ihrem politischen Standpunkt aus gesehen, erscheint die Haltung der Auslandsleitung im Fall Thälmann nicht abwegig.

Zu Ulbrichts Aufgaben in der Emigration gehörte es, in Artikeln und Aufsätzen die Politik der Kommunistischen Partei Deutschlands nach dem Machtantritt Hitlers zu erläutern. Zunächst unterschieden sich seine Interpretationen der politischen Lage und seine Schlußfolgerungen in nichts von den Auffassungen der übrigen Funktionäre. Wie auch die anderen Führer der KPD leugnete er die erlittene Niederlage und sprach von einem „neuen revolutionären Aufschwung". So schrieb Ulbricht in der Kommunistischen Internationale, Nr. 12/1934: „In der gegenwärtigen Periode, unter den Bedingungen des Heranreifens der revolutionären Krise, des Sieges des Sozialismus in der Sowjetunion und des revolutionären Aufschwunges in Deutschland, steht ... auf der Tagesordnung ... die Organisierung des Kampfes um die Sowjetmacht ! ] ... Das ist aber keine einfache agitatorische Aufgabe, sondern das bedeutet unmittelbare [I] Formierung der revolutionären Armee zum Sturz des Faschismus durch die Organisierung aller For-men des Widerstandes gegen den Faschismus, des Streikkampfes, der Massendemonstrationen, des politischen Massenstreiks, bis zum bewaffneten Aufstand ... ” Wer sich dieser Aufforderung zum Selbstmord widersetzte, wurde von Ulbricht als „Opportunist"

bezeichnet:

„... opportunistische Einflüsse [zeigen sich] vor allem in der Unterschätzung der Kampfkraft des Proletariats und der Überschätzung der Kraft des Faschismus, sowie in der Behauptung: , die faschistische Diktatur ist keine kurzlebige Sache'. In demselben Sinne sagen einige, , die deutsche Arbeiterklasse ist im gegenwärtigen Zustand der Niederlage zur Verteidigung der Sowjetunion unfähig'... Die Tendenzen zur Unterschätzung des revolutionären Aufschwungs stehen im Zusammenhang mit der mangelhaften Verbindung der Tagesförderungen mit der Propaganda für die Sowjetmacht. Das . Vergessen'...der Losung der Sowjetmacht ... ist ein charakteristischer Ausdruck des Opportunismus."

Der schnellen Realisierung der „Losung der Sowjetmacht" standen jedoch — nach Meinung der Auslandsleitung — nicht nur die Nationalsozialisten im Wege, sondern auch die Sozialdemokraten. Ulbricht meinte daher:

„Wenn wir z. B. rechtzeitig die sozialdemokratische Politik des . Abwartens’ und der Diskreditierung des Bolschewismus als Unterstützung des Hitler-Faschismus entlarven..., dann wird es bei der Auslösung von Kämpfen den Arbeitern in jedem Betrieb um so leichter sein, die sozialdemokratische und trotzkistische Dienstleistung für den Hitlerfaschismus zu entlarven."

Besonders wichtig in seinem Kampf gegen die SPD nach Hitlers Machtantritt erschien Ulbricht der Nachweis, daß der Ruf der SPD nach Demokratie „eine reaktionäre Utopie" sei ..... die von der SPD geforderte . Demokratie' ist . . eine faschistische Form im Sinne der . autoritären Demokratie', wie sie von Masaryk in Prag und Tardieu in Paris vertreten wird . . Unter den gegenwärtigen Bedingungen ... ist die Losung der . Demokratie’ eine reaktionäre Utopie. Es gibt keinen Weg vom Faschismus zur Demokratie."

Eine der wichtigsten Schlußfolgerungen war nach Meinung Ulbrichts, die sozialdemokratischen Arbeiter in Deutschland so schnell wie möglich „von der SPD zu lösen", ihnen zu „helfen, den Weg zum Kommunismus zu fin-den"

und sie „als Mitglieder der KPD zu gewinnen".

Zur Erreichung dieses Ziels waren fast alle Mittel erlaubt; verboten war nur das Nächtliegende:

Selbstbesinnung. Als kommunistische Widerstandskämpfer in Deutschland zu der Einsicht gelangten, daß auch die KPD vielleicht bestimmte Fehler begangen habe, belehrte sie Ulbricht: „Die Entwicklung hat die Richtigkeit der Strategie und Taktik der KPD bestätigt."

Als dieser Artikel erschien, beschäftigten sich jedoch die Generalstäbler des Kreml schon mit einer neuen Strategie, deren Verwirklichung auch die bisherige Politik der KPD-Auslandsleitung über den Haufen werfen sollte. Unter dem Eindruck des erfolgreichen gemeinsamen Widerstandes französischer Kommunisten, Sozialisten und linksbürgerlicher Radikaler gegen den Februar-Putsch rechtsextremistischer Elemente in Paris erwogen die Komintern-Führer im Frühjahr 1934, ihre Truppen in aller Welt aus den ganz links gelegenen Schützengräben herauszuholen, sie zur Mitte des internationalen Kampffeldes zu verlegen, und von dort aus zusammen mit neuen Verbündeten gegen ganz rechts, gegen den Faschismus operieren zu lassen. Also: Aufgabe der gleichzeitigen Kampfstellung gegen Faschisten und Demokraten.

Aber die ein Jahrzehnt lang als Sozialfaschisten bekämpften Sozialdemokraten und andere Antifaschisten konnten, wenn überhaupt, nur dann für die neue Einheitsfront geworben werden, wenn sich ihnen die kommunistischen Kader in neuer Feldausrüstung zeigten, wenn sie die roten Sowjetsterne von ihren Mützen trennten und in die Tasche steckten. Mit dem bisherigen Schlachtruf: „Alles für die Sowjet-macht" waren Demokraten nicht zu gewinnen. Die neue Parole mußte heißen: „Alles für die Volksfront gegen den Faschismus!". KP-Offiziere und -Mannschaften, die in der Folgezeit, als die Komintern energisch auf die Volksfront zusteuerte, wissen wollten, was nun alles in ihrer Armee nicht mehr erlaubt sein sollte, hätten nur den zitierten Aufsatz Ulbrichts zu lesen brauchen; er enthielt genau das, was jetzt Zug um Zug verboten wurde: eine unrealistische Beurteilung der Lage, scharfe Angriffe auf die Sozialdemokraten, störrisches Beharren auf der bisherigen Strategie und Taktik sowie die öffentliche Absage an die Demokratie.

Unter den KPD-Führern löste die Ankündigung der beabsichtigten Kursänderung sehr unterschiedliche Reaktionen und neue Fraktionskämpfe aus, die erst mit der Großen Säuberung in der Sowjetunion ein schreckliches Ende fanden. Zwar wußten sie alle, daß der Held des Reichstagsbrandprozesses, der bulgarische Kominternfunktionär Georgi Dimitroff, entscheidenden Anteil an der neuen Strategie hatte aber über Dimitroffs Einfluß in Moskau gingen die Meinungen auseinander Ulbricht und Pieck setzten auf die Karte des Bulgaren; sie hatten offenbar begriffen, daß die bisher betriebene Politik an Wahnsinn grenzte. Die Mehrheit der emigrierten KPD-Führer — die Politbüromitglieder Wilhelm Florin, Franz Dahlem, Hermann Schubert, Fritz Heckert und Fritz Schulte — meinte dagegen, Moskau nutze nur vorübergehend die weltweite Popularität Dimitroffs aus. Sie hielt den Bulgaren für einen Exponenten der „Versöhnler", zu dem man besser Abstand wahre. Obwohl sich die Kominternführung im Oktober 1934 auf die Seite der Minderheit Pieck/Ulbricht stellte, versuchte die Mehrheit, den bisherigen Kurs fortzuführen Dabei ließ sie sich von der nicht unberechtigten Annahme lei-ten, Stalin habe sich noch nicht endgültig für die Volksfrontpolitik entschieden Auf einer Tagung der KPD-Führer, die im Januar 1935 auf Verlangen der Komintern in Moskau stattfand, kam es zu schweren, an Tätlichkeiten grenzende Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fraktionen. Die Gegner der neuen Strategie verloren weiter an Boden

Jeder in der Parteiführung, ganz gleich, zu welcher der beiden Gruppen er gehörte, wußte, welche Bedeutung unter diesen Umständen dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zukam, der nach mehrmaliger Verschiebung im Juli/August 1935 in Moskau tagen sollte. Auf diesem Kongreß mußte klar werden, wie Stalin sich entschieden hatte. In den Monaten vor der Konferenz entfalteten beide Fraktionen in der KPD-Auslandsleitung eine fieberhafte Tätigkeit, um eine endgültige Entscheidung für oder gegen die Volksfront in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Ulbricht bemühte sich plötzlich um eine Annäherung an den linken Flügel der nach Prag emigrierten SPD-Führung Zwar ließen seine zu diesem Zweck verfaßten Artikel jedes psychologische Geschick vermissen, doch seine Fraktionsgegner stürzte diese Initiative in große Verwirrung. Sie versuchten nachzuweisen, daß Thälmann schon immer versucht habe, eine Einheitsfront KPD/SPD herzustellen, doch seien alle Bemühungen an dem besonders reaktionären Charakter der SPD gescheitert”), überhaupt betonten die Vertreter der Mehrheit bei allen sich bietenden Gelegenheiten, sie seien die Sachwalter Thälmanns; Pieck und Ulbricht dagegen wollten dessen „Erbe liquidieren". Weiterhin beschlossen Florin, Schulte und Schubert, einen Funktionär nach Berlin zu entsenden, der dort nach Unterlagen und Zeugen für ihren Standpunkt suchen sollte. Währenddessen sammelte Ulbricht in Paris Beweismaterial für „seine" Gruppe.

Die Kuriere aus Deutschland, die der Auslandsleitung über die illegale Arbeit im Reich Bericht erstatteten, übertrieben fast regelmäßig die Erfolge — das hatte sich bald eingebürgert, das wußte jeder, und das schien auch notwendig zu sein aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt, um Gelder aus Moskau zu bekommen. Bald begann jedoch Ulbricht, eigene Informationen zu sammeln, indem er durch einen kleinen Kreis von Vertrauten die wirklichen Verhältnisse in Deutschland eruieren ließ und Kuriere dazu überredete, nach ihrem offiziellen Bericht vor mehreren Vertretern der Auslandsleitung ihm allein „die Wahrheit zu sagen". Mußte die Auslandsleitung in Moskau berichten, so ließ Ulbricht zunächst seinen Fraktionsgegnern das Wort zu den üblichen „Schönfärbereien" und Erfolgsmeldungen. Eist danach legte er seine eigenen Informationen auf den Tisch, die weit mehr der Wirklichkeit entsprachen, viel besser als Rechtfertigung eines neuen Kurses geeignet waren als zweifelhafte Erfolgsmeldungen und darüber hinaus die Vertreter der Mehrheit als unehrliche Aufschneider bloßstellten Der frühere Kommunist Gustav Regler, der einmal dabei war, als Kuriere aus Deutschland in Paris berichteten, schreibt in seinen Erinnerungen:

„Ulbricht notierte alles, was sie sagten: von den Streiks gegen die Hitlersche Arbeitsfront, von Sabotage, von den geheimen Verbänden und von der zunehmenden Unzufriedenheit aller Arbeiter. Später nahm Ulbricht die Burschen unter irgendeinem freundlichen Vorwand mit sich. Er ging ins nächtliegende Cafe, wo er die ganze Vernehmung mit ihnen durchging und sie nach kurzer Bedrohung soweit brachte, daß sie ihm nun den wirklichen, korrekten Bericht über die Lage gaben. Sie gestanden, daß Hitlers Arbeitsfront fest stehe wie ein Fels, daß Gewerkschaftsgrüppchen sinnlose kleine Aktionen versuchten, daß man die Unzufriedenen keineswegs sofort verhafte, sondern sie zu überreden wisse. Daß man vieles verspreche, daß auch viel in den Fabriken verbessert werde, daß der Zwang größer sei, aber auch der Verdienst besser. Ulbricht notierte wiederum alles, dann belobte er die Boten. Er sprach davon, daß ein echter Bolschewik immer der Wahrheit die Ehre geben müsse."

Zur Verwunderung seiner Anhänger wie auch seiner Gegner in der Partei wurde dem so eifrigen Verfechter des „Neuen Kurses" die Belobigung für seine Haltung, besser gesagt, die öffentliche Anerkennung und Beförderung, zunächst vorenthalten. Der VII. Weltkongreß brachte zwar die Entscheidung Moskaus für die

Volksfrontpolitik aber Ulbricht wurde nur zum EKKI-Kandidaten gewählt. Das war er ohnehin seit 1928. Einer seiner Widersacher in den Auseinandersetzungen der vorangegangenen Monaten, Wilhelm Florin, wurde dagegen Mitglied und Sekretär des Exekutivkomitees Im Anschluß an den Weltkongreß, im Oktober 1935, tagte in der Nähe Moskaus die „Brüsseler" Parteikonferenz der KPD

Hier konnte Ulbricht wieder einen Erfolg bu-chen. Nadi heftigen Debatten und gegenseitigen Beschuldigungen der Fraktionsgegner beschlossen nämlich die Delegierten, zwei der heftigsten Gegner einer Volksfrontpolitik, Schubert und Schulte, nicht wieder in das Zentralkomitee zu wählen Damit war der zweite Rivale Ulbrichts aus dem Kampffeld gestoßen. In der Pariser Auslandsleitung war Ulbricht fortan der maßgebliche Mann. Pieck genoß zwar größeres Prestige in der Partei, konnte es aber an Apparatbegabung nicht mit ihm aufnehmen.

Ulbricht fuhr von Moskau aus zurück nach Westeuropa und bemühte sich entsprechend den Beschlüssen des VII. Weltkongresses um Kontakte mit den emigrierten Führern der deutschen Sozialdemokratie. Am 10. November 1935 schlug er dem SPD-Parteivorstand brieflich vor, die Führer der beiden Parteien sollten einen gemeinsamen Appell an alle Sozialdemokraten und Kommunisten in Deutschland richten und zum „kameradschaftlichen gemeinsamen Handeln" auffordern. Am 23. November reiste er mit dem inzwischen zur siegreichen Fraktion übergegangenen Dahlem nach Prag (wo er sich übrigens ziemlich oft aufhielt), um direkt mit den Sozialdemokraten zu verhandeln. In Gesprächen mit den beiden Vertretern des SPD-Parteivorstandes, Hans Vogel und Friedrich Stampfer mußten sie sich jedoch sagen lassen, daß der Vorschlag Ulbrichts abgelehnt worden sei; die Kommunisten hätten nach Meinung des Parteivorstandes bisher nicht den Beweis erbracht, daß es ihnen mit Einheitsfront und Demokratie wirklich ernst sei.

Wie berechtigt dieses Mißtrauen war, hatte Ulbricht selbst bewiesen. In seiner Weltkongreß-Rede über die Ziele einer deutschen Volksfront hatte er nämlich gesagt:

„Im Kampf um die Sowjetmacht kann unter den Bedingungen der politischen Krise, wenn das Kräfteverhältnis in den Massen die Rätemacht noch nicht möglich macht, die Schaffung einer Regierung der antifaschistischen Volksfront möglich sein, um dann unter besseren Bedingungen weiter zu kämpfen für die proletarische Diktatur."

Und: „Das Ziel unseres Kampfes ist Sowjetdeutschland."

Enttäuschung und Ärger über den Mißerfolg in Prag verleiteten Ulbricht, dem SPD-Parteivorstand Anfang 1936 auf die Absage öffentlich zu antworten Die „brutale Ablehnung des Einheitsfrontangebotes", so folgerte er in der Kommunistischen Internationale, sei vor allem deshalb möglich gewesen, weil von „unten" noch nicht genügend Druck auf die SPD-Führung ausgeübt werde — auf eine SPD-Führung, die „durch ihre Politik der Klassenzusammenarbeit die historische Verantwortung für den Sieg des Faschismus" trage. Und als sei er geradezu darauf aus, den Sozialdemokraten die letzten Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu nehmen, fügte er hinzu:

„Wir Kommunisten kämpfen für die demokratischen Freiheiten, weil sie der Arbeiterklasse und ihren Organisationen größere Bewegungsfreiheit geben und ihnen erlauben, die Massen für den Kampf um die Sowjetmacht vorzubereiten ..."

Mehr Glück als in Prag hatten die Führer der KPD in Paris. Angesichts der sich festigenden Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutsch-land und unter dem Eindruck des VII. Weltkongresses und weitergehender Beteuerungen der Kommunisten, auch sie seien für Demokratie, fand sich im ersten Halbjahr 1936 eine Anzahl emigrierter Hitler-Gegner in der französischen Hauptstadt bereit, gemeinsam mit den Kommunisten eine deutsche „Volksfront" zu gründen.

Zu diesem Zweck traf man im Hotel Lutetia, dem späteren Sitz der Gestapo in Paris, zusammen und etablierte einen Arbeitsausschuß, dem sowohl nicht parteigebundene Persönlichkeiten, hauptsächlich aus dem Bürgertum, als auch Vertreter der SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) und der KPD angehörten. Sozialdemokraten wie Rudolf Breitscheid und Max Braun beteiligten sich als Personen, da sie von ihrem Parteivorstand nicht ermächtigt waren, im Namen der SPD in der „Volksfront" zu wirken. Als Vertreter der KPD nahmen an den Ausschußsitzungen zunächst Herbert Wehner, Paul Merker und Willi Münzenberg teil, der am Zustandekommen der Pariser „Volksfront“ wesentlichen Anteil hatte Als Präsident des Ausschusses amtierte der Schriftsteller Heinrich Mann, als Vorsitzender der saarländische Sozialdemokrat Max Braun. Nichtkommunistische Ausschußmitglieder waren die Professoren Bernhard, Denicke und Gumbel sowie Jakob Walcher (SAP), Fritz Sternberg und Rudolf Breitscheid. Nach einigen Monaten wurde jedoch die KP-Equipe im Volksfrontausschuß ausgewechselt. Ulbricht und Merker waren es nun, denen die Zusammenarbeit mit dem Ausschuß oblag. Und schon ein paar Wochen nach ihrem Amtsantritt kam es zu Zwistigkeiten und zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Nichtkommunisten

Im Juni 1937 und dann wieder auf einer Sitzung im September wurde Ulbricht und Merker vorgeworfen, sie hätten im Arbeitsausschuß gefaßte Beschlüsse nicht eingehalten und sabotiert. Die beiden Kommunisten wurden aufgefordert, ihre zunehmend illoyale Haltung aufzugeben und dadurch die frühere „Vertrauens-und Kameradschaftsbasis" wiederherzustellen. Trotz Ulbrichts und Merkers Versprechungen änderte sich nichts.

In einer weiteren Sitzung am 28. September beklagte sich Heinrich Mann wiederum über die „mangelhafte Vertrauens-und Solidaritätsbasis“, die „durch verschiedene illoyale Handlungen der kommunistischen Vertreter entstanden" sei. Prof. Bernhard sprach von einer „Irreführung“ des Volksfrontausschusses durch die Kommunisten, und Max Braun klagte sie ständiger „Täuschungsversuche" an. Die empörten Ausschußmitglieder beschlossen, sich nunmehr brieflich mit einer Beschwerde an das ZK der KPD zu wenden und die kommunistische Parteiführung aufzufordern, den „unhaltbaren Zuständen, die durch die KPD-Vertreter im Volksfrontausschuß eingerissen" seien, ein Ende zu bereiten.

Heinrich Mann und seine Freunde waren nicht wenig überrascht, als sie auf diese Beschwerde ein Schreiben Ulbrichts erhielten. Dieser Brief, ließ Ulbricht wissen, sei die Antwort seines Zentralkomitees. Daraufhin wandten sich die nichtkommunistischen Ausschußmitglieder am 13. November 1937 mit einem neuen Brief an das ZK der KPD. (Diesmal antwortete Pieck mit einer halben Entschuldigung.)

Der Brief vom 13. November 1937 enthält aufschlußreiche Einzelheiten über das Wirken Ulbrichts in der deutschen „Volksfront". Die Mehrheit im Ausschuß bezichtete ihn der Lüge und Verdrehung und warf ihm wie auch Merker vor, seit Sommer 1937 versucht zu haben, „eine Volksfront zu schaffen, die allein von der kommunistischen Partei geführt und dirigiert wird“. „Walter Ulbricht versucht", so heißt es weiter, „alle entstandenen Schwierigkeiten den nichtkommunistischen Mitgliedern des Volksfrontausschusses . . . zuzuschieben, die sich — und das ist der Gipfel der von Unwahrheiten strotzenden Antwort Ulbrichts — angeblich von . dunklen Mächten und Hintermännern . . . schieben lassen, und eine Einheitsfront mit . großkapitalistischen Kreisen, rechtsstehenden katholischen Führern und Reichswehrgeneralen'anzustreben.

Diese Beleidigung aller nichtkommunistischen Mitglieder des Volksfrontausschusses ist ebenso groß wie der in diesen Worten enthaltene Unsinn. Die Wahrheit ist, daß es . . . besonders die kommunistischen Vertreter und besonders Ulbricht waren, die sich gegen jede Forderung nach Enteignung und Sozialisierung wandten, um sich den Weg zu Düsterberg und großkapitalistischen Kreisen offenzuhalten . . . Wir erinnern Ulbricht daran, daß er es war, der im letzten Jahr ernsthaft den Vorschlag gemacht hat, Otto Strasser und seine Gruppe in die Volksfront aufzunehmen. Breitscheid und seine sozialdemokratischen Freunde verhinderten diesen Plan, wofür sie heute von Ulbricht als . Verbündete von Strasser'beschuldigt werden."

Heinrich Manns Empörung über Ulbricht wird besonders deutlich in einem Brief, den er am 25 Oktober 1937 an Max Braun schrieb: . Ihre Mitteilungen vom 23. Oktober zeigen mir. daß Ulbricht eine eigene Volksfront, die ihm unterstehen soll, ins Werk setzen möchte. So ungern ich Mitglieder der deutschen Opposition als Gegner ansehe, einige wollen es offenbar nicht anders. Ich bin daher gegen eine Zusammen-berufung des Gesamtausschusses, solange U. als Hauptvertreter oder auch nur als ein Ver-* treter seiner Partei dort erscheinen darf ..." Und zu Alfred Kantorowicz äußerte sich Mann über Ulbricht: „Sehen Sie, ich kann mich nicht mit einem Mann an einen Tisch setzen, der plötzlich behauptet, der Tisch, an dem wir sitzen, sei kein Tisch, sondern ein Ententeich, und der mich zwingen will, dem zuzustimmen."

Münzenberg gab die Klagen Heinrich Manns und anderer nach Moskau weiter. Diese Initiative trug dazu bei, daß Ulbricht im Frühjahr 1938 in der Pariser Auslandsleitung durch Dahlem abgelöst und in ein von der Internationalen Kontrollkommission der Komintern eingeleitetes Verfahren verwickelt wurde Aber der Pariser „Volksfrontausschuß" konnte sich nach dem Abgang Ulbrichts nicht mehr von der schweren Herbstes 1937 erholen. Krise des Von den Nichtkommunisten mußte einer nach dem anderen einsehen, daß eine Zusammenarbeit mit den KPD-Vertretern auf der Basis Gleichberechtigung nicht möglich war. „Ich vermag", schrieb Rudolf Breitscheid an einen Freund, „an die Möglichkeit einer . Deutschen Volksfront'zu meinem Leidwesen nicht mehr zu glauben, da die Haltung der Kommunisten den Voraussetzungen gemeinsamer Arbeit zuwiderläuft." Er und seine Freunde zogen die Konsequenzen. Der Ausschuß schlief ein

Doch sollte niemand behaupten, die Zerstörung der deutschen „Volksfront“ in der Emigration sei das persönliche Werk Ulbrichts. Auch in dieser Phase kommunistischer Politik folgte er nicht irgendwelchen eigenen Ambitionen, sondern vollstreckte den Willen Moskaus. Und Ende 1937 hatte der Kreml das Interesse an der Volksfrontpolitik anscheinend schon wieder verloren Davon abgesehen — die konsequente Befolgung der Grundsätze des Leninismus-Stalinismus durch die Kommunisten mußte die Volksfront früher oder später ad absurdum führen.

überall dort, wo die Kommunisten durch ihre neuen Parolen erste Erfolge verzeichnen konnten, erinnerten sie sich sogleich der Mahnung Lenins, die KP dürfe niemals ins Schlepptau einer Bewegung geraten, sondern müsse sich an deren Spitze stellen und die „führende Rolle" übernehmen. Die Anerkennung gleichberechtigter Partner ist damit ausgeschlossen, was implizite bedeutet, daß Partner, die sich nicht unterwerfen wollen, zu bekämpfen sind.

Folgerichtig weigerte sich 1936 die KP Frankreichs, in die von dem Sozialisten Leon Blum geführte französische Volksfront-Regierung einzutreten, damit sie diese Regierung von außen her bekämpfen und unter Druck setzen konnte. Folgerichtig ließ die Komintern im Mai 1937 in Katalonien und während des ganzen spanischen Bürgerkrieges Tausende jener sozialistischen und anarchistischen Franco-Gegner liquidieren, die nicht gewillt waren, sich dem Willen der Kommunisten zu beugen Das Verhalten der KPF und die Greueltaten in Spanien gaben den nichtkommunistischen Volksfrontanhängern in allen Ländern zu denken und verfehlten auch nicht ihre abschrekkende Wirkung auf die Sozialisten und Demokraten in der deutschen Emigration. Mit Ulbricht und Merker erlebten sie in anderem Rahmen und im kleinen, was in Frankreich und in Spanien im großen vorexerziert wurde.

Die Kommunisten in aller Welt betrieben jedoch nicht nur leninistische Bündnispolitik; sie besorgten zugleich die Geschäfte der Stalin-sehen Außenpolitik. Sie kämpften in der Volksfront von vornherein nicht nur gegen den Faschismus, sondern mit der gleichen Intensität für sehr handfeste Interessen Moskaus. Interessengleichheit der Volksfront-Partner konnte nur in dem Wogegen bestehen; Einigkeit über das Wofür war schon deshalb nicht zu erreichen, weil in dem Demokratie-Bekenntnis der Kommunisten selbst in Zeiten größter Zugeständnisse an vorübergehende Bundesgenossen die Vorstellung mitschwang, die bürgerliche Demokratie sei nur Ausgangsbasis für die Verwirklichung der Sowjetmacht. Bald jedoch wurde auch die Einigkeit im Negativen zweifelhaft.

Schon Ende 1931 hatte Stalin zu dem deutschen Kommunisten Heinz Neumann geäußert: „Glauben Sie nicht auch, Neumann, daß, falls in Deutschland die Nationalsozialisten zur Macht kommen sollten, sie so ausschließlich mit dem Westen beschäftigt sein würden, daß wir in Ruhe den Sozialismus aufbauen könnten?" Der Gedanke, in dem Konflikt zwischen Faschisten und Demokraten der lachende Dritte zu sein, hatte ihn seitdem nicht mehr verlassen. Agierend hinter der großen Bühne, auf der das Volksfront-Drama ablief, erhoffte er sich die Schwächung des Faschismus durch die Demokratien und zugleich die Schwächung der Demokratien durch den Faschismus. Eine solche Einstellung erlaubte ihm, sich sowohl mit den Demokratien gegen den Faschismus als auch, wie zur Zeit des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes, mit dem Faschismus gegen die Demokratien zu verbünden.

Doch das Makabre der kommunistischen Volksfrontpolitik wurde bereits Jahre vor dem Stalin-Hitler-Pakt offensichtlich, denn in die Zeit der Volksfront fällt die große Tschistka in der UdSSR.

Wären nicht vielen aufrechten Gegnern des Nationalsozialismus in ihrer berechtigten Furcht und ihrem berechtigten Haß die Augen getrübt gewesen, sie hätten aus den Anklageschriften der Moskauer Schauprozesse herauslesen müssen, daß der Volksfront der Todes-sturz versetzt wurde, als Stalin nach eigenem machtpolitischen Gutdünken bestimmte, wer ein Faschist sei. Die Gleichsetzung von Faschismus und innenpolitischer Opposition in der Sowjetunion, die gegen persönliche Rivalen Stalins und zahlreiche unschuldige Menschen erhobene Anklage, „Agenten des Faschismus"

zu sein, nahm der Volksfront sowohl ihre moralische als auch ihre politische Glaubwürdigkeit.

Die große Säuberung in der Sowjetunion

Ulbricht hat, so wie andere linientreue und zugleich von Furcht gepackte Funktionäre, die Moskauer Schauprozesse in zahlreichen Artikeln bejaht und entsprechende Schlußfolgerungen für die KPD gezogen.

In der Kommunistischen Internationale, Nr. 5/1937, schrieb er z. B.:

„Angesichts der Verbundenheit des konterrevolutionären Trotzkismus mit dem deutschen Faschismus als dem Hauptkriegstreiber in der Welt, dem Todfeind der Sowjetunion und des internationalen Proletariats, ist es eine besonders verantwortliche Aufgabe der KPD, eine Aufklärungsarbeit in der Partei, unter den sozialdemokratischen Massen wie unter allen Freunden des Friedens in Deutschland über die volksfeindliche Rolle des Trotzkismus zu leisten. Für die antifaschistische Bewegung in Deutschland ist der Trotzkismus besonders gefährlich, weil er mit der Gestapo verbunden ist und durch seine zersetzende Tätigkeit der Gestapo in die Hände arbeitet.“

Auch noch 1939 behauptet er, „trotzkistische Spione des Nazifaschismus" lieferten „tapfere Antifaschisten" an die Gestapo aus

Hat Ulbricht das wirklich geglaubt? Wenn unter den KPD-Führern die Rede auf dieses Thema kam, so gehörte er immer zu jenen, für die „alles sonnenklar und einfach" war. Er sah, so berichtet Wehner, in der Tschistka „ein glänzendes Beispiel für die Schonungslosigkeit, mit der vom sozialistischen Staat — ohne Ansehen der Person und früherer Verdienste — die . Fünfte Kolonne'ausgerottet würde, bevor sie in Aktion treten könnte." Ein willkommener Vorwand war nun vorhanden, Oppositionelle in den Reihen der KPD als „trotzkistische Spione“ zu verdächtigen und sie mit der Drohung einer solchen Anschuldigung willfährig oder, wenn die Drohung nicht fruchtete, „unschädlich" zu machen.

Die meisten jener Kommunisten, denen die Flucht vor der Gestapo gelungen war, lebten in der Emigration in finanzieller Abhängigkeit von ihrer Parteibehörde. Jeder von ihnen wußte, was der Vertrauensentzug durch diese Behörde bedeutete: Entzug der Unterstützung, Isolierung von den Genossen, Konflikte mit den Behörden des Gastlandes, unter Umständen sogar Ausweisung. Wer unter diesen Voraussetzungen noch den Mut zum Widerspruch fand, dem drohte das kommunistische „Staatsbegräbnis": der Beschluß der Auslandsleitung, den unbequem Gewordenen aus der Emigration „auf illegale Arbeit nach Deutschland", „zur Bewährung" zu schicken. Oft genügte die Aushändigung eines — vielleicht sogar mit Absicht — stümperhaft gefälschten Passes oder die Angabe eines von der deutschen Polizei längst entdeckten Grenzüberganges, um den Genossen direkt in die Hände der Gestapo fallen zu lassen. Die Anlaufadresse eines zum Spitzel gewordenen Kommunisten erfüllte den gleichen Zweck; noch als Handlanger der Gestapo stand der wirklich Abtrünnige ungewollt im Dienst des KP-Apparates. Nichtsahnend oder mit einer nicht faßbaren Ahnung seines Schicksals lief der zum Tode Verurteilte in die aufgestellte Falle.

Den „Unterirdischen", den vielleicht durch kleine Erfolge im Widerstand selbstbewußt gewordenen Illegalen, die schon vor 1933 einer oppositionellen Richtung in der KPD angehört hatten, drohte eine andere Gefahr vom Apparat. Die Genossen im Reich, so hatte Ulbricht mit anderen Mitgliedern der Auslandsleitung angeordnet, müßten vor Trotzkisten und anderen Agenten der Gestapo gewarnt werden. „Warnlisten" oder „Rundbriefe" mit Namen und Adressen, mit Angaben über illegale Quartiere und politische Tätigkeit, mit Vermerken über das „Verbrechen“ (in der Mehrzahl mit dem Vermerk „Trotzkist") wurden von der Auslandsleitung — allerdings gegen den Willen einzelner Funktionäre — in Umlauf gesetzt, gelangten in die Hände der verstörten Illegalen — und in die Hände der Gestapo

Wer von den Apparat-Gejagten wie durch ein Wunder eine Zeitlang der Verhaftung entging, forderte ebenfalls sein Todesurteil heraus. War sein unwahrscheinliches Glück nicht der schlüssige Beweis, daß er im Dienste der Gestapo stand?Fast ein Jahrzehnt lang kreiste das Verderben deutsche Kommunisten von allen Seiten ein. Sie wurden von ihren Landsleuten durch ganz Europa gejagt. In der Illegalität und Emigration lauerten die Intrige, der Verdacht, der Verrat. Und in ihrer einzigen Zuflucht, in der sie sich sicher und geborgen glaubten, in dem Land, dem ihre Liebe und Verehrung galt, wurden sie in Gefängnisse und Todeslager geworfen, starben sie unter der Folter, verhungerten sie in den Oden Kasachstans, wurden sie an ihren ärgsten Feind, die Gestapo, ausgeliefert. In der Sowjetunion hatte die Säuberung kaum begonnen, da erschienen auch schon in Paris die Instrukteure aus Moskau, um Material zu sammeln Die Kommunisten in der französischen Emigration ahnten, was geschah, aber sie versuchten die Augen zu verschließen. Viele flüchteten nach Spanien, in die Internationalen Brigaden. Aber wer in diesen Jahren nach Moskau beordert wurde, der konnte nicht mehr vor seinem Gewissen fliehen.

Sehr viele ausländische Mitarbeiter der Komintern und auch eine Anzahl der in die UdSSR emigrierten deutschen Funktionäre waren mit ihren Familien im Moskauer Lux untergebracht, einem Ende des vorigen Jahrhunderts erbauten und in der Zarenzeit vornehmlich von reichen Kaufleuten besuchten, nun schon etwas heruntergewirtschafteten großen Hotel. Hier erschienen in den Jahren der Tschistka jede Nacht die Männer des NKWD, durchsuchten die Zimmer, nahmen die neu Verhafteten in ihre Mitte und ließen die anderen in Angst und Schrecken zurück. Am nächsten Tag liefen die Frauen, wenn sie nicht selbst verhaftet worden waren, von einem Gefängnis zum anderen, um wenigstens zu erfahren, wohin man den Mann, den Vater, den Bruder gebracht hatte.

Wenn jemand am Morgen nicht zur Arbeit erschien, nahmen seine Kollegen an, er sei in der Nacht verhaftet worden. Nach außen war dann jeder bestrebt, ungerührt zu erscheinen und so zu tun, als überrasche ihn das nicht. Aber wer dem Fortgebliebenen näher stand, der fürchtete, als nächster an der Reihe zu sein.

Die Kommunisten wurden menschenscheu in diesen Jahren. Einen Vertrauten zu haben, war für sie ein lebensgefährlicher Luxus. Und selbst dem Fremden gegenüber, der sich mit einer harmlosen Frage näherte, wurden sie ängstlich und mißtrauisch. Konnte er nicht ein Spitzel sein, der eine Falle stellte? Nachts lagen sie stundenlang wach und warteten angespannt auf die Schritte im Flur. Tagsüber forderten diese von Furcht zerstörten Menschen die „schonungslose Ausrottung der Volksfeinde", feierten den „großen Stalin" und verrieten aus Angst ihre Freunde

Auch von den deutschen Kommunisten verschwand einer nach dem anderen in der Kellern des NKWD und in den großen Lagern. Es gab nur wenige, die sich in den ständigen Fraktionskämpfen der KPD nicht wenigstens einmal einer „Abweichung" schuldig gemacht hatten, die nun zum Vorwand der Verhaftung wurde. Zu denen, die gleich am Anfang der Tschistka ergriffen wurden, gehörten jene Funktionäre, die — wie Schubert und Schulte — gegen den Volksfrontkurs opponiert hatten. Sie, die damals geglaubt hatten, gerade im Namen Thälmanns widersprechen zu müssen, wurden nun in den Vernehmungen beschuldigt, Thälmann der Gestapo ausgeliefert zu haben

Bei den späteren Verhaftungen wurde es immer schwieriger, irgendeinen Grund zu erkennen. Der Terror wütete blindlings. Manche der Verhafteten erfuhren nie, was sie verbrochen haben sollten. Andere wurden Mitgefangenen gegenübergestellt und mußten hören, wie diese sie durch erpreßte „Geständnisse" mit ins Verhängnis gerissen hatten.

Nur wenige deutsche Kommunisten in sowjetischer Emigration entgingen der Tschistka. Selbst Ulbricht muß um seine Freiheit gefürchtet haben, als er 1937 zu Verhandlungen in die Kominternzentrale kam. Bevor er einen Bericht versuchte vorsichtig zu eruieren, schrieb, er welche Meinung in der Komintern erwünscht sei. Sorgfältig war er darauf bedacht, keinen falschen Schritt zu tun. Er durfte in die französische Hauptstadt zurückkehren 53).

Erst im Januar 1938 übersiedelte Ulbricht nach Moskau und wurde dort — nach Abschluß des Verfahrens gegen ihn — ständiger KPD-Ver-treter bei der Komintern 54).

Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben Historiker und Journalisten den Schicksalen deutscher Kommunisten sowohl im Dritten Reich wie in Sowjetrußland nachgespürt. Zwei frühere Politbüro-Mitglieder der KPD wurden von SS und Gestapo umgebracht: Ernst Thälmann und John Schehr.

Vier Politbüro-Mitglieder wurden im Laufe der Großen Säuberung in Sowjetrußland ermordet: Hermann Remmele, Heinz Neumann, Fritz Schulte, Hermann Schubert.

Neun Mitglieder des KPD-Zentralkomitees starben oder fanden ein gewaltsames Ende in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern.

Zehn Mitglieder des KPD-Zentralkomitees wurden in der Sowjetunion ermordet.

Unter den bekanntesten Opfern des NKWD befanden sich der deutsche Delegierte auf dem Gründungskongreß der Komintern und Mitbegründer der KPD, Hugo Eberlein, der Leiter des Militärapparates

Erst im Januar 1938 übersiedelte Ulbricht nach Moskau und wurde dort — nach Abschluß des Verfahrens gegen ihn — ständiger KPD-Ver-treter bei der Komintern

Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben Historiker und Journalisten den Schicksalen deutscher Kommunisten sowohl im Dritten Reich wie in Sowjetrußland nachgespürt. Zwei frühere Politbüro-Mitglieder der KPD wurden von SS und Gestapo umgebracht: Ernst Thälmann und John Schehr.

Vier Politbüro-Mitglieder wurden im Laufe der Großen Säuberung in Sowjetrußland ermordet: Hermann Remmele, Heinz Neumann, Fritz Schulte, Hermann Schubert.

Neun Mitglieder des KPD-Zentralkomitees starben oder fanden ein gewaltsames Ende in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern.

Zehn Mitglieder des KPD-Zentralkomitees wurden in der Sowjetunion ermordet.

Unter den bekanntesten Opfern des NKWD befanden sich der deutsche Delegierte auf dem Gründungskongreß der Komintern und Mitbegründer der KPD, Hugo Eberlein, der Leiter des Militärapparates der KPD, Hans Kippenberger, der Organisationssekretär Leo Flieg, der Leiter des Roten Frontkämpferbundes, Willy Leow, der Leiter der Roten Hilfe Deutschlands, Willi Koska, die Chefredakteure der üoten Fahne, Heinrich Süßkind und Werner Hirsch, sowie die Redakteure Erich Birkenhauer, Alfred Rebe, Theodor Beutling und Heinrich Kurella, der Bruder des bekannten SED-Funktionärs Alfred Kurella, außerdem der Parteitheoretiker Kurt Sauerland und der Jurist des Zentralkomitees, Felix Halle

Immer noch unbekannt ist die Zahl der vielen nichtprominenten deutschen Kommunisten, die als Opfer der Säuberung in sowjetischen Gefängnissen und Arbeitslagern starben oder schon vor Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes von sowjetischen Behörden gezwungen wurden, das Land zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren 56). Häufig ist der Verdacht geäußert worden, die Hauptschuld an dem Schicksal dieser Menschen treffe Ulbricht 57). Ein solcher Vorwurf geht an der Wahrheit vorbei. Ulbricht hat sich während der Tschistka nicht in Moskau, sondern hauptsächlich in Paris aufgehalten. Er reiste nur gelegentlich zu Konferenzen in die sowjetische Hauptstadt. Auch verhaftete das NKWD nach Gutdünken: Es pflegte vorher weder bei der deutschen noch bei einer anderen Emigra-tionsleitung nachzufragen, ob die Verhaftung dieses oder jenen Mannes erwünscht oder unerwünscht sei. Zumindest am Anfang hat es sich bei der Auswahl seiner Opfer auf Akten der Komintern oder eigene Unterlagen stützen können, die bereits vor Beginn der Tschistka angelegt worden waren und umfangreiche „Sündenregister" enthielten. Diese „Sündenregister" waren zwar häufig durch gegenseitige Beschuldigungen von Fraktionsgegnern zustande gekommen oder erweitert worden; aber die Denunzianten hatten nicht ahnen können, welche Auswirkungen ihre Angaben einmal haben würden.

Zweifellos enthielten die „Kaderakten" auch gegenseitige Anschuldigungen Ulbrichts und seiner Widersacher; zweifellos hat Ulbricht auch noch während der Säuberung Belastungsmaterial geliefert 58) — wie umgekehrt seine inhaftierten Gegner gegen ihn. Aber es gab einen wichtigen Unterschied: Die Anklagen ge-gen Ulbricht wurden nicht verwertet. Ulbrichts Anklagen konnten zu einem Todesurteil führen. Wenn seine Feinde ihm heute den Vorwurf machen, er vor allem sei schuld an der Verfolgung seiner Genossen in der Sowjetunion, so steht dahinter, wenn auch sicherlich oft unbewußt, eigentlich ein anderer Vorwurf: Ulbricht hat überlebt.

Allerdings scheinen sich einige ausländische Spitzenfunktionäre — vor allem der einflußreiche Dimitroff — häufiger und auch erfolgreicher als Pieck und Ulbricht für Verhaftete eingesetzt zu haben Aber untätig blieben auch die beiden Deutschen nicht. Bei jeder Gelegenheit wurden sie von den Frauen der Verhafteten gedrängt, etwas für ihre unschuldigen Männer zu tun. Kommunisten, die über die Grenze nach Deutschland abgeschoben werden sollten, baten verzweifelt um Fürsprache beim NKWD. In solchen Fällen intervenierte Ulbricht einige Male, doch berichtete er hinterher, daß das „NKWD vollständig unzugänglich sei" Mehrere KPD-Funktionäre, die aus der Haft entlassen wurden, hatten den Mut, Pieck, Florin und Ulbricht über die Mißhandlungen, die auch sie erlitten hatten, zu informieren. Einige, so sagten sie, seien nur deshalb freigekommen, weil sie andere Unschuldige belastet und sich bereit erklärt hätten, künftig als NKWD-Spitzel zu arbeiten. Ein junger Kommunist zum Beispiel habe den Auftrag erhalten, Florin und Pieck zu bespitzeln — eine Nachricht, die beide in große Erregung versetzte

Immerhin bemühten sich Pieck, Ulbricht und Florin, nach allem, was sie von den Entlassenen erfahren hatten, um die Freilassung einiger Verhafteter. Sie hatten wenig Erfolg. Wehner berichtet:

„Manuilski gab auf wiederholte Vorstellungen Piecks hin die Antwort, daß er nicht verstehen könne, warum sich Pieck für die Verhafteten überhaupt einsetze. Fast alle hätten ja selbst gestanden und unterschrieben, daß sie im Dienste der Gestapo oder anderer feindlicher Stellen gestanden hätten. Und da doch niemand behaupten könne oder wolle, sie hätten diese Geständnisse unter Zwang abgelegt, sei doch zumindest soviel klar, daß es sich bei den Verhafteten, die unterschrieben hätten, um unzuverlässige Personen handelte. Welchen Nutzen könnte die Partei von solchen Personen haben? Wie würden sie sich erst verhalten, wenn sie in den Händen der Gestapo wären und Torturen ausgesetzt würden? fragte Manuilski ..."

Seit Stalins Tod sind in der Sowjetunion viele Opfer der Tschistka nachträglich rehabilitiert worden, darunter auch deutsche Kommunisten Dennoch hat sich Ulbricht nicht entschließen können, auch nur in einem Fall die Rehabilitierung bekanntgeben zu lassen. Angehörigen von in sowjetischen Lagern verstorbenen oder in der Sowjetunion hingerichteten deutschen Kommunisten soll von der SED-Führung vielmehr mitgeteilt worden sein, es sei untersagt, die Rehabilitierung publik zu machen.

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt

Die deutschen Kommunisten, die die Säuberungen überlebten, sollten bald erfahren, daß sie dafür einen hohen Preis bezahlen mußten: Am 23. August 1939 schloß Stalin mit Hitler den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Er einigte sich mit dem deutschen Diktator in einem geheimen Zusatzabkommen über die Aufteilung der in Osteuropa zu erwartenden Kriegsbeute, insbesondere über die Aufteilung Polens und die Annexion der Baltischen Staaten Das Bündnis Stalins mit ihrem ärgsten Feind war eine nie dagewesene Demütigung für die deutschen Kommunisten und löste bei vielen Verwirrung und Bestürzung aus

Im Januar 1940 trafen sich die überlebenden deutschen Parteiführer in Moskau zu einer Konferenz mit hohen Kominternfunktionären, auf der die Politik der KPD unter den Bedingungen des Stalin-Hitler-Paktes besprochen wurde Dimitroff erklärte, daß die deutsche Partei schon seit dem spanischen Bürgerkrieg nicht mehr als handelnder politischer Faktor in Erscheinung getreten sei und praktisch nicht mehr existiere. Durch den Pakt mit Hitler-Deutschland hätten sich jedoch neue Chancen und legale Möglichkeiten für die Arbeit der Kommunisten in Deutschland ergeben. Berichte über die dortige Lage, Artikel in der deutschen Presse und die starke Beachtung, die der sowjetische Pavillon auf der Leipziger Herbstmesse 1939 gefunden habe, ließen den Schluß zu, daß das Interesse des deutschen Volkes an der Sowjetunion gewaltig zugenommen habe Darüber hinaus sei unter den

Anhängern der NSDAP eine „starke Differenzierung"

zu beobachten. Unter den Einwirkungen des Krieges müsse daher mit einer sprunghaften revolutionären Entwicklung gerechnet werden. Unter diesen Umständen sei es notwendig, vor allem in Deutschland selber wieder verschiedene Zentren zu bilden, die dann zu einer einheitlichen Organisation unter dem Namen Sozialistische Einheitspartei [! ] verbunden werden müßten.

Vier Jahre später, als in dem Hochverratsprozeß gegen den KPD-Funktionär Wilhelm Knöchel die Moskauer Januar-Tagung zur Sprache kam, glaubte der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in den Ausführungen des Kominternchefs „eine eigenartige Auffassung der politischen Gesamtlage" feststellen zu können. Doch offenbar war er nicht ausreichend darüber informiert, daß der Kominternchef den KPD-Funktionären damals in Moskau noch eine zweite, zunächst viel wichtigere Aufgabe gestellt hatte: die Unterstützung der sowjetischen Paktpolitik durch „Entlarvung der Kriegspläne des englischen und französischen Imperialismus".

Wieder einmal mußte die Komintern, das Interessenorgan sowjetischer Machtpolitik, und mit ihr die deutsche Sektion, auf zwei verschiedenen Gleisen fahren. Sowohl Dimitroff als auch verschiedene deutsche Funktionäre, unter ihnen besonders Ulbricht und Dengel’ glaubten offenbar wirklich, daß das neue Verhältnis zwischen den Regierungen in Moskau und Berlin große Möglichkeiten für die KPD eröffne. Dengel verstieg sich zu der Voraussage, illegal im Reich arbeitende Genossen könnten nun sicher sein, nicht mehr geköpft zu werden, Stalin werde dafür sorgen, daß Hitler den Terror gegen Kommunisten in Grenzen halte. Ulbricht wachte darüber, „daß nicht durch . primitiven Antifaschismus'die . legalen Möglichkeiten’ zur Propagierung des sowjeti-sehen Systems innerhalb Deutschlands gestört würden"

Diese Bemerkung traf den Nagel auf den Kopf. Natürlich waren Stalin und seine Funktionäre nicht abgeneigt, mit ihren Sympathieund Freundschaftsbekundungen für das nationalsozialistische Deutschland auch Sympathie für das bolschewistische Rußland einzuhandeln und alle neuen Möglichkeiten für die sowjetische Propaganda in Deutschland auszunutzen. Nebenbei hatte das den Vorteil, die durch den Pakt verwirrten Kommunisten in Deutschland — einige von ihnen waren nach dem Paktabschluß aus den Zuchthäusern und KZs entlassen worden — mit einer Aufgabe zu be-schwichtigen, die sie halbwegs verstehen konnten.

Aber die gefährliche „Abweichung" in dieser Zeit war das, was Ulbricht als „primitiven Antifaschismus" bezeichnete. Die deutschen Kommunisten mußten lernen, daß es im Rah-men des Paktes zwar in gewissen Grenzen möglich war, Propaganda für die Sowjetunion zu machen, nicht aber, Propaganda gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Der „primitive Antifaschismus" gefährdete Stalins wichtigstes außenpolitisches Ziel: die Aufteilung Europas zwischen ihm und Hitler. Die erste gemeinsame Kriegsbeute war in Polen gemacht worden. Sowjetische Truppen hatten im November 1939 mit Billigung Hitler-Deutschlands den Feldzug gegen Finnland eröffnet. Die Einverleibung Litauens, Lettlands und Estlands in die UdSSR sollte wenige Monate später folgen. Die gemeinsame Sache mit dem deutschen Diktator ließ sich so gut an, daß das scheinbar so ertragreiche Bündnis auf keinen Fall durch politischen Bekenntnisdrang deutscher Kommunisten gefährdet werden durfte. Die KPD hatte genauso wie ihre sowjetische Bruderpartei und genauso wie die anderen den Sektionen der Komintern „propagandistischen Hauptstoß" gegen den „französischen und englischen Imperialismus“ zu führen.

Ulbricht suchte einen Anlaß, diese neue Sprachregelung auch anzuwenden. Er fand ihn in einem Aufsatz des Sozialdemokraten Dr. Rudolf Hilferding. Unter der Überschrift „Der Sinn des Krieges" hatte dieser seine politischen Freunde aufgerufen, rückhaltlos und ohne Vorbehalt den Sieg Frankreichs und Englands zu bejahen, da diese beiden Länder für die Ideale der Freiheit den Krieg führten. Diesen Aufsatz benutzte Ulbricht, um sich in der in Stockholm erscheinenden Komintern-Zeitung Die Welt hinter den Stalin-Hitler-Pakt und gegen die englische und französische Regierung zu stellen. Unter der Uberschrift „Hilferding über den Sinn des Krieges“ erklärte er:

„Die revolutionären Arbeiter und fortschrittlichen Kräfte in Deutschland, die unter größten Opfern den Kampf gegen den Terror und gegen die Reaktion in Deutschland führen, wollen nicht das jetzige Regime mit einer nationalen und sozialen Unterdrückung durch den englischen Imperialismus und durch die englisch orientierten Kreise des deutschen Großkapitals vertauschen, sondern kämpfen gegen jede Knechtung des werktätigen Volkes, für ein Deutschland, in dem wirklich das arbeitende Volk bestimmt ...

Das Hitlerregime hielt es für zweckmäßig, den Weg der Herstellung friedlicher Beziehungen zur Sowjetunion zu gehen, weil die Unterstützung des englischen Planes nicht nur Deutschland zu einem Objekt des englischen Planes, zu einem Vasallen des englischen Imperialismus gemacht hätte, sondern auch, weil die Stärke der Roten Armee, die internationale Kraft der Sowjetunion und die Sympathie in den werktätigen Massen Deutschlands für die sozialistische Sowjetunion, dieses Abenteuer als aussichtslos erscheinen ließ. Die herrschenden Kreise Deutschlands entschlossen sich zu einer Neuorientierung der Außenpolitik Deutschlands.

Die deutsche Regierung erklärte sich zu fried-lichen Beziehungen zur Sowjetunion bereit, während der englisch-französische Kriegsblock den Krieg gegen die sozialistische Sowjetunion will. Das Sowjetvolk und das werktätige Volk Deutschlands haben ein Interesse an der Verhinderung des englischen Kriegsplanes ...

Deshalb sehen nicht nur die Kommunisten, sondern auch viele sozialdemokratischen Arbeiter und nationalsozialistische Werktätige ihre Aufgabe darin, unter keinen Umständen einen Bruch des Paktes zuzulassen. Wer gegen die Freundschaft des deutschen und des Sowjetvolkes intrigiert, ist ein Feind des deutschen Volkes und wird als Helfershelfer des englischen Imperialismus gebrandmarkt ... Vor dem deutschen Volke wie vor den im deutschen Nationalitätenstaat eingegliederten Völkern [! ] steht die Frage: nicht mit dem englischen Großkapital für die Ausdehnung des Krieges und ein neues Versailles, sondern mit der Sowjetunion für den Frieden, für die nationale Unabhängigkeit und die Freundschaft der Völker. Die Arbeiterklasse, die Bauern und die werktätige Intelligenz Deutschlands, Österreichs, der Tschechoslowakei und Polens werden der stärkste Garant des sowjetisch-deutschen Paktes und der Verhinderung des englischen Planes werden . .."

Dieser Artikel Ulbrichts erschien in der Welt vom 9. Februar 1940. Am selben Tage lieferte ein deutscher SS-Mann im Gefängnis der polnischen Provinzstadt Biala pod Laska 28 Männer und zwei Frauen ab. Sie waren als Hitler-gegner und Kommunisten in die Sowjetunion geflüchtet und dort während der Säuberung verhaftet worden. Im Rahmen des Stalin-Hitler-Paktes hatten die sowjetischen Behörden beschlossen, sie und ungefähr 470 andere deutsche Antifaschisten an Deutschland auszuliefern. Viele von ihnen starben in deutschen Konzentrationslagern

Der deutsch-sowjetische Krieg und das Nationalkomitee „Freies Deutschland"

Am Montag, dem 16. Juni 1941, versammelten sich in Moskau deutsche Emigranten zu einem Schulungsabend mit Walter Ulbricht. In der aut das Referat folgenden Aussprache wies einer der Anwesenden darauf hin, daß in ausländischen Zeitungen immer häufiger von der Gefahr eines deutschen Angriffes auf die Sowjetunion gesprochen werde. Diese Meldungen seien zwar in der sowjetischen Presse dementiert worden, aber vielleicht sei es doch möglich, so meinte der Fragesteller, von dem Referenten etwas Genaueres zu erfahren. Ulbricht wiederholte in seiner Antwort lediglich die offiziellen Dementis und schloß mit den Worten: „Das sind Gerüchte, die mit provokatorischen Absichten verbreitet werden.

Es wird keinen Krieg geben." Sechs Tage später begann der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Ulbricht hatte ihn, ähnlich wie Stalin, wenn auch sicherlich aus anderen Gründen, bis zum letzten Augenblick nicht wahrhaben wollen. Er notierte in sein Tagebuch: „Die deutsche Arbeiterklasse war nicht imstande, die Kriegsvorbereitungen des Hitler-faschismus zu durchkreuzen und den Überfall auf das Land des Sozialismus zu verhindern. Das war das Furchtbarste."

Und einige Wochen später, nach einem Vortrag an der sowjetischen Militärakademie: „Ich muß sagen, daß mir noch kein Vortrag so schwergefallen ist wie dieser, ... ich fand keine überzeugenden Argumente, um den Sowjetoffizieren zu erklären, warum die Arbeiterklasse im Land von Marx und Engels, an deren Spitze die Partei Thälmanns stand, nicht imstande gewesen war, die Aktionseinheit der Arbeiter herzustellen und die Widerstandsbewegung in Deutschland so zu entfalten, daß Hitler den Überfall auf die Sowjetunion nicht hätte wagen können."

Noch am Tage des Kriegsausbruches wurden Ulbricht und Pieck zu Dimitroff gerufen, der ihnen ihre neuen Aufgaben erläuterte. Während die meisten deutschen Emigranten einige Wochen nach Beginn des Krieges die sowjetische Hauptstadt verlassen mußten (sie wurden in weit entfernte östliche Unionsrepubliken, hauptsächlich in die Gegend von Karaganda zwangsumgesiedelt) blieben Ulbricht, Pieck und andere höhere KPD-Funktionäre in Moskau. Sie sollten die Politische Verwaltung der Roten Armee bei der Ausarbeitung von Informationen über die deutschen Truppen unterstützen und deutsche Kriegsgefangene propagandistisch beeinflussen.

Für die deutschen Kommunisten, die die Säuberungen und die Demütigung des Stalin-Hitler-Paktes überstanden hatten und die jetzt, nach dem Überfall ihrer Landsleute auf das „sozialistische Vaterland", Schuld und ein Gefühl des Versagens gegenüber der Sowjetunion empfanden — das spricht auch aus den Tagebuchaufzeichnungen Ulbrichts —, muß es wie eine Erlösung gewesen sein, nun wieder vom „unversöhnlichen Kampf aller antifaschistischen Kräfte" und von der Verteidigung der Sowjetunion sprechen zu können. Die Pakt-Verteidigung war schnell vergessen.

Aber schon in den ersten Gesprächen zwischen Emigranten und in Gefangenschaft geratenen Soldaten und Offizieren zeigte sich, wie weit sich die kommunistischen Funktionäre in der nun schon fast zehn Jahre dauernden Emigration ihrer Heimat und ihren Landsleuten entfremdet hatten. Menschen standen sich gegenüber, die zwar die gleiche Sprache redeten, einander aber doch nicht verstanden. Die Männer in den Kriegsgefangenenlagern sahen in den kommunistischen Emigranten Vaterlandsverräter, die mit dem Feind paktierten und denen jedes Gefühl für Ehre abging. Verstiegen sich die Emigranten auch noch zu mar-xistischen Exkursen über die „Gesetzmäßigkeit der Geschichte und den unvermeidlichen Sieg des Sozialismus", so erhielten sie meistens nur ein Hohngelächter als Antwort. Die deutsche Flagge wehte über Polen, Skandinavien und ganz Westeuropa. Die deutsche Wehrmacht marschierte auf Moskau. Wer sich unter solchen Umständen mit den „Russenknechten" einließ, meinten die meisten, könne es nur auf materielle Vorteile abgesehen haben — zum Beispiel auf höhere Verpflegungssätze die das schwere Leben in der Gefangenschaft erleichtern sollten und die in der Tat jenen gewährt wurden, die sich bereit erklärten, antifaschistische Aktivs in den Lagern zu bilden. Unter allen diesen Umständen hatten Ulbricht und seine Freunde zunächst so gut wie gar keinen oder doch nur wenig Erfolg bei ihren Landsleuten. Erst nach der Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 trat eine Wende ein. Mit den 91 000 Soldaten der geschlagenen Sechsten Armee gerieten über 2 000 Offiziere in sowjetische Gefangenschaft. Die Männer in den Gefangenenlagern wurden nachdenklich. Die Siegeszuversicht begann zu schwinden. Aber auch die Sowjets begannen, aus den Mißerfolgen in den Lagern ihre Schlüsse zu ziehen. Ende Juni 1943 erschien in der Zeitung für die deutschen Kriegsgefangenen, Das freie Wort, der Aufruf zur Gründung eines „Nationalen Komitees Freies Deutschland" und Anfang Juli rief Manuilski Pieck, Ulbricht und andere deutsche Funktionäre zusammen, um ihnen noch einmal die Absichten zu erläutern, die die Sowjets mit der Gründung dieses National-komitees verfolgten. Ulbricht und die anderen KPD-Vertreter hatten vorgeschlagen, als Emblem des Komitees die Farben Schwarz-Rot-Gold zu wählen, aber Manuilski meinte, diese Farben seien kaum geeignet, bei den deutschen Soldaten und Offizieren besondere Sympathien zu wecken, sie erinnerten zu sehr an die Weimarer Republik. Die Farben des Nationalkomitees müßten vielmehr Schwarz-Weiß-Rot sein; Farben, die den deutschen Kommunisten als Symbol der Rückständigkeit, der Reaktion und des deutschen Imperialismus galten. Aber wieder fügten sie sich den Wünschen der Sowjets und waren künftig mehr als bisher bemüht — dies ebenfalls auf Wunsch des Kreml —, die Klassenkampf-Losungen in ihrer Propaganda zurücktreten zu lassen und von „nationalen Belangen" zu sprechen.

Dennoch löste der von Ulbricht und anderen Kommunisten ausgearbeitete Entwurf des Manifests, das auf einer Gründungsversammlung des Nationalkomitees angenommen werden sollte, bei der kleinen Gruppe von Offizieren, die sich zur Mitarbeit bereit erklärt und einen eigenen Entwurf vorbereitet hatten, starken Protest aus. Heinrich Graf von Einsiedel, der zu den Mitbegründern des Nationalkomitees gehörte, schrieb später in seinen Erinnerungen, der Entwurf der deutschen Kommunisten hätte in seiner Diktion und mit seinen Losungen besser in eine Soldatenratszeitung oder eine KPD-Versammlung gepaßt Nach längeren heftigen Diskussionen zwischen den Ulbricht unterstehenden Emigranten und den Offizieren setzten die Sowjets ihre eigene Fassung durch, die dem Standpunkt der Offiziere weit entgegenkam und schließlich auf der Gründungsversammlung des Nationalkomitees am 12. und 13. Juli 1943 im Haus des Ortssowjets von Krasnogorsk angenommen und feierlich verkündet wurde Die Unterzeichner — 21 Soldaten und Offiziere sowie 12 Emigranten, darunter Pieck, Ulbricht und Florin die Schriftsteller Johannes R. Becher, Willi Bredel, Friedrich Wolf und der zum Präsidenten des Komitees bestimmte Erich Weinert beriefen sich auf den Freiherrn vom Stein, auf Ernst Moritz Arndt, Clausewitz und York, auf „Volk und Vaterland" und for-derten die Bildung einer „wahrhaft deutschen Regierung", die aus dem Freiheitskampf aller Volksschichten gegen das Hitlerregime hervorgehen und deren Aufgabe es sein müsse, sofort den Krieg abzubrechen, die deutschen Truppen an die Reichsgrenzen zurückzuführen und unter Verzicht auf alle eroberten Gebiete Friedensverhandlungen einzuleiten Wenige Wochen nach der Gründung, im August 1943, verlegte das Komitee seinen Sitz von Krasnogorsk in ein früheres Erholungsheim der sowjetischen Eisenbahngewerkschaft in dem etwa 35 km von Moskau entfernten Lunjowo. Hier in Lunjowo waren jedoch nur die Militärs tätig. Die Zivilisten arbeiteten unter Ulbrichts Leitung in Moskau, redigierten dort die Zeitung des Nationalkomitees (Freies Deutschland) und unterhielten einen Kurzwellensender Nur von Zeit zu Zeit erschienen sie in Lunjowo, um an verschiedenen Sitzungen teilzunehmen. Weinert präsidierte, Ulbricht hielt sich im Hintergrund. Aber die Offiziere und Soldaten merkten bald, daß er der politruk des ganzen Unternehmens war „Es gibt Kommunisten", bemerkte Einsiedel dazu, „die ganz gut mit den Offizieren zu verhandeln verstehen. Aber die . Apparatschiks'aus der Partei wie Ulbricht mit ihren hölzernen . dialektischen'Monologen sind einfach unerträglich “ Zu dem gleichen Urteil über den wichtigsten Mann im Nationalkomitee gelangten auch andere Offiziere. Es war ähnlich wie im Pariser Volksfrontausschuß. Während sich der konziliante Pieck zusammen mit Weinert, den anderen kommunistischen Schriftstellern und einigen Funktionären um den Kontakt mit den Offizieren bemühte, leitete Ulbricht den Apparat. Im Moskauer Stadtkomitee bestimmte er die Auswahl und Kompetenz der sogenannten Frontbevollmächtigten, die an den einzelnen Abschnitten der Kampflinie, unterstützt von mehreren Helfern, für das Nationalkomitee arbeiteten und deren Berichte auf Ulbrichts Schreibtisch zusammen-liefen. Die wichtigste Aufgabe dieser Bevollmächtigten bestand darin, mit Lautsprechern in den vordersten Gräben auf der anderen Seite der Front das Nationalkomitee und seine Forderungen bekannt zu machen und dafür zu sorgen, daß möglichst viele Flugblätter in die deutschen Linien gelangten Von Zeit zu Zeit kam Ulbricht persönlich an einen Frontabschnitt, um sich an Ort und Stelle über die allerdings geringen Erfolge der Frontpropaganda zu orientieren und bei dieser Gelegenheit auch selbst über die Linien hinweg zu den gegenüberliegenden deutschen Soldaten zu sprechen und sie zum überlaufen aufzufordern 1944 hatte sich nämlich die Propaganda des Nationalkomitees auf Befehl der Sowjets entscheidend geändert. Während bis Anfang 1944 von einer offiziellen Zersetzungspraxis abgesehen wurde — die Parole hieß: Rückmarsch der deutschen Truppen an die Reichsgrenzen —, wurden die deutschen Soldaten in der zweiten Phase des Krieges aufgefordert, auf die Seite des Nationalkomitees überzugehen.

Ulbricht direkt unterstellt waren auch die hinter den sowjetischen Linien eingerichteten Frontschulen für gerade erst eingebrachte Gefangene, die dort in Schnellkursen politisch umgeschult werden sollten und zeitweilig auch in . Diversionstrupps hinter den deutschen Linien eingesetzt wurden. Das Nationalkomitee in Lunjowo hatte auf solche Aktionen nicht den geringsten Einfluß Es konnte auch nicht verhindern, daß sowohl an den Frontschulen wie auch den — verschiedenen Kriegsgefange-nenlagern angeschlossen — Antifaschulen immer weniger von Arndt, York und Clausewitz die Rede war und immer häufiger von Marx und Engels. Das nationale Pathos hatte dem Marxismus weichen müssen. Hauptfach an den Antifaschulen war ganz offiziell „marxistisch-leninistische Philosophie", außerdem wurden Versammlungstechnik, Partei-taktik, russische Geschichte sowie „bolschewistische Kritik und Selbstkritik" gelehrt Mit marxistischen Vokabeln vollgestopfte frühere Hitlerjungen wurden zu einer wichtigen „Kaderreserve" für die künftige Arbeit in Deutschland.

Mit dem immer schnelleren Vormarsch der russischen Truppen nach Westen und der Aussicht auf die bedingungslose deutsche Kapitulation sowie nach den ersten Vereinbarungen mit den westlichen Alliierten über das künftige Schicksal des besiegten Deutschland verloren die Sowjets immer mehr das Interesse an der Arbeit des Nationalkomitees. Jetzt kam es vielmehr darauf an, noch möglichst viele willige Kriegsgefangene zu marxistisch halbwegs geschulten Funktionären auszubilden — eine Aufgabe, deren organisatorische Überwachung einem Mann wie Ulbricht sehr viel mehr lag als die politische Konversation mit deutschen Offizieren.

Ulbrichts wichtigste Tätigkeit in den letzten Monaten des Krieges bestand jedoch darin, zusammen mit einigen anderen führenden KPD-Emigranten die Grundsätze für die sowjetische Nachkriegspolitik in Richtlinien für die deutschen Kommunisten zu übertragen und die KPD-Emigration auf die künftige Arbeit in Deutschland vorzubereiten.

Im Februar 1945 wurde für diese Aufgabe unter Leitung Ulbrichts eine Kommission des KPD-Politbüros gebildet und bald darauf erhielten etwa 150 in Moskau ansässige deutsche Emigranten die Aufforderung, künftig wöchentlich einmal an einem Schulungskurs teilzunehmen, in dem alle politischen Probleme besprochen werden sollten, die für die bevorstehende Arbeit in Deutschland wichtig seien %).

In ihren Vorträgen betonten die einzelnen Referenten — unter anderem Pieck, Ulbricht, Hermann Matern und Anton Ackermann —, daß die Niederlage des deutschen Faschismus nicht durch eine Volkserhebung im Innern, sondern von außen, durch den militärischen Sieg der Alliierten herbeigetührt worden sei. Da es in Deutschland keine starke Widerstandsbewegung gegeben habe und das an den Verbrechen der Nationalsozialisten mitschuldig gewordene deutsche Volk erst gründlich umerzogen werden müsse, bevor man ihm wieder politische Selbständigkeit einräumen könne, sei eine längere Besetzung des Landes durch die Mächte der Anti-Hitler-Koalition unausbleiblich. Zweifellos, so hieß es weiter, würden Nazis und andere reaktionäre Kräfte in Deutschland versuchen, die einzelnen Besatzungsmächte gegeneinander auszuspielen und ihre Eintracht zu unterminieren. Die wichtigste Aufgabe der deutschen Kommunisten sei deshalb, die Besatzungsmächte in ihrem Bemühen um die endgültige Vernichtung des deutschen Faschismus und Militarismus zu unterstützen und auch ihrerseits alle Versuche zu verhindern, die Einigkeit der vier Alliierten — „das Unterpfand des Sieges" — zu untergraben.

In einigen europäischen Ländern hätten Kommunisten unmittelbar nach der Befreiung die Einführung des Sozialismus gefordert. Es müsse damit gerechnet werden, daß solche „linkssektiererischen" Auffassungen auch unter den Genossen in Deutschland vorhanden seien. Diesen schädlichen Tendenzen müsse von Anfang an energisch entgegengetreten werden; denn in Deutschland komme es nicht darauf an, die Diktatur des Proletariats auszurufen, sondern erst einmal die bürgerlichdemokratische Revolution von 1848 zu vollenden. Das erfordere die Ausrottung des deutschen Imperialismus und Militarismus und die Verwirklichung verschiedener großer Reformen. Mit der Zulassung von politischen Parteien sei vorerst nicht zu rechnen; alle Antifaschisten sollten sich in einer Massenorganisation unter der Bezeichnung „Block der kämpferischen Demokratie" sammeln.

Am 1. April 1945 konferierten Pieck, Ulbricht und Anton Ackermann noch einmal ausführlich mit Dimitroff über die bevorstehende Arbeit in Deutschland Auf dieser Beratung wurde offenbar auch der Rückreiseplan für die Mitglieder des KPD-Politbüros festgelegt. Als erster, so wurde beschlossen, sollte Ulbricht, begleitet von einigen anderen, nach Berlin reisen. Bevor es soweit war, kamen die für die „Gruppe Ulbricht" ausgewählten Funktionäre noch mehrmals mit ihrem Reiseleiter zusammen, um eine Anzahl technischer Einzelheiten zu besprechen. Einer von ihnen war der junge Wolfgang Leonhard. Er bemerkte zu seinem Erstaunen, daß Ulbricht von der Aussicht, bald wieder in Deutschland zu sein, überhaupt nicht beeindruckt schien:

„Er sprach zu uns, als ob es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt handeln würde, nach so vielen Jahren nach Deutschland zurückzukehren."

Ulbricht, Deutschland und die Sowjetunion

Der frühere Komintern-Funktionär Eudocio Ravines schildert in seinem Erinnerungsbuch The Yenan Way eine Versammlung hoher Komintern-Vertreter in Moskau. Sie fand in den Jahren des spanischen Bürgerkrieges oder kurz danach statt. Dimitroff hielt das Referat. Er sprach über die Erfolge und Mißerfolge der einzelnen kommunistischen Parteien und machte in diesem Zusammenhang auch eine abfällige Bemerkung über die Arbeit der Kommunisten in Deutschland. Im gleichen Augenblick, so berichtet Ravines, sprang Pieck auf. Erregt erwiderte er:

„So etwas kann man einfach nicht sagen! . .. Es ist jetzt Zeit, das vor allen diesen Genossen auszusprechen! Wir sind es leid, immer zu hören, die deutschen Kommunisten hätten nicht gekämpft, sie hätten ohne Widerstand aufgegeben. Das alles geschah, um in Deutschland den Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern. Die unvermeidliche Intervention der Westmächte hätte die sowjetischen Grenzen erreichen und damit die Sowjetunion in den Konflikt hineinziehen können."

Der ebenfalls anwesende Manuilski versuchte, Pieck zu beruhigen und zum Schweigen zu bringen Ohne Erfolg. Der Deutsche sprach weiter, ja er schrie:

..... Moskau hat uns befohlen, aufzugeben. Ich muß das hier vor diesen Genossen klarstellen, weil wir mit Hohn überschüttet werden: . Warum habt Ihr nicht gekämpft wie die Spanier? Ihr seid die Schande des Weltkommunis musl’ . Wir Deutschen sind keine Feiglinge Genossen! Wir sind nicht unwürdig, mit sPa nischen oder chinesischen Kommunisten an einem Tisch zu sitzen . . .

Übereilt brach Dimitroff die Sitzung ab. Zwei Tage später, als sie fortgesetzt wurde, erhob sich Pieck noch vor Eintritt in die Tagesordnung, bedauerte sein Verhalten und nahm seine Äußerungen zurück.

Bei diesem Zwischenfall traten für einen Augenblick alle jene Elemente ans Licht, die das gegenseitige Verhältnis der deutschen Emigranten und der sowjetischen Kommunisten in den Jahren der Hitler-Herrschaft charakterisierten: Auch in dieser Zeit wurde die kommunistische Politik von der Frage bestimmt: , Was dient den Interessen der Sowjetunion?'Diesem Grundsatz mußten alle anderen Gesichtspunkte, mußten der Glaube an den proletarischen Internationalismus und die Feindschaft gegen Faschismus und Nationalsozialismus untergeordnet werden. Diese Politik erreichte ihren Höhepunkt im deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und in den Geheimabkommen zwischen Hitler und Stalin. Gleichzeitig drängten die Sowjets den deutschen Emigranten ein schweres Schuldgefühl auf. Immer wieder warfen sie ihnen vor, versagt zu haben. Das gilt besonders für die Jahre des deutsch-sowjetischen Krieges.

Und schließlich: Widerspruch gegen die Sowjets endete entweder mit Verhaftung und Todesurteil oder mit Selbstkritik und neuer Unterwerfung.

Von Ulbricht ist nicht bekannt, daß er jemals in ähnlicher Weise wie Pieck aufbegehrt hätte. Aber in seinem Verhalten als Statthalter der Sowjets in Deutschland finden sich jene eben beschriebenen Elemente wieder. Sie bestimmten auch nach 1945 Ulbrichts Verhältnis zu den Sowjets, — und sie bestimmten gleichzeitig sein Verhältnis zu den Deutschen. Was die Sowjets von den Emigranten und von ihm verlangt hatten, verlangte er nun von den Deutschen: das Eingeständnis schwerer Schuld gegenüber der Sowjetunion, Hintanstellung deutscher Interessen und Gehorsam.

Sollte es den Millionen überzeugter Nationalsozialisten besser gehen als den von ihnen zwölf Jahre lang verfemten KP-Emigranten? Wenn die Kommunisten versagt hatten — hatten nicht auch die anderen Gegner Hitlers versagt? Sollten sie frei von Schuld sein? Ulbricht gab die Anklage Moskaus „Ihr seid schuld!'nach dem Ende des Krieges tausendfach weiter: „Der heimtückische Überfall der Hitlerarmeen auf den ersten Staat der Werktätigen ist das schändlichste Kapitel in der Geschichte des deutschen Volkes." Und er erpreßte mit der Anklage — genauso wie die Sowjets — Botmäßigkeit.

Zwar hat dieser Mann schon in den Jahren vor Hitler Moskau als das Zentrum des Weltkommunismus anerkannt und Direktiven in Deutschland verwirklicht, die an den Schreibtischen des Kreml entworfen worden waren. Dennoch haben die Jahre von 1933— 1945 sein Verhältnis zur Sowjetunion und zu Deutschland verändert. Man sollte die Tatsache nicht unterschätzen, daß Ulbricht 1937 aus Deutschland ausgebürgert wurde — wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Selbst einem Kommunisten, der als Internationalist fühlt, mag das nicht gleichgültig sein.

Es wird behauptet — das sei hier erwähnt — Ulbricht habe die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen. Der Beweis dafür ist nicht zu erbringen. Ulbricht sagt, er sei nie sowjetischer Bürger gewesen Im Grunde ist die Frage uninteressant. Nicht die Staatsbürgerschaft eines Menschen entscheidet, sondern sein Verhalten. Hinter dem Vorwurf der Sowjet-Bürgerschaft verbirgt sich der gleiche engstirnige Nationalismus, den andere, in westliche Länder emigrierte und ebenfalls von Hitler eingebürgerte Gegner des Nationalsozialismus zu spüren bekommen haben. Fest steht, 1933 hat Ulbricht Deutschland ver-lassen müssen. 1937 verlor er das Recht, sich deutscher Staatsbürger zu nennen. 1938 übersiedelte er von Paris in die Sowjetunion und fand dort eine „zweite Heimat".

Aber selbst der kommunistische Emigrant spürt die Entwurzelung seines Lebens. Seine Heimat, die er verlassen mußte, wird ihm fremd. Doch alle Versuche, sich von ihr zu befreien, scheitern. Für seine Gastgeber bleibt er der Repräsentant seines Geburtslandes; ihre Anklagen gegen das Unrecht dort gehen an seine Adresse; an ihn, den Flüchtling, geht die Frage: , Wie war das möglich? Warum habt Ihr es zugelassen?'In den Jahren des Krieges mag Ulbricht sich manchmal gewünscht haben, nicht Deutscher zu sein, sondern ein gebürtiger Russe. Vieles wäre dann für ihn einfacher gewesen. Es ist schwer, eine zweite Heimat zu finden. Es ist schwer, nicht mehr dahin zu gehören und noch nicht hierhin. Aber auch der Emigrant, gerade er, will irgendwo hingehören, irgendwo dazugehören. Ulbricht versuchte, sowjetischer als die Sowjets zu sein, „päpstlicher als der Papst". Sein in den zwanziger Jahren gewonnener Glaube, die Sowjetunion sei der erste sozialistische Staat, „das Vaterland aller Werktätigen", half ihm dabei. Bald begann er, seine Landsleute mit den Augen der Sowjets zu sehen — oder glaubte doch, sie so zu sehen. Dann kam er zurück nach Deutschland.

Er glaubte, sein Haß auf das Land und seine Menschen, die über die Städte und Dörfer der Sowjetunion Tod, Verderben und großes Leid gebracht hatten, sei der gleiche Haß, wie ihn die Sowjetbürger spürten. Aber Ulbrichts Haß war vielschichtiger. Er muß die Deutschen mehr gehaßt haben, als die Sowjets das taten. In seinem Haß entlud sich alle Schmach, die deutsche Kommunisten in der Sowjetunion erlitten hatten und für die er nicht die Sowjets, sondern nun die Deutschen verantwortlich machte. In seinem Haß entlud sich auch die Erbitterung darüber, daß er als Statthalter heimkehren mußte. Der Traum des alten Kommunisten, ein durch die siegreiche Revolution entstandenes Sowjetdeutschland repräsentieren zu können, war ausgeträumt. Und auch der neue Widerspruch, der erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges für Ulbricht entstand, muß den Haß vertieft haben. Ulbricht verachtete das Hitler-Volk, aber nur mit diesem Volk konnte er wiedergutmachen; mit diesen Menschen mußte er die Voraussetzungen für einen bolschewistischen Staat auf deutschem Boden schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Teddy* war der Spitzname Thälmanns in der KPD.

  2. Vgl Ulbrichts Rede im Reichstag vom 5 Februar 1931

  3. Nach dem Filmstreifen von einet Goebbels-Rede in Berlin, den ich für einen Fernseh-Dokumentarfilm über Ulbricht benutzt habe Das genaue Datum der Goebbels-Rede habe ich leider nicht feststellen können.

  4. Vgl. Herbert Wehner, Notizen (hektograph.), S. 36, als Wehner-Erinnerungen zitiert.

  5. Das war der geheime M(ilitär) -Apparat der KPD.

  6. Nach einer Ausarbeitung Hermann Webers über die illegale Arbeit der KPD nach 1933 für die Redaktion Stern.

  7. Thälmann starb erst 1944. Er wurde im August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald von der SS ermordert. Ein Prozeß gegen ihn hat niemals stattgefunden.

  8. Für das Folgende vgl. Wehner-Erinnerungen, S. 38 ff.

  9. Aus einem Brief an die Stern-Redaktion.

  10. Nach einer Ausarbeitung Leo Bauers für die Stern-Redaktion.

  11. Vgl. Margarete Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau — Stationen eines Irrweges, Stutt-gart 1957 S 261 ff.

  12. Vgl Walter (Berlin), Organisatorische Fragen de: Massenarbeit der KPD, Teil I, in: Rundschau, Nr 44/1933: Teil II, in: Rundschau, Nr 46'1933

  13. Vgl Walter, Das kapitalistische Rettungsprogramm der SPD und die Rolle der . Linken’, in; Kommunistische Internationale, Nr. 12/1934.

  14. Ebenda. — Noch 1962 heißt es in einem Aufsatz von Wolfgang Schumann („Zur führenden Rolle un-serer marxistisch-leninistischen Partei und ihres Zentralkomitees im Kampf gegen Faschismus und Krieg [1933— 1945] ') in der Ost-Berliner Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Nr, 5): „Es gibt keinen Bruch in der Politik der Partei vor und nach der Errichtung der faschistischen Diktatur Sie ist im Gegenteil in ihrer Hauptrichtung gegen die reaktionärsten Kräfte des deutschen Imperialismus und Militarismus durch eine einheitliche und geschlossene Kontinuität gekennzeichnet "

  15. Näheres vgl Franz Borkenau, Der europäische Kommunismus — Seine Geschichte von I 9D bis zur Gegenwart, München 1952, S. 103 ff und Günther Nollau, Die Internationale — Wurzeln una Erscheinungsformen des proletarischen Inlernatio-nalismus, Köln 1959 *, S 131 ff

  16. Am 12. Juli 1934, einige Tage nach dem Röhm-Putsch in Deutschland, forderte Ulbricht in der Saarbrückener Arbeiter-Zeitung die „Kameraden in der SA“ und die „Kameraden in der Hitlerjugend" auf, gemeinsam mit den Kommunisten zum Generalstreik zu rüsten und „für die Sowjetmacht in Deutschland“ zu kämpfen. Dieser Artikel wurde in der Rundschau, Nr. 41/1934, nachgedruckt.

  17. In der in Ost-Berlin erscheinenden Zeitschrift Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Heft 2/1963, S. 282 ff., ist ein sehr aufschlußreicher Brief Dimitroffs zur Vorbereitung des VII. Weltkongresses veröffentlicht worden, der im Juni 1934 in Moskau geschrieben worden sein soll. Darin heißt es:

  18. Für das Folgende vgl. vor allem Wehner, S. 79 ff. und Siegfried Bahne, Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Das Ende der Parteien 1933, hrsg. v. Erich Matthias und Rudolf Morsey, Düsseldorf 1960.

  19. Vgl. Bahne (a. a. O. — Anm 18).

  20. Uber die Haltung Stalins in der Volksfrontdebatte vgl. Eudocio Ravines, The Yenan Way, New York 1951, S. 114 ff. In dem Aufsatz von Richard Gyptner, . Das Westeuropäische Büro der Kommunistischen Internationale (1928— 1933)" (Beiträge zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Nr 3/1963), heißt es, Dimitroff habe seine Grundsätze für die Volksfrontpolitik „in Auseinandersetzungen mit dogmatischen und sektiererischen Auffassungen Stalins" entwickelt. Und auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 erklärte Ulbricht: „Auch wir, die Mitglieder und Führung der KPD, haben unter dem stalinistischen Personenkult und seinen Terrormethoden gelitten. Und wenn es einige Leute genau wissen wollen: Unser Politbüro hat sich gegen die stalinistischen Methoden gewandt und fand dabei Verständnis und Unterstützung bei sowjetischen Genossen und beim Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, Genossen Georgi Dimitroff. Unser Politbüro hat mit sowjetischen Genossen und mit solchen hervorragenden Führern der internationalen Arbeiterbewegung wie Maurice Thorez, Palmiro Togliatti, Klement Gottwald und Harry Pollitt auch für Deutschland die Politik der Volksfront und die nationale Politik der Einigung aller Kräfte gegen Hitler entwickelt. Das war nur möglich gegen den Widerstand eines Teils leitender Funktionäre unserer eigenen Partei Genossen Wilhelm Pieck und mir gelang es, die Mehrheit für diese Politik auch im Zentralkomitee unserer eigenen Partei zu gewinnen .. "

  21. Vgl Wehner, S 82 f. Die nach den Auseinandersetzungen angenommene Resolution ist in der Kommunistischen Internationale, Nr. 8/1935, veröf-fentlicht worden Darin heißt es u a.: „In selbstkritischer Weise stellt das ZK die Fehler, Mängel und Schwächen in der Arbeit der Partei fest . Das Zentralkomitee stellt fest, daß diese Schwäche unserer Parteiarbeit in erster Reihe zurückzuführen ist auf eine sektiererische Einstellung auf allen Gebieten der Massenarbeit, vor allem in der Einheitsfrontpolitik, und auf eine opportunistische Spekulation auf ein Abwirtschaften des Faschismus, auf eine spontane Entwicklung der Massenbewegung Der Faschismus zerfällt nicht von selbst ... Zur Herbeiführung des Sturzes der Hitler-Diktatur ist es die zentrale Aufgabe des Proletariats, durch die Gewinnung der Verbündeten aus allen Schichten des werktätigen Volkes die breiteste antifaschistische Volksfront herzustellen zur Volksrevolution für ein freies sozialistisches Deutschland der Räte-macht!" Diese sehr aufschlußreiche Resolution wirkt auf den, der die Entwicklung der Volksfrontpolitik 1935/36 kennt, noch sehr „sektiererisch".

  22. Vgl. u. a. Walter, „Für die Aktionseinheit gegen den Hitler-Faschismus — Offene Antwort an Siegfried Aufhäuser und die linken Sozialdemokraten', in: Die Rundschau, Nr. 55/1934. Zwar forderte Ulbricht in diesem Artikel die „Herstellung der Aktionseinheit [mit den Sozialdemokraten] für die nächstliegenden unmittelbaren Interessen des Kampfes gegen den Hitlerfaschismus", richtete aber gleichzeitig wieder scharfe Angriffe gegen den SPD-Parteivorstand und erklärte, „daß jene sozialdemokratischen Mitglieder und Gruppen", die die Politik der SPD-Führung „durchschaut“ hätten, „Mitglieder der Kommunistischen Partei werden und sich, wie es Marx und Engels getan haben, Kommunisten nennen" müßten, denn: „Die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse kann nur auf dem Weg über die Aktionseinheit und durch die Gewinnung der Arbeitermassen für den revolutionären Klassenkampf, für den Kampf um den Kommunismus erreicht werden . Wir werden alles tun, um die Massen der Arbeiter für die kommunistischen Grundsätze und als Mitglieder der KPD zu gewinnen, für jene Politik die zum Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion geführt hat 23) Vgl. Wehner, S. 80 f.

  23. Nach verschiedenen, übereinstimmenden Berich ten früherer Kommunisten

  24. Gustav Regler, Das Ohi des Malchus, Köln 1958. S 232 f.

  25. Vgl u. a Wilhelm Pieck/Georgi Dimitroff/Pal-miro Togliatti, Oftensive des Faschismus und die Aufgaben dei Kommunisten im Kampl für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus — Referate auf dem VII Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (1935), Dietz-Verlag, Ost-Berlin 1957; Günther Nollau, Die Internationale S 138 fl

  26. über Florins Reaktion auf dieses Ergebnis vgl. Wehner, S 99

  27. Und zwar in Rublewo Nach Wehner (S 103) nahmen ca. 35 Genossen an dieser Konferenz teil. Ein anderer Teilnehmer, Wilhelm Knöchel, meinte, es seien ungefähr 50 gewesen (vgl Anklageschrift des Oberreichsanwalles beim Volksgerichtshol ge-gen den Dreher Wilhelm Knöchel vom 12 April 1944).

  28. Die Bezeichnung „Brüsseler" Parteikonferenz wurde gewählt, um die Gestapo irrezuführen

  29. Hier muß erwähnt werden, daß mehrere Anhänger der „Mehrheit" inzwischen zur „Minderheit" übergegangen waren Interessant ist allerdings daß die als Vertreter der Komintern anwesenden Spitzenfunktionäre Manuilski und Togliatti vor der Wahl des neuen Zentralkomitees durch Pieck erklären ließen, „daß sie es — im Interesse der Wahrung der Kontinuität der Politik der Partei und als Ausdruck für die Verbundenheit der jungen Kader mit den traditionsreichen alten — für zweckmäßig und richtig hielten, Schubert und Schulle wieder in das Zentralkomitee zu wählen Sie ließen ihie Befürchtung zum Ausdruck bringen, daß die heißen Debatten als ein Bruch mit der Vergangenheit der Partei ausgelegt werden könnten, wenn eine solche Demonstration unterbleiben würde “ (vgl Wehner, S 105 f) Unter anderen sprach sich Wehner entschieden gegen den Vorschlag aus, und nach seiner Rede beschloß die Konferenz, diesen zu verwerfen. In das neue Zentralkomitee wurden folgende Funktionäre gewählt: Thälmann, Pieck. Florin. Heckert, Ulbricht, Dahlem, Merker, Wehner Ackermann fals Mitglieder bzw Kandidaten des Politbüros! außerdem Bertz, Weber, Irene Gärtner (d i Elli Schmidt), Höhnel, Münzenberg, Mewis. Knöchel (vol Wehner S 106)

  30. Dahlems Rolle in den Auseinandersetzungen um die Volksfrontpolitik wird von den SED-Führern unterschiedlich beurteilt. Nachdem Dahlem 1953 in Ungnade gefallen war, schrieb Wilhelm Pieck zum 60. Geburtstag Ulbrichts in der Einheit, Nr. 7/1953-„Hartnäckig und konsequent führte er [Walter Ulbricht] den Kampf gegen die falsche Einschätzung der Situation und gegen das Sektierertum der Gruppe von ZK-Mitgliedern, deren Wortführer Schubert, Schulte und Dahlem [I] waren.“ Nachdem Dahlem wieder rehabilitiert war, schrieb Alexander Abusch in der Einheit, Nr. 6/1963: „Genosse Ulbricht vertrat diese neue Politik mit aller Konsequenz; an seiner Seite standen zunächst die Genossen Wilhelm Pieck und Fritz Heckert, im Auslandssekretariat der Partei unterstützte ihn Genosse Franz Dahlem "

  31. Vgl u a Bahne, a a O (Anm 18). Das Protokoll der Gespräche befindet sich im SPD-Parteivorstand in Bonn.

  32. Ulbrichts Rede in der Vormittagssitzung des elften Verhandlungstages, am 7 August 1935, ist in der Rundschau, Nr 36/1935, abgedruckt worden.

  33. Vgl. Walter, Um die Einheitsfront in Deutschland — (Antwort an den Prager Vorstand der SPD), in: Kommunistische Internationale, Nr. 3/1936 (Dort is jedoch der entsprechende Brief Ulbrichts an den SPD-Parteivorstand vom 10. November 1935 talsc zitiert.)

  34. U a nach schriftlichen Notizen und mündlichen Auskünften von Leo Bauer Besonders möchte ich auf die hochinteressante Arbeit von Babette L. Gross, der Witwe Münzenbergs, hinweisen Sie ist unter dem Titel: Die Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 24. Oktober 1962, erschienen.

  35. Für das Folgende vgl SBZ-Archiv, Nr. 10/1963, Dokumentarischer Anhang, S 151 f.

  36. Otto Strasser, von 1925— 1930 Mitglied der NSDAP gründete nach seinem Bruch mit Hitler die Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten (Schwarze Front) und emigrierte 1933 aus Deutschland.

  37. Den vollständigen Text des Briefes hat Alfred Kantorowicz mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Der hier zitierte Absatz ist ebenfalls zitiert in Alfred Kantorowicz Deutsches Tagebuch, Bd. 1, München 1959, S. 48.

  38. A. a O. (Anm. 38), S. 328. — In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch auch zitieren, welche Meinung Rudolf Breitscheid, ein Mitglied des Ausschusses, über Heinrich Mann hatte. In einem Brief an den Genossen Lange vom 19. August 1938, der im Archiv des SPD-Parteivorstandes aufbewahrt wird, schrieb Breitscheid: .... Heinrich Mann ist nicht Sozialdemokrat, und was seine Sympathien betrifft, so gehen sie weit mehr nach der kommunistischen Seite als nach der unsrigen ... ” "... ein politisch ... wenig erfahrener und so wenig unabhängiger Outsider."

  39. Vgl. Wehner, S. 184/85 u. Brief an die Vers, vom 20. März 1964.

  40. Aus dem Brief an den Genossen Lange vom 19. August 1938.

  41. Ulbricht schrieb dazu unter der Überschrift „Fünf Jahre Hitlerherrschaft — wie kämpft das antifaschistische Deutschland?" in der Rundschau, Nr. 4/1938: „Wenn es in Paris zu Schwierigkeiten im Vorbereitenden Volksfrontausschuß kam, so war doch der tiefere Grund das Fehlen der Einheitsfront. Die KPD gehörte als Organisation dem Volksfrontausschuß an, während die sozialdemokratischen Genossen nur als Personen vertreten sind, die sich noch nicht auf den Willen von Organisationen stützen, die auch bisher leider keine genügende Orientierung auf die Probleme des Landes haben...Man kann nicht tatsächlich gegen den Faschismus kämpfen, wenn man nicht zur allseitigen Festigung der wichtigsten Schutzwehr dieses Kampfes, der Sowjetunion, beiträgt."

  42. Dafür spricht ein Artikel Dimitroffs, der am 12. November 1937 in der französischen KP-Zeitung Humanite veröffentlicht wurde und in dem es u. a. heißt: „Genosse Stalin hat tausendmal recht, wenn er bereits vor zehn Jahren schrieb, man könnte den Kapitalismus nicht überwinden, wenn man nicht mit der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung Schluß macht" Das war praktisch eine Absage an die Volksfront. (Vgl. Babette L. Gross, Die Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren, Aus Poli und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 24. Oktober 1962.)

  43. Vgl. Babette L. Gross, „Die Volksfrontpolitik ...", Günther Nollau, Die Internationale wo Hugh Thomas, Der Spanische Bürgerkrieg, Ber 111 Frankfurt-Wien 1961.

  44. Uber Ulbrichts Rolle im spanischen Bürgerkrieg gehen die Meinungen auseinander. Die Behauptung Piecks zum 60. Geburtstag Ulbrichts, dieser habe in den Internationalen Brigaden gekämpft (Einheit, Nr. 7/1953), ist offensichtlich falsch, denn selbst Becher erwähnt in seiner Ulbricht-Biographie nur, U. habe Anfang 1937 über den Sender Barcelona „zu den Werktätigen in Deutschland" gesprochen. Kantorowicz, der selbst in Spanien war, berichtet, U. habe sich im Dezember 1936 nur für wenige Wochen „zur Kontrolle der politischen Apparate der internationalen Brigaden in Barcelona, Valencia und vielleicht Albacete aufgehalten“ (Die Welt, 2. März 1963). Das entspricht Wehners Meinung, der schreibt: „Ulbricht war nur einige Male kurzfristig in Spanien . . . Ulbricht hat aber in seiner Eigenschaft als leitender Mann des Politbüros im Ausland seine Beziehungen zu , den Kadern'gehabt . . ., d. h. zu denjenigen, die in Spanien die dort kämpfenden deutschen Kommunisten beaufsichtigten." (Nach einem Brief an die Vers, vom 20. März 1964.) Erich Wollenberg schreibt, auf Befehl Ulbrichts und des französischen Kommunisten Andre Marty sei der deutsche Sozialist Kurt Landau durch deutsche Apparatleute in Barcelona verhaftet und in einem spanischen GPU-Gefängnis zu Tode gefoltert worden (vgl. Der Apparat — Stalins Füntte Kolonne). In den fünfziger Jahren habe Marty einer Freundin gebeichtet, daß er Ulbrichts Forderung, Landau zu liquidieren, im spanischen Bürgerkrieg nachgegeben habe. (Nach einem Brief Wollenbergs an die Vers, vom 2. Oktober 1963 ) Bei allen meinen eigenen Nachforschungen habe ich die Angaben von Alfred Kantorowicz und Herbert Wehner bestätigt gefunden

  45. Vgl. Margarete Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau, S. 284.

  46. Vgl Rundschau, Nr 26 und 29/1939

  47. Vgl Wehner, S. 135

  48. Vgl. u a. Erich Wollenberg Der Apparat - Stalins Fünfte Kolonne, in: Ostprobleme. Nr 19t 1951; Günther Nollau Die Internationale, S. 153 f. Wehner (Brief vom 20 März 1964) bemerkt dazu: „Die . Warnlisten waren woh) eine Fortsetzung der . Schwarzen Listen , die der von Kippenberger geleitete besondere Apparat seit Jahren herausgegeben und verbreitet hat Obwohl nach der . Brüsseler Konferenz'im Jahre 1935 intern beschlossen worden war. die gesamte Abwehrund Sicherungsarbeit gegen die Gestapo auf eine andere Grundlage zu stellen, haben offensichtlich sowohl Hermann. Nu ding als auch Paul Bertz ... sie weitergeführt.

  49. So kam z. B. die in der Komintern tätige deutsche KP-Funktionärin Grete Wilde nach Paris, um Angaben über die im Münzenberg-Apparat tätigen Personen zu sammeln. Vgl. Wehner, S. 134.

  50. Es gibt bereits eine umfangreiche Literatur über die Zeit der Säuberung in der Sowjetunion Ich möchte vor allem hinweisen auf die beiden Bücher von Margarete Buber-Neumann Von Potsdam nach Moskau und Als Gelangene bei Hitler und Stalin, München 1949, auf Alexander Weissberg-Cybulski, Hexensabbat, Frankfurt 1951, und auf Ervin Sinko, Roman eines Romans, Köln 1962

  51. Noch 1939 schrieb Ulbricht in der Kommunistischen Internationale: „Ernst Thälmann fiel durch trotzkistische Verräter in die Hände der Gestapo Das muß für alle ehrlichen Freiheitskämpfer in Deutschland die ständige Mahnung sein, die Reihen der Arbeiterklasse und der antifaschistischen Bewegung rücksichtslos von den trotzkistischen Spionen zu säubern." (W. U., „Ernst Thälmann und der Freiheitskampf des deutschen Volkes", in: Kommunistische Internationale, Nr 3/1939).

  52. Wehner berichtet in seinen Erinnerungen über eine Konferenz in Moskau, die in der Zeit der Säuberung abgehalten wurde: „Bevor die Beratungen der deutschen Frage eröffnet wurden, fragte ich Ulbricht nach den Grundlinien seines Berichts Er antwortete, daß er noch bei der Ausarbeitung sei, und ich könnte doch wohl nicht glauben, daß er so dumm wäre, etwas niederzuschreiben, bevor er von Dimitroff, Manuilski, Ercoli und Kuusinen herausbekommen hätte, welche Fragen diese stellen wollten " (S 138)

  53. Vgl Anklageschriit des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof gegen den Dreher Wilhelm Knöchel (Mitglied des auf der „Brüsseler'Parteikonferenz gewählten Zentralkomitees der KPD).

  54. Vgl Der deutsche Kommunismus — Dokumente, S. 359, Anm 92, und Hermann Weber, Ulbricht lälscht Geschichte — Ein Kommentar mit Dokumenten zum Grundriß der deutschen Arbeiterbewegung, Köln 1964, S. 92 ff.

  55. Vgl. Wehner, S. 161.

  56. Vgl. Wehner, S. 168.

  57. Vgl auch für das Folgende Wehner, S 165 ff

  58. Vgl Wehner.

  59. So z. B Hans Kippenberger, der frühere Leiter des M-Apparates der KPD Er wurde 1936 in Moskau verhaftet, 1937 zum Tode verurteilt und erschossen Ein Jahr nach seinem Tod, 1938, wurde auch seine Frau verhaftet. Sie starb in einem NKWD-Lager. 1958 hat das Militärkollegium des Obersten Sowjets der UdSSR unter dem Aktenzeieben N — 167 758 festgestellt, daß Kippenberger zu Unrecht verurteilt worden sei. Mit einem zweiten Dokument wurde Thea Kippenberger rehabilitiert. Die beiden Töchter erhielten eine Entschädigung Fotokopien der beiden Rehabilitierungs-Urkunden befinden sich im Besitz von Leo Bauer

  60. Vgl. u. a.: Das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion 1939— 1941 -Akten aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen Amtes, Department of State, 1948.

  61. Am 25. August 1939, also eine Woche vor Ausbrudi des Zweiten Weltkrieges, veröffentlichte das ZK der KPD eine Erklärung, in der der Pakt zwar als eine „erfolgreiche Friedenstat" der Sowjetunion gepriesen, aber gleichzeitig zum „verstärkten Kampf gegen die Nazidiktatur" aufgerufen wurde. Sollte Hitler, so hieß es weiter, das deutsche Volk „trotz allem in die Katastrophe des Krieges" stürzen, „dann muß jeder Deutsche wissen: der Nationalsozialismus ist der Schuldige am Krieg! Dann kommt es darauf an, für die Niederlage des Nazi-regimes im Kriege und für den Sturz der Nazis zu kämpfen “ (vgl Rundschau, Nr 46/1939; die Erklärung ist auch in Der deutsche Kommunismus — Dokumente, S. 361 ff. wiedergegeben). Nachdem dann der Krieg ausgebrochen war, änderten die Führer dei KPD ihre Meinung Im Dezember 1939 veröffentlichte Pieck unter der Überschrift „Um was geht es in diesem Krieg?" in der Kommunistischen Internationale einen Artikel, in dem nicht mehr allein Hitler und der Nationalsozialismus für den Krieg verantwortlich gemacht wurden, sondern in erster Linie die englische und die französische Regierung. Durch ihre Bereitschaft, den Krieg bis zur Vernichtung des Nationalsozialismus fortzusetzen, so behauptete Pieck, hätten beide Regierungen schwere Schuld auf sich geladen Die Arbeiterklasse, besonders in England und Frankreich, habe jetzt die Aufgabe, die Regierung beider Länder zum Abbruch des Krieges gegen Deutschland zu zwingen.

  62. Die folgende Darstellung stützt sich auf die Erinnerungen Wehners (S 184 ff.) sowie auf die ausführliche Behandlung der Januar-Tagung in der Anklageschrift des Volksgerichtshofes gegen das ZK-Mitglied Wilhelm Knöchel vom 12 April 1944.

  63. Ganz in diesem Sinne hatte Ulbricht schon 1939 in der Kommunistischen Internationale, Nr. 6, unter der Überschrift „Die internationale Bedeutung des antifaschistischen Kampfes in Deutschland" festgestellt:

  64. Philipp Dengel war als Vorgänger Ulbrichts bis 1938 ständiger KPD-Vertreter bei der Komintern

  65. Vgl. Wehner, S. 184, 186.

  66. über die Stellungnahme anderer kommunistischer Parteien zum deutsch-sowjetischen Pakt vgl. A. Rossi, Zwei Jahre deutsch-sowjetisches Bündnis (Die Mobilisierung der Komintern für Hitlers Zwecke), Köln 1954, S. 102 ff.

  67. Am 9. August 1946 veröffentlichte Neues Deutschland eine Erklärung Ulbrichts zu seinem damaligen Artikel, denn er war auf einer Pressekonferenz in München darauf angesprochen worden In dieser Erklärung heißt es: „Die Kritik, die in meinem Artikel an gewissen (!) internationalen Kräften geübt wurde, ist überholt, da später das Bündnis der Sowjetunion, Englands und Amerikas zustande kam und das englische Volk und andere Völker ungeheure Opfer im Kampf gegen den faschistischen deutschen Imperialismus gebracht haben.

  68. Dieser Artikel Ulbrichts ist mit geringfügigen Kürzungen in Der deutsche Kommunismus — Dokumente, S 364 ff wiedergegeben Wolfgang Leonhard berichtete der Verfasserin, er habe 1946 in der Westberliner Zeitung Telegraf über diesen Artikel Ulbrichts gelesen und sei daraufhin in das Archiv des SED-Parteivorstandes gegangen. um in der Kominternzeitung Welt, die dort gesammelt war, die Erklärung Ulbrichts nachzulesen Die entsprechende Nummer sei jedoch bereits herausgenommen worden und habe sich nicht mehr im Archiv befunden. Leonhard hat übrigens in seinem Buch Die Revolution entläßt ihre Kinder über die Atmosphäre in Moskau während des Paktes anschaulich berichtet.

  69. Eine der beiden Frauen, die zusammen mit den 28 Männern in das Gefängnis von Biala pod Laska eingeliefert wurden, war Margarete Buber-Neumann, die Lebensgefährtin des bekannten KPD-Funktionärs Heinz Neumann, der ebenfalls in den Säuberungen in der Sowjetunion umkam. Sie hat ihre Erlebnisse in sowjetischen Lagern und deutschen KZs in ihrem bekannten Buch Als Gelangest bei Stalin und Hitler niedergeschrieben.

  70. Vgl. Wolfgang Leonhard, Die Revolution ent läßt ihre Kinder, Köln 1955, S. 100 f.

  71. Vgl. Liselotte Thoms/Hans Vieillard, Ein guter Deutscher, Ost-Berlin 1963, S 51

  72. A. a. O„ S. 52.

  73. über ihr Schicksal während des deutsch-sowjetischen Krieges vgl. Wolfgang Leonhard, a. a. O. (Anm. 74) Kap. IV: „Zwangsumsiedlung nach Karaganda“.

  74. Bei meiner Darstellung der Gründung und Tätigkeit des Nationalkomitees . Freies Deutschland'habe ich mich in erster Linie an das ausgezeichnete Buch von Bodo Scheurig, Freies Deutschland — Das Nationalkomilee und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943— 1945, München 1960, gehalten. Es ist mit Abstand das beste Buch über dieses Thema. Da es außer dieser Darstellung auch noch mehrere Erinnerungsbücher früherer Mitglieder des Nationalkomitees gibt, habe ich mich auf die wichtigsten Angaben und die Tätigkeit Ulbrichts im Nationalkomitee beschränkt. Für das Vorangegangene vgl. Scheurig, S. 34 ff., für das Folgende Scheurig, S. 41/42.

  75. Heinrich Graf von Einsiedel, Tagebuch der Versuchung, Berlin-Stuttgart 1950, S. 54

  76. Jesco von Puttkammer, der sich als Offizier dem Nationalkomitee angeschlossen hatte, schreibt in seinem Buch Irrtum und Schuld — Geschichte des Nationalkomitees . Freies Deutschland', (Neuwied-Berlin 1948, S. 43), die Gründungsversammlung sei eine „Mischform von patriotischer Bürgerversammlung und marxistischer Parteidebatte" gewesen. Uber die Gründungsversammlung s. a. Bodo Scheurig, a a. O. (Anm. 78), S. 43

  77. Wilhelm Florin starb im Alter von 50 Jahren am 5. Juli 1944 in Moskau

  78. Er schrieb später auch die parteioffizielle Darstellung des Nationalkomitees und seiner Tätigkeit; vgl Erich Weinert, Das Nationalkomitee . Freies Deutschland', 1943— 1945 — Bericht über seine Tätigkeit und seine Auswirkung, Ost-Berlin 1957.

  79. Der Text des Manifestes ist in Der deutsche Kommunismus — Dokumente, S 388 ff. abgedruckt Acht Wochen nach der Gründung des Nationalko-mitees, am 11. und 12. September 1943, wurde außerdem ein Bund Deutscher Offiziere gegründet, dessen Mitglieder am 14. September in das Nationalkomitee ausgenommen wurden. Das Präsidium des NKFD wurde durch die führenden Köpfe des Bundes erweitert. Vgl. Bodo Scheurig, a. a. O. (Anm. 78). S. 65.

  80. Das Stadtkomitee arbeitete unter der offiziellen Bezeichnung „Institut Nr. 99" zunächst in einer Nebengasse des Moskauer Arbatplatzes, später in der Orbuchastr. Erich Weinert und Walter Ulbricht stan-den je ein Arbeitszimmer zur Verfügung, in den übrigen Räumen war die Redaktion der Zeitung Freies Deutschland untergebracht, und zwar unter Rudolf Herrnstadt als Chefredakteur. Mitarbeiter bzw. Redakteure waren u. a.der spätere Außenminister der „DDR", Lothar Bolz, der spätere Innenminister der „DDR", Karl Maron, und der Kulturpolitiker der SED, Alfred Kurella. Vgl Wolfgang Leonhard, a. a. O. (Anm. 74) S. 307 ff. und Bodo Scheurig, a. a O (Anm. 78) S. 82/83.

  81. Vgl. Jesco von Puttkammer, a. a. O. (Anni. 80), S. 70 u. 74.

  82. Vgl. Heinrich Graf von Einsiedel, a. a. O. (Anm 79), S. 65.

  83. Vgl Bodo Scheurig a. a. O. (Anm. 78), S. 9t und Jesco von Puttkammer, a. a. O. (Anm. 80), S. 75/76. Dort heißt es, es seien Tausende und aber Tausende von Flugblättern über den deutschen Linien abgeworfen worden, die in Frontdruckereien gedruckt und mit der Unterschrift des Nationalkomitees versehen waren, von denen man aber in Lunjowo keine Ahnung hatte

  84. Vgl. Heinz Kessler, Begegnung an der Front, in: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Nr. 3/1963.

  85. Vgl. Bodo Scheurig, a. a. O. (Anm. 78), S. 92.

  86. Vgl. Jesco von Puttkammer, a. a. O. (Anm. 80), S. 37 und 40.

  87. Vgl. Thoms/Vieillard, Ein guter Deutscher, S. 60. 92) Vgl. auch für das Folgende Wolfgang Leonhard, a. a. O. (Anm. 74), S. 377 ff.

  88. Vgl. Thoms/Vieillard, Ein guter Deutscher, S 60.

  89. Vgl. Walter Ulbricht, Von der Sowjetunion lernen, heißt — siegen lernen (Rede zum 34. Jahrestag der Oktoberrevolution), in: Neues Deutschland, 7. November 1951.

  90. Im Februar 1954, anläßlich der Berliner Außenministerkonferenz, sprach der damalige amerikanische Außenminister in einer Rede von dem „Sowjetbürger Ulbricht". In einem Interview mit ADN erklärte Ulbricht dazu:

Weitere Inhalte

Carola Stern, nach der Flucht aus der Sowjetzone 1951 Studium der Politischen Wissenschaften an der Freien Universität Berlin, seit 1960 Verlagslektorin. Zahlreiche Veröffentlichungen über Probleme des Kommunismus, insbesondere über die SED, darunter: Porträt einer bolschewistischen Partei Entwicklung, Funktion und Situation der SED, Köln 1957; Agitation und Propaganda. Das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone (zusammen mit Ernst Richert und Peter Dietrich), Vahlen 1958.