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Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1963 | APuZ 26/1964 | bpb.de

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APuZ 26/1964 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1963 Artikel 1

Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1963

I. Träger rechtsradikaler Bestrebungen

Abbildung 1

Das Jahr 1963 war für den Rechtsextremismus ein Jahr neuer, schwerer Enttäuschungen. Politische Organisationen, die ein glaubhaftes Bekenntnis zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermissen lassen und für einen Nationalismus verfassungsfeindlicher Prägung eintreten, finden offensichtlich bei der Bevölkerung der Bundesrepublik keinen Anklang. Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen führten für die Rechtsradikalen, wie von ihnen selbst eingestanden, zu „niederschmetternden Ergebnissen". Ihr Stimmen-anteil sank in beiden Ländern soweit ab, daß er auch nicht annähernd für den Gewinn eines einzigen Landtagsmandats ausreichte. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland bot nach wie vor keine Ansatzpunkte für den Rechtsextremismus. Unter dem Eindruck dieser anhaltenden Erfolglosigkeit und einer immer erkennbarer werdenden öffentlichen Mißachtung oder Nichtbeachtung dauerte auch der innere Verfall der rechtsextremen Gruppen an. Sie haben nach den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden innerhalb der letzten zehn Jahre über zwei Drittel des gesamten Mitgliederbestandes verloren. Dieser Abstieg ist in Skizze 1 dargestellt.

Abbildung 8

a) Zur heutigen Lage des organisierten Rechtsradikalismus Ende 1962 hatten die rechtsextremen Gruppen etwa 27 600 Mitglieder. Am 31. Dezember 1963 waren es nur noch 24 600. In beiden Gesamtzahlen sind Doppel-und Mehrfach-mitgliedschaften zu etwa 8 Prozent sowie bis zu 25 Prozent Beitragsverweigerer enthalten.

Abbildung 9

Dadurch wird die ohnehin geringe Finanzkraft der einzelnen Gruppen beeinträchtigt. Hinzu kommt, daß kürzlich einer der vermögendsten Geldgeber rechtsextremer Kreise — ein im Ausland lebender deutscher Industrieller — INHALT I. Träger rechtsradikaler Bestrebungen a) Zur heutigen Lage des organisierten Rechtsradikalismus b) Publizistik c) Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus II. Argumentation, Parolen a) Staats-und verfassungspolitische Vorstellungen b) Antisemitische Propaganda c) Europa-Politik in rechtsradikaler Sicht d) Stimmen zum deutsch-amerikanischen Verhältnis e) Weitere Agitationsschwerpunkte III. Rechtswidrige Aktionen a) Geheimbündlerische Betätigung b) Nazistische und antisemitische Einzelvorfälle c) Die Täter und ihre Beweggründe d) Einflüsse verfassungswidriger Kräfte IV. Die Auswirkungen des internationalen Faschismus im Bundesgebiet a) Zweigorganisationen und Untergrundtätigkeit b) Publizistische Einflüsse V. Staatliche Maßnahmen gegen Träger nationalistischer Bestrebungen a) Straf-und Einziehungsverfahren b) Auflösungen und sonstige Verwaltungsverfahren c) Politische Bildung VI. Schlußbemerkung verstorben ist und seine Erben weitere Zahlungen ablehnen. Gleichzeitig mit diesen Einbußen an personeller und finanzieller Sub-stanz hat die organisatorische Zersplitterung der rechtsextremen Kreise zugenommen. Dies zeigt die folgende Übersicht:

Die Stärke der einzelnen Organisationen ist sehr verschieden. Vier von ihnen repräsentieren zusammen etwa 17 600 Anhänger. Dabei handelt es sich um zwei rechtsextreme Splitterparteien, die in taktischen und programmatischen Fragen stark rivalisieren, und zwei Interessenverbände mit zum Teil rechtsradikaler Gefolgschaft. Kennzeichnend für diese beiden Verbände ist, daß die Mitgliederzahlen des einen Verbandes von Jahr zu Jahr schrumpfen und der andere nur noch in einigen Bundesländern in Restgruppen auftritt Auf vier weitere Organisationen entfallen insgesamt 3 000 Anhänger. Der Rest von etwa 4 000 Mitgliedern ist auf 115 Splitter-gruppen verstreut, die damit über eine Durchschnittsstärke von 35 Personen je Gruppe nicht hinauskommen.

Die hier skizzierte Zersplitterung beruht teils auf einer verwirrenden Vielfalt heterogener Auffassungen innerhalb der Kreise, die sich selbst gerne das . nationale Lager* nennen, teils auf dem Gruppenegoismus der einzelnen Organisationen und persönlichen Rivalitäten ihrer Führungskräfte. Jede Gruppe hütet ihr spezielles Wirkungsfeld. Dies schließ taktische Bündnisse und den häufigen Ruf zur Sammlung nicht aus Doch ist die Innere Beziehungslosigkeit des organisierten Rechtsradikalismus bereits soweit fortgeschritten, daß Sammlungsparolen häufig ohne die notwendige Bereitschaft zum Kompromiß und in der Absicht verkündet werden, fast vergessene Gruppen und Funktionäre wenigstens auf diesem Wege wieder ins Gespräch zu bringen Im verflossenen Jahre sind jedenfalls keine Zusammenschlüsse entstanden, die dem organisierten Rechtsradikalismus zu neuer politischer Stoßkraft verhelfen könnten Durch den anhaltenden Mitgliederschwund wurde die Basis für Einigungsbestrebungen innerhalb des rechtsradikalen Lagers selbst ohnehin ständig kleiner.

Im einzelnen zeichnen sich folgende Entwicklungstendenzen ab:

Spätestens die Wahlniederlagen des vergangenen Jahres haben die rechtsradikalen Parteien ei kennen lassen, daß die alten Argumente und Symbole ihre Zugkraft verloren haben und daß ohne grundlegende Änderung der politischen Taktik für die Zukunll dieser Parteien nichts zu hollen sei. Versuche, durch intensive Werbung für Parteizeitungen und durch eine verstärkte Jugendarbeit neue Interessenten zu gewinnen, blieben so gut wie erfolglos. Ihnen stehen demonstrative Partei-austritte gegenüber.

Die meisten rechtsextremen Splitterparteien vegetieren außerhalb des Blickfeldes der Öffentlichkeit dahin. Von den acht im Jahre 1962 neu aufgetretenen Parteien sind bereits drei wieder erloschen.

Einige kleinere rechtsextreme Vereinigungen sind in letzter Zeit dazu übergegangen, ihren Agitationsstil zu verschärfen. Dies trifft auch für die rechtsextremen Jugendorganisationen zu. Ihre Aktivität in der Öffentlichkeit ist allerdings seit den Verbotsmaßnahmen in den Jahren 1961/62 zurückgegangen. Mehrere Jugendgruppen versuchen, in konspirativer Form weiter zu arbeiten. So haben Restteile des verbotenen . Bundes Vaterländischer Jugend" (BVJ) im Sommer 1963 an verschiedenen Orten der Bundesrepublik in Vorbereitung und Durchführung geheimgehaltene Zeltlager veranstaltet. Eine mitgliederwerbende Tätigkeit ist jedoch unter diesen Umständen kaum noch möglich.

b) Publizistik Im Gegensatz zum allgemeinen Substanzverlust bei rechtsradikalen Organisationen ist die nationalistische Publizistik nach Umfang und Bedeutung weiterhin merklich gestiegen. Die Gesamtauflage der von nationalistischen Organisationen und Verlagen herausgegebenen 52 periodisch erscheinenden Publikationen ist im Jahre 1963 um etwa 16 Prozent auf etwa 223 000 gedruckte Exemplare je Auflage angewachsen Der Zuwachs ist in erster Linie bei den nicht organisationsgebundenen Schriften erzielt worden.

Nähere Einzelheiten enthält die folgende Übersicht:

Im großen ganzen zeigt diese Aufstellung, daß die Erfolglosigkeit rechtsextremer Organisationen sich auch in der Auflagenhöhe ihrer Publikationen widerspiegelt.

Die relativ beachtliche Auflagensteigerung der Publikationen der freien Verlage ist im wesentlichen auf größere Auflagen zweier Zeitungen zurückzuführen, Einer anderen relativ auflagenstarken Zeitung gelang es entgegen der in der Öffentlichkeit häufig zu hörenden Meinung im Jahre 1963 nicht, ihren Bezieher-kreis zu erweitern. Blätter dieser Art verdanken ihren Leserzuwachs vorwiegend dem Umstand, daß sie sich mit Auswüchsen und Mißständen im politischen Journalismus unserer Tage auseinandersetzen. Dies geschieht im allgemeinen in Formen, durch die sich zunächst auch demokratisch gesinnte Kreise in ihrer Ablehnung solcher Mißgriffe bestätigt fühlen können. Erfahrungsgemäß setzt jedoch eine rückläufige Entwicklung der Verkaufs-auflagen ein, sobald die rechtsradikalen Tendenzen oder die rein destruktive Kritik an der bestehenden Ordnung offenkundig werden.

c) Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus Die Gefahr, daß demokratisch gesinnte Bevölkerungskreise in das Fahrwasser der zur Zeit bestehenden rechtsradikalen Gruppen geraten könnten, ist im Verlaufe der Konsolidierung der innen-und außenpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik geringer geworden. Sie wird in dem Maße schwinden, wie das Staatswertgefühl im Bundesgebiet erstarkt. Es liegen auch keine Erkenntnisse in der Richtung vor, daß es einer der bestehenden rechtsextremen Gruppen gelingen könnte, den Verlust von über 53 000 Mitgliedern auszugleichen, den der Rechtsradikalismus insgesamt seit 1953 erlitten hat. Die Abkehr dieser Personen von den bestehenden Organisationen scheint vielmehr nach allen bisherigen Erfahrungen mit geringen Ausnahmen endgültig zu sein. Allerdings zeigt die Auflagensteigerung einiger organisationsgebundener Publikationsorgane mit mehr oder weniger versteckt rechtsextremer Tendenz, daß von hier aus neue Gefahren erwachsen können.

Die Staatsschutzorgane befassen sich nach wie vor mit etwa 1 500 bis 2 000 Aktivisten, die außerhalb des organisierten Rechtsradikalismus als Sektierer, publizistisch tätige Einzelgänger oder Urheber politischer Störaktionen in Erscheinung treten.

Erste Anzeichen einer rechtsradikalen Infiltration ausländischer Gastarbeiter werden aufmerksam beobachtet.

II. Argumentation, Parolen

Abbildung 2

Im Verlaufe des fortschreitenden Verfalls der rechtsextremen Gruppen hat deren Propaganda teilweise sektiererische Formen angenommen. Einige Organisationen haben den Agitationsstil in den letzten Jahren verschärft. Teils wird dies Ausfluß eines wiedergewonnenen Selbstgefühls der wenigen Unbekehrbaren sein, teils werden diese Gruppen inzwischen die Grenzen erkannt haben, die der freiheitliche Rechtsstaat jeder Anwendung staatlicher Gewalt gesetzt hat. Diese Propaganda bedient sich gefühls-und ressentimentgeladener Denkschablonen und ist in Dogmen und Vorurteilen verstrickt.

a) Staats-und verfassungspolitische Vorstellungen Klare Bekenntnisse zur Ideologie des Nationalsozialismus gehören heute nicht mehr zu den typischen Kennzeichen rechtsradikaler Verlautbarungen. Gleichwohl treten sie hin und wieder in Strafverfahren gegen rechtsextreme Einzel-und Gruppentäter zutage oder werden als Diskussionsbeiträge von Mitgliedern des organisierten Rechtsradikalismus auf politischen Versammlungen vorgebracht. Aus der rechtsradikalen Publizistik sind sie indes fast völlig verschwunden.

Die rechtsextremen Gruppen wissen offenbar, daß Bekenntnisse dieser Art propagandistisch unergiebig sind und überdies Strafverfolgungs-und Verbotsmaßnahmen nach sich ziehen. Sie greifen jedoch gelegentlich auf Bestandteile der NS-Ideologie zurück, um sie innerhalb ihrer dogmatischen Vorstellungen von heute als unwiderlegbar gültig neu zu beleben. Zu diesen Aspekten gehören Begriffe wie . Reinhaltung der gottgewollten Volks-persönlichkeit*, . Blut und Boden“, . Rasse-denken“, . Deutscher Sozialismus“ und der zum Mythos erhobene Reichsgedanke. Vorstellungen dieser Art sind Schlüsselbegriffe im Wert-system mehrerer rechtsextremer Gruppen geblieben. Eine dieser Organisationen hat die . Reichstreuen“ aufgerufen, .den nationalen Sozialismus art-und bluteigener Bindekraft als staatstragende Idee auch unter der Demokratie zu vertreten“.

Formgebende Faktoren zur Verwirklichung der . Reichsidee'werden daneben vornationalsozialistischen Ideologien und autoritären Verfassungen des Auslandes entnommen. An Hand dieser Vorbilder wird der . autoritäre deutsche Ständestaat“ oder . ein parteiloser, hierarchisch gegliederter Volksstaat unter Abkehr von allen föderalistischen Prinzipien'gefordert. Die rechtsextreme Agitation stellt diese Leitbilder als Synthese zwischen „massendemokratischem Mehrheitsprinzip und autoritärem Führerprinzip“ hin. Ihre Verwirk-lidiung soll die Voraussetzung schaffen, ein rassisch-geschlossenes . drahtiges Volk der Deutschen zu schmieden“. Es liegt auf der Hand, daß solche Thesen den Prinzipien unserer parlamentarischen Demokratie fundamental widersprechen.

Erst vor diesem Hintergrund gewinnen die propagandistischen Verlautbarungen rechtsextremer Splittergruppen zur demokratischen Grundordnung sowie über die staatspolitischen Verhältnisse im Bundesgebiet ihre volle Bedeutung. Sie sind zwiespältig und aggressiv.

1. Demokratische Lippenbekenntnisse Die meisten nationalistischen Gruppen streiten ab, antidemokratische Tendenzen zu verfolgen. Ihre . Bekenntnisse* zur demokratischen Ordnung dienen nach Ansicht aller Kenner der inneren Zusammenhänge in erster Linie zum Schutz vor staatlichen Maßnahmen. Doch legt man großen Wert darauf, Vorbehalte und Einschränkungen auszusprechen, um nicht mit den demokratischen Parteien identifiziert zu werden. Dadurch verlieren die . Bekenntnisse* zur Demokratie jeden Wert, insbesondere wenn betont wird, daß das . nationale Lager* über den Inhalt der demokratischen Ordnung eigene, . von der zukunftslosen Parteidemokratie abweichende Zielsetzungen habe* und letztlich eine . Reichsverfassung eigenständiger Prägung“ anstrebe. Die Wertlosigkeit solcher Lippenbekenntnisse ergibt sich auch daraus, daß die gleichen Kreise seit Jahren eine systematische Zersetzungskampagne gegen staats-tragende Einrichtungen im Bundesgebiet führen. 2. Zersetzung des Staatswertgefühls Die Bundesrepublik Deutschland und ihre verfassungsmäßigen Organe waren auch im letztten Jahr das Ziel gehässiger Angriffe der rechtsradikalen Propaganda. So wurde die Bundesrepublik als . verlogenes und verludertes System der Fäulnis* verunglimpft. Andere Gruppen schmähten sie als . Diktatur, die sich nur graduell von derjenigen der deutschen Sowjetzone unterscheide". Ihre verantwort8 liehen Staatsmänner wurden von der rechtsextremen Agitation „autoritäre Provinzstatthalter fremder Mächte* und . lizenzierte Systemführer" genannt. Im Vordergrund dieser abwertenden Kritik standen die demokratischen Parteien, denen Absichten zur . Verfälschung des Volkswillens“ unterstellt und Schmähbezeichnungen beigegeben werden.

3. Widerstandsparolen Die zunehmende Radikalisierung der Agitation rechtsradikaler Kreise spiegelt sich in neuester Zeit in der Verbreitung von Widerstandsparolen. Dies geschieht in der Form vorsichtig formulierter Pressekommentare, in denen nationalistische Widerstandshandlungen gegenüber . volks-oder verfassungsfeindlichen Maßnahmen des Systems'gerechtfertigt werden und zum Kampf gegen die „gesteuerte Mißachtung des deutschen Volkswillens“ unter Einsatz aller Mittel aufgefordert wird. Die gleichen Blätter stellen rechtskräftige Strafurteile als Verbotsmaßnahmen gegen Angehörige des »nationalen Lagers“ regelmäßig als Willkürakte hin. Innerhalb mehrerer Organisationen mit internationalen Kontakten werden Richtlinien für die konspirative Tätigkeit entwickelt und propagiert. Angesichts der staatlichen Abwehrmaßnahmen, mit denen nationalistische Untergrundgruppen in der Bundesrepublik zu rechnen haben, hat der „Kameradschaftsring Nationaler Jugend" u. a. empfohlen, . Einzelkämpfer" einzusetzen.

b) Antisemitische Propaganda Nach den Erfahrungen der Staatsschutz-und Strafverfolgungsorgane werden innerhalb des organisierten Rechtsradikalismus unverhüllte antisemitische Verlautbarungen, die den Vereinigungen selbst angelastet werden könnten, im allgemeinen vermieden Doch sehen diese Gruppen in der Regel davon ab, notorische Antisemiten auszuschließen oder sie auch nur zu hindern, ihre Gesinnung in organisationsinternen Veranstaltungen zu vertreten Bei den Resten einiger völkischer Art-und Glaubens-gemeinschaften sind antisemitische Vorurteile besonders tief verwurzelt. Hier führen Relikte eines sektenähnlichen Rasseglaubens nahezu zwangsläufig zu antisemitischen und antichrist-liehen Parolen. Das Verbot der „LudendorffBewegung“ und mehrere Strafverfahren gegen Rädelsführer anderer sektenähnlicher Splitter-gruppen haben dazu beigetragen, diese Keim-gebiete antisemitischer Gruppengesinnurig wirksam einzuengen. Auch die antisemitischen Aktionen nichtorganisierter Einzelgänger haben im Bundesgebiet weiterhin abgenommen (vgl. Teil III dieses Berichts).

Im Gegensatz zu dieser innerdeutschen Entwicklung sind in ständig wachsender Zahl antisemitische Druckschriften aus dem Ausland in die Bundesrepublik gelangt. Sie werden auf dem Postwege eingeschleust. Mit ihrer Hilfe versuchen ausländische Rechtsextremisten der zunehmenden Isolierung antisemitischer Bestrebungen im Bundesgebiet entgegenzuwirken. Stil und Inhalt der Pamphlete sind primitiv und abstoßend. Trotzdem kann ihnen nicht jede Wirkung auf unkritisch veranlagte, jugendliche oder latent antisemitische Empfänger abgesprochen werden. Zur erfolgreichen Abwehr dieser Aktion sind die zuständigen deutschen Behörden weiterhin um eine enge Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht. c) Europa-Politik in rechtsradikaler Sicht Die Äußerungen der deutschen Rechtsextremisten zur Europa-Politik gehen weit auseinander. Entsprechend unterschiedlich haben diese Kreise auf Ereignisse wie das Scheitern der Brüsseler EWG-Konferenz vom Januar 1963 über die Teilnahme Englands am Gemeinsamen Markt oder auf die Ratifizierung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages reagiert. Form und Verlauf der Auseinandersetzung mit den Problemen der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas lassen erkennen, daß die hierzu entwickelten Thesen und Antithesen bei vielen rechtsextremen Organisationen den Charakter politisch-weltanschaulicher Dogmen angenommen haben. Im Widerstreit dieser Meinungen kann sich das rechtsradikale Lager weiter zersplittern. Zur Zeit sind drei Hauptrichtungen der Agitation zur Europa-Politik zu erkennen, die sich gegeneinander abheben, zugleich aber in sich selbst widersprüchlich sind.

1. Vertreter antidemokratischer Europa-Konzeptionen Deutsche Gesinnungsfreunde mehrerer Splittergruppen des internationalen Faschismus haben sich einem „politisch und sozial revolutionierten Europa“ als „dritte Kraft zwischen Kommunismus und amerikanischem Dollar-Plutokratismus" verschrieben. Sie sind erklärte Feinde der parlamentarischen Demokratie und wollen an ihre Stelle ein ständisch gegliedertes Europa faschistischer Prägung setzen. Die sozialen Strukturen dieser europäischen Reichsidee werden vorwiegend dem „europäischen Sozialismus“ der britischen Unionsbewegung Mosleys, dem „europäischen Nationalismus" belgischer Faschisten-gruppen oder dem „Korporatismus“ entsprechender Kreise in Schweden entnommen. Zur Frage der Staatsform gehen die Ansichten auseinander. Die Föderalisten erhoffen sich von einem Bundesstaat den sichersten Schutz aller rassischen und kulturellen Eigenheiten der europäischen Völker innerhalb Ihrer „Artgrenzen*. Unter den Anhängern eines europäischen Zentralstaates wird zur Zelt zum Abbau des völkisch begrenzten National-gefühls aufgerufen.

Allen Richtungen ist gemeinsam, daß sie verfassungsfeindliche Leitbilder aus dem nationalen Bereich auf die Europa-Politik übertragen. Die Zahl der Anhänger dieser Vorstellungen ist im Bundesgebiet gering. Nach den Erfahrungen der Staatsschutzbehörden handelt es sich vorwiegend um eine begrenzte Zahl von Aktivisten verbotener Organisationen, um Bezieher und Verteiler faschistischer Schriften aus dem Ausland, Zweiggruppen und Publikationsorgane des internationalen Faschismus im Bundesgebiet sowie um Einzelgänger, die Kontakte zu ausländischen Rechtsextremisten unterhalten. Viele von ihnen betrachten die in Coburg erscheinende Zeitschrift „Nation Europa“ als geistig welt-anschaulichen Nährboden dieser Bestrebungen in der Bundesrepublik.

2. Rechtsextreme Neutralisten als Gegner der Europäischen Gemeinschaft Die Neutralisten des „nationalen Lagers“ stehen der wirtschaftlichen und politischen Einigung Europas ablehnend gegenüber. Ihre Parolen sind jetzt aggressiver als in früherer Zeit. So wurde die deutsche Teilnahme am Gemeinsamen Markt als „würdeloser Ausverkauf nationaler Interessen“ und „bewußter Verrat an der Wiederherstellung der deutschen Einheit'geschmäht. Weitergehende Bestrebungen zur Einigung der freien Staaten unseres Kontinents stellen diese Kreise als den Versuch hin, „Deutsche in namenlose Nummern einer verlogenen westlichen Internationale'zu verwandeln. Im Abschluß des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages wird das angebliche „Ende der deutschen Eigenstaatlichkeit durch einen Akt beispielloser Selbstvernichtung'oder auch „landesverräterische Gegenwartsflucht des karolingischen Kulturkreises'gesehen. Dementsprechend hat eine rechtsradikale Zeitung das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen vom Januar 1963 über die britische Assoziierung zum Gemeinsamen Markt auch nicht als Rückschritt, sondern als „das Sprudeln ewiger Quellen des Volkseins über dem Scherbenhaufen eines Talmi-Europas'kommentiert. Bekenntnisse dieser Art sind keine Einzelerscheinung Die Analyse der politischen Verlautbarungen während des Jahres 1963 zeigt vielmehr, daß viele rechtsradikale Organisationen tiet im Bannkreis von Parolen stehen, die der deutschen Europapolitik grundsätzlich jeden Wert absprechen und statt dessen zur Verwirklichung der „nationalistischen Reichs-idee". zu einer Politik der „nationalen Unabhängigkeit" sowie zum Schutze der Volks-substanz vor „Überflutung und Versumpfung des genetischen Erbes" aufrufen. Für weiter-greifende Konzeptionen ist in diesen Kreisen nur insoweit Raum, als trügerische Hoffnungen in eine mitteleuropäische Konvention atomwaffenfreier Staaten beiderseits des Eisernen Vorhanges genährt oder verschwommene Wunschträume vom „großen abendländischen Reich germanischer Prägung in einem Europa ausgemendelter Volkspersönlichkeiten'zum „heiligen Vermächtnis" einer fernen Zukunft erhoben werden.

3. Rechtsextreme Taktiker im Kielwasser der europäischen Verträge Einige rivalisierende Gruppen und Publikationsorgane der extremen Rechten haben in Fragen der Europapolitik gemäßigtere Positionen bezogen, ohne damit zugleich ihre nationalistische Grundhaltung aufzugeben. Sie haben den deutsch-französischen Vertrag vom 22. Januar 1963 unter der Voraussetzung begrüßt, daß er innerhalb eines „neuen Europas'souveräner Staaten nicht supranationalen Zwecken dienen werde. Auch mit der Existenz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft versuchen sie sich abzufinden, sofern nicht etwa beabsichtigt sei, „auf der Hintertreppe der EWG-Freizügigkeit negroides Blut durch Angehörige der Mittelmeervölker in unseren Volkskörper einzuschleusen'. Sie hoffen, aus dieser Position heraus größere Wirkungsmöglichkeiten zu gewinnen und damit ihre Gruppen doch noch aus der politischen Isolierung herauszuführen. Von anderen rechtsextremen Gruppen werden sie wegen dieser Haltung der „Fahnenflucht" und des Verrats an der nationalistischen Weltanschauung bezichtigt. Ungeachtet dieser Unterschiede in der Beurte lung der Europa-Politik sind sich alle Rechtsextremisten in der Ablehnung politischer, wirtschaftlicher und militärischer Bindungen der Bundesrepublik und Europas an die USA einig. Zielpunkte ihrer antiamerikanischen Propaganda waren im vergangenen Jahre vor allem die Rassenpolitik, Verfassung und Kultur der USA sowie die Stellung Amerikas als Führungsmacht der Freien Welt.

d) Stimmen zum deutsch-amerikanischen Verhältnis Die rechtsextremen Gruppen haben im Durchbruch des atlantischen Gemeinschaftsdenkens schon immer eine Bedrohung der Grundlagen ihres nationalistischen Weltbildes gesehen. Sie treten deshalb allen Bemühungen in-und ausländischer Staatsorgane um die Festigung und Fortentwicklung des Nordatlantikpaktes entgegen. Dabei bedienen sie sich in zunehmendem Maße des Mittels politischer Hetze.

Die atlantische Gemeinschaft wurde als „Unsinn ohne Basis', das Bekenntnis des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy für West-Berlin und seine Unterstützung der deutschen Forderung auf Wiedervereinigung als „unverbindliche platonische Floskel“ abgewertet. Der Vorsitzende einer nationalistischen Splitterpartei vertrat vor Gesinnungsfreunden die Ansicht, „wer Vertrauen in Kennedy und die USA fordere, tue dasselbe, als würde man einer Hammelherde empfehlen, sie möge der Schlachthofdirektion Vertrauen schenken“. Dementsprechend kommentierten rechtsextreme und neutralistische Blätter den Deutschlandbesuch Kennedys vom Juni 1963 als „Inspektionsreise des Chefs einer Besatzungsmacht in seine deutsche Provinz“ und seinen herzlichen Empfang durch die deutsche Bevölkerung als „eingeplanten Jubel der Eingeborenen, denen besser demonstratives Schweigen angestanden hätte*. Die gleichen Kreise stellten in jenen Tagen die deutsche Begeisterung für Präsident Kennedy als „schmähliches Sinnbild der Selbstentäußerung“ eines Volkes hin, „daß noch jubeln werde, wenn es die Asche seines Reiches zusammenkehrt“. Selbst der Ermordung des amerikanischen Präsidenten widmeten diese Publizisten später nur betont kühle Kommentare. Inzwischen sind sie dazu übergegangen, Zweifel und Mißtrauen unter ihren Lesern auch hinsichtlich der künftigen Deutschland-Politik der amerikanischen Regierung unter Präsident Johnson zu verbreiten, um ihren Neutralitätsforderungen Nachdruck zu verleihen. e) Weitere Agitationsschwerpunkte In der rechtsextremen Propaganda beansprucht das Thema Kriegsschuld mit immer neuer Behandlung in Vorträgen und Schriften unverändert breiten Raum. Das Thema wird rein polemisch erörtert. Dabeiwerden zeitgeschichtliche Zusammenhänge, die der erstrebten Rechtfertigung des NS-Regimes in dieser Frage widersprechen, unterdrückt oder im gewünschten Sinne verfälscht. Im Rahmen dieser Polemik wird besonders auf das Buch des amerikanischen Historikers David L. Hoggan „Der erzwungene Krieg“ verwiesen. Durch diese Art Propaganda wollen rechtsradikale Kreise unverkennbar unter taktisch bedingter Zurückstellung primär rechtsradikaler Ideen eine breitere ideelle Plattform finden, auf der ihre Tendenzen sich mit allgemeineren Stimmungen begegnen, und so zunächst einen Fundus von Sympathisierenden in möglichst vielen Gruppen und Schichten der Bevölkerung schaffen. Nach wie vor sind auch die Strafverfahren wegen NS-Verbrechen und gegen Kriegsverbrecher, zu denen der Rechtsradikalismus auch die an der Judenvernichtung Beteiligten rechnet, und Verlautbarungen zur Auseinandersetzung mit unserer politischen Vergangenheit bevorzugte Ansatzpunkte der rechtsradikalen Propaganda.

Neben diesen Themenkreisen stehen wirtschafts-und agrarpolitischeParolen im Vordergrund. Sie wenden sich gegen angebliche Vermassungstendenzen des „Wirtschaftsliberalismus“ und gegen die deutschen Leistungen zur Entwicklungshilfe. Mit allen publizistischen Mitteln wird eine politische Radikalisierung im Bereich der deutschen Landbevölkerung versucht. Diese Bemühungen sind bisher jedoch ohne Erfolg geblieben. Dies gilt auch für die bisherigen Versuche zur Infiltration der bäuerlichen Notgemeinschaften und Interessenverbände.

III. Rechtswidrige Aktionen

Abbildung 3

a) Geheimbündlerische Betätigung L yerbotsmißachtung Die Anstrengungen der in den Vorjahren wegen verfassungsfeindlicher Betätigung ver-botenen und aufgelösten Vereinigungen, ihre bisherige politische Tätigkeit unter Anwendung konspirativer Methoden fortzusetzen, waren 1963 nicht gänzlich ohne Erfolg. So haben ehemalige Aktivisten des „Bundes Na-tionaler Studenten" (BNS) und des „Bundes für Gotterkenntnis'(Ludendorff-Bewegung)

getarnte Zusammenkünfte in meist privatem Rahmen durchgeführt, um den inneren Zusammenhalt der Anhängerschaft aufrechtzuerhalten. Audi der „Bund Vaterländischer Jugend"

(BVJ) hat 1963 an verschiedenen Orten im Bundesgebiet geheime Führerbesprechungen sowie Fahrten und Lager veranstaltet. Die Bemühungen einiger seiner fanatischsten Funktionäre, mit vertrauenswürdigen Funktionären ihrer Gruppen — zum Teil unter neuer Firmierung — weiterzuarbeiten, beschränken sich bisher jedoch auf einen begrenzten Mitgliederkreis. 2. Rechtsextreme Terroristen Die einander ergänzenden Ermittlungen der Verfassungsschutzämter und Strafverfolgungsbehörden im Bundesgebiet haben Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sich vereinzelte Angehörige rechtsextremer Organisationen im Zusammenwirken mit ausländischen Hinter-männern mit Sprengstoffanschlägen befaßt haben. Im Jahre 1963 wurden insgesamt 14 deutsche Staatsangehörige ermittelt, die der Teilnahme an Sprengstoffvergehen verdächtigt sind. Davon wurden sieben im In-und Ausland in Untersuchungshaft genommen. Ihre Strafverfahren sind noch nicht abgeschlossen. Zwei deutsche Studenten kamen beim Hantieren mit Sprengmitteln, meist ausländischen Ursprungs, ums Leben.

Bei den Beschuldigten handelt es sich in der Mehrzahl um Funktionäre und Aktivisten rechtsradikaler Jugendorganisationen, darunter des verbotenen „Bundes Vaterländischer Jugend". Die sicbergestellten Spreng-und Zündmittel sowie die bisherigen Erkenntnisse über Finanzierungs-und Arbeitsmethoden weisen auffällige Übereinstimmung auf.

Mehrere Gruppen kroatischer Emigranten haben im Anschluß an den Anschlag auf das Gebäude der jugoslawischen Handelsmission in Mehlem am 29. 11. 1962 und trotz des in diesem Zusammenhang erfolgten Verbots der „Kreuzer-Bruderschaft“ ihre terroristische Tätigkeit fortgesetzt. Zu ihnen zählt die „Geheime Revolutionäre Ustascha-Einheit'(TRUP), gegen deren Rädelsführer bereits Strafverfahren laufen. Nicht in das TRUP-Verfahren einbezogene Mitglieder haben mit gleicher Zielsetzung den Geheimbund JURISNIK gebildet.

Beide Gruppen standen und stehen in Verbindung mit der Führung der Dachorganisation ehemaliger Ustaschen „Vereinte Kroaten'.

Nachrichtendienstliche und polizeiliche Ermittlungen haben zur Aufdeckung von Vorbereitungen dieser Kreise zu politischen Straftaten im Bundesgebiet und in Jugoslawien geführt.

Aus Unterlagen, die bei polizeilichen Durchsuchungen im Herbst 1963 anfielen, ergibt sich, daß kroatische Terroristen aus Australien im Bundesgebiet über Mittelsmänner und Deckadressen verfügten. Der sichergestellte Schriftwechsel läßt zugleich erkennen, daß die in der Bundesrepublik und anderen westlichen Staaten laufenden Strafverfahren den Organisationen erheblich geschadet haben. Dennoch drohen ihre Mitglieder mit weiteren Anschlägen auf jugoslawische Auslandvertretungen sowie mit sonstigen politischen Straftaten bis zur Ermordung von jugoslawischen Bürgern, die westliche Länder besuchen. Eine im Dezember 1963 im Bundesgebiet durchgeführte Polizeiaktion hat Terrorplanungen kroatischer Emigranten wahrscheinlich in letzter Minute vereitelt. b) Nazistische und antisemitische Einzelvorfälle Die nazistischen und antisemitischen Ausschreitungen haben im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin weiter abgenommen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Jahre 1963 auf Grund von Meldungen der Strafverfolgungsbehörden und der Landesämter für Verfassungsschutz unter Berück-Ostemsicighrtaigtiuonng Verbotsmißachtungen 177 Fälle dieser Art erfaßt. Gezählt wurden alle Ereignisse, bei denen der objektive Tatbestand nazistische oder antisemitische Merkmale trug, auch wenn es sich um Unfughandlungen von Kindern, Geistesgestörten odersonstigeTaten mitoffen-3.

Terrorgruppen im Bereich der der geheimbündlerischen Aktionen sichtlich unpolitischem Charakter handelte.

Abbildung 4

Die zahlenmäßige Entwicklung seit 1959 ist in der Tatzeitenstatistik (Skizze 2) dargestellt Sie zeigt, daß sich die Fälle jetzt relativ gleichmäßig auf das ganze Jahr verteilen. Bemerkenswert ist, daß der Beginn des Auschwitz-Prozesses im Dezember 1963 keine merkliche Zunahme antisemitischer Handlungen, wie sie noch 1961 anläßlich des Eichmann-Prozesses festzustellen war, ausgelöst hat.

Die räumliche Streuung der Ausschreitungen erstreckt sich in erster Linie auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Bayern, während die übrigen Länder erst in weitem Abstand folgen. Nach ihrer Begehungsform lassen sich die Vorfälle wie folgt aufteilen (vgl. Skizze 3):

1. Friedhofsschändungen Auf neun jüdischen Friedhöfen wurden Zerstörungen und Beschädigungen an Gräbern und Gedenksteinen festgestellt. Sechs dieser Fälle sind inzwischen geklärt. In zwei Fällen wurden Geisteskranke als Täter ermittelt. Auf den Friedhöfen in Groß-Gerau, Heilbronn/Sontheim, Alt-Saarbrücken und Alsbach/Hs. haben Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren Grabsteine, die vielfach nur lose befestigt waren, beim Spielen umgeworfen. Keine der aufgeklärten Fälle hat politische Hintergründe erkennen lassen. Die Täter, die auf jüdischen Friedhöfen in Mühlheim b. Koblenz, Nonnenweier Krs. Lahr und Lommersum Krs. Euskirchen Grabsteine umgestürzt und z. T. beschädigt haben, konnten bisher nicht ermittelt werden. Ob diesen Taten politische Motive zugrunde lagen, läßt sich noch nicht beurteilen.

2. Bedrohungen, Beleidigungen und Mißhandlungen politischer Gegner und jüdischer Mitbürger Mit 43 Anzeigen haben diese Vergehen 1963 im Vergleich zu den Vorjahren beträchtlich abgenommen. Die Zahl der Fälle, in denen Mitbürger durch anonyme Telefonanrufe oder Briefe beleidigenden Inhalts auf antisemitischer oder nazistischer Grundlage bedroht wurden, ist von 31 im Jahre 1961 und 28 im Jahre 1962 auf sieben Anzeigen im Jahre 1963 zurückgegangen. Bei den übrigen in dieser Rubrik erfaßten Vorfällen handelt es sich fast ausschließlich um antisemitische Äußerungen im Verlaufe von Streitigkeiten, bei denen es z. T. zu Tätlichkeiten gekommen ist.

3. Schmieraktionen Die Zahl der Schmieraktionen hat sich mit 58 Meldungen etwa in der Höhe des Vorjahres (62 Fälle) gehalten. In einigen Fällen haben die Täter gleichzeitig andere Straftaten wie Einbruchs-oder Kraftfahrzeugdiebstähle und Sachbeschädigungen verübt. Zu den häufigsten Objekten gehörten Schulen und andere öffentliche Gebäude, Denkmäler, Neubauten, Brükkenpfeiler, Arbeitsstätten, Schaufenster, Kraftfahrzeuge und Güterzüge.

4. Flugschriiten und Plakat-Aktionen In dieser Gruppe wurden 23 Vorfälle gezählt (1962waren es 29). ZehnTäter haben politische Pamphlete mit NS-Parolen und antisemitischer Hetze in meist sehr primitiven Formulierungen an Ministerien, andere Behörden, Gerichte, politische Parteien und Wirtschaftsbetriebe versandt. Vier sind wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit unzurechnungsfähig. Soweit ihre Tätigkeit von den zuständigen Gerichten als erheblicheGefährdung der öffentlichen Sicherheit gewürdigt wurde, ist inzwischen ihre Einweisung in eine Heil-und Pflegeanstalt erfolgt. Dadurch wurde in zwei Fällen eine Flut von Hetzpamphleten gestoppt, die sich jahrelang über Behörden, Institutionen und Privatpersonen ergossen hatte.

Ein 63jähriger Betriebsführer aus Waltrop hat — durch die Lektüre antisemitischerBücher angeregt — im Verlauf mehrerer Monate etwa 150 Hetzschriften hergestellt und durch die Post verschickt oder durch Einwurf in Hausbriefkästen verteilt. Mehrere hundert Druckschriften einer „subversiven Aktion'mit angeblichem Sitz in München, Berlin und Nürnberg nahmen die Ermordung des amerikanischen Präsidenten zum Anlaß rechtsextremer Hetze. Die Urheber dieser Pamphlete wurden ermit-telt, bevor die Gesamtauflage verbreitet war.

Einer der Täter ist Ausländer. Im Jahre 1963 sind verfassungsfeindliche Flugschriften erstmalig auch von ausländischen Faschisten im Bundesgebiet verteilt worden. Sie wurden nachts in Frankfurt/Main, Aachen, München, Obersalzberg und Berlin ausgestreut oder plakatiert. 5. Sonstige Störaktionen Unter diesem Stichwort sind 34 Vorkommnisse gegenüber 30 im Jahre 1962 erfaßt. Einige von ihnen sind schwerwiegender Natur. So haben bisher unbekannte Täter in Berlin-Steglitz ein Denkmal für die Opfer des NS-Regimes umgerissen und mit Farbe beschmiert und in Oestrich/Rheingau eine Gedenkplatte entfernt. In Köln wurden mehrere Werbeplakate der Ausstellung „Monumenta Judaica'beschädigt und mit beleidigenden Aufschriften versehen. Bei den restlichen Fällen handelt es sich um zumeist unter Alkoholeinfluß begangene Unfug-handlungen. c) Die Täter und ihre Beweggründe Von den im Jahre 1963 erfaßten nazistischen und antisemitischen Ausschreitungen wurden bisher 91 Fälle aufgeklärt. An ihnen waren 115 Täter beteiligt.

1. Altersschichtung und soziologische Feststellungen 66 Täter (57 °/o) sind jünger als 30 Jahre. Der fortgesetzte Rückgang solcher Straftaten älterer Personen hat den Anteil der Personen, die das nationalsozialistische Regime nicht mehr bewußt erlebt haben, im Vergleich zu den beiden vorhergegangenen Jahren merklich steigen lassen Die folgende Übersicht zeigt die Alters-schichtung der Täter im einzelnen:

Von einigen Angehörigen selbständiger oder leitender Berufe abgesehen, gehören die Täter als Lehrlinge, Gesellen, Hilfs-oder Facharbeiter, Vertreter und kaufmännische Angestellte weitgehend den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten an. Die jüngeren unter ihnen stammen vorwiegend aus gehobeneren Verhältnissen, ihre Handlungen sind vielfach als altersgemäße Entgleisungen zu werten. Ein 25jähriger Randalierer mit fünf Vorstrafen und vier Vermerken in der gerichtlichen Erziehungsskartei stellt in dieser Gruppe einen Einzelfall dar.

Dagegen finden sich unter den über 30 Jahre alten Tätern etwa zu einem Drittel Personen, die ohne Beruf oder vorbestraft sind oder die durch ihr Verhalten eine allgemeine asoziale Einstellung erkennen ließen.

Fünf Täter sind oder waren Mitglieder rechtsradikaler Vereinigungen, während die übrigen bisher keiner politischen Partei oder Organisation beigetreten sind.

Unter den 115 Tätern befinden sich vier Ausländer. 2. Die Tatmotive Die für das Jahr 1962 veröffentlichte Analyse ließ nach dem Rückgang der massenpsychologisch bedingten Unfughandlungen des Jahres 1960 und dem außergewöhnlich hohen Anteil an politisch motivierten Taten im Jahre 1961 eine deutliche Verlagerung auf Ausschreitungen sozialoppositioneller Kräfte erkennen. Diese Entwicklung hat sich 1963 fortgesetzt. Um so schwerer ist es jetzt geworden, in allen Fällen eine Abgrenzung zwischen politischen Motiven und anderen Beweggründen zu finden. Die bisher ermittelten Täter lassen sich nach den im Einzelfall dominierenden Motiven in folgenden Gruppen zusammenfassen (vgl. Skizze 4):

23 politische Überzeugungstäter, darunter einige unbelehrbare Nationalsozialisten und Antisemiten!

36 politische Affekt-und Rauschtäter mit z. T. kriminellen und sozialoppositionellen Neigungen; 33 Urheber unpolitischer Unfughandlungen aus Geltungstrieb, Übermut oder aggressivem Tätigkeitsdrang; 7 Täter, die infolge Geisteskrankheit, Schwachsinns oder wegen schwerwiegender Psychopathie unzurechnungsfähig sind;

16 strafunmündige Kinder, von denen allein 7 gemeinsam auf einem jüdischen Friedhof Grabsteine umwarfen.

d) Einflüsse verfassungswidriger Kräfte Im Sommer 1963 wurden von West-Berlin aus Briefe in deutscher Sprache in Frankreich in Umlauf gebracht, die mit „Deutsche Soziale Bewegung Gau Berlin-West* unterzeichnet waren, überschwenglich Hitler glorifizierten und französische „verantwortungsbewußte Politiker" aufriefen, für die Ratifizierung des deutsch-französischen Vertrages „einzutreten“. Inhalt und Diktion der Briefe lassen im Zusammenhang mit anderen Tatsachen den Schluß zu, daß es sich bei den Schreiben um Fälschungen sowjetzonalen Ursprungs handelte. Sie dienten offensichtlich dem Versuch, die Ratifizierung des deutsch-französischen Vertrages in Frankreich zu stören und politischen Gewinn aus dem gleichzeitig erweckten Eindruck zu erzielen, in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin könnten nazistische Organisationen unbehindert tätig sein.

Anhaltspunkte dafür, daß rechtsradikale Organisationen oder Hintermänner — abgesehen von den Fällen der Geheimbündelei und den Flugblattaktionen aus Kreisen des internationalen Faschismus — an der Vorbereitung oder Steuerung nazistischer oder antisemitischer Ausschreitungen beteiligt waren, haben sich trotz intensiver Nachforschungen nicht finden lassen. Bemerkenswert ist aber, daß die politischen Überzeugungstäter mit wenigen Ausnahmen zu den Lesern rechtsextremer Presse-erzeugnisse zählen oder Besitzer nazistischer Literatur sind, was dafür spricht, daß diese Lektüre bei ihnen gesinnungsbildend gewirkt haben mag.

IV. Die Auswirkungen des internationalen Faschismus im Bundesgebiet

Abbildung 5

Die Tätigkeit internationaler rechtsradikaler Gruppen wurde sowohl in der Bundesrepublik wie auch im westlichen Ausland durch verschärfte polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen erschwert. Dadurch hat die Unsicherheit der Führungskräfte im Gesamtbereich des internationalen Faschismus zugenommen. Sie hat ihren Niederschlag in ideologischen und persönlichen Auseinandersetzungen, Resignation, Anhängerverlusten, Spaltungen und Neugründungen kleinster Gruppen gefunden. In der Bundesrepublik wurden gemeinsam geplante Aktionen und Veranstaltungen des internationalen Faschismus durch verstärkte Beobachtung der deutschen Kontaktpersonen, Einreisebeschränkungen für politisch unerwünschte Ausländer und durch die Einleitung mehrerer — noch nicht abgeschlossener — Strafverfahren wirksam bekämpft. So ist die Verbindung zwischen deutschen und ausländischen Vertretern der internationalen rechtsradikalen Gruppen hauptsächlich auf konspirative Zusammenkünfte, Briefkontakte und den Austausch von Publikationen beschränkt geblieben. Der Post-versand faschistischer und antisemitischer Druckschriften aus dem Ausland an Adressaten im Bundesgebiet nahm zu. Folgende Einzel-erkenntnisse vervollständigen das Bild:

a) Zweigorganisationen und Untergrundtätigkeit Zur Zeit ist die „Deutsche Soziale Bewegung'(DSB) mit Sitz in Köln die einzige offene Zweiggliederung des internationalen Faschismus auf deutschem Boden. Sie gehört der „Europäischen Sozialen Bewegung" (ESB) an, die von dem Schweden Dr. Per Engdahl geleitet wird. Stärke und Aktivität der DSB sind unverändert gering. Die „World Union of National Socialists” (WUNS), Arlington, USA, hat ihr Ziel, im Bundesgebiet eine „Erste Na-tional-Sozialistische Hundertschaft" mit subversivem Charakter zu gründen, nicht verwirklichen können. Bereits die ersten Ansätze dazu wurden mit exekutiven Mitteln im Keime erstickt. Der Generalbundesanwalt führt unter Beteiligung des Bundesamtes und des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz Ermittlungen gegen mehrere deutsche Verbindungsmänner der WUNS. Im Zuge dieses noch nicht abgeschlossenen Verfahrens sind Festnahmen und Durchsuchungen erfolgt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren richtet sich gegen deutsche Korrespondenzpartner des „Nationalen Koordinierungskomitees für Europa" in Reykjavik, dessen schwedischer Leiter Walter Grün seine Anhänger mit verfassungsfeindlichen Schriften und Richtlinien für die konspirative Tätigkeit versieht.Im Sommer 1963 reiste der Leiter der britischen „National Socialists Movement" (NSM), Colin Jordan, in die Bundesrepublik ein. Er verbreitete an mehreren Orten im Bundesgebiet nazistische Flugschriften, die zur Befreiung der Welt von „jüdischer Machtherrschaft" und zur Unterstützung der „Nationalsozialistischen Weltbewegung" aufforderten, überwiegend ausländische Mitglieder der verfassungsfeindlichen „Europäischen Neu-Ordnung" (ENO) und ehemalige Anhänger der belgischen Gruppe „Junges Europa" proklamierten auf einer konspirativen Tagung in Freiburg/Br. am 21. 7. 1963 eine „Europafront". Sie forderte ein zentralistisches Europa der weißen Rasse, das seine Völker von „jüdischen, amerikanischen und kommunistischen Einflüssen“ bewahren soll. Der „Europafront“ ist es bisher nicht gelungen, Stützpunkte in der Bundesrepublik zu bilden.

b) Publizistische Einflüsse Im vergangenen Jahr wurden etwa 60 periodisch erscheinende Zeitschriften und eine Vielzahl verschiedener Flugblätter des internationalen Faschismus aus insgesamt 16 Ländern, darunter aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, Spanien und den USA, in die Bundesrepublik Deutschland eingeschleust. Es handelt sich zumeist um antidemokratisches und antisemitisches Propagandamaterial. Die amerikanische „National States Rights Party" (NSRP druckte die „Ritualmord-Nr." der NS-Zeitung „Der Stürmer" vom Mai 1934 neu und sandte mehrere hundert Exemplare in das Bundesgebiet. Auch die Organe und Flugschriften der WUNS verherrlichten weiterhin die NS-Ära. So brachte „The Stormtrooper“ eine Bildserie Adolf Hitlers. Zu dem am stärksten antisemitisch ausgerichteten Organ des europäischen Auslandsfaschismus gehört zur Zeit die in Brüssel erscheinende Zeitung „L’Europe Reelle“.

V. Staatliche Maßnahmen gegen Träger nationalistischer Bestrebungen

Abbildung 6

a) Straf-und Einziehungsverfahren Seit dem 1. Januar 1960 wurden im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin 585 Angeklagte wegen strafbarer Handlungen, die auf rechtsradikalen oder antisemitischen Motiven beruhten, verurteilt. Zum überwiegenden Teil befaßten sich diese Strafprozesse mit Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Unfughandlungen und Vergehen gegen das Versammlungsgesetz. Doch haben in den letzten vier Jahren in folgendem Umfange auch schwerwiegendere Vergehen zur Verurteilung geführt: In dieser Übersicht sind 68 rechtskräftige Strafurteile aus dem Jahre 1963 enthalten, von denen mehr als die Hälfte auf Gefängnisstrafen lauten. So hat das Urteil der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin gegen vier ehemalige Funktionäre des „Bundes Nationaler Studenten* (BNS), die als Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und neun Monaten verurteilt wurden, im Dezember 1963 Rechtskraft erlangt. Fünfzehn Strafurteile aus letzter Zeit sind noch nicht rechtskräftig. Gegen 33 kroatische Emigranten richten sich Ermittlungsverfahren, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit kroatischer Terror-gruppen und dem Anschlag auf das Gebäude der jugoslawischen Handelsmission in Mehlem vom 29. November 1962 stehen. Außerdem ermitteln die Strafverfolgungsbehörden zur Zeit auch gegen mehrere rechtsextreme deutsche Terroristen.

Durch strafprozessuale Maßnahmen wurde die Verbreitung mehrerer zum Teil verfassungsfeindlicher Schriften unterbunden. Das Amtsgericht Köln beschlagnahmte drei Bücher des Ring-Verlages in Niederpleis. Durch diese Bücher versuchte der Verlag, die Waffen-SS zu rehabilitieren und ihren Kriegseinsatz zu glorifizieren. Der Beschlagnahme verfielen 3 521 Exemplare des Buches „StandartenOberjunker Normann* von Werner Nixdorf (Pseudonym Günter Werdorf) sowie insgesamt 17 805 Exemplare zweier Schriften von Otto Skorzeny. Das Buch „Standarten-Oberjunker Normann'wurde außerdem am 10. 5. 1963 von der Bundesprüfstelle in die Liste jugendgefährdender Schriften ausgenommen. Das Verfahren gegen den Verleger der rechtsradikalen Schrift „Der 1. Weltkrieg — Hintergründe, Verlauf und Folgen'ist im Jahre 1963 durch ein auf Strafe und Einziehung des Buches lautendes Urteil beendet worden. Darüber hinaus wurde im Zuge von Ermittlungsund Sicherungsverfahren nazistisches und antisemitisches Schrifttum aus dem Besitz der betroffenen Personen eingezogen. Weitere Maßnahmen richteten sich gegen die Verbreitung nationalistischer oder antisemitischer Publikationen, die aus dem Ausland in das Bundesgebiet eingeschleust wurden.

b) Auflösung und sonstige Verwaltungsmaßnahmen Im Jahre 1963 erfolgten keine neuen Verbote und Auflösungen rechtsradikaler Vereinigungen. Polizeiliche Maßnahmen richteten sich in mehreren Fällen gegen Versuche, die Tätigkeit des verbotenen BVJ fortzusetzen sowie gegen die Einreise mehrerer Personen, deren Aufenthalt im Bundesgebiet wegen ihrer rechtsradikalen Tätigkeit oder Verbindungen zu entsprechenden Vereinigungen im Bundesgebiet unerwünscht ist.

c) Politische Bildung Die Öffentlichkeit ist in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber allen rechtsradikalen und antisemitischen Tendenzen und ihren Trägem nicht schwächer oder unsicher geworden; hierzu dürften auch die von der Presse ausführlich behandelten Strafverfahren wegen Verbrechen in der NS-Zeit beigetragen haben. Solche Gefahren schon in den Ansätzen zu erkennen, ist der Öffentlichkeit vielfach durch die Gleichheit der Träger und Parolen mit entsprechenden Erscheinungen aus der Zeit vor 1945 erleichtert worden. Presse, Rundfunk und Fernsehen widmen dieser Richtung einer möglichen Bedrohung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung weiterhin starke Aufmerksamkeit. Dasselbe gilt für die vielen öffentlichen und privaten Träger politischer Bildungsarbeit. Die zeitgeschichtliche Forschung und die politischen Wissenschaften haben durch weitere Beiträge zur Aufhellung unserer politischen Vergangenheit wertvolle Hilfen zur Abwehr neuer rechtsradikaler Bestrebungen gegeben; die geistige Auseinandersetzung ist vertieft und verbreitert worden. Die ßundeszentrale für politische Bildung und ähnliche Einrichtungen haben alle Möglichkeiten genutzt, den Ergebnissen der Wissenschaft zu einer breiten Wirkung — besonders im Bereich der Schulen, aber auch der Erwachsenenbildung — zu verhelfen. Die Bundesregierung hat wie bisher nach Kräften alle Bestrebungen unterstützt, die das Verständnis zwischen den Rassen und Völkern fördern. So wurden kulturelle jüdische Einrichtungen und Institutionen, die sich für die christlich-jüdische Zusammenarbeit einsetzen, sowie die von der Stadt Köln veranstaltete Dokumentar-Ausstellung . Monumenta Judaica" gefördert.

VI. Schlußbemerkung

Abbildung 7

Die in diesem Bericht wiedergegebenen Feststellungen der Verfassungsschutzbehörden rechtfertigen folgende Schlußfolgerung:

Es sind nicht die vielen rechtsradikalen Grüppchen und Sekten, die eine Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung bedeuten könnten. Sie sind zu sehr zersplittert und unter sich verfeindet, ihre Polemik ist zu sehr durchschaubar und abgestanden, ihre politische Argumentation dreht sich zu sehr im Kreise, als daß sie größere Teile der Bevölkerung gewinnen könnten. Dagegen birgt die publizistische Tätigkeit gewisser nicht organisationsgebundener Zeitschriften und Verlage Gefahren in sich, die ernster zu nehmen sind. Dadurch, daß diese allgemein interessierende politische Themen wie die Kriegsschuldfrage, die Anliegen der Heimatvertriebenen, die vermeintlichen oder tatsächlichen Kriegsverbrechen der ehemaligen Feindmächte oder die Kulturpolemik gegen zeitgenössische Strömungen in Literatur und bildender Kunst geschickt ausbeuten und simplifizierend darstellen, könnte es ihnen gelingen, Bevölkerungsschichten für rechtsradikale Vorstellungen zu gewinnen, die an sich diesem Gedankengut nicht oder nicht mehr aufgeschlossen sind.

Um solchen Gefährdungen durch diese nicht leicht durchschaubare Art politischer Falschmünzerei zu wehren, bedarf es nicht nur der Aufmerksamkeit der staatlichen Organe und der Wachsamkeit der Träger politischer Bildung und der Presse. Auch die demokratischen Parteien und die sonstigen an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligten Einrichtungen sind aufgerufen, jedem Eindringen derartigen Gedankenguts in das Bewußtsein der Wählerschaft und vor allem der Jugend durch aufklärende Maßnahmen entgegenzuwirken und damit ihrem unheilvollen Einfluß auf die Bewußtseinsbildung den Boden zu entziehen.

Fussnoten

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