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Der Reichstagsbrand und seine politischen Folgen. Vorbemerkung von Hans Rothfels | APuZ 46/1964 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 46/1964 Der Reichstagsbrand und seine politischen Folgen. Vorbemerkung von Hans Rothfels

Der Reichstagsbrand und seine politischen Folgen. Vorbemerkung von Hans Rothfels

Hans Mommser

Im 8. Jahrgang der Vierteljahrshefte hat Martin Broszat auf wenigen Seiten eine grundsätzliche Erörterung „Zum Streit um den Reichstagsbrand" unternommen, der durch die „Spiegel" -Artikel von Fritz Tobias ausgelöst worden war. Bei betonter Zurückhaltung hinsichtlich der Möglichkeit historischer Forschung, soweit sie in eine Kriminaluntersuchung mündet, wurde dabei doch eine konkrete Wiederaufnahme des ganzen einschlägigen Fragenbereichs nach gründlicher Quellenüberprüfung in Aussicht gestellt — als eine Aufgabe, an der diese Zeitschrift nicht vorbeigehen kann, und die, selbst wenn noch eine Prozeß-Entscheidung aussteht, nicht länger aufgeschoben werden sollte. Die juristische Auseinandersetzung bewegt sich ohnehin im Rahmen der Beweisregeln für einen enger umgrenzten Streitfall.

Die Wiederaufnahme war mühsam und hat lange Zeit in Anspruch genommen, bis sie in dem sehr umfangreichen hier folgenden Aufsatz Gestalt gewann. Broszat hatte die schwierige kriminologische (und pyrotechnische) von der eigentlich politischen Frage, das heißt der geschichtlichen Wirkung oder Ausnutzung des Reichstagsbrandes, zu unterscheiden angeregt. Im folgenden wird mit Recht dagegen eingewandt, daß der Kriminalfall von vornherein politisch gefärbt war. Gleichwohl hat die Zweiteilung des Fragenkomplexes erheblichen Erkenntniswert in dem Sinne, daß auch, wenn die Annahme nationalsozialistischer Mittäterschaft sich als irrig erweist, das Problem dessen, was auf das Ereignis folgte oder daraus gemacht wurde, für den Charakter des Regimes unverminderte Relevanz hat. Tatsächlich liegt auch den hier folgenden Ausführungen diese Zweiteilung als Anordnungsprinzip zugrunde.

Den Nachweis der Alleintäterschaft Lübbes und die Widerlegung der Brandexperten, die in den beiden Abschnitten des ersten Teils in naher Übereinstimmung mit Tobias durch-geführt werden, darf man wohl als so weitgehend gesichert bezeichnen, wie das nach der Quellenlage zur Zeit nur immer möglich ist. Jedenfalls ergibt sich aus ihrer kritischen Überprüfung eindeutig, daß keinerlei haltbares Indiz weder für kommunistische noch für nationalsozialistische Initialzündung oder Mittäterschaft vorliegt. Aus diesem Resultat kann nur eine böswillige Fehlinterpretation eine Bestätigung der These herauslesen, es sei ja alles nicht so schlimm gewesen. Es handelt sich hier nur um eine Tatsachenfrage. Freilich ließe sich daran die Bemerkung knüpfen (wie das ja von mancher Legende in der Geschichte gilt), ob nicht gerade in ihr, das heißt in der Tatsache, daß den Nationalsozialisten, sei es der Führung, sei es einer wilden Gruppe, die Brandstiftung zugetraut wurde, und zwar nicht erst aufgrund der Braunbuchpropaganda oder des Freispruchs der Kommunisten im Prozeß, und auch nicht nur von Gegnern, sondern von Männern wie Diels und Rosenberg, — ob nicht darin auch ein erhebliches Stück historischer Wirklichkeit und historischer Wahrheit steckt.

Der zweite Teil, die Untersuchung der politischen Folgen, wirft sehr viel kompliziertere Fragen auf. Der Verfasser geht ihnen in umfassender Erörterung nach und hat für ihre Beantwortung zum Teil neues oder unbeachtet gebliebenes Material beigebracht, so insbesondere zur Entstehung der viel erörterten Reichstagsbrandverordnung und zur etwaigen Heranziehung der Wehrmacht. Es gelingt ihm, sehr deutlich zu machen, daß die in der Brand-nacht beginnenden Aktionen nicht das Ergebnis einer vorherigen Planung und geschickter Manipulation einer gegebenen Lage waren, sondern Improvisation, die zum Teil und mangels klarer Erkenntnis der Situation ins Leere traf. Von Broszats Charakterisierung der nationalsozialistischen Führung als „Virtuosen hurtiger Gelegenheitsarbeit" wird einiges abzuziehen sein. Aber hier bleiben doch Fragen. Göring mochte mit zynischer Offenheit im Prozeß öffentlich betonen, daß der Reichstagsbrand in seinen Aktionsplan keineswegs gepaßt habe, weil er noch nicht fertig gewesen sei. Aber sollte diese Aussage nicht zugleich der Abwehr des Arguments „cui bono" gegolten haben, das für die nationalsozialistische Täterschaft so oft geltend gemacht wurde? Und führen die — wenn auch nur gelegentlichen — Äußerungen von Goebbels in seinem Tagebuch schon im Januar („Der bolschewistische Revolutionsversuch muß erst einmal aufflammen") oder von Hitler in der Brand-nacht („Gebe daß dies das Werk der Gott, Kommunisten ist") oder seine Eröffnungsworte in der Kabinettsitzung am nächsten Tage über den „psychologisch richtigen Moment“ nicht auf eine andere Deutung hin, die den Charakter der Verordnung als Improvisation bestehen läßt, aber das, was der Verfasser mit Recht die „staatsstreichartige Vorwegnahme des Ermächtigungsgesetzes" nennt, doch in das Licht eines prinzipiellen Durchbruchs unter Ausnutzung einer zum Teil selbst geschaffenen Psychose stellt. Sehr entschieden weist der Verfasser die absurd überspitzte These von Tobias ab, daß in der „Sternenstunde" der Brandnacht aus dem zivilen Reichskanzler der machtberauschte Diktator geworden sei. Die Frage mag sich stellen, ob er nicht umgekehrt mit der Ansicht vom Getriebensein durch Wunschvorstellungen die letzte Zielgerichtetheit im Handeln Hitlers und seinem trotz aller Fehleinschätzungen doch planvoll einkalkulierten Erfolg unterschätzt, zu dem der Reichstagsbrand den dann doch wohl nicht „ungelegen" kommenden Anlaß gab. H. R.

1. Die Kontroverse

Bei der Aufklärung der Urheberschaft des Brandes im Reichstagsgebäude am Abend des 27. Februar 1933 und bei der Analyse der politischen Wirkungen, die von diesem Ereignis ausgingen, befindet sich der Historiker in einer eigentümlichen Lage. Er soll einen Vorgang aufschlüsseln, der auch den Zeitgenossen mit wenigen Ausnahmen ein Rätsel geblieben ist. Der Fülle gerüchtartiger Mutmaßungen, wie sie sich begreiflicherweise bei einem derartigen Ereignis einzustellen pflegen, muß er nüchtern die Frage nach dem entgegensetzen, was empirisch festzustellen ist. Er wird zu Hypothesen nur da greifen, wo sie nötig sind, um den Zusammenhang zwischen den festliegenden Tatbeständen evident zu machen, sich aber den Blick für die Offenheit geschichtlicher Situationen bewahren. Dagegen ist es seine Sache nicht, Spekulationen zu folgen, die sich vom Material her auch nicht ansatzweise verifizieren lassen, wiewohl sie zeitgenössischen Ursprung haben.

Die Verwirrung, die der Reichstagsbrand bis heute in den Köpfen angerichtet hat, ist in erster Linie das Resultat solcher widersprechender Spekulationen, deren Wirklichkeitsgehalt dadurch nicht größer wurde, daß sie von den Nationalsozialisten wie von ihren Gegnern propagandistisch ausgenützt oder von ihnen einfach geglaubt wurden. Daß der Brand im Reichstagsgebäude wenige Tage vor den Märzwahlen, in einer Situation stärkster innenpolitischer Spannung und allgemeiner Nervosität, Mutmaßungen und Gerüchte ins Leben rief, verwundert nicht. Man braucht nicht an die Ermordung Präsident Kennedys zu erinnern, die unter ungleich „normaleren“ Verhältnissen zu weitgespannten Vermutungen Anlaß gab, um sich klar zu machen, daß die Legendenbildung um den Reichstagsbrand, die sofort einsetzte, nur in äußerst begrenztem Maß Rückschlüsse auf den tatsächlichen Hergang erlaubt. Die Lebenskraft der zahlreichen Versionen nationalsozialistischer Brandurheberschaft beruhte nicht nur auf dem erfolgreichen Propagandafeldzug Willi Münzenbergs und auf dem Maß zynischer Brutalität, das man dem Regime zutraute, sondern auch darauf, daß der Prozeß vor dem Reichsgericht keine wirkliche Aufklärung des Kriminalfalles brachte.

Den Zeitgenossen blieben die Hintergründe der Brandstiftung rätselhaft, mochten sie von der Schuld der Kommunisten oder der Nationalsozialisten überzeugt sein. Diese Unsicherheit bemächtigte sich auch der amtlich damit befaßten Persönlichkeiten. Rudolf Diels, der in der Brandnacht die Alleintäterschaft van der Lübbes für wahrscheinlich hielt, dann kommunistische Hintermänner vermutete, um schon drei Wochen nach dem Brand eine nationalsozialistische Mittäterschaft zu erwägen, wurde nach 1945 von verschiedensten Seiten um Auskunft gebeten, da man von ihm, dem zuständigen Chef der Politischen Polizei, zuverlässige Informationen erwartete. Diels war jedoch nicht in der Lage, auch nur Hinweise zu geben, die zur Aufklärung führten, und regte schließlich selbst eine wissenschaftliche Untersuchung an, ohne zu glauben, daß eine Lösung des Reichstagsbrandrätsels noch möglich wäre Martin Sommerfeldt, der als Pressechef Görings in der Brandnacht erste Informationen zusammentrug, war damals voller Zweifel an der amtlichen Version, die Göring redigiert hatte, stieß aber in der Folge nur auf vage Gerüchte, die ihn schließlich auf den Gedanken brachten, Goebbels der geistigen Urheberschaft der Brandstiftung zu zeihen. Auch er glaubte nach 1945 nicht mehr an eine Aufklärung der mysteriösen Angelegenheit Göring war in der Brandnacht von der kommunistischen Urheberschaft offenbar überzeugt; später auftauchende Bedenken, daß van der Lubbe vielleicht doch den Brand allein gelegt haben könnte, verdrängte er unter dem pathetischen Anspruch, Deutschland vor dem Kommunismus gerettet zu haben Gleichwohl war er später seiner Sache nicht ganz sicher. In Nürnberg ließ er es offen, ob nicht vielleicht doch ein wildes SA-Kommando ohne sein Wissen den Brand gelegt haben könnte Aus diesem widersprüchlichen Verhalten hat man auf ein Schuldbewußtsein schließen zu können geglaubt; indessen ist dies bei fast allen Persönlichkeiten zu finden, die als direkte oder indirekte Zeugen in Frage kommen. Fast alle änderten ihre ursprüngliche Ansicht, entweder unter dem Eindruck der allgemein entstehenden Psychose oder nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches. Der Hausinspektor Scranowitz widerrief nach 1945 seine Ansicht, daß van der Lubbe Mittäter gehabt haben müsse. Der von der Berliner Feuerwehr nachträglich angefertigte Bericht widersprach diametral den ganz unverdächtigen eidlichen Aussagen derselben Beamten vor dem Reichsgericht Man könnte diese Liste fortsetzen und damit zeigen, welche Fragwürdigkeit spätere Zeugenaussagen haben, wenn der Gegenstand, den sie-betreffen, in den Mittelpunkt leidenschaftlicher öffentlicher Erörterung gerückt ist; kaum einer der überlebenden Zeugen hat sich vom Strom der Gerüchte und der Last der Klischees freizuhalten vermocht

Es ist das Verdienst von Fritz Tobias, die Legendenbildung um den Reichstagsbrand kritisch untersucht zu haben. Eine wesentliche Rolle spielten darin die wirkungsvollen Fälschungen Münzenbergs. Aber es bedurfte ihrer nicht, um dem sofort auftauchenden Gerücht, daß die Nationalsozialisten ihre Hände mit im Spiel hatten, eine gewisse Verbreitung zu sichern. Auch fehlt es ja nicht an national-sozialistischen Selbstbeschuldigungen denen indessen durchweg keine Beweiskraft zukommt. Sie sind historisch relevant, indem sie zeigen, daß sich die Nationalsozialisten ein Verbrechen wie die Reichstagsbrandstiftung durchaus zutrauten, ja daß sie dazu neigten, dies für sie nach ihrer Ansicht günstige Ereignis nicht bloßem Zufall, sondern wohlberechneter Manipulation zuzuschreiben. Für die Gegner des Regimes erschien das ohnehin als selbstverständlich, und so erklärt es sich, daß derartige Selbstbezichtigungen trotz entgegenstehender Argumente auch Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden haben

Angesichts des Tatbestands, daß die Zeitgenossen sich hoffnungslos im Rätsel des Reichstagsbrandes verstrickten, hatte man sich bis zum Erscheinen der „Spiegel" -Serie weitgehend damit abgefunden, daß eine Aufklärung nicht mehr möglich sein würde. Es gibt Wahrheiten, die in einer bestimmten historischen Situation zwar ausgesprochen, aber sogleich verworfen werden. Das gilt für den prosaischen Tatbestand, daß niemand anders als der Holländer van der Lubbe den Brand legte, ohne von irgendeiner politischen Gruppe dazu angestiftet zu sein. Dabei ist dies durch die übereinstimmenden Äußerungen der Kriminalisten Heisig und Schnitzler klar bezeugt. Auch die historische Untersuchung wird zunächst davon ausgehen, entgegenstehende Versionen auf ihre Stichhaltigkeit und Beweisbarkeit hin zu prüfen, die kriminalistischen Details, soweit sie überliefert sind, kritisch zu sichten und alles auszuscheiden, was in den Bereich unbegründbarer Vermutungen gehört. Sie wird darum nicht die Frage der Urheberschaft den Experten anheimstellen, sondern deren Tätigkeit und Methoden historisch-kritisch analysieren und insonderheit darauf achten, wo politische und sachliche Voreingenommenheit ihre Aussagen einschränkt. Sie wird nicht erst dort einzusetzen haben, wo der „Kriminalfall" aufhört und der „politische Fall" beginnt Denn — der „Kriminalfall" war von vornherein durch die Einwirkung politischer Gesichtspunkte und politischer Vorurteile politisch gefärbt. Das gilt nicht in dem Sinne, daß die kriminalpolizeilichen Ermittlungen politisch manipuliert gewesen seien, aber die kriminalistische Arbeit war von Anfang an von Vorurteilen belastet, die mit der Deutung des Brandes als „politischem Fanal" zusammenhingen. Der Reichstagsbrand als „Mythos", als politisches Symbol, hat so die Aufklärung des Kriminalfalls verhindert.

Daß sich die Forschung bis zum Erscheinen der „SpiegeT’-Serie nicht von der Mutmaßung nationalsozialistischer Brandstiftung gelöst hat und auch danach nur zögernd und voller Vorbehalte von ihr abrückte, ist gewiß nicht einfach das Resultat politischer Voreingenommenheit; hier hat sich vielmehr eine gewisse methodische Verengung der Fragestellung bemerkbar gemacht, die in der Erforschung der Anfangsphase des Dritten Reiches vor allem auf die Elemente planmäßiger totalitärer Manipulation gerichtet war. Der Reichstags-brand erschien geradezu als Paradebeispiel für die terroristische Durchsetzung der Diktatur, als Meisterstück der nationalsozialistischen Überrumpelung der Gegenkräfte. Damit erschien implizit die Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat als wohlberechneter Schritt in einem stufenweisen Prozeß der totalitären Machtbefestigung Wenn Martin Broszat nach der Veröffentlichung der „Spiegel“ -Serie gemeint hat, geschichtlich sei es wenig belangvoll, ob die Nationalsozialisten nur „Virtuosen hurtiger Gelegenheitsarbeit"

gewesen seien oder ob sie den Brand selbst gelegt hätten so geht das an der eigentlichen Frage vorbei, die aus der Nichturhebersdiaft der Nationalsozialisten notwendig folgt:

ob die nationalsozialistische Führung das in dieser Form jedenfalls unerwartete Ereignis wirklich virtuos ausgenützt hat, ob Hitler und seine engeren Gefolgsleute wirklich so hervorragende Manipulatoren waren, ob sie den Erfolg, den der Reichstagsbrand und seine Wirkung in der Öffentlichkeit in bezug auf den Wahlkampf bedeutete, politischer Einsicht oder politischer Kopflosigkeit verdankten. Es geht bei der Untersuchung des Reichstagsbrandkomplexes nicht darum, die nationalsozialistische Führung in diesem oder jenem Punkte zu rechtfertigen wohl aber darum, zu begreifen, daß nicht alles planmäßiges und wohlerwogenes Zweckhandeln war, was sie instand setzte, ihre Herrschaft zu zementieren. In den Selbstzeugnissen — besonders in der Propaganda von Goebbels — findet sich durchgehend die Tendenz, alle unbedachten, der Verlegenheit, der Überraschung, der mangelnden Planung und Voraussicht entspringenden Maßnahmen als Meisterstück staatsmännischer Improvisation auszudeuten. So wenig die zeitgeschichtliche Forschung die Hintergründigkeit und Raffiniertheit nationalsozialistischen Taktierens übersehen darf, so wenig darf sie verschweigen, daß der Nationalsozialismus im Unterschied zum Bolschewismus keine zweckgerichtete, planvolle Revolutionsstrategie besaß, sondern viele seiner Erfolge ungeduldigen, unbedachten und meist augenblicksgebundenen „Sofortentscheidungen" bei stärkster Flexibilität seiner allgemeinen Ziele verdankte. Auch die Selbstbeschuldigungen der Nationalsozialisten hinsichtlich des Reichstagsbrandes sind ein Resultat dieser jeweils nachträglich gezimmerten propagandistischen Rationalisierung des eigenen Handelns. Die von Martin Broszat beschriebene „Nervosität", mit der die Ergebnisse von Tobias in der Öffentlichkeit ausgenommen worden sind — und die über-gebührliche Skepsis der Fachwissenschaft liegt auf der gleichen Ebene —, rührt nicht zuletzt daher, daß hier an einer „Symbolwert"

besitzenden Sachfrage der verbreiteten Neigung widersprochen wurde, aus einer apologetischen Haltung heraus den Manipulationscharakter des Nationalsozialismus zu überbewerten. Zum andern hat die Forschung, indem sie die „kriminalistische Seite" unüberprüft akzeptierte und in das Urteil des Reichsgerichts unter Umkehrung des Vorzeichens einstimmte, den Weg zur Aufklärung des Problems geradezu versperrt. Sie vermochte sich dadurch nicht den direkten und indirekten Einflüssen der meisterhaften Braunbuchfälschungen Münzenbergs zu entziehen, die sich in zahlreichen, in dieser Beziehung ganz unverdächtig scheinenden Memoirenwerken niederschlugen. Es ist ein bedeutsames Nebenprodukt der Analyse von Fritz Tobias, die hintergründige und bis in die Gegenwart reichende Wirkung der kommunistischen Fälschungen dargetan zu haben Die in der Literatur verbreiteten Vorstellungen vom Reichstagsbrand speisten sich im wesentlichen aus solchen Quellen, Die unglückliche Untersuchung von Richard Wolff scheiterte gleichfalls an den Erfordernissen einfacher Quellenkritik. Das unbestreitbare Verdienst von Fritz Tobias, die „Schallmauer" kommunistisch beeinflußter* Zeugnisse durchbrochen zu haben, ist von seinen Opponenten in der Regel übersehen worden, wobei diesen der Vorwurf der „Legendenbildung" allzuleicht von den Lippen kam Nach den scharfen Angriffen, die in dieser Beziehung gegen die Arbeit von Tobias geführt worden sind, ist die grundsätzliche Bemerkung wohl angebracht, daß diese Untersuchung keineswegs auf die Stufe „sensationell aufgemachter Enthüllungen", sondern diejenige ernsthafter Forschung zu stellen ist, wie immer seine Interpretation umstritten werden mag. Sie beruht auf einem sorgfältig zusammengetragenen, umfassenden Material, das nicht beiseitegeschoben werden kann Hätte die Forschung ähnliche Akribie walten lassen und der Tatsache Beachtung geschenkt, daß sogar die Anklage in Nürnberg darauf verzichtete, den Reichstagsbrand auf das nationalsozialistische Schuldkonto zu schreiben so wäre nicht die Situation entstanden, daß ein Außenseiter ihr nachwies, die Grundsätze der Quellenkritik nicht hinreichend berücksichtigt zu haben.

Während die Untersuchung von Tobias im Westen zunehmende Zustimmung findet, begegnet sie auf Seiten der Geschichtswissenschaft der „DDR", die, indem sie den alten Braunbuchthesen zu neuem Leben verhelfen will, zum späten Opfer der Fälschungskunst Münzenbergs wird, naturgemäß schärfster Kritik Der groteske Vorwurf, Tobias und mit ihm die westdeutsche Geschichtsschreibung suche die Nationalsozialisten zu entlasten und wieder die Kommunistenversion aufzuwärmen bedarf freilich keiner ausdrücklichen Widerlegung. Ansonsten befindet sich die Geschichtsschreibung der „DDR", die daran interessiert sein muß, das Versagen der KPD in diesen entscheidenden Wochen nationalsozialistischer Machtbefestigung zu kaschieren, in einer Front mit einer Reihe westlicher Publizisten, die mit schwer verständlicher Beharr-lichkeit, ohne Einsicht in das zur Verfügung stehende Quellenmaterial, nach wie vor Vermutungen in den Rang gesicherten Wissens erheben Um Klarheit darüber zu schaffen, was nach der jahrelangen und nicht immer sachlich geführten publizistischen Diskussion des Themas „Reichstagsbrand" wissenschaftlich gesichert erscheint, müssen wir zunächst der Frage der „Alleintäterschaft" nachgehen, bevor wir uns der historischen Kernfrage — den politischen Folgen des Reichstagsbrands — zuwenden

2. Die Entstehung der Mehrtäterschaftstheorie

Die Behauptung, daß van der Lubbe den Plenarsaal nur mit fremder Hilfe in Brand gesetzt haben könne, ist Hypothese. Es gibt kein gesichertes Indiz für die Annahme von Mittätern. Man fand keine Spuren, keine Werkzeuge, keine Reste von Brennmaterial, welche diese Annahme rechtfertigten. Alle wann immer verdächtigten Personen wiesen sich entweder durch unbezweifelbare Alibis aus oder standen in keinerlei Zusammenhang mit dem Brand. Nur wegen dieser einzigartigen Anonymität der „Mittäter" konnte der Untersuchungsrichter in diese Gleichung mit einer unbekannten Zahl von Unbekannten die Namen Torgier, Dimitroff, Popoff und Taneff, das Braunbuch und Gisevius wechselnde nationalsozialistische Namen einsetzen. Während des Ermittlungsverfahrens verwandelten sich diese Unbekannten je nach der Beweislage oder den gerade dominierenden Vermutungen in Brandhelfer, Auftraggeber oder Mitwisser, im Gegenmythos trugen sie braune Uniformen und wurden sie spätestens am 30. Juni 1934 hingerichtet.

Schon die Anklage hatte sich deshalb über die Zahl der Mittäter zurückhaltend geäußert und sich auf die Schlüsse der Brandexperten ge-stützt. Nachdem die minutiös geführte Spuren-suche im Sande verlaufen war, schränkte das Urteil die ursprünglichen Vermutungen dahin ein, daß mindestens eine, möglicherweise mehrere Personen van der Lubbe bei der Brandlegung auf nicht geklärte Weise unterstützt hätten Dieser eine Mittäter existierte nur auf Grund einander widersprechender und an sich fragwürdiger Aussagen Es ist wiederholt behauptet worden, die Spuren-suche sei bewußt einseitig geführt worden und biete daher keinen Aufschluß über nationalsozialistische Hintermänner. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen sind jedoch nicht behindert oder gesteuert worden. Die Aussagen des nationalsozialistischen Abgeordneten Albrecht, der während des Brandes den Reichstag betrat und wieder verließ, sind von der Kriminalpolizei regulär nachgeprüft worden Der Einwand, daß die Kriminalbeamten auf Grund subjektiver Voreingenommenheit nur gegen Kommunisten ermittelt haben, gilt nicht für die ersten Untersuchungen. Der Röhrentunnel, der als Fluchtweg gedient haben soll, scheidet bei sachlicher Nachprüfung als Ursache des spurlosen Verschwindens der Mittäter aus Sonst gibt es nur vage Mutmaßungen, die keinen sachlichen Anhaltspunkt haben 27a).

Wie konnte es bei dieser Sachlage dazu kommen, daß die Mehrheit der an der Voruntersuchung und am Prozeß Beteiligten eine Allein-täterschaft van der Lübbes für ausgeschlossen hielt? Die Vorstellung von einer Gruppe von Tätern setzte sich ganz unabhängig von den Ermittlungen in den Köpfen fest. Nachdem sich der Plenarsaal in wenigen Minuten in ein Flammenmeer verwandelt hatte, konnte sich keiner der Augenzeugen dem Eindruck entziehen, daß es sich um eine wohlorganisierte Brandstiftung handelte. Den am Brandort anwesenden Personen war der Sachverhalt noch unbekannt, daß der Plenarsaal durch seine ungewöhnliche Höhe und Luftzufuhr wie ein Kamin wirkte und daher die unerhörte Brand-entfaltung ermöglichte. Deshalb äußerte der Hausinspektor Scranowitz, der sich in begreiflicher Erregung befand, aber überdies zu dramatisieren liebte, daß sechs bis acht Täter beteiligt seien; er bekräftigte dies in seiner Vernehmung am 2. März Diese spontane Schätzung sollte fortan die Ermittlungsergebnisse überschatten.

Angesichts der verbreiteten Antikommunismus-Psychose bedurfte es auch nicht erst der Vernehmung van der Lübbes und der Auffindung eines kommunistischen Flugblatts in seiner Kleidung, um dem Gerücht sprunghaft Nahrung zu verschaffen, daß es sich beim Brande um eine kommunistische Aktion handele. Die von Ministerialdirektor Grauert sogleich getroffene Feststellung, daß Torgier und Koenen als letzte das Gebäude verlassen hätten wurde durch Verdächtigungen von sei-ten der Reichstagsbeamten Hornemann und Kohl in den Rang einer gesicherten Beschuldigung erhoben. Görings spontane Idee, den Röhrentunnel untersuchen zu lassen, der im Zusammenhang mit angeblichen kommunistischen Attentatsabsichten schon einmal öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hatte, bestärkte die Anwesenden noch in der Über-zeugung, daß es sich um ein wohlgeplantes kommunistisches Terrorattentat handeln müsse, so daß Göring die an der Brandstätte eintreffende Prominenz mit der vorbehaltlosen Mitteilung empfing, der Brand sei ein Werk der Kommunisten

Während im brennenden Reichstagsgebäude derartige Gerüchte um sich griffen, wurde der verhaftete Brandstifter von den Kriminalbeamten Heisig und Zirpins vernommen. Sie standen nicht unter dem Eindruck der brennenden Lohe. Sie entnahmen den Aussagen vän der Lübbes, daß er allein den Brand gelegt hatte. Der aus den Vernehmungen des Täters, den Untersuchungen der Tatorte und den allgemeinen kriminalistischen Ermittlungen hervorgehende Abschlußbericht der Kriminalpolizei vom 3. März stellte fest: „Die Frage, ob van der Lubbe die Tat allein ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein.“ Dafür sprächen „der objektive Tatbestand" sowie die „genauen Feststellungen des Täters selbst", während eine Unzahl von neuen Spuren einer Nachprüfung nicht standgehalten hätten Von einer „Gruppe von Brandstiftern" konnte danach nicht die Rede sein. Als Görings Pressereferent Sommerfeldt in dessen Auftrage offizielle Informationen über den Brand einholte, wurde er in diesem Sinne informiert und stellte einen Bericht zusammen, der — auf Angaben der Feuerwehr-leute, Polizisten und des Assessors Schnitzler beruhend — von einem Täter sprach und die Frage möglicher Hintermänner offen ließ

Diese Feststellungen hatten jedoch schon am späten Abend des 27. Februar keinerlei Chance, sich gegenüber den Gerüchten von einer wohl-vorbereiteten Aktion durch eine Gruppe von Brandstiftern durchzusetzen, die, auf die Kommunisten gezielt, zur historischen Grundlage für sämtliche späteren Verdächtigungen der Nationalsozialisten wurden. Daß ein einzelner den Brand gelegt haben könne, erschien der erregten Phantasie der an der Brandstätte weilenden Persönlichkeiten absurd. Vergeblich versuchte Rudolf Diels gegen diese Vorstellung anzugehen. Noch unter dem Eindruck der ersten Vernehmungen van der Lübbes stehend, war er von Göring zur Berichterstattung vor der am Brandherd versammelten Prominenz gerufen worden. Als er vorzutragen versuchte, daß es sich bei van der Lubbe „um einen Verrückten" handele, unterbrach ihn Hitler erregt und erklärte den Brand für „eine ganz raffinierte, von lange her vorbereitete Sache" Diels verließ die Versammlung und bemerkte zu Schnitzler, das sei ein „Narrenhaus".

Als nächster scheiterte Sommerfeldt. Als er mit seinem vorläufigen Untersuchungsergebnis für den Amtlichen Preußischen Pressedienst nachts gegen 1 Uhr zu Göring kam, schrie dieser ihn unbeherrscht an, änderte die Angaben bezüglich der Menge des Brandmaterials und der Täterzahl und reagierte auf Einwände Sommerfeldts mit dem Ausbruch: „Nichts ist unmöglich! Ein Mann? Das war nicht ein Mann! Das waren zehn, zwanzig Männer! Mensch, wollen Sie denn nicht begreifen? — das war die Kommune! Das ist das Signal zum kommunistischen Aufstand! Das Fanal! Es geht los!“ Wir werden darauf zurüdezukommen haben, wie es zu dieser Interpretation des Brandes gekommen ist. In jedem Falle war Göring ärgerlich darüber, daß Sommerfeldts Kommunique gegenüber den inzwischen durch Goebbels an das Amtliche Depeschenbüro gegebenen Informationen armselig wirkte. Er verwarf es und diktierte auf der Grundlage offenbar von Goebbels stammender Materialien einen neuen Bericht, der nicht auf den Ermittlungsergebnissen, sondern den an der Brandstätte geäußerten Vermutungen beruhte

Damit war der Gedanke der Alleintäterschaft van der Lübbes erledigt. Die Zahl der angeblichen Mittäter wechselte, schließlich pendelte sie sich bei der Ziffer 7 ein 36). Um diesen Vorgang zu erklären, bedarf es nicht der Annahme einer propagandistischen Sprachregelung. Die Vorstellung einer Gruppe von Tätern entsprach auch den oberflächlichen Befunden am Brandort. Man berichtete u. a. von 30 Brand-herden Unabhängig davon besteht kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß sich Hitler und Göring die Beschuldigung Torglers und Koenens subjektiv zu eigen machten, zumal sie erfuhren, daß die nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Karwahne und Frey sowie der österreichische Nationalsozialist Kroyer ein Zusammentreffen Torglers mit dem Brandstifter behaupteten. Später stellte sich heraus, daß diese drei Wichtigtuer erst auf Grund der irrigen Rundfunkmeldung, Torgier und Koenen hätten gegen 22 Uhr das Reichstagsgebäude „fluchtartig" verlassen zu ihrer aus der Luft gegriffenen Aussage kamen Agitatorisch hätte übrigens die Behauptung kommunistischer Hintermänner, nicht Mittäter, durchaus genügt. Sie hätte dem Oberreichsanwalt die verzweifelte Bemühung erspart, Torgier als aktiven Brandstifter zu identifizieren. in der Atmo Aber hektischen -sphäre der Brandnacht waren Überlegungen dieser Art unwahrscheinlich.

Schon am Tage nach dem Brand sahen die Dinge anders aus. Die Verhaftungen zahlreicher kommunistischer Funktionäre hatten noch keine Hinweise auf etwaige Mittäter gebracht. Torgier hatte sich freiwillig gestellt. Irgendwelche neuen Verdachtsmomente hatten sich nicht ergeben. Die Kriminalpolizei arbeitete fieberhaft, da die Reichsregierung hoffte, mit klaren Ermittlungsergebnissen die insbesondere in der ausländischen Presse anlaufende Kampagne gegen Göring beantworten zu können. Der Abschlußbericht der Kriminalpolizei kam der allgemeinen antikommunistischen Psychose entgegen, indem er unterstellte, daß van der Lubbe den Brand im Auf-trag der kommunistischen Partei gelegt habe Das war indessen reine Hypothese. Aus van der Lübbes Aussage vom 2. März ging klar hervor, daß er nicht in Verbindung zur KPD gestanden hatte und sich in einem gewissen Gegensatz zu ihr fühlte Der Abschlußbericht enthielt daher die Annahme kommunistischer Auftraggeber — nicht Mittäter — in der Form, daß van der Lubbe selbst geglaubt habe, allein zu handeln. Die angeblich „unzweideutigen Hinweise", auf die diese Vermutung gestützt wurde, beruhten vor allem auf den unüberprüften Falschaussagen Karwahnes, Freys und Kroyers. Die Annahme, auf die ermittelnden Beamten sei Druck ausgeübt worden, ist überflüssig. Vielmehr wirkte sich auch hier die Theorie einer organisierten Brandstiftung aus.

Noch bevor der Abschlußbericht einging, beriet das Reichskabinett am 2. März über die prozessuale Behandlung der Angelegenheit. Göring wandte sich dagegen, den Untersuchungsrichter Dr. Braune mit der Voruntersuchung zu betrauen, da er früher scharf gegen die NSDAP vorgegangen sei. Er fügte — nicht ohne inneren Widerspruch — hinzu: „Wenn auch angenommen werden müsse, daß er (Braune) sachlich unbeeinflußt arbeiten würde, so sei er doch kaum als Persönlichkeit geeignet, diese wichtige Angelegenheit zu behandeln. Es würde möglich sein, daß er die Untersuchung lediglich auf den Attentäter abstellen würde, obwohl nach dem Urteil der beteiligten Sachverständigen mindestens 6 bis 7 Personen mitgewirkt haben müßten. Möglicherweise würde er auch den Abgeordneten Torgier vorzeitig aus der Haft entlassen." Hitler pflichtete ihm bei und betonte nicht etwa wie Göring die politischen Bedenken gegen Braune, sondern zweifelte, daß dieser sachlich das notwendige Format besitze Diese Äußerungen legen den Schluß nahe, daß Göring auf Grund der ihm vorliegenden Informationen einen regulären Hochverratsprozeß gegen van der Lubbe, Torgier und andere kommunistische Mittäter für möglich hielt. Regulär — das heißt unter Vermeidung eines Sondergerichtshofs und ohne direkte politische Beeinflussungen des Gerichtshofs, die auch mit Ausnahme der Ersetzung des Untersuchungsriditers nicht stattgefunden haben

Man konnte das nur tun, wenn man von der Mehrtäterschaft und der kommunistischen Schuld überzeugt war. Dabei wußte man durchaus, daß man unter der Kontrolle der Weltöffentlichkeit stand. „Ungeschicklichkeiten", meinte Göring, „könnten unerträgliche Folgen haben". Hitler hielt „die Presseagitation in der Welt gegen die deutsche Regierung für sehr gefährlich". Er machte sich Vorwürfe, daß man den Täter nicht sofort aufgehängt habe. Die lür ihn typische Neigung zum „kurzen Prozeß" kam hier zum Ausdruck. Die Ablehnung rechtsstaatlichen Vorgehens wurde durch das Gefühl bestärkt, daß man sich in keine besonders angenehme Situation hineinmanövriert hatte. Der in der ausländischen Presse allenthalben bekundeten Meinung, daß es sich bei der Beschuldigung der Kommunisten um eine Farce handelte, hatte man nichts Konkretes entgegenzusetzen. Hitler hatte in der Brand-nacht gefordert, alle kommunistischen Reichs-tagsabgeordneten unverzüglich aufzuhängen Von derartigen Maßnahmen konnte natürlich keine Rede sein. Eine verdünnte Auflage dieser Idee trug der Reichsminister des Innern, Frick, vor. Er machte den Vorschlag, van der Lubbe öffentlich auf dem Königsplatz zu erhängen. Die Energie, die Frick und Hitler auf diese Chimäre verschwendeten, war bezeichnend für die übersteigerte Haßstimmung der Brandnacht. Auch die „Lex van der Lubbe", die am 29. März beschlossen wurde, eigentümlicherweise nur im Gedanken an van der Lubbe, war nicht einfach propagandistisches Manöver, sondern Anzeichen eigensinnig-engstirniger Rachsucht. Beides deutete darauf hin, daß Hitler in der Brandnacht die Nerven verloren hatte und daß er die antinationalsozialistische Pressekampagne des Auslands mit derartigen Atavismen zu kompensieren gedachte Für eine nationalsozialistische Mit-Wissenschaft oder Urheberschaft am Reichstagsbrand spricht das gewiß nicht; dann hätte man sich eher korrekt verhalten.

Göring wurde durch die Reaktion Hitlers seiner Sache nicht gerade sicherer. Schließlich hatte er die These vom kommunistischen Aufstand in die Welt gesetzt, ohne daß irgendetwas in dieser Richtung passierte. Er hatte die falsche Information der Öffentlichkeit über die Entstehung des Brandes zu verantworten. Als ihm der Abschlußbericht am 3. März vorgelegt wurde, hätte er sich eingestehen müssen, daß er schlecht taktiert hatte. Diels und der zuständige Sachbearbeiter für Kommunismusfragen, Kriminalrat Heller, erklärten ihm, daß sie eine Mitschuld Torglers für ausgeschlossen hielten und daß Lubbe offenbar isoliert vorgegangen sei. Göring war von seinem ganzen persönlichen Stil her nicht fähig, auch nur einen Schritt zurückzugehen. Er widersprach Diels und Heller strikte. Dem für die Voruntersuchung zuständigen Kriminalkommissar Braschwitz sagte er in einer lichten Minute, daß die Bevölkerung an eine Alleintäterschaft van der Lübbes nicht glaube und er selbst nicht in der Lage sei, sie von der Alleintäterschatt zu überzeugen Charakteristisch war daran, daß er nur an die öffentliche Wirkung, nicht an die Prozeßfolgen dachte.

Es wäre verfehlt, wollte man annehmen, daß Göring von diesem Zeitpunkt an die Beschuldigung der Kommunisten nur zur Schau gestellt habe. Bezeichnend für ihn war ja gerade die Primitivität, mit der er jeden Ansatz zur Selbstkritik verdrängte und mit beinahe kindlichem Trotz daran festhielt, daß die Kriminalisten nicht in der Lage seien, den wahren Sachverhalt zu durchschauen. Die Verhaftung der drei Bulgaren nahm ihm jeden Zweifel, daß der Hochverratsprozeß sich als Farce entpuppen könne. Wiederholte Warnungen von Diels, Anklage gegen Torgier und die Bulgaren erheben zu lassen, schlug er aus, obwohl Diels den Freispruch der Kommunisten voraussagte. Daraufhin verbot er Diels, sich in die Voruntersuchung einzumischen. Er war nicht fähig, sich in seiner teils ehrlich eingebildeten, teils angemaßten Rolle als Beschützer Deutschlands vor dem kommunistischen Umsturz zu desavouieren, also spielte er va banque und erhielt dann auch die Quittung mit dem unerwünschten Freispruch der Kommunisten. In dem Untersuchungsrichter, Reichsgerichtsrat Paul Vogt, fand Göring einen Partner, der ebensowenig wie er imstande war, sein Wunschdenken an der Wirklichkeit zu korrigieren. Vogt, der bis heute von der Schuld der freigesprochenen Kommunisten überzeugt ist, brauchte nicht beeinflußt zu werden, um die vorgezeichnete Linie zu beschreiten. Er war von vornherein von Torglers Mitwirkung felsenfest überzeugt. Dabei war er kein Nationalsozialist, gehörte vielmehr später zu denjenigen Richtern, die es wagten, sich der All-gewalt des Dritten Reiches zu widersetzen Er war repräsentativ für eine Generation deutscher Juristen, die glaubte, die abstrakte Staatsordnung mit rücksichtsloser Schärfe vor marxistischem Umsturz bewahren zu müssen, und die in politischen Sachen zweierlei Maß anzulegen geneigt war Tobias hat einleuchtend die verhängnisvolle Voreingenommenheit gezeigt, mit der Vogt die Voruntersuchung führte. „Ich habe ja, glaube ich, so einige Erfahrung in der Voruntersuchung und auch in der Behandlung von Kommunisten“, erklärte Vogt als Zeuge und verriet damit ein charakteristisch klischeegeprägtes Denken Die Fragwürdigkeit seiner Untersuchungspraxis ist unbestreitbar, und es bedarf nicht des Hinweises auf jene peinlichen Szenen vor dem Reichsgericht, in denen er vergeblich die widerrechtliche Fesselung der Angeklagten zu rechtfertigen bemüht war und zugeben mußte, daß er von der Lubbe mit der Behauptung, Torgier hätte bereits gestanden, in die Enge zu treiben versucht hatte Mit der Auswechslung des Untersuchungsrichters war die Reichsregierung vom Regen in die Traufe gefallen; es war vornehmlich die Schuld Vogts, daß der Prozeß vor dem Reichsgericht einen so kläglichen Verlauf nahm.

Obwohl die Akten der Voruntersuchung nicht verfügbar sind ist ein zuverlässiges Bild über die Art, wie sie geführt wurde, möglich. Die durch unglückliche Koinzidenz irreführender Zeugenaussagen bestärkte Voreingenommenheit Vogts bewirkte, daß er auch den unglaubwürdigsten Zeugen folgte, sofern ihre Angaben in sein Bild einer kommunistischen Verschwörung hineinpaßten. Grotesk war, wie er sich in die Idee verbiß, daß die am 9. März verhafteten Bulgaren am Reichstagsbrand beteiligt seien, obwohl der Kronzeuge mit seiner an sich bereits fragwürdigen Aussage völlig allein stand Noch ehe die Identifizierung Dimitroffs, Popoffs und Taneffs erfolgt war, berichtete der Untersuchungsrichter an Schlegelberger, es handele sich um die gesuchten Mittäter. So konnte Schlegelberger in der Kabinettssitzung vom 15. März mitteilen, daß nach den bisherigen Ermittlungen der dringende Verdacht bestünde, „daß van der Lubbe nicht alleiniger Täter sei. Unter anderem seien ein Schweizer, ein Bulgare und ein weiterer Holländer verhaftet worden" Am peinlichsten war, daß Vogt leichtfertig der Öffentlichkeit mitteilte, Georgi Dimitroff sei mit dem gleichnamigen Bombenattentäter auf die Kathedrale von Sofia identisch, obwohl dies schon datenmäßig nicht zutreffen konnte « Die entscheidende Verwirrung richtete aber Vogt dadurch an, daß er die Unwahrheit der Aussagen van der Lübbes in der Frage der Alleintäterschaft von Anbeginn unterstellte. Er war überzeugt, Lubbe habe als Kommunist den Befehl seiner Auftraggeber befolgt, die Alleinschuld auf sich zu nehmen. Torgier glaubte er ebensowenig Er unterließ es in der Regel, die Angeklagten mit den Beschuldigungen zu konfrontieren, die er mühselig aus dubiosen Zeugenaussagen zusammenkonstruierte. So kam es, daß das kunstvoll errichtete Gebäude der Anklage in der Hauptverhandlung wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Vogt trug auch die eigentliche Verantwortung dafür, daß Lubbe mehr und mehr dazu überging, die lästigen und seiner Ansicht nach unsinnigen Fragen der Vernehmungsbeamten und später des Senatspräsidenten mit Schweigen oder dem typischen „Das kann ich nicht sagen!" zu quittieren. Lubbe hatte den Kriminalkommissaren Heisig und Zirpins flüssig geantwortet. Vogt erklärte sich das damit, daß diese Lubbe den Ruhm der Alleintäterschaft nicht bestritten hätten Ihn beunruhigte das eigentümliche Lachen van der Lübbes, das, wie Kriminalkommissar Marowsky bekundete zum erstenmal bei der Vernehmung über seine Kontakte in Neukölln aufgetreten war. Er erklärte es mit der Formel: „Er lachte, wenn er log!", modifizierte das aber dahin, daß van der Lubbe nur dann log, wenn er leise, nicht wenn er laut lachte. Jedoch räumte auch Vogt ein, daß der Angeklagte vor allem dann lachte, „wenn man ihn Sachen fragt, die seiner Meinung nach überflüssig sind, von denen er annimmt, sie sind selbstverständlich, es ist einfach lächerlich, ihn danach zu fragen"

Man hat damals wie heute an dem Verhalten herumgerätselt, das van der Lubbe während des Prozesses an den Tag legte. Man glaubte und glaubt zum Teil heute noch, er habe etwas zu verschweigen gehabt, nach Lage der Dinge die nationalsozialistischen Hintermänner. Haltlose Spekulationen, wie die angebliche Anwendung von Drogen, sind schon durch die Gutachten der Psychiater widerlegt Erst Tobias hat der Flut von psychologisierenden Betrachtungen gegenüber eine ebenso simple wie einleuchtende Erklärung gefunden, die mühelos alle Einzelbeobachtungen deckt: van der Lubbe, nach sechsmonatiger Inhaftierung und Fesselung, nach unzähligen Vernehmungen, die ihm sinnlos erscheinen mußten, verzweifelte schließlich, als es ihm nicht gelang, Glaubwürdigkeit für das, was er aussagte, zu erreichen. Nicht nur Vogt, auch das Gericht hielt ihn für einen Simulanten, der seine Mittäter nicht preisgeben wolle „Er hat in allen Punkten sonst, bei denen es darauf ankam festzustellen, ob noch andere beteiligt waren, bewußt die Unwahrheit gesagt", erklärte Vogt im Zeugenstand Lubbe habe zu schweigen begonnen, als er ihm im Zusammenhang mit dem angeblichen „Brückenschlag in Neukölln“ Beziehungen zu Funktionären der KPD und weiter „zur eigentlichen Parteileitung" vorgehalten habe. „Er hat alles bestritten — und das ist ja das Eigenartige — was die Brücke zur Zentrale hin bilden könnte." Lübbes Schweigen setzte also nicht dort ein, wo eine mögliche Mittäter-schäft der Nationalsozialisten in Frage kam, sondern bei objektiv unsinnigen Fragen; denn daß Lubbe mit dem ZK der KPD Verbindung hätte haben können, ist ebenso unhaltbar wie bezeichnend für die mangelhaften Vorstellungen, die man von der konspirativen Tätigkeit der KPD hatte. Lubbe schwieg angesichts eines kaum begreiflichen und überschaubaren Netzwerks haltloser Beschuldigungen, und er schwieg mit gutem Grund, wie Tobias überzeugend nachgewiesen hat. Am eindrücklichsten lehrt dies die prozeßentscheidende Episode jenes angeblich unbrennbaren Stüdes Vorhang aus dem Westumgang des Plenarsaals. Vogt hielt Lubbe die Gutachten der Brandsachverständigen vor. Lubbe entgegnete schlicht: „Ja, die Sachverständigen können das sagen, ich bin der Meinung, es brennt doch." Vogt hält weiter vor, der Vorhang sei nicht brennbar gewesen. Lubbe läßt sich das noch einmal bestätigen und folgert dann, vielleicht sei er dort nicht gewesen. Als Vogt ihm daraufhin vorhält, daß der Vorhang tatsächlich aber doch gebrannt habe, antwortet Lubbe, daß er dann doch versucht haben müsse, ihn anzustecken. Vogt glaubt, Lubbe damit zum Eingeständnis gebracht zu haben, daß ihm andere geholfen hätten Obwohl Vogt diese angebliche Äußerung Lübbes nicht ins Protokoll aufnahm, bekündete er als Zeuge vor dem Reichsgericht, Lubbe habe einmal auf Vorhalt geäußert: „Ja, das müssen die anderen sagen, was sie gemacht haben" (das heißt, man solle ihm doch die Mittäter zeigen), wegen der Unbestimmtheit sei der Satz leider nicht protokolliert worden

Tobias hat zutreffend von „künstlich induzierten" Widersprüchen gesprochen die das Reichsgericht in der Tat so verwirrten, daß im Urteil die unhaltbare Auffassung auftaucht, van der Lubbe sei gar nicht im Plenarsaal gewesen Tobias hat im übrigen nicht bestritten, daß van der Lubbe gelegentlich falsch ausgesagt hat — daß er etwa erst gegen 16 Uhr am Reichstag eingetroffen sei und nicht, wie durch Zeugenbeweis festgestellt werden konnte, gegen 14 Uhr — daß er nicht in der Vorhalle zu Portal II gewesen sei — daß er schließlich einige Personen, die jenes ominöse „Brandgespräch" in Neukölln mit ihm geführt haben sollten, verleugnete Im wesentlichen trafen seine Bekundungen zu, und es war vorwiegend die Methode des Untersuchungsrichters, die ihn hin und wieder zu Notlügen flüchten ließ. Wäre er ein von den Nationalsozialisten gedungener Attentäter gewesen, warum hätte er dann jene kommunistischen Gesprächspartner decken sollen? Das Verfahren Untersuchungsrichters hätte auch des übrigens Torgier beinahe in das Netzwerk ebenso phantasievoller wie unbegründeter Belastungen verstrickt; Diels fürchtete zeitweise für ihn das Schlimmste

Grundsätzlich ist dazu schließlich noch zu sagen, daß der Aussage van der Lübbes — wie ja auch die zuerst vernehmenden Kriminalbeamten meinten — fast durchweg Glaubwürdigkeit gebührt. Seine im Bewußtsein der ihn möglicherweise erwartenden Todesstrafe gemachten Äußerungen — etwa in jener berühmt gewordenen 42. Sitzung — können nicht mittels unbestätigter Vermutungen und Gerüchte weggewischt werden. Warum sollte van der Lubbe unrecht haben, als er an jenem 23. November dem Senatspräsidenten Bünger antwortete: „Ich kann bloß zugeben, daß ich den Brand allein angelegt habe, aber mit der Entwicklung des Prozesses bin ich nicht einverstanden. Ich verlange jetzt von dem Senat, daß ich eine Strafe bekomme; was hier geschieht, ist ein Verrat an den Menschen, an der Polizei, an der kommunistischen und nationalsozialistischen Partei. Ich verlange hier, daß ein Urteil gesprochen wird, daß meine Schuld geklärt wird, daß ich mit Gefängnis oder mit dem Tode bestraft werde."

Die bislang herrschend gewesene Auffassung geht davon aus, daß van der Lubbe Mittäter oder Hintermänner auf nationalsozialistischer Seite gehabt, aber naturgemäß verschwiegen habe. Die Kriminalisten der Voruntersuchungskommission haben alles getan, um das Itinerar van der Lübbes und seine Kontakte mit Dritten zu ermitteln. Gewiß sind da einige Lücken geblieben, insbesondere ließen sich Lübbes Aussagen über die Nachmittagsstunden des 27. Februar nicht verifizieren. Die wiederholt geäußerte Behauptung, man habe nach der falschen Seite gesucht, hat als zutreffenden Kern den Tatbestand, daß allerdings die untersuchenden Beamten auch nicht eine Spur für eine Untersuchung in anderer Richtung festste 1 len konnten. Die eidesstattlichen Erklärungen der Kriminalbeamten von Zirpins und Braschwitz sowie auch die Äußerungen Heisigs, die jede einseitige Steuerung bestreiten, können zudem nicht grundlos beiseite geschoben werden

Die Anhänger des „Reichstagsbrandmythos“ haben sich daher auch mehr und mehr darauf zurückgezogen, eine wilde SA-Aktion anzunehmen, was nach einem Bericht von Sir Horace Rumbold schon unmittelbar nach dem Brande vermutet wurde Die späteren Berichte von Gisevius haben sich als unhaltbar, wohl durch die Braunbücher beeinflußte Legende erwiesen Zuletzt ist von Wolfgang Schwarz der Standpunkt vertreten worden, es habe sich um eine Aktion gehandelt, die nicht zur Kenntnis der offiziellen Stellen gelangte und so stattgefunden habe, daß van der Lubbe „über Person und Motive" seiner Gehilfen im unklaren gelassen worden sei Diese Mutmaßung basiert allein darauf, daß Brandexperten und Reichsgericht die Alleintäterschaft van der Lübbes für unmöglich hielten. Sonst gibt es kein konkretes Indiz. Fraenkel hat die Episode mit Mimi Storbeck dafür anführen wollen; sie ist indessen unglaubwürdig, teilweise eindeutig widerlegbar, und darüber hinaus ohne Beweiswert für die angebliche nationalsozialistische „Gleichschaltung" van der Lübbes Aus zahllosen äußeren und inneren Gründen ist es ausgeschlossen, daß eine der-artige Beeinflussung oder Verabredung vor den zweifelsohne im Alleingang ausgeführten Brandlegungen im Schloß, im Rathaus und im Wohlfahrtsamt gelegen hat; in Hennigsdorf war dazu weder Zeit noch Gelegenheit vorhanden am Brandtage faßte er selbständig den Beschluß, nach Berlin zu gehen und den Reichstag in Brand zu setzen, kaufte allein die von ihm dazu verwandten Kohlenanzünder. Es bleiben für die angebliche „Gleichschaltung" nur jene paar Nachmittagsstunden, in denen van der Lubbe, nachdem er die Brandstiftung im Reichstag beschlossen und das Gebäude von außen besichtigt hatte, durch Berlin „gestromert" war, sich im Postamt aufwärmte und einige aufgesammelte Flugblätter las Es gehört schon viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, daß an diesem Nachmittag zwischen van der Lubbe und irgendwelchen SA-Leuten Verbindungen geknüpft wurden, ohne daß van der Lubbe über die Person seiner Gehilfen etwas erfahren hätte, daß in dieser Zeit das Brandmaterial bereitgestellt wurde, der günstigste Einstiegstermin und die Möglichkeit, unentdeckt zu verschwinden, für die Mittäter festgelegt wurde, und was dergleichen Konsequenzen mehr sind

Für den Verdacht der Mehrtäterschaft — der die Grundlage jener Kombinationen bildet — gibt es plausiblere Gründe als den, daß es in der prosaischen Wirklichkeit Mittäter van der Lübbes habe geben müssen. Bislang haben wir — im Anschluß an die Untersuchung von Tobias — gezeigt, daß die Annahme von mehreren Tätern sich längst durchgesetzt hatte, bevor empirische Ermittlungsbefunde vorlagen, und daß sich diese Vorstellung bei allen Beteiligten und in der Öffentlichkeit festsetzte, so daß mit Ausnahme von Heisig und Schnitzler auch diejenigen, die die Alleintäterschaft ursprünglich für wahrscheinlich hielten, daran irre wurden. Die Umsetzung der Mehrtäterschaftstheorie in ein unbestreitbares Dogma aber ging auf die Gutachten der Sachverständigen zurück. Diese haben bis heute den Angelpunkt der Reichstagsbranddiskussion gebildet und den Ausgang des Prozesses entscheidend bestimmt

Es gehört zu dem unbestreibaren Verdienst von Fritz Tobias, daß er sich nicht mit den angeblich objektiven Befunden der Brand-experten abzufinden bereit war, sondern sie historischer Kritik unterwarf. In der Tat stand die apodiktische Sicherheit, mit der der chemische Sachverständige Dr. Schatz sowohl wie Prof. Josse und Oberbranddirektor Wagner die Alleintäterschaft van der Lübbes ausschlossen, in einem eklatanten Mißverhältnis zur Dürftigkeit ihrer sachlichen Befunde. Außerdem hatte der Untersuchungsrichter die von der Kriminalpolizei bestellten Gutachter, die mit van der Lübbes Aussage übereinstimmten, nicht hinzugezogen.

3. Die Brandexpertisen und ihre Widerlegbarkeit

Bekanntlich behaupteten die genannten Sachverständigen, daß der Plenarsaal sorgfältig unter Zuhilfenahme flüssiger Brandstoffe präpariert gewesen sei. Das war in der Brand-nacht spontan vermutet worden. Oberbranddirektor Gempp, der die Löscharbeiten leitete, schloß dies insbesondere aus der sogenannten „Gießspur" auf dem Teppich der Bismarck-Halle. Ein vom 27. Februar datierter Pressebericht meldete: „Der Verbrecher hat das Feuer an eine Tür gelegt und mit dem Brennstoff auf dem Teppich eine Bahn nach der nächsten Türe gegossen ..." Prof. Brüning prüfte dies im Auftrag der Kriminalpolizei und stellte fest, daß die „Gießspur" nicht auf die Verwendung flüssiger Brandmittel zurückzu-führen war Damit schien zunächst diese Annahme erledigt. Das Wolffsche Telegraphenbüro meldete am 28. Februar, es seien als Brandmittel Teerpräparate und Brandfakkeln benützt worden. Bei den ersteren handelte es sich um van der Lübbes Kohlenanzünder, bei letzteren um einen Irrtum; denn Scranowitz hatte ein verbranntes, zusammengerolltes Stück Tuch aus einem der Vorhänge für eine Fackel gehalten Das entsprach den Informationen, die Sommerfeldt erhalten hatte

Gleichwohl glaubte niemand, daß van der Lubbe den Großbrand mit armseligen Kohlenanzündern gelegt haben könnte. Der Haus-inspektor Scranowitz mutmaßte, daß die Attentäter mit Benzin getränkte Materialien in die Kästen der Abgeordnetenpulte gelegt hätten Gempp scheint ähnliches erwogen zu haben; jedenfalls sagte er später aus, er habe einen Benzin-oder Benzolgeruch wahrgenommen, zog diese Aussage aber zurück, als Schatz ihn aufforderte, sie zu präzisieren Sie war zweifelhaft; von einem ungewöhnlichen Geruch oder von einer bei derartigen Brandstoffen häufig auftretenden Schwaden-bildung hatten die übrigen Brandzeugen nichts wahrgenommen. WTB meldete zutreffend, daß die Sachverständigen neben den Kohlenanzündern Benzin als Brennmittel vermuteten, nicht aber Benzol, Petroleum oder Spiritus, weil man keinerlei Geruch festgestellt habe Die Anklageschrift stellte ebenfalls fest, daß keinerlei Spuren und auch keine Behälterreste gefunden worden seien, die auf leicht brennbare Flüssigkeiten wie Petroleum, Benzin, Benzol oder Äther schließen ließen. Die Sachverständigen seien daher „im wesentliehen auf Vermutungen" angewiesen Die Gutachter hielten gleichwohl daran fest, daß in den Plenarsaal Benzin eingeführt worden sei, da sie sich von der Vorstellung einer systematischen Brandstiftung nicht zu lösen vermochten.

Alle drei Experten urteilten, wie es im deutschen Strafprozeßrecht üblich ist, nicht bloß auf Grund der für den Brandverlauf einschlägigen Ermittlungsergebnisse, sondern in Kenntnis des gesamten Voruntersuchungsmaterials.

Sie waren nicht in der Lage, die große Zahl falscher Zeugenaussagen zu durchschauen, die eine „wohlorganisierte" Brandstiftung wahrscheinlich machten und den allgemein dahingehenden Verdacht befestigten.

Sie standen daher unter einem gewissen psychologischen Druck: hatten sie doch gewissermaßen nur die technische Ergänzung einer bereits geklärten Beweislage zu schaffen

Abgesehen von der Voreingenommenheit von Josse und Schatz in der Frage der Allein-täterschaft mußten die Experten durch eine Zeugenaussage besonders irregeführt werden, der die Voruntersuchung größtes Gewicht bei-maß.

Es handelte sich um die Bekundungen eines Starzeugen des Prozesses, des Haus-inspektors Scranowitz, der nicht nur später mit Vorliebe eigene Brandtheorien aufstellte sondern dies offensichtlich bereits an der Brandstätte tat. Er hatte gegen 21. 23 Uhr für „den Bruchteil einet Sekunde" in den Plenarsaal hineingesehen und wollte dabei eine große Zahl von Einzelbränden in den ersten beiden Reihen des Gestühls und auf der Tribüne wahrgenommen haben. Diese Beobachtung stand in unvereinbarem Widerspruch zu den Wahrnehmungen der Feuerwehrleute und Polizisten, die wenig vorher und wenig später in den Saal hineinschauten. Vor allem hatte der Wachtmeister Poeschel über die Schulter von Scranowitz den Saal betrachtet, ohne jedoch die aufsehenerregenden „Einzelfeuerehen"

festgestellt zu haben. Einer der Beisitzer wies auf den unleugbaren Widerspruch zwischen beiden Aussagen hin. Dennoch folgte das Gericht Scranowitz, wiewohl Poeschels Aussage mit denen der anderen Brandzeugen übereinstimmte und auch zum Brandverlauf paßte

übrigens war Scranowitz auch sonst ein schlechter Zeuge. Gegen Ende des Prozesses mußte er seine unter Eid gemachte Aussage, die Bulgaren vor dem Brand im Reichstag gesehen zu haben, zurücknehmen. Auch seine Schilderung der Verhaftung van der Lübbes zeigte seine Neigung zu dramatisieren Es bedarf nicht der fragwürdigen Spiegelreflextheorie von Tobias, um die Aussage über die „Einzelfeuerchen" zu erklären. Wenn phantasiebegabte und Geltung heischende Zeugen — und Scranowitz bewies diese Eigenschaften im Prozeß noch öfter — über ihre Beobachtungen reflektieren —, und das tat Scranowitz nachweislich, und er hatte viel Zeit dazu, da er viel zu spät vernommen wurde —, pflegen Zeugenaussagen wertlos zu sein. Es war ein ernsthaftes Versäumnis des Pflichtverteidigers van der Lübbes, diesen Zeugen nicht kritisch angefaßt zu haben.

Scranowitz'Aussage paßte nur allzugut in die allgemeine Vorstellung, die man sich vom Brande gemacht hatte, wie sie selbst mit der dramatisch-mysteriösen Ausdeutung des Brandes als politisches Fanal zusammenhing. Daß die Voruntersuchung es vermied, diese Aussage kritisch mit jenen der übrigen Brandzeugen zu konfrontieren, lag auch in ihrer generellen Tendenz begründet, Aussagen, die nicht kongruierten, summativ zusammenzusetzen und Widersprüchliches zu verschweigen. Es kam hinzu, daß der Hausinspektor persönlich zuverlässig war. Jedenfalls war seine völlig alleinstehende, durch keine anderen Befunde gedeckte Aussage prozeßentscheidend. Sie bestärkte die Gutachter in der Annahme flüssigen Brandstoffs, denn eine „natürliche" Entwicklung des Brandes war nach dieser Aussage undenkbar. In allen anderen Punkten hielt Wagners Gutachten eine normale Brand-entwicklung für möglich

Die angeblichen Beobachtungen von Scranowitz gaben denn auch den Brandexperten Rätsel auf, die sie nicht einmal hypothetisch zu lösen vermochten. Die auf sie gestützte Behauptung, daß künstliche Brandstoffe eingeführt worden waren, löste das eigentliche Problem, warum sich der Brand in unerhört kurzer Zeit — Wagner errechnete 4 Minuten — entwickelt hatte, nicht ohne weiteres. Das plötzliche Aufflammen des ganzen Plenarsaals hing mit einer Verpuffung zusammen, durch die die Staub-und Glasdecke sowie die Kuppelscheiben zerbrachen, womit das Feuer einen ungeheuren Auftrieb erhielt. Es wurde festgestellt, daß die Lüftungsanlagen zur Zeit des Brandes nicht in Betrieb waren; jedoch war durch zahlreiche Zuluftkanäle und die Pendeltüren gewährleistet, daß in keinem Stadium des Brandes nennenswerter Sauerstoff-mangel auftrat

Zunächst hatten die Zeugen Brände der Vorhänge auf der Stirnwand des Saales beobachtet. Dann kam die Bekundung von Scranowitz. Der Bericht des Brandmeisters Klotz vom plötzlichen, ja schlagartigen Aufflammen des ganzen Saales enthielt zugleich die Feststellung, daß der Saal vorher im Dunkeln gelegen und voller Qualm (nicht Nebel) gewesen sei Scranowitz'Feuerchen mußten wieder abgeklungen sein. Die Experten beschäftigten sich zunächst mit der Frage des stufenweisen Fortschreitens des Brandes. Da van der Lubbe zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet War, mutmaßten sie eine künstliche Zündung, sei es durch Celluloid-Filmstreifen, sei es durch das von Schatz später aufgebrachte selbstentzündliche Brandmittel. Josse und Wagner übersahen dabei, daß derartige Zündmittel innerhalb weniger Sekunden wirksam sind, wogegen zwischen den zuerst beobachteten Brandherden im Plenarsaal und der letzten Wahrnehmung vor dem völligen Aufflammen nachweislich 2 1/2 Minuten lagen. Ohne die Beobachtung von Scranowitz war der Brandablauf viel verständlicher; nach starker Brand-entfaltung an der Stirnseite des Saals und einem kurzen Schwelstadium trat der Verpuffungseffekt ein, der zum allgemeinen Aufflammen führte

Der Chemiker Schatz hat später — im Gegensatz zum ersten Gutachten — die Theorie aufgestellt, daß die Attentäter nach vorheriger Präparierung des Plenarsaals mit kohlenwasserstoffgetränkten Materialien Kohlenanzünderwürfel als Zündmittel benützt hätten, die'mit einer selbstentzündlichen Lösung von Phosphor in Schwefelkohlenstoff getränkt waren. Die Annahme von Phosphor als Zünd-, von Schwefelkohlenstoff als Lösungsmittel, von Kohlenanzündern als Trägern, benzin-artigen Flüssigkeiten als Brennmitteln und Werg, Papier oder Stoffresten als Trägern setzte eine wahrhaft komplizierte Präparierung des Saales voraus, die van der Lubbe unmöglich allein durchgeführt haben konnte. Josse und Wagner waren nicht so weit gegangen. Josse dachte an eine Präparierung mit Benzol oder dergleichen, um sich den Verpuffungseffekt zu erklären. Der Praktiker Wagner hielt den Verpuffungseffekt für normal, ging aber von der gleichen Annahme aus, weil er sich sonst Scranowitz’ Beobachtung nicht erklären konnte. Unbegreiflich blieb das Erlöschen der von Scranowitz bemerkten Brände trotz zureichenden Sauerstoffs. Beide Experten überließen die Ermittlung des Brennstoffes dem chemischen Sachverständigen. Die zuerst wahrgenommenen Brandherde hatten mit klarer Flamme gebrannt; das machte die Annahme leichtentzündlicher, durch niedrigen Flammpunkt ausgezeichneter Brennstoffe notwendig, also von Benzin. Andererseits hatte sich der Brand zunächst verhältnismäßig langsam ausgedehnt, obwohl die brennenden Vorhänge eine beträchtliche Wärmestrahlung abgegeben hatten, welche zur Entzündung dieser leicht entflammbaren Stoffe hätte führen müssen.

Die Experten setzten allerdings voraus, daß nicht einfach ein Kanister Benzin oder dergleichen ausgegossen worden war, weil dies zur sofortigen Explosion geführt hätte. Aber auch bei einer Bindung dieser explosiven Brennstoffe an textilartige Materialien hätten sich Gase bilden müssen, die beim Entstehen größerer Brandherde explosiv gezündet hätten Schwerer entzündliche Brandstoffe wie Benzol oder Petroleum hätten ein anderes Flammen-bild zeigen müssen. Zwar deuteten die Rußbeschläge, die man im Stenographenraum feststellte, vor allem aber in den Entlüftungskanälen, darauf hin, aber Wagner vertrat andererseits die Ansicht, daß angesichts der entstehenden Hitze auch diese Stoffe brennbare und explosive Schwaden gebildet haben würden, die zu einer weit umfangreicheren Explosion ausgereicht hätten, als die Verpuffung sie darstellte Schatz sprach von einem Petroleumderivat, wahrscheinlich Schwerbenzin, welches die einzigen „schwadenbildenden Flüssigkeiten" seien, die die beobachtete Wirkung hätten. Niemand bemerkte, daß sich Schatz hier doppelt widersprach. Erstens hatte Klotz zwar das Wort „Nebel" gebraucht, aber gewöhnlichen Qualm gemeint, zweitens hatte Schatz aus dem „Nebel“ auf seine selbstentzündliche Flüssigkeit geschlossen, die nach seinen Angaben weiße Schwaden bildete Aber man hatte doch ausdrücklich derartige Stoffe ausgeschlossen, weil keinerlei Geruch wahrzunehmen war.

Dergestalt blieb das Problem der Zündung ungelöst, die Frage des Brandstoffs unklar. Auch über dessen Menge konnte man sich nicht einigen. Josse schätzte, daß zwischen 20 und 40 kg eingeführt worden seien, Schatz meinte, es seien höchstens 4— 5 1 gewesen Für diese Schätzung sprach nur, daß 5 1 gut in die verdächtige Aktentasche Torglers hineingepaßt hätte. Da nach Schatz auch die Vorhänge damit benetzt waren, wären auf Scranowitz'Einzelfeuer minimale Mengen entfallen. Die völlig willkürlichen Schätzungen dieses Sachverständigen gehen indessen aus einer auch dem Laien verständlichen Einzelheit hervor, die zur Illustration angeführt werden soll. Schatz meinte, daß 300 ccm selbst-entzündlichen Brandmittels zur Präparierung von 40 Kohlenanzündern ausreichen, über die Menge machte er keine Angabe, in der all-gemeinen Vorstellung waren es der Größenordnung nach 2— 3 1. Dazu kamen 5 1 Schwer-benzin. Schatz behauptete nun gegen Josse, daß die Glasdecke infolge eines Unterdrucks zersprungen sein könne, „und zwar infolge Kontraktion durch die Verbindungen, die hier aus dem Anhydrid des Zündungsstoffes mit dem vorhandenen Wasser entstanden sind" Eine chemisch bewirkte Volumen-verringerung in der Größenordnung einiger Liter bei gleichzeitigem Übergang flüssiger Stoffe in gasförmigen Zustand in einem Raum von ca. 11 000 m 3 Volumen bei geöffneten Abluftkanälen und Pendeltüren sollte einen Unterdrück erzeugen, durch den die Glasdecke zerbricht?

Selbst einem unter Sachverständigeneid stehenden Gutachter wird man zugutehalten, daß er gelegentlich übers Ziel hinausschießt; aber bei Schatz war das notorisch der Fall Das Reichsgericht hat als wahr unterstellt, daß Schatz in den von ihm untersuchten Erd-, Mörtel-und Rußproben sowohl Verbrennungsprodukte einer erdölartigen Flüssigkeit (Benzin?) wie von Naphtalin (Kohlenanzünder!) wie der Phosphor-Schwefelkohlenstofflösung nachgewiesen habe. Die von ihm gemutmaßte Zündflüssigkeit ist geruchlich intensiv wahrnehmbar; Schatz behauptete das auch zunächst, bestritt es allerdings, als Sack daraus die Konsequenz zog, daß Torgier als mutmaßlicher Verbreiter dieses Mittels diesen Geruch an sich hätte tragen müssen Die chemischen Analysen von Schatz hat außer seinem Assistenten niemand gesehen Es gibt aber eine Reihe anderer als chemischer Argumente, die für die völlige Unglaubwürdigkeit dieser Hypothesen sprechen.

Erstens war Schatz von seinem Untersuchungsergebnis überzeugt, bevor er überhaupt analysierte. „Auf Grund der Erfahrungen", erklärte er dem Gerichtshof, „die ich seit den letzten Jahren gesammelt habe, würde es sich für mich vollkommen erübrigt haben, chemische Feststellungen zu treffen; denn der ganze Ablauf des Brandes, hauptsächlich im Plenarsaal, ist von mir so oft beobachtet worden und durch Geständnisse in den späteren Verhandlungen auch die Richtigkeit bestätigt worden, daß ich an der Tatsache nicht zweifle, daß Brand-flüssigkeiten benutzt worden sind, auch wenn die Untersuchung kein positives Ergebnis gehabt hätte." Wo wollte Schatz einen vergleichbaren Brandverlauf gesehen haben, stand doch der Brand im Plenarsaal, wie seine Kollegen nachwiesen, unter einzigartigen Voraussetzungen? Als Schatz auf den Mantel van der Lübbes zu sprechen kam, betonte er, er habe „leider“ keine Brandflüssigkeit finden können So kam es zu der sensationellen, mit sämtlichen Ermittlungen und objektiven Befunden im Widerspruch stehenden Behauptung von Schatz, daß van der Lubbe den Plenarsaal überhaupt nicht betreten haben könne

Nach Ausweis der Verhandlungsprotokolls kam Schatz auf diese Idee deshalb, weil sonst van der Lubbe bei seiner Verhaftung den Geruch von Brenn-und Zündstoff an sich hätte tragen müssen. Gleichwohl stellte er die Theorie auf, van der Lubbe habe seine Kleidung nicht als Brandfackel benützt, sondern ausziehen müssen, da sie durch Benetzung mit der selbstentzündlichen Flüssigkeit zu brennen angefangen habe Schließlich entdeckte er trotz vorher negativem Befund auch im Mantel und dann in der „Gießspur“ Über-reste der selbstentzündlichen Flüssigkeit. Darauf aufmerksam gemacht, daß damit seine Auffassung von der grundverschiedenen Entwicklung der Brände in den Restaurationsräumen und im Plenarsaal ins Wanken geriete, meinte er, Lubbe habe einen Rest des Selbstentzündungsmittels gefunden oder von anderer Seite erhalten Das Urteil hat aus dieser widerspruchsvollen Theorie unhaltbare Konsequenzen gezogen

Die Annahme, van der Lubbe habe bei seinem raschen Lauf durch das Gebäude Reste der Zündflüssigkeit gefunden — in einem Behälter, der brennbar sein mußte — ist leicht zu widerlegen. Nach Angaben von Schatz war die Entflammungszeit der Zündflüssigkeit durch die Lösungskonzentration bestimmt. Er gab einmal eine halbe, dann ein bis zwei Stunden an, die zwischen Ausbreitung des Zündmittels und der Zündung gelegen hätten — je nach der passenden Beweissituation. Unterstellt man nun eine Entflammzeit von ca. 30 Minuten — das war das mindeste, wenn man Mittäter annahm —, hätte sich (auch bei variierenden Verdunstungsbedingungen) Lübbes Mantel entsprechend später entzünden müssen, da diese Flüssigkeit aus der Flasche in die Tasche gelaufen war. Reste der Zündflüssigkeit hätten in den Restaurationsräumen in Anwesenheit der Brandzeugen aufflammen müssen. Andererseits ist die Brandentwicklung im Plenarsaal bei Verwendung solcher Zündstoffe vollends unerklärlich: Wenn es angehen mag, anzunehmen, daß die verwandte benzin-artige Brennflüssigkeit, gebunden an Textilien, durch die auftretende Wärmestrahlung und überhitzte Luft nicht automatisch entflammt wurde, so ist das bei dem Zündungsmittel, dessen Wirksamkeit ja darauf beruht, daß es schon unter normalen Bedingungen rasch verdunstet und damit zündet, ausgeschlossen

Die Annahme des selbstentzündlichen Brand-mittels schuf eine Kette von Widersprüchen und Ungereimtheiten. Wieso kam Schatz darauf? Er hatte ja zunächst Zündschnüre vermutet, um die Ausdehnung des Brandes nach der Verhaftung van der Lübbes zu erklären. Das automatische Zündungsmittel hatte die Funktion, eine aktive Brandstiftung durch Torgier als wahrscheinlich hinzustellen. Die Konsequenz dieser fiktiven Überlegungen bildete die Annahme, daß van der Lubbe mit der Brandstiftung nichts zu tun habe und nur im Reichstagsgebäude war, um die Alleintäterschaft auf sich zu nehmen Im Urteil hieß es, van der Lubbe sei nicht im Plenarsaal gewesen, da das „angesichts der angewandten Selbstentzündung völlig überflüssig gewesen“ wäre, und habe agiert, um „den Verdacht der Täterschaft, und zwar einer Alleintäterschaft, auf sich zu lenken, wie es seiner bis zum letzten Augenblick unbeirrbar festgehaltenen Verteidigung entspricht, die er getreu den Anweisungen des Kommunismus für die Verteidigung vor Gericht . .. eingehalten hat. Dafür spreche auch „sein auffälliges und für eine heimliche Brandstiftung gänzlich unsachgemäßes Verhalten"! Wenn aber van der Lubbe die Alleintäterschaft auf sich zu ziehen bestimmt war, wie konnten dann seine Hintermänner ihm einen Behälter selbstentzündlichen Brandmittels in die Tasche stecken, dessen Existenz die Alleintäterschaft widerlegte? Daher war Schatz von seiner ursprünglichen Idee abgerückt, das Zündmittel auch in den Restaurationsräumen als angewandt zu erklären, und hatte gemeint, Lubbe habe nicht viel davon bei sich haben können

Für die Anwendung des Schatzschen „Zaubermittels" spricht nichts. Spuren von elementarem Phosphor und Schwefel sind überall zu finden. Diese Hypothese scheidet daher aus. Es bleibt die Frage der Präparierung des Plenarsaals. Wie erwähnt, kam Wagner zu dieser Annahme infolge der Aussage von Scranowitz. Dagegen hat Josse aus physikalischen Erwä-gungen eine Präparierung vermutet. Sein Gutachten war jedoch völlig unkritisch. Josse wunderte sich, daß die Lüftungsanlage nicht in Betrieb war, obwohl es für die Täter nahe-gelegen habe, „schon zu Beginn der Brandlegung — insbesondere bei der Entzündung des Brandes — sich dieser Feueranfachung zu bedienen. Dies wäre bei der außerordentlich fachmännischen Brandstiftung im Plenarsaal kaum übersehen worden“. Anstatt zu folgern, daß die Brandstiftung in dieser Hinsicht keine „fachmännische" war, behauptete der Experte, es hätte nicht „im Sinne der gewollten Entwicklung des Brandes gelegen, die Abluftöffnungen offen zu halten" Die Möglichkeit der Alleintäterschaft wurde von ihm gar nicht erst geprüft! Vor dem Reichsgericht begründete er die Idee von der „fachmännischen Brandstiftung" erstens mit der Wahl des (unbekannten) Brennstoffes, zweitens mit seiner Verteilung im Raum (worüber keine Aussagen gemacht werden konnten), drittens mit der Verpuffung (welche Wagner für natürlich hielt), viertens mit der raschen Wärme-entwicklung bei Beginn des Brandes (eine reine Hypothese) und fünftens damit, daß sich van der Lubbe nach dem Brande gewundert habe, daß die Kuppel des Reichstagsgebäudes erhalten geblieben sei! Josse kam über den Tatbestand nicht hinweg, daß keinerlei Brandstoffbehälter gefunden worden waren. Sonst ließ er alles offen, mit Ausnahme der Berechnung, daß der für die Erhitzung des Saales notwendige Energiebedarf nur durch eingeführte Brandstoffe habe gedeckt werden können und daß die Rußbeschläge keine natürliche Brandursache zulassen würden. Im übrigen erfand Josse die Ablenkungstheorie, wonach van der Lubbe nur deshalb in den Restaurationsräumen Brand gelegt habe, damit die Feuerwehr vom Hauptbrandort abgehalten würde, obwohl es unter diesem Gesichtspunkt das einzig Richtige gewesen wäre, einen Brand an der Peripherie des Gebäudes zu vermeiden

Es ist festzuhalten, daß diese Brandgutachten nicht überzeugen. Ihnen widersprachen die Feststellungen Ritters und Brünings Die vernehmenden Kriminalbeamten hatten von den Feuerwehrleuten die Auskunft erhalten, daß es gut möglich sei, daß van der Lubbe den Brand allein gelegt habe Tobias hat die Argumente und Tatsachen zusammengestellt, die im übrigen die Theorie der Brandexperten widerlegen. Nur ein in der publizistischen Diskussion der letzten Jahre lebhaft erörtertes Problem mag kurz dargelegt werden. Bekanntlich tauchten in der Reichsgerichtsverhandlung Zweifel auf, ob van der Lubbe den von ihm beschriebenen Brandweg im Reichstagsgebäude innerhalb der berechneten Zeit habe zurücklegen können. Als erster hat Schatz, freilich mit widersprüchlichen Argumenten, daran gezweifelt. Neuerdings hat man gemeint, Lubbe habe seiner Augenverletzung wegen sich im dunklen Reichstag unmöglich so rasch bewegen können Wie in solchen Fällen immer, ist es strittig, wieviel Zeit dem Brandstifter zur Verfügung stand; die Berechnungen variieren zwischen 15 und 20 Minuten 7. Man hat kritisiert, daß die Vernehmungsbeamten beim Lokaltermin nicht genügend Zeit für die einzelnen Brandlegungen angesetzt haben; Lubbe brauchte bei Tage zur vollständigen Zurücklegung des Brandwegs 15 Minu-ten Nun gab es genügend im Lokaltermin anwesende Zeugen, die Lübbes Rekordlauf für möglich gehalten haben Außerdem ist van der Lubbe durch die während der Brandstiftung abgegebenen Schüsse zu größter Eile angetrieben worden. Daß er die Brandlegung übereilt vornahm, geht daraus hervor, daß ein großer Teil der Brandstellen sogleich wieder erlosch. Nur die mit Leichtigkeit im Vorbeieilen zu entzündenden Portieren haben den Großbrand im Plenarsaal ausgelöst. Für die Brandlegung im Plenarsaal brauchte van der Lubbe höchstens zwei Minuten.

Man hat weiter gemeint, van der Lubbe habe nur einen Teil seines Brandweges beschrieben und aus einzelnen Widersprüchen die Unwahrhaftigkeit seiner Angaben schließen wollen. Diese Widersprüche erklären sich zum größten Teil aus der beschriebenen Art der Voruntersuchung. Es wäre auch psychologisch unerklärlich, weshalb van der Lubbe so präzise Angaben über den komplizierten Brandweg gemacht hat, wenn er etwas verschweigen wollte; es wäre plausibel gewesen, sich auf ungenaue Erinnerung zu berufen, ja es hätte genügt, wenn er doppelte Wege weggelassen hätte. Es liegt kein zwingender Grund dafür vor, van der Lubbe könnte die Brandherde im Plenarsaal nicht selbst gelegt haben, zumal er — trotz des Urteils — nachweislich im Plenarsaal gewesen ist und gerade hier die Brandlegung nur kürzeste Zeit beanspruchte

Demnach ergibt sich zweifelsfrei, daß sämtliche Argumente, die gegen die Behauptung van der Lübbes, den Brand selbst gelegt zu haben, auf objektiv nicht erweisbaren, dagegen vielfach widersprüchlichen und ungeprüften Hypothesen beruhen. Für die Alleintäterschaft sprechen das eindeutige und wiederholte Geständnis van der Lübbes, das Ergebnis der kriminalistischen Untersuchung, die zahllosen Widersprüche, die die für das Gericht tätigen Sachverständigen offen gelassen haben und die das Urteil noch vermehrt hat, nicht zuletzt aber der Tatbestand, daß die allgemeine Befangenheit in der Vorstellung von einer wohlorganisierten kommunistischen Brandstiftung eine unvoreingenommene Beweisaufnahme, Beweiswürdigung und in gewissem Umfang auch eine unbehinderte Verteidigung trotz aller Bemühungen des Gerichts, unbeeinflußt zu arbeiten, nicht zugelassen hat. Damit erübrigt sich die Chimäre eines „wilden" SA-Kommandos, geschweige denn einer angeblichen Mitwisserschaft Görings und schließlich auch die zweifelhafte Annahme einer wie immer vorzustellenden Beauftragung van der Lübbes durch nationalsozialistische Hintermänner.

4. Politische Folgen des Reichtagsbrandes

Die Widerlegung der Mehrtätertheorie und die Feststellung, daß der Plenarsaal des Reichstagsgebäudes im Alleingang in Brand gesetzt werden konnte, entbindet uns der detaillierten Untersuchung darüber, ob die Reaktionen Görings und Hitlers unmittelbar nach Bekanntwerden der Brandstiftung gestellt waren oder nicht. Ihre Überraschung war echt. Goebbels hielt die ihm durch Hanfstaengl telephonisch übermittelte Nachricht für einen schlechten Scherz Göring scheint zunächst völlig konsterniert gewesen zu sein; er begab sich sofort zum brennenden Reichstagsgebäude. Sein erster Gedanke galt der Rettung der dort* befindlichen Gobelins und der Bibliothek Er traf gegen 9. 30 Uhr, kurz nachdem der Plenarsaal in Flammen aufgegangen war und die 10. Alarmstufe für die Feuerwehr ausgegeben worden war, im Reichstag ein. Görings Verhalten läßt nicht den Schluß zu, daß ihm der Brand willkommen war Er gab die notwendigen Anweisungen, sprach kurz mit Oberbranddirektor Gempp, fragte nach dem Direktor des Reichstages, Geheimrat Galle. Der ihn begleitende Ministerialdirektor Grauert bemühte sich sogleich um Aufklärung über die Brandstiftung, erfuhr von den Verdachtsmomenten gegen Torgier und Koenen und war seitdem überzeugt, daß die Kommunisten hinter der Brandstiftung standen 8.

Göring hat später geäußert, das Wort „Brandstifter" habe ihm spontan den Gedanken eingegeben, daß die KPD die Schuld daran trage Jedoch dürften erst die Informationen Grauerts diesen Eindruck hervorgerufen haben. Wenig später traf Rudolf Diels, begleitet von Assessor Schnitzler, ein, erfuhr von der Verhaftung van der Lübbes und wohnte den ersten Vernehmungen bei 132). Gleichzeitig dürfte Göring gemeldet worden sein, daß man von den Brandstiftern nur einen holländischen Kommunisten — daß van der Lubbe Kommunist sei, wurde von vornherein unterstellt — gefaßt habe. Dem zu diesem Zeitpunkt allgemein bestehenden Eindruck, daß es sich um einen großangelegten Brand einer ganzen Reihe von Attentätern handele, hat sich Göring kaum entzogen. Er ordnete die Durchsuchung des Röhrentunnels an, die von seinem SS-Leibwächter Walter Weber zusammen mit drei Schutzpolizisten durchgeführt wurde und ergebnislos verlief Sommerfeldt berichtet, er sei gegen 23 Uhr geweckt und anschließend mit dem Wagen zum Reichstagsgebäude gebracht worden. Dies muß jedoch erheblich früher, gegen 22. 15 Uhr, erfolgt sein. Denn er traf Göring, noch bevor dieser, wie Goebbels berichtete „groß in Fahrt" kam. Göring sei ganz gelassen gewesen und habe den Eindruck gemacht, „daß auch er einigermaßen von dieser Brandstiftung betroffen war, ohne ihr noch allzugroßes Gewicht beizulegen". Göring habe ihn ruhig angewiesen, den bereits erwähnten Bericht zusammenzustellen Kurz nach 22 Uhr dürfte Göring bereits die ersten Sicherungsmaßnahmen in seiner Eigenschaft als preußischer Innenminister veranlaßt haben. Als Hitler eintraf, meldete Göring, daß er die gesamte Polizei mobilisiert und alle öffentlichen Gebäude unter Polizeischutz gestellt habe. Von den übrigen Sicherungsmaßnahmen berichtete die 2. Früh-ausgabe von WTB am 28. Februar Hitler, Goebbels und Gefolge trafen wohl nicht vor 22. 20 Uhr an der Brandstätte ein. Delmer berichtet, daß Goebbels zunächst den Gauleiter Hanke ausgesandt hatte, um festzustellen, was tatsächlich los sei Göring empfing Hitler am Eingang der Wandelhalle hinter Portal II. Delmer bezeugt, daß Göring erklärt habe, es handele sich zweifellos um ein Werk der Kommunisten, ein Brandstifter sei festgenommen worden, mehrere kommunistische Reichstagsabgeordnete seien zwanzig Minuten vor Ausbruch des Brandes im Reichstagsgebäude gewesen. Schon vorher war von Papen eingetroffen; Göring hatte ihn mit der Bemerkung begrüßt: „Das kann nur ein Attentat gegen die neue Regierung sein!“ Papen zweifelte nicht daran. Es ist festzuhalten, daß Göring den Gedanken, daß es sich beim Reichstagsbrand um einen kommunistischen „Aufstardsversuch" handele, fußend auf den ihm zugetragenen Gerüchten, aufgebracht hat. Daher erklären sich die von ihm selbständig getroffenen umfangreichen Sicherungsmaßnahmen, die Sir Horace Rumbold alsbald als Ausfluß einer „Hysterie” kennzeichnete Delmer kommentiert: „Ich bin überzeugt, daß er es ernst meinte und nicht nur Theater spielte." Nach Görings Bericht unternahm die Prominenz einen Rundgang durch das Gebäude, während sich die Feuerwehr bemühte, den furchtbaren Brand im Plenarsaal einzudämmen. Dieser wirkte als Illustration für die von Göring beschworene Gefahr. Delmer, dem es als einzigen Journalisten gelungen war, mit in das Gebäude zu gelangen und beim Rundgang mit Hitler zu sprechen, teilt unter anderen die folgenden Äußerungen mit: „Gebe Gott“, sagte er zu mir, „daß dies Werk der Kommunisten ist. Sie das sind jetzt Zeuge des Ausbruchs einer großen Epoche in Deutschlands Geschichte." Zu von Papen später erklärt: „Dies habe Hitler wenig ist Gott ein von gegebenes Signal, Herr Vizekanzler. Wenn dies Feuer, wie ich glaube das Werk der Kommunisten ist, dann müssen wir die Mörderpest mit eiserner Faust zerschlagen."

nicht den Delmer zog aus diesen Äußerungen Schluß, daß Hitler seiner ganz sicher war, kommentierte sie vielmehr dahingehend, daß der Reichskanzler „an jenem Abend noch nicht einmal vollständig überzeugt" gewesen sei, „es mit einem kommunistischen Anschlag zu tun zu haben" 1404). Ohne jeden Zweifel machte Hitler sich wenig später diese Ansicht zu eigen. Glaubte er daran, oder schauspielerte er?

Uber die Reaktion Hitlers berichtet Rudolf Diels in seinen Erinnerungen. Er habe Hitler und sein Gefolge auf einer zum Plenarsaal sich öffnenden Tribüne getroffen. Hitler sei aufs äußerste erregt gewesen, während Göring auf ihn zugeschritten sei und mit schicksals-schwerem Pathos geäußert habe: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagenI Es darf keine Minute versäumt werden!" Die Prominenz versammelte sich im Zimmer des Reichstagspräsidenten. Diels versuchte, Hitler über die bisherigen Vernehmungen van der Lübbes zu orientieren. Hitler sei völlig unbeherrscht gewesen, habe verlangt, daß jeder kommunistische Funktionär erschossen werde, wo er angetroffen würde. Die kommunistischen Abgeordneten müßten noch in dieser Nacht aufgehängt werden, auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner dürfe es keine Schonung mehr geben. Unter diesen Umständen war der Versuch Diels, Hitler von der Alleintäterschaft zu überzeugen, hoffnungslos

Diels’ Bericht wird indirekt durch die unabhängig von diesem entstandenen Aufzeichnungen Schnitzlers bestätigt „Diels hat die erste Besprechung der Nationalsozialisten im brennenden Reichstag, in der die ersten politischen Maßnahmen unüberlegt und nicht klar durchdacht beschlossen, oder besser gesagt, befohlen wurden, mit . aufgeregt'und , wild’ charakterisiert. Nachdem Hitler aus einer Art Starre zu sich gekommen sei, habe er in einem nicht endenwollenden cholerischen Ausbruch die kommunistischen ’ geschmäht. Untermenschen Für ihn habe es gar nicht mehr des Anscheins eines Beweises bedurft, daß die Kommunisten durch die . schändliche Inbrandsetzung eines deutschen Palladiums das Fanal zu ihrer großspurig angekündigten Massen-aktion hätten geben wollen’. Hitler habe ernsthaft befohlen, alle kommunistischen Reichstagsabgeordneten aufzuhängen." War diese bei Hitler gewöhnliche Neigung zu monomanen Ergüssen hier noch rational kontrolliert, war dies jene gespielte Erregung, die Hitler in dem Moment, wo er sprach, an die Wahrheit seiner Worte glauben ließ? Sicherlich ist die folgende Tagebuchaufzeichnung von Goebbels fragwürdig: „Nun ist der entscheidende Augenblick gekommen. Der Führer verliert nicht einen Augenblick seine Ruhe; bewundernswert, ihn hier seine Befehle erteilen zu sehen, denselben Mann, der vor einer halben Stunde noch sorglos plaudernd bei uns zum Abendessen saß'."

Diese Besprechung im Zimmer des Reichstags-präsidenten dauerte kaum länger als eine halbe Stunde. Neben Göring, Hitler und Goebbels waren der Reichsminister des Innern, Frick, und Polizeipräsident v. Levetzow, den Göring herbeordert hatte, wahrscheinlich auch Graf Helldorf und OberbürgermeisterSahm anwesend, während Papen das Gebäude verlassen hatte, um den Reichspräsidenten zu unterrichten 5. Im wesentlichen wurde die Besprechung durch die Tiraden Hitlers ausgefüllt, von ruhiger, geschweige kaltblütiger Beratung konnte nicht die Rede sein. Hitler scheint im wesentlichen darauf beschränkt zu haben, Terror-und Gewaltmaßnahmen gegen die Kommunisten zu fordern. Aller Wahrscheinlichkeit nach dachte er vor allem an späterer die Wahlen. Ein Pressebericht enthielt die Notiz: „Wie verlautet, hat Adolf Hitler noch am Brandplatz erklärt, daß die Wahl unter allen Umständen am 5. März stattfinden wird. Die Reichsregierung werde nunmehr diejenigen Maßnahmen treffen, die zur Niederzwingung und Ausrottung dieser furchtbarsten Gefahr nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas notwendig sind."

Indessen war es nicht Hitler, der Befehle erteilte, sondern Göring, für den die Haßbekundüngen des Führers grünes Licht bedeuteten. Es war seine große Stunde! Nach Diels’ Bericht hat ihn Göring mit einer Fülle ziemlich durcheinandergehender Anweisungen überschüttet, darunter „höchster Alarmzustand der Polizei, rücksichtsloser Gebrauch der Schußwaffe sowie Massenverhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten" „Diels notierte sich in der Besprechung", so erinnert sich Schnitzler „die einzelnen Punkte auf einen losen Zettel und machte sich nachher Sorge, ob er das berücksichtigt hätte, was die aufgeregten Gemüter der Männer der neuen Regierung, von keinerlei Sachkenntnis in bezug auf das Macht-und Rechtsinstrument, das spielen zu können sie vorgaben, getrübt, in ihrem Wahn verlangt hatten." Ohne Zweifel hatte Göring auch die Verhaftung der sozialdemokratischen Funktionäre, nicht nur ein 14tägiges Verbot der sozialdemokratischen Presse für Preußen verlangt. Das geht auch daraus hervor, daß die Parallelaktion Helldorfs, der entweder in der Besprechung anwesend war oder wenig später von Göring beauftragt wurde, die Sozialdemokraten mit umfaßte. Wohl in Übereinstimmung mit Diels veranlaßte Schnitzler, daß eine Anweisung an die Polizeifunkstationen erging, wonach sämtliche kommunistischen Abgeordneten des Reichstags, der Länderparlamente der -und Stadtver ordnetenversammlungen sowie alle kommunistischen Funktionäre zu verhaften und alle kommunistischen Zeitungen zu verbieten seien Die kritischen Bemerkungen, die Diels und Schnitzler an diese Episode knüpften, richteten sich gegen den Stil, in dem politische Entscheidungen von großer Tragweite unbeherrscht und wohl ohne klare Überlegung ihrer Folgen getroffen wurden. Man war in diesem Kreise unter sich, es bestand also kein Anlaß, aus propagandistischen Erwägungen eine künstliche Theatralik zu entfachen.

Das waren keine zynisch-berechnenden Macht-politiker, die sich nur nach außen hin in Szene setzten. Es verhält sich daher nicht so, daß sie den gegebenen Tatbestand klar erfaßten und virtuos für ihre Zwecke ausnützten. Hitler und Göring waren offensichtlich gar nicht in der Lage, die wirklichen Ursachen des Brandes zur Kenntnis zu nehmen, und es wäre bereits unrichtig formuliert, würde man sagen, daß sie es nicht wollten. Ihre Reaktionen spielten sich auf einer unter der rationalen Ebene liegenden, durch Instinkt und Eitelkeit beherrschten Schicht ab. Mit normalen Kategorien sind die Haß-und Wutausbrüche Hitlers, die in der sinnlosen Forderung, die kommunistischen Abgeordneten sofort zu erhängen, gipfelten, überhaupt nicht zu fassen. Ebenso sind Görings Reaktionen nicht einfach gespielt; unter normalen Umständen war er in der Lage, klare und eindeutige Befehle zu geben. Sicher wirkte bei ihm das Bestreben mit, als preußischer Polizeiminister groß herauszukommen, zumal bei der scharfen Rivalität, die zu Goebbels bestand.

Unter diesen Umständen ist es nicht gleichgültig, ob die Befehle an Diels durch die Situation selbst motiviert waren oder auf Erfindung beruhten. Görings Glaube an den kommunistischen Aufstand war nicht nur Ausfluß seiner erregten Phantasie. Er wurde genährt durch gleichlautende Nachrichten vom Polizeipräsidium. Kriminalkommissar Heisig vernahm den Attentäter im Polizeipräsidium. Er bestätigte als Zeuge glaubhaft, daß van der Lubbe die Worte „Signal" und „Fanal" gebraucht und davon gesprochen hatte, die Zeit zum „Losschlagen“ sei gekommen, um das arbeiterfeindlicheSystem zu beseitigen In der gegebenen Situation wurde das von ihm und den anwesenden Beobachtern, darunter auch dem Polizeipräsidenten v. Levetzow, als kommunistischer Aufstandsversuch gedeutet. In der hektisch-unwirklichen Atmosphäre der Brandnacht genügte dies, um den Verdacht zur Gewißheit zu bestärken. Es waren nur wenige, die sich frei davon hielten; es handelte sich um eine Psychose, die nicht erst künstlich erzeugt werden mußte. Die hochgespannte politische Situation erklärt sie zur Genüge. Es spricht nichts dagegen, daß die nationalsozialistische Führung das Gespenst des kommunistischen Aufstandsversuchs für den Augenblick ernstnahm, zumal sie ja derartiges erwartete. Am 31. Januar hatte Goebbels in sein Tagebuch notiert: „Der bolschewistische Revolutionsversuch muß zuerst einmal aufflammen. Im geeigneten Moment werden wir dann zuschlagen.“ über die Besprechung im brennenden Reichstagsgebäude vermerkte er: „Es besteht kein Zweifel, daß die Kommune hier einen letzten Versuch unternimmt, durch Brand und Terror Verwirrung zu stiften, um so in der allgemeinen Panik die Macht an sich zu reißen." Die Fragen, welche Gefahr die nationalsozialistische Führung bei ruhiger Überlegung im kommunistischen Gegner erblickte., kann hier zunächst dahingestellt bleiben. Es spricht alles dafür, daß die Verhaftungsbefehle eine spontane Reaktion auf die mit gieriger Phantasie aufgenommene Parole vom kommunistischen Aufstand darstellten.

Auch die Einbeziehung der SPD in diese Maßnahmen stand im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Vernehmung van der Lübbes, aus dessen Äußerungen man entnehmen zu können glaubte, daß nicht nur die KPD, sondern auch die SPD hinter dem vermuteten Komplott stand, was der Untersuchungsrichter in einer Presseerklärung vom 22. März dementieren mußte , Auch das war aus der ge-spenstisch -unwirklichen Gesamtatmosphäre heraus zu begreifen, in der die unsinnigsten Gerüchte geglaubt wurden. Die nationalsozialistische Propaganda und Mentalität, die Sozialdemokratie und Kommunisten bewußt und unbewußt zusammenwarf, unterstützte diese groteske Unterstellung. Auch die Generälstreikdrohungen von Seiten der SPD und KPD wurden von der Reichsregierung noch durchaus ernst genommen, wie der gegen politische Streiks gerichtete § 6 der VO gegen Verrat am deutschen Volke vom 28. Februar erkennen läßt 155a). Es ist schwer vorzustellen, was geschehen wäre, wenn Diels den Befehl ernstgenommen hätte, auch die Sozialdemokraten zu verhaften, das Reichsbanner gewaltsam aufzulösen und dergleichen. Wenn hinter dieser Anweisung Überlegung gestanden hat, dann nur die, in einer allgemeinen Bürgerkriegssituation reinen Tisch zu machen.

Sonstige Ergebnisse brachte die gegen 23 Uhr beendete Besprechung im Zimmer des Reichstagspräsidenten nicht. Doch scheint zu diesem Zeitpunkt bereits der Gedanke aufgetaucht zu sein, den Ausnahmezustand zu verhängen. Einem Pressebericht zufolge sollte das Kabinett „noch in den Nachtstunden zu einer Sonder-beratung zusammentreten", um „über die politischen Folgen, die der Reichstagsbrand nach sich ziehen wird", zu befinden

Gegen 23. 15 Uhr verließen Hitler und Göring den noch schwelenden Reichstag und begaben sich in das Preußische Innenministerium. Dort fand eine Besprechung statt, die wohl in dem erwähnten Pressebericht irrtümlich als Kabinettsbesprechung bezeichnet worden ist. An ihr nahmen teil Vizekanzler v. Papen, Polizei-präsident v. Levetzow, Ministerialdirektor Grauert, Staatssekretär v. Bismarck und Oberregierungsrat Diels. Frick, der vorher anwesend war, fehlte, vielleicht einfach deshalb, weil es sich um ein für Preußen zuständiges Gremium Die personelle Zusammensetzung läßt erkennen, daß hier vorwiegend an die Erörterung von Sicherungs-und Verhaftungsmaßnahmen gedacht war. über diese Besprechung findet sich in Görings Aussage vor dem Reichsgericht die Mitteilung: „Dort besprachen wir noch einmal die gane Lage. Es wurde kurzerhand beschlossen, daß ich sofort meine weiteren Wahlversammlungen ... für die nächsten Tage einstellen sollte. Denn es war klar, daß ich in dieser Atmosphäre Berlin nicht verlassen konnte." Er habe Vollmacht erhalten, alles Notwendige anzuordnen, auch sei für den nächsten Tag eine Kabinettssitzung anberaumt worden Wie aus dem bereits erwähnten Pressebericht über Hitlers Äußerungen an der Brandstätte hervorgeht, spielte für diesen der Gedanke an die „unter allen Umständen" durchzuführenden Wahlen die Hauptrolle, und es wird zu fragen sein, was ihn zu dieser merkwürdigen Äußerung veranlaßt hatte. Nach Aussage von Kriminalrat Heller ist in dieser Sitzung die vorher in stürmischer Hast angebahnte Verhaftungsaktion noch einmal offiziell befohlen und möglicherweise der Kreis der zu verhaftenden Personen festgelegt worden Die vielerörterte Reichstagsbrandverordnung stand keineswegs im Mittelpunkt. Der deutschnationale Staatssekretär Grauert schlug, wohl im Gedanken an die ausstehende Legalisierung der Verhaftungen, vor, eine „Notverordnung gegen Brandstiftungen und Terrorakte“ zu erlassen. Grauert, der fest überzeugt war, daß die Kommunisten den Reichstagsbrand entfacht hätten, gab so die Anregung zu einem entscheidenden Schritt hin zur unbeschränkten Diktatur Hitlers

Die von Grauert in Erwägung gezogene Notverordnung hatte mit Sicherheit nicht die Gestalt des anderntags dem Reichskabinett vorgelegten Entwurfs. Zunächst ist offenbar nur daran gedacht gewesen, eine Verordnung mit dem Geltungsbereich für Preußen zu erlassen, und möglicherweise ist Fricks Hinweis auf die Preußenverordnung vom 20. Juli von dieser Reminiszenz mitbestimmt. Denn anders läßt sich die Äußerung Blombergs in der Befehlshaberbesprechung vom 1. März nicht deuten, die wie folgt lautet: der „Es ist Zielklarheit Hitlers gelungen, die neue Notverord-nung im ganzen Reich auszudehnen." Danach hätte Hitler die Anregung Grauerts ausgenommen, aber zur Behandlung in der Kabinettssitzung des folgenden Tages bestimmt. Dazu paßt die Angabe Grauerts, daß das Preußische Innenministerium mit der Sache nicht mehr befaßt worden sei

Nach der Sitzung im Preußischen Innenministerium begab sich Hitler mit Goebbels in die Redaktion des „Völkischen Beobachters"; sie ließen die Setzmaschinen anhalten und ein neues Kopfblatt verfassen Die süddeutsche Ausgabe war schon heraus und enthielt noch kein Wort vom Reichstagsbrand. Goebbels begann eine wilde Pressekampagne. Noch in der Nacht verfaßte er einen zündenden Leitartikel, der das Grauen eines erfolgreichen kommunistischen Terrorfeldzugs beschwor und von der Absicht der KPD sprach, inmitten der „allgemeinen Panik" die Macht an sich zu reißen In den Mitteilungen des Amtlichen Preußischen Pressedienstes, die WTB in der 2. Ausgabe des 28. Februar veröffentlichte, war der Reichstagsbrand als „Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg" charakterisiert und davon die Rede, daß „der erste Angriff der verbrecherischen Kräfte zunächst abgeschlagen worden" sei was auf Görings Kraftmeierei zurückging; denn zu dem Zeitpunkt, in dem der Bericht herausging, war die Polizeiaktion erst angelaufen 1. Schutzpolizei und Kriminalpolizei seien auf höchste Alarmstufe gesetzt, 2000 Mann SA-Hilfspolizei zum Schutz der Reichshauptstadt einberufen. Am 1. März berichtete der „Völkische Beobachter" von einer geplanten Berliner „Bartholomäusnacht" und enthüllte kommunistische Auf-ruhrpläne, die Göring veralteten Bürgerkriegs-anweisungen entnommen hatte

Trotz aller Bemühungen war, wie Tobias gezeigt hat, die Presseregie von Goebbels lükkenhaft, nicht nur in bezug auf die Berichterstattung über den Brand und seine Ursachen. Selbst der „Völkische Beobachter" meldete im allgemeinen Durcheinander, daß sich Torgier freiwillig gestellt habe, um das anderntags zu dementieren Aber man versteht, daß Göring in der Nacht nach dem Brande Sommerfeldts Kommunique als „Mist" bezeichnete, als „einen Polizeibericht vom Alex", den er nicht gebrauchen konnte, wo er eben zum vernichtenden Gegenschlag gegen die Kommunisten ausholte Sommerfeldt vermutete, daß Goebbels hinter dieser Sinnesänderung Görings steckte, aber die Sache war viel einfacher; selbst wenn Göring an die Alleintäterschaft van der Lübbes geglaubt hätte — zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht vom „politischen Fanal" zurück, wenn er sich — und die Polizeimaßnahmen — nicht lächerlich machen wollte.

Das war die Situation in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar. Sie wirft eine Reihe von Fragen auf. Zunächst ist festzuhalten, daß die nationalsozialistische Führung überrascht und aufgeregt reagierte. War die nationalsozialistische Führungsgruppe wirklich davon überzeugt, daß der Reichstagsbrand einen kommunistischen Terrorakt darstellte? Daß Hitler anfänglich in dieser Hinsicht nicht ganz sicher war, besagt nicht, daß er sich nicht alsbald Görings Auffassung anschloß, zumal die Ermittlungsergebnisse, darunter auch die Falschaussagen betreffend Torgier, diesen Verdacht bestätigten und eine politische Ausdeutung des Brandes ohnehin in der Luft lag. Es kann also unterstellt werden, daß die Nationalsozialisten von dem kommunistischen Ursprung der Brandstiftung überzeugt waren. Weit schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob sie, und wenn ja, in welchem Maße, an einen kommunistischen Aufstand oder eine geplante Kette von Terrorakten geglaubt haben und wann sie das als Irrtum erkannten. Die Beurteilung dieser Frage trifft auf das Problem, daß fast keine Zeugnisse überliefert sind, die nicht taktisch interpretiert werden können oder müssen, und daß der ganze Stil nationalsozialistischer Politik auch im Bewußtsein ihrer Träger Ressentiments an die Stelle von Wirklichkeitserfahrung setzte. Goebbels'Erwartung eines „kommunistischen Revolutionsversuchs" stimmt mit einer Reihe von indirekten Zeugnissen überein wonach man nicht glaubte, daß die KPD die Nationalsozialisten kampflos an die Macht gelangen lassen würde. Unsere heutige Kenntnis der Lage und Politik der KPD in den Wochen nach der Machtergreifung läßt den Schluß zu, daß die Nationalsozialisten diesen Gegner überschätzt haben. Die Überzeugung Hitlers, daß es politisch unzweckmäßig sei, die KPD zu verbieten, wie die deutsch-nationalen Koalitionspartner wollten, hatte gewiß nicht nur den taktischen Grund, dadurch nicht der SPD zu einem wesentlichen Stimmen-gewinn zu verhelfen 9. Die Geschichte der eigenen Bewegung lehrte ihn, welch geringer Erfolg einem Parteiverbot zuzumessen war Der Nationalsozialismus hatte es zugleich mit einem Gegner zu tun, dessen erfolgreiche Bekämpfung zündendes Wahlversprechen war, und es ist keine Frage, daß die von allen Parteien der Rechten propagandistisch angestachelte, aber auch durch die tatsächliche Bürgerkriegssituation zwischen KPD und NSDAP hervorgerufene Furcht der bürgerlichen Klassen vor dem Kommunismus den nationalsozialistischen Aufstieg ganz wesentlich begünstigt hat. Es war deshalb taktisch geboten, diesen Gegner erst zu beseitigen, wenn man fest im Sattel saß. Es ist gleichwohl wahrscheinlich, daß sich die nationalsozialistische Führung mit einer zunehmenden Beunruhigung die Frage vorlegte, warum die KPD die immer schärfer werdenden Provokationen der SA weitgehend hinnahm und den gewünschten Gegenschlag nicht auslöste, der Hitler von den Fesseln befreite, den die deutschnationalen Kabinettsmitglieder und die unabhängige Stellung der Reichswehr bedeuteten. Die ungewöhnliche Erregung, in die sich Hitler in der Brandnacht hineinsteigerte, spricht dafür, daß er diesen Moment der großen Auseinandersetzung wirklich kommen sah, daß er den kommunistischen Putsch für unmittelbar bevorstehend hielt. Das würde die Hast erklären, mit der man reagierte, etwa die sofortigen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Öffentlichen Gebäude, Museen, Schlösser, Brücken, Eisenbahnen. Denn dann hieß es, dem Gegner zuvorzukommen.

Um diese Hypothese zu beurteilen, ist zunächst die Frage zu beantworten, ob die Regierung nach Lage der Dinge Anlaß hatte, den Kommunisten den Willen zum gewaltsamen Aufstand zu unterstellen. Gewiß war die Erinnerung an die kommunistischen Erhebungen der Weimarer Republik noch lebendig. Von der Sache her aber lagen die Dinge weit schwieriger. Die oszillierende Taktik der KPD in diesen Wochen war gekennzeichnet durch den Widerspruch, daß man im ZK den Gedanken eines aktiven Kampfes der Arbeiterklasse gegen Hitler auf unbestimmte Zeit vertagte, dagege die Organisationen mit Material versorgte, das mindestens indirekt, häufig direkt zum bewaffneten Widerstand aufrief Derartiges Material gelangte in größerer Zahl in die Nachrichten-Sammelstelle des Innenministeriums, dazu kamen in großer Zahl Waffen-funde Unbekannt ist nach wie vor das Material, das in der zweiten Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses gefunden wurde und das Göring im wesentlichen zur Rechtfertigung seiner Maßnahmen anführte Diese Funde, zusammen mit umlaufenden Gerüchten, bewirkten eine gesteigerte Nervosität wegen erwarteter kommunistischer Aktionen. Am 27. Februar teilte das Landeskriminalpolizeiamt Berlin auf dem Funkwege mit, daß die KPD am Tage der Reichstagswahl beziehungsweise kurz vor-oder nachher planmäßige bewaffnete Überfälle auf Polizeistreifen und nationale Verbände beabsichtigte, und empfahl „geeignete Gegenmaßnahmen bereits jetzt und eventuell Schutzhaft für kommunistische Funktionäre“ 175a). Der Sache nach dürfte diese Information kaum zutreffen; sie ist aber nicht als propagandistischer Schachzug zu werten, beweist vielmehr die generelle Überschätzung der kommunistischen Aktivität und zeigt, daß die Verdächtigung der KPD als Urheber des Brandes in der Luft lag. Im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrandprozeß und seiner propagandistischen Ausnützung ist dann umfangreiches Material zusammengetragen worden. Es bestätigt die Passivität der Führung der KPD bei zahlreichen terroristischen Aktionen im einzelnen.

Von der heutigen geschärften Einsicht in die kommunistische Revolutionsstrategie her gesehen, sind das dürftige Zeugnisse für den angeblichen kommunistischen Aufstandswillen. Im Lichte der damaligen Stimmung wirkten Propaganda-Broschüren, wie Sommerfeldts „Kommune", als klarer Beweis. Auch die zuständigen Kriminalkommissare, die damals durchaus noch nicht „gleichgeschaltet" waren, neigten zur Überschätzung der kommunistischen Aktivität. In einem Bericht vom 14. März war die Ansicht ausgesprochen, „daß die Kommunisten nicht nur programmatisch für die Vorbereitung des bewaffneten AufStandes zum Sturz der Verfassung eintreten, sondern daß sie ihre programmatischen Forderungen und Grundsätze auch praktisch zur Durchführung bringen wollten“ Vor dem Reichsgericht trug Kriminalrat Heller als Sachverständiger Materialien zum Beweis des kommunistischen Umsturzes zusammen, um dann doch die Aktionsbereitschaft zu bestreiten Heller war gleichwohl nicht davon abzubringen, daß seine Darlegungen die Behauptung eines Aufstandsversuchs rechtfertigten.

Für Göring kann man als gesichert unterstellen, daß er an das Gespenst des kommunistischen Aufstands zumindest in der Brandnacht glaubte. Seit er preußischer Innenminister war, träumte er von nichts anderem, als diesen Aufstandsversuch niederzuschlagen Er erwartete ihn, wie er in der Kabinettssitzung vom 2. März hervorhob, nicht vor den Wahlen. In seiner Aussage vor dem Reichsgericht machte Göring dazu eine Reihe von Bemerkungen, die wegen ihrer zynischen Offenheit und taktischen Ungeschicklichkeit durchaus glaubwürdig sind und wohl gerade deshalb scharfe Kritik bei Goebbels fanden. Der Reichstagsbrand sei für ihn überraschend gekommen, zugleich habe er in keiner Weise in seinen Aktionsplan hineingepaßt. Er sei zwar von vornherein zum Gegenschlag gegen die Kommunisten entschlossen gewesen. Aber der von ihm übernommene Polizeiapparat hätte noch Mängel gehabt, insbesondere habe ihm die Entschlossenheit gefehlt, mit der nötigen Rücksichtslosigkeit durchzugreifen. Göring bekannte sich ausdrücklich zu dem später so genannten „Schießerlaß“. Es habe nahe-gelegen, den Kampf allein mit SA und SS zu führen, aber er habe davon bewußt Abstand genommen: „Erstens durfte ich den neu-geschaffenen Staat und damit seinen ganzen Beamtenkörper, den ich umbauen, umbilden, mit neuem Geist erfüllen wollte, — den durfte ich bei dieser Aufgabe, wo er nun zum ersten Mal als Staatsorgan zur Erhaltung des neuen Staats eingesetzt werden sollte, nicht ganz abseits stehen lassen. Das hätte von vornherein das Vertrauen des Beamtenkörpers in die neue Führung erschüttern müssen." Ohne Zweifel war zum Zeitpunkt des Reichstagsbrandes die Umformung der preußischen Polizei in ein zuverlässiges Instrument des Nationalsozialismus noch nicht abgeschlossen. Die SA-Hilfspolizei, die durch Erlaß vom 22. Februar ins Leben gerufen wurde, befand sich noch im Aufbau; in Berlin hatte sie an der Verhaftungsaktion keinen nennenswerten Anteil Auch die Personalveränderungen im Berliner Polizeipräsidium standen erst in den Anfängen.

Daß die improvisierte Verhaftungsaktion gleichwohl beträchtlichen Erfolg hatte, ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß der überkommene Apparat der Politischen Polizei noch intakt, die alten Beamten aus der Zeit Severings noch vorhanden waren. Die Verhaftungen wurden auf Grund der noch von der demokratischen Regierung stammenden Listen für den Fall des Verbots der KPD durchgeführt; Göring hatte diese Listen vervollständigen und auf den neuesten Stand bringen lassen 9. Die offiziellen daß man in Angaben, den Wochen nach dem Reichstagsbrand 4000 Kommunisten verhaftet habe, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Ak-tion gutenteils ein Schlag ins Leere war, der, zu früh und improvisiert geführt, die KPD zum zielbewußten Aufbau der illegalen Organisation veranlaßte. Sir Horace Rumbold berichtete am 27. März: " Though Communist leaders have been arrested I am told on reliable authority that Organisation has gone to ground and is intact but that no instructions for armed resistance have been issued to the party members." Obwohl die KPD von der Aktion überrascht wurde — das ZK tagte zur Stunde des Reichstagsbrandes und war für die eigenen Funktionäre nicht erreichbar —, entgingen zahlreiche prominente Kommunisten der Verhaftung.

Die Aktion war daher keineswegs so glänzend gelungen, wie das die NS-Presse behauptete. Indirekt gab das Göring zu, indem er bemerkte, daß er den Reichstagsbrand als eine „absolute Störung" seines an sich „wunderschön angelegten Planes" empfunden habe; sie sei ihm „unbequem gewesen, äußerst unbequem", es sei ihm ergangen, wie „einem Feldherrn, der einen großen Schlachtplan zur Durchführung bringen will und der nun durch eine impulsive Handlung des Gegners gezwungen wird, plötzlich ganz anders zuzufassen, die Truppen herumzuwerfen und zu einer Schlacht-stellung zu kommen". Er habe in den drei bis vier Wochen zwischen Reichstagsbrand und dem Zusammentritt des Reichstags, „also in dem Augenblick, wo die kommunistischen Mandate kassiert wurden, wohlverstanden aber noch keine kommunistischen Führer in Haft saßen", den Gegenschlag der Kommunisten erwartet, und habe den Angriff von der anderen Seite eröffnen lassen wollen, um bis dahin seinen Aufmarsch systematisch vollendet zu haben. „Die Steigerung sollte die Wahl sein, schon um die kommunistischen Mitläufer ungefähr zu wissen." „Nach der Wahl", erklärte Göring weiter, „sollte selbstverständlich die Kassierung der Mandate der Kommunistischen Partei erfolgen.“ Sie würde das seiner Ansicht nach kaum kampflos hingenommen haben, oder sie hätte in den Augen ihrer Anhänger das Gesicht verloren. In -bei den Fällen hätte man sie mit Leichtigkeit zerschlagen können, ohne daß sich Teile der KP-Führung, wie nach dem 27. Februar, in Sicherheit gebracht hätten

Diese unter den Augen der Weltöffentlichkeit abgebene Erklärung beleuchtet den zynischen Freimut, mit dem die nationalsozialistische Führung die Motive des eigenen Handelns aufzudecken pflegte. Ging doch daraus nicht nur hervor, daß man die KPD zum Aufstand provozieren wollte, sondern auch das Mittel der Kassierung der kommunistischen Mandate für den Fall anwenden wollte, daß sich die Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz nicht quasi legal erreichen ließ Man habe, führte Göring aus, auch gar kein Interesse daran gehabt, mittels eines Parteiverbots die kommunistischen Wähler zu veranlassen, für die SPD oder sogar für das Zentrum zu stimmen Göring räumte jetzt ein, daß die erste Durchsuchung des Karl -Liebknecht -Hauses vorwiegend aus propagandistischen Gründen und ohne schwerwiegende Resultate erfolgt sei. Lediglich die Rücksicht auf die allgemeine Volksstimmung habe ihn bewogen, in der Brandnacht den ersten Angriff zu führen.

War das nun ein Eingeständnis, daß Göring sich entschlossen hätte, die Verhaftungsaktion und die Gewaltmaßnahmen gegen die KPD aus wahltaktischen Erwägungen, in Rücksicht „auf die allgemeine Volksstimmung" in der Brandnacht in Gang zu setzen? Die Äußerung liegt auf der gleichen Linie wie Hitlers einleitende Bemerkung in der Kabinettsitzung vom 28. Februar, der „psychologisch richtige Moment" zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sei jetzt gekommen Es gibt eine Reihe von Argumenten, die gegen eine solche vereinfachende Deutung sprechen. Görings Äußerungen erfolgten in einer Situation, in der die Passivität der KPD den Gedanken an einen großangelegten Aufstandsplan ad absurdum geführt hatte. Gerade darum erschien die in der Weltpresse ausgesprochene Verdächtigung, Göring sei der wahre Reichstagsbrandstifter, so plausibel. Ebenso wie die Kriminalisten bemühte sich Göring, den Reichstagsbrand als ein Glied in der Kette zum Aufstand führender Terrorakte zu schildern, da man unmöglich an der ursprünglichen Behauptung festhalten konnte, der Brand sollte das unmittelbare Signal zum Aufstand abgeben. Göring hielt krampfhaft an der Gesamtverdächtigung fest und stellte die Dinge so dar, als sei man durch die Maßnahmen in der Brandnacht der KPD zuvorgekommen. Auf die Einwendungen Torglers entgegnete er mit wenig überzeugender Ironie, warum denn die Kommunisten Anweisungen zum Bürgerkrieg ausgäben, wenn sie sie nicht durchführen wollten Derselbe Göring hatte leichtfertig, entgegen den Warnungen von Diels, den Monstre-Hochverrats-Prozeß in Gang gesetzt.

Es bleibt festzuhalten, daß die nationalsozialistische Führung mit kommunistischen Gegenaktionen rechnete, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die fragmentarischen Quellen lassen die Beantwortung der Frage, wie Hitler und sein Gefolge in der Brandnacht die politische Situation beurteilten und an welche politischen Maßnahmen man dachte, nur begrenzt zu. Es ist immerhin denkbar, daß sich Hitler in die im Goebbels-Tagebuch verzeichnete Vorstellung hineinsteigerte, daß die Kommunisten eine „allgemeine" Panik entfesseln wollten. Seine ersten Reaktionen, wie die Forderung, die Kommunisten zu erhängen, waren absurd. Die Lahmlegung der kommunistischen Agitation war durch Zeitungs-, Versammlungsund Demonstrationsverbote wirksam zu erreichen und gutenteils bereits erreicht. Gewiß lag es für Hitlers wachen Instinkt für die Stimmung in der Bevölkerung nahe, den „kommunistischen Bürgerschreck“ als Wahl-kampfparole hochzuspielen. Die 14 Tage lang, nicht nur bis nach den Wahlen, beibehaltenen Sicherungsmaßnahmen, die Rumbold als panikartig bezeichnete 5, können so motiviert sein. Aber die Einbeziehung der Sozialdemokraten in die Verhaftungsaktion hätte diese Wirkung weitgehend zunichte gemacht und vor allem die taktische Linie, die Hitler in den Wochen vor dem Ermächtigungsgesetz befolgte, die Betonung des legalen Vorgehens der neuen Regierung, durchbrochen.

In diesem Zusammenhang gewinnt die Äußerung, daß die Wahlen „unter allen Umständen" am 5. März stattfinden müßten, besonderes Gewicht. Hauptthema der Besprechung im Preußischen Innenministerium ist die Fortführung des Wahlkampfs. Am nächsten Vormittag, in der Kabinettsbesprechung, nimmt Hitler das Thema wieder auf: „Das Attentat auf das Reichstagsgebäude dürfe an dem Wahltermin und an dem Zusammentritt des Reichstags nichts ändern." Zugleich schlägt er das Stadtschloß in Potsdam als Tagungsstätte des Reichstags vor Daraus ist zu folgern, daß Hitler in der Brandstiftung den primitiven Versuch erblickte, das Zusammentreten des Reichstags zu verhindern. Unklar ist hingegen, wie Hitler darauf kam, sich gegen eine Änderung des Wahltermins zu verwahren, und zwar noch vor der Sitzung im Preußischen Innenministerium. Hatte von Papen die Ansicht vertreten, daß es unter den gegebenen Umständen zweckmäßig sei, die Wahlen zu verschieben? Das ist unwahrscheinlich, denn dann hätte Hitler das Kabinett nicht mehr mit der Frage behelligt. Was hieß „unter allen Umständen"? Das kann doch nur bedeuten, daß Wahlen auch unter einer Ausnahmesituation, vielleicht dem Ausnahmezustand, stattfinden müßten. Beides, die spontane Annahme eines kommunistischen Putsches und das Dementi einer Verschiebung der Wahlen, konnte nicht Resultat propagandistischer Manipulation sein.

Bedenkt man die Hysterie, die die nationalsozialistischen Regierungsmitglieder im brennenden Reichstag erfaßt hatte, so liegt der Schluß nahe, daß Hitler in dem „Attentat gegen die neue Regierung" den Versuch erblickte, ihm die Waffe der Legalität aus der Hand zu schlagen, die NSDAP in einen Bürgerkrieg hineinzuzwingen und vor allem anderen die Durchführung der Wahlen zu gefährden. In diesem Zusammenhang sind die einleitenden Äußerungen Hitlers in der Ministerbesprechung vom 28. Februar vormittags von Bedeutung: „Der Reichskanzler führte aus, daß jetzt eine rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei. Der psychologisch richtige Moment für die Auseinandersetzung sei nunmehr gekommen. Es sei zwecklos, noch länger hiermit zu warten. Die KPD sei zum Äußersten entschlossen. Der Kampf gegen sie dürfe nicht von juristischen Erwägungen abhängig gemacht werden. Nachdem die Brandstiftung im Reichstagsgebäude sich ereignet habe, zweifle er nicht mehr daran, daß die Reichsregierung nunmehr bei den Wahlen 51 Prozent erobern werde." Daraus geht zunächst hervor, daß man den Konflikt mit der KPD früher als erwartet zu führen entschlossen war. Die Motivation dafür ist eine doppelte: die propagandistische und die sachliche Notwendigkeit der Auseinandersetzung stehen, wie stets bei Hitler, nebeneinander — oder besser: fließen ineinander. Im Unterschied freilich zur Brandnacht, wo man unmittelbar bevorstehende kommunistische Aktionen witterte, hatte sich die Lage beruhigt. Von einem im Gang befindlichen Putsch konnte nicht gesprochen werden. Gleichwohl war es wohl kaum allein propagandistische Über-steigerung, wenn Hitler äußerte, daß die KPD zum Äußersten entschlossen sei. Noch war nicht zu sehen, daß sich die Niederkämpfung der KPD in ruhigen Formen abspielen würde. Hitlers Äußerung, sie dürfe nicht von „juristischen Erwägungen abhängig gemacht werden“, bezog sich wohl weniger auf das Vorgehen der SA-Hilfspolizei als darauf, daß man mit der Verhaftung der kommunistischen Reichstagsabgeordneten das Immunitätsprinzip verletzte Die Bemerkung, daß er nun nicht mehr an einer Mehrheit für die Regierung zweifle, spiegelt den Umstand, daß man sich am 27. Februar noch nicht sicher war, ob die Wahlen das erwünschte Ergebnis bringen würden; die mehrfachen Behauptungen, man werde unter allen Umständen an der Macht bleiben, gingen in die gleiche Richtung. In diesem Zusammenhang war das wohl als Argument dafür zu verstehen, die Wahlen nicht etwa wegen einer potentiellen oder tatsächlichen Bürgerkriegssituation auszusetzen.

Bemerkenswerterweise legte der Reichskanzler auf die Notverordnung, die als letzter Punkt der Beratungen vorgesehen war, verhältnismäßig wenig Gewicht, wohl auch, weil er sie nur flüchtig kannte. Jedenfalls sprach er noch ganz in dem Sinne einer bloß defensiven Maßnahme davon und verknüpfte damit die Ansicht, daß „auch ein besonderer Schutz für alle Kulturdokumente des deutschen Volkes" notwendig sei. Ganz ähnlich war Grauerts Vorschlag gewesen. Inzwischen aber hatte Frick die Sache in die Hand genommen und wohl in den Morgenstunden einen Entwurf ausarbeiten lassen, der sich von den bisherigen Ausnahmeverordnungen grundlegend unterschied. Kennzeichnend war dabei, daß die Verfasser der neuen Verordnung nicht auf den Gedanken kamen, die am Vormittag des 27. Februar vom Kabinett beschlossene, * anderntags dem Reichspräsidenten zur Unterzeichnung vorgelegte „Verordnung gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe" zu ändern, obwohl sie teilweise den in der kommunistischen Brandstiftung erblickten Tatbestand deckte. Das spricht für die Spontaneität, mit der die Reichstagsbrandverordnung zustandekam, und ist vermutlich auch darin begründet, daß die Initiatoren der anderen Verordnung von den Entwurfs-arbeiten keine Kenntnis erhielten.

Die Genesis der Reichstagsbrandverordnung, die Helmut Krausnick „das Grundgesetz des Dritten Reiches" genannt hat und deren grundlegende Bedeutung für die Stabilisierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems Karl Dietrich Bracher nachgewiesen hat liegt im dunkeln. Sicher ist, daß sie spontan zustande kam und daß es keine Pläne in dieser Richtung vor dem Reichstagsbrand gegeben hat. In der Kabinettssitzung bemerkte Frick, „daß er ursprünglich die Absicht gehabt habe, aus Anlaß der Brandstiftung im Reichstagsgebäude die Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar des Jahres zu ändern" Die Februarverordnung stellte die erste einschneidende Behinderung der mit der NSDAP im Wahlkampf konkurrierenden Parteien dar. Frick mochte an eine Verschärfung und Ausdehnung der Strafbestimmungen, vor allem an die Neufassung des § 22 gedacht haben, um die polizeiliche Schutzhaft gegen kommunistische Gegner unbegrenzt verhängen zu können Vielleicht hat mitgespielt, daß man in der Eile die Änderung der ohnehin unübersichtlichen Februarverordnung für zu kompliziert hielt, jedenfalls teilte Frick mit, daß er sich dann doch entschlossen habe, an die Preußenverordnung vom 20. Juli anzuknüpfen.

Damit gewann die Verordnung einen grundsätzlich anderen Charakter. Die ursprünglich intendierte Fassung kam nur in den scharfen Strafbestimmungen des § 5 gegen Hochverrat und eine Reihe von Verbrechenstatbeständen, die man den Kommunisten unterstellte, zum Ausdruck. Zum Teil gingen sie auf Änderungswünsche Gürtners zurück, die im übrigen zeigen, daß er bei der Abfassung des Entwurfs nicht zugegen war Was die Genesis der beiden entscheidenden Bestimmungen der Verordnung, die Aufhebung der Grundrechte und der im § 2 vorgesehene Eingriff in die Länderhoheit, angeht, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Ohne Zweifel besteht zwischen Görings Äußerung in der Kabinettssitzung vom Vortage, daß er spätestens am 6. März, also am Tage nach den Wahlen, um die Ermächtigung bitten werde, die Hamburger Polizei dem Reichsminister des Innern zu unterstellen, und dem § 2 der Notverordnung ein direkter Zusammenhang Göring bezeichnete wenig später Hamburg als eine „Ausnahmestellung für den Kommunismus“; schon vorher hatte man scharfen Druck auf den Senat ausgeübt, den der SPD angehörenden Leiter der Hamburger Ordnungspolizei durch einen Nationalsozialisten zu ersetzen

Wollte man den umfassenden „Gegenschlag" gegen die KPD führen, so war es notwendig, den komplizierten Mechanismus zu vereinfachen, auf dem die Zusammenarbeit der Länderpolizei beruhte. Die Weimarer Republik war im Kampf gegen die Extreme von rechts und links wesentlich geschwächt gewesen, weil es reichsgesetzliche im keine Exekutive Polizeisektor gab und der Oberreichsanwalt nur über die Staatsanwaltschaften der Länder und deren Hilfsorgane tätig werden konnte 3. Am 1. März ersuchte Frick die Landesregierungen um ein sofortiges Verbot kommunistischer Druckschriften und Veranstaltungen unter Berufung auf die Verordnung; formell entschieden die Innenminister, in welchem Maße den von Berlin geforderten Maßnahmen zuzustimmen sei § 2 der neuen Verordnung ging jedoch sehr viel weiter und wurde deshalb sofort von v. Papen beanstandet. Er entsprang den Ressortinteressen Fricks. Dieser hatte schon am 20. und 21. Februar die württembergischen Beschwerden wegen Überschreitung der Befugnisse der Reichsregierung mit der Drohung beantwortet, nach Art. 48 Abs. 2 einen Reichskommissar einzusetzen; am 24. Februar richtete er in einer öffentlichen Rede dieselbe Drohung gegen Bayern und Hamburg Schon am 27. Februar waren Gerüchte im Umlauf, daß die Einsetzung von Reichskommissaren in den Ländern bevorstehe 2. Ohne jeden Zweifel beabsichtigte Frick, mit dem § 2 die Gleichschaltung der Länder voranzutreiben. Die von Popitz und v. Papen durchgesetzten Änderungen im Verordnungsentwurf erwiesen sich als wirkungslos Zwar bestritt Frick die ihm zugeschriebene Absicht zunächst und versicherte am 1. März dem württembergischen Gesandten, daß die Verordnung in erster Linie auf die Hansestädte abziele, da man die „marxistisch" regierten Länder nicht in den Genuß der Vollmachten des § 1 gelangen lassen wolle Er charakterisierte damit richtig die ursprüngliche Absicht der Verordnung; daß er aber aus eindeutigem Ressortegoismus handelte, liegt auf auf der Hand.

Dagegen ist die Frage offen, von welcher Seite der Gedanke stammt, anstelle der bisher gebräuchlichen Einschränkung der verfassungsmäßigen Grundrechte ihre Außerkraftsetzung vorzusehen. Möglicherweise ist diese Idee auch erst im Reichsministerium des Innern aufgekommen, und zwar wohl ohne Rücksicht auf ihre prinzipielle Tragweite als die für eine rücksichtslose Kommunistenverfolgung technisch effektivste Form der Legalisierung 206a). Die durch § 1 geschaffene neue Lage blieb indessen — wie die „Frankfurter Zeitung" am 1. März kommentierte — kaum hinter dem militärischen Ausnahmezustand zurück. Das bedeutete eine erhebliche Abweichung von der seit dem 30. Januar eingeschlagenen politischen Linie. Die Notverordnung war keineswegs eine organische Vorstufe des von vornherein angestrebten Ermächtigungsgesetzes, sondern dessen staatsstreichartige Vorwegnahme, auch wenn sie formell im Rahmen des Notverordnungsrechtes des Reichspräsidenten blieb. Das zeigt auch ein Stilvergleich mit den bisherigen Verordnungen. Während diese, wie die Verordnung vom 4. Februar, rechtliche Garantien, etwa das Prinzip der richterlichen Nachprüfung behördlicher Eingriffe, das freilich praktisch wirkungslose Beschwerderecht bei den übergeordneten Instanzen, die genaue Festlegung der Tatbestände, auf die die Verordnung anzuwenden war, formell bewahrten, setzte die Reichstagsbrandverordnung das rechtsstaatliche Prinzip schlechthin außer Kraft. Sie war eine Generalvollmacht mit bloß fiktiver Befristung Die einleitend angeführte Motivierung — „Abwehr kommunistischer Gewaltakte" — stellte keine mate-Helle Einschränkung ihres Anwendungsbereichs dar. Nicht zufällig berief sich Frick auf das Vorbild des Papenschen Preußenputschs. Der entscheidende Unterschied zur Preußenverordnung lag jedoch darin, daß nicht der Reichspräsident, sondern die Reichsregierung über die Anwendung des § 2 entschied.

Daher wandte v. Papen in der NachmittagsSitzung des 28. Februar schwächlich ein, es sei besser, den Reichspräsidenten entscheiden zu lassen, ob Reichskommissare in den Ländern zu bestellen seien

Man hat bislang die Auffassung vertreten, daß wesentlich wahlkampftaktische Motive zur Reichstagsbrandverordnung geführt hätten. Wofür brauchte man sie? Die Verordnung schuf zwar eine „bessere" Rechtsgrundlage für Presse-, Versammlungs-und Redeverbote, für die Auflösung von Wahlkundgebungen, die Beschlagnahme von Flugschriften und Propagandamaterial, die Durchsuchung von Partei-büros und die Verhaftung sozialistischer und kommunistischer Politiker. Die Verhaftungen in der Brandnacht sind auf die Februarverordnung gestützt worden. Ein großer Teil der oppositionellen Presse war bereits auf Grund der bestehenden Verordnungen verboten worden, und wo die Rechtsgrundlage nicht ausreichte, scherte man sich wenig darum. Eine Analyse der vor dem Reichstagsbrand üblichen Verbotspraxis zeigt keinen wesentlichen qualitativen, sondern nur einen quantitativen Unterschied zu den Tagen nach dem 28. Februar. Was die nichtpreußischen Länder angeht, so hatte der Reichsminister des Innern auch vor Erlaß der Verordnung einschneidende Verbote gegen die Zentrumspresse und andere Zeitungen der Mitte durchsetzen können 210).

In die gleiche Richtung weist die Durchführungsverordnung des preußischen Innenministers vom 3. März 1933. Sie betonte, „daß Maßnahmen, die gegen Angehörige oder Einrichtungen anderer als kommunistischer, anarchistischer oder sozialdemokratischer Parteien oder Organisationen notwendig werden, auf die VO zum Schutz von Volk und Staat vom 28. 2. 1933 nur dann zu stützen sind, wenn sie der Abwehr solcher kommunistischer Bestrebungen im weitesten Sinne dienen". In anderen Fällen sei die Verordnung vom 4. Februar anzuwenden Göring ließ sich in kurzen Abständen von den einzelnen Regierungspräsidien detailliert berichten, wie oft und in welchen Fällen die Reichstagsbrandverordnung angewandt worden ist. Es geht aus den Berichten und den im Ministerium zusammengestellten Übersichten klar hervor, daß die Verordnung fast überhaupt nicht gegen die bürgerlichen Parteien benützt wurde, daß zunächst Maßnahmen gegen die KPD klar dominierten und die Verfolgung der SPD erst im April in den Vordergrund rückte Es ist wahrscheinlich, daß Göring mit der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Verordnung dem Vorwurf entgegentreten wollte, sie sei nur aus wahl-taktischen Gründen zustandegekommen. Wenn die Notverordnung in bezug auf wahl-taktische Überlegungen geschaffen worden ist, dann war sie ein Mittel zur weiteren Terrorisierung der Wähler. Der relative Erfolg der NSDAP in den Märzwahlen hat jedoch die Tatsache verdeckt, daß es sich um eine durchaus zweischneidige Maßnahme handelte. Die scharfe Kritik der „Frankfurter Zeitung", noch niemals sei in Deutschland ein Wahlkampf unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes geführt worden 9, deutet darauf hin, daß die Nationalsozialisten durch diesen klaren Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung, den man nicht mehr auf das Konto von Provokateuren oder disziplinloser Unterführer schieben konnte, die Sympathien mancher Wähler-kreise aufs Spiel setzten. Nach den Wahlen wären der Reichsregierung die durch die Notverordnung vorweggenommenen Vollmachten mit der beabsichtigten parlamentarischen Ermächtigung in den Schoß gefallen.

Es gibt eine Reihe von Indizien, daß die von Hitler in der Brandnacht und am Tage danach beschworenen Terror-und Aufstandsabsichten bei der Unfähigkeit der führenden Nationalsozialisten, Wahres und Eingebildetes aus-einanderzuhalten, zu Kurzschlüssen führten. Nach der Konferenz im Preußischen Innenministerium verlautete, es sei mit der Verhängung des Ausnahmezustands zu rechnen. Es spricht alles dafür, daß in der Brandnacht diese Maßnahme, begrenzt auf Preußen, in Erwägung gezogen wurde, wofür die Notverordnung Eberts vom 26. September 1923 als Vorbild diente. In den Pressemeldungen über den Verlauf der Kabinettssitzung vom 28. 2. wurde dann mitgeteilt, daß die Reichs-regierung beschlossen habe, vom Mittel des militärischen Ausnahmezustands abzusehen-’ In der Tat ist dieser Gedanke damals aufgetaucht. In der Befehlshaberbesprechung vom 1. 3., die in den Notizen General Liebmanns überliefert ist, besprach Blomberg die Notverordnung und die Frage des Verhältnisses von Reichswehr und nationalen Verbänden. In unserem Zusammenhang ist die folgende Notiz bedeutsam: „Bemerkenswert, daß Heer herausgelassen (militärische Unterstützung zuerst beabsichtigt. Dies aber hätte Ausnahmezustand bedeutet). Nicht anzunehmen, daß Wehrmacht hereingezogen."

Das methodische Dilemma, taktische Schachzüge Hitlers und seine wirkliche Einschätzung der Situation nicht reinlich trennen zu können, erschwert auch die Interpretation der Verhandlungen, die nach dem Reichstagsbrand mit der Reichswehrführung stattgefunden haben müssen. Die Befehlshaberbesprechung selbst war schon vorher angesetzt und fand am 1. März vormittags statt Themen waren die Notverordnung und das durch die beabsichtigten Aktionen gegen die KPD zur Frage stehende Verhältnis von Reichswehr und SA-Hilfspolizei. In der Besprechung wurden ernste Zusammenstöße zwischen den nationalen Verbänden und der KPD in der Wehrmacht als wahrscheinlich hingestellt. Darüber hinaus wurde die Frage eines „Revolutionszustandes" aufgeworfen Ein am 3. März herausgehender Befehl Liebmanns gab die Anweisung Blombergs weiter, daß in der Wahlnacht von 20 Uhr bis zum Morgen des 6. März Urlaubssperre verhängt werde, sich alle kasernierten Heeresangehörigen in den Kasernen, die außerhalb wohnenden in ihren Wohnungen aufzuhalten hätten, daß ferner die Fernsprechverbindungen ständig besetzt zu halten seien und die Kommandanten und Standortältesten erreichbar sein müßten. Dagegen sollten sich in der Nacht zum 6. März keinerlei Militärpersonen in Uniform auf der Straße zeigen

Diese Anweisungen lassen verschiedene Auslegungen zu. Zunächst liegen sie auf einer Linie mit Görings Mitteilung in der Kabinettssitzung des folgenden Tages, die kommunistische Führung habe ursprünglich am Abend und in der Nacht des Wahltages losschlagen wollen 4. Danach könnte man vermuten, daß die nationalsozialistische Führung wirklich mit einer kommunistischen Gegenaktion rechnete und, da sie im Augenblick des Reichstagsbrandes nicht erfolgte, einen späteren Konfliktstermin annahm. Zur Zeit der Verabschiedung der Notverordnung hielt man die Wahlnacht für den endgültigen Termin, am 2. März meinte Göring jedoch, die KPD habe ihre Aktion auf den 15. März verschoben. Aus der Befehlshaberbesprechung ergibt sich, daß sich die nationalsozialistische Führung veranlaßt sah, ihre Vorstellungen über die Art der kommunistischen Gegenaktion zu revidieren. Aus den knappen Äußerungen von Goebbels, Göring und Hitler gewinnt man den Eindruck, als habe man zunächst einen regulären Aufstand, einen Revolutionsversuch, erwartet, für den es in der Republik Vorbilder gab und der mit Generalstreik und offenen militärischen Auseinandersetzungen zu einer klaren Kraftprobe geführt hätte, in der sich die Regierung auch auf die Reichswehr stützen konnte. Die fieberhafte Prüfung des über die kommunistische Aktivität vorliegenden Materials — das im Karl-Liebknecht-Haus am 26. März beschlagnahmte Material war zum Zeitpunkt des Brandes wohl kaum ausgewer-tet — wie das völlige Ausbleiben revolutionärer Aktionen trotz der provozierenden Verhaftungsaktion ergab, daß diese Vermutungen nicht stichhaltig waren. Gleichwohl ist es denkbar, daß man zunächst eine Unterstützung durch die Reichswehr ins Auge faßte, allerdings davor sofort wieder zurückschreckte, weil dies militärischen Ausnahmezustand, damit Verschiebung der Wahlen und Stärkung des deutschnationalen Koalitionspartners bedeutete.

Mit Sicherheit mußte Hitler bestrebt sein, eine Einschaltung der Reichswehr in die innenpolitischen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Audi der Korrespondent der „Frankfurter Zeitung" berichtete, daß eine Beteiligung der Reichswehr nicht beabsichtigt sei Es ist gleichwohl bemerkenswert, daß dieser Gedanke auftauchen konnte. Möglicherweise ist in der Brandnacht von konservativer Seite Entsprechendes gefordert worden, was erklären würde, warum Hitler unbedingt auf der Forderung bestand, die Wahl durchzuführen, und warum er am 28. Februar versicherte, daß diese der Regierung die absolute Mehrheit bringen würde. Daß derartiges in der Luft lag, wird durch spätere, in ihrem Quellenwert gewiß begrenzte Mitteilungen von Dertinger bestätigt, der unter dem 7. März berichtet, daß Blomberg beim Reichspräsidenten den militärischen Ausnahmezustand mit der Begründung verlangt habe, daß diese Regelung den Vorzug habe, wieder „in den umstrittenen Hauptstädten einzelner Länder für Ordnung" sorgen zu können. Am 9. März berichtet Dertinger: „Um das Kräfteverhältnis im Kabinett zu retten, war der Gedanke aufgetaucht, die vollziehende Gewalt im ganzen Reich einem Reichskommissar anzuvertrauen beziehungsweise den militärischen Ausnahmezustand zu verlangen." Darin spiegeln sich utopische Hoffnungen der Konservativen, den Prozeß der Machtbefestigung Hitlers in letzter Stunde rückgängig zu machen. Sie lassen aber die Vermutung zu, daß im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand und der von Goebbels und Göring beschworenen Bürgerkriegssitua-tion die Anwendung des militärischen Ausnahmezustandes verlangt worden ist.

Das dürfte bei Hitler zu der Erkenntnis geführt haben, daß man unter allen Umständen eine Situation vermeiden mußte, die die Reichs-wehr ins Spiel gebracht hätte. Diese Erwägung würde einmal die ohne Frage hastige Reaktionsweise erklären, andererseits die geänderte Argumentation über die Ziele der Kommunisten, wie sie aus Blombergs Rede hervorgeht. Da war von der „neuen Kampf-methode" der KPD die Rede, die eingesehen habe, daß sie durch Beherrschung „größerer Machtzentren", also wohl der Großstädte mittels des Generalstreiks, den Staat nicht umzuwerfen vermöge, und daher zum Kleinkrieg übergegangen sei, der mit militärischen Mitteln bekämpft werden könne. Deshalb solle sich die Reichswehr neutral, allerdings „wohlwollend" neutral verhalten, während der Kampf vom „Volk", das heißt von den SA-Stoßtrupps geführt werden würde. Zwar gäbe die Notverordnung dem Staat die Möglichkeit, alle staatlichen Machtmittel gegen den Kommunismus einzusetzen, aber die militärisch legalen Kampfmittel — die Reichswehr — würden dazu nicht ausreichen Blomberg hatte in der Befehlshaberbesprechung alle Mühe, die Skepsis und die innere Ablehnung zu überwinden, die bei den Befehlshabern gegenüber der „nationalen Revolution" und der nationalsozialistischen Bürgerkriegsarmee bestanden. Er selbst charakterisierte die Aktionen der SA als „Racheexpeditionen", entschuldigte sie aber damit, daß sie, wie in Italien, nicht vermeidbar seien. Widersprüchlich forderte er einerseits wohlwollende Unterstützung, „damit die SA im Kampf gegen (die) Kommune nicht gehindert werden" und betonte andererseits, der „Soldat hält sich heraus und drängt sich nicht zu den . Racheakten’ der SA und Pol(izei)". Die zwiespältige Haltung der Reichswehr geht aus der den nationalsozialistischen Wünschen weit ent-gegenkommenden Ansprache Blombergs deutlich hervor. Im Reichswehrministerium fürchtete man, wie Rumbold am 2. März berichtet einen nationalsozialistischen Staatsstreich in Berlin in der Wahlnacht. Der Entschluß Hitlers, den Kampf gegen die Kommunisten offensiv zu führen, zielte daher möglicherweise über die Terrorisierung der Links-parteien hinaus auf die Sicherung seiner Macht für die Eventualität eines Rückschlags bei den Wahlen.

Die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat", die am 28. Februar nachmittags vom Kabinett verabschiedet und Hindenburg sogleich zur Unterschrift vorgelegt wurde, setzte an die Stelle des von konservativer Seite angestrebten militärischen Ausnahmezustandes den zivilen Ausnahmezustand. Sie übertrug alle die Vollmachten, die im Falle der Militärdiktatur normalerweise dem obersten Befehlshaber eingeräumt werden, dem Reichskabinett, ja sie blieb nur in dem Punkte dahinter zurück, daß die Einsetzung von Reichskommissaren in den Ländern von freilich fiktiven Bedingungen abhängig gemacht war. Damit ist ihre von den vergleichbaren Notverordnungen, darunter der Verordnung gegen Verrat am Deutschen Volke vom gleichen Tage, abweichende Form erklärlich. Es spricht viel dafür, daß die Zustimmung des Reichspräsidenten zur sofortigen Ausfertigung auch mit dem Argument erlangt worden ist, daß es sich um das kleinere Übel gegenüber dem militärischen Ausnahmezustand handele — in Parallele zur Situation beim Sturz Schleichers. Die Verordnung ist ad hoc entstanden. Sie besaß im Wahlkampf große psychologische Bedeutung durch die Ausschaltung der grundrechtlichen Sicherungen. Der Aufforderung, die Verordnung so bald wie möglich außer Kraft treten zu lassen hat Hitler bewußt nicht entsprochen. Gleichwohl haben die Nationalsozialisten die mit der Verordnung gegebene Vollmacht zur Gleichschaltung der Länder erst nach den Wahlen ausgenützt. Es spricht manches dafür, daß Hitler stärkeren Widerstand erwartet hat, als es der Fall war. Im brennenden Reichstag glaubte Hitler offensichtlich, rücksichtslos durchgreifen und alle legalen und halblegalen Mittel einsetzen zu müssen, um den Wahlkampf zu sichern und zum erfolgreichen Ende zu führen. Das heißt nicht, daß Hitler von panischer Angst erfüllt war; es handelte sich nicht um eine „Schreckreaktion", wie Tobias gemeint hat Dazu war Hitler zu monoman; nicht Furcht, sondern autosuggestiver Glaube an seine Sendung machte ihn — und nicht erst jetzt — zum machtberauschten Diktator. Die Verhaftungsaktion und alles, was darauf folgte, war andererseits aber auch kein Ergebnis klarer und zielbewußter Entschlüsse. Es handelte sich auch nicht um „geschickte" Manipulationen, die zur Notverordnung vom 28. Februar führten, sondern um eine Art „Flucht nach vorn". Das galt insbesondere für Göring, der sich in die Vorstellung vom politischen Fanal der Kommune so verrannte, daß er erhebliche propagandistische Fehler machte.

Die Reaktion von Goebbels auf das Ausbleiben kommunistischer Aktionen war bezeichnend. „Widerstand zeigt sich nirgendwo. Das gegnerische Lager scheint durch unser plötzliches und scharfes Durchgreifen so verblüfft zu sein, daß es sich gar nicht mehr zu wehren wagt." In der Tat spricht es nicht für den Scharfblick der nationalsozialistischen Regierung, daß sich schlechthin nichts ereignete, was die Aufregung der Brandnacht rechtfertigen konnte. Die kommunistische Verschwörer-zentrale war nicht aufgedeckt worden. In der Presse erfuhr jedermann, daß sich die Kriminalpolizei mit reinen Vermutungen abplagte. In der Kabinettsitzung vom 28. Februar rätselte Göring, warum die Kommunisten den Reichstag angezündet hätten und führte dafür — mit typischer Fehlleistung — an, daß sie die Beschlagnahme des Geheim-materials im Karl-Liebknecht-Haus, das sie angeblich schwer belastete, nicht hinnehmen könnten In seiner groß angekündigten Rundfunkrede am 1. März räumte er ein, daß die KPD noch im Begriff stehe, ihre Vorbereitungen für den Bürgerkrieg zum Abschluß zu bringen. Er belegte die umfassenden Terror-absichten des Kommunismus mit Material, das veraltet war und zu den Ladenhütern der antikommunistischen Propaganda gehörte. Die angebliche Flucht Torglers und Koenens aus dem brennenden Reichstag, die am 27. Februar im Rundfunk als Beweis der kommunistischen Schuld dargestellt worden war, kommentierte er damit, daß „in irgendeiner Form ein Komplott stattgefunden hat, dessen Aufklärung gleichzeitig von der Staatsanwaltschaft und der Polizei aufs eifrigste betrieben wird" Erst am 2. März verfügte er über konkreteres Belastungsmaterial, das an sich echt, aber nicht schwerwiegend war

Die Masse der antikommunistischen Beschuldi, gungen ging auf Material zurück, das von der Politischen Polizei zur Verfügung gestellt worden war, aber natürlich übertrieben wurde. Nur einzelne Behauptungen, wie diejenige, daß van der Lubbe seine Verbindung zur SPD zugegeben habe oder daß für den Nachmittag des 28. Februar in Berlin große kommunistische Plünderungen angesetzt waren, beruhten auf freier Erfindung. Der Mangel an wirklich belastenden Materialien spricht nicht gegen den Eindruck, daß Hitler und Göring von dem kommunistischen Aufstandswillen überzeugt waren; es wäre umgekehrt gar nicht begreiflich, daß man eine solche Beschuldigung erfand und taktisch benützte, wenn man sich nicht gleichzeitig darum kümmerte, Belastungsmaterial heranzuschaffen und notfalls zu fingieren. Tatsächlich hatte man der antinationalsozialistischen Berichterstattung der ausländischen Presse nichts Ernsthaftes entgegenzusetzen Schließlich beauftragte man den Untersuchungsrichter, Material gegen die Kommunisten zusammenzustellen, um der Auslandspresse, die an der Verdächtigung Görings festhielt, entgegenzutreten

Man muß das Zerrbild kommunistischer Aktivität kennen, das in den ersten Märztagen bei den verantwortlichen Persönlichkeiten einschließlich Görings bestand, um zu begreifen, warum man sich auf den Reichsgerichtsprozeß gegen van der Lubbe, Torgier, Dimitroff und seine beiden Landsleute einließ. Es setzte sich aus unkritisch interpretierten kommunistischen Propagandabroschüren, aus fragwürdigen Zeu-genaussagen kommunistischer Renegaten, darunter vielfach vorbestraften Personen, und übersteigerten und irreführenden Meldungen der regionalen Polizeibehörden zusammen, und es enthielt geradezu kindliche Vorstellungen über die Technik kommunistischer Konspiration, selbst wenn man die widersprüchliche Taktik der KPD in jener Zeit berücksichtigt Bis zum letzten Augenblick, suchte man weiteres Belastungsmaterial Wie der Prozeß durch antikommunistische Ressentiments veranlaßt wurde, so litt die Prozeßführung ständig darunter. Die politische Naivität, die man bei der Oberreichsanwaltschaft, bei den Richtern, den Sachverständigen, den Zeugen und gutenteils bei den Pressekorrespondenten antrifft, -ist schwer begreiflich; sie erklärt jedoch, warum die nationalsozialistische Propaganda insbesondere beim Bürgertum Zustimmung finden konnte und warum die Notverordnung vom 28. Februar von den Wählern nicht negativ beantwortet wurde.

Außenpolitisch hingegen war die Reichstagsbrandaffäre von Anfang an ein propagandistisches Debakel und brachte einen empfindlichen Prestigeverlust, auf den Hitler wütend reagierte. Die Propagandakünste Münzenbergs waren um so erfolgreicher, als ihm die ständigen Mißgriffe der Reichsregierung und des Reichsgerichts wirkungsvolles Material zuspielten. Die Anklageschrift fiel, wie erwähnt, alsbald in sich zusammen; Hitler hatte einen raschen Prozeß gewünscht, stattdessen schleppte sich die Voruntersuchung bis Ende Juni, der Prozeß von September bis zum 23. Dezember 1933 hin. Erst als es zu spät war, versuchte Goebbels durch Steuerung der nationälsoziälistischen Presse die unangenehmen Eindrücke des Verfahrens zu verschleiern Hilflos protestierte schließlich der „Völkische Beobachter" gegen den Freispruch der kommunistischen Angeklagten, der faktisch die Nationalsozialisten belastete. Es ist das Schicksal der Diktatoren, zum Opfer der eigenen Propaganda zu werden und die Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen. Nicht anders erging es Hitler mit dem Reichstags-brand; es ist bezeichnend, daß er das leidige Thema später strikt vermieden wissen wollte

Der Freispruch der angeklagten Kommunisten war keine besondere Heldentat des Gerichts. Angesichts der ausländischen Öffentlichkeit, die jede Einzelheit des Prozesses aufmerksam verfolgte, hätte man eine Verurteilung nicht wagen können, wenn das Gericht auch nur einigermaßen glaubwürdig bleiben wollte. Das Schlußplädoyer des Oberreichsanwalts war kläglich; daß er Torgier noch in die Anklage einbezog, hatte lediglich optische Gründe Streckenweise war das Verfahren nichts anderes als die Selbstverteidigung der nationalsozialistischen Regierungsmitglieder gegen die weltbekannten Braunbücher, und wie erfolglos sie war, lehrt der Umstand, daß es bis heute notwendig ist, zu beweisen, daß sie mit dem Brand selbst nichts zu tun hatten. Die Defensive, in der sich die Regierung in dieser Frage befand, ging so weit, daß sie nicht umhin konnte, Dimitroff, Popoff und Taneff freizulassen Die Hinrichtung van der Lübbes, die, auch abgesehen von der unzulässigen rückwirkenden Strafverschärfung juristisch mindestens problematisch erscheint wurde ohne jedes Aufsehen vollzogen. Aus der von Hitler noch in der Regierungserklärung vom 23. März geforderten öffentlichen Hinrichtung der Brandstifter wurde nichts 9. Marinus van der Lubbe, der vergeblich gegen das Unrechtssystem des neuen Deutschland protestiert hatte, ging gefaßt in den Tod.

5. Zusammenfassung

Unsere Untersuchung, die ohne die grundlegenden Forschungen von Fritz Tobias nicht möglich gewesen wäre und weitgehend dessen Ergebnisse bestätigt, ergibt auch von der Betrachtung der politischen Seite des Falles her, daß eine nationalsozialistische Mitwirkung an der Brandstiftung van der Lübbes auszuschließen ist. Die nationalsozialistische Führung, aber auch die deutschnationalen Koalitionspartner zweifelten nicht an der kommunistischen Urheberschaft. Gerade weil sie die politische Absicht, die sie der KPD mit der Brandstiftung unterstellen zu müssen glaubten, nicht voll zu durchschauen vermochten fielen sie den durch ihre Propaganda mitbedingten eigenen Zwangsvorstellungen von der Entfesselung eines gewaltsamen Aufstandes zum Opfer; Deutschland vor der Herrschaft des „Marxismus" zu bewahren, war für sie zugleich wirkungsvolles propagandistisches Mittel und integrierender Bestandteil ihres politischen Selbstverständnisses. Der faschistische Führerkult ließ es nicht zu, die durch den Reichstagsbrand bewirkte politische Aktivität Hitlers anders als das Resultat selbstsicherer, „zielklarer" und auf der Höhe der Situation stehender Entschlüsse zu begreifen. Die Tagebucheintragungen von Goebbels in diesen Wochen lassen erkennen, wie sehr die Gewohnheit, ihr Tun ins „Heroische" und „weltgeschichtliche Bedeutende" umzustilisieren, von ihrem Denken selbst Besitz ergriffen hatte. Ob Goebbels vom Reichstagsbrand als „hoffentlich letzter Panne" sprach, Göring sich als Retter der Staatsautorität gegenüber den Anschlägen der „Kommune" aufspielte, Hitler sich als Vorkämpfer Europas gegen die „asiatische Pest" des Bolschewismus fühlte-’ — sie waren immer auch Getriebene ihrer Wunschvorstellungen

Die Ungeschiedenheit des Willens zu kalkulierter taktischer Ausnützung und der von den eigenen Ressentiments und Zielvorstellungen her bedingten Verkennung der Wirklichkeit ist für das Handeln der nationalsozialistischen Führungsgruppe unmittelbar nach dem Reichstagsbrand bestimmend gewesen. Ihre Reaktionen sind nicht einfach nur durch propagandistische Erwägungen gelenkt, sondern auch von einer falschen Einschätzung der politischen Situation hervorgerufen worden. So wie sie die starken emotionalen Strömungen des damaligen politischen Lebens in Deutschland, insbesondere die übertriebene Furcht bestimmter sozialer Schichten vor kommunistischen und marxistischen Bestrebungen zur Machtgewinnung benützten, so waren sie in ihnen befangen. Unter normalen politischen Umständen hätte diese Unfähigkeit zu „Augenmaß und Distanz" zu Rückschlägen geführt — nicht aber in der überhitzten und von irrationalen Faktoren beherrschten Atmosphäre Deutschlands im Frühjahr 1933. Der relative, gleichwohl hinter ihren eigenen Erwartungen zurückbleibende Erfolg der Nationalsozialisten bei den Wahlen vom 5. März 1933 kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß in mehrfacher Beziehung nicht wohlbedachte Manipulationen, sondern überstürzte und unkontrollierte Reaktionen dazu beigetragen haben.

In der Brandnacht trat Hitler abrupt in eine Phase totalitärer Experimente ein, nachdem er vorher einen nach außen hin gemäßigt erscheinenden pseudolegalen Kurs gesteuert hatte, bei freilich zunehmender terroristischer Aktivität der SA und SS. Die Notverordnung bedeutete die staatsstreichförmige Vorwegnahme der angestrebten parlamentarischen Ermächtigung. Sie war nicht vorher geplant, sondern durch die nervöse Ungeduld veranlaßt, mit der die nationalsozialistische Führung auf den eingebildeten kommunistischen Gegen-schlag reagierte. Hitler konnte nicht wissen, daß er die unbeschränkte Macht kampflos und schon beim ersten Griff danach erringen würde. Beim Anzeichen eines Widerstandes der KPD mit totalitären Mitteln setzte er — wie ein schlechter Roulettespieler — „auf das Ganze", und er hatte Glück damit. Gewiß wurde nicht über Nacht aus dem zivilen Reichs-kanzler ein machtberauschter Diktator, wie Fritz Tobias mißverständlich und überspitzt formuliert hat — daß aber jene hysterische Übersteigerung, in die ihn das Brand-ereignis vom 27. Februar hineintrieb, wesentlich dazu beigetragen hat, die letzten Hemmungen wegfallen zu lassen und sich völlig der Dynamik des Machthandelns hinzugeben, ist nicht von der Hand zu weisen.

Unsere Darlegung der Entstehung der Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat und der von der nationalsozialistischen Führung verfolgten Politik in den Tagen zwischen dem 27. Februar und dem 5. März ist bestrebt, die Fülle teils einander entgegenstehender, teils bislang nicht berücksichtigter Daten, darunter die nur begrenzt propagandistisch verständlichen Selbstzeugnisse der nationalsozialistischen Führungsgruppe, zu verarbeiten, ohne die individuellen Beweggründe in der vorliegenden Situation aus den Augen zu verlieren. Infolge der unzureichenden Quellen, vor allem des Mangels an nicht für die Öffentlichkeit bestimmten amtlichen Dokumenten, muß manches hypothetisch bleiben, darunter auch die Frage, ob an die Einschaltung der Reichswehr vorübergehend gedacht oder dieser Gedanke nur dazu benützt worden ist, sie zur passiven Duldung des Terrorismus zu bewegen. Es ist durchaus unklar, inwieweit Hitler auf die Gestalt der Notverordnung Einfluß genommen hat. Sie kam jedenfalls unter Einwirkung von Ressortinteressen zustande, möglicherweise nicht als wohlabgewogener Schritt zur Erringung der unbeschränkten Diktatur, sondern als technisch einfachste Grundlage zur Niederringung eines kräftemäßig überschätzten Gegners, was nicht heißt, daß Hitler sich nicht alsbald über deren Bedeutung als totalitäres Instrument klar geworden wäre. Die Verordnung zeigte, daß man schon beim ersten „Zwischenfall" — und es ist wahrscheinlich, daß der Reichstagsbrand zunächst als Krise empfunden wurde — nicht mehr mit den normalen Mitteln des Staatsapparates autoritärer Prägung auskommen zu können glaubte. Die sich dann rasch verstärkenden Tendenzen zum Auseinandertreten der Ressorts, zum unkoordinierten Vorgehen von Partei-und Staatsapparat, zum maßgeblichen Einfluß persönlicher Rivalitäten in der Führungsschicht treten schon jetzt hervor. Die mit der Verhaftungsaktion anhebenden Bestrebungen der SS und SA, Privat-KZs zu schaffen, sind ein Beispiel dafür. Vielleicht haben die durch den Reichstagsbrand möglich gewordenen Maßnahmen — die durch die Notverordnung erreichte straffe Beherrschung des Staats-und Polizeiapparats — aber auch dazu beigetragen, daß Hitler den von den Radikalen geforderten revolutionären Staatsstreich hat abfangen können, was durch die unter dem Eindrude des Reichstagsbrandes getroffenen Absprachen mit der Reichswehrführung wahrscheinlich gemacht würde.

Der Reichstagsbrand beschleunigte die Durchsetzung der unbeschränkten Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland. Die Diktatur ist jedoch niemals nur das Werk derer, die sie erstreben, sondern auch der Umstände. Deutschland fiel nicht kaltblütig planenden, realpolitischen Manipulatoren zum Opfer, sondern skrupellos-brutalen, unbeherrschten und plump-zynischen Condottieri, die ihre Motive offener zur Schau trugen, als man es später wahrhaben wollte. Mangelnde politische Nüchternheit und mangelndes Rechtsbewußtsein der Massenpsychosen zugänglichen deutschen Wähler ebenso wie die opportunistische Unterstützung der Nationalsozialisten durch die konservative Rechte ließ Hitler zum Zuge kommen. Die exemplarische Bedeutung des Reichstagsbrandes liegt nicht zuletzt darin, daß er die ungeheure Wirkung politischer Mythen für den Durchbruch totalitärer Kräfte deutlich macht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Rudolf Diels, Lucifer ante portas, Stuttgart 1950, S. 193 ff.; IfZ Zeugenschrifttum Reichstags-brand A-7, Brief Diels vom 6. 6. 1955: „Was mich schon frühzeitig an der Sache interessiert hat, war die Entstehung und Entwicklung des Propaganda-Phänomens, daß die Nazis die Brandstifter gewesen seien, — als ein Beitrag zu der . Lehre'von dem Gerücht als geschichtsbildendem Faktum . . .“ Vgl. Fritz Tobias, Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit, Rastatt 1962, S. 528 f. Martin Sommerfeldt teilt in einer Aufzeichnung vom 23. 9. 1955 (IfZ Zeugenschrifttum A-7) mit, Diels habe im Frühjahr 1934 von 10 ermordeten SA-Leuten gesprochen, die im Auftrage von Goebbels den Reichstagsbrand in Szene gesetzt hätten, doch ist diese späte Ergänzung seiner Darstellung (Ich war dabei, Darmstadt 1949) fragwürdig. R. Wolff, Der Reichstagsbrand 1933, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitnug „DAS PARLAMENT", vom 18. 1. 1956 begründet damit sein Mißtrauen gegenüber Diels, der ihm in einem Artikel im „Reichsruf“ vom 25. 2. 1956 scharf entgegnete.

  2. Sommerfeldt, Ich war dabei, S. 29 ff.

  3. Vgl. Diels a. a. O., S. 202 f.; bestätigt durch die Aussage von Kriminalkommissar Rudolf Braschwitz (Schreiben an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Dortmund vom 17. 8. 1961, Archiv Tobias).

  4. IMT IX, S. 481 ff.; Auszug bei R. Wolff a. a. O., S. 42 ff.; vgl. Tobias, S. 253 ff.

  5. Vgl. ebenda S. 304; Lübecker Nachrichten vom 21. Juli 1954: „Die Nacht im brennenden Reichstag." Der „Feuerwehrbericht“ (IfZ Zeugenschrifttum A-7, abgedruckt bei Wolff) beruht fast gänzlich auf unglaubwürdigen Gerüchten; dazu Tobias, S. 4 f. und seine vernichtende Kritik an der methodischen Ungeschicklichkeit Wolffs: S. 269 ff.

  6. Rechtsanwalt Stomps, ursprünglich Anhänger der Alleinschuld van der Lübbes, von der Familie als Verteidiger gewünscht (vgl. Sten. Ber.der Reichsgerichtsverhandlung gegen van der Lubbe u. a. , 2. Sitzungstag, S. 92 f. [künftig zitiert unter ST)), erwägt heute nationalsozialistische Hintermänner; daher Heinrich Fraenkels Vorwurf, Tobias habe die holländischen Informationsquellen nicht ausreichend benützt (in: Der Monat, 14. Jg. [1962], S. 12); ähnlich Kriminalkommissar Zirpins (Aufzeichnung vom 26. 12. 1951, Archiv Tobias): „Ich beeilte mich, die Vernehmung des van der Lubbe zum Abschluß zu bringen, weil das politische Gleis mit meinem kriminalistischen Ermittlungsergebnis von der Alleintäterschaft Lübbes nicht in Deckung zu bringen war" — während er ursprünglich von der Annahme von Hintermännern ausging, vgl. Abschlußbericht bei Tobias, Anh. 1, S. 597 ff.

  7. Alfred Rosenberg zu Delmer während des Brandes: „Ich hoffe nur, unsere Leute haben damit nichts zu tun. Das wäre genau die Dummheit, zu der ein paar von ihnen imstande wären" (nach Sefton Delmer, Die Deutschen und ich, dt. Ausg. Hamburg 1962, S. 188); charakteristisch sind die Mitteilungen von Hans Georg Gewehr: „Nach dem Reichstags-brand wurde ich in Parteikreisen gelegentlich mit Augurenlächeln als der technische Leiter des Reichstagsbrandes bezeichnet. Ich bin diesen Äußerungen stets energisch entgegengetreten“ (Stellungnahme vom 27. 3. 1960, Archiv Tobias); in umgekehrter Richtung die Recherchen von Sommerfeldt a. a. O., S. 29 ff.; vgl. Tobias, S. 237 und Wolff, S. 38. Heinrich Fraenkel berichtet (a. a. O., S 14), daß Karl Ernst gegenüber dem holländischen Nationalsozialisten Bertus Smit Andeutungen gemacht hat, die eine Mitschuld der Nationalsozialisten nahelegen. Nach Tagebuchnotizen Hassells ist Diels vom Geheimen Staatspolizeiamt verdächtigt worden, den Reichstagsbrand inszeniert zu haben (Mitteilung Dr. Krausnick). Die bekannten Zeugnisse Halders und Rauschnings (vgl. Der Spiegel Nr. 52 [1959], S. 47) sind, wie Tobias bewiesen hat (a. a. O., S. 239 ff.), ohne jeden Beweiswert.

  8. H. Mau u. H. Krausnick, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit, 19531, 1960*; Karl Erdmann, in: Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. IV, S. 189; Walther Hofer, Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933— 1945, Darmstadt 1957'. Bracher in: Bracher/Sauer/Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung, 19622, referiert noch immer, wenn auch unter Vorbehalten, die Version der Brauhbücher. Die Spezialliteratur ist dementsprechend beeinflußt. Völlig unkritisch William L. Shirer, The Rise and Fall of the Third Reich, New York 1962, S. 268 ff.

  9. Daß gerade hier der produktive Ansatz von Tobias liegt, verkennt die Kritik M. Broszats an der „Spiegel-Serie" (Zum Streit um den Reichstags-brand, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 8 [1960] S. 277).

  10. Vgl. Karl Dietrich Bracher, Stufen der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4 (1956), S. 36 ff. sowie Bracher/Sauer/Schulz, a. a. O., S. 75 u. 81.

  11. A. a. O„ S. 277.

  12. Broszat deutete eine solche mögliche Verfälschung des Ergebnisses von Tobias an: „Auch hier ließe sich in einem markanten Fall . beweisen', daß die Nationalsozialisten , gar nicht so schlimm'gewesen sind" (a. a. O., S. 278), ähnlich Bracher, wenn er Tobias mit dem „Reichsruf" koppelt (a. a. O., S. 81); dagegen aber eindeutig Tobias Bemerkung, daß kein Anlaß für eine „Weißwaschung" Hitlers bestünde (a. a. O„ S. 591).

  13. Broszat a. a. O., S. 277; Bracher a. a. O., S. 81, Anm. 25. Rudolf Peches in: Deutsche Rundschau 1960. Die massive Kritik A. C. s (?) in der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. 4. 1962 rückte den Vorwurf in den Mittelpunkt, Tobias habe mit der Nennung Ernst Lemmers irreführen wollen; Tobias war jedoch ein Opfer mißverständlicher Information durch L., der es unterließ, auf Caratsch aufmerksam zu machen. — Vgl. dagegen die Besprechung von Seraphim in: Das Historisch-Politische Buch, 10. Jg.

  14. (1962), S. 176, sowie die zustimmenden Besprechungen der engl. Ausgabe des Buches von Tobias durch Hugh Trevor-Roper in " The Sunday Times“ vom 17. 11. 63, von Alan Bullock in " The Spectator" vom 29. November 1963 und durch A. J. P. Taylor in der Einleitung zur engl. Ausgabe, London 1963. 14) Ich verstehe nicht, warum Bracher a. a. O., S. 81, an seiner Version des Falles Gempp noch festhält, obwohl klar erwiesen ist, daß Gempp niemals der offiziellen Linie widersprochen hat (vgl.seine Aussage vor dem Reichsgericht, 16. ST, sowie Völkischer Beobachter vom 3. 3. u. 15. /16. 10. 1933, abgedr. bei Tobias, S. 667 ff.).

  15. Wolffs eine Zeitlang von der Forschung akzeptierte Analyse ist ein Musterbeispiel tendenziöser Voreingenommenheit bei sonst redlicher Bemühung. Unbegreiflich ist, warum er den Hinweisen Schnitzlers nicht nachgegangen ist; vgl. Tobias, S. 269 ff.

  16. H. Fraenkel, Zu viel und zu wenig. Kritische Bemerkungen zu „Der Reichstagsbrand" von F. Tobias, in: Der Monat 14 (1962), S. 19 ff.; Gisevius in: „Die Zeit" 15. Jg. (1962), Nr. 10 ff.; Harry Wilde, Legenden um den Reichtagsbrand, in: Politische Studien 13 (1962), S. 295. Neuerdings K. O. Freiherr v. Aretin: Zeitgeschichtliche Aufklärung von Legendenbildungen um Ereignisse von 1933, in: Frankfurter Hefte 19, S. 600— 602, (1964), mit charakteristischer Verkehrung von Ursachen und politischen Folgen des Reichstagsbrands.

  17. Ich verdanke Reg. -Dir. Tobias zahlreiche Stücke aus seinem Archiv und eine Fülle von Hinweisen und Ratschlägen sowie die Bereitschaft zu jedweder Unterstützung. Die Form seiner Darstellung hat es den Kritikern leichtgemacht, zu behaupten, seine Arbeitsweise lasse die nötige Exaktheit vermissen. Derartige Kritik ist insbesondere von Oberstudienrat Hans Schneider geübt worden (vgl.den Artikel von Woliciang Schwarz in „Süddeutsche Zeitung" vom 21. /22. 12. 1963). Ich kann mich — bei Anerkenntnis einer Reihe von durchweg unwesentlichen Zitier-und Übersetzungsfehlern bei Tobias — nicht der mir unbegreiflichen Ansicht Schneiders anschließen, Tobias habe eine „objektive Verfälschung des Tatbestandes" vorgenommen. Es bleibt abzuwarten, ob Schneider seine mir im Manuskript bekannte Gegendarstellung herausbringt. Ich verdanke ihm ebenfalls wertvolle Hinweise.

  18. Senalspräsident Paul Vogt hat mitgeteilt (Unterredung mit ORR Tobias und Reg. -Dir. Grossmann vom 26. 1. 1957, Aufzeichnungen im Archiv Tobias), daß er und die Reichsgerichtsräte Fröhlich und Wernecke über den Reichstagsbrand vernommen worden seien. Er habe eine 32seitige Denkschrift verfaßt (in der er an der Schuld der Kommunisten festhielt). Die Sowjets beschlagnahmten damals die erhaltenen 52 Bände Prozeßakten. Vgl. die Aussagen Görings, IMT IX, S. 481 ff., Halders, ebenda S. 484 sowie II, S. 129 und V, 402 f. Die Anklage konnte sich nur auf die damals schon fragwürdige Aussage Gisevius (IMT XII, S. 277 ff.) berufen, die inzwischen widerlegt ist (vgl. dazu auch die Urteile der 6. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 20. 2. 1962 [Az 60 160/60] und des 4. Zivil-senats des OLG Düsseldorf vom 6. 8. 1963).

  19. Ernstgert Kalbe, Freiheit für Dimitroff. Der internationale Kampf gegen die provokatorische Reichstagsbrandstiftung und den Leipziger Prozeß, Berlin 1963; K. -H. Biernath, Der Reichstag brennt. Hintergründe und Auswirkungen der faschistischen Reichstagsbrandprovokation, Berlin 1960; O. Winzer, Zwölf Jahre Kampf gegen Faschismus und Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte der kommunistischen Partei Deutschlands 1933— 1945, Berlin 1955; Alfred Kurella, Dimitroff contra Göring, Berlin 1964 — Das Kalbe vorliegende neue Material in Mikrofilm im UZ, Akten des AA, MA 193/1— 3 enthält nur nebensächliche Stücke über diplomatische Vorgänge im Zusammenhang mit dem Reichstags-brand sowie Zeitungsausschnitte, die zeigen, wie stark die Beschuldigung der Nationalsozialisten wirksam gewesen ist. Kalbe ist völlig unkritisch, benützt den Londoner Gegenprozeß als Quelle (S. 45), hält die Arbeit Wolffs für zuverlässig (S. 51), beruft sich gleichfalls auf den Feuerwehr-bericht (S 55), betrachtet die Oberfohrendenkschrift als echt (S. 43) und behauptet schließlich, nachdem es vorher (S. 15) heißt, K. s Buch bringe „bis auf einige Indizienreste [! ] die Aufklärung" des Reichstagsbrandproblems: „Es läßt sich heute nicht mehr mit völliger [I] Sicherheit feststellen, welcher der faschistischen Führer auf die Idee der Reichstagsbrandstiflung gekommen ist" (S. 51, Anm. 51).

  20. Vgl. ebenda, S. 34: „Es liegt auf der Hand, daß es von der offenen Rehabilitierung des Faschismus bis zur Beschuldigung der Kommunisten nach dem Vorbild der Goebbels-Propaganda nur noch ein kleiner Schritt ist." Amüsant ist der Vorwurf, die westdeutsche Forschung verschweige die 52 Bände Voruntersuchungsakten (vgl. Anm. 18), woraus wir schließen, daß sie sich auch nicht in der SBZ befinden.

  21. Neben Heinrich Fraenkel, Harry Schulze-Wilde und v. Aretin hat Hans Bernd Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Hamburg 19471, an der die Nationalsozialisten beschuldigenden Version festgehalten. Seine Darstellung ist möglicherweise indirekt mit von den Braunbüchern beeinflußt worden (vgl. Erich Wollenberg in: Echo der Woche, vom 12. 8. 1949, S. 9). Die vieldiskutierte Rall-Story kann erst später zu seiner Kenntnis gelangt sein, wie das Zeugnis Grauert (Aussage vor der Krim. Pol. vom 12. 10. 1962, Archiv Tobias) beweist, der als unmittelbarer Vorgesetzter von G. davon etwas hätte wissen müssen. Zum ganzen vgl. Tobias, S. 352 ff. übrigens hat Tobias das mündliche Zeugnis des noch lebenden Bruders von Rall eingeholt, wonach von dessen SA-Mitgliedschaft keine Rede sein kann, was die Version von Tobias unterstützt.

  22. Die folgende Untersuchung stützt sich auf die detaillierte Untersuchung von Tobias, die anhand des zur Zeit bekannten Materials überprüft wurde und mit der ich bis auf kleine Abweichungen übereinstimme.

  23. Karl Ernst, Helldorf, Heines, Schulz scheiden wegen eines unzweifelhaften Alibis aus (vgl. Tobias S. 249 ff.); trotz ihrer glänzenden Informationen haben die Münzenbergleute keine weiteren konkreten Verdächtigungen zuwege gebracht.

  24. Urteil, S. 20: „An der Vorbereitung und Anlegung dieses Brandes im Plenarsaal sind mindestens ein, wahrscheinlich mehrere Mittäter van der Lübbes beteiligt gewesen."

  25. Vgl. Tobias, S. 21 f. 19. ST, S. 197 ff.; 20. ST, S. 143 ff.; 43. ST, S. 203 ff., S. 212.

  26. Tobias, S. 294 f., nach Handakten Sack.

  27. Dazu im einzelnen Tobias, S. 101 ff. Aktenauszüge Sack, Hauptakten Bd. G „Gang", BA Koblenz. Wir ersparen uns, die leidige Sache darzulegen. Der Röhrentunnel mündet gegenüber der ständig besetzten Pförtnerloge im Reichstagspräsidentenpalais; die eidesstattlichen Versicherungen der Pförtner, die gegen eine Benützung sprechen, sind unbezweifelbar (vgl. Urteil, S. 35 f., 18. ST, S. 187 f.; 19. ST, S. 37).

  28. Vgl. Tobias, S. 295 ff.; Handakten Sack Bd. I, S. 27 ff.

  29. ’ Aussage Grauert vom 3. 10. 1957 (Archiv Tobias), vgl. Tobias, S. HO.

  30. Delmer a a. O„ S. 190.

  31. Abgedr. bei Tobias, Anh. 5, S. 609; über die Hintermännertheorie vgl. unten S. 15 ff.

  32. Sommerfeldt a. a. O., S. 25 ff.

  33. Diels a. a. O„ S. 193.

  34. Sommerfeldt a. a. O., S. 27.

  35. Das war Sommerfeldts späterer, nicht unwahrscheinlicher Eindruck (vgl. S. 31); vgl.den bei Tobias Anh. 14 abgedruckten WTB-Bericht vom 28. 2-, 2. Frühausgabe 36) Tobias a. a. O., S. 123.

  36. WTB, 1. Frühausgabe vom 28. 2. 1933, Tobias Anh. 14, S. 631.

  37. Das ging auf eine Verwechslung mit dem n. s. Reichstagsabgeordneten Dr. Albrecht zurück; vgl. Tobias S. 294.

  38. Vgl. die Aussagen 24. u. 25. ST, S. 164 ff., 242 ff. bzw. S. 11 ff. über den Fehler, die Zeugen vorzeitig van der Lubbe gegenüberzustellen, vgl. Tobias S. 387. Bezeichnend für die Kritiklosigkeit des Untersuchungsrichters diesen Zeugen gegenüber ist das Schreiben des ORAs an das Auswärtige Amt vom 6. 9. 1933 mit der Bitte, die Ausreisegenehmigung des österreichischen Staatsbürgers Kroyer zu unterstützen, „da es sich bei Kroyer um einen außerordentlich wichtigen Anklage-zeugen handelt, dessen Erscheinen in der HauptVerhandlung von der allergrößten Bedeutung ist" (AA/Rechtstabt., Mikrofilm IfZ MA 194/2, Bl. 125).

  39. Vgl. Tobias, S. 611: Lubbe sei in den Händen der KPD ein „vorzügliches Werkzeug" gewesen, „das in dem Glauben, selbst zu schieben, geschoben wurde" W. Schwarz (a. a. O.) nimmt dies wieder auf, obwohl dieser Verdacht bei Zirpins völlig unbegründet ist.

  40. Tobias, S. 603 f.

  41. Reichskabinettssitzung vom 2. 3. 1933, bei Tobias, Anh. S. 623.

  42. Eine Kritik, die angesichts des späteren Versagens von Vogt nicht ohne ironische Note ist (vgl. ebenda S 623, sowie 398 ff.; A. Sack, Der Reichstagbrandprozeß, Berlin 1934, S. 242).

  43. Man erwog freilich damals die Bildung eines Sondergerichts zur Beschleunigung des Verfahrens; dazu Schulz in: Bracher/Sauer/Schulz, a. a. O., S. 524 f., Anm. 34 u. 38.

  44. Diels a. a. O., S. 194; Reichskabinettssitzung S. 624), vom 24. 3. (ebenda, Picker, Hitlers Tischgespräche im

  45. Vgl. Schulz a. a. O., S. 523. von P. E. zum ganzen:

  46. Vgl. oben Anm. 3; Braschwitz erinnert sich an folgenden Vorgang: „Etwa 8 Tage nach dem Reichstagsbrand wurde ich zum damaligen Ministerpräsidenten Göring gerufen, der s. Z. noch in den Räumen des ehemaligen Preußischen Innenministeriums seinen Amtssitz Unter den Linden hatte. Anwesend waren bei meiner Ankunft der Ministerialrat Diels und der Kriminalrat Heller. Sie erzählten mir später, daß sie eine Besprechung bei G. gehabt hatten, in der G.seine Überzeugung geäußert hätte, daß van der Lubbe nicht der Allein-täter sein könnte.

  47. Vgl das Zeugnis Vogts (oben Anm. 18); Deutsche Richterzeitung, Okt. 1951, Tobias, S. 338 f.

  48. Vgl. dazu Gotthard Jasper, Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik 1922— 1930, Tübingen 1963, S. 125 ff.

  49. 6. ST, S. 193 f., S. 201 f.; für die durch ein peinliches Mißgeschick mitbedingte Voreingenommenheit Vogts vgl. Tobias, S. 324.

  50. Ebenda, S. 136— 140.

  51. Es existieren nur die Auszüge, die Sack anfertigen ließ (BA, Kl. Erw. 396/1; Einzelstücke abgedr. bei Tobias, S. 671 ff.); das Gutachten Josse BA R 43/11, 294.

  52. Vgl. Sack a. a. O., S. 206 ff.; 56. ST (Plädoyers), S. 72 f.

  53. Reichskabinettssitzung vom 15. 3. (RK 43 II, 294); aus dem Vorgang ergibt sich, daß Schlegelberger den Ermittlungen nur unaufmerksam folgte, denn am 15. 3. waren die Personalien der Bulgaren längst bekannt.

  54. Völkischer Beobachter vom 23. 3. 1933; Tobias, S. 334 u. 363

  55. Vgl. Vogts Aussage, 6. ST, S. 142, 193.

  56. Ebenda, S. 51 ff., 102 ff., 154 ff.

  57. Ebenda, S. 152 u. 141.

  58. Ebenda, S. 142.

  59. Gutachten der Psychiater Bonhoeffer und Zutt bei Tobias, Anh. 27, S. 675 ff. Vgl. 2. ST, S. 11 ff.

  60. So die Aufzeichnung des Professors Justus Hedemann (BA, Kl Erw ), der von einem Gespräch mit Landgerichtsdirektor Rusch berichtet, dieser sei der Auffassung gewesen, Lubbe sei „ein absoluter Simulant“ (BL 117).

  61. 6 ST, S. 155; vgl. Marowskys Aussage ebenda,

  62. Ebenda, S. 170.

  63. Ebenda, S. 144— 151, vgl. Tobias, S. 321 f.

  64. Ebenda, S. 156— 160.

  65. Tobias, S. 322; ähnliche Mißgriffe lassen sich auch bei der Voruntersuchung gegen die übrigen Angeklagten feststellen.

  66. Urteil, S. 34.

  67. Im einzelnen bei Tobias, S. 314 f.; vgl. Hand-akten Sack Bd. I, S. 381.

  68. Diels a. a. O., S. 200.

  69. Auszug abgedr. in „Der Spiegel", Nr. 52 (1959), S. 45 ff.; vgl. Tobias, S. 492 ff.

  70. Vgl. oben Anm. 42.

  71. Bericht Rumbolds vom 1. März, Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. IV, Nr. 246: „I find that there is a feeling shared by many level-headed people that this act of incendiarism may have been inspired by Nazi elements, but not by the leaders of the Nazi party."

  72. Die diesbezügliche Kritik von Tobias (S. 533 ff.) ist in der Sache unwiderleglich.

  73. So Schwarz (oben Anm. 17); dafür gibt es im wesentlichen nur das negative Argument, daß van der Lubbe nötigenfalls seine Mittäter gedeckt hätte; sonst der Hinweis von A. Weiland in: Der Monat, H. 164, auf eine Äußerung van der Lübbes von angeblichen Partnern, die aber sowohl einem Mißverständnis oder einer Erinnerungstäuschung entspringen dürfte.

  74. Fraenkel a. a. O., S. 11. Die Sache ist deshalb schon völlig unglaubwürdig, weil man alles aufs genaueste untersucht hat, was mit Neukölln zusammenhing. Eine Alarmierung des Überfallkommandos hätte zur Kenntnis der Kriminalpolizei kommen müssen. Bei der starken Fluktation zwischen NSDAP und KPD ist die Begleitung van der Lübbes durch einen unbekannten SA-Mann ohnehin nicht beweiskräftig.

  75. Vgl. Anklageschrift, S. 38 ff., Tobias, S. 55 ff. Allerdings hat Flöter seine Aussage, daß jener Unbekannte, der die Feuerwehr in der Brandnacht alarmierte, Neumann geheißen habe, wieder zurückgezogen. Damit wird die Waschinski-Theorie Schulze-Wildes nicht glaubwürdiger.

  76. Vgl. Lübbes spätere korrekte Aussage in Handakten Sack, Bd. I, S. 381 ff. In dieser Zeit vermutet Schneider die Beeinflussung van der Lübbes durch Nationalsozialisten. Die Annahme einer von ihnen organisierten Brandstiftung führt zu den schwierigsten Konstruktionen, da diese ja früher hatte vorbereitet werden müssen; die zahllosen Argumente, die das ganz unwahrscheinlich machen, können hier nicht wiederholt werden.

  77. Beiläufig ist anzumerken, daß die vom Urteil übernommene These vom „günstigsten Einstiegstermin” nicht zutrifft, zumal Lubbe nur durch Zufall nicht mit dem früher als gewöhnlich erschienenen Postboten zusammentraf (vgl. Tobias, S. 469).

  78. Vgl. schon Douglas Reed: The Burning of the Reichstag, London 1934, S. 266, 298 f.; vgl. das Urteil S. 31, ferner die Äußerung Seufferts im Plädoyer: „Es steht also gegen den van der Lubbe nur das Gutachten des verehrten Dr. Schatz ...“ (zitiert nach Sack a. a. O., S. 269).

  79. WTB, 2. Frühausgabe vom 28. 2. 1933 (bei Tobias Anh. 14, S. 635).

  80. Handakten Sack Bd. II, S. 17; Gempps Aussage in der Sitzung vom 14. 10. 1933; vgl. Tobias, S. 432 f.

  81. Vernehmung Scranowitz vom 16. 3., nach Aktenauszügen Sack abgedr. bei Tobias, Anh. 25, S. 673; noch im Urteil, S. 24, von Schatz in dieser Weise gedeutet, aber dann doch als Fackel bezeichnet, vgl. 22. ST, S. 222.

  82. Vgl. Sommerfeldt a. a. O., S. 26 ff.

  83. Vgl. 22. ST, S. 48— 50.

  84. Vgl. Tobias, S. 433.

  85. Ebenda, S. 634; erst später bringt Schatz das künstliche Zündmittel auf, gegen bisherige Gutachten. Brüning in Handakten Sack Bd. 2, S. 131 f. Es bezog sich nicht nur auf die Restaurationsräume, sondern auch auf den Plenarsaal. Auch Gutachten Ritter (ebenda S. 48) sowie den Bericht Bunges vom 13. 3. 1933 über die Erörterung der Brand-ursache im Plenarsaal mit Prof. Brüning. Vgl. Tobias, S. 447 ff.

  86. Anklage, S. 120.

  87. Vgl. Tobias, S. 421 f.; daher erklärt sich auch die Vernachlässigung des von der Kriminalpolizei eingeholten Gutachtens Brüning, obwohl es bei den Akten lag und Brüning als Direktor der Preußischen Landesanstalt für Lebensmittel, Arzneimittel und gerichtliche Chemie eher zuständig war als der Privatwissenschaftler Schatz. Man hat eingewandt, daß Brüning auf eine chemische Untersuchung verzichtet habe, er hielt sie wohl mit guten Gründen für aussichtslos.

  88. Vgl.sein Auftreten vor Gericht mit einem Sangäjol-Experiment (52. ST, S. 181 f.).

  89. Vgl. 15.'ST, S. 55 ff., 58 ff., 184 ff., 190 ff. Eine Einzelheit, die die Fragwürdigkeit des Zeugen beleuchtet: Zunächst gibt er an, der könne über die Farbe der Flammenbündel nichts aussagen (S. 182), auf erneutes Befragen ist die Antwort: „rötlichgelb", wenig später erklärt er mit großer Sicherheit: „gelblich-rot" (S. 185). Für seine Art nachträglicher Reflexion vgl. ebenda, S. 181: „Ich wunderte midi, daß ausgerechnet auf den Plätzen es brannte, wo kein Schubkasten war." Frage Büngers: „Konnten Sie das gleich erkennen?" Zeuge: „Jawohl, die erste Reihe hätte ja nur noch Tisch-kästen.. " Wie kommt Scranowitz zu der irrigen Annahme präparierter Schubkästen, die er nicht beim im Bruchteil von Sekunden erfolgten Hineinsehen gemacht haben konnte? Es ist typisch nachträgliche Fixierung. — Vgl. die bei Tobias, Anh. 24, abgedruckten Aussagen der Feuerwehrmänner und seine Darstellung S. 195 ff.

  90. 52. ST, S. 191 ff.; vgl. Tobias, S. 301 f„ sowie Douglas Reed a. a. O., S. 133; der Fall Scranowitz steht nicht allein; man denke an die vielen Aussagen sonst zuverlässiger Personen, die Angeklagte vor dem Brand miteinander gesehen haben wollten, oder die Aussage Gericke, Lubbe sei vorher im Reichstag gewesen; auch die Behauptung, Lubbe sei auch im preußischen Landtag gesehen worden (Völkischer Beobachter vom 2. 3. 1933).

  91. Anlage zu 22. ST, S. 14 ff., S. 20.

  92. Vgl. Gutachten Josse (RK 43/11/294), S. 10 ff.; Gutachten Wagner, S. 20 f.

  93. Handakten Sack, abgedr. bei Tobias, Anh. 24, S. 671 ff.

  94. Vgl.den Zeitplan im Gutachten Josse, a. a. O., S. 2 ff.

  95. Auszug in Handakten Sack, Bd. 1, S. 3.

  96. Gutachten Wagner, S. 18 f.

  97. 22. ST, S. 19; Gutachten Wagner, S. 21.

  98. Ani. zu 22. ST, S. 34, S. 42.

  99. Ebenda S. 34: „ ... es konnten schon ganz geringe Mengen nach meinem Dafürhalten — ich will mich durchaus nicht auf Mengen festlegen, aber schon wenige Liter, 4 bis 5 Liter — vollkommen genügen"; Gutachten Josse, ebenda S. 35— 40, dazu Schatz, ebenda S. 40.

  100. Ani. zu 22. ST, S. 36.

  101. Vgl.den unglaublichen Irrtum, daß Schatz die Aussage Lateits, die Vorhänge hätten von unten nach oben gebrannt, trotz nochmaliger Befragung des Zeugen kurzerhand umkehrte und von einer abwärts gerichteten Brennentwicklung sprach (Ani. zu 22 ST, S. 47), was dann das Urteil übernahm. Die Liste solcher Unstimmigkeiten ließe sich leicht vermehren (vgl. Tobias, S. 432 ff.).

  102. Ani. zu 22. ST, S. 56 ff.

  103. Der während der Voruntersuchung aufgetauchte Verdacht, daß Unbekannte in dem Raum des Reichstagsgebäudes, wo die Asservate von Schatz unter Verschluß gehalten wurden, sich zu schaffen gemacht hätten, gibt, selbst wenn er zu-träfe, keinerlei Anhaltspunkt für eventuelle Mittäter.

  104. Ani. zu 22. ST, S. 31.

  105. 22. ST, Ani., S. 43; „Mit der Zeit... gehen die Verbrennungsprodukte in andere Oxydationsstufen über ...“, die Schatz früher gleichwohl nachgewiesen zu haben glaubte.

  106. Ebenda, S. 51 f., vgl. S. 54 ff. Widerlegt durch Aussage Borchardt, daß ein Stück des Stenographenraumvorhangs beim Mantel van der Lübbes gefunden worden sei; auch durch Lübbes Äußerung (Abschlußbericht a. a. O., S. 600), er sei dann „in die große Kirche" (d. i.der Plenarsaal) gelangt.

  107. Ebenda, S. 64: Auf den Einwand Seufferts, van der Lubbe hätte diesen Geruch bei der Verhaftung an sich tragen müssen: „Sehr richtig, Herr Rechtsanwalt. Deswegen bin ich der Meinung, daß van der Lubbe da drin gar nichts zu suchen hat und im Saal gar nichts getan hat. Das ist meine feste Überzeugung." Wenig vorher hielt Schatz immerhin für möglich, daß van der Lubbe durch den Saal gelaufen sei. Später, im Zusammenhang mit der Belastung Torglers, bestritt er die Geruchsbildung und stattete Lubbe doch wieder mit dem Zündstoff aus. Man erkennt, daß hier ein hochgradig willkürliches Konstruieren vorliegt, das die konkreten Befunde den imaginären anpaßt.

  108. 23. ST, S. 104 f.; dagegen die ebenso einfachen wie schlagenden Argumente von Tobias, S. 439 f.

  109. 23. ST, S. 23 f.; nach angeblichem Nachweis geringer Geruchsbildung drückt sich Sch. schon sehr viel weicher aus. Dann am 28. Sitzungstag, als er unverbrannte Reste im Fußboden für möglich hält (was gegen die beliebten „Oxydationsstufen" als Nachweis spricht [vgl. S. 23 f. ]), behauptet er plötzlich, daß der Nachweis doch möglich sei (S. 44), doch habe die Zündung in den Umgängen mit van der Lubbe nichts zu tun, während Portierenbrände im Restaurationsraum und Brandstellen im Bismarcksaal von ihm gelegt seien (S. 46— 50).

  110. Urteil, S. 31 f. Danach hatte van der Lubbe im wesentlichen mit dem Zündmittel gearbeitet.

  111. Tobias, S. 438.

  112. Urteil, S. 33 f.

  113. Ebenda S. 34. Vgl. S. 37: eine solche Tätigkeit im Plenarsaal würde auch „gar nicht im Rahmen der Aufgabe gelegen haben, die van der Lubbe im Zusammenwirken mit dem oder den Mittätern offenbar zugewiesen war".

  114. 28. ST, S. 43 ff.

  115. Gutachten Josse a. a. O., S. 22, S. 47.

  116. 22 ST, S. 45.

  117. Gutachten, a. a. O., S. 46; dort auch die Theorie, das Restaurant sei von den Brandstiftern wegen der dort vorhandenen zusätzlichen Abluftanlage gewählt worden, doch müsse angenommen werden, „daß durch einen unvorhergesehenen Umstand in diesem Punkte von dem Programm abgewichen worden ist, denn die zusätzliche Abluftanlage war anscheinend nicht in Betrieb".

  118. Vgl. Gutachten Brüning, im Auszug bei Tobias, S. 447.

  119. Vgl. die Aussage Braschwitz vom 5. 4. 1961 und dessen Schreiben an den Oberstaatsanwalt vom 17. 4. 1961 (Archiv Tobias), er habe einen Feuerwehrangehörigen (wahrscheinlich Oberbaurat Meusser) nach den Brandursachen befragt: „Auf meine Frage nach den Ausbreitungsmöglichkeiten des Brandes, erklärte mir der Beamte, daß die Wände des Saales mit etwa 40 Jahre altem, ausgetrocknetem Eichenholz belegt waren, das die verhältnismäßig leichte Ausbreitung des Brandes — besonders nach weiterer Sauerstoffzufuhr infolge Springens der Glaskuppel — verständlich mache. Der Beamte hielt es deshalb auch für durchaus möglich, daß eine einzelne Person einen Brand von diesem Ausmaß... gelegt haben könnte.“ Ähnlich Oberbranddirektor Gempp (vgl. Tobias S. 285), aber ohne diese Schlußfolgerung. Die Brandexperten folgerten aus dem Umstand, daß die Zeugen kein Prasseln brennenden Holzes gehört hatten, auf eine späte Entzündung der Holzverkleidung und meinten, eine ungewöhnliche Schwerentzündlichkeit des Gestühls feststellen zu müssen, was sie auf Brandversuche stützten, die aber unter wesentlich anderen Bedingungen stattfanden. Vgl. Tobias, S. 420 ff.

  120. Fraenkel a. a. O., S. 13; dagegen schon die Vernehmung Heisig (22. ST, S. 56). Albada hatte gerade aus der Augenkrankheit van der Lübbes auf ein besonderes gutes Orientierungsvermögen geschlossen, was mir wahrscheinlich ist.

  121. 22. ST, S. 50 f. Schatz meinte, van der Lubbe habe die Brennfähigkeit der Sachen beim Lokaltermin nicht berücksichtigt. Schatz nimmt nur 14 Minuten Zeitspanne an.

  122. Vgl.den Abschlußbericht, a. a. O., S. 605.

  123. Vgl. Tobias, S. 65 u. 294. Schon die Anklage räumte die Möglichkeit ein, daß van der Lubbe den Brandweg zurückgelegt habe (S. 91 f.); Josse betonte die „Fixigkeit" van der Lübbes, vgl. 22. ST, S. 91, 27. ST, S. 55 ff., S. 81. Vgl. auch den Bericht von Zirpins in „Süddeutsche Zeitung" vom 23. 12. 1953: Lubbe habe beim Lokaltermin erklärt: „Wenn ich das Gebäude vorher gekannt hätte, so wie ich es jetzt kenne, hätte ich das ganz anders angelegt. So habe ich schon vor dem Plenarsaal alle meine Zündmittel verbraucht. Was glauben Sie, was passiert wäre, wenn ich die noch gehabt hätte?“

  124. Schneider ist der Sache mit äußerster Akribie nachgegangen und unterscheidet auf Grund schwankender Angaben von van der Lubbe mehrere Versionen seines Weges durch das Reichstagsgebäude. Das Ausziehen der Kleidungsstücke sei zeitlich nicht berücksichtigt worden und dergleichen mehr. Sch. räumt ein, daß van der Lubbe im Plenarsaal gewesen sein müsse, während er in Frage stellen muß, ob van der Lubbe die außerhalb des Plenarsaals gelegenen Brandstellen gelegt hat. Eine solche Annahme steht quer zu allen Theorien und schließt vor allem die von Sch. vertretene Version aus, van der Lubbe sei über Person und Arbeitsweise seiner Mittäter nicht informiert gewesen.

  125. Ernst Hanfstaengl, Unheard Witness, Philadelphia 1957, S. 210 f.; bestätigt durch Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, München 1934, S. 269 f.; vgl. Fraenkel, a. a. O., S. 14, der an Hanfstaengls Version festhalten will.

  126. Die Reaktion Görings ist durch seinen damaligen Adjutanten, F. W. Jacoby, nachträglich bezeugt (Mitteilung vom 16. 2. 1961, Archiv Tobias): „Am Tage des Reichstagsbrandes habe ich, damals noch der einzige Adjutant, die Meldung an Göring erstattet. Ich war damals und bin auch heute davon überzeugt, daß diese Überraschung echt war." Desgleichen Aussage des Staatssekretärs Grauert vom 3. 10. 1957 (Archiv Tobias): er habe sich gerade beim Vortrag bei Göring befunden, als ein Beamter (Grauert meinte Daluege, es war Jakoby) herein-stürzte und meldete, daß der Reichstag brenne. „Görings Reaktion war so eindeutig und überzeugend, daß Grauert weder damals noch später den geringsten Zweifel daran hatte, daß Göring ehrlich überrascht wurde." Vgl. Tobias, S. 108.

  127. Sommerfeldt a. a. O., S. 25; Aussage Gempp, nach Tobias, S. 668. S. auch Anm. 135.

  128. Aussage Grauert, bestätigt durch Görings Aussage vor dem Reichsgericht, 31. ST, S. 104 f.

  129. Ebenda S. 94: „Als ich (nach Anhalten an der Postenkette) das Wort . Brandstiftung'hörte .... da war es für mich, als wenn mit einem Schlage der ganze Vorhang herunterfällt, und ich sah das Spiel klar vor mir stehen. In dem Augenblick, wo das Wort . Brandstiftung'fiel, wußte ich: die Kommunistische Partei ist die Schuldige, hat den Reichstag angesteckt." Träfe dies zu, wäre es eine Bestätigung der sofort einnebelnden „Reichstagsbrandmythen". 132) Diels a. a. O., S. 192, der irrtümlich die Vernehmung in das Reichstagsgebäude (Wache im Brandenburger Tor) verlegt, aber charakteristischer-weise Lateits Eindruck von van der Lubbe als einem Wahnsinnigen wiedergibt (vgl. Tobias S. 66 f.).

  130. Ebenda S. 111. Weber hat Tobias 1960 seine damalige Aussage ausdrücklich bestätigt.

  131. Goebbels a. a. O., S. 170.

  132. Sommerfeldt a. a. O., S. 25.

  133. Tobias, Anh. 14, S. 633.

  134. Delmer a. a. O., S. 188.

  135. Papen a. a. O., S. 303.

  136. DBFP a. a. O., Nr. 245; Rumbold ereichte es, in den abgesperrten Reichstag in der Brandnacht hineinzugelangen.

  137. Delmer a. a. O., S. 191 f; Brief an den „Spiegel“ (Nr. 52 [1959)); vorher schon im Daily Express vom 21. 7. 1939.

  138. Diels a. a. O., S. 193.

  139. Vgl. dazu oben S. 11.

  140. Daß die Angaben Diels'kritisch behandelt werden müssen, ist uns bewußt; sie werden jedoch weitgehend — was den Reichstagsbrandkomplex angeht — durch Angaben Sommerfeldts, auch durch die Zeugenaussagen bestätigt. Vor allem bestätigt Schnitzler den entscheidenden Bericht über die Vorgänge im brennenden Reichstag, sein Aufsatz wurde Diels erst während des Drucks bekannt (Diels a. a. O., S. 200, Anm ), und seine Darstellung ist von Schnitzler, wie ein Textvergleich zeigt, nicht beeinflußt; Schnitzler stand zu Diels seit 1934 in einem gespannten Verhältnis. Er hat seine Angaben vor allem durch Rücksprache mit Heisig, der keinerlei Anlaß zu einer apologetischen Haltung hatte, nachgeprüft (vgl. Brief Schnitzlers an Heisig, Archiv Tobias und Briefwechsel mit Tobias) und hat auch Zirpins befragt. Vgl. auch die Briefe Schnitzlers in IfZ Zeugenschrifttum, die Wolff merkwürdigerweise nicht beachtet hat. Der gleichlautende Bericht von Diels und Schnitzler schließt unsere ursprüngliche Vermutung aus, daß die Verhaftungen in der Sitzung im Preuß. Innenministerium (Goebbels spricht von einem Kabinettsrat) beschlossen worden seien.

  141. Schnitzler a. a. O., Bl. 2.

  142. Goebbels a. a. O„ S. 270.

  143. Diels a. a. O., S. 194; Schnitzler a. a. O., Bl. 2; Helldorf bestritt vor dem Reichsgericht, in der Nacht bei Göring gewesen zu sein, während Göring — wohl wahrheitsgemäß — ausdrücklich erklärte, er habe Helldorf kommen lassen (31. ST, S. 105). Emer der beiden Zeugen hat einen Meineid geleistet. — Die Teilnahme von Sahm ist indirekt bestätigt; Treviranus, der an diesem Abend bei Sahm eingeladen war, teilte mündlich mit, Sahm sei gegen 23. 15 Uhr zurückgekehrt. Vgl. Tobias, S. 112.

  144. Delmer a. a. O., S. 192; die Deutung, die Delmer der von ihm berichteten Unterredung zwischen Hitler und v. Papen gibt, ist zweifelhaft, zumal Papen in der späteren Besprechung im preußischen Innenministerium anwesend war.

  145. Völkischer Beobachter vom 1. 3. 1933; „Das Fanal des Bolschewismus".

  146. Diels a. a. O., S. 194 f. Wenn man den Bericht von Diels über diese Vorgänge liest, erscheint es unmöglich, Hitlers Rede als, Schauspielerei" abzutun, auch wenn man Hendersons Bemerkung (bei Alan Bullock: Hitler. Eine Studie über Tyrannei. Dt. Ausg. Düsseldorf 1961, S. 375) in Betracht zieht, daß die Fähigkeit zur Selbstverblendung zur Hitlerschen Technik gehörte.

  147. Schnitzler a. a. O., Bl. 11.

  148. Schon vorher erging im Auftrag des Preußischen Innenministers ein Polizei-Funkspruch (Nr. 171) an „alle Polizeibehörden und höheren Polizei-führer West“, der mit der Brandstiftung und „erhöhter Aktivität der KPD" die Beschlagnahme sämtlicher Flugblätter und periodischen Druckschriften der KPD und SPD, örtliche Alarmbereitschaft für Bereitschaftspolizei, Heranziehung von Hilfspolizei und „überraschende, gründliche Durchsuchungsaktion bei allen kommunistischen Funktionären“ anordnete (St. A. Oldenburg, Best. 205, Staatspolizei [Schutz-, Ordnungspolizei, Aktenband Geheim und „Persönliches" vom 1. 1. — 29. 3. 1933); ich verdanke dieses und andere Stücke den sorgfältigen Recherchen von Staatsarchivrat Dr. Schieckei).

  149. 2. ST, S. 71 ff.

  150. Goebbels a. a. O., S. 254.

  151. Ebenda S. 270.

  152. WTB vom 28. 2. 1933, 2. Frühausgabe, bei Tobias Anh. 14. S. 633. Bei der Vernehmung durch Heisig war anfänglich nicht klar, ob Lubbe Kommunist oder Sozialdemokrat sei. Vgl. Aussage Heisig, 2. ST, S. 61. In der Nacht schloß man aus der Beziehung van der Lübbes zu Arbeiterkreisen auch auf Verbindungen mit der SPD, was irrtümlich in ein Geständnis umgedeutet wurde (vgl. Aussage Görings, 31. ST, S. 104). Dementi u. a. in Völkischer Beobachter vom 23. 3. 1933. Vgl. Tobias S 112. Die Verdächtigung der SPD wurde von der nichtnalionalsozialistischen Presse sofort bezweifelt Vgl. Frankfurter Zeitung vom 1. 3. 1933, Leitartikel: „Daß in einem Wahlkampf, der wesentlich darin besteht, die Fiktion einer gemeinsamen . marxistischen Front'wachzuhalten, der durch die nationalsozialistische Formulierung Sozialdemokratie und KPD gemeinsam als , Verbrecher‘gesindel abstempelt, in den Massen der Arbeiterschaft spontan Defensivbündnisse entstehen könnten, ist nur zu verständlich." Es sei indessen absurd, die Sozialdemokratie mit der Urheberschaft des Brandes zu belasten.

  153. Vgl. Braunschweigische Landeszeitung vom 28. 2., Drahtbericht.

  154. 31. ST, S. 106.

  155. 46. ST, S. 60 ff.; die Verhaftungsbefehle sind, wie aus dem Haftbefehl für Torgier (Archiv Tobias) hervorgeht, in den ersten Stunden des 28. 2. hektographiert worden. Sie stützten sich auf § 22 der Notverordnung vom 4. Februar.

  156. Aussage Grauert vom 3. 10. 1957 (Archiv Tobias). Er selbst sei mit den Entwurfsarbeiten nicht befaßt worden.

  157. IfZ-Zeugenschrifttum ED 1 — Liebmann, Bl. 44 — Handschriftliche Notizen General Liebmanns.

  158. Hitlers Initiative ist sonst nicht bezeugt. Die Akten der Reichskanzlei (BA Koblenz) enthalten nichts, die des Reichsministeriums des Innern fehlen; es ist daher einstweilen nicht möglich, über Hypothesen hinsichtlich der Genesis der Reichstagsblandverordnung hinauszugelangen. Papen, der den Vorgang kennen müßte, verwechselt sie offensichtlich mit der VO gegen Verrat am deutschen Volk vom 28. 2. (Der Wahrheit eine Gasse. S. 304).

  159. Goebbels a. a. O., S. 270 f.; Tischgespräche, S. 325; Der Bericht von Wilfried v. Oven (Mit Goebbels bis zum Ende, S. 115 tf.) ist unglaubwürdig.

  160. Josef Goebbels: Wetterleuchten, Berlin 1943, S. 373 ff.; vgl. Diels a. a O„ S. 195.

  161. Bei Tobias, Anh. 14, S. 633.

  162. Vgl. ebenda, S. 262 ff.

  163. VB vom 1. 3. 1933. Unter den Mordlisten seien auch Namen aus den weitesten Bürger-kreisen. Am 2. 3. hießt es, der Verhaftete habe den Verhandlungen des kommunistischen Aktionsausschusses ständig beigewohnt und habe durchgesetzt, daß er zu der Brandstiftung hinzugezogen worden sei. — Bei den übrigen Nachrichten handelt es sich in der Regel um Falschmeldungen von selten der Polizeistellen, z. B. um das Gerücht, daß der Reichstagsbrand von KPD-Führern vorher angekündigt worden sei (VB vom 4. /5. 3. 1933). Der Informationsbericht Dertingers (Sammlung Brammer, BA Koblenz) vom 2. 3. 1933 berichtet von einem „informatorischen Durcheinander". Die unzähligen widersprüchlichen Gerüchte beweisen die psychische Erregung der Öffentlichkeit.

  164. Völkischer Beobachter vom 1. 3. und 2. 3. 1933.

  165. Sommerfeldt a. a. O., S. 26.

  166. Vgl. etwa Delmer a. a. O., S. 190.

  167. Vgl. Siegfried Bahne: Die Kommunistische Partei Deutschlands, in: Das Ende der Parteien, hrsg. von E. Matthias u. R. Morsey, Düsseldorf 1960, S. 685 ff., 710 ff. Gleichwohl fehlt zuverlässiges Material zur Beurteilung der kommunistischen Aktivität nach der Machtergreifung (vgl. dazu Schulz a. a. O., S. 527, Anm. 48). Die Lebenserinnerungen von Maria Reese (BA Koblenz, Kl. Erw. 379— 4) enthalten eine scharfe Kritik an der unverantwortlichen revolutionären Propaganda der KPD bei tatsächlicher Passivität. Gelegentlich aufschluß-reiches, aber im wesentlichen auf die Propaganda der KPD beschränktes Material der Nachrichten-sammelstelle in den Akten des Reichssicherheitshauptamtes (R 58) im BA Koblenz. Die latente Bürgerkriegssituation mit zahlreichen blutigen Zusammenstößen bestand fort (vgl. neben Diels a a. O., S 186 ff., 402 ff. auch die Schilderung der Atmosphäre in Hamburg bei Jan Valtin: Tagebuch der Hölle, dt. Ausgabe, Bin. 1957).

  168. Vgl. die bei Bracher geschilderte Absicht, notfalls durch eine Geschäftsordnungsänderung die für die Annahme des Ermächtigungsgesetzes notwendige Mehrheit zu manipulieren (Bracher a. a. O., S. 158 f.).

  169. Noch in der Reichskabinettsitzung vom 24. 3. 1933 zweifelte Hitler an der Zweckmäßigkeit eines KP-Verbots, die nur dann gegeben sei, „wenn die Möglichkeit bestehe, die Kommunisten zu deportieren". Die Einweisung in KZs sei nicht sinnvoll. Bei Tobias, S. 628.

  170. Vgl. dazu das im Prozeß vor dem Reichsgericht vorgetragene Material (45. u. 46. ST sowie Erinnerungen Maria Reese [oben Anm. 170]).

  171. Beispielsweise übersendet die Nachrichten-sammelstelle des RMdI an die Nachrichtensammelstellen der Länder am 24. 1. 1933 RFB-Schulungsmaterial „Der bewaffnete Aufstand in Reval“ (R 58/1, 672). Das Material ist tendenziös verwertet in Martin H. Sommerfeldt: Kommune, Berlin 1933.

  172. Diels a. a. O., S. 189 f. Das Material lag der propagandistischen Darstellung von Adolf Ehrt: Bewaffneter Aufstand, Berlin-Leipzig 1933, zugrunde. Göring bestritt damit die Reichskabinettsitzung vom 2. März.

  173. Von Nachrichtensammelstelle am 19. 4. 1933 übersandt (BA R 58/1— 718).

  174. 46. ST, S. 61, Darlegung Hellers: „Nach dem vorgetragenen Beweismaterial dürfte nicht mehr der geringste Zweifel daran bestehen, daß es der KPD durchaus ernst war . . ., zum Generalstreik und weiter zum bewaffneten Aufstand zu kommen." S. 64 aber: Die KPD habe den Reichstags-brand inszeniert, um ihn den Nationalsozialisten in die Schuhe zu schieben und so „eine unüberbrückbare Kluft zwischen diesen und den Anhängern der SPD, den Mitgliedern der Gewerkschaften und den Zugehörigen des Reichsbanners aufzureißen. Nur so ist der Reichstagsbrand in seiner gewollten eigentlichen Bedeutung zu verstehen und zu bewerten. Er sollte also weniger das Zeichen zur Auslösung der Aktionen sein, wie es teilweise in der Provinz verstanden wurde, als vielmehr das Hauptmittel, um die noch schwankenden Massen zu sich herüberzuziehen". Darauf Torgier: „Ich kann nur mit Herrn Dr. Goebbels sagen: das ist völlig absurd." — Typisch für die Beweislage ist die Mitteilung der Polizeidirektion Nürnberg vom 6. 4. 1933: Zweifellos hätten Aussichten auf eine gewaltsame Machtergreifung der KPD bestanden, „positive Anhaltspunkte, die die Brandlegung des Reichstagsgebäudes mit derartigen Umsturzabsichten in direkte Beziehung bringen könnten, liegen jedoch nicht vor" (Handakten Sack 1, S. 343 ff.).

  175. Vgl. Diels a. a. O., S. 170 ff.

  176. 31. ST, S. 34— 40, 43 ff., 52.

  177. Vgl. Schulz a. a. O., S. 430 f„ 438 ff.; Sauer, S. 866 ff., auch Schnitzler a. a. O.. Bl. 3.

  178. 31. ST, S. 81 f., IMT IX, S. 481 f.; dazu Diels a-a. O., S. 194 f., sowie Zeugnis Grauerts vom 3. 10. 1957 (Archiv Tobias).

  179. DBFP 2nd Series Vol. IV, Nr. 253, S. 438.

  180. Vgl. Bahne a. a. O., S. 692.

  181. 31. ST, S. 86 ff.

  182. Vgl. Bracher a. a. O., S. 158 ff. Die Geschäftsordnungsänderung erscheint als Aushilfsmittel, nachdem faktisch die Mandate durch Verhaftungen kassiert waren, gegenüber der möglicherweise beabsichtigten förmlichen Kassierung.

  183. 31. ST, S. 84.

  184. Vgl. unten S. 35; auf sie stützt sich u. a. Zeugnissen die Interpretation M. Broszats (a. a. O., S. 276 f.), die „vom geschickt und sofort ausgenutzten Anlaß einer Staats-und Verfassungsumwälzung, nicht deren Ursache" spricht.

  185. 31. ST, S. 72 f.

  186. DBFP 2nd Series, Vol IV, Nr. 246, S. 431; vgl. Tobias S. 133.

  187. Abgedr. bei Tobias Anh. 11, S. 623; ähnlich zahlreiche Presseberichte, wonach die Wahlen „auf jeden Fall" stattfinden (vgl. Generalanzeiger [Wuppertal] vom 28 2. 1933, Braunschweiger Neueste Nachrichten vom 2. 3. 1933, Nationalzeitung [Berlin] vom 28 2. 1933 etc.).

  188. Ebenda.

  189. Bei der Verhaftungsaktion war jedenfalls unklar, ob kommunistische Abgeordnete einbezogen werden sollten (vgl. 47. ST, S. 94).

  190. Ausgefertigt am 28. 2., verkündet am 1. 3. 1933 (RGBl. 1, 1933, S. 84 ff.); Bracher (a. a. O., S. 87) spricht etwas irreführend von den „Reichstagsbrandverordnungen".

  191. Helmut Krausnick: Stationen der Gleichschaltung, in: Der Weg in die Diktatur 1918 bis 1933, München 1962, S. 183.

  192. Bracher a. a. O., S. 183.

  193. Reichskabinettssitzung vom 28. 3. vormittags (bei Tobias, Anh. 8, S. 619).

  194. RGBl. I, 1933, S. 35 ff.

  195. Tobias, S. 617.

  196. Reichskabinettssitzung vom 27. 2. (ebenda S. 617).

  197. Vgl. Schulz a. a. O., S. 434.

  198. Vgl. etwa Jasper a. a. O., S. 162 am Beispiel des Verbots des Roten Frontkämpferbundes; Hans Buchheim: Die organisatorische Entwicklung der Politischen Polizei in Deutschland in den Jahren 1933 und 1934, in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, München 1958, S. 197 ff.

  199. Vgl. Telegr. pol. Funkdienst Leitstelle Braunschweig (Akten des Braunschw. Staatsministeriums nach Kopie im Archiv Tobias). In Hamburg sind die Verhaftungen offenbar erst nach Ersetzung des Polizeisenators erfolgt (Aussage des Kriminalkommissars Will, 47. ST, S. 94 ff., Aussage des Kriminalsekretärs Staeglich ebenda, S. 110 ff.). Braunschweig, Oldenburg und Mecklenburg schlossen sich den Polizeimaßnahmen umgehend an (vgl. Völkischer Beobachter vom 3. 3. 1933 sowie die oben, Anm. 151, erwähnten Akten der Staatspolizei Oldenburg). Es wäre zu prüfen, wie sich die süddeutschen Länder verhalten haben. Weder Besson noch Schwend (vgl. unten Anm. 203) berichten von einem entsprechenden Ersuchen des Reichs-ministers des Innern. Mit Ausnahme der Rheinprovinz und Westfalens, wo laut VB vom 3. 3. 1933 am Vortag 1200 bzw. 850 Personen festgenommen worden waren, kamen die Verhaftungen in den preußischen Provinzen nur langsam in Gang, wie aus den Aussagen der Kriminalbeamten vor dem Reichsgericht hervorgeht.

  200. Vgl. Waldemar Besson: Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928— 1933, Stuttgart 1959, S. 336 s.; Karl Schwend: Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954, S. 510.

  201. Besson a. a. O., S. 338.

  202. Sie betrafen die Frage der Zuständigkeit, die nicht beim RMdI, sondern der Reichsregierung als ganzer liegen sollte, sowie eine materielle Einschränkung durch die Einfügung des Wortes „insoweit". Vgl. Schulz a. a. O., S. 432, Anm. 225. Im Kommentar des Ministerialdirektors im RMdI, Kurt Häntzschel, (Die Politischen Notverordnungen. 4. Ausl., Berlin 1933, Stilkes Rechts-bibliothek Nr. 115) hieß es zu § 2: „Unter Reichs-

  203. Besson a. a. O., S. 338.

  204. Frankfurter Zeitung vom 1. 3. 1933, 1. Ausg. nach telegr. Bericht vom 28. 2.

  205. Bracher a. a. O., S. 86; mit ihm (S. 54 f.) ist zu betonen, daß auch vorher die Ermessensfreiheit der Polizeibehörden keinen wirklichen substantiellen Schranken unterworfen war.

  206. Reichskabinettsitzung vom 28. 2. nachmittags (Tobias, S. 619). Bioszat betont mit Recht, daß das Kabinett die Verordnung in „allen wesentlichen Punkten“ gebilligt habe (a. a. O., S. 276), weshalb kein Anlaß zu der von ihm gemachten Unterstellung besteht, daß Göring, Hitler und Frick „geschickt mit verteilten Rollen" gespielt hätten (S. 275), zumal Papen zu diesem Zeitpunkt wohl keinen Einspruch mehr einlegen konnte und wollte und Gürtner der Verordnung offensichtlich zustimmte. 210) Vgl. Völkischer Beobachter vom 28. 2. 1933: Mitteilung zahlreicher Presseverbote („Role Fahne“ bis 15. 4 ), darunter auch gegen Zentrumsblätter in Bayern.

  207. Tobias Anh. 10. S. 622.

  208. DZA Potsdam, Rep. 77 (Mikrofilm IfZ Ma 198/2).

  209. Frankfurter Zeitung vom 1. 3. 1933, 1. Ausgabe, Leitartikel.

  210. Vgl. etwa DAZ vom 28. 2. 1933, Niedersächsische Tageszeitung vom 1. 3. 1933, Frankfurter Zeitung vom 1. 3. 1933, Nationalzeitung vom 28. 2. 1933.

  211. IfZ-Zeugenschrifttum ED 1 — Liebmann, BI. 40.

  212. Brief Liebmann vom 28. 8. 1955 (ebenda Bl. 361 f.), der die bisher vor den Reichstagsbrand datierte Befehlshaberbesprechung aul den 1. 3. legt, was durch das aus Liebmanns Notizen klar ersichtliche Thema „Notverordnung“ bestätigt wird. Liebmann weist die Angabe von Ott (IfZ Zeugenschrifttum 279/1 — Ott, Bl. 9), daß nicht Blomher, sondern Reichenau die Besprechung leitete, zurück. Blomberg war in der Reichskabinettssitzung vom 28. 2. anwesend. Der Inhalt seiner Rede muß auf vorherige Verhandlungen mit der NS-Führung zurückgehen und zeigt, daß der Reichstagsbrand erhebliche Bedeutung für die Regelung des Verhältnisses von Reichswehr und nationalsozialistischer Bewegung gehabt hat, vor allem, indem er die Gegenkräfte in der Reichswehr lähmte.

  213. Notizen Liebmann über durch die Rede Blombergs aufgeworfene Fragen (ebenda, Bl. 43).

  214. Ebenda, Bl. 46 f.

  215. Tobias, S. 623.

  216. Die Reichswehr solle „mit dieser innerpolitischen Angelegenheit nicht in Verbindung gebracht werden" (Telegr. Bericht vom 28. 2., in 1. Ausg. vom 1. 3. 1933); vgl. dazu die Darlegungen von Sauer a a. O., S. 720 ff.

  217. BA Koblenz, Sammlung Brammer, ZSg. 101/26, Bl. 167, 175; vgl. Nachricht vom 11. März, S. 181, wo erneut davon die Rede ist, Papen und Blomberg hätten mil. Ausnahmezustand verlangt, doch sei der Reichspräsident für einen Kompromiß mit Hitler eingetreten.

  218. Liebmann-Notizen a. a. O., Bl. 40 ff. Die taktischen Argumente weisen auf den Einfluß Hitlers hin, wiewohl derartige Äußerungen bei ihm nicht nachzuweisen sind und in der Kabinettsitzung vom 28. 2. davon nicht gesprochen wurde; zur Haltung Blombergs vgl. H. Krausnick: Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler, in: Vollmacht des Gewissens, München 1956, S, 210 f.; freilich zeigt die jetzt vorliegende Fassung der Befehlshaberbesprechung, daß Blomberg am 1. 3. von der Uberparteilichkeit der Reichs-wehr abrückte: „Eine Partei auf dem Marsche. Damit verliert . Uberparteilichkeit'Sinn u. es gibt noch eins: rückhaltlose Unterstützung."

  219. DBFP 2nd Series. Vol. IV, Nr. 253, S. 438; Göring dementierte das in seiner Rundfunkrede unter Hinweis auf gefälschte SA-und Stahlhelm-Befehle (bei Tobias, S. 640).

  220. DBFP 2nd Series, Vol. IV, Nr. 255 vom 3-3. 1933, S. 439, wonach Neurath interveniert und Rumbold gegenüber die Hoffnung ausgedrückt hatte, daß die Verordnung unmittelbar nach den Wahlen aufgehoben würde. „In his opinion it was not possible to maintain such a state of exception for any length of time."

  221. Tobias, S. 113, 115f.

  222. Goebbels a. a. O., S. 271.

  223. Reichskabinettsitzung vom 28. 2. vormittags, a. a. O., S. 618.

  224. Ebenda, Anh. 17, S. 641 f.

  225. Reichskabinettsitzung vom 2. 3. 1933 bei Tobias, S. 623. Vgl. Schulz a. a. O., S. 527: „Es bedarf keines weiteren Beweises dafür, daß das Material, mit dem Göring am Tage nach dem Reichstagsbrand die Reichsminister düpierte, lediglich in der Phantasie existierte “ Das ist so nicht aufrechtzuerhalten. Göring argumentierte in den Kabinettsitzungen auf Grund des Referentenmaterials, das ihm von der Politischen Polizei zur Verfügung gestellt wurde. Göring benützt auch später die durchweg zweifelhaften, agitatorisch dabei gar nicht besonders glücklichen Mutmaßungen der Voruntersuchung. Die Vernehmung der Kriminalpolizisten vor dem Reichsgericht (45., 46. u. 47. ST) beleuchtet das Zustandekommen der Belastungsmaterialien gegen die KPD, an deren Zuverlässigkeit die Beteiligten, darunter ein hervorragender Sachkenner wie Heller, durchaus glaubten. — Z. B. ging die Anschuldigung wegen „Vergiftung öffentlicher Küchen" (vgl. Aussage Krim. Komm. Will, 47. ST, S. 24 f.) aut eine Episode in Düsseldorf zurück, wo man eine „kommunistische Giftkolonne“ verhaftet zu haben glaubte. Sachverständige errechneten, daß das beschlagnahmte Gift zur Tötung von 18 000 Menschen ausgereicht hätte. In dieser Form wurde die Nachricht, obwohl nicht einmal das Verfahren eingeleitet war, nach oben gemeldet. Das bewog Gürtner, in die Notverordnung auch eine Strafverschärfung bei Giftmorden hineinzubringen. — Die Behauptung einer engen Verbindung van der Lübbes mit Moskau (Kabinettsitzung vom 2. 3., ähnlich WTB vom 28. 2.) ging auf Lübbes Aussage zurück, daß er 1932 in die Sowjetunion hatte reisen wollen. Es ist für die unkritische Mentalität aller Beteiligten bezeichnend, daß man schließlich die Moskauer Botschaft beauftragte, die angeblichen Hintermänner des kommunistischen Aufstandes in Deutschland aufzuspüren. Die Botschaft telegraphierte am 14 9. 1933 zurück:

  226. Vgl. die bei Tobias, Anh. 15, S. 636 f. abgedruckten Telegramme an die ausländischen Missionen vom 28. 2. und 3. 3. 1933.

  227. Erwähnt bei Schulz a. a. O., S. 527. Daraus geht die völlige Hilflosigkeit gegen die Münzen-berg-Offensive hervor; vgl. auch BA Koblenz, R 58/718: Denkschrift über die kommunistische Wühlarbeit im Winter 1932/33 betr. die Vorbereitung der gewaltsamen Verfassungsänderung durch die KPD, vom 14 3. 1933.

  228. Es fehlt eine eingehende Untersuchung. Für die unsichere Einschätzung der KPD-Taktik durch die Pol. Polizei vgl. vertraulichen Bericht vom 7. 4. 1933 (Nachrichtensammelstelle, R 58/626): Bis zum 5. März sei vom Stadium der Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes gesprochen worden, während sich in der KPD nun Neumanns radikalere Auffassung durchsetzte, die in seinem Buch , Der bewaffnete Aufstand'vorgetragen sei.

  229. Vgl. das Schreiben von Rudolf Hess vom 16. 9. 1933 an die Oberste SA-Führung mit der Bitte, vorhandenes Beweismaterial für kommunistische Aufstandsabsicht umgehend zu übersenden und festzustellen, „ob im Rahmen der SA ehemalige Kommunisten sind, welche in der Lage und bereit sind, gegebenenfalls zu bezeugen, daß Brandstiftung usw. zu den vorgesehenen Methoden der KPD im Rahmen entsprechender Aktionen passe . . (BA Koblenz, Sig. Schumacher: Röhm, Röhmputsch u. Reichstagsbrand, Bl. 402).

  230. Sammlung Brammer, BA, ZSg 101/26, Anweisungen Nr. 55, 62, 72, Mitteilung Nr. 107.

  231. A. Francois-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931— 1938, Mainz 19492, S. 94; vgl. aber Hitlers Tischgespräche a. a. O., S. 325.

  232. Vgl. z. B.den Bericht der Münchener Neuesten Nachrichten vom 14. 12. 1933.

  233. Vgl. Diels a. a. O., S. 269 f.

  234. Vgl. dazu Schulz a. a. O., S. 523, Urteil S. 94 ff. sowie die Gutachten und Stellungnahmen Schlegelbergers, BA Koblenz, RK 43/11/294.

  235. Tobias (S. 470) weist mit Recht daraufhin, daß der Grundsatz „in dubio pro reo" durch das Urteil kraß verletzt wurde, das davon ausging, Lubbe habe „in bewußtem und gewolltem Zusammenhang mit unbekannten Mittätern" gehandelt. Wie Seuffert beantragte, hätte das Gericht Lübbes Tat nur „als Vorbereitungshandlung zum Hochverrat" qualifizieren dürfen, womit die Todesstrafe vermieden worden wäre (vgl. 55. ST, S. 133 ff. u. Sack a. a. O., S. 269 ff.). Die Wiederaufhebungssache van der Lubbe von 1955 (Aufh. 473/55, Gen. St. A. Berlin) ist hierfür irrelevant. Das OLG Düsseldorf hat sich am 6. August 1963 (vgl. oben Anm. 19) auf den Standpunkt gestellt, es könne nicht angenommen werden, „daß das Urteil des Reichsgerichts ein bewußtes Fehlurteil ist, daß also die Richter des Reichsgerichts damals eine Rechtsbeugung begangen haben", hat aber eingeräumt, das Urteil habe bereits stark unter dem Einfluß nationalsozialistischer Gedankengänge gestanden.

  236. Vgl. Tobias, S. 628 Die scharfe Kritik der nationalsozialistischen Presse am Leipziger Urteil und die Haltung des Reichsjustizministeriums sind dargestellt bei Schulz a. a. O., S. 563 und Hubert Schorn: Der Richter im Dritten Reich, Frankfurt 1959, S. 67 ff.

  237. Charakteristisch erscheint uns die Stellungnahme Bormanns in einem Schreiben an Elfriede Conti vom 2. 3. 1933: „Fast möchte man nicht glauben, daß die Kommunisten so ausgesucht töricht waren, den Brand im Reichstagsgebäude wenige Tage vor der Wahl zu inszenieren, denn vom reinen Parteistandpunkt aus hätte uns ja nichts Besseres passieren können" (Sig. Schumacher, siehe oben Anm. 233).

  238. Goebbels a. a. O., S 271.

  239. Diesen Ausdruck berichtet Delmer a. a. O., S. 195.

  240. Vgl. die Analyse von Rudolf Vierhaus: Faschistisches Führertum. Ein Beitrag zur Phänomenologie des europäischen Faschismus, in: HZ 189 (1964), S. 631: „Dagegen war kaum sichtbar, weil durch den Führerkult verdeckt, in welchem Maße die Führer Getriebene ihrer Wunschvorstellungen waren . . ."

  241. A. a. O„ S. 593. Bei aller Kritik an dieser überdehnten Interpretation sollte der leitende Gesichtspunkt von Tobias nicht übersehen werden: die grundlegende Bedeutung der „in einem autoritären Führerstaat unkorrigierbaren Verkennung der Wirklichkeit“, von der aus auch das Handeln der Nationalsozialisten historisch erst voll zu verstehen ist.

Weitere Inhalte

Hans Mommsen, Dr. phil., Assistent am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, 1961/62 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, München, geb. 5. November 1930 in Marburg. Veröffentlichung u. a.: Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat. Bd. I.: Das Ringen um die supranationale Integration der zisleithanischen Arbeiterbewegung 1867— 1907, Wien 1963.