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Humanismus und Humanitätsidee in der modernen Welt | APuZ 52-53/1964 | bpb.de

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APuZ 52-53/1964 Humanismus und Humanitätsidee in der modernen Welt

Humanismus und Humanitätsidee in der modernen Welt

Richard Schwarz

Der Münchener Ordinarius für Pädagogik nimmt in dieser Ausgabe von einer bestimmten Position her zu Grundfragen unserer Zeit Stellung. Wir veröffentlichen seine Arbeit als einen bedeutsamen Beitrag zur Diskussion.

In einer Zeit, in der die Angst und die Gefährdung des Menschen eine bedrängende Erfahrung wurden, ist das Suchen nach gültigen Richtbildern für die menschliche Existenz zum zentralen Anliegen geworden. Was eine moderne Psychotherapie als „existentielle Frustration" bezeichnete, die Entleerung des Lebens mit dem Verlust des Daseinssinnes — hier greifen wir an die Wurzel der bedrängenden Fragestellung in unserer Zeit, deren bezeichnendstes Phänomen darin erscheint, daß man aus un-oder halbbewußter Angst vor der Ausweglosigkeit diese Frage grundsätzlich ausklammert, ohne dabei zu erfahren, daß dann nicht nur unsere gesamte kulturelle und auch unsere wissenschaftliche Bemühung ohne eigentlichen Sinn besteht, sondern ebenso unser persönliches Leben. Tatsachenerhebungen und tätige Betriebsamkeit, ja selbst Weltraumeroberungen verbleiben im sinnlosen Raum, wenn jene Maßstabstrage des Ganzen und für das Ganze nicht einmal mehr gesehen oder gar als die Frage des Lebens, der Kultur und der Wissenschaft zentral gestellt und in steter Bemühung als Leitproblem angegangen wird. Nicht, daß von vielen Menschen heute kein Daseinssinn als Traggrund einer sinnhaften Existenz mehr erkannt, nicht, daß von vielen Wissenschaftlern heute nicht mehr um den „Kosmos der Wissenschaften" als Angelpunkt einer sinnhaft-forschenden Bemühung gewußt wird, ist das Erregende, sondern daß gar nicht mehr danach gefragt und gesucht, daß in einem Leben und in einer Forschung und Lehre ohne existentielle Fragwürdigkeiten auf dieses, den geistigen Menschen in nach dem Schicksal des Humanismus und der seiner Würde auszeichnende Merkmal einfachhin verzichtet wird 2).

In einer solchen Situation gewinnen die Fragen nach dem Schicksal des Humanismus und der Humanitätsidee in der modernen Welt einen zentralen Bezug.

Jene Anliegen besagen im Grunde nichts weniger als die Frage nach unserer gültigen menschlichen Situation mit allen ihren Perspektiven und Problemen. Wenn dennoch ein Versuch gewagt werden soll, dieses unser Selbst-und Weltverständnis zu erhellen, so unter der Einsicht, daß diese, das Eigentliche des heutigen Menschen anrührende Frage uns eine kaum noch zu vertagende Entscheidung abfordert. In dieser Entscheidung, ja schon in den Vorentscheidungen über Wesen und Bestimmung des Menschen zeichnet sich geradezu der gesamte unbewältigte Lebenshintergrund unserer Zeit gültig ab.

Unser Thema wäre jedoch mißverstanden, wollte man es dahin interpretieren, daß die Idee der Humanität nur im Zusammenhang mit einer bestimmten geistesgeschichtlichen Bewegung, eben dem Humanismus oder dem Neuhumanismus, zu begreifen sei. Gewiß deutet der Begriff des Humanismus für uns zu-erst auf diese Ursprungsräume hin. Allein die Idee der Menschlichkeit ist ebenso als eine zeitlose Idee verstanden worden, mit vielschichtigen Wurzeln. Danach wäre unser Humanismus nur eine dem abendländischen Menschentum entsprechende und geschichtlich bedingte Ausprägung. Jene Frage aber, ob eine Menschlichkeit als zeitlose und übergreifende Idee, gewissermaßen als das „Fazit“ aller Humanitätsideen der Menschen und der Zeiten möglich wäre, betrifft dann die fundamentale Frage unserer eigentlichen heutigen Verlegenheit in einer sich immer enger fügenden Welt.

I. Humanismus und Humanität?

I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. INHALT Einleitung Humanismus und Humanität?

Der neue Mensch in der neuen soziologischen Situation Verplanung des Menschen als Ausweg? Bildungkatastrophe oder Katastrophe des Menschen?

Humanität und politischer Anspruch Die Rolle der Religion im modernen Existenzverständnis Christentum und Humanismus im modernen Bewußtsein Abendländische Humanität im Spannungsfeld zwischen Ost und West Gibt es noch einen Weg?

Die Sprachverwirrung unserer Richtbilder ist fast babylonisch, wenn man nur die verschiedenartigen Auffassungen zu dem bedenkt, was unter „Humanismus" verstanden wird. Gefordert wird ein realer, pragmatischer, technologischer, naturwissenschaftlicher, integraler, sozialer, paideutischer, lebendiger, absoluter, positiver, christlicher, globaler Humanismus, um nur diese Formen hier zu nennen. Dies sind höchst different zu bestimmende „Ansätze“, denen notwendig immer ein je bestimmtes „Vorzeichen" des gesamten Selbst-und Weltverständnisses zugrundeliegt. Wenn Humanismus verstanden werden soll als eine Auffassung vom Menschen, wonach der Mensch nicht nur als „Naturtatsache"

oder als Lebewesen neben anderen Lebewesen bestimmt wird, sich in seiner Geistesausstattung jedoch über alles Naturhafte und Lebendige erhebt, so ist mit einer solchen, noch in der Nähe des Hominismus verbleibenden Bestimmung wenig ausgesagt.

So muß es also als ein vergebliches Bemühen gelten, eine gemeingültige Definition des Humanismus zu finden, da sie immer nur formalen Charakter haben könnte. Jede Real-definition des Humanismus steht notwendig immer in funktionaler Korrespondenz zu einem jeweiligen Bild vom Menschen, zur Anthropologie. Wenn aber Humanismus eine geistige Haltung zum Selbst, zu Mitmensch, Welt und Transzendenz ist, so kann diese aber ebenso der historischen Fixierung nicht entraten. Immer umschreibt Humanismus ein je bestimmtes Grundverhalten, ein Selbstverständnis, wie es sich in den spezifischen Formen in der griechisch-römischen Antike, in jener zur Renaissance hinzielenden Geistes-bewegung, im Neuhumanismus und in der Gegenwart wesenhaft verschieden anzeigt.

Es besteht die These, daß Humanismus grundsätzlich den Primat des Menschen und seiner Stellung in der Welt postuliere, des Menschen als Maß aller Dinge, wie es Prolagoras meinte. Jeder Humanismus wäre demnach anthropozentrisch. „Daß der Mensch vor dem Sein sei, welches Sein er im Grunde erst entdecke" — hierin wird das verborgene Charakteristikum jedes Humanismus erblickt, dem es letzten Endes um den Primat des menschlichen Denkens und schließlich um Selbstsetzung und um Selbsterlösung gehe. Danach wäre ein theozentrischer Humanismus ebenso problematisch wie etwa ein christlicher Humanismus. Ein Gott hätte danach im Humanismus keinen Raum, so daß die Griechen im Grund-verständnis Platons, wonach Gott als das Maß aller Dinge galt, keine Humanisten gewesen wären, wie dies auch vertreten wird Allein dem ist ebenso widersprochen worden, womit der ganze Umkreis der Fragwürdigkeiten deutlich wird. In der Neuzeit ist Menschsein freilich im Sinne eines Humanismus-Begriffs verstanden worden, der sich von dem transzendenten Bezug gelöst hat und seine Individualität auslebt, sei dies in Form einer Durchsetzung der Persönlichkeit, sei dies im Bestreben einer ästhetisch oder auch noch religiös erfahrenen „Bildung" der Persönlichkeit aus den Gesetzen dieser Persönlichkeit selbst, jedenfalls aber aus dem Bewußtsein einer eigen-bezogenen Kraft und Autonomie, wobei dieser Eigenbezug wiederum ebenso noch als göttlich-immanenter Bezug erfahren werden konnte. Unsere Ausführungen werden die differenten Varianten der Merkmale der Humanismen näher erkennen lassen. Wenn man jedoch umschreiben will, was heute „landläufig" unter Humanismus verstanden wird, so weist der Weg in die Bildungsebene, wie sie etwa mit der humanistischen Schulform verbunden ist. Humanismus erscheint danach heute zumeist als eine Lebensidee, ohne die eine Verwirklichung der menschlichen Lebensform nicht gelingen kann. So sprechen die Anwälte einer humanistischen Bildung von Sinn und Wert der Antike als Ausgleich für ein vereinseitigtes Spezialistentum; die Erlernung der antiken Sprachen diene der Verstandesschulung; die Antike liefere wertvolle Modelle für das heutige Leben, für ein „großes und hohes Denken" des „selbst-ständigen Menschen". Dabei muß als die besondere Eigenart der Griechen erscheinen, daß ihre Entdeckung des Menschen nicht etwa die Entdeckung des subjektiven Ich war, sondern die Bewußtwerdung der allgemeinen Wesensgesetze des Menschen Dasselbe gilt für die Verwechselung des neuzeitlichen Freiheitsbegriffs mit dem griechischen. Hier meinte man nicht Freiheit der Einzelpersönlichkeit im individualistischen Sinne, sondern die Freiheit der Person in der gebundenen Gemeinschaft. Die Antike wird als Fundamentalbildung betrachtet, auch gerade im Hinblick auf das heutige Berufsleben. So auch von Seiten der Naturwissenschaft, wenn Werner Heisenberg erklärt, unser kulturelles und geistiges Leben wurzele in der geistigen Substanz des Abendlandes als Antike und Christentum. Die ganze Kraft unserer abendländischen Kultur rühre her von der engen Verbindung zwischen prinzipieller Fragestellung und praktischem Handeln. Die Fähigkeit, eine gestellte Frage ins Prinzipielle zu wenden und damit zu ordnenden Gesichtspunkten zu kommen, sei wesenhaft hellenisch. Die Beschäftigung mit der Antike erzeuge einen Wertmaßstab, bei dem die geistigen Werte höheren Rang haben als die materiellen.

In naher Verschränkung mit dem Humanismus wird oft auch die Humanitätsidee zu bestimmen gesucht. Das Römerwort humanitas dürfte wohl erst im 18. Jahrhundert durch Herder als Humanität in die deutsche Sprache gekommen sein. Es bezeichnet hier jene „edle Gesinnung, die sich selbst erlöst, und das Mitgefühl mit dem Leide des Menschen". Von daher verstand sich Humanität als eine so bestimmte Religiosität, die nicht nur als ethische Akzentuierung, sondern — was oft übersehen wird — als ein die gesamtmenschliche Existenz betreffender Heilsweg zu kennzeichnen bleibt. Für Herder ist Bildung zur Humanität die Formung des Menschen durch ein im Menschen wirkendes Göttliches. Die ursprüngliche römische humanitas meinte dagegen eher „das aus der Primitivität sich erhebende, an Gesetz und Ordnung sich gewöhnende Menschentum".

Was also ist wahre Menschlichkeit?

Man spricht vom Bewußtsein um das persönliche Sein, die Personalität, erfahren in dem, was die Griechen den Logos nannten. Persönliche Menschlichkeit wird dann verstanden als die Befreiung des Menschen vom unpersönlichen typischen Dasein des ursprünglichen Mythos, in dem der einzelne ganz aufgeht als Glied in einer angeborenen Gemeinschaft Menschlichkeit ist dann nicht ohne das Wesensmerkmal der Freiheit, entgegen also auch allen modernen „Mythen" im Sinne totalitärer Staats-auffassungen und Gesellschaftsgesetzlichkeiten. Freiheit und ihre wesenhafte Endlichkeit — so heißt es — gehörten zu dem Begriff der Humanität. Allein beim Humanismus ist es durchaus nicht selbstverständlich, daß er die Humanität einschließt. Noch weit entfernt ist davon der antike Humanismus. Das Aussetzen schwächlicher Kinder, die biologische Zuchtwahl im Staatsdenken Platons, die Unterscheidung von Griechen und Nichtgriechen, den „Barbaren", währte bis zur Stoa. Hier erst bricht jene metaphysisch verankerte Auffassung aller Menschen als Brüder durch, die den gemeinsamen Gott zum Vater haben. Jene paulinische, von Aratos übernommene Konzeption, daß der Mensch göttlichen „Geschlechtes" sei, begründete dann erst neben der Freiheit jene stoisch-christliche Humanität des Humanismus. Walter Rüegg will Humanität bestimmen als „die aus der antiken Geisteswelt und deren Umgestaltung durch den christlichen Glauben hervorgegangene abendländische For-derung nach menschlicher Gesittung". Gewiß bleiben in solcher mehr formalen Bestimmung auch die inhaltlich fixierten Akzente ebenso noch offen. Und man wird kaum über die These hinauskommen, daß auch die Humanität kein Begriff ist, den man in einer Definition erschöpfen kann, vielmehr eine vielseitige Schichtung von Lebensformen und Lebensnormen. Auf die Prämissen also kommt auch hier alles an.

II. Der neue Mensch in der neuen Gesellschaft

Weittragende Veränderungen im soziologischen und damit auch im geistigen Gefüge haben eine Umwelt geschaffen, in der jener uns heute noch am nächsten beteiligende neu-humanistische Gedanke einer Individualkultur kaum noch Raum zu gewinnen scheint. Eine unheimliche Macht des Kollektiven überdeckt in zunehmendem Maße eine genuin abendländische Menschen-und Bildungsauffassung mit dem Einströmen der Massen in die höheren Schulen und Universitäten bei fast allen hoch-entwickelten Völkern. Damit aber wurde heute die Relation von Individualismus, Humanismus und Kollektivismus zum Hauptanliegen unserer politischen, wirtschaftlichen und bildungstheoretischen wie auch bildungspraktischen Sorgen. Immer zudringlicher scheint jene These an Raum zu gewinnen, die keinen Persönlichkeitsstatus mehr gelten läßt, ohne daß er aus dem ständigen gesellschaftlichen Bezug erwachsen ist. Gewiß lag auch in der humanistischen Bildungsidee das gesellschaftliche Moment beschlossen, insofern die Überzeugung bestand, daß die gereifte und in sich selbst bestehende Persönlichkeit um so mehr für die Gesellschaft bedeutet, je tiefer sie sich selbst und die Welt der Dinge kritisch erfaßte und geistig ausformte — einer Gesellschaft, auf die die Werte ihrer Persönlichkeit notwendig wieder auch zurückwirken. Doch heute scheint mit der Proklamierung des „Normalmenschen" als Bildungsfall, mit der Typisierung auch der geistigen und seelischen Bereiche, der Einebnung aller individualen Markierungen, mit der Bekämpfung des Einmaligen, das nur als Produkt der gestaltenden Umwelt gesehen wird und daher keine spezifische, prägende Funktion im Leben der Kultur und der Gesellschaft mehr besitzen soll, die Idee einer humanistischen Persönlichkeitsbildung fast unreal geworden zu sein. Die Gefahr, daß damit kein Wirkraum für eine Elite belassen wird, eben weil auch diese kaum noch auszureifen vermag, könnte dann kaum noch gebannt werden. Feinsinnig zeichnet diese bedrohliche Situation der Intelligenz Alfred von Martin mit der Feststellung: „Ob einer als Fachspezialist fungiert, der sich im Dienste irgendeiner Macht — als Beamter, Experte, Manager — um so besser verwenden läßt, je weniger er (bei gründlicher sachlicher Ausbildung) mit persönlich-menschlicher Bildung belastet ist —, oder ob einer durch politische Schulung geistig uniformiert, durch Stimmungsmache, Schlagwörter und feststehende oder umgekehrt der jeweiligen . Generallinie'angepaßte Doktrin die Massen dahin zu bringen hat, wohin sie nach dem Willen der politischen Leitung gebracht werden sollen, das macht keinen wesentlichen Unterschied: Eine — nur in Freiheit erfüllbare — geistige Aufgabe hat die in ein politisches Funktionärssystem eingespannte Intelligenz ohnedies nicht mehr." Diese „gleichgeschaltete" und abhängige Intelligenz, die sich dazu keineswegs nur im politischen, ökonomischen oder technologischen Raum heute erfährt, sondern ebenso in „geistigen", ja selbst auch in bestimmten religiösen Formen und Systemen, hat sich nur noch „in Kadern zu formieren". Doch ohne eine freie geistige Elite gab und gibt es keine Kultur, höchstens noch einen Produktions-und Verbrauchsprozeß; gibt es aber auch keine Freiheit der Persönlichkeit, auch nicht — wie man meint — für den Arbeiter. Elite soll dabei nicht als Selbstsetzung einer Gruppe mit angestammten oder erworbenen oder traditionell-geheiligten Rechten begriffen werden, sondern als ein „frei verliehener Titel, mit dem die geehrt werden, die als Schöpfer geistiger Güter, auf allen Gebieten des Lebens führend, dem Volke dienen." 11) Allein beide umfassenden Ordnungsformen und Sozial-systeme der moderneen Industriegesellschaft, das individualistisch-kapitalistische und das kollektivistische Sozialsystem, mit ihren Vereinseitigungen der Freiheits-beziehungsweise der Gleichheitsidee, zeigen eine tiefe Verwandtschaft. Beide beruhen letzthin auf einer Verleugnung der „Personalität“ im Menschen Denn der Individualismus ist nur die anfängliche, der Kollektivismus die vollständige Konsequenz aus dem Abfall vom christlichen Personalismus

Wenn ein Zeichen der wahren Humanitätsidee die Freiheit der Persönlichkeit ist, so bleibt aber hier die Frage, welche Chance dem einzelnen innerhalb des Apparates der modernen Arbeitswelt für diesen Eigenbezirk noch bleibt. Wenn der einzelne nur mehr eine Teilfunktion hat an irgendeinem Platz im Plane des Ganzen, den er weder entwirft noch gestaltet, wenn seine Arbeit sich nur mehr als organisierbare, schematisierbare Tätigkeit darstellt, die andere planmäßig vorformen und regulieren, wenn er also alles aus zweiter Hand erhält und nicht mehr in der Lage ist, wesentliche Erfahrungen zu machen, so hat man nur noch von „Surrogatformen individueller Freiheit“ gesprochen, als Unbeteiligtheit der Person an dem schematisierten Getriebe, als Rückzug in die private Sphäre Wenn aber Freiheit jenes geistige Prinzip im Menschen ist, das die Persönlichkeit erst konstituiert, wenn es eine Persönlichkeit erst gibt durch ein ihr gegebenes Prinzip, das von Natur, Gesellschaft und Umwelt unabhängig bleibt so wird die Gefahr der Entpersönlichung und damit der Verlust dieser Freiheit durch den ständigen Sog der Konformität nicht ernst genug genommen werden können. Es erscheint als ein entscheidender Gedanke, daß die westliche technisierte Gesellschaft zur Anpassung der Personen an ihre Forderungen in Produktion und Konsumtion Methoden hervorgebracht hat, die zwar weniger brutal, aber dafür auf die Dauer wirksamer sind als die totalitäre Unterdrückung. „Sie entpersönlichen nicht durch Befehlen, sondern durch Bereit-stellen — Bereitstellen dessen, was die individuelle Kreativität überflüssig macht."

Selbst die errungenen Freiheiten der verlängerten Freizeiten vermögen oft gar nicht als befreiende Freiheit empfunden zu werden, eher als Last der „Langeweile", dieser heute so kennzeichnenden innerseelischen Situation, die durch das Fehlen eines gültig übernommenen Daseinssinnes und die durch die Vermassung bewirkte Vereinsamung des Menschen recht eigentlich bewirkt wurde Beginnt doch diese so hart erkämpfte Freiheit schon zum bedrängenden Problem für den einzelnen und die Gesellschaft überhaupt zu werden. Daß die Freiheit allein dem modernen Menschen keineswegs den Lebensraum bietet, in dem er als Persönlichkeit, das heißt hier als „Person ganz privat" zu sich selber kommt, vielmehr sich wiederum einem zweiten „Entfremdungsund Dirigierungsprozeß" der industriellen Organisation unterwirft, ist heute klar erkannt worden Und dies um so eher, als er selbst vor dem „leeren Raum" seiner eigenen „letzten Stellungnahmen" angstvoll flieht.

Man sucht nach neuen Leitbildern für die technisierten Lebensprozesse. Unter dem Bilde des „vollkommenen Menschen" begreift eine neue gesellschaftlich und sachlich „ausgerichtete" Bildungsidee die Schaffung eines neuen Menschen. Nicht das Bild der entfalteten und an geistig-kulturellen Bereichen gereiften, das heißt zu sich selber bewußt werdenden Persönlichkeit erscheint das Ziel, sondern der an die Gesellschaftsstruktur mit ihren besonderen, die Persönlichkeit einschmelzenden Bedingungen „angepaßte" Mensch, der zwar auch denkt, aber nur im Funktionszusammenhang werkzeughait politisch, geistig, weltanschaulich, ökonomisch-technologisch „funktioniert“. Die Aristokratie einer geistigen Welt, die ihre Würde und ihren Rechtsgrund aus dem Rang des Geistes selbst herleitet, war ein Wesensmerkmal aller humanistischen Tradition. Allein gerade dieses Privileg des Geistes wird be-wußt aufgesogen von der Nivellierung des massenmäßigen, rechnenden, nützlichen Verstandes — einer „Bildungsidee“, die an Stelle einer früheren geistigen Elite heute schon als Ergebnis von Schule und Hochschule eine erschreckende „Typisierung bei einem Minimum von Bildungseffekt" setzt. Jene neuen Perspektiven haben schon den neuen Menschen-typus geprägt, der sich als Typus versteht und auch verstehen will, der gar nicht mehr einzelner, nicht mehr Persönlichkeit sein will, weil er sich geborgen fühlt in einer kollektivistisch umsorgten Arbeitswelt, die die Persönlichkeit zu ersticken droht Wenn Typus-sein mehr ist als Persönlichkeit-sein, so wird dieser Mensch zugleich freiwillig seiner eigenen Selbstbesinnung und Selbstverantwortung enthoben, womit eben jeder humanistische Bildungsaspekt illusorisch werden muß. Nicht in seiner wertentscheidenden Gesinnung, sondern in dem ganz äußerlichen Nutzeffekt liegt dann der Wert seines gesamten Tuns Bei einem solchen Zweckrationalismus macht es die „Herrschaft des Apparates" dem einzelnen schwer, ja zumeist unmöglich, zu der ihm wesensgemäßen Berufstätigkeit zu gelangen und in ihr aufzugehen. Die früher und auch heute noch erhobene Forderung, jeder Mensch soll an seinem Platz in der Schöpfung seine Aufgabe als Berufsaufgabe, wozu er sich berufen fühlt, erfüllen, wird weithin zur bloßen Redensart. Hier aber gewinnt jene für den heutigen Menschen charakteristische Zweigleisigkeit bildungstheoretisch ihre entscheidende Perspektive. Technische Intelligenz und menschliche Bildung, Arbeits-und Berufswelt und menschliche „private“ Sphäre liegen danach auf verschiedenen, ja konträren Ebenen Menschlichkeit als Existential soll sich danach nur in der Intimsphäre noch vollziehen können durch eine reine Scheidung der Ebenen: Der Kern des Menschen soll sich freihalten von den ihn umklammernden Mächten und Institutionen. Humanität wird so zum Reservat der Privatpersönlichkeit.

Selten wohl ist Fichtes Forderung „Gebt mir einen großen Gedanken, damit ich davon lebe!“ so notvoll und in solcher Verlegenheit erfahren worden wie eben heute. Die Frage, ob der moderne Kulturprozeß noch lenkbar ist, ja ob er überhaupt je lenkbar war, zeigt an, wie tief man einem unabweislichen Geschehensablauf schon verfallen ist. Tritt nicht die einst von Menschen selbst erzeugte Kultur und Zivilisation jetzt als ein überpersönliches anonymes Gebilde, als beherrschende Macht eben diesen Menschen drohend gegenüber?

Und trat nicht nun nach den Gesetzesmächten der „Kultur" und der „Natur" eine anonyme Geschichtsmächtigkeit an die Stelle der göttlichen Lenkung? Dieses Sich-ausgeliefert-Fühlen an einen irgendwie immer kollektiv gedachten Ablauf droht mit der Vernichtung der Freiheit des einzelnen oft schon den Ansatz zu einer neuen Lebens-und Bildungsbemühung zu ersticken. Der Zweifel, ob „Bildung" überhaupt noch möglich sei, ob es also noch den Anspruch einer überpersönlichen und über-zeitlichen Wahrheits-und Wertordnung gibt, findet sich in der Erfahrung, daß das Urpersönliche herrschend wurde, daß überkommene Ordnungen und Sozialgebilde als Regulative der Lebensführung ihren Einfluß weithin verloren haben. Doch wirft dieser heutige Mensch nicht gar zu willig seine eigene Freiheit und Verantwortung ab zugunsten jener „Superstrukturen“, in deren Geborgenheit es sich so „standardisiert" und gesichert lebt? Will er selbst denn noch Persönlichkeit sein? Man darf heute vom „Verlust der sozialen Geborgenheit" sprechen. Unser Dasein hat weithin keinen glaubwürdigen Ausweis mehr, weil die Lebensformen, die Sitte, das Ethos, die Traditionsgebundenheit weithin zerfallen sind. Der öffentliche Lebensraum, der unsere Jugend umschließt, birgt keine Selbstverständlichkeit von Sitte, Brauchtum, Konventionen. Die „Erlebnisübertragung" (Scheler), wodurch in der statischen Gesellschaft die Kontinuität der Generationen gewährleistet wurde, ist nicht mehr bestätigt

In der dynamischen Gesellschaft herrscht eine hohe Mobilität mit dem Schwinden der Tradition, dem Pluralismus der Weltanschauungen, den Ideologien als Ersatzformen der Religion. Die „überlagernde Daseinsapparatur“ zeitigt nicht qualitative menschliche Persönlichkeiten, sondern Funktionsqualitäten. Der Funktionär hat bestimmten Aufgaben nach Maßgabe der aufgetragenen Spielregeln zu genügen. Nicht sittliche Entscheidungen werden gefragt, sondern ein Handeln nach zweckrationalen Spielregeln. Verapparatisierung und Bürokratisierung sind dann die entsprechenden Organisationsformen. Nur wer organisiert ist, vermag noch einen Handlungs-und Einflußbereich zu gewinnen. Apparaturen, Superstrukturen, sekundäre Systeme gewinnen Eigenleben, Eigengesetzlichkeiten. Die Meinungs-und Bedürfnis-steuerung sind die Führungsmächte der dynamischen Gesellschaft. Das dynamische System fordert einen Menschentypus, der sich den zahllosen Veränderungsprozessen anzupassen vermag. Es gibt weithin keine Möglichkeit mehr zu eigenen Urteilsfindungen, weil der Mensch nicht mehr das Ganze, sondern nur einen je bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit noch zu übersehen vermag. Daher werden die angestammten Bedürfnisse nach Sicherheit und Gewißheit in An-formung an den anderen befriedigt, was sich in dem System des Konformismus bestätigt findet Eine mechanistischatomistische experimentelle Psychologie wird geradezu zum Religionsersatz, indem sie dem Menschen die Enträtselung seines Daseins verspricht, wenn er nur auf wesentliche Züge seines Menschseins verzichtet. „Wo der Mensch berechnet wird, wird er vorausberechnet, soll der Zufall, die Überraschung, die Wandlung ausgeschaltet werden zugunsten einer gleichbleibenden, möglichst sich steigernden Leistung als dem wichtigsten Ausweis seiner Humanität." Der Konformismus wird zur Lebensnorm und Lebensform erhoben. Eine so bestimmte Gesellschaft „isoliert jeden, der es wagt, eine eigene Persönlichkeit zu sein, mit einer erschreckenden Härte. Seltsam kontrastiert dazu der auch bei uns immer dringender erhobene Ruf nach . Persönlichkeit’, als ob die Gesellschaft und ihre Strukturgesetze nicht alles täten, um das Personwerden unmöglich zu machen. Wo die Anspassung ein ungeschriebenes Gesetz ist, gegen das nicht verstoßen werden darf, können Persönlichkeiten kaum entstehen. Denn es liegt im Wesen der Persönlichkeit, zu stören und sich nicht anpassen zu können, sondern die Anpassung anderer zu erzwingen."

Der neue Mensch wird in seiner „gemachten"

Welt der Sachapparatur, der Produktions-und Bedarfsdeckungsprozesse nicht mehr als er selbst beansprucht, sondern nur als Träger von Funktionen. Eine solche Funktionalisierung der Person bewirkt, daß der Mensch, „sein Innerpersönlichstes, seine Emotionen, seine Affekte, Stimmungen, auch seine privaten Besinnungen" eher „Störungsfaktoren" und „Sand im Räderwerk der Apparatur" sind Man hat als Folge einer solchen Verformung des Menschen vom Verlust von Realkontakten, von der Flucht in Wunschwelten, vom fehlenden Halt im Normativen, von Sensibilisierung und Labilisierung der Innenwelt gesprochen, vom „Warenhauscharakter" der Person, von Schnittpunktexistenzen, von außengesteuerten, sich selbst entfremdeten entpersönlichten Wesen Die Fähigkeit zur Selbstbesinnung des Menschen wird in der heutigen Kultursituation „in ihrer Entfaltung gehemmt, verdrängt, vernichtet. Ist der Verlust ein radikaler, so wird aus dem Menschen ein Primitivwesen, das völlig unfrei, sich nur noch in konventionellen oder bürokratischen Formen zu bewegen vermag und sich von Fall zu Fall treiben läßt... Es entstehen Triebwesen, die sich schließlich von den äußeren Umständen oder von Augenblicksimpulsen leiten lassen." So wird dann der Mensch „in seiner charakterlichen Verfassung ... oft nur der Ort, an dem sich etwas abspielt". Der außengeleitete Verhaltenstypus im Verständnis von David Ries-man ) ist „nicht viel mehr als eine Abfolge verschiedener Rollen und Begegnungen mit anderen und weiß schließlich nicht mehr, was er eigentlich ist und was mit ihm geschieht". Der neue soziologische Begriff der „Rolle" ist ebenso treffend wie aufschlußreich. Er setzt immer schon die Vertauschbarkeit, die Beliebigkeit oder die Zwangsläufigkeit voraus, berührt im Grunde das charakterologische Problem der Echtheit unseres inneren und äußeren Existenzverständnisses, was freilich kaum als bedrängend empfunden wird.

Es mehren sich die Stimmen daß die zunehmend wehrloser werdende Gesellschaft immer rapider in die Ohnmacht und Agonie der Persönlichkeitsentäußerung treibt. Es ist dabei die Rede von „Lenkung des Unterbewußtseins", vom „Dauerattentat der Werbung", vom „diabolischen Mechanismus der Karrierenmanufaktur". „Sicherheitsrisiko" und „Verhaltenstests" seien die „Kapitalverbrechen". Die moderne Inquisition sei zweifacher Art: die psychologische Auslaugung und die technische Einkreisung. P. A. Sorokin wollte hier von einer „Testomanie" sprechen. Dem Individuum bleibt nach jener oben bezeichneten Auffassung als letzter Ausdruck selbständiger Bekundung nur die Entscheidung, welches Medium von beiden das fürchterlichste ist. In der ersten Abteilung dominierte die Fragebogenseuche als „psycho-logische Entkleidung". „Es ist die Unterwerfung unter die als selbstverständlich betrachtete, ja gutgeheißene Diktatur der Politiker, Ärzte, Pädagogen und Arbeitgeber; die begeisterte Kapitulation vor den neuen Wundern der Technik." Die so erkundete „Offentliche Meinung" wurde weithin zum Richtmaß für die fundamentalen Urteile der Wahrheitsund Wertebene. Der Mensch ist soviel wert, wie er „gilt". Die Mehrheit entscheidet über den Menschen schlechthin. Wahrheit und Wert werden dann zu funktionalen Relationen der jeweiligen Gesellschaftsstruktur, der Fruchtbarkeit und Brauchbarkeit, des Fortschritts, ja auch der Machtpositionen und ihrer Befestigungen.

III. Verplanung des Menschen als Ausweg?

Der „verplante" Mensch braucht nicht erst durch staatliche Maßnahmen angesteuert und sanktioniert zu werden. Er ist schon da, auf dem Wege einer fortschreitenden Verplanung seiner wesenhaft menschlichen Bezüge durch den neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Dirigismus, der wiederum durch die moderne Industrie-„Kultur" und die entsprechende Ökonomisierung bedingt ist: Wenn man Schulen errichtet, die für die Zukunft einer Nation erforderlich sind, kann nicht von Verplanung gesprochen werden. Entscheidend aber ist, welches Bildungsziel oder — wenn dies für manche Ohren zu ideologisch klingen sollte — welche Auffassung von der menschlichen Existenz in ihren fundamentalen Sinn-und Wertbezügen zugrundegelegt beziehungsweise schon als selbstverständlich, das heißt doch heute oft genug als dem modernen Empfinden entsprechend, vorausgesetzt wird. Die Richtung der Wegmarkierung auf den Pragmatismus und platten Utilitarismus als auf das verbreitete unterschwellige Lebensverständnis in der westlichen Welt, die hintergründige Zielsetzung eines Gebrauchs-und Verbrauchsstandpunktes oder, um mit Eduard Spranger zu sprechen, auf die einzig noch interessierende Frage des Einkommens, des Fortkommens, des Auskommens — hier ist Verplanung im eigentlichen und existentiellen Sinne. Jener neue soziologisch interpretierte und oft genug auch suggerierte „Gesellschafts-Dynamismus" ist aber auch eine mit sehr durchaus umschriebene Ideologie fixierten anthropologischen Bestimmungen und Vorzeichen.

Es ist bezeichnend, daß eine gewisse vorherrschende Richtung der heutigen Soziologie die Frage nach dem Menschen und damit auch die Frage nach der Gültigkeit und Fixierung seiner Werttafeln nur in bewußter Abhebung von den traditionellen Glaubensüberzeugungen zu sehen vermag. Wenn die Auffassung vertreten wird, daß die Frage nach dem Menschen auf zweierlei Art beantwortet werden kann: auf Grund eines religiösen oder sonst weltanschaulich fundierten Glaubens oder auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse, wobei nur dieser zweite Weg für „uns als wissenschaftlich Bemühte" in Frage kommen könne so erscheint dies alarmierend. Es ist damit nichts weniger dokumentiert als die Aufrichtung einer neuen Ideologie, die den Anspruch auf Absolutheit erhebt, mit der radikalen These, die immerwährende Spannung zwischen Glauben und Wissen schon gelöst zu haben. Es geschieht dies für die wissenschaftliche Ebene mit der unkritischen Voraussetzung und Feststellung von der Wertneutralität der Wissenschaft, die in Distanzierung von allen herrschenden Glaubenssystemen gewonnen werden soll, eine These, die wir an anderer Stelle als nicht haltbar zu erweisen versucht haben Wie nun aber sollen nach jenen Vorstellungen die neuen Menschentypen als Grundtypen charakterisiert werden? Richard F. Behrendt fordert den bewußten Menschen, der sich nicht nur seiner physischen und gesellschaftlichen Umgebung, sondern auch seiner inneren, seelischen Struktur bewußt zu werden vermag; den mündigen Menschen, der sich aus „transzendental" oder „traditional" vorgegebenen Bindungen löst, mit dem Anspruch auf eigenständige, selbstverantwortliche Orientierung; den homo iaber, den Menschen-typ also, der die Welt in all ihren „nichttranszendentalen" Aspekten als durch ihn machbar und gestaltbar betrachtet; den technisch fähigen Menschen, der sich auf die Auslösung und Lenkung der mechanischen Energie beschränkt; und schließlich den mobilen Menschen, „der nicht mehr die lebenslängliche Wirksamkeit von Wurzeln im geographischen Sinne der Heimat, im geistigen Sinne des Glaubens oder im gesellschaftlichen Sinne einer Schichtzugehörigkeit anerkennt, sondern Anspruch auf maximale Beweglichkeit" erhebt.

Wenn aber nach anderer Auffassung die Freiheit des Menschen nur noch darin bestehen soll, daß und inwieweit man sofort auf Umweltreize reagieren könne, so stehen wir im animalischen Bereich. Eine Freiheit, die sich nicht anzupassen vermag, existiert danach gar nicht, weil sie zur Existenz-vernichtung führe. Heutzutage habe — so argumentiert man — die Werbung den ersten Zweck, den Markt nach den Bedürfnissen der Produktion zu verändern und zu formen. Das hieße Konsumzwang in der Weise auszuüben, die keine Möglichkeit offen läßt, sich dagegen zu stellen. Die Illusion der Freiheit bleibt aufrechtzuerhalten, indem die Entscheidung zwischen einer blauen und einer roten Krawatte offen bliebe. Aus dieser Einsicht besteht also nur noch die „Krawatten-Freiheit", die Einsicht in die Notwendigkeit der Anpassung an den Produktionsprozeß. Danach lautet dann der Grundsatz dieser neuen kollektiven Ethik: Du sollst konsumieren, um Dir und allen anderen zu nützen. „Wir alle werden als Mitglieder der Massengesellschaft von uns selbst als Angehörige und Abhängige des industriellen Systems vermittels angewandter Sozialtechnik zum Zwecke konformistischharmonischer Gesellschaftsregelung mit der Wirkung des Verlustes möglicher Wahrheitserkenntnis und des Verzichts auf Freiheit des Widerstandes gegen universale Anpassung manipuliert,“

Solche Thesen weisen in die Richtung einer vom Dialektischen Materialismus gezeichneten ökonomischen Gesellschaftsauffassung und Anthropologie, nur daß jenes Postulat bei uns nicht einmal eine kritische weltanschauliche Fundierung jener Prozeßgerechtigkeit aufweisen kann. Neben einer solchen gezielten ökonomischen Manipulierbarkeit des heutigen Menschen erscheint dann eine andere fast noch entscheidender und erregender. Wir meinen die biochemischen und biophysikalischen „Systeme von Kontrollvorgängen“. Die physikalisch-chemische Steuerung und Züchtung des Menschenlebens ist heute keine Möglichkeit mehr, sondern bereits eine nahe Wirklichkeit. Man spricht vom „Unternehmen Mensch" und diskutiert in jenen wissenschaftlichen Kreisen ernsthaft die Frage, in welcher Weise und in welchem Umfang eine Steuerung durch planmäßige Veränderung der Gene möglich wäre. Eine solche umfassende planmäßige Züchtung des Menschen stellen sich Genetiker heute unter dem Modell eines Warenhauses vor: „Ein Weltunternehmen, in dem Samen von erbgesunden Männern in Tiefkühltruhen gespeichert wird, eingebettet in eine Substanz namens Glycerin, die das Unterkühlen von Spermen überhaupt eist möglich macht. Von jedem Spender müssen genaue Unterlagen über körperliche und geistige Eigenschaften, Vorfahren, Leistungen der Familie und so weiter beschafft und auf Karteikarten oder, da wir im Zeitalter der Elektronik stehen, auf Hollerithkarten dokumentiert werden. Ferner müssen Kataloge ausgegeben werden, in denen sich potentielle Mütter den Vater ihres Kindes aussuchen können — nicht ganz unähnlich jenen bunten Prospekten, die alljährlich von Versandhäusern für Tulpenzwiebeln verschickt werden ..." „Dies also bedeutet nichts anderes als den Versuch, mit Hilfe einer chemischen Genetik den Menschen schließlich in die Lage zu versetzen, Lebewesen einschließlich seiner selbst nicht nur in ihrer individuellen genetischen Prägung, sondern auch hinsichtlich ihrer Nachkommenschaft willkürlich abzuändern, vielleicht sogar neue Formen von Lebewesen zu schaffen" ja womöglich tatsächlich den „Übermenschen" zu züchten. Und es fehlt mit Recht nicht an Stimmen, die solche Forschungsergebnisse für einschneidender und umwälzender halten als die Herstellung der Atombombe.

Damit ist der Weg zur radikalen und universalen Manipulierbarkeit — zumindest in der Theorie — schon beschritten. Was soll dann noch die Rede vom Menschen und seiner Menschlichkeit, wenn die Anonymität notwendig geradezu als die Voraussetzung einer solchen Gesellschaft gelten muß? Schon vor 50 Jahren hat E. M. Forster die letzte Konsequenz aus einer solchen konfliklosen Gesellschaft beschrieben: „Es wird eine Generation kommen, die jenseits aller Tatsachen steht, aller Eindrücke, eine völlig farblose Generation, eine Generation, seraphisch frei von der Seuche der Persönlichkeit..."

In solchem Zusammenhang darf ebenso die Möglichkeit zur „Umstimmung" des Menschen, ja zur Umschichtung seiner Persönlichkeitsstruktur durch chemische, physikalische oder medizinische Mittel, Praktiken und Methoden nicht unerwähnt bleiben. Was hier in Rede steht, betrifft nicht nur die Problematik bestimmter psychiatrischer und neurochirurgischer „Eingriffe", die über dem Spannungsfeld von gezielter Persönlichkeitsveränderung und menschlichem Ethos unmittelbar die Humanitätsfrage berührt. Erregender ist der Gedanke an eine mögliche geplante Steuerung als Beeinflussung seelischer Funktionen, der Antriebskomponenten, der Motivationen, der Ausschaltung zentraler Entscheidungsvermögen durch Drogen oder ähnliches. Der Einbruch der Technik in den Kern der menschlichen Persönlichkeit ermöglichte den „Tod der Persönlichkeit bei Fortdauer eines bloß vitalen Existierens"

Die weltanschaulichen Perspektiven und Konsequenzen der dem zugrundeliegenden Auffassungen vom Menschen sind hier wie dort oflenkundig.

Ein ganz anderes Kapitel einer Überfremdung des Menschen betrifft die starke Macht der sogenannten Massenmedien, auch der Presse. Die Möglichkeit, daß in diesen Ebenen die Ehre und der „gute Ruf" eines Menschen verletzt werden können, ohne daß dieser eine entsprechende Möglichkeit zur Abwehr besitzt, ist kaum ernsthaft zu bestreiten. Im Namen des Menschen und seiner Personwürde, im Namen also der Menschlichkeit sollte jene Auffassung nicht unbemerkt bleiben, daß im selben Maße, wie das Recht der Freiheit der Presse und anderer Medien dringlich und selbstverständlich erscheint, ebenso nicht nur ein heute unzulänglicher Rechtsschutz, sondern auch ein Rui-Schutz des Staatsbürgers vor der Presse und anderen Medien wirksam und ausreichend gesichert werden müßte, was bisher nicht der Fall ist. Gewisse Praktiken und Methoden könnten letzthin in die Vernichtung der gefeierten Freiheitsrechte und Ehrbezirke der Persönlichkeit zielen und Anlaß zur Besorgnis geben.

Es ist nicht zu verschweigen, daß jede Planung in Gefahr der Verplanung und jede Verplanung in Gefahr einer totalen Verplanung steht. Wenn aber totale Verplanung in der Konsequenz jedes Totalitarismus liegt, so steht ebenso jede fortschreitende Verplanung in der Gefahr einer totalitären Konsequenz.

Totalitarismus muß aber keineswegs immer schon staatliche Omnipotenz bedeuten! Soziale Steuerung aller Prozesse, Zerstörung der Tradition und konsequente Rationalisierung, Meinungs-und Bedürfnissteuerung, Steuerung der seelischen und sittlichen Grunderfahrungen und der sensationell-rentierliche Eingriff in die „Intimsphäre" entkleiden und entheben zuerst den Menschen, das Individuum, das was man mit Persönlichkeit meint in ihrer Freiheit des Eigensein-könnens und der Selbstbestimmung, eben dieser seiner wesenhait menschlichen Möglichkeiten und Merkmaligkeiten. Ob und inwieweit es freilich überhaupt noch in unserer Hand liegt, jenen offenbar notwendig fortschreitenden Prozeß selbst zu steuern, zu beherrschen — hier rühren wir an das Rätsel unserer eigentlichen Verlegenheit, wovon noch die Rede sein wird.

Nicht zu Unrecht hat August Wimmer auf die großen Gefahren der Verplanung in jeder Hinsicht hingewiesen, wenn er schreibt: „Der totale Rechts-und Wohlfahrtsstaat droht seine Bürger zu Haustieren der Gemeinschaft zu entmenschen, zu Werkzeugen oder Maschinenmeistern einer Lebensfabrik herabzuwürdigen. Dann wird der Bürger der sittlichen Verantwortung für sich und andere entwöhnt; er verlernt es, in der Unsicherheit auf sich selbst zu stehen; er vergißt, daß eine Naturkatastrophe oder andere Menschen den Schutzzaun eines Tages einreißen können. Ja, Freiheit ist Menschenwürde und äußerste Gefährdung zugleich, höchster sittlicher Anruf und höchste Gefahr in einem. Jede Gefahrensicherung durch das Recht bedeutet leicht auch Abschwächung der sittlichen Aufgabe, Beeinträchtigung von Freiheit und Menschenwürde." Dies gilt für die Illusion einer risikolosen „Versicherung für die Zukunft" überhaupt, für die pädagogische Ebene ebenso wie für die ökonomische und biologische — wie selbst noch für jene primitiven religiös-gemeinten „Lebensversicherungen", worin freilich die eigentlich religiöse Lebensbeziehung noch gar nicht bewußt wird.

IV. Bildungskatastrophe oder Katastrophe des Menschen?

Eine besonders aktuelle Bedeutung erhält die Frage nach dem Schicksal des Humanismus und der Humanitätsidee in der modernen Welt im Hinblick auf die gegenwärtigen Bemühungen zur Behebung des „Bildungsnotstandes" in der Bundesrepublik und anderswo. Die dringende Notwendigkeit solcher Bemühungen bedarf keiner Rechtfertigung angesichts der Anforderungen, die durch die neue gesellschaftliche und ökonomische Situation gestellt werden. Allein ebenso bedarf es des Hinweises, daß statistische Berechnungen und Forderungen nach einer Vermehrung von Abiturienten und akademischen Absolventen, also die Mobilisierung von sogenannten „Begabungsreserven", fast in Analogie zu den „Rohstoffreserven", nicht ausreichen. Mit nur quantitativen Denkweisen kann man zwar Zahlen vermehren, aber weder eine Bildung noch eine Kultur „machen", die immer und zu allen Zeiten von tieferen Perspektiven lebten, die eben den Menschen als Menschen betreffen. Indem man bemüht ist, anstelle des Humanen das „Reale", ja das Realissimum, das Pragmatische zu setzen, wird das Eigentliche völlig übersehen. Ein homo laber, homo laborans, homo oeconomicus, homo technologicus vermögen als Ziel-und Richtbild nur im Materialismus zu verbleiben — diesen Begriff als geistige Haltung verstanden. Auf die Wertrangordnung kommt alles an! Auf die Frage also, was als „Oben" und „Unten" zu betrachten ist in der Wertordnung, in der Sinnordnung, ja auch in der Heilsordnung. Die Frage nach dem Wesen des Menschen war von altersher die Zentral-frage aller denkenden Bemühung, eine Frage, die heute im Bildungs-beziehungsweise besser Ausbildungsbereich öffentlicher Planungen und Diskussionen fast nirgends mehr auf-scheint. Von hier aus also gewinnt die Thematik um Humanismus und Humanität eine zentrale Gültigkeit.

Es ist ein Signum unserer Situation, daß sich für die Fragen der Bildung und Erziehung jedermann interessiert. Das ist ein erfreuliches Zeichen. Es ist aber ebenso bezeichnend, daß sich jedermann hier als zuständig erachtet — und das ist bestürzend. Offenbar besteht die Auffassung, daß als gültiger Ausweis für diese Zuständigkeit allein schon die Tatsache ausreicht, daß man selber einmal eine Schule besucht habe, wobei die „Rache der letzten Bank" bisweilen noch durchklingt. Dennoch aber halten wir diese verbreitete Auffassung für unheilvoll. Die Ebene des Bildungs-und Erziehungsgeschehens, die vielschichtige Problematik um die Erkenntnis und Begründung und vielseitige Verflochtenheit ihrer Sinn-, Wert-und Zielbestimmungen, sowie auch die praktischen Fragen der Schule und Schulorganisation können nicht zur Domäne der Journalistik, aber auch nicht der Jurisprudenz werden. Voraussetzung für eine fruchtbare und fundierte Diskussion und Forschung über die Belange der Bildung, der Erziehung und der Schule ist neben einem entsprechenden fachwissenschaftlichen Studium der Pädagogik und ihren philosophischen, psychologischen, soziologischen, ja auch theologischen Grundfragen eine eigene Schulerfahrung im Lehrberuf. Was für die Medizin und den Arzt eine Selbstverständlichkeit bedeutet, wird in der pädagogischen Ebene einfachhin negiert. Dies gilt noch ebenso häufig für die Ebene der wissenschaftlichen Pädagogik an Universitäten und Hochschulen Aber zeigen nicht die farbigen Glasfenster eines Innenraumes ein ganz anderes Kolorit, als wenn man sie nur von außen her betrachtet? Die vordergründige Popular-Pädagogik mit dem statistischen und soziologischen und juridischen Rechenstift erscheint geradezu als eine Gefahr dort, wo es doch im Grunde zuerst um den Menschen als Menschen und seine Menschenbildung gehen sollte.

Planungen im Bildungs-und Erziehungsbereich, die nicht zuerst und bewußt mit diesen grundlegenden Fragestellungen nach dem Wesensmerkmal dessen fragen, was Bildung und Erziehung gültig sei und welche Bildungsziele als Ziele menschlicher Wert-gestaltung richtungweisend sein sollen, wirken geradezu alarmierend. Die fast ausschließlich von ökonomischen oder statistischen Gesichtspunkten geforderten und erhobenen Planungen erscheinen äußerst bedenklich. Bildung und Erziehung sind mehr als konkrete Plansoll-Erfüllung für eine industrielle Wohlstandsgesellschaft. Diese fundamentalen Aspekte gelten für alle Bildungsinstitutionen — von der Volksschule bis zur Universität und Erwachsenenbildung.

Das heute in der Bildungs-und Erziehungsebene dringendste Problem ist das einer Integrierung von Bildung und Ausbildung. Es ist ein Irrtum, daß der Mensch gültig in zwei Ebenen leben kann, in einer Innenwelt, die man humanisieren oder auch nur human konservieren und schützen könne, in der er also als „Privatperson" existiere, zum anderen aber, daß er in einer technischen Arbeitswelt lebe, die nur unter dem Signum des sachgemäßen Gebrauchs steht. Eine menschliche Daseinsverfassung wird nur dann möglich sein, wenn die von der technischen Arbeitswelt andrängenden Probleme ernsthaft ausgenommen und zu den übrigen Richtungen und Aspekten humanen Bestrebens in innere Beziehung gesetzt werden. Ein Leben auf zwei Ebenen, in zwei Stockwerken, muß jene seelische Gespaltenheit bewirken, die heute typisch ist.

Allein zuerst muß der sinnleihende Maßstab für die gesamtmenschliche Existenz, für die Bildung, gewonnen sein, ehe die fachlich-berufliche Ausbildung als Weg zur Bildung Gültigkeit zu gewinnen vermag — nicht umgekehrt. Dies bedeutet nicht, daß Planungen überflüssig wären. Es bedeutet aber, daß die Frage und die jeweilige Antwort nach der menschlichen Wertgestalt allen Planungen in der Bildungs-und Erziehungsebene voraus-liegenund auch den prinzipiellen Maßstab abgeben müssen

Bildung und Erziehung sind nur möglich im Medium umschriebener existentieller Positionen. Kein Mensch kann auf die Dauer ohne einen tragenden Sinn leben, geschweige denn bilden und erziehen. Das Gerede von der „Errungenschaft" des modernen Einzelseins und dem Leben in „offenen Horizonten" mit dem „planmäßigen" und plangerechten Erfinden von neuen Werten trägt nicht. Feste, bergende Horizonte sind aber nicht mehr da. Wir leben in einer neuartigen Situation, wofür die alten Sinn-und Werttafeln weithin abgelehnt werden, zumindest aber unverbindlich bleiben, wofür jedoch noch keine neuen Normen vorhanden sind, die ja weder kulturpolitisch noch planungstechnisch „gemacht" werden können — es sei denn als konventionelle Übereinkünfte, die im Tiefenbezirk unverbindlich bleiben. Hier aber bleibt die Frage an uns als die Feststellung: Bildung in der Zukunft und Bildung in die Zukunft sind nicht lösbar von der Vorfrage nach den tragenden Werten und Haltungen, die uns im Gewissen verpflichten können, aber auch verpflichten müßten. Hier aber liegt die eigentliche Frage einer Bildung für die Zukunft, sofern diese eben wahrhaft human, das heißt dem Wesen des Menschen wesensgemäß sein soll.

Es ist bedrückend, in welchem Maße solche Fragestellungen gar nicht mehr gefragt sind — sei es, daß man sie aus menschlichem Unvermögen oder aus der unheimlichen Angst vor der Verlegenheit um eine Antwort bewußt ausläßt, beiseite schiebt, ja als lästig und für die „Realitäten" im Lebensbereich und in der Bildungs-und Kulturpolitik als hemmend oder gar als gefährlich erachtet. Die nicht immer ohne politische Akzente verkündete drohende Bildungskatastrophe meint doch — wie ich sehe — nirgends und niemals die mögliche Katastrophe der Menschenbildung als die Katastrophe einer fehlenden sinnhaft übernommenen Existenz des Menschen, sondern eben nur der fachkundlichen „Ausbildung". In dieser Verwechslung liegt zuerst und in Wirklichkeit eine kaum erkannte Katastrophe. Gibt es keine Einsicht mehr, daß der Mensch mehr ist als eine „Marktpersönlichkeit", die man aus Begabungsreserven mobilisieren, traktieren, ausbilden und „einsetzen" kann? Ist der Gebrauchs-und Verbrauchsstandpunkt* wirklich das letzte Wort in der Diskussion um eine sogenannte „Bildungskatastrophe“? Soll diese seelische Verarmung wirklich heute das Ende eines Menschenbildes sein, das vielleicht noch aus der „christlichen Speisekammer der Großväter" zu leben vermeint, im Grunde aber unter Berufung auf die wissenschaftlichen, das heißt doch heute fast nur naturwissenschaftlichen Errungenschaften ein Lebensziel als Bildungsziel verheißt, um das zu leben sich nicht mehr lohnen könnte?

In solchem Zusammenhang wäre auf jene Auffassung der Bildung als einer rentierlichen Institution zu verweisen. „Der Bildungsaufwand ist als Investition im engeren Sinne zu betrachten, als Investition für den Ersatz und für die Erweiterung der Produktionskapazität und der Infrastruktur einer Volkswirtschaft ... Um ihren Wohlstand zu erhalten, müssen sie (die Staaten) nachweislich einen bestimmten Anteil ihres Produkts in Bildungseinrichtungen investieren." 46) Solche Überlegungen wird niemand abweisen wollen. Bei aller notwendigen „Mobilisierung“ von Begabungen sollte jedoch die Erwägung nicht außer acht bleiben, daß bereits heute schon unsere Universitäten von einer großen Zahl von Studierenden besucht werden, deren Begabungen den notwendigen Anforderungen nicht gewachsen sind. Was unbedingt vermieden werden sollte, weil niemand damit gedient wäre, ist die noch weitere Niveausenkung infolge einer massenmäßigen Nivellierung der Leistungen. Der entscheidende Punkt jedoch ist dieser: Soll „Bildung", sprich „fachkundigverwertbare" Ausbildung, tatsächlich nur und zuerst und ausschließlich von solchen Perspektiven der Wohlstandsgesellschaft ihren Stellenwert erhalten? Ist eine solche „kommerzielle Denkungsart“ wirklich der Angelpunkt von dem, was „Bildung" heute heißt? Müßte darin nicht der Rückfall in eine Barbarisierung des Menschen erblickt werden mit der alleinigen Sanktionierung seiner standardisiert-hochgezüchteten Lebensbedürfnisse? Und sollte diese Primitivisierung der Lebensauffassungen wirklich das letzte Wort sein? Man sage nicht, dies alles sei für unsere materiale Existenz erforderlich. Jene Bildung als das Streben und reifende Bewußtsein um einen sinntragenden Maßstab der Dinge — dies müsse wohl noch „dazugegeben" werden. Eine solche Zugabe von „Bildung“ als geistiger Luxus trägt nicht mehr. Auch hier sei grundsätzlich nochmals markiert: Wenn Bildung des Menschen allein und zuerst von der Sorge oder eher noch von der Angst geleitet sein soll, daß wir unser Leben fristen, daß wir „überleben“ können, so wird eine so verstandene Hilfe, die ja keineswegs nur oder auch zuerst an den anderen denkt, doch nur im ersten Vorfeld zu placieren sein. Nicht daß wir nur leben und überleben, sondern daß und wie wir dieses Leben sinnvoll bestehen können — dies wäre das gültige Anliegen einer „Lebenshilfe" für den geistigen Menschen. Ob und wie ein Mensch den „Kern" seiner Existenz begreift, wie sein „letztes Wort" zu seiner Existenz lauten wird — so hoch also greifen wir mit unseren Forderungen, wenn von Bildung und Erziehung die Rede ist. Denn auch das drängende Thema „Mensch und technische Welt" gewinnt nur von hier aus seine tragenden Perspektiven, es sei denn, man ist höchst bescheiden in seinen existentiellen Lebensansprüchen, wenn man von der Zündkerze, der Retorte, dem Atomkern, von den „Sozialingenieuren", ja auch von bestimmten Gesellschaftsforschern sein Rezept bezieht, was Oben und Unten ist, wo des Menschen Wert-und Sinnziele liegen. Daß dieser moderne Mensch mitkommt in Wirtschaft und Arbeitsprozeß und Konjunktur und Wohlstandsstandard — dies also ist dagegen ein Anliegen seiner Ausbildung. Diese Ebenen — so überwältigend ihre Errungenschaften auch sein mögen — sind und bleiben sekundäre Perspektiven. Daß aber eben dieser Mensch sinnvoll in dieser modernen Welt als wahrhaft menschliches, das heißt doch als geistig-seelisches Wesen zu leben vermag — dies ist eine Frage seiner Bildung als einer Lebens-und Wesensform seines Menschseins schlechthin.

Wenn man solche Forderung nach der freien Bestimmung von Bildungszielen, die sich in jeweiligen Menschenbildern fixieren lassen, als autoritative Ideologien ablehnt 46‘), so bleibt uns die Einsicht, daß nur eine andere Ideologie, ein anderes Menschenbild an Stelle der bisherigen gesetzt wird. Ohne fixierte Zielbestimmung gibt es keine Bildung, keine Erziehung, wie es ohne fixierte Lebensziele keine sinnhafte Existenz geben kann. Das hat mit Vergewaltigungen von Kindes-und Jugendseelen gar nichts zu tun, solange jene Zielsetzungen offen und bewußt benannt werden und der Freiheitsraum der eigenen gewissentlichen Entscheidungen immer wach 46a) wußt bleibt, was als Voraussetzung jedes pädagogischen Bezuges keiner Begründung bedarf.

Auch die neuen Leitbilder, die heute angeboten werden und offenbar bestimmten Auffassungen über die neuen Bildungsplanungen für Schule und Hochschule in weitem Feld zugrundeliegen, sind ebenso noch Bildungsziele als Lebensziele, das heißt, daß beide Zielsetzungen in notwendiger Korrelation stehen.

Nur daß diese Zielsetzungen unter dem normierenden Gewicht eines ganz bestimmten Daseinsverständnisses sich häufig genug aller tiefergreifenden menschlichen Perspektiven entledigt haben. Zugrunde liegen Lebensüberzeugungen, die in die Linie pragmatisch-mechanistischer Weltanschauungen weisen und sich als weithin determinatorisch-soziologische Weltansicht verstehen. Bildungsziele werden als „Richtpunkte für die Planskizze der Organisation der Industriegesellschaften“ verstanden also als Normen und Modelle deklariert, um mit unseren Vorstellungen die Gesellschaft zu normieren, wobei freilich die Frage offen bleibt, ob nicht vielmehr die Gesellschaft der eigentliche normierende Faktor ist. Ziel der Erziehung sei das „intellektuelle Training sozialer Rollen".

Wenn nun aber Bildungsziele immer zugleich Lebensziele sind, so greift diese zudringliche Frage moderner Reformen, wie sie heute fast nur noch mit Planungstechnik, Bedarfsdeckungsideologie und Organisationsmechanismus bewältigt werden sollen, an die Wurzel der Frage nach unserer menschlichen Bestimmung, die eine weite Skala möglicher Antworten bereit hält: Vom Menschen, der sein Leben, auch die „Bildung", nur darauf abzustellen hätte, daß er sein Leben fristen kann. Oder vom Menschen, der allein in der biologischen Ausreifung seiner Natur das Eigentliche erblickt. Vom Menschen, der Nützlichkeit und Brauchbarkeit und Fruchtbarkeit als letzte Kriterien erachtet. Vom Menschen, der die Sorge für seinen Beruf, seine Familie, seinen Staat, seine Gesellschaft, eine Gesellschaftsgruppe oder eine politische Idee oder eine Kulturidee, in die es sich hineinzuformen gilt wie in eine „inselhafte Weltanschauung“, über alles setzt. Vom Menschen, der in der geistig-seelischen Reifung zur „ganzheitlichen" Persönlichkeit ein harmonisches Lebensziel anstrebt als Ausformung seiner Individual„Kultur“. Vom Menschen schließlich, der in einer Ewigkeitsbindung dieser oder jeher Fixierung, in der gewissentlichen Verantwortung zum „Dienst", geboren aus der Erfahrung seiner existentiellen „Grenze", des mysterium tremendum et iascinans, dem Absoluten sich philosophisch oder dem persönlichen Gott religiös verpflichtet weiß. Wann aber endlich hat man den Mut zu der Einsicht, daß solche wie andere Lebensziele als Bildungsziele nicht etwa aus der Wissenschaft stammen, mit ihren Methoden gewonnen werden können? Lebensziele wie Bildungsziele sind immer schon „da", bevor sie wissenschaftlich fixiert werden. Sie entstammen vielschichtig gewachsenen Lebensformen, die dann reflektiert werden. Die Wissenschaft, hier also die pädagogische Wissenschaft, kann Bildungsziele nicht setzen, sondern nur konstatieren, um ihren vielschichtigen Ursprungsraum, ihren Bedeutungscharakter, ihren anthropologischen Wahrheits-, Wesens-und Wertbezug, ihre Wirkungsmöglichkeiten und möglichen Wirkungsgesetzlichkeiten kritisch zu erhellen. Bildungsziele als normative Leitbilder können wissenschaftlich festgestellt, aber nicht wissenschaftlich aufgestellt werden.

Diese Perspektiven sollten hier benannt werden, um zu erweisen, wie absurd der Versuch erscheinen muß, die Omnipotenz der Wissenschaft in Szene zu bringen, wenn nach der Bestimmung des Menschen und seiner Bildung gefragt wird. Solche Bemühungen gibt es. Ist doch der Dialektische Materialismus der Versuch, den Menschen und seine Bestimmung aus dem determinatorischen Gesellschafts-und Okonomieprozeß zu errechnen und Weg und Erfordernisse für seine Ausbildungen als einen naturgesetzlichen und gesellschaftsgesetzlichen determinatorischen Prozeß entsprechend einzuplanen. Aber rücken dann nicht Ost und West in diesem Bezug tast bestürzend nahe zusammen?

Hier wird daher zur Entscheidung gefragt, weil es in einer weithin brüchig gewordenen Kultur-und Bildungstradition um das geistige und mehr noch um das seelische Schicksal unserer und nicht zuletzt der jungen Generation geht. Gefragt wird nach der Lebensüberzeugung, ob es überhaupt noch übergreifende, übergeschichtliche und überindividuelle Sinn-und Werthaltungen als Richtbilder für unser Leben, für die Erziehung und Bildung gibt, oder aber ob der Mensch doch nur als ein Wesen zu betrachten ist, das seine Sinn-und Wertbestimmungen der jeweiligen Situation, der Sozialstruktur, den Ansprüchen des Lebensnotwendigsten oder des Lebensstandards, einer kollektiven Arbeitswelt verdankt. Soll also die Schule wirklich nur noch eine Vermittlungsfunktion haben zwischen der Welt des Kindes und der des Erwachsenen, in der man sich auf die Spielregeln und Organisationsformen der Industrie-gesellschaften berufskundlich und polytechnisch vorbereiten soll — eben in unbedingter Anpassung an die jeweils geltende Lebensstruktur, was heute weithin Wirtschaftsstruktur bedeutet? Gibt es doch auch noch ganz andere Perspektiven, die die Lebens-und Bildungswelt des Menschen bestimmen können. Es gibt ein Ziel der Schule, das jenen Menschen sucht und zu seiner Formung helfen will, der aus der Kraft der „selbsterrungenen Wahrheit“ lebt — ohne die Diktatur der Primitivreaktionen!

Hier dann erscheint der Zusammenstoß von „Welten" fast dramatisch. Zeichnet sich doch in der Ebene der „Bildungsplanung" notwendig der ganze Umkreis von Lebensüberzeugungen als „letzte Stellungnahmen" ab, die durchaus nicht mehr in ein planungstechnisches Schema eingehen, vielmehr auf allen Seiten das Gewicht von bewußten oder auch unbewußten Glaubensüberzeugungen angenommen haben. In diese letzten Perspektiven greift jene Tagesfrage nach „Anpassung oder Widerstand", ein Anruf zur Entscheidung, der geradezu die gewissentliche Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines Widerstandsrechts bedeuten könnte. Eine Neutralität in Bildungsfragen gibt es ebensowenig wie eine solche in letzten Lebensfragen. Wo dies behauptet wird, hat man die existentiellen Grundlagen vergessen, über denen man existiert — und auch „Bildungen" plant. Dies sollte doch immer wach bewußt bleiben! Es gibt aber dann nicht nur eine gleiche Bildungschance für alle, es sollte ebenso auch eine gleiche und freie Chance für die bildungstheoretischen Grund-konzeptionen und Zielvorstellungen geben. Die persönliche Entscheidung in diesen letzten Bezügen ist Verpflichtung. Denn viele erziehen heute schon im östlichen Geiste, wie es Eduard Spranger bestürzend benannt hat, freilich ohne dies zu merken und ohne dies zu wollen. So also kann es keine Bildung und Erziehung geben ohne den Menschen als oberstes Richtbild aller Bildungsplanung. Wo dieser fundamentale Grundsatz im Gewicht als in der Rangfolge der Ziele gemindert wird, liegt die Gefahr einer Deshumanisierung des Menschen und des Menschlichen in naher Konsequenz. Die Bildungsfrage ist nicht zuerst eine politische und kulturpolitische Frage. Das ist sie gewiß auch. Sie ist zuerst eine existentielle sinn-und seinsgebundene Frage des Menschen als Menschen, der eben mehr ist als nur eine Funktion der Gesellschaft oder der Wirtschaft, des Staates oder irgendwelcher machtpolitischer Interessen.

V. Humanität und politischer Anspruch

Humanismus und Humanität werden auch verstanden als ein Politicum mit dem Ziel, den mündigen und bewußten und entscheidungsreifen, das heißt den humanen Staatsbürger zu bilden. Die Gewichtigkeit solcher Forderungen und Bemühungen sind der Verantwortung aufgegeben. Allein was hier in Rede steht, ist die Frage nach der Verhältnisbestimmung des Politischen und des Humanen, eine Frage, die durchaus noch über den Bezug von Politik und Ethik hinausgreift. Unsere Thematik zielt unmittelbar in letzte existentielle Bezüge. Es erscheint uns dabei der Hinweis geboten, daß hinter bestimmten Bemühungen, Humanismus und Humanitätsidee unter dem betonten Horizont des „Politischen", ja auch einer „Politischen Bildung" zu sehen, die Tendenz steht, die Maßstäbe des Humanum, das von der abendländischen Tradition her bis in die Neuzeit immer irgendwie noch mit dem Divinum als dem hintergründigen Richtbild verbunden war, zugunsten einer neuen Lebensidee umzuwerten. Hierbei erscheint im Grunde — offen oder geheim, bewußt oder unbewußt — ein das Christliche ablösendes Daseinsverständnis und Wirklichkeitsbewußtsein bestimmend. Wie im Verständnis der neuzeitlichen und modernen Geschichtsphilosophie soll an Stelle des ursprünglichen religiös-transzendenten der nur-politische, soziologische, kulturhistorische Grundaspekt treten. In dieser geistig-seelischen Strukturordnung, ja in einer jedenfalls behaupteten Umschichtung der menschlichen Bewußtseinsstruktur will man das Gesetz einer notwendigen und abweisbaren Entwicklung erkennen. Erst heute offenbart damit jene seit Jahrhunderten fortdauernde Ablösung und Umgestaltung des christlich-religiösen Erbes* mit seiner Gottgebundenen " WeltrangOrdnung ihre letzte und offene lebensideologische und bildungstheoretische Konsequenz. Die Forderung nach dem animal politicum als oberstem Regulativ des Menschen und seiner Welt-beziehungen birgt jedoch die oft unübersehbare Gefahr, daß eine solche Zielsetzung nicht nur in die Nähe der alten politischen Religionen und neuzeitlicher politischer Ersatzreligionen gerät, sondern daß ebenso damit die Grenzen des Staates überschritten und einem möglichen totalen Machtanspruch die Wege geebnet werden könnten. Denn es liegt offenbar doch im Wesen des Machtcharakters des Staates, daß er von jeher die Tendenz hatte, seine spezifischen Grenzen zu überschreiten. Oft genug strebte er danach, den ganzen Menschen zu besitzen. Nikolai Berdjajew war gar der Auffassung, daß im Grunde das einzige mit dem Christentum vereinbarte Prinzip des Staates die Nominierung der unveräußerlichen Rechte des Menschen sei. „Und selbst das Prinzip der Menschenrechte", so heißt es hier, „wurde entstellt und wurde in das Reich des Cäsar mit einbeschlossen und bedeutete weniger die Rechte des Menschen als eines geistigen Wesens, als die Rechte des Staatsbürgers, das heißt eines Teil-wesens." Doch seit Erscheinen des Christlichen gibt es keine Sippe, keine Gruppe, keine Gesellschaft, keinen Staat mehr, aus dem der einzelne die Verbürgung seiner personalen Freiheit allein und unmittelbar herleiten könnte. Diese These besteht unbeschadet des naturrechtlich und auch nach christlicher Staatslehre gültig bestehenden Anspruchs des Staates als eines Gemeinwesens an seine Bürger und ihre dem entsprechenden Aufgaben und Verpflichtungen. Für die gesamte freie Welt abendländischer Herkunft bedeutet das Erscheinen des Christlichen in dieser Weltzeit jedoch die Legitimierung für den freien Entscheidungsraum des Gewissens vor und über dem Staate, eine Legitimierung, die eben nicht allein von Gnaden dieser Welt ist und darum auch nicht „von Staats wegen" allein beansprucht zu werden vermag. Dies aber bedeutet das Haltmachen des Staates vor dem Menschen als Menschen überhaupt, wie dies ebenso Eduard Spranger postulierte

So steht jede Humanitas im politischen Raum, der immer durch die Spannung von Geist und Macht gekennzeichnet ist, unter der unabdingbaren Voraussetzung und Entscheidung, daß auch der politische Bezirk und seine Idee der Humanität nicht möglich sind ohne die dominante Maßgabe des Ethos, das wiederum in seinen letzten Bezügen eine durchaus tiefere Fundierung fordert, als diese nur im politischen, ökonomischen, technologischen, pragmatischen Lebensbezirk je möglich und auffindbar wäre. Dies gilt nicht nur für die Orts-bestimmung des Politischen, wenn alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre als säkularisierte theologische Begriffe zu betrachten sind, worauf für die Breite des Säkularisationsprozesses bereits von verschiedenen Seiten hingewiesen wurde Dies gilt ebenso für die existentielle Verhaftung des Menschen als eines animal politicum. Diese immer-währende Antinomie von Imperium und Sacerdotium greift aber heute im Ringen um die Sinnfindung des Menschen in einem neuen, weithin auch manipulierten Selbstverständnis in die persönlichste Entscheidung. Denn seit Erscheinen des Christlichen konnte es keine konzentrische Verschränkung jener beiden Bereiche mehr geben, die beide immer Geistes-und Machtbereiche zugleich sind. Nur in bewußter kämpferischer Ablösung von dem christlichen Lebensverständnis konnte in autoritären Staatsformen der Versuch zu einer Aufhebung jenes dualistischen Spannungsverhältnisses von Rechtswirklichkeit und Heilswirklichkeit erstrebt werden, deren Orts-bestimmung und Geltungsanspruch sich auch in demokratischen Staatsformen in manchen Fragen zu einem Gewissenskonflikt verdichten konnte. Man denke nur an die seit der Urkirche diskutierte Frage des Kriegsdienstes oder heute an die Problematik der naturwissenschaftlichen Forschung, die sich zwischen Atomphysik und Ethik, zwischen manipulierter Humanbiologie beziehungsweise Genetik und der Menschenwürde beziehungsweise der Erfahrung einer persönlich verpflichtenden Verantwortung abzeichnet, auch für die Zielrichtung der Verwirklichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse

Auch also in der Frage nach Möglichkeit und Grenze eines Politischen Humanismus und einer dem entsprechenden Humanitätsidee verbleibt uns die unüberschreitbare Einsicht, daß das Politicum an sich keine Sinn-und Wertgesichtspunkte für den Menschen und das Menschliche zu erheben und zu begründen vermag, jedenfalls nicht solcher Art, die für den wahrhaft geistigen Menschen als tragfähig und ausreichend erkannt werden könnten. Gefragt wird auch hier nach dem sinn-tragenden höheren Wert als letztem Bezugs-grund. Selbst das Grundproblem Platons lautete doch nicht: Wie kann ich die Athener zu guten Staatsbürgern machen? Ein Anliegen, das ehedem und heute nicht nur legitim als „Politische Bildung" besteht, sondern ebenso geboten und verpflichtend ist. Sein Grundproblem aber lautete zuerst: Was ist das Gute und wie kann es in einem Staatswesen verwirklicht werden? Welche Wertrangordnung soll also gelten — auch im Hinblick auf das Politische und die Politische Bildung? Welches ist der sinntragende höhere Wert, von dem her und zu dem hin gelebt und gefragt wird? Ein solcher Existenzgrund des Menschen kann aber niemals allein in einer unbefragten Politisierung erfunden werden, vielmehr zuerst in der »Gewinnung jener menschlichen als der sittlichen Grunderfahrungen und Gesinnungen, die ein verantwortliches Leben in der politischen Gemeinschaft erst ermöglichen. Fast scheint daher jene Auffassung 53) gültig zu sein, wonach der moderne Staat, wo er am reinsten verwirklicht wurde, zunehmend den Charakter einer allgemein-verbindlichen Gemeinschaftsordnung verloren habe, was vor allem durch seine Loslösung von den höheren Bindungen an Religion und Moral zu erklären sei. Ein „moralinisches“ Relikt reicht eben nicht aus. Damit ist aber auch die Existenz des Menschen innerlich bedroht. Mit den bloßen Feststellungen von der pluralistischen Gesellschaft und ihren toleranten Rechten ist im Grunde noch gar nichts gewonnen. Bei allen Grundrechten der personalen Freiheit als Anspruch und — was oft genug außer acht gelassen wird — als Verpflichtung kann auf den „Pluralen“ allein kein Ordnungsgefüge der Gesellschaft und der staatlichen Bindung aufgebaut werden. Wie im religiösen Lebensverständnis die Erfahrung der „Grenze" das Merkmal der menschlichen Existenz anzeigt, so bestehen auch im staatlich-politischen Bereich Grenzen der Vereinzelung und der Diskrepanzen. Pluralismus allein vermag keinen Traggrund für die Menschenwürde, für eine Humanitätsidee als verpflichtenden An sprach abzugeben. Ein Minimum an fundierter Übereinstimmung, an gleichgerichteten Grundüberzeugungen als „Grundgesetz", erscheint als Voraussetzung für ein staatlich-gesellschaftliches Gefüge immer notwendig, wenn dies sich über das Gewicht von primitiven pragmatischen, utilitaristischen Lebens-maximen kommerzieller Gegenseitigkeit erheben will. Gerade im politischen Bezirk zeigt es sich, daß eine Rechtsbegründung der wesen-haft menschlichen Rechte und Pflichten auf der sogenannten rein-menschlichen Übereinkunft schwerlich möglich ist. Wo jedoch Gesetze und Halteverbote nur mehr als Verkehrszeichen aufgefaßt werden, um noch das menschliche Zusammenleben mit dem Ziel des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl unter größtmöglicher Schonung des einzelnen zu meistern — hier kann von einem organischen Staatsgebilde kaum noch gesprochen werden. Uns scheint also, daß ohne jenes geistig-seelische, eben menschliche „Existenzminimum" im Hinblick auf einen sinnhaft übernommenen Existenzgrund fundamentaler gemeinsamer Grundüberzeugungen, also ohne die Übernahme spezifisch menschlicher, das heißt hier sittlicher Gesinnungen und Verantwortlichkeiten die Politisierung des Menschen nicht zur Gewinnung einer gültigen Humanität führen kann. Nicht der brauchbare und gebrauchsfähige Staatsbürger kann doch als Ziel eines politischen Willens gelten, sondern nur der bewußte und in Freiheit sich über dem Hintergründe fundamentaler Begegnungen und Bindungen verstehende Staatsbürger. Die Frage nach dem politischen Generalnenner als nach der existentiellen und sittlichen Maßstabsgebundenheit des Politischen überhaupt erscheint aber dann als die unerläßliche Vorentscheidung eines jeden Politischen Humanismus, um die in steter Bemühung zu ringen ist.

Die unbedingte Vorrangstellung des Politischen und des Politikers, auch in Fragen existentieller, fachkundlicher oder gar wissenschaftlicher Voraussetzungen und Bedingtheiten, muß jene zeitübergreifende Frage nach der Verhältnisbestimmtheit von Macht und Geist, unter Einbeziehung des theologischen Bezirks von Macht und Gnade, heute in neuer Prägnanz stellen. Es konnte schon an anderer Stelle benannt werden 54), daß die Verweisung des wissenschaftlichen Forschers, ja des Fach-und Sachkundigen überhaupt, in jene „Dienerrolle“ nur durch die Erniedri53) gung des Wissens zur pragmatischen Größe je gelingen konnte. Mit dem Übergewicht einer bestimmten öffentlichen Spielregel, wonach der Mensch nicht mehr als Mensch, als „gebildete“ Persönlichkeit in Geltung steht, sondern als brauchbare, „versierte“ Persönlichkeit, als Funktionär in einem politischen, ökonomischen, juridischen Organisationsmechanismus, vermag unsere heutige Situation weithin bezeichnet zu werden. Diese Feststellung hat mit jenen psychologischen Motivationen, die Entfremdung zwischen den Intellektuellen und der gesellschaftlichen oder politischen Macht in dem „Komplex" des „Sich-zurückgesetzt-fühlens", des zum Zuschauen Verurteilten zu erblicken, nichts zu tun. Dies ist gewiß heute ein gewichtiges Problem, das nicht ernst genug genommen werden kann Allein für unseren Zusammenhang handelt es sich um die Erfahrung eines Verantwortungsbewußtseins, das sich mit einer „Dienerrolle" nicht begnügen kann und darf. Hier erscheint auch eine der Grenzen der demokratischen Spielregeln, dort, wo oit fachlich nicht kompetente Parlamentarier in einem spezifischen Selbstverständnis die Rolle des Fachkundigen übernehmen wollen oder auch übernehmen müssen. Der dominierende Anspruch des Politischen in Fragen menschlich-existentieller Bezüge und Entscheidungen, etwa auch in prinzipiellen Bildungsfragen, könnte aber zu gleich die Kompetenz der demokratischen Möglichkeiten im Hinblick eben auf jene fun-damentalen Bezüge des Menschen und des Menschlichen überschreiten, wovon die Rede war. Das grundsätzliche In-Frage-Stellen der weltanschaulichen Abstinenz des Staates zeigt immer notwendig schon den Weg an zur Totalisierung der Macht und damit zur autoritären Überspielung und Degradierung des Menschen — des Menschen als Menschen. Josef Bern-hart hat die ernste Frage gestellt, ob es Zufall oder Notwendigkeit sei, daß die Epoche der absoluten Selbstmächtigkeit des Menschen auch den Staatstotalismus hervorbringt, und es macht für den Ruin der Persönlichkeit dann keinen Unterschied mehr, ob die Konstruktion des absoluten Staates im Namen des Geistes oder der Materie oder der Gesellschaft erfolgt, wenn die Person nur noch als Moment, als anonyme Kraft im Naturgeschehen oder im Gesellschaftsprozeß verstanden wird. Auf die Relation kommt alles an, unter der der Mensch als solcher gesehen werden soll. Gibt es doch nicht nur eine Relation „nach oben hin"; der Mensch also als von Gott her bezeichnetes Wesen — auch nicht nur eine Relation „nach unten hin"; der Mensch als Animalischen, Biologischen bezeichnetes Wesen. Jene Relation, die hier in Rede steht, bezeichnet die Frage, inwieweit der Mensch als gesellschaftliches Wesen der jeweiligen Gesellschaft, der Mensch als Staatsbürger dem jeweiligen Staate in Fragen seines existientiellen Lebens-verständnisses zu seiner Überantwortung verpflichtet ist und verpflichtet werden kann.

VI. Die Rolle der Religion im modernen Existenzverständnis

Es erscheint heute der Versuch, die religiöse Sphäre als „Privatsache" aus dem Zusammenhang mit den übrigen Lebensbereichen auszuklammern, als eine typische Erscheinung. Damit wird durchaus hinter jenen, in einem totalen religiösen und organisch-strukturellen Zusammenhang sich verstehenden Sinn-und Lebensbezug zurückgegriffen. Und dies in einem bewußt außer-oder auch gegen-christlichen Lebensverständnis. Es bedeutet eine Primitivisierung in der „Entwicklung“ des menschlichen Selbstverständnisses mit seinem ünvermögen eines ganzheitlichen Lebens-und Sinnbezuges, was geradezu erregend ist. Jene Lehre von der Eigengesetzlichkeit aller Lebens-, Kultur-und Geistesbezirke hat weitgehend des Blickpunktes benommen, daß sekundäre Bereiche nur von den Urgründen als letzten Sinngehalten und — worauf es ankommt — als verpflichtenden Moralen her zu gewinnen sind. Bedeuten doch alle hohen Ideale der Menschlichkeit, der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, der Freiheit vor dem sogenannten „höheren Gebot der Stunde“ nichts, sofern ihre existentielle als ihre sittliche Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit nicht zuerst in außen-und übermenschlichen Ordnungen verankert sind. Mensch-sein, verstanden nur als homo faber, homo laborans, homo oeconomicus, homo sociologicus und so fort, erfährt sich nicht als Verpflichtung. Denn nur vor dem Anspruch einer personalen Transzendenz wird die Forderung sittlichen Tuns und Verhaltens hinreichend in der Verantwortlichkeit begründet. Hier aber erscheint auch der Ort zu der Entscheidung für eine künftige Auffassung vom Menschen und von Menschenbildung: In der Frage nach den spezifischen Merkmalen des Menschen, seines „Oben" und „Unten" in der Seinsordnung, in der Wertrangordnung, in der Sinnordnung, in der Heilsordnung.

Damit erreichen wir die eigentliche Mitte des Fragens und Bemühens um die spezifischen Merkmale einer tragfähigen, das heißt hier dem Menschen wesensgemäßen Idee der Humanitas. Wie eine Wegmarkierung der Entscheidung könnte es gelten, wenn Sigmund Freud 56a) an Marie Bonaparte schreibt: „Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank." Religion wurde zum neurotischen Relikt, über eine solche Feststellung ist nicht mehr zu rechten. Sie steht als letzte Stellungnahme in sich selbst. Allein die Sinnfrage unserer Existenz wird — sofern sie gestellt wird und als zentraler Ausweis unserer Menschenwürde und Merkmaligkeit angesehen werden muß — immer nur als unsere Weltanschauung eine totale Stellungnahme mit einem totalen Maßstab für alle Bereiche unseres persönlichen Lebens bedeuten müssen. Wenn aber das Religiöse noch überhaupt einen Stellenwert haben soll, dann hier wie zu allen Zeiten nur als oberstes Richtbild aller sonstigen möglichen Bezüge. Die religiöse Sinndeutung, Lebenserhellung und Lebensgestaltung als der Lebensgrund für die Weltanschauung eines Menschen kann nur wesenhaft Seele und Mitte seiner ganzheitlichen Existenzgründung sein Richtbild und Maßstab für alle Fragen und Bereiche des Daseins — oder aber sie ist als „Privatsache'oder als Konvention oder als Machtfaktor oder gar nur noch als Opiat zur Regierung des Staatsbürgers schon wesentlich aufgegeben. Hier dann erscheint auch die Entscheidungssituation für die Bestimmung über den Humanismus und die Humanität. Der Überzeugung, daß der Mensch erst von Gott her weiß, was Mensch sein heißt, daß er erst im dialogischen Bezug zu einem personalen Gott auch sich selber als Mensch findet, steht eine große neuzeitliche Gegenkirche gegenüber. Ihre Dogmatik reicht von den unspezifischen, unpersönlichen Gottesvorstellungen bis zu der Forderung, daß es keinen Gott geben könne, wenn der Mensch ganzer Mensch sein soll, das heißt, daß die absolute Freiheit des Menschen ihn als solchen bestimmt. Für einen solchen postu56a) latorischen Atheismus stehen die Namen Friedrich Nietzsche, Max Scheler, Nikolai Hartmann unter anderen. Jean Paul Sartres bezeichnender Buchtitel: «L'existentialisme est un humanisme» fixiert dieses Lebensverständnis. Sollte wohl mit dem Angebot des Nobelpreises an Sartre nur sein literarisches Werk gekrönt werden? Oder meinte man, daß sein neues Evangelium vom Menschen ohne Gott die neue Zeit charakterisiere? War aber nur sein literarisch-philosophisches Werk gemeint, so erscheint hier deutlich jene Überbewertung der künstlerischen Aussage, die wegen ihrer künstlerischen Gestalt allein schon Anspruch auf die höhere Wahrheit zu erheben habe. Dies ist jenes katastrophale Mißverständnis, das — zumal bildungstheoretisch — bis heute die Gabe der Unterscheidung hier wie für alle hohen literarischen Werke, etwa der Goethezeit, vermissen läßt. Die hohe Form entscheidet hier für viele unkritisch auch über die Wahrheit des Inhalts.

«Le Christianisme est etrange», sagt Blaise Pascal: Das Christliche liegt dem Menschen nicht. Die Offenbarung als der Einbruch einer „ganz anderen" Welt wird weithin als fremd und erschütternd empfunden. Wohl noch niemals schien jenes " anima naturalita christiana" Tertullians — das seelische Sein des Menschen sei von Natur aus auf das Christliche angelegt und hingeordnet — so grundsätzlich in Frage gestellt wie eben heute. Was heute unsere Situation bezeichnet, ist die immer noch fortschreitende Herauslösung des Menschen aus dem christlichen Existenzbewußtsein, was durchaus mehr besagen soll als die korrekte Zugehörigkeit oder gar die konventionelle Inanspruchnahme der Kirche bei einigen Stationen des Lebenslaufes, wie bei der Geburt, der Eheschließung, dem Tod. Ja, man hat von einer Abwanderung des Nervösen vom Seelsorger zum Nervenarzt gesprochen Eine zwar noch traditionell übernommene und in statistischer und machtpolitischer und konventioneller Gültigkeit stehende Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession mußte notwendig zur Unechtheit, ja für viele zur geheimen Lebenslüge schlechthin führen. Nimmt man Christentum wirklich noch ernst, eben im Sinne der Bekenntnisse der beiden großen Konfessionen als existentielle, das heißt den Menschen in seiner Tiefe erfassende Heilsbotschaft, so bleibt gewiß nur noch eine „kleine Herde" gegenüber jenen Massen, die außerhalb dieses Lebensbekennt-nisses stehen und im Grunde eine vielschichtig schwer bestimmbare „dritte Konfession" bilden. Karl Jaspers 59) sieht für die Masse „eine Welt vollkommener Glaubenslosigkeit, in ihr die Maschinenmenschen, die sich und ihre Gottheit verloren haben", heraufziehen. „Was christliche Kultur und bestätigende Tradition heißt", so prophezeit Romano Guardini „wird an Kraft verlieren." „Die Einsamkeit im Glauben wird furchtbar sein. Die Liebe wird aus der allgemeinen Welthaltung verschwinden" (Matth. 24, 12). „Sie wird nicht mehr verstanden noch gekonnt sein." Allein dem theoretischen Atheismus des Ostens entspricht doch im Westen längst schon ein zumindest verbreiteter praktischer Atheismus. Christentum wurde zur Randerscheinung des persönlichen und öffentlichen Lebens, wo es ohnedies peinlich genug ist, wenn hier von jenen Perspektiven offen gesprochen wird. Der moderne Mensch sieht sich einer Situation gegenüber, die zuerst von Friedrich Nietzsche erkannt und als der Einbruch des Nihilismus, das heißt nach ihm „die Entwertung der obersten Werte", verheißen wurde. „Für das Nichts Gott opfern — dieses paradoxe Mysterium der letzten Grausamkeit bleibt dem Geschlecht, das eben jetzt heraufzieht, vorbehalten." An die Stelle eines Bleibenden im menschlichen Sinnbezug tritt in der seelischen Erfahrung das Nichts, die seelische Leere, die Verzweiflung, die Langeweile, die beklemmende Einsamkeit, die hektische Sucht nach Abwechslung, Vergnügen, Versicherungen, die Angst vor der Sinnlosigkeit, die Flucht vor sich selbst aus Angst, zu sich selber, zu seiner eigenen Verlegenheit und Bodenlosigkeit kommen zu müssen. Immer steht jetzt dieser Mensch allein in seiner Welt und nur auf sich angewiesen. Immer steht er vor dem Nichts, wenn er sich nicht bewußt für eine bestimmte Weltanschauung entscheiden kann, wenn er sich seine Weltanschauung nicht selbst-schöpferisch erst ermöglicht 61). Gewiß darf eine solche existentielle Situation auch als echt und daher als positiv angesehen werden, weil der Mensch selbst zur Abkehr von seinen unechten Lebensbeziehungen „verurteilt", zu seiner unbedingten Entscheidung aufgerufen wird. Der geoffenbarte Gott der Güte und der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens, wie ihn das christliche Glaubensbewußtsein versteht, ja insbesondere das My59) sterium des Vertrauens in einen göttlichen Weltplan als Heilsplan für die Menschheit wurde für viele zur tiefen Fragwürdigkeit. Das Schicksal, der „Prozeß" trat an die Stelle des Glaubens an die Vorhersehung und Lenkung des persönlichen und geschichtlichen Lebens durch einen persönlichen Gott — und dies auch weithin im christlichen oder noch vermeintlich christlichen Lebensraum. Eine ganze noch so differenzierte Gegenkirche findet sich in der einen Glaubensformel zusammen, die weithin den privaten und öffentlichen Geist, die Wissenschaft vom Menschen und von der Natur, von der Kultur und der Geschichte beherrscht: sie sagt vom letzten Grunde „Es", nicht „Er" — sofern sie sich überhaupt noch zu dieser Frage zu erheben vermag. Neben den primär triebgebundenen oder den prozeß-gerechten Menschen tritt der unpersönliche, sich selbst ausringende „werdende" Gott — das eigentliche Mysterium säkularisierter Theologie

Das Streben des Menschen nach Selbstformung aus eigenen Kräften trat im neugewonnenen Verständnis an die Stelle des christlichen Glaubens als der Weg des geistig freien Menschen, der von Künsten und Wissenschaften allein alles erhält, dessen er zum Leben bedarf: „Der moderne areligiöse Mensch nimmt dabei eine neue existentielle Situation auf sich: Er betrachtet sich nur als Subjekt und Agens der Geschichte . . .; er akzeptiert keine Art von Menschlichkeit außerhalb der menschlichen Verfassung, wie sie sich in den verschiedenen geschichtlichen Situationen erkennen läßt. Der Mensch macht sich selbst, und er kann sich nur wirklich selbst machen in dem Maß, als er sich selbst und die Welt desakralisiert ... Er kann nicht wirklich frei sein, ehe er nicht den letzten Gott getötet hat." Dennoch aber verfügt er noch über eine ganze „verkappte Mythologie und viele abgesunkene Ritualismen"; er bewahrt immer noch Spuren vom Verhalten des religiösen Menschen, wenn auch diese Spuren ihrer religiösen Bedeutung entkleidet sind. Der Kampf um die Humanitätsidee führte dabei zu tragischen Folgen. Der Mensch befreite sich zwar, um ganz und nur Mensch sein zu können, von der Religion und und damit von dem Glauben an überweltliche Kräfte und Mächte; unabhängig wollte er werden und sein Schicksal selbst bestimmen. Doch da geschah das Paradoxe: Dieser Mensch geriet in eine neue, zudringliche Abhängigkeit von anderen übermenschlichen und außermenschlichen Gewalten, von dem Geschichts-, Kultur-und Zivilisationsprozeß; er geriet in das Eingespanntsein in eine seine freie Persönlichkeit fast ertötende Sozialstruktur — soziologisch, geistig, ökonomisch, technologisch, seelisch, sittlich verstanden. Die eigentliche Paradoxie heutigen Selbstverständnisses findet sich jedoch in der Antinomie eines „mythischen'oder eines rational kritischen Lebensgrundes. Im selben Maße, wie alles „Mythische" durch die kritische Distinktion aufgezehrt wird, erscheint die betroffene Erfahrung, daß überall dennoch „mythische Reste" stehenblieben, ja daß man offenbar ohne einen solchen letzten Rest als Mensch gar nicht zu existieren vermöchte, daß es also ein Dasein ohne Glauben gar nicht gibt. Daß dieser moderhe Mensch nicht völlig irreligiös ist, daß sich vielmehr seine Glaubenskräfte säkularisiert haben, an Stellen, wo sie gar nicht mehr als religiös ins Bewußtsein kommen, — diese These Eduard Sprangers 64) wäre hier erwägenswert.

Dieses Spannungsfeld zwischen „Mythos" und „Logos“ und zwischen Gottförmigkeit und Selbtförmigkeit umschließt letztlich das Schicksal des abendländischen Menschentums überhaupt. Lebensüberzeugung kann es daher heute nur als Bekenntnis, das heißt als Entscheidung und Stellungnahme zu einer ganz persönlich gewonnenen und erlittenen Sinngebung des Daseins geben, als eine gereifte Entscheidung auf der Höhe des Lebens. Vieles, dem wir nicht entgehen können, das uns aber innerlich nicht mehr bindet, fordert uns im Gegensatz zu einer Beruhigung bei „angeborenen Erkenntnissen" in diese unabdingbare Wahl:

uns bewußt und mit Willen für einen bestimmten Lebensstil, für konkrete Sinngebungen zu entscheiden oder als „gefesselte Flüchtlinge" 65) unter dem Preis der Unechtheit des Lebensstils einen Weg zu beschreiten, den unter dem Preis der Unechtheit des Lebensstils einen Weg zu beschreiten, den wir weder wünschen noch wollen noch überzeugungsmäßig zu übernehmen bereit wären.

Denn es gibt kein Ausweichen mehr in „verkappte Religionen", auf die Dauer keine „Flucht vor Gott" keinen Rückzug in die 64

Entscheidungslosigkeit einer neutralen Sphäre, „kein schöngeistiges Naschen an der furchtbaren Wirklichkeit der Religion, mit dem die Kulturmenschen sich belügen" Dieser unbedingte Zwang in die letzte Entscheidung aber erscheint zugleich als das große Positivum dieser Zeit, die ein klares Entweder-Oder abfordert.

Das Christentum war im Mittelalter und auch noch im 19. Jahrhundert die herrschende Religion. Heute ist dies nicht mehr zutreffend. Es ist zwar noch offiziell die Religion der Mehrheit der Bürger, doch ein religiöser Agnostizismus scheint die durchgehende Haltung zu sein, von substantiell orientierten Menschen und Gruppen abgesehen. In einer Umfrage von Theophil Thun über die religiöse Entscheidung der Jugend tritt in einem überwiegenden Teil der Aussagen die religiöse Krise unserer Zeit bestürzend zutage. Ressentiment und Auflehnung gegen die überlieferte Religion werden sichtbar. Eine weitere zahlenmäßig gleichfalls bedeutende Gruppe ist gekennzeichnet durch ihre differente Haltung, die von der Gleichgültigkeit bis zum unentschlossenen Schwanken reicht. Und schließlich findet sich eine regiliöse Elite, die, obschon in der Minderheit, sich durch besondere geistige und seelische Reife auszeichnet. Ob man wohl aber gerade in diesem religiösen Bezug nicht endlich auch von den quantitativen Perspektiven loskommen sollte, die den Einschätzungskurs des „religiösen Lebens“

immer noch beherrschen, obwohl sie keineswegs ein gültiges Bild abzuzeichnen vermögen?

So recht eigentlich ohne Gottes Hilfe Mensch zu sein — dies darf als Charakteristikum der Moderne erscheinen: daß diese Menschen nur noch um eine Selbsterlösung ringen, daß das Heil des Menschen im Menschen und um des Menschen willen, nicht mehr in Gott und um Gottes Willen gesucht wird, nicht mehr als Befreiung von Sünde und Schuld. Dies aber erscheint dann zugleich als die historische Konsequenz jenes autonomen „Humanismus", der einst verheißungsvoll im Zeichen der Humanitas aufbrach: die Vergöttlichung des nur innerweltlichen Geschichtsprozesses, die Heiligsprechung nur diesseitiger vorletzter Wert-setzungen in der so vieldeutigen Kategorie des „Fortschritts", der in der Säkularisierung der christlichen Eschatologie aus der Sphäre der Transzendenz in die natürlich-gesetzmäßig-so-67 ziologische Konzeption der Immanenz versetzt ward; es sind dies Wertsetzungen, die jedoch den totalen Anspruch auf den ganzen Menschen, auf seinen Leib, seine Kraft, seinen Geist, seine seelische Lebensbeziehung erheben. Nun aber dreht sich dieser Mensch immer nur in immanenten Bezirken, ohne einen tragenden Beziehungsmittelpunkt erreichen zu können

Unter einem solchen Horizont muß die Frage nach dem Schicksal, dem Bedeutungscharakter und der Wirkkraft eines religiös bestimmten Humanismus und dieser Humanität in der modernen Welt fast beklemmend erscheinen. Wenn die Prämissen nicht mehr tragen, was sollen dann die Deklarationen und Forderungen und Beschwörungen? Bleiben sie dann nicht notwendig ohne verbindliche Verpflichtung, der Mensch aber selbst ohne verpflichtende Verantwortung? Was heute dringend erscheint, ist nicht so sehr die feierliche Deklamation der Freiheit und Würde des Menschen, vielmehr ihre Verankerung und überzeugende Fundierung inmitten der Brüchigkeit unserer Wert-systeme in einer pluralistischen, ja im geistig-seelischen Tiefenbezirk oft schon „grundlosen" Gesellschaft. Die unabdingbare Freiheit der Religion im öffentlichen Leben sollte dabei ebensowenig heute noch einer besonderen Begründung bedürfen wie die Unverletzlichkeit und Respektierung des persönlichen Gewissensentscheids als Religionsfreiheit des einzelnen.

VII. Christentum und Humanismus im modernen Bewußtsein

Für das abendländische Bewußtsein zentriert bis heute die Frage nach Sinn und Wert der humanistischen Lebens-und Bildungsidee und damit der Humanität über dem Spannungsfeld von „Humanismus und Christentum“. Und wenn die Zeichen nicht trügen, so scheint heute die Frage um Christentum und beziehungsweise oder Humanismus zum inneren Anliegen geworden zu sein — und dies auch in katholischer Ebene als die nicht mehr aufhebbare brennende Frage nach der kategorialen Unterscheidung von Hellas und Evangelium, von dem homo Ciceronianus und dem homo Christianus, von Außerchristlichem und Christlichem, ja auch von welthafter Philosophie und christlich-religiösem Glaubenswissen.

Eine solche Thematik aber führt notwendig zurück in den griechisch-biblischen Ursprungs-raum. Die Frage lautet: Bestehen etwa schon im „Ansatz" der beiden Positionen unaufhebbare Gegensätze? Oder kann von einer Synthese als von einem „christlichen Humanismus“ gültig gesprochen werden? Zur Fundierung solcher Antworten bedürfte es einer eingehenden Bemühung um die grundsätzliche Erhellung jener beiden Bedeutungsfelder, eine Problematik, die in diesem Zusammenhang nur angedeutet werden kann. „Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen, was die Heiden mit den Christen, was die Akademie mit der Kirche?" — diese antihumanistische Anklage Tertullians war ein Programm, das über die Jahrhunderte durch-hielt bis zu Martin Luther, Sören Kierkegaard und Karl Barth. In scharfer Antithese definiert dann Absalon von St. Victor daß sich der Geist Christi und der Geist des Aristoteles schlechthin ausschließen. Und in der Neuzeit sind die Thesen nicht mehr verstummt, die in der Graecisierung des Christentums eine Verfälschung des Evangeliums erblicken wollen. Hellas und Evangelium sind zwei Welten, die in ihrem jeweiligen existentiellen Ansatz anders geartet sind. Und in dieser kategorialen Andersartigkeit liegt die Problematik einer Synthese oder gar Symbiose: daß es eben nicht zwei Urerfahrungen oder Denkformen oder Denkinhalte sind, die man einfachhin miteinander vergleichen oder harmonisieren kann, was in einer eigenen Monographie näherhin eingehend begründet werden konnte Dies jedenfalls scheint gewiß: die Grenzlinie des „Ursprungs" mit einer oft nur äußeren Übereinstimmung zu assimilieren, birgt in hohem Maße die Gefahr, über dem „Schema" von Stoff und Form, Idee und Gewand, Idee und „Traggrund" das eigentlich Christliche in einem „Christlichen Humanismus" zu verlieren. Darum steht jeder Humanismus christlichen Bedeutungsanspruchs in jeder seiner existentiellen oder philosophischen Entscheidungen unter dem Gericht der „Torheit des Kreuzes": „Die Griechen suchen Weisheit, wir aber predigen Christum, den Gekreuzigten . . Hier dann stellt sich jene Problematik ganz scharf: Gibt es für den Christenmenschen als einen im christlichen Existenzbewußtsein sich verstehenden Menschen noch ein Menschliches, das in sich und für sich und durch sich selbst besteht? Gewiß ist, daß das Humanum sich nicht einfachhin verleugnen läßt, denn der Mensch bleibt auch im Christlichen Mensch, der auf seine humanen Möglichkeiten nicht verzichten kann, ohne sich selbst und also sein Gott-gegebenes Menschsein aufzugeben Jene jeweils die Positionen trennende Frage lautet: Schließt die Entscheidung für das Menschsein das Christsein aus oder schließt die Entscheidung für das Christsein das Menschsein aus oder aber haben Humanismus und Christentum einen gemeinsamen Generalnenner?

Auf jene exklusive Frage Tertullians „Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen?“ hat auf dem Philosophenkongreß in Neapel im Jahre 1926 Etienne Gibson also geantwortet: „Der Mensch, jene unteilbare Einheit von Leib und Seele, die gewiß ohne dies Christentum sich nicht selbst erlösen konnte, ohne das Christentum aber auch nichts vorgefunden hätte, was es hätte erlösen können".

Auch heute noch erscheinen in vielen Präambeln zur staatspolitischen und pädagogischen Planung programmatisch die Geistes-mächte des Humanismus und des Christentums. Allein schon vor dieser Besinnung erhellt der ganze Umkreis der Fragwürdigkeiten, bleibt eine verbindliche Entscheidung über ein so beschworenes Richtbild vom Menschen weithin offen. Denn was bedeutet heute dem abendländischen Menschen Humanismus? Eine gelehrte Erfassung der griechisch-römischen Antike? Oder die Pflege eines antiken „Humanitätsideals" im Zusammenhang mit dem Studium der antiken Sprachen und Kultur? Oder jener „Advent", der zu Christus führte? Oder ist der Humanismus das verlöschende Licht von Hellas, das verstreuten einzelnen noch geliebter Besitz ist, aber nicht mehr geglaubt und nicht mehr gelebt wird, wie dies Ernst Robert Curtius verkündet? Soll heute der atheistische Existentialismus als Humanismus gelten, in dem der Mensch nur selbst seine „Freiheit" sich erobert und aufbaut, wie dies Sartre proklamiert? Oder aber meint man jenen von der Renaissance emporgetragenen Bewegungsimpuls als eine neue Weise des humanen Selbst-und Weltverständnisses? Dann schließt jener Kampf um ein neues Menschenbild auch jene Änderung des Richtungssinnes ein, der als beginnende Wende von der Transzendenz zur Immanenz, zum Primat des Individuellen zu kennzeichnen ist Wie tief diese Richtungsänderung des Selbstverständnisses in dem Nominalismus der Spätscholastik mit seiner freilich schon weit in der mittelalterlichen Frühzeit gründenden Tendenz zur „Individualisierung“ verhaftet ist, bedarf heute keiner Begründung mehr. War diese Bewegung einmal in ihre Wirkfolge entlassen, wie in den Lauf einer offenbar unabänderlichen Gesetzmäßigkeit der geistesgeschichtlichen Entwicklung überhaupt, mündete sie ebenso notwendig in eine schließlich bewußte Gegenströmung gegen den objektiven, in Gott gefügten Ordo mittelalterlicher Seinsauffassung und einer so verstandenen Seins-und Wertsicherung. Ob freilich dieser Ordo die einzige als die allein genuine Möglichkeit wesenhaft christlichen Selbst-und Weltverständnisses bedeutet, bleibt eine ganz andere Frage, die seit dem reformatorischen Erbe und den Bemühungen der Gegenwart um ein neues Ordnungsbild in der modernen Kunst und anderswo zu dem existentiellen Problem des Menschen überhaupt werden konnte. Im modernen Begreifen aber zeichnen „Humanismus und Christentum“ zwei Leitbilder vom Wesen des Menschen, zwei „idealtypische Grundmöglichkeiten", die in ihrer vor dem Psychotherapeuten vielleicht mehr noch als dem Seelsorger und Lehrer offenbar werdenden inneren Zerrissenheit die Problematik unseres Daseinsverständnisses und unserer derzeitigen Verlegenheit zur Gewinnung eines Maßstabes für ein Lebensziel als Bildungs-und Erziehungsziel anzuzeigen vermögen. Der Psychotherapeut wollte hierbei gar von einer „Konfliktsneurose" 76) sprechen. Die das gesamte neuere Geistesleben beherrschende Diastase von Humanismus und Chri-stentum, Idealismus und Christentum 77) offenbart heute ihre letztgültige Konsequenz. Hier werden die Entscheidungen fallen, die ebenso die Frage nach der Kategorie eines „Christlichen a priori" beteiligen wie die Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen Christentum und „Geschichtlichkeit“, zwischen dem Humanismus, der Humanitätsidee, dem antik-mittelalterlichen Weltbilddenken mit seinen wesenhaft griechisch-philosophischen Kategorien und dem Neuheitserlebnis des „ganz anderen“ im Christlichen

Die Polarität von Antike und Christentum, im heutigen Bedeutungssinne von Humanismus und Christentum, bestimmt auch noch in unserer neuen soziologisch-technologischen Perspektive im Grunde die Thematik um Idee und Ethos der menschlichen Persönlichkeit — bis hinein in den katholisch-protestantischen Gegensatz, der nicht nur als historisches oder theologisches Phänomen, sondern auch als ein religionsgeschichtliches oder gar als ein charakterologisches Urphänomen betrachtet werden müßte, was häufig wohl übersehen wird

Und das Christentum? Meint man das katholische oder das lutherische, das idealistisch-ethische oder das liberale? Oder nur das aus Tradition noch überkommene nominelle, das nicht mehr fragt oder zu fragen wagt nach seinem eigentlichen „Grund" und Sinn? Und nach einem jeweiligen Vorverständnis wäre schließlich mit Carl Gustav Jung zu fragen: Ist die Christianisierung des Abendlandes, sofern man darunter eine Christianisierung der Einzelseele versteht, nicht aber nur die Gewinnung eines mehr oder minder kollektiven Machtbezirks, wirklich gelungen? — Man hat dabei von einer verhängnisvollen „Zweigleisigkeit" im modernen Bewußtsein gesprochen, jenem Dilemma, das den Menschen zwischen die religiös-kulturelle Tradition und ein neues naturwissenschaftliches Weltbild stellt in die persönliche Fragwürdigkeit. Christentum wird hier oft genug nicht mehr als Fundament, eher als Fiktion eines vergangenen Lebens-und Daseinsverständnisses erfahren, als Ferment, wozu es — wie man sagt — nur noch in der Form der Sehnsucht oder des Selbstbetrugs einen Zugang geben kann, eben als eine Wirkkraft neben anderen stärkeren Wirkkräften.

Es darf nun aber in einem grundsätzlichen Verständnis die fundamentale Andersartigkeit der christlichen und der modernen Persönlichkeitsidee nicht übersehen werden. Während das christliche Individuum zur freien Persönlichkeit wird, indem es sein bewußtes Ich im Sinne dieser seiner Beziehung zu Gott versteht, bedeutet dem modernen Menschen weithin Persönlichkeit nur noch eine rein menschliche Kategorie als Individualität, wie sie sich selbst in ihrem Tun oder ihrer Eigenart äußert. Hier hätte auch der Persönlichkeitsbegriff der Deutschen Klassik, etwa Goethes und Humboldts, seinen Stellenwert, wenn vom Menschen als einem „in sich ruhenden und sich selbst genügenden Individuum" die Rede ist. Eine solche autonome oder auch psychologische Bestimmung der „Persönlichkeit" schließt jedoch keine Verantwortlichkeit des Ich gegenüber einer höheren Macht mehr ein. Wo aber eine so verankerte Verantwortlichkeit nicht mehr als bindende Verpflichtung empfunden wird, als unbedingte Bindung des Gewissens, steht zwischen einem genuin christlichen und jenem neuzeitlichen Persönlichkeitsideal eine unüberbrückbare „Welt". Der Ich-bezeichneteMensch, wie ihn auch noch heute die neuhumanistische Bildungsidee versteht, steht dem Christlich-Eigentlichen entgegen. Wenn für Sokrates im Mittelpunkt das Problem, für Augustinus aber der Bruch stand, so in dem . reinen" Humanismus die Selbstherrlichkeit der humanen Persönlichkeit als Macht-und Bildungsmensch. Persönlichkeit wurde jetzt zur Hochform der Individualität

In seines feinsinnigen Analyse hat Heinrich Weinstock „Wahrheit und Trug im abendländischen Menschenbild“ unterscheiden wollen, indem von einer „Tragödie des Humanismus" gesprochen wird 82). Gemeint ist jener „absolute Humanismus", der nach einem „Unbedingtheitsidealismus" in einer durchaus bedingten Welt strebt und dadurch die Menschenbildung in eine eingebildete, unreale Perspektive stellt. Möglich erscheine daher nur ein gebrochener, realer, bedingter, tragi-scher Humanismus, da auch der Mensch ein tragisches Lebewesen sei. Dieser Angriff zielt letzthin bewußt auf den zentralen Punkt auch unseres heutigen bildungsphilosophischen Denkens, in dem wirkliche Entscheidungen über den Geist und die letzten Stellungnahmen in unserem erzieherischen Tun fallen.

Luther und Erasmus sind die Eckpfeiler im Hintergründe dieser Entscheidung — Mensch als von Gott her erlöstes Wesen oder Mensch als sich selbst erlösendes Wesen. In dieser Alternative wird gewiß die eigentliche Entscheidungsstelle für den heutigen Menschen erreicht, der im Grunde nur noch zwischen zwei Religionen zu wählen hat: ob alles Heil von Gott erwartet wird oder ob das Heil vom Menschen selbst her erwartet werden kann. Wenn der Glaube an den Geist als das Unbedingte, also an den absoluten Humanismus als Illusion, als Unglaube und Irrglaube gelten soll, wenn die Leugnung der Erbsünde — wie dies Heinrich Weinstock meint — die eigentliche Sünde des abendländischen Humanismus gewesen ist, so gewinnt diese Folgerung an bedrohender Konsequenz: „Das humanissimum des homo sapiens, diese göttliche Mitgift, verwandelt sich unversehens in teuflisches Gift, wenn der Mensch sein ganzes Heil von ihm erwartet." Hier aber erscheint ebenso der Tiefengrund einer im deutschen Bildungsraum noch keineswegs bewältigten, ja kaum noch ernsthaft angegangenen kategorialen Unterscheidung.

Die neuhumanistische Bildungsidee lebte als Lebensidee von ganz bestimmten religiösen Ursprungs-und Bedeutungsfeldern, die mit der existentiellen Andersartigkeit des genuin christlichen Bildungsverständnisses als dem Sinnverständnis dessen, was hier „Menschenbildung" heißen kann, kaum eineunbeschwerte Übereinkunft zu finden vermag. Hier läge eine zentrale Aufgabe heutiger pädagogischer Besinnung als einer kritischen Unterscheidung, ja als Entscheidung über eine noch unbewältigte geistesgeschichtliche Vergangenheit, eben von einer je fixierten maßstableihenden Standortgebundenheit. Die bedrängende Frage, was denn für ein christliches Bewußtsein im Bildungsraum als verbindliche inhaltliche Datierung noch bleibt, ist bisher kaum als bedrängend erfahren worden. Hier aber wird auch ebenso deutlich, in welche fundamentalen Ebenen die Fragen nach den strukturellen Merkmalen unseres Bildungsgutes, ja auch die Problematik des als Rettungsinsel oft empfundenen Humanistischen Gymnasiums wie im Grunde aller Bildungsinstitutionen hineinzielen. Die Komplexität unserer „abendländischen Kultur" mit ihren differenten traditionellen Vor-und Richtbildern läßt sich im akademischen Gespräch interessant diskutieren. In der Schulstube jedoch fordert sie uns eine Entscheidung ab, wenn nicht das Wesentliche und Eigentliche aller Bildung, die Frage nach dem Kriterium des wesentlichen Maßstabs des einzelnen im Gesamt des Ganzen nicht außer Betracht bleiben soll. Dann aber bedeutete Bildung doch letzthin nur das Angebot aller möglichen diffusen Relikte.

Was aber soll die Rede von der „wohlerwogenen Erschließung des Ganzen", wenn keine eindeutige Fixierung des Kriteriums für dieses „Ganze" als letztgültigen Lebens-bezug bezeichnet wird. „Das Ganze ... erschließt sich uns", wie es hier heißt, „in der Geschichte und Literatur, in Kunst, Religion und Wissenschaft, in Politik und Wirtschaft. Jeder Vorrang, den man für ein Gebiet hinsichtlich der Erziehung und Bildung behaupten wollte, ist gefährlich, denn er würde nicht nur vereinseitigen, sondern vielmehr auch eine Ausrichtung mit sich bringen. Dirigismus versucht aber gerade unsere Zeit von sich abzuwenden .. Unsere Aufgabe könne nur darin bestehen, den zu Erziehenden die moderne Situation erfahren und einsehen zu lassen, „nämlich die außerordentliche Verbindlichkeit einer Situation, in der der einzelne nicht mehr aus der Sicherheit überlieferter Normen urteilen und handeln kann, sondern in dem unabwendbaren Anspruch selbständigen Ermessens in Wort, Werk und Tat" stehe 82a). Dies zielt nicht nur in jene Lehre von der Eigengesetzlichkeit, sondern auch der Eigenwertigkeit aller Kulturbereiche, aber auch zugleich in die Unmöglichkeit jedweder Kindererziehung. Wenn es nicht mehr als Aufgabe der Erziehung angesehen werden kann, „dem jungen Menschen feste Maßstäbe mit auf den Weg zu geben...“, so erscheint dies nicht nur unreal im Hinblick auf die häusliche und schulische Erziehung, sondern ebenso auch unkritisch gegen sich selbst. Wann endlich wird man davon Kenntnis nehmen, daß es doch überhaupt kein AngebotvonBildungsgütern ohne je bestimmte Wertgesichtspunkte geben kann — am wenigsten von Seiten der „Neutralisten“! Die Forderung eines solchen pädagogischen Pluralismus endet notwendig in der menschlichen Anarchie. Wenn dem wirklich so wäre, — was soll dann noch das Gerede von Huma-* nität, von Werttafeln abendländischer Verpflichtung und so fort?

Der Mensch bestätigt sich nur solange als geistiges Wesen, als er ein Fragender ist. So weit reicht der philosophische Weg. Allein erst vom . überschritt“ her wird das Geheimnis seiner Person ganz offenbar, insofern der Mensch sich selbst nicht nur als den Fragenden, sondern als den Gefragten erfährt. Jeder Mensch, der nicht nur betriebsam vegetiert, wird einmal in seinem Leben dieser fordernden Rechenschaft begegnen, zumal aber wohl immer dann, wenn der Tod in sein beteiligtes Lebensfeld tritt, sofern nicht auch selbst der Tod nur noch als Störungsfaktor im Funktionszusammenhang der Organisation erfahren wird. Jene fatalistische Verlegenheit, es komme doch alles, wie es bestimmt ist, glaubt ja fast heute niemals mehr an einen Urheber dieser Bestimmung, an einen personalen Gott, der das Schicksal . schickt“. So kann die Frage nach dem Sinn, nach dem, was uns „begegnet“, leidvoll widerfährt, geschieht, oft zum quälenden Anlaß letzter Verzweiflung werden. Jene ernste Frage Fedor Dostojewskis in seinen „Dämonen", ob dieser moderne technisierte Mensch überhaupt noch glauben kann, ist für viele heute zum eigentlichen Problem geworden.

Die Frage nach Gültigkeit und Sinn des Humanismus und der Humanität in unserer Zeit ist nicht ablösbar von jener anderen, vielleicht dunkelsten Frage nach dem Wesen und Sinn der geschichtlichen Existenz. Wenn Allred Weber der die Geschichtsphilosophie durch Kultursoziologie ersetzen will, als Ergebnis der bisherigen Geschichte verbucht, daß die Menschheit zu der Welt-und Daseinsangst der Primitiven zurückkehre, wenn Wladimir Solowjew die Ansicht äußert, daß der Fortschritt immer ein Symptom des Endes sei, so findet das Selbstverständnis des abendländischen Menschen heute im Widerspruch von schrankenlosem Fortschrittsoptimismus und quälender Untergangsstimmung nur schwerlich noch zu seinen gültigen Wesenszügen. Sie alle, die Herder, Kant, Fichte, Engels und andere verbindet die gemeinsame Linie, wonach der historische Prozeß allein aus diesen oder jenen innergeschichtlichen notwendigen Kräften zu einem Endzustand der Vollkommenheit führt. Auch die Atlantic-Charta lebt von diesem Geist der Aufklärungstheologie, wenn sie von einem Frieden spricht, „der Gewähr dafür geben wird, daß alle Menschen in allen Ländern ihr ganzes Leben lang frei von Furcht und ohne Not leben können" Wie wahrhaft erstrebenswert und im wahrsten Sinne human eine solche Zielsetzung uns auch erscheinen muß, so steht dem doch — unbeschadet der Notwendigkeit eines solchen Strebens — jenes christliche Geschichtsdenken entgegen, das mit einem „katastrophalen Endzustand" der Geschichte rechnen muß, rechnen muß also mit dem Scheitern aller menschlichen Bemühungen in den Macht-und Kulturbereichen, mit dem Scheitern des „Kulturwillens", worauf sich doch aller Fortschrittsglaube gründet, wenn er nicht nur biologisch-ökonomisch-technisch verstanden werden soll Nikolai Berdjajew scheute nicht vor der Konsequenz zurück, daß auch die Geschichte des Christentums „gleichsam ein vollständiger großer Mißerfolg war, weil selbst das Christentum auf Erden seinem gültigen Wesen nach nie gelang und auch nie gelingen kann". Dies enthebt uns freilich nicht der Feststellung, daß das Christentum in seiner oft unheilvollen Verschränkung mit Besitz und Kapital und Macht sich der Armen und Notleidenden und Hungernden in der Welt keineswegs entsprechend annahm, obwohl doch gerade hierin das „Zeichen" des Eigentlich-Christlichen erkannt werden müßte.

Nach der christlichen Verkündigung gehört freilich — wie gesagt — jenes Scheitern letzthin ebenso zum Menschen und seiner Welt, so daß eine geschichtliche Rettung schlechthin unmöglich erscheint. Will man diesen Maßstab ansetzen, so müßte man von einer radikalen Auflösung des genuin christlichen Selbstverständnisses im Geschichts-und Kultur-bereich in Neuzeit und Gegenwart sprechen. Dies gilt ebenso im weltpolitischen Erscheinungsbild wie in verbreiteten christlichen Eigenräumen als Folge eines mangelnden christlichen Selbstverständnisses und einer „weitläufigen" Inkonsequenz. Damit soll nicht etwa einem christlichen Kulturpessimismus das Wort geredet werden, wohl aber einer Unterscheidung des Christlichen, das man im personalen, politischen, geschichtlichen Raum, ja im persönlichen „Lebensgefühl", also im Existenzbewußtsein, oft genug kaum mehr von jenen doch ganz anders verwurzelten Ideen, Ideologien und Verhaltensweisen im humanen Bezirk zu unterscheiden vermag. Dies also bedeutet nichts weniger als die Erfahrung, daß das „Andersartige" des Christen-menschen sich offenbar nur gar zu selten bestätigt findet.

Tatsächlich ist der Einbruch neuer naturwissenschaftlicher, tiefenpsychologischer, soziologischer und anderer, auch historischer, Dimensionen so gewaltig, daß diese Aspekte noch nicht „organisch" hineingenommen werden konnten in den religiösen, theologischen, philosophischen, soziologischen und kultur-soziologischen Bereich jener Tradition. Dies gilt ebenso und vor allem auch für das Bildungsgeschehen, wo jede theoretische Besinnung eine tatbereite, konkrete Stellungnahme und Entscheidung abfordert. Heute ist jeder Mensch irgendwie auch in seiner Weltanschauung von der neuen naturwissenschaftlichen und allen anderen genannten Denkformen mitbestimmt. Diese „Verwissenschaftlichung" durchgreift unser ganzes Daseinsgefüge — bis hinein in die geheimen Lebensbeziehungen In der Frage aber, welchen Platz dieses neue Weltverständnis jeweils einnimmt: ob es sich harmonisch einer traditionellen „Weltanschauung" einfügt oder ob es einseitig dominierend keinen Platz für andere, angestammte Denkweisen beläßt, ob es als gefahrvoll verbannt wurde, einen un-bewältigten Fremdkörper bildet — hier liegt eine je persönliche Grundentscheidung, die zugleich auch die Antwort auf die Frage nach der Lebenskraft des humanistischen und des christlichen Elements im Menschen-und Weltbild einschließt. Entscheidend wird sein, ob das „Gehäuse" des christlichen Lehr-und Funktionsraumes jene neuen Dimensionen, die wiederum auf unaufhebbaren Forschungsergebnissen ruhen könnten, zu integrieren bemüht ist, ohne daß eine spezifische Struktur damit verändert würde. Dies betrifft ebenso bestimmte neue anthropologisch-biologische Erkenntnisse wie auch jene umstürzenden neuen Auffassungen über die Materie und die tiefenseelischen Grunderfahrungen.

Die christliche Religion in ihrer kirchlichen Gestalt stand von jeher in einer offenbar strukturellen Zuordnung zu den jeweiligen zeitgenössischen soziologischen, staats-und verfassungsrechtlichen Gegebenheiten und Entwicklungen. Immer fanden sich die Kirchen beider christlicher Konfessionen in Korrespondenz, ja fast im „Abbildcharakter" mit dem jeweiligen Herrschaftssystem und seinen sozialen und wirtschaftlichen Prägungen, eben mit den „Kultursystemen" überhaupt. Dies gilt ebenso für die mittelalterliche Feudalgesellschaftsordnung wie für das „landesherrliche Kirchen-regiment" wie ebenso auch für die „fürsterzbischöfliche" Barockgesellschaft. Erst heute, mit der wachsenden Herrschaft der „breiten Masse", der Arbeiterschaft als soziologisch und zunehmend auch kulturell bestimmender Kategorie, wird jene benannte Korrelation problematisch. Der hierarchische Ordo, in einem bestimmten traditionellen Bezug und Verständnis genommen, entspricht im Prinzip nicht einer „demokratischen" Lebensform.

Wohl zum ersten Male in ihrer Geschichte — von der besonderen inneren und äußeren Situation der Urkirche abgesehen — findet diese Kirche in der heutigen sogenannten Massen-und Industriegesellschaft nur schwerlich noch eine spezifische Entsprechung, was ihre sichtbare Gestalt, ihre „Weltansicht“ angeht. Es bedarf aber hierzu ebenso der Feststellung, daß der überzeitliche, im Mysterium des Christlichen begründete Wesenscharakter der Kirche von ihrer jeweiligen geschichtlichen Erscheinungsform durchaus zu unterscheiden ist. Allein jene zentrale Frage nach der kirchlichen Existenz in der modernen „Industriekultur“ und in einer nicht nur mehr abendländisch bestimmten Welt, was nicht etwa allein die Form der Verkündigung betrifft, erscheint hier als eine unabdingbare Herausforderung, wovon das derzeitige ökumenische Konzil Zeugnis zu geben vermag. Ein Aufbruch, eine Chance zur Neubesinnung auf eigentliche Wesenselemente des kirchlichen Christentums. Für jenen besonderen Bezug wäre hier auf die kürzlichen Konzils-Schemata über das betonte Kollegialitätsprinzip der Bischöfe sowie auf die Bestimmung der Kirche — Kleriker und Laien — als „Gottesvolk" hinzuweisen.

Die weitergehende Frage nach der Möglichkeit der Religion, also der traditionell-überkommenen christlichen Religion in diesem neuen Gesellschafts-und Lebenssystem, ist mit jener kirchlichen Frage zwar nicht identisch, aber doch eng verschränkt.

Mit der Fragwürdigkeit des Humanismus in seiner überkommenen Gestalt ist aber auch die immer irgendwie spannungsvolle Ehe zwischen Abendland und Christentum fragwürdig geworden. Klemens Brockmöller ist dabei der Meinung, daß Christentum und abendländische Kultur keineswegs einander bedingen. Er glaubt, daß diese Ehe wesentlich der Vergangenheit angehört, daß ihre Krise eine „Heimsuchung Gottes" sei. „Das Christentum hätte allen Grund, sich vom Geist des Abendlandes zu distanzieren, damit es nicht zu seiner Stützung mißbraucht wird." Es sollte vielmehr seine Wirksamkeit in einer kommenden Kulturepoche nicht mehr auf das Ideal der Persönlichkeit richten.

Wenn man solchen extremen Thesen auch kritisch begegnen könnte, so erscheint doch die Frage'nach dem inneren Zusammenhang der Verhältnisbestimmung und der Geltungskraft von Humanismus und Christentum, nach dem Gewicht und der Bedeutung des Humanismus und der Humanitätsidee im Hinblick auf das Christliche und umgekehrt in der neuen Welt in einer existentiellen Entscheidungsstunde.

VIII. Abendländische Humanität im Spannungsfeld zwischen Ost und West

Der überkommene Humanismus mit seinem Grundcharakter eines kultur-soziologischen Monismus erscheint heute nicht mehr haltbar angesichts jener planetarischen Vielheit der Kulturen. Kann uns hier nicht auch selbst ein Schuldbewußtsein überkommen, daß wir Abendländer gar oft nur uns selbst zum Welt-und Wertmaßstab nahmen — kulturell, religiös-kirchlich, politisch? Erst heute ahnen wir, daß die indischen Upanishaden ihren Platz neben der griechischen Metaphysik haben, daß wissenschaftliche Begriffe allein niemals einen existentiellen Sinn verbürgen, daß die Echtheit des Wesens vor der wissenschaftlichen Erkenntnis steht, ja daß es verschiedene positive Möglichkeiten gibt, ein humaner Mensch zu sein. Auch der Osten — wir meinen hier Ostasien — hat ein spezifisches Menschenbild, eine spezifische Humanitätsidee. Gewiß ist diese von der von Antike und Christentum geprägten europäischen Menschen-und Kulturidee wesenhaft verschieden, wie eben das Daseinsverständnis überhaupt von einem ganz anderen Lebensgefühl und Selbstverständnis getragen wird. Ungeachtet dieser kategorialen Anders-artigkeit besteht die Auffassung, daß jenes ostasiatische Menschenbild, das gewiß wiederum nach seinen religiösen Voraussetzungen und Vorbestimmtheiten vielschichtig ist, einen besonderen Rang neben dem abendländischen zu behaupten vermag. Es mehren sich die Stimmen, daß jenes asiatische Bild vom Menschen „nach Wesen, Anspruch, geschichtlicher Funktion und geistigem Rang dem europäischen „durchaus ebenbürtig" sei Will man die Frage nach einem möglichen allseitigen Menschenbild, in dem die typischen Entfaltungs-und Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen enthalten und potentiell wirksam sind, wirklich ernsthaft stellen, so bedürfte es eines weit ernsthafteren Studiums des Menschentums der Asiaten. In zunehmendem Maße will man also neben dem abendländischen Maßstab für ein Menschen-und Weltbild in gleicher Ebene auch andere Menschenbilder gelten lassen. Vor allem gilt dies dann für die Kulturtraditionen Ostasiens mit ihren zwar andersartigen, aber — wie es scheint — ebenso wertigen, vor allem aber in der charakterologischen Echtheit übernommenen Menschenauffassungen und Lebens-ideen.

Insbesondere ist von Seiten der Missionswissenschaft auf diese neue Perspektive hingewiesen worden. „Solange man nur die im abendländischen Raum entwickelte Menschennatur vor sich hat und als materiale Erfahrungsgrundlage benutzt, soll man sich peinlich hüten, vorschnell von einer allgemeinen Menschennatur zu reden." Es wird aber nicht nur von verschiedenen gleichwertigen Möglichkeiten des Menschseins gesprochen, sondern ebenso von ethischen Varianten, die neben den ethischen Konstanten bestehen. Gefordert wird eine sittliche Reform, die von den „veränderten Seinsverhältnissen geboten wird, von der geistigen Entwicklung des Menschen oder von kulturellen, soziologischen, wirtschaftlichen und technischen Wandlungen oder von Veränderungen in den naturhaften Bereichen, die den Raum und die Bedingungen des menschlichen Lebens bilden" Eine solche Forderung wird nicht nur für die geschichtliche Sukzession erhoben, sondern ebenso für die Nebenlagerung des Kulturgutes. * Mit Recht ist gesagt worden, die Asiaten hätten seit alters her mehr vom Menschen gewußt als wir, wir dagegen mehr von der Natur. Uns gewährt dieses asiatische Menschentum auch Möglichkeiten der Ergänzung und des Ausgleichs unserer Mängel und Einseitigkeiten. So kommt man mehr und mehr zu der selbstverständlichen, aber noch nie ernsthaft realisierten Auffassung, daß erst beide Kulturhälften, die abendländische und die asiatische, die westliche und die östliche in ihrer Polarität die ganze Kulturmenschheit ausmachen. Denn Morgenland und Abendland sind nicht nur geographische oder politische oder wirtschaftliche Begriffe. Es sind letzthin seelische Begriffe, menschliche Wirklichkeiten Erst in der Begegnung mit asiatischer Geistigkeit wird uns heute deutlich, daß die antiken Grundhaltungen nur als partikulares Ethos zu werten sind, daß es durchaus noch andere „humane" Haltungen zu Mensch und Leben gibt.

Dies nun beträfe die Frage nach der Einheit und Verbindlichkeit einer weltweiten Humanitätsidee, die Frage also nach dem gemeinsamen Fundament nicht nur der Begriffe, sondern der Bewußtseinslagen und Bedeutungserfahrungen über beziehungsweise unter den verschiedenen, differenzierten Grunderfahrungen und Haltungen. Die große Gefahr einer eklektizistischen und damit mehr oder minder unechten oder gar verschwommenen Idee der Humanität liegt dabei, wie die breite Erfahrung zeigt, freilich sehr nahe.

Man hat von einem globalen Vollkommenheitsideal als Idealbild einer gemeinsamen Idee der Humanität gesprochen. Es sei dies eine besondere „Haltung", die die verschiedenen metaphysischen Glaubenssysteme anerkennt, sich aber zugleich von ihnen distanziert. Man spricht von dem Festhalten am Gemeinsamen im Menschen und seines inneren Auftrages gegenüber der Vielfältigkeit der politischen, religiösen, weltanschaulichen Wertordnungen. Gibt es also wohl eine solche übergeordnete Haltung, die auch inhaltlich zu fixieren wäre und einen begründeten Traggrund für eine verbindliche Idee vom Menschen und damit seiner Menschlichkeit abgebe? Was soll mit Helmut Schelsky heißen, daß sich heute mit der technischen Zivilisation und der modernen Wissenschaft eine „abstrakte Form der Humanität um die Erde" als ein „reales Weltbürgertum" entwickelt? Etwa im Sinne einer „Fernethik", eines „tatbereiten Gefühls der Verantwortlichkeit für abstrakte Partner", wie dies Arnold Gehlen erwarten möchte? Doch Formeln ohne Konkretheit der Gesinnungen sind leer. Wären diese sittlichen Grunderfahrungen dann wohl viel mehr als im letzten doch ganz unverbindliche Verstrebungen?

Mit der Humanitätsidee im abendländischen Raum werden als Traggrund für die „Mitte“ einer Lebensbeziehung die „allgemeinen Grundüberzeugungen", die „verborgenen Gemeinsamkeiten" benannt. Eine solche Diktion würde aber auch noch für die weiten Ebenen einer möglichen „globalen" Einheit gelten. Damit jedoch ergibt sich eine verwickelte Frage: Gibt es denn diese tragfähigen Normen der Gemeinsamkeit? Oder aber offenbaren nicht die einzelnen Normen je nach ihrer Verwurzelung die verschiedenen Grundüberzeugungen, aus denen sie jeweils leben mit ihren je verschiedenen Bedeutungsgehalten? Diese Frage kann hier nur benannt werden, doch wiegt sie schwer genug, um manche Fragezeichen anzubringen. Denn nicht unbedingt vermögen die Tafeln der Menschenwürde, der Freiheit, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Partnerschaft und so fort als einhellig verbindliche Aspekte angenommen zu werden, und dies weder im abendländischen Raum noch im globalen Verständnis. Es kommt hinzu, daß bei der heutigen Sprach-verwirrung jene Begriffe kaum von allen in demselben Sinne aufgefaßt werden, so daß wir „in unseren allgemeinen Zuständen keinen rechten Lebensgrund mehr haben, wie im Leeren stehen" Gewiß gibt es noch eine Verständigung über ursprüngliche Verhaltensweisen als Erstreaktionen des menschlichen Ethos: den Anstand, die gute Sitte, die Hilfsbereitschaft und so fort. Doch bedürfte es eben ganz anderer Werttafeln, die nicht nur an den Primitivreaktionen, die immer auch gegebenenfalls auswechselbar waren und sein werden, ihre Antriebe und Gültigkeit haben.

Eine solche Problemstellung zentriert letzthin in der Frage nach der Konstanz der menschlichen Natur in der geschichtlichen Perspektive. Hier aber stehen sich zwei grundsätzliche Auffassungen gegenüber. Platonismus, christliche Theologie und Rationalismus glauben an eine einzige und gleich-bleibende Idee vom Menschen. Der wesentliche Kern des Menschen ist danach zu allen Zeiten derselbe. Seine Substanz ist im Ewigen verhaftet oder aber auch nur in der konstanten allgemeinen Rationalität — unabhängig von den Wandelbarkeiten in seiner Geschichte, die den Kern nicht berühren. Da im überzeitlichen Urbild, in der reinen Idee das Wesen des Menschen schlechthin gründet, bleibt sein Wesen notwendig konstant. Die These des neuzeitlichen Historismus dagegen besteht in der Ersetzung einer generalisierenden, das heißt typischen Betrachtungsweise geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine individualisierende. Mit diesem neuen Sinn für das Individuelle in seiner historischen Einmaligkeit, mit dieser wesenhaft geschichtsphilosophischen Denkweise, nach der an Stelle der einen Menschheitskultur eine Mehrzahl von Kulturen trat und der Mensch — zu allen Zeiten ein anderer — in immer andere Gestalten zerfloß, ging trotz manchen Bemühens das übergreifende der Wahrheit, des Wertes der Menschennatur im Grunde verloren. In solcher relativistischer Konsequenz gibt es keinen gemeinsamen Kern des Menschen. Er ist ganz in den geschichtlichen Wandel einbezogen. „Der Typus Mensch zerschmilzt in dem Prozeß der Geschichte", wie es Wilhelm Dilthey formulierte. An Stelle des festen Typus „Mensch" tritt die Variabilität des Menschseins. Man hat dann von einem ontologischen Verflochtensein" des Menschseins mit dem Geschichtlichen gesprochen’ Geschichtsphilosophisch bleibt mit dem Schwinden des Glaubens an einen persönlich-göttlichen absoluten „Bezugspol“ nur noch der relativistische Zerfall in je besondere Standpunkte und Blickpunkte. Für die anthropologische und wertbezogene Ebene bedeutet dies aber mit der Auflösung des Absolutheitscharakters der Wahrheits-und Wertnorm auch die Auflösung einer immerwährenden Menschennatur, die geschichtlich konstant wäre. Einer historisch übergreifenden Humanitätsidee wären mit den Thesen des Historismus die Grundvoraussetzungen entzogen, obwohl — es ist dies fast ein Paradox — gerade der Historismus die Eigenwertigkeit des Menschseins zentral dokumentierte. Es möge hier jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß auch innerhalb der christlichen Theologie die Problematik um das Thema „Menschliche Existenz und Geschichtlichkeit“ eine breite Diskussion auslöste.

Neben dieser historisch bedingten Auflösung einer allgemeinen, gleichbleibenden Idee vom Menschen besteht — nicht minder umstritten — jene völkerpsychologische und völker-typische Problemstellung. Sie lautet: inwieweit kann tatsächlich von einer alle Völker und Kulturen in der Geschichte und heute übergreifenden Identität in jenem Bezug gesprochen werden? Dies also betrifft die Frage nach der einen und selben Menschennatur — trotz der offenkundigen Verschiedenheiten und Andersartigkeiten, etwa von Asien und Europa und anderswo. Diese Frage hat sich immer wieder und in zunehmendem Maße an den offenbaren differenten Wertvorstellungen mit dem je spezifischen Daseinsverständnis und Lebensgefühl entzündet.

Voraussetzung für die Lösung dieser Fragen wäre die Inangriffnahme einer weitgesteckten philosophisch und religionspsychologisch „verstehenden" Typologie aller Seelenhaltungen und Grundweisen des Selbst-und Weltverständnisses aller Kulturen und Völker, wozu wir ein internationales existentialpsychologisches Symposion zum Thema „Das Selbstverständnis des heutigen Menschen" in Vorbereitung haben Ein solches Beginnen müßte alle medialen Äußerungen der Kultur und der Seele, also Religion, Philosophie, Wort-und Bildkunst, Formen des Gottes-umgangs und so fort, historisch und thematisch befragen. Erst über einer solchen Bemühung der gesamten menschlichen Grund-voraussetzungen, ihrer seelischen Tiefen-schicht, wäre dann auch erst eine gültige Begründung möglich, inwieweit die seinsmäßigen, ethischen, soziologischen Aspekte zur Bestimmung der Menschennatur, wie sie im Abendlande gelten, zu gemeingültigen Perspektiven, das heißt zur Bestimmung eines Weltprinzips erweitert werden könnten. Die bis dahin als selbstverständlich vorausgesetzte „Einheit der Menschennatur" in ihrer vertikalen und horizontalen Konstante und Identität bedürfte eines entsprechenden wissenschaftlichen Nachweises. Was in Frage steht, ist die begründete Fixierung einer anima naluraliter humana — gewissermaßen noch als Voraussetzung einer dem Tertullian zugeschriebenen These von der anima naturaliter Christiana. Bedenkt man etwa jene andersartige Geisteshaltung Ostasiens, wo für ein „Denken ohne Logik", eine urtümliche Erfahrung der Ganzheit anstatt der Dualität gesprochen wird, so kann dies nicht mehr nur mit dem Hinweis auf primitivere Stufen im seelisch-geistigen Entwicklungsgang der Menschheit abgetan werden, die sich nach einem abendländischen Welt-und Wertmaßstab zu richten hätten.

Durchaus noch offen sind die Fragen der inneren Verbindungen und Beziehungen von Orient und Okzident, die Frage des Einflusses orientalischer Geisteswelt auf die Geburt der abendländischen Antike im Ursprungs-raum von Hellas und Evangelium. Hier liegt noch ein weites Feld unbewältigter Forschung, das wegen des Fehlens einschlägiger Quellen äußerst schwierig zu erhellen ist Daß jedoch Fäden der „Anregung" und „Begegnung" von Ost nach West hin bestanden, die dann in der „Aneignung" die Konstituierung eines abendländischen Menschen-, Welt-und Gottesbildes mitbewirkten, dürfte außer Zweifel stehen.

In solcher Perspektive erreicht heute die Frage nach der Wesensbestimmung und dem Geltungsbereich von Humanismus und Humanitätsidee eine, ja die zentrale Bedeutung für die theologische, die politische, für die wesen-haft menschliche Ebene überhaupt.

Eine besonders aktuelle Beleuchtung erhält die Frage nach dem Schicksal des Humanismus und der Humanitätsidee dann, wenn man sie in das weltanschaulich-politische Spannungsfeld zwischen Ost und West hineinstellt. Das Ringen zweier Welten um die Macht, als um die Durchsetzung je ihrer Idee vom Menschen, seiner Stellung und seiner Aufgabe in der Welt, zeichnet fast alarmierend die innere Situation ab, in der die so vielschichtige humanistische Lebens-und Bildungsidee und die Idee der Humanität heute zu sehen sind. Das Schicksal der abendländischen Humanität ist nicht mehr zu deuten ohne jenes Spannungsfeld, das durch einige Hinweise auf die geschichtsphilosophische und geschichtstheologische Situation von Ost und West zu kennzeichnen bleibt. Wird der Osten unser abendländisches Menschenbild, das trotz aller Verschiedenheiten doch noch immer bestimmte übereinstimmende fundamentale Perspektiven und Wertvorstellungen aufweist, überspielen? Wie eine erschütternde prophetische Perspektive könnte uns die mittelalterliche Geschichtstheologie über die Stellenwerte im Geschichtsverlauf von Ost und West anmuten 101).

In der Überzeugung von der Nichtigkeit der Welt, deren Kennzeichen der unstete Wandel der Dinge, das fließende Werden und Vergehen der Formen sei, wird für den deutschen Grafensohn des 12. Jahrhunderts, Hugo von St. Viktor, die geographische Ost-West-Bewegung aller Dinge zum Grundgesetz der Geschichte. „Die göttliche Vorsehung", so heißt es in seiner Schrift „über die Eitelkeit der Welt", „hat den Ablauf der Dinge so geordnet, daß jene Dinge, die im Anfang der Welt geschaffen wurden, im Osten als dem Anfang der Welt entstünden, daß aber schließlich die Dinge insgesamt im Laufe der Zeiten zum Westen niedersteigen, das ist zum Ende der Welt." So also ist in einer heilsgeographischen Ordnung der Osten als Anfang, der Westen als Ende gekennzeichnet. Aber nicht nur die biologische Geschichte der Menschheit, ebenso ihre kulturelle und christlich-kirchliche Geschichte wird von dem großen Historiker desselben Jahrhunderts, Otto von Freising, in dieser Bewegungsrichtung gesehen. Die Ost-West-Tendenz wird zum gesamthistorischen Prinzip überhaupt. Nach Otto beginnt jede menschliche Macht und Weisheit im Osten und findet ihr Ende im Westen. „Denn nach Art des Himmels", so schreibt er in seiner „Weltchronik", „der sich vom Osten nach Westen dreht, können wir zugleich mit der Zeit die Dinge der Welt und die Gewalten über die Dinge sich drehen sehen." Seinem Gesetz der translatio sapientiae, der Wanderung der Wissenschaft und Weisheit von den Ägyptern über die Griechen zu den Römern, entspricht die translatio imperii, die Abfolge der politischen Reiche von den Babyloniern, Assyrern, den Persern bis zu den Römern und Franken.

Was dazu als unabänderliches Gesetz des Geschichtsverlaufs erfahren wird, könnte an Hegels These erinnern, wonach jedes neue Werden, jede neue Form, bereits den Todes-keim der Selbstzerstörung in sich trage. Otto von Freising sieht das organische Wachstum der neuen Form in und durch die alte, der sie zur Reifung innerlich verbunden bleibt, bis sie den eigenen Weg nimmt unter Zerfall des Mutterschoßes. Damit aber ist für die Ost-West-Bewegung der Geschichtsabfolge erwiesen, daß jeweils das Alte notwendig der Zerstörung durch das Neue anheimfallen muß. So geschieht dies in der Kultur, so auch in der Machtsphäre. Das westliche Reich muß jeweils das östliche vernichten; das Erbe der Weltherrschaft ist mit Blut getränkt. Dieser geographisch gelenkte „Kampf ums Dasein" muß wahrhaft ebenso tragisch wie unerbittlich erscheinen. Und selbst das letzte westliche Imperium, das Reich der Franken, erblickt Otto prophetisch im Untergang. Hier jedoch tritt der ärgste Feind der Zerstörung selbst die Nachfolge an: Die letzte Weltherrschaft gehört dem Antichrist. Die Geburt dieses Imperium diaboli, des Satansreiches, wird aus dem Zerfall des Frankenreiches erwachsen, der nach jenem Historiker in seiner Zeit bereits fortschreitend erkennbar und als Katastrophe erwartet wurde.

Was an dieser Stelle von einem Menschen des 12. Jahrhunderts über das Bild des Antichrists verkündet wird, ist erschütternd und nachdenklich stimmend zugleich: Der widergöttliche Herrscher wird alle Lehren und Werke der christlichen Kirche zerstören, weil sie der selbstherrlichen Vernunft und der menschlichen Sinnenlust zuwider sind. Er wird nicht nur das Bewußtsein der Sünde ausrotten, sondern auch die Macht des gottlosen Weltreiches aufzurichten versuchen, und zwar — wie es hier wörtlich heißt — „unter dem Zeichen der Lüge und unter dem Scheine der Religion und unter dem Bilde der Vernunft". Sein glorioses Bildnis wird einem römischen Imperator gleichen. Aus dem Verfall des Westens also wird sich der letzte, der Satansstaat, gebären In der asiatischen Geisteshaltung, in dem religiös-politischen Messianismus Rußlands ist jene erste Grundtendenz jener mittelalterlichen Geschichtstheologen, das ex Oriente lux, die Überzeugung also, daß alles Heil der Welt von Osten kommt, niemals vergessen worden. Doch gewinnt die Sinndeutung des Ost-West-Geheimnisses in ihrer Folgerung eine grundsätzlich andere Version. Nur vom Osten her, so wird es verkündet, kann das verlorene Heil der Welt, der westlichen Welt auch, wiedergewonnen werden. Daß der Satan als die Vollmacht alles Bösen und Menschen-widrigen aus der Paralyse des Abendlandes geboren wird — darüber waren sich die asiatischen und slawischen Völker einig. Der technisierte Mensch des Westens, der nach jener These über dem Gewinn seiner neuzeitlichen Vernunfterfahrungen und technischen Natur-beherrschung sich selbst, das heißt sein eigenstes, den Menschen in seiner Würde auszeichnendes Seelentum verloren hat, darf geradezu als der Leitgedanke des Ostens gelten. Am deutlichsten wird dies an der Kritik Asiens am europäischen Christentum. Die bewußte Trennung zwischen Lehre und Leben, das mangelnde Ethos der sittlichen Konsequenz, die geringe hingebende Glaubenskraft, die juristische Mechanisierung christlicher Gehalte und so fort bilden die ewige Anklage gegen ein westlich verfälschtes Christentum Mahatma Ghandi erklärte bereits im Jahre 1920: „Es ist meine feste Überzeugung, daß das heutige Europa nicht den Geist Gottes und des Christentums verwirklicht, sondern den Geist Satans. Und Satan hat den größten Erfolg, wo er mit dem Namen Gottes auf den Lippen erscheint. Europa ist heute nur noch dem Namen nach christlich. In Wahrheit betet es den Mammon an." Und der edle Sadhu Sundar Singh schreibt nach seiner Rückkehr in die Heimat: „Ich begann zu erkennen, daß kein europäisches Land als christlich angesehen werden darf, daß es überall nur einzelne Christen gibt." Asien stehe der Bergpredigt von Natur aus näher als der Westen. Dabei wird der Osten als Werkzeug bei dem Gericht angesehen, das Gott an Europa vollzieht. In dieser Prophetie verkündet ein Hindu: „In Asien, nicht in Amerika oder Europa oder Afrika wird die Zukunft der christlichen Religion entschieden werden." So lebt das Bewußtsein von der künftigen Heilsmission des Orients für den Menschen wach bewußt, nicht nur berechnend, in den Herzen dieser Welt.

Wie der slawische Messianismus von der religiösen, kulturellen und dann politischen Rettung des westlichen Menschen durch das östliche Heilszentrum zutiefst überzeugt ist, vermag die Gewißheit Fedor Dostojewskis zu zeugen: seine Deutung des Schicksals Rußlands als des Weltschicksals überhaupt. Er faßt diese heilsbringende Mission in die Prophetie: „Europa wird bei uns anklopfen, wenn seine jetzige Ordnung zu Ende geht.“

Herders zeitweise Begeisterung für die russisch-östliche Sendung für Europa, das im Schlafe läge, ist bekannt. Niemand freilich vermochte damals an das bolschewistische Rußland zu denken, auch Ernst von Lasaulx nicht, nach dem im letzten, unerbittlichen Ringen zwischen Ost und West der Endsieg dem zufallen wird, dem die größere Glaubenskraft eignet — und dies sei der Osten. Fast bestürzend wirkte die große prophetische Rede Donoso Cortes vor dem spanischen Parlament am 30. Januar 1850: „Glauben Sie nicht, meine Herren, glauben Sie ja nicht, daß die kommende Katastrophe schon beendet ist. Denn die slawischen Völker sind für unser Abendland nicht ganz dasselbe, was einst die Germanen für das Römerreich gewesen sind, nämlich eine Erneuerung der alten Welt. Denn allmählich hat ja die gefährliche Krankheit, an der Europa leidet, auch auf die Slawen übergegriffen. Das Glaubensbekenntnis Europas ist seit langer Zeit auch bei ihnen heimisch geworden und hat aus ihnen bereits halbfertige Europäer gemacht. — Wenn es diesen Russen aber nun eines Tages gelingen sollte, nach Europa zu kommen — mitten hinein in die von ihnen eroberten und beherrschten Länder —, dann werden sie mit wilder Gier das Gift verschlingen, das Europa getrunken hat und das Europa eines Tages töten wird, und wahrlich keine Macht der Welt wird imstande sein, sie daran zu hindern. Aber dann wird das russische Volk derselben Verwesung anheimfallen, wie Europa selbst. Ich frage mich daher mit Angst und Schrecken, wie es denn überhaupt noch möglich sein wird, dieser wachsenden, dieser alles verschlingenden Fäulnis Herr zu werden. Welche radikalen Heilmittel wird Gott anwenden müssen, um diese allgemeine Seuche zu überwinden?"

Fast noch erschreckender vernehmen wir die weissagende Stimme des großen moselländischen Kardinals Nikolaus von Cues, der im Jahre 1450, genau 400 Jahre vor dem Spanier, eine Zeit kommen sieht, da der Gottesglaube ganz aufgesogen sein wird vom Glauben an den Menschen; da aber wird das industrielle Wesen alles andere erdrücken, da wird ein großes Volk aus dem Osten das Geschick Europas in seine Hand nehmen.

Vermögen wir heute noch diese Entscheidungsfrage zwischen Ost und West, Orient und Okzident, in ihrer existentiellen Tiefe zu erkennen? Ist nicht dieses Problem zuallererst zum Gegenstand von Interessensphären, der Macht, des Ehrgeizes, des Wirtschaftsmarktes, des nationalen Prestiges geworden? Wenn diese unsere Zeit an einem offenbar noch fortschreitenden Schwund an religiöser und metaphysischer Wirklichkeitsdichte leidet — dies dürfte aus jenen Prophetien deutlich werden: daß die Frage Ost und West im letzten Grunde eine das Tiefste in uns berührende existentielle Gewissensfrage bedeutet, für die jeder von uns die ungeteilte Verantwortung mitträgtI Was aber folgt uns aus jenen Prophetien? Der abendländische Fortschrittsoptimismus mit seinen wissenschaftsgläubigen Zukunftsbildern scheint weithin zerbrochen, trotz aller Beteuerungen und Hoffnungen. Wo er besteht, wurde er zur politischen Parole. Wir sind nüchterner geworden. Die statistische natur-gesetzliche Vorausberechnung geschichtlicher Gehalte trat als Prognose an Stelle der prophetischen Intuition. Dabei gewann die existentiell-notvolle Frage „Wie geht es weiter, oder geht es überhaupt noch weiter?“ eine zentralsinngebende religiöse oder zumindest existentielle und zugleich eine politisch-lebensmögliche Bedeutung. Alfred Weber fragt hier nach dem Kommen des „vierten Menschen“ zwischen Ost und West, schaut die apokalyptische Gefahr, welche der Gesamtheit des abendländisch-zivilisierten Westens von einer rein quantitativen Seite her, der Erdrückung der Futterplätze durch eine überbevölkerte Erde, besonders durch die russische Menschenmasse, droht. Romano Guardini hat nach Abschreiten der abendländischen Geistes-entwicklung von einer „Nähe des Endes" gesprochen, zwar nicht zeitlich, so doch wesens-mäßig und christlich gemeint: daß unsere Existenz in der Nähe der absoluten Entscheidungen und Konsequenzen steht, der höchsten Möglichkeiten und der höchsten Gefahren.

Was noch bleibt? Es bleibt zunächst das Eingeständnis, daß wir Abendländer den Glauben an die göttlich-persönliche Lenkung der Geschichte zwischen Ost und West weithin verloren haben. Doch was der Mensch sei, sagt uns nicht allein die Geschichte, wie Wilhelm Dilthey wähnte. Vermag sie uns heute überhaupt noch Trost und Hoffnung zu schenken? — Der geheime Begleiter unseres inneren und äußeren Lebens wurde die Angst. Nicht weil die Geschichte sinnlos geworden, kam dieses über uns: Diese Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit, die oft in der Politik nicht mehr über den Machtkomplex, in der Philosophie nicht über den subjektivistisch-existentiellen Selbstbezug, in der Religion nicht über die Versittlichung der Lebenstriebe oder* eine unbeteiligte „Korrektheit“ hinauszugreifen vermag. Weil dieser Mensch sich selber fragwürdig wurde, darum mußte ihm auch seine Geschichte fragwürdig werden. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte, auch eben der Geschichte zwischen Ost und West, steht in unbedingter Korrespondenz mit der Frage nach dem Sinn des Menschseins überhaupt Hier aber bedarf es der Erinnerung an uns Abendländer: Nicht allein auf die Rettung von Macht-und Einflußsphären kommt es an, sondern zuallererst auf die gewissentliche Erfahrung, daß es dem Menschen nichts nützt, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet, das heißt hier den Traggrund seines Menschentums verliert.

Man huldigt der Illusion eines voraussetzungslosen Positivismus. Ja, Gott wird hier gar nicht mehr diskutiert, weil man ihn weder messen noch testen noch statistisch erfassen kann. Es gehört fast zum „Guten Ton", über ihn nicht zu sprechen, wie es auch fast peinlich empfunden wird, in der akademischen Ebene der Wissenschaft von Weltanschauung zu sprechen, obwohl man auch hier nicht und niemals ohne eine solche tragende Voraussetzung einer sinnvollen Forschung auskommt. Für einen östlichen Atheismus aber ist Gott nicht tot — er ist eine furchtbare Realität. Diese Gottlosigkeit ward geradezu zur Kernfrage dieser Politik und dieser Revolution und dieses Lebensstiles.

Fast möchte es nun dabei scheinen, als ob jenes benannte traditionelle Bewegungsgesetz des Geschichtsverlaufs von Osten nach Westen seine Richtungstendenz umzukehren begann, zumal — zumindest teilweise — die östliche Welt jene „Überfremdung" durch den Westen geradezu als heilbringende Beglückung aufnimmt. Doch auch jetzt bliebe dem tiefer dringenden Blick nicht verborgen, daß eine Europäisierung Asiens infolge der grundsätzlichen Andersartigkeit der seelischen Strukturen nur an der Oberfläche gelingen könnte, ja daß im Grunde bis heute die westliche Welt durch den steten Anstoß, Aufbruch, Drohung des Ostens in Atem gehalten wird, eines Ostens, der sich bewußt der westlichen Denkmethoden und Kampfmittel bedient.

Max Scheler hat die Wertsetzung der freien Person als die „Magna Charta" Europas gegenüber Asien bezeichnet. Doch es bleibe hier heute die ernste Frage: Kann dieser We-sten heute noch Asien, das seit zwei Generationen den Zerfall seiner magischen und mythischen, aber doch dem Leben Sinn und Halt leihenden Kultur erlebt, das Heil bringen? Haben nicht die Verbindungen von westlicher Technik und dem ihr eigenen Geist mit antiwestlichen Sinn-und Werthaltungen in Asien erschreckende Perspektiven wach gerufen? Nicht nur die Armut der Massen, sondern der sich aus der Berührung mit dem Westen herleitende soziale und kulturelle Verfall angestammter und noch echter Lebenshaltungen und „letzter Stellungnahmen" erscheint als der eigentliche Krisenfaktor, der wiederum noch durch den folgenden Einstrom kommunistischer Ideologie bedrohlich erhöht wurde. Dort aber geschieht heute genau das, was im Zeichen der fortschrittlichen Wissenschaften dem abendländischen Menschen seit dem Ausgang des Mittelalters widerfuhr. Der durch die Religionen und Mythen Ostasiens dem Menschen geliehene Hort und Halt seines Daseins, die abschirmende Sicherung seines „Standortes“, seines Daseinssinnes, von dem aus er in Übereinstimmung mit einem ewigen göttlichen Gesetz lebte und handelte, wird durch die neue wissenschaftlich-technische Zivilisation dieser oder jener Prägung mit ihrem entsprechenden Denk-und Lebensstil aus den Angeln gehoben. Nun aber wird dann auch diese östliche Menschheit vermöge der westlichen „Aufklärung" vor dem Nichts stehen, was die Antwort auf die Frage nach dem tragenden Lebenssinn des Menschen angeht, wenn sie sich nicht je und je selbst-schöpferisch ihre Weltanschauung ermöglicht. Doch auch hier wird dann — wie längst im Westen — die betroffene Erfahrung Platz greifen, daß bei aller kritischen, rationalen und rationell-technologischen Distinktion dennoch überall „mythische Reste" stehenblieben, ja daß man hier wie dort offenbar ohne einen solchen „Rest" als Mensch gar nicht zu exilieren vermag!

Wenn Arnold Toynbee die Aufgabe des Westens heute darin erblicken will, jetzt „der gute Engel des Ostens" zu werden — reicht hierzu eine technologische, ökonomische, machtpolitische „Heilsmission" schon aus? Bliebe hier nicht zuerst die unerläßliche Voraussetzung, daß nach den eigentlichen Motiven dieser gewiß auch ethisch akzentuierten Heilsbringerschaft gefragt wird, daß also das gefeierte Selbstbestimmungsrecht der Völker und die personale Würde ihrer Menschen allein um ihrer selbst willen respektiert und verwirklicht würden, auch und besonders dann, wenn diese oder jene sogenannten „höheren Interessen" auf dem Spiele stehen?

Wenn also dieser Westen Asien eine existentielle „Lebenshilfe“ leihen müßte, — haben wir selbst noch diese hohen Werte der freien Welt? Haben wir also diese Werthaltungen noch als verpflichtende, das heißt transzendent verankerte Lebensgrundlagen und — worauf es besonders ankommt — als Gewissensverpflichtung, die einer höheren Macht letztgültig sich verantwortlich weiß? Sind Menschenrechte also nicht nur menschliche Rechte, sondern in einer Ewigkeitsbindung fundierte Garantien, ohne die letzthin auch die Naturrechte unverbindlich bleiben könnten? Oder aber blieben diese seit ihrem Ursprung immer und je religiös verwurzelten Menschenrechte mit dem Verfall des Gottesglaubens als höchster Lebensnorm nur noch als zwischenmenschliche Verkehrszeichen in Geltung, die konventionell, vertraglich gesichert werden? Etwa im Sinne eines „aufgeklärten Egoismus", eines „ökonomischen Kalküls", das den Dienst am Menschen nur noch als Profit für sich selbst zu begründen versteht in der Lehre von dem „wohlverstandenen Interesse"? Dann freilich rückten der Westen und ein bestimmter Osten hier bestürzend nahe zusammen! Ist gar das Schwinden der Freiheit — trotz aller Beschwörungen der Freiheiten — ein durch Technik, Wirtschaft, Massendasein bedingter fortschreitender Weltprozeß? Eine noch nie dagewesene Verschränkung des Einzelschicksals mit dem Gesamt-schicksal nicht nur der Nation, sondern der Welt, birgt die tödliche Gefahr, daß das Massendasein eines technologischen, ökonomischen, zivilisatorischen Kollektivs auch den geheiligten Bezirk personaler Freiheit verschlingt, im christlichen Verständnis jene „herrliche Freiheit der Kinder Gottes", in deren Zeichen allein ein menschenwürdiges Leben sinnvoll erscheinen könnte.

Es geht doch letzten Endes um die Geltung oder Vernichtung des Christentums. Goethe bekommt wieder Recht mit seiner Auffassung, daß das eigentliche und tiefste Thema der Weltgeschichte der Kampf zwischen Glauben und Unglauben sei. So gesehen zeichnen sich die Fronten im weltgeschichtlichen Ringen ganz anders ab als auf der politischen oder ökonomischen Planskizze. Auf dem politischen Felde besteht eine klare Linie zwischen Ost und West, auf dem geistigen Felde aber besteht kein „Eiserner Vorhang", der Glaube und Unglaube trennt. Atheismus gibt es auf beiden Seiten. Doch der westliche Atheismus ist ein bloßer Abfall von Gott, ein „Entgleiten aus der göttlichen Sphäre". Der europäische Atheist lebt ohne Gott, aber nicht gegen ihn. Gottlosigkeit ist hier ein Zustand der Gleichgültigkeit, eine „seelische Mangelkrankheit".

Man wollte den entscheidenden Grund für die Stärke des Kommunismus im geistigen Vakuum des Westens sehen Schließlich sei doch der Sowjetismus ein letztes Produkt einer geistigen Krisis des Westens selber, das Endergebnis des Versagens der Christenheit in der Geschichte. Unter jahrhundertelanger Mitwirkung Europas hat sich hier eine Umkehrung des Christlichen vollzogen, eine neue Theologie, die aus der Verweltlichung des Göttlichen stammt und zusammenfällt mit der Vergöttlichung des Weltlichen. Daher auch konnte man die Stärke des Ostens darin erblicken, daß er eine Idee, ein Leitbild hat — seine Schwäche, daß seine Einheit Zwang ist. Anders erscheint als Stärke des Westens seine Freiheit, seine Wahrheit — als seine Schwäche aber, daß er viele Ideen, viele Leitbilder hat, die vermöge seiner eigenen selbst-kritischen Infragestellung letztgültiger tragender Gehalte vielleicht keine existentielle hinreichende Potenz mehr darstellen könnten — so jedenfalls wollte dies manchmal scheinen.

Wenn nun auch Bachofens These, daß die Weltgeschichte ein Kampf zwischen Orient und Okzident sei, in dieser Ausschließlichkeit wohl nicht haltbar erscheint, so bildete doch dieses Spannungsfeld einen beträchtlichen Teil ihrer Thematik. Als Spannung zwischen Christentum und Islam erschien dem Mittelalter und auch noch Goethe das West-Ost-Problem. Heute tritt es in neuer Gestalt uns entgegen, als Gegensatz zwischen Rußland und Europa, der sich allmählich zu einem Gegensatz zwischen Asien und Europa, zu einer Antinomie von Totalitarismus und Freier Welt auszuweiten scheint.

Es wäre ein unheilvoller Irrtum, zu glauben, daß sich die künftige Entscheidung zwischen Ost und West in der Zukunft nur in der Ebene der Produktion, des Lebensstandards und des gesellschafts-dynamischen Prozesses, der physikalischen, chemischen und biologischen Kriegstechnik abzeichnen wird. Letzthin werden die menschliche charakterologische Wer-tigkeit, die Höhe der Lebensideen und der Gesittung entscheiden, womit die Glaubens-kraft ebenso angesprochen ist wie die von dort her fundierten moralischen Perspektiven. Dies betrifft nicht nur jene weittragende, in ihren Folgen kaum noch absehbare Frage des Kampfes zwischen den östlichen und westlichen Weltreligonen mit jener unüberhörbar scharfen Kritik Asiens am abendländischen Christentum, es betrifft nicht nur die im Zeichen der proklamierten Menschenrechte stehende freiheitliche Mündigkeitserklärung gelber und schwarzer Rassen, die drohende Gefahr einer kulturellen und politischen Überflutung des technisiert-rationalistischen Westens durch ein teils noch ungebrochenes und charakterologisch echtes Seelentum des Ostens. Was uns selbst angeht, ist die eigenste, gewissentlich-innere Entscheidung im Geiste zwischen Ost und West — diese Begriffe im weiteren und im engeren Sinne verstanden. Was uns in der Tiefe angeht, ist nicht nur ein macht-oder wirtschaftspolitisches, nicht nur ein welt-haft-kulturelles, sondern im Grunde ein weltanschauliches Problem: Das Problem von Ost und West wird heute letzthin zur Stätte heilsgeschichtlicher Entscheidungen des Menschen über den Menschen.

IX. Gibt es noch einen Weg?

Was soll unter solchen Aspekten noch Humanismus bedeuten? Woher will eine Humanitätsidee ihre verpflichtende Begründung nehmen, wenn die Stützen der Tradition als Humanismus und Christentum weithin fragwürdig wurden und damit ohne Verbindlichkeit bleiben für den heutigen Menschen?

Angesichts dieser in ihrem Fortgang kaum noch übersehbaren veränderten Situation der Welt und des Selbstverständnisses des Menschen in seiner Welt wird die zentrale Frage vordringlich: ob und wie das seit der Humanitätsbewegung brennend gebliebene Anliegen auch unter den Lebensbedingungen der modernen Welt noch festgehalten und erfüllt werden kann und soll, ob es noch einen gültig übernommenen Stellenwert geben kann. Wo ist der Ansatzpunkt für den Humanismus in dieser veränderten Welt? Der Mahnung von Werner Jaeger 112): „Wer sich von der Antike scheidet, verzichtet damit auf das Verständnis seiner eigenen nationalen Kultur und bricht die Brücke ab zu den anderen Nationen", oder der Drohung J. Burkhardts: „Wir werden das Altertum nicht los, wenn wir nicht wieder Barbaren werden", stehen die harten Tatsachen gegenüber, daß — abgesehen von den fundamentalen Wandlungen in allen Lebensbezirken — die verhältnismäßig schmale Bürgerschicht, die Träger dieser Tradition war dahin ist. Es gibt aber heute keine Gesellschaftsschicht mehr, in der sie geborgen wäre. Denn früher gab es jeweils eine Elite vom Stand, heute ist es „eine so-112) ziologisch nicht mehr bestimmbare Auswahl einzelner, die sich selber wählen"

Im Zeitalter der Massen und der Fragwürdigkeit alles Daseins hielt der an der Antike und dem Christlichen orientierte Humanismus ebensowenig stand wie das neuhumanistischbürgerliche Menschenideal. Als Erziehungsund Lebensstil hat er sich in der Stunde der Bedrohung weithin als ein dünner Firnis erwiesen, der beim ersten Aufstand der Massen und der Diktatur sich auflöste. Das Versagen gerade auch der akademischen Schicht wie ebenso hoher Verantwortungen in anderen Räumen vor dem Ansturm des Nationalsozialismus und seiner ebenso antihumanistischen wie antichristlichen Weltanschauung ist bekannt. Daher kann der Humanismus in der überlieferten Form heute kaum noch Träger der geistigen Bewegung im Zeitalter der Massen sein. Besonders aber können nicht mehr bestimmte geschichtliche Bilder und Leitbilder, wie die Formen der abendländischen Klassik als Griechentum, Hohes Mittelalter, Goethezeit, typisiert und verabsolutiert werden, um deren rationale Erkenntnis und Aneignung gleichzusetzen mit der Bildung der Gegenwart. Mit der Analysierung einer geschichtlichen Herkunft und Struktur allein wird noch keine gültige Bildungsform gewonnen, zumal wenn das Kriterium für einen richtenden „Maßstab" fehlt. Hier bedarf es zuerst übergeschichtlicher Sinn-und Wert-forderungen, um seine Bildungsziele gültig und verbindlich zu verankern. Was Bruno Snell als den Traggrund der europäischen Kultur bezeichnet, jene Entdeckung der Griechen, daß es eine Ordnung in der Welt gibt, daß die Götter das Maß aller Dinge sind, daß die Welt ein Kosmos ist und eine strengste Ordnung alles bestimmt, daß hinter diesen Göttern etwas Umfassenderes steht, das dem Leben Sinn, Bedeutung und Halt gibt, daß schließlich die Griechen entdeckten, wie sich diese Ordnung dem Erkennenden als Gesetzlichkeit, dem Empfindenden als Schönheit, dem Handelnden als Recht darstellt — gerade darin jedoch wird die tiefe Diskrepanz zwischen damals und heute und die tiefe Problematik um eine mögliche Wiederbelebung dieser Tradition zutiefst offenbar. Denn gerade diese Glaubensüberzeugung der Griechen hat der moderne Mensch weithin verloren.

Doch hier begegnet uns wiederum die Frage: Gibt es noch einen „-Wegzurück“ zu Humanismus und Humanitätsidee? Und wenn es einen solchen Weg gäbe — zu welchem Humanismus und zu welcher Humanitätsidee? Das Humanitätsideal der Goethezeit war ein Muße-Ideal, unabhängig von Berufen und sozialen Pflichten. Insofern war die frühbürgerliche Humanitätsidee durchaus zeitlich gebunden. So viel aber scheint dennoch wohl gewiß, daß wir Abendländer bestimmter Sinn-und Wertmaßstäbe der Antike und des Christentums nie ganz entraten können, da wir sie selbst alle im Blute tragen. Aber wenn wir diesen Zugang überhaupt ablehnen wollten — woher wollen wir dann noch die Grundlagen für eine innere Kultur und menschliche Bildung heute nehmen?

Eine existentiell — nicht nur sprachlich — verstandene humanistische Bildung hat auch heute noch eine maßgebende Bedeutung für unsere geschichtliche Selbstorientierung und Selbstbesinnung. Sie gewinnt eben jene Bedeutung, die dem Kindheits-und Jugendalter im Menschenleben unverlierbar zukommt, als Gesetz, nach dem wir angetreten. Sie vermag Akzente zu setzen, die eine wesenhafte Formung der Persönlichkeit zu bewirken vermögen — und dies nicht nur unter einem Nützlichkeitsaspekt. Humanismus wird freilich heute nicht mehr als historischer Begriff verstanden werden dürfen, sondern als „das erzieherische Ethos, das die selbstdurchlebte menschenformende Kraft der Antike in einer umfassenden Persönlichkeitsbildung zukunftsweisend zur Wirksamkeit bringen will"

Ein solcher „lebendiger Humanismus" wird sich ebenso an den antiken wie an den geistigen und ethischen Problemen der Gegenwart entzünden müssen. Die Antike wird dabei weniger als ästhetische Größe noch als mythologisches oder kulturelles Vorbild, eher noch als „Vorwurf“ zur Selbstfindung Bedeutung gewinnen können. Eine solche Begegnung mit der griechisch-römischen und dann auch mit der westlichen Welt gestaltete von jeher unser abendländisches Antlitz und unser Schicksal. Eine offene Begegnung mit der östlichen und insbesondere der fernöstlichen Welt wird dazu in fruchtbarer, bereichernder Spannung die Konturen eines neuen abendländischen Humanismus heute gültig abzeichnen und bewähren müssen.

Der historisch-humanistischen ist zudringlich eine naturwissenschaftlich-technischeBildungsform gegenübergetreten. Wenn humanistische Bildung den Menschen zur freien Persönlichkeit erziehen will, die sich in der Gesellschaft auskennt, die sich darin bewegen, behaupten und entscheiden kann, so lehrt eine naturwissenschaftliche Bildung den Menschen die Natur begreifen und aus dieser Erkenntnis Macht gewinnen. In beiden steht der Mensch tatsächlich: in der Naturordnung und in der Ordnungsform der Gesellschaft. Von hier aus wird ein „naturwissenschaftlicher Humanismus konstituiert als jene echte naturwissenschaftlich-technische Formung, die aber in allen Stadien den Blick auf den Menschen und die Gesellschaft richtet. Allein es muß fragwürdig bleiben, ob dieses harmonisierende Ziel so einfachhin aufgeht. Denn mit dem technologischen Phänomen als durchgängige Lebens-und Bildungsform ist doch auch die freie Persönlichkeit und die Gesellschaft weithin heute „technisiert" worden. Der Fortschrittsglaube säkularisierte den Glauben an das himmlische Paradies und glaubte an dessen Verwirklichung schon in dieser Welt. Er wurde neben dem an Wirkung verlierenden Christentum zur wahren Religion der jüngsten Zeit — einer Religion, deren „Kirchtürme die Wolkenkratzer, deren Sakrament das Sausen der höchsten Geschwindigkeiten", deren Märtyrer die zu Tode gekommenen Erfinder sind In dieser fortschreitenden Technokratie wurde die industrielle Revolu- tion als Ersatzziel der Welterlösung begriffen. Ein „naturwissenschaftlicher Humanismus" bedürfte jedoch verbindlicher Richtbilder, die nicht aus dem naturwissenschaftlichen Bereich stammen, soll das Humane an ihm nicht leere Illusion bleiben! Sind doch Technizismus und Kollektivismus offenbar notwendig korrespondierende Erscheinungen. So führen aber alle naturwissenschaftlichen und technologischen Bemühungen und Errungenschaften eher von einer wahren Menschlichkeit weg, wenn es nicht gelingt, diese Ergebnisse und Fortschritte in unseren existentiellen und ethischen Lebenssinn einzuordnen und organisch einzubeziehen. Die Arbeit von „Sozialingenieuren" wird hierfür nicht tauglich sein können! Denn die menschliche Entscheidung, die uns heute abgefordert wird, fällt im Bereich des Menschlichen, und dies heißt weit mehr als Ingenieurgeist, als Technik und Organisation, Wirtschaft und Machtinteressen, Gebrauchs-und Verbrauchsstandpunkt.

Wenn nun aber Kultur ein wesenhaft abendländischer Begriff ist als Wertidee und letztes Ziel irdischen geistigen Strebens der Einzel-persönlichkeit wie der Nationen wenn hier der Kulturbegriff immer in Korrespondenz steht mit Humanitäts-und Bildungsidee, so bliebe auch heute die Notwendigkeit, wieder einen — wenn auch kritischen — Weg zu unserem geistigen Ursprung zu finden, sofern die Beschwörungen „Abendland" und „Europa" noch einen wahren Sinn behalten sollen Und wie schwierig es auch sein mag, das Ideal der Menschlichkeit heute gültig zu fixieren so gehören gewiß zu den grundlegenden Momenten für die Erziehung zur Menschlichkeit die Selbstbesinnung, Selbst-achtung, Selbstkritik, die Duldsamkeit, die Gewissensbildung und das Bewußtsein um Verantwortung für andere und für eine humane, das heißt hier geistig bestimmte Rangordnung der Werte, wie insbesondere jene liebende Haltung, die liebt, ohne zu wägen und ohne zu fragen. Wenn dabei die inhaltlichen Bedeutungsverschiedenheiten auf Grund jeweilig verschiedener Verwurzelung dieser Tafeln oft nur noch formale Richtbilder zu bedeuten vermögen, so werden sie doch auch für das Bildungsanliegen von hohem Rang sein müssen als jene letzten Kriterien, unter denen Bildungswirklichkeit überhaupt noch als möglich erscheinen kann.

Doch hier führt die Wegmarkierung nur über jenen zweiten Markstein abendländischer Humanität: über das christliche Erbe als über das Ideal des Gott-zugehörigen freien Menschentums und seines Dienstes am Mitmenschen. Allen Vorgängen der abendländischen Geschichte war ursprünglich der Antrieb zur Verchristlichung der Lebensformen eigen. Die Begegnung als jenes Miteinander und Gegeneinander von romanischer und germanischer Geisteshaltung mit dem Christlichen zeichnet im Grunde die Konturen der abendländischen Geistesgeschichte ab. Erst im dreizehnten Jahrhundert hatte dabei die urchristliche Idee der erbaermde, der Barmherzigkeit und der Hilfe am Mitmenschen ohne Ansehen seiner Klasse, seines Standes und seiner Gestalt im Bilde von Bassenheim, jenes Reiterbildes der Martin-von-Tours-Legende, das jenes urgermanische Reitersymbol von Möjebro ablöste und überwand, ihre Verwirklichung gefunden. Damals ward die Idee der Barmherzigkeit, des „Mitleids“, im deutschen „Parzival“ Wolframs von Eschenbach ebenso wie in der hochgotischen Plastik des erbaermdeChristus, zum zentralen Anliegen der Lebens-verwirklichung Hilfe als Anruf und Antwort, als Dienst an dem Geringsten der Brüder um Gottes willen, wurde dann jedoch mit der substantiellen Auflösung des Christlichen zum Ideal einer religiös unbestimmten Vermenschlichung, der „Humanisierung", schließlich zur rein profanen gruppenhaften oder staatlichen Wohlfahrt 123). Helfen als Dienst am Mitmenschen wird jetzt fortschreitend aus dem personalen Bezug herausgelöst, wird zur Funktion, zur Organisation. Hier nun aber droht eine noch entsetzlichere Gefahr, als sie der Verlust des rational-humanistischen Bildungselements abzuzeichnen vermag. Es droht die Gefahr der „Ausklammerung des eigentlich Menschlichen aus der Ordnung des inneren und äußeren Lebens" überhaupt. Wie aber wird die Menschheit aussehen, wenn der Mensch sich nicht mehr verantwortlich angerufen fühlt von der Gewissensverpflichtung zur personalen Hilfe? Hilfe nicht nur als sach-liehe Erledigung. Wenn die Kälte des Herzens, die Lieblosigkeit diese Verpflichtung am Nächsten, das ist doch jeder, der der Hilfe bedarf, eben diese Not an die Behörde verweist, an das Wohlfahrtsamt, an die Massen-fürsorge dieser oder jener Prägung? Mit Recht ist bemerkt worden, daß Lieblosigkeit nicht nur Verlust der Liebe bedeutet. Es ist ein „positiver Zustand der Gefühlskälte, Rücksichtslosigkeit, Feindseligkeit und des Argwohns. In dieser giftigen Atmosphäre verdorren alle menschlichen Gefühle" Ist unsere Zeit wirklich in die Zeit der Lieblosigkeit eingetreten, weil wir vergessen haben, daß alle menschlichen Beziehungen letzthin nicht nur vom Verstände geregelt werden, sondern abhängen von Haltungen und Wertungen, die nicht in der Erkenntnis wurzeln, sondern in dem Glauben, in welchem der Mensch sich selbst und das Göttliche hält? In einem solchen Klima der „versachlichten Hilfe" vermag keine Menschlichkeit der Beziehungen mehr zu erblühen und auch keine Beschwörung zur Humanisierung der menschlichen Beziehungen zu nützen. Und wenn unsere abendländische Zukunft wirklich nur noch im Worte Nietzsches vom „Schatten des Schattens" des Christentums zu leben hätte — diesen Schatten wird man nicht mehr aufheben, „abblenden" können, sollen wir nicht zugleich auch des letzten Restes der noch verbliebenen Menschlichkeit verlustig gehen. Denn die „reine Menschlichkeit“ ist für uns heute weder allein als Erbe der Antike noch als Vernunftreligion der Aufklärung realisierbar. Eine Humanitätsreligion, die noch von einem verdünnten Erbe des Evangeliums in Verschränkung mit gewissen Dogmen der natürlichen Religion der Aufklärung zu leben versucht, vermag doch kaum zu beruhigen. Nicht jedem erscheinen solche eklektizistisch zusammengeschmolzenen Elemente als ein hinreichend tragfähiges Fundament zur Gewinnung einer sinnvollen Existenz.

Gibt es doch dazu für den abendländischen Menschen, auch noch in der Gegenwart, seit Erscheinen des Christlichen in diesem Raum keinen unmittelbaren Zugang mehr zur antiken Geisteswelt, selbst wenn man dies vermeinte! Jeder Weg führt notwendig über jenes christliche Erbe, das wir alle, gewollt oder ungewollt, bewußt oder unbewußt, im Blute tragen. Die welthafte Kultur des Abendlandes hat überdies nicht das Tor zum inneren Bezirk des Herzens aufgestoßen — im Grunde waren es ganz andere Seins-und Wertforderungen, welche die natürlichen Selbstverständlichkeiten durchstoßen haben, geradezu verkehrt haben, um die Seele für jene Menschlichkeit zu öffnen, die wir als das neue Ethos unseres abendländischen Menschentums zu begreifen pflegen und mit dessen Schwund notwendig auch dieses Menschentum verblassen mußte: „Wer um meinetwillen sein Leben verliert, der wird es gewinnen". Der Verlust solcher Perspektiven aber bedeutet den Endpunkt einer ihrer Ursprünge enthobenen Humanität. Wenn es dann in dieser unserer Gegenwart noch einen Weg gibt, um zu einem echt und wahr gelebten Leben zu gelangen, so führt dieses Beginnen nur über die Durchbrechung der unwahrhaftigen Konvention, jener geheimen Lebenslüge, die das Antlitz der Welt beherrscht — bis hinein in innerseelische, religiöse und politische Lebensbeziehungen. Jedes hohe Lebensideal aber leidet Gewalt! Und so wird der Weg zur humanen Lebensbewältigung nur über das eigene Opfer führen können. Erst in der Ehrfurcht, in der Selbsthingabe des Ich für den anderen und das „ganz andere“, die Gottheit, gewinnt eine wahre Menschlichkeit auch sich selbst.

Diese Überzeugungen stammen jedoch nicht allein aus wissenschaftlichen Nachweisen, sondern aus ganz anderen Bezirken der menschlichen Existenz — sie werden gelebt, bewußt übernommen, weil sie geglaubt werden. Um diesen Glauben an echte Maßstäbe für das Leben und die Erziehung zu ringen — hier erreichen wir den eigentlichen Ort persönlicher Besinnung und Bemühung um eine wahre Menschlichkeit. Hohe Menschlichkeit besteht nie ohne das Wagnis eines hohen Glaubens, wie auch immer er sei, oder es ist keine Menschlichkeit. Hat jedoch ein abendländisches Menschentum heute noch die Kraft eines solchen hohen Glaubens, oder leben wir oft nur noch von alten Tafeln, die für viele keine Lebensmacht mehr bedeuten? Wohin wollen wir dann noch leben, wohin dann noch bilden und erziehen? Woher sollen die verpflichtenden Normen für den Ausweis dessen, was Menschlichkeit ist, genommen werden?

Die Proklamierung der Humanitätsidee als Lebens-und Bildungsziel entspringt heute eher der Verlegenheit als einer klar umschriebenen Vorstellung oder gar einer echt übernommenen Lebensüberzeugung. Im Grunde lebt freilich unser heutiger Bildungsgedanke trotz leidenschaftlicher Ablehnung doch noch latent von eben jenen Leitbildern, die jedoch keinen rechten Wirklichkeitscharakter mehr zu gewinnen vermögen, weil sie ihre Überzeugungskraft verloren haben. So also lebt jenes Ideal wie eine Art untergründiges religiöse Lebensziel in uns fort und beweist damit jenes Beharrungsvermögen, das Lebens-und Bildungsidealen wie auch Glaubensformen anhaftet, selbst unter ganz veränderten Bedingungen und Lebensverfassungen. Daß dabei die Gefahr der Unechtheit des Lebensstils als des Auseinanderfallens von traditionell angenommenen, aber nicht mehr existentiell übernommenen Formideen naheliegt, entspricht heute einer durchgehenden Erfahrung. Hier scheint aber jenes Moment auf, daß Humanismus und Humanität sich fragen lassen müssen, wes Geistes Kind sie sind. Denn jede Lebensüberzeugung gründet in weltanschaulichen Voraussetzungen. Es gibt keine Menschlichkeit an sich, es gibt nur eine so oder anders bestimmte oder begründete oder verwurzelte Menschlichkeit. Wie der griechische Humanismus an der Lebenssinngebung der Paideia, der römische an der Humanitas, der Neuhumanismus an der religiösen Perspektive Herders, Goethes, Fichtes, Schleiermachers, Humboldts orientiert waren, so ist die aulgeklärte Humanität an Freiheiten und Grundrechten orientiert, die eine Vernunft-religion ihr nahezubringen suchte. Dem Christenmenschen freilich vermögen Humanismus und Humanität letzthin nur als ein Humanismus der Inkarnation und des Kreuzes Gültiges zu bedeuten. Es sollte dies doch als die unüberschreitbare kategoriale Andersartigkeit gegenüber allen anderen Humanismen deutlich fixiert werden. Die Lebenswerte der Freiheit, der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, der mitmenschlichen Liebe, des Heilswillens sind im Christlichen anders begründet als in der Antike: in Rom, im Neuhumanismus oder in der neuzeitlichen Aufklärung. Hier liegt ein richtungleihender Maßstab im Worte Fedor Dostojewskis: „Nie habe ich mir die Menschen vorstellen können ohne IHN." Humanitas im christlichen Existenzbewußtsein ist also nicht zu denken ohne den Akzent einer von Gott erlösten Humanitas: „Wer aber in Christus steht, der ist eine neue Kreatur.“

Wird sich aber aus den Erschütterungen des menschlichen Selbstverständnisses durch die Not der beiden Weltkriege und der umwälzenden Lebensstruktur wirklich ein neues Ethos „kristallisieren"? Reichen solche Erfahrungen allein dazu aus? Ist nicht auch das A-Humane, das Unmenschliche, das Böse, jenes mysterium iniquitatis tief in des Menschen Herz verwurzelt? Und hat die Generation der beiden großen Kriege noch die Kraft und den Einfluß auch auf diese junge Generation, die jene Zeiten der erschütternden Erfahrung nur noch aus dem Geschichtsbuch kennt? Zeigt nicht gerade unsere Wohlstandsgesellschaft heute eine erregende Desinteressiertheit an allen tieferen Lebensbezirken, Fragen und Antworten, wie vor allem auch an einer tat-bereiten Hilfe für die Not, die Armut und den Hunger in der Welt? Eine heute dominante Erscheinung ist das Vordringen einer jungen Generation in Schlüsselstellungen des öffentlichen Lebens. Diese Generation ist ja „unbelastet", fühlt daher keine unmittelbare Verantwortung gegenüber einer schuldbeladenen deutschen Vergangenheit. Sie entbehrt freilich ebenso dadurch des erfahrenen Bewußtseins um die Kontinuität der geistesgeschichtlichen Verwurzelungen. Damit bestätigt sich im Grunde die heutige Erfahrung, daß ein Traditionsbruch von bisher kaum gekannten Ausmaßen festzustellen ist, zumal die „mittlere Generation" weithin ausfällt, auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges verblieb. Woher soll aber, wenn nicht aus religiösen Bindungen und übernommenen Glaubensverpflichtungen, der „Grund" für diese tatbereite Hilfe und Verantwortung genommen werden? Wir leben heute weithin von kritisch aufgelösten Relikten ursprünglicher Glaubensüberzeugungen. Woher sollen dann die verpflichtenden Normen genommen werden, wenn das vielschichtige Naturrecht oder die angestammte Gesittung einer Kultur-und Gesellschaftstradition nicht mehr tragen? Hier erscheint der Ort zu der Frage, ob eine wissenschaftlich fundierte Ethik wirklich als voraussetzungslos besteht, die uns die Grundnormen des Handelns somit allein mit den Gewichten der „reinen Vernunft" aufzuweisen und als Verpflichtung aufzuerlegen und zu begründen hätte. Wer jedoch die sich widersprechende Vielschichtigkeit ethischer Wert-und Sollensbegründungen — zumal in einer weltanschaulich pluralistisch bestimmten Gesellschaft — übersieht, wonach das Gute in der menschlichen Wesensnatur oder im Prinzip der nützlichen Brauchbarkeit oder in den Geboten der verschiedenen religiösen und politischen Weltanschauungsgruppen begründet werden soll, dem bleibt nur der Rückbezug auf bestimmte „angestammte" Weisen und Formen der Gesittung, die — mit oder ohne Vernunftseinsicht begründet — letzthin doch noch dem offenen oder verkappten christlichen Werthorizont entstammen. Was anders sich heute an sittlichem Neuland anzeigt, leidet entweder an seelisch-geistiger Kurzatmigkeit oder an existentieller Oberflächenbezogenheit oder gar an jenen unechten Umstrukturierungen der Lebensbezüge der Geschlechter durch Abbau der sexuellen Tabus. Es ist wie ein Paradox. Auf der einen Seite steht die Bemühung um die Humanität auch als Richtbild für die Erziehung im öffentlichen Raum, auf der anderen Seite die massenmäßige Verbreitung von Kriminalgeschichten in Buch Bild und Funk mit der Deklarierung von Lüge, Verschlagenheit, verbrecherischen Handlungen. Werden so alle nur möglichen Unterwelts-und Unmenschlichkeitsperspektiven sowie die unterschwelligen minderwertigen Charakterhaltungen gewissermaßen salonfähig gemacht — im Namen der spannenden Unterhaltung —, so muß daneben der Ruf nach den bekannten Werten zur Persönlichkeitsbildung geradezu absurd erscheinen. Tut man nicht gerade alles, um die Erziehung zu dieser Menschlichkeit zu verhindern? Was einer heutigen Humanitätsbemühung offenbar geradezu außer Bewußtsein zu geraten scheint, ist die Erfahrung der menschlichen Unzulänglichkeit, jener seelischen Grunderfahrungen, die mit den Begriffen von Sünde und Schuld zu umschreiben wären.

Jene verbreitete These von der möglichen Änderung und Umschichtung unserer Bewußtseinsstruktur durch die „Anpassung" an die veränderte Ding-und Mittelwelt, an die technisierte und kollektivierte Daseinswelt, wonach der Mensch seine eigene Gestalt wandeln soll, wenn die Gestalt der Welt sich wandelt, so daß das Selbst ein anderes wird, indem es die Welt zur „Sache" umdenkt gewinnt heute eine zentrale Bedeutung. Doch was heißt denn Änderung und Umschichtung des Bewußtseins? Schließt dies eine Veränderung der Gesamtperson notwendig ein, insbesondere auch als „Umschichtung" in den unbewußten Lebens-und Erlebensvorgängen, in der „Triebökonomie" als in der Ordnung jener Einheit seelisch-geistigen und damit untrennbar auch physischen Verhaltens, die uns als Grundverfassung des Charakters, der Lebensgrundstimmung, der Offenheit oder Verschlossenheit, des Vermögens zur Wert-empfänglichkeit für je bestimmte Werte erscheint? Eine solche These der „Anpassung" der menschlichen Bewußtseinsstruktur und — in einem solchen Verständnis — der Gesamtpersönlichkeit müßte aber bei so radikalen Veränderungen, wie sie die moderne Zivilisationswelt darstellt, für die menschliche Lebensverfassung schlechthin einen tiefen Wandel bedeuten. Es bedrängt die ernsthafte Befürchtung, ob dann vielleicht gar keine Ansatz-stellen für jene als unerläßlich geforderte „Sinnstelle", als personale Sinngebung letzter Gültigkeit, mehr gesehen und verwirklicht werden könnten. Und scheint eine solche Befürchtung nicht nahezuliegen angesichts jener offenbar bewußten Bildungsfeindlichkeit, die das geistige Leben nur noch auf das technische Können und Haben und Gebrauchen wie auf das „Aussprechen des nackten Daseins" zu reduzieren bemüht ist? Im Konkreten könnte dies etwa bedeuten, daß gar kein „Organ" für die zentrale Bedeutung eines einheitlichen Lebensvollzuges, für geistige Werte überhaupt, für die „Erfahrung" des Heiligen, für mitmenschliche Verpflichtungen, für das „Oben" und „Unten" einer bindenden Wertordnung, für richtungsbestimmende Sinnfragen und Sinnmaßstäbe hoher geistiger und letztgültiger Bedeutung mehr vorhanden wäre.

Es betrifft also eine ganz andere Frage, vielleicht die ernsteste Frage, ob denn der heutige Mensch, insbesondere auch der Jugendliche, wirklich die notwendige Disposition in seinem seelischen Habitus — nicht nur in seinem geistigen Vermögen — mitbringt für jene notwendig „innerliche Erfahrung“ solcher Perspektiven des Menschentums. Diese Frage erscheint nicht überflüssig angesichts jener bestürzenden Feststellung, wonach etwa in der amerikanischen Gesellschaft — aber doch nicht nur hier — der traditions-geleitete und innen-geleitete Menschentypus noch fortschreitend von dem außen-geleiteten in weitestem Maße verdrängt und ersetzt wird.

Hier erscheint jene spezifische Lebensfrage des Menschen und der Menschlichkeit, ob es in einer Massengesellschaft überhaupt noch Individualität geben könne. Zu der verbreiteten Erfahrung einer Anonymität des Individuellen und Persönlichen bemerkt Karl Jaspers' 128): „Sie blicken uns eigentlich nicht an, sondern wenden uns in ihrem stechenden Blick oder in der Blicklosigkeit ihre leeren Augen zu. Sie sind als sie selbst gar nicht da. Es redet durch sie, sie selbst sprechen nicht. Es ist eine Gewaltsamkeit des Fraglosen oder ein Lächeln der Geläufigkeit. Es bietet sich eine jederzeit austauschbare, persönlich-menschlich unzuverlässige Kameradschaft an. Man unterwirft sich in dem Terror dem, was als Linie befohlen wird, oder in der Konvention dem, was alle tun und zu glauben scheinen."

Wenn in der Gegenwart jene geistige Wurzel der modernen Humanität, der Gedanke der Selbsterlösung, selbst tief in der Geschichte der humanistischen Doktrinen verhaftet, sich in seiner letzten Konsequenz versteht, so gerät unsere Thematik in den Bezirk heilsgeschichtlicher Entscheidungen des Menschen und über den Menschen. Mit Recht ist bemerkt worden daß man in dem Augenblick, da man nicht mehr an „das Ewige im Menschen" glaubte, man auch nicht mehr an den „Menschen als solchen" glauben könnte. Das sind letzte Fragen letzter Gültigkeit. Mit dem Schwund jenes Glaubens aber mußte notwendig auch jene „Entwesung der menschlichen Person" zum animal sociale, zum mechanistischen Funktionsträger sich erfüllen, wovon die Rede war. Hier stehen wir nun wirklich vor dem eigentlichen Problem der Gegenwart, wie es sich jedenfalls für ein bestimmtes Lebensverständnis stellt. Es ist die Frage, ob wohl der Schwund des Christusglaubens oder wenigstens die bewußte Verdrängung christlicher Maßstäbe im sittlichen und rechtlichen Bereich aufgehalten werden könnte. Ein tiefes Geheimnis geistesgeschichtlichen Werdens kommt an dieser Stelle auf uns zu: die Geburt des Widersachers aus dem eigenen Schoße. Der Ursprungsraum unseres Freiheitsbewußtseins lag in der christlichen Botschaft. Dasselbe gilt für die Verkündigung von dem unendlichen Wert der Einzelseele, der Gleichheit aller Menschen vor Gott, jener Gründungsurkunde eines „christlichen Humanismus". Alle diese Grundlagen unserer menschlichen Existenz in der Moderne wandten sich jedoch zunehmend gegen jenen geistigen Ursprungs-raum, dem sie selbst entsprossen. Ob also wohl die Abwanderung der abendländischen Menschheit aus den Hallen des Christentums aufgehalten werden könnte?

Hier unsere Antwort: Nicht die äußere, auch nicht die innere Herrschaft über den Menschen, sondern der Dienst am Menschen erscheint uns als das letztgültige Kriterium der christlichen Botschaft — Quelle des folgereichen Mißverständnisses über die Jahrhunderte. Nur insoweit wird die christliche Botschaft vom Menschen als eines geschöpflichen und der Erlösung und des Heils bedürftigen Wesens heute noch Überzeugungskraft gewinnen, als jene christliche Lebenswirklichkeit unter Abweisung aller welthaften Machtzeichen und in der Echtheit einer unbedingten Wahrhaftigkeit des Gewissensanrufes den Dienst am „geringsten meiner Brüder" zum zentralen tatbereiten Richtbild zu nehmen bereit ist. Eines Richtbildes also, das mit der Fixierung vieler Humanismen im Ursprungs-und Bedeutungsfeld gar nichts gemeinsam hat. Man muß freilich schon eine Achsendrehung der gesamten menschlichen Existenzgründung, des Daseins-und Sinnverständnisses überhaupt, mit-vollziehen können, um jenen spezifischen Raum christlicher Erfahrung vom Menschen, von dieser seiner „Humanität" zu erreichen. Weil die Heiligsprechung des Kompromisses heute geradezu das ethische Problem zu sein scheint, darum auch bleibt der Zugang zum Eigentlich-Christlichen verschlossen. Denn das Selbstverständnis des heutigen Menschen findet sich in jenem unmittelbaren und wesenhaften Anruf, in der sensiblen Unterscheidung für die charakterologische Echtheit als für jene Übereinstimmung von Leben und Lehre, Logos und Ethos, Besinnung und Gesinnung. Nur in dieser Tiefenschicht echter Haltungen wird der heutige Mensch, zumal unsere Jugend, noch angesprochen werden können dann, wenn man ihnen den freien Entscheidungsraum zugesteht, ohne einen hohen Raum abendländischer Tradition preis-zugeben. Man wird den Mut haben müssen zu der Einsicht, daß echte Lebensüberzeugungen nicht mehr nur gelenkt, gemacht, bewahrt werden können. Reifen heißt auch: In-der-Krise-stehen-müssen und damit in der Be44 Währung. Gültig wird nur noch sein, was in der Echtheit einer gewissentlichen Überzeugung errungen wurde — und vorgelebt wird.

Wenn wir aber angesichts der modernen Unmenschlichkeiten der Massenvernichtungen nach dem Zeugnis der Humanität selbst fragen, so können wir nicht ohne tiefe Bestürzung bleiben. Nicht die Wahrheit und Wahrhaftigkeit, nicht die Hilfsbereitschaft, sondern der berechnende Erfolgsegoismus scheinen doch weithin die Welt zu bestimmen — ehedem und heute. Doch wo die Wahrhaftigkeit stirbt, wo das Opfer ohne Stellenwert bleibt, wo der geheime seelische Tiefenbezirk nur mehr als privater, den „Betrieb“ störender Luxus empfunden wird — hier stirbt die Menschlichkeit ab, in welcher Gestalt sie auch immer verstanden wird. „So kam . . . das Elend des Angsthabens voreinander auf, in dem wir uns jetzt bewegen" (Albert Schweitzer).

Es möge dabei jedoch ebenso nicht unbemerkt bleiben, daß inmitten aller Lieblosigkeit und Schrecknisse der Verbrechen und der Untaten gegen die Menschlichkeit dennoch auch ganz andere Kapitel des Mitfühlens, der personalen Hilfe, der brüderlichen Anteilnahme, des opfervollen Einsatzes der persönlichen Existenz für diese Menschlichkeit durch die Welt gehen. Wer wollte dies übersehen? Diese duldende und handlungsbereite Hingabe von Menschen für den Menschen? Allein dies alles umfängt zumeist die Stille, die selbstverständliche gute Tat des Herzens. Die „Publicity“ weiß von alledem nichts — diese Öffentlichkeit will Sensation, lebt von der Unechtheit von „Einsätzen", die selten allein um der Sache willen geschehen oder auch selten nur aus diesen Motiven publiziert werden. Dies dann könnte als ein Signum, als ein Merkmal der Unterscheidung aller wahrhaft humanen Gesinnung und Tat gelten: Nur was ein Mensch unter Absehen von seiner Person für eine Sache, eine Idee, einen Menschen, eine Gruppe und so fort zu tun bereit ist, könnte auch den charakterologischen Wert seiner Persönlichkeit, seines Menschentums, seiner Humanität anzeigen. Und dies gilt für alle Bereiche des Lebens, für den religiösen Bezirk ebenso wie für den politischen, den beruflichen ebenso wie für den privaten Lebensbezug. Hier kommt in der Tat eine gültige und zentrale, ja vielleicht die eigentliche Perspektive in Sicht, wenn wir von Humanität sprechen, wie wir diese verstehen. Wir sehen keinen anderen Weg, keinen anderen Schlüssel zu dem „Geheimfach" unserer humanen Existenz, als in jener, offenbar paradox scheinenden Achsendrehung unserer gesamtmenschlichen Existenzgründung, wovon schon die Rede war. Jene andere, nicht minder ernste Frage, wieviele Menschen wohl überhaupt einen Zugang finden oder gar finden können zu solchen Tiefenbezirken des Lebensverständnisses — dies bleibt eine nicht unbedingt ermutigende Verlegenheit.

Der Mensch ist nicht nur das Wesen, das geistbestimmt lebt oder handelnd sich bewährt, er ist vor allem das Wesen, das sinnbezogen existiert, sofern es wahrhaft menschlich existiert, so daß auch alle Einzelfunktionen beziehungsweise Erscheinungsweisen des Menschlichen nur organisch-strukturell, das heißt von einem übergeordneten Sinnbezug her, erst gültig gedeutet werden können.

Im Grunde gibt es heute nur zwei Verhaltensweisen zur menschlichen Existenz, die jedem einzelnen zur Entscheidung aufgegeben sind.

Menschliche Existenz wird erfahren als eingespannt in eine als determinatorisch erfahrene ökonomisch-gesellschaftliche Prozeßgesetzlichkeit, die vorgezeichnet und wissenschaftlich feststellbar ist. Der einzelne hat Gültigkeit nur als Vollzugsorgan dieses Welt-prozesses, dem er sich einzuschmelzen hat. Die andere Ansicht sieht die Freiheit zur Verantwortung des einzelnen im „Schicksalsgeschehen" der Geschichte — trotz aller Zudringlichkeiten. Geschichte ist hier um der freiheitlichen Würde der Person willen, die ihre Bestimmung und Tathandlung allein aus dem Gewissensbezug der „Innerlichkeit" oder eines frei übernommenen göttlichen Anrufs herleitet, wie etwa in der christlichen Offenbarungsreligion. Beide Grundhaltungen können jedoch nicht etwa mit der Grenzlinie von Ost und West markiert werden. Das eigentliche bedrängende Problem der Rettung der freien Personwürde, jenes Angelpunktes abendländischer Humanität, liegt für uns heute viel tiefer. Dies deshalb, weil ein verbreiteter östlicher Prozeßfatalismus in einer verbreiteten westlichen determinatorischen Soziologie und psychologischen Anthropologie und ökonomisch-technologischen Daseinsinterpre-B tation mit ihren neuen Evangelien der Anpassung, der funktionalen Substanzlosigkeit und der rentierlichen Plansoll-Erfüllung seine Entsprechung findet. Ob man wohl diese Konsequenzen überall bemerkt, wenn man im Namen der Humanität für Freiheiten kämpft, deren Wurzelboden bereits die Keime zur Zerstörung der so gehüteten Persönlichkeitswürde wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich zur Reifung bringt?

Es betrifft schließlich die wohl tiefste noch zu erinnernde Problematik, wenn nach der Freiheit des Menschen und ihrer Möglichkeiten im gesellschaftlichen Raum überhaupt gefragt wird. War der Mensch denn je frei? Etwa in der statischen Gesellschaft, die seinen inneren und äußeren Lebensraum mit den konstanten Sozial-und Bewußtseinsstrukturen wie selbstverständlich umfing? War nicht auch der traditionsbestimmte Mensch in diesem „Gehäuse“ seiner eigenen Entscheidungen weithin enthoben, ja entlastet? Waren nicht Sitte, Konvention, Religion diesem Menschen immer jeweils überkommene als geheiligte Mächte, ohne daß er sich dieser kritisch noch bewußt werden konnte? War also der Mensch nicht immer schon „gebunden", niemals ganz er selbst? Es bleibt uns dann nur noch die Erfahrung jenes Geheimnisses, daß menschliche Freiheit immer und nur in der bewußten gewissentlichen Bindung möglich wird, daß es niemals ein Dasein ohne Glauben geben kann, daß schließlich die Bindung'an eine göttliche Macht doch dem Wesen des Menschen wesenhaiter ist als eine Auslieferung an einen anonymen „Prozeß“ in der menschlichen Konstitution selbst, in der Natur, in der Kultur, in der Gesellschaft, in der Geschichte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Viktor E. Frankl, Das Menschenbild der Seelenheilkunde, 1959, S. 43.

  2. Raimundo Paniker, Das Christentum ist kein Humanismus, Dokumente 8, 1952, S. 12.

  3. Franz Schnabel, Das humanistische Bildungsgut im Wandel von Staat und Gesellschaft, 1956, S. 11.

  4. Werner Jaeger, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, I, 1936, S. 13 f.

  5. Das Naturbild der heutigen Physik, 1955, S. 36 ff.

  6. Franz Schnabel, a. a. O. S. 9; vgl. bes. Friedrich Klingner, Römische Geisteswelt, 19563, S. 620 ff. Zur Literatur Richard Schwarz, Wissenschaft und Bildung, S. 301 f.

  7. Gerhard Krüger, Abendländische Humanität, 1953, S. 15 ff.

  8. Humanität im RGG, 19593, Sp. 482 ff.; vgl. Wilhelm Flitner, Europäische Gesittung, 1961.

  9. Die Intelligenz und die heutige Gesellschaft, in: Universitas XI, 1956, S. 1069 s.; ders., Abriß einer Soziologie der Intelligenzschicht, und Die Geistigen und die Gesellschaft, in: Ordnung und Freiheit, 1956, S. 246 ff.

  10. Zur christlichen Freiheitsidee: Theodor Steinbüchel, Vom Sinn der christlichen Freiheit in der Welt, in: Wissenschaft und Weisheit IX, 1942, S. 73 ff.

  11. Hans Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters, 1957, S. 29 f.

  12. Nicolai Berdjajew. Die menschliche Persönlichkeit und die überpersönlichen Werte, 19382, S. 21,

  13. Paul Tillich, Der Mensch in der technisierten Gesellschaft, in: Perspektiven 8, 1954, S. 141; Ernst Michel, Das Problem des personalen Lebens und seine Gefährdung heute, in: Jb. für Psychologie und Psychotherapie III, 1955.

  14. Vgl. Dieter Oberndorfer, Von der Einsamkeit des Menschen in der modernen amerikanischen Gesellschaft, 1958.

  15. Vgl. u. a. David Riesman, Die einsame Masse, 1956; Arnold Gehlen, Die Rolle des Lebensstandards in der modernen Gesellschaft, in: Macht einmal anders gesehen, 1954; Jürgen Habermas, Die Dialektik der Rationalisierung, in: Merkur VIII/8, 1954.

  16. W. Kohlschmidt, Wider das Schulmonopol des Staates, in: Die Sammlung VII, 1955, S. 397.

  17. Karl Jaspers, Das Kollektiv und der Einzelne, in: Mensch und Menschlichkeit, 1956, S. 72.

  18. Zum ökonomischen Menschentyp: Eduard Spranger, Lebensformen. Geisteswissenschaftliche Psychologie und Ethik der Persönlichkeit, 1930, S. 145 ff.

  19. Vgl. u. a. Theodor Litt, Technisches Denken und menschliche Bildung, 1957.

  20. Vgl. bes. Eduard Spranger, Ist der moderne Kulturprozeß noch lenkbar?, in: Kulturfragen der Gegenwart, 1953.

  21. Zur Kennzeichnung der Idealtypen sozial-kultureller Systeme vgl. die instruktive Zusammenfassung bei Carl Weiß, Abriß der pädagogischen Soziologie I a, 1958, worauf Bezug genommen werden durfte.

  22. Vgl. bes. Kurt Sontheimer, Soziologie als Instrument des Konformismus, in: Frankfurter Hefte 8/1956, S. 531 ff.

  23. Joachim Bodamer, Wir auf der Szene unseres Daseins, 1960, S. 32 f.

  24. Joachim Bodamer, a. a. O., S. 33.

  25. Carl Weiß, a. a. O., S. 71.

  26. Arnold Gehlen, Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, 1949; Erich Fromm, Psychoanalyse und Ethik, 1954.

  27. G. E. Störring, Besinnung und Bewußtsein, 1953.

  28. Hans Bürger-Prinz, Motiv und Motivation, 1950, S. 13.

  29. David Riesman, a. a. O.

  30. Vance Packard, Die wehrlose Gesellschaft, 1964.

  31. Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie, 1953, S. 349.

  32. Richard F. Behrendt, Der Mensch im Licht der Soziologie, 1962, S. 9.

  33. Richard Schwarz, Situation und Krise der heutigen Universität. Antrittsvorlesung an der Universität München, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, 23. 9. 1964.

  34. Der Mensch im Licht der Soziologie, 1962, S. 58 f.

  35. Frank Benseler, Im Labyrinth weltanschaulicher Systeme, in: Deutsche Tagespost vom 30. /31. 10. 1964, Nr. 129.

  36. Vgl. Richard Kaufmann, Die Menschenmacher. Die Zukunft des Menschen in einer biologisch gesteuerten Welt, 1964, S. 17.

  37. Vgl. Richard Kaufmann, a. a. O., S. 62; Friedrich Wagner, Manipulation des menschlichen Keimplasmas als Ausweg aus den Zivilisationsprobleinen?, in: Universitas, Jg. 19, 10/1964.

  38. Vgl. Richard Kaufmann, a. a. O., S. 60.

  39. Werner Schöllgen, Der Einbruch der Technik in die menschliche Persönlichkeit, in: Hochland, Jg. 44, 1952, S. 249.

  40. Was sind Menschenrechte und wie steht der Christ dazu, in: Die Menschenrechte in christlicher Sicht, hrsg. von August Wimmer, 1953, S. 9.

  41. Vgl. Richard Schwarz, Gegenwartsaufgaben der Universitätspädagogik, in: Österreichische Hochschulzeitung, Jg. 11, 1959, Nr. 15.

  42. Richard Schwarz, Wissenschaft und Bildung; ders., Prinzipien der Bildung in der gegenwärtigen Situation, in: Markierungen. Beiträge zur Erziehung im Zeitalter der Technik, 1964.

  43. Georg Picht, Unterwegs zu neuen Leitbildern?, 1957, S. 43 ff.; Helmut Schelsky, Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft, 1957.

  44. Macht und Grenzen des Einflusses der Erziehung auf die Zukunft, in: Pädagogische Perspektiven, 1951, S. 14.

  45. Das Reich des Geistes und das Reich des Cäsar, 1952, S. 82.

  46. Vgl. bes. Eduard Spranger, Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 26, 19614, S. 47: „Die Person ist deshalb heilig, weil sie der Ort des Gewissens ist ... Die historisch erste Freiheit, die man dem Staat abtrotzte, war die Gewissensfreiheit."

  47. Vgl. u. a. Carl Schmitt, Politische Theologie, 1922, S. 37; Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1953*; Friedrich Delekat, über den Begriff der Säkularisation, 1958.

  48. Vgl. Richard Schwarz, Situation und Krise der heutigen Universität, a. a. O.

  49. Arnold Gehlen, Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat, in: Merkur, Mai 1964.

  50. Problematik der Humanitas, in: Hochland, Jg. 39, 1949, S. 112.

  51. Vgl. u. a. Michael Pfliegler, Religion und Erziehung, 1949.

  52. Viktor E. von Gebsattel, Not und Hilfe, in: Christentum und Humanismus, 1947, S. 87.

  53. Das Ende der Neuzeit, 1950, S. 124.

  54. Vgl. Josef Bernhart, Der Mensch in der Gottlosigkeit, in: De profundis, 1939, S. 41; Hans Urs von Balthasar, Die Gottesfrage des heutigen Menschen, 1956.

  55. Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, 1957, S. 120; vgl. auch Wilhelm Kamlah, Der Mensch in der Profanität, 1949.

  56. Werner Schöllgen, Bekenntnis und Flucht als Lebensprobleme des modernen Menschen, in: Universitas XI, 1956, S. 920.

  57. Max Picard, Die Flucht vor Gott, 1934.

  58. Michael Pfliegler, Die religiöse Situation, 1948 S. 193.

  59. Die religiöse Entscheidung der Jugend, 1963.

  60. Näheres: Richard Schwarz, Wissenschaft und Bildung, S. 231 ff.: Grundlinien des menschlichen Selbstverständnisses in der gegenwärtigen geistigen Situation; ders., Die Krisis der gegenwärtigen geistigen Situation — eine Vorfrage zum Problem der Bildung, in: Pädagogische Provinz, Jg. 1950, H. 10, 11, 12.

  61. De praescr. haer. c. VII.

  62. „Non regnat Spiritus Christi, ubi dominatur Spiritus Aristotelis", zit. nach J. M. Verweyen, Die Philosophie des Mittelalters, 1925, S. 131.

  63. Richard Schwarz, Das Problem einer christlichen Philosophie. Antrittsvorlesung an der Universität Würzburg, in: Philos. Jb. 60, 1950.

  64. Vgl. bes. Alfred von Martin, Von der Menschlichkeit des Christenmenschen, in: Hochland, Jg. 40, 1948; dagegen: Raimundo Paniker, Das Christentum ist kein Humanismus, a. a. O.

  65. Neue Zeitung vom 27. 2. 1952, Nr. 49, S. 4.

  66. Vgl. J. B. Lotz, Immanenz und Transzendenz. Zum geschichtlichen Werden heutiger Problematik, in: Scholastik XIII, 1938, S. 1 ff.

  67. Paul Tillich, Das christliche Verständnis des modernen Menschen, in: Das ist der Mensch, 1959.

  68. Hierzu vgl. u. a. L. Lambinet, Das Wesen des katholisch-protestantischen Gegensatzes, 1946; Richard Schwarz, Wissenschaft und Bildung, S. 305.

  69. Emanuel Hirsch, Die Umformung des christlichen Denkens in der Neuzeit, 1938, S. V.

  70. Eduard Spranger, Die christliche und die humanistische Persönlichkeit, in: Credo. Beiträge aus der christlichen Welt I, 1947.

  71. Der dritte oder der vierte Mensch, 1953, S. 283.

  72. Drei Gespräche, 1947, S. 130.

  73. Josef Pieper, über das Ende der Zeit, 1953, S. 96 f.

  74. Josef Pieper, a. a. O.

  75. Der Sinn der Geschichte, o. J., S. 294.

  76. Richard Schwarz, Wissenschaft und Bildung, S. 10— 35.

  77. Christentum am Morgen des Atomzeitalters, 1954, S. 10; ders., Industriekultur und Religion, 1964.

  78. Dietrich Seckel, „Weltgeschichte" ohne Asien?, in: Die Sammlung, 6/1954, S. 293 ff.

  79. M. Heinrichs. Die Bedeutung der Missionstheologie. Aufgewiesen am Vergleich zwischen den abendländischen und chinesischen Kardinaltugenden, 1954, S. 10.

  80. A. Borgolte, Geschichtlichkeit in sittlicher Ordnung?, in: Wissenschaft und Weisheit, 1953, S. 12; Lilly Abegg, Ostasien denkt anders, 1949.

  81. Vgl. kritisch: Walter Schubart, Europa und die Seele des Ostens, o. J., S. 36 f.

  82. Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1963, S. 303.

  83. Arnold Gehlen, über kulturelle Kristallisation, 1961, S. 17.

  84. Karl Jaspers, Vom lebendigen Geist der Universität, 1946, S. 22.

  85. Gesammelte Werke VIII, 6.

  86. Michael Landmann, Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur, 1961, S. 79.

  87. In der vom Verfasser herausgegebenen Buchreihe „Bildung/Kultur.'Existenz“.

  88. Vgl. u. a. Jula Kerschensteiner, Platon und der Orient, 1945.

  89. Ernst Benz, a. a. O.

  90. Vgl. Th. Ohm, Asiens Kritik am abendländischen Christentum, 1948.

  91. Vgl. Emanuel Sarkisyanz, Rußland und der Messianismus des Orients. Sendungsbewußtsein und politischer Chiliasmus des Ostens, 1955; Richard Schwarz, Ost und West in der religiösen und politischen Prophetie, in: Universitas, 13, 1958; Hans Meyer, Rußland und die historische Prophetie, in: Hochland, Jg. 44, 1952, S. 205 ff.

  92. Briefe, Reden, dipl. Berichte, hrsg. von A. Maier, 1950; Hans Joachim Schoeps, Realistische Geschichtsprophetien um 1850, in: Zeitschrift für Religions-und Geistesgeschichte III, 1951, S. 101.

  93. Kulturgeschichte als Kultursoziologie, 19502, S. 443 ff.

  94. Das Ende der Neuzeit, 1950, S. 125.

  95. Vgl. Richard Schwarz, Die Frage nach dem Sinn der Geschichte, in: Wissenschaft und Weltbild, Jg. 14, 1961, S. 161— 179.

  96. G. F. Hudson, Stern oder Unstern über Asien, in: Der Monat IV, 1952, S. 590 ff.

  97. Asiens Rückstoß, in: Merkur, 1952.

  98. G. A. Wetter, Schicksalstunde für den Westen, in: Rheinischer Merkur, 1956, Nr. 9.

  99. Hierzu: Alfred von Martin, Bürgertum und Humanismus, in: Geist und Gesellschaft, 1948, S. 148 ff.

  100. Karl Jaspers, Das Kollektiv und der Einzelne, a. a. O., S. 74.

  101. Die Entdeckung der Menschlichkeit bei den Griechen, in: Die geistige Welt I, 1947.

  102. E. R. Lehmann-Leander: Die Bildungsfächer Griechisch und Latein, in: Erziehung zum Menschen, hrsg. von W. Danielsen, 1954, S. 65.

  103. A. Planck, Der naturwissenschaftliche Humanismus als philosophische Grundhaltung des Ingenieurs, in: VDI-Zeitschrift 93, 7; Friedrich Dessauer, Streit um die Technik, 1956.

  104. A. Rüstow, Kritik des technischen Fortschritts, in: Ordo, Jb. für Ordnung von Wissenschaft und Gesellschaft IV, 1951, S. 383.

  105. Werner Jaeger, Kulturidee und Griechentum, in: Platons Stellung im Aufbau der griechischen Bildung, 1928, S. 9.

  106. Vgl. u. a. K. Gihring, Abendland und Kultur, 1947.

  107. Vgl. Eduard Spranger, Erziehung zur Menschlichkeit, in: Die berufliche Ausbildung IV, Bern 1953, S. 145 ff.

  108. Hierzu: Richard Schwarz, Die leib-seelische Existenz in der Architektur und Skulptur der Gotik, in: Wissenschaft und Weltbild, 4/1962, S. 3— 22.

  109. C. E. Benda, Der Mensch im Zeitalter der Lieblosigkeit, 1956, S. 328; Simone Weil, Die Entwurzelung des Menschen, 1956.

  110. Matth. 10, 39. — Richard Schwarz, Die christliche Friedensidee als Erbe und Aufgabe, in: Wissenschaft und Weltbild, 4/1959.

  111. Theodor Litt, Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt, Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 15, 1955, S. 20.

  112. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, 19475, S. 105.

  113. Alfred von Martin, Die Menschlichkeit des Christenmenschen, a. a. O., S. 454.

Weitere Inhalte

Richard Schwarz, Dr. phil., geb. 29. Mai 1910 in Hagenau/Elsaß, deutsche und österreichische Staatsangehörigkeit. Akademische Daten: Privatdozent der Philosophie an der Universität Würzburg (1949), ordentl. Professor der Psychologie und Pädagogik an der Staatl. Phil. -Theol. Hochschule Bamberg (1952), ordentl. Professor der Pädagogik und Kultur-philosophie und Vorstand des Instituts für Pädagogik an der Universität Wien (1958), ordentl. Professor der Pädagogik und Vorstand des Pädagogischen Seminars an der Universität München (1963), Vorsitzender des Schulausschusses der Österreichischen Rektorenkonferenz (1961) und der Bayerischen Schulkommission (1964).