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Die Massenmedien in unserer Zeit | APuZ 1/1965 | bpb.de

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APuZ 1/1965 Die Massenmedien in unserer Zeit

Die Massenmedien in unserer Zeit

Joachim H. Knoll

Mit unbedachter Selbstverständlichkeit bedienen wir uns täglich der Massenkommunikationsmittel, wir überfliegen morgens die Tageszeitung und sitzen zu Millionen abends vor den Fernsehgeräten oder verfolgen die Programme des Hörfunks. Nur selten wird uns schlagartig bewußt, wie sehr wir von diesen Medien abhängig sind, wie stark ihre Wirkung auf die Meinung einer breiten Öffentlichkeit ist und welche politische Kraft ihnen innewohnt. Während Bismarck noch mit höhnischer Verachtung den Journalisten begegnete, indem er von ihnen sagte, daß sie ihren Beruf verfehlt hätten, sind die Journalisten heute in einen Rang versetzt, der sie zu besonderer Verantwortung zwingt. Bisweilen hat man den Eindruck, als seien sich die Publizisten ihrer Wirkung selbst nicht recht bewußt, als könnten sie über die vorgestrigen Diskriminierungen nicht hinwegsehen. Floskeln wie „ich bin ja nur ein einfacher Journalist" verraten ein reichlich zwiespältiges Selbstbewußtsein. Wie eminent wirkungsvoll das geschriebene oder gesprochene Wort in den großen Publizitätsorganen sein kann, mag an einigen Beispielen deutlich werden. Der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten zwischen Kennedy und Nixon ist letztlich auf den Fernsehschirmen entschieden worden. Millionen amerikanischer Staatsbürger verfolgten die brillanten Duelle der beiden Kontrahenten, aus denen Kennedy als überzeugender Repräsentant einer modernen, gegenwartsoffenen Politik hervorging. Die Stellung des jungen Präsidenten, zunächst keineswegs unbestritten, hat sich durch die vom Fernsehen ausgestrahlten regelmäßigen Pressekonferenzen, durch seinen freundschaftlichen Kontakt mit Publizisten von Zeitung und Rundfunk gefestigt. Für Deutschland mag nur auf die Kontroverse zwischen dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel und dem damaligen Bundesverteidigungsminister Strauß verwiesen werden. Die Aktionen gegen das Nachrichtenmagazin haben Protest-versammlungen zustandegebracht, in denen eine Leidenschaft sichtbar wurde, die man am 17. Juni vielfach schmerzlich vermißt. Und noch ein letztes Beispiel für die Wirksamkeit der Massenmedien aus jüngster Zeit: Bei der Erhöhung der Telefongebühren hat das Millionenblatt Bild-Zeitung durch Schlagzeilen, aufgeregte Berichterstattung und den Abdruck von empörten Leserzuschriften den Bundestag zu einer Sondersitzung „einberufen". Ich sage hier ganz bewußt „einberufen", weil ich meine, daß in diesem Fall deutlich wird, welche enorme politische Wirkung eine Millionenauflage und damit eine enorme Publizitätsbreite haben können. Staat und Parlament werden zu Schritten genötigt, die nicht aus eigener Einsicht zustandekommen, sondern auf Grund eines Reflexes von Massenmedien, die sich für öffentliche Meinung ausgeben. Wir werden bei unserem Thema stets zu bedenken haben, daß die Wirkung der Massenmedien positiv oder negativ veranschlagt werden kann. Es gibt aber auch Beispiele, wo eine Zeitung, die im Gegensatz zur öffentlichen Meinung operiert, gezwungen wird, ihren Kurs zu ändern. Auch hierzu eine praktische Erläuterung: In der Auseinandersetzung um Franz Josef Strauß hatte sich die Bild-Zeitung zunächst zum Fürsprecher des Verteidigungsministers gemacht; die Leser waren indes nicht bereit, dieser Tendenz zu folgen, und das Blatt war schließlich genötigt, von der bislang verfolgten Linie abzugehen.

Nun sind alle hier gegebenen Beispiele, die die Wirkung der Massenmedien anzeigen, dem Bereich der Politik entnommen, -es ist aber auch erforderlich, deren kulturellen Stellenwert anzugeben. Ich meine, daß wir uns das „kulturelle Leben" nicht unter Ausschluß der Politik vorstellen sollten, -sie gehört heute stärker mit dazu als vielleicht in früheren Zeiten. Wenn etwa Diskussionen über das Erzie-B hungswesen geführt werden, so kann das nicht unter Fortlassung der politischen Komponenten erfolgen. Auch scheint mir, daß alle Massenmedien weitgehend von ihren politischen Konturen bestimmt werden; man liest eine Zeitung nicht ausschließlich wegen ihres Feuilletons, und man hört einen bestimmten Sender nicht nur wegen seiner exzellent-avantgardistischen Nachtstudio-Sendung.

Wir wollen uns, bevor wir eine Tatbestands-aufnahme versuchen, dem Personenkreis zuwenden, der heute unsere Massenmedien profiliert. Dabei muß zunächst bedacht werden, daß das Wort Massenmedien sich nicht ausschließlich auf die Quantität der Auflage, der Zuhörer oder Zuschauer bezieht. Eine Wochen-zeitung wie Die Zeit, die nur gering über 200 000 Exemplare in der Woche verkauft, kann durchaus die gleiche Wirkung erzeugen wie ein Millionenblatt; ein gleiches gilt für Monatsschriften, die eine noch weit niedrigere Auflage aufweisen und deren Stimme doch nicht unbeachtet bleibt. Wir verfügen über einen großen und respektablen Kreis von Journalisten, deren Kommentare und Berichte mit Zustimmung oder in kritischer Auseinandersetzung ausgenommen werden; ihre Arbeit wird selbst durch staatliche oder kommunale Preise honoriert. Welch ein Abstand zu der Einschätzung durch Bismarck! Freilich fehlt uns eine nationale Größe, wie sie Amerika in Walter Lippman besitzt, aber insgesamt brauchen unsere überregionalen Zeitungen den Vergleich mit ausländischen Presseorganen nicht zu scheuen. Die Frankfurter Allgemeine, Die Welt und die Süddeutsche Zeitung werden in der Auslandspresse genau verfolgt; ihre je verschiedenen Positionen werden als Spiegelbild innenpolitischer und kultureller Strömungen registriert und gewertet, die Kommentare von Hans Zehrer, Dolf Sternberger, Müller-Meiningen junior haben nicht nur hierzulande ihr spezifisches Gewicht. In den Wochenzeitungen vernimmt man die Stimme von Marion Gräfin Dönl. off, Paul Wilhelm Wenger, Giselher Wirsing, und in den sich zunehmend politisch orientierenden Illustrierten machen sich Sebastian Haffner, Mathias Walden, Thilo Koch und Rüdiger Proske vernehmbar. Im Fernsehen verzeichnen die kritischen Sendungen Panorama und Report ein intensives Interesse, der Hörfunk verfügt über eine erste Garde regionaler Prominenz. In den anderen Sparten, Kultur und Wirtschaft zum Beispiel, sieht es nicht anders aus. Die Rezensionen von Marcel Reich-Ranicki, Willy Haas, Karl Korn, Walter Jens lassen uns das literarisch Bedeutsame erkennen. Mit der farbigen Palette der Personen können wir vollauf zufrieden sein, zumal sich diese literarischen Gutachter nicht in freudiger Übereinstimmung befinden.

Presse

Wenn wir uns in Einzelbetrachtungen den drei Medien Presse, Rundfunk und Fernsehen zuwenden, dann können wir zunächst einmal feststellen, daß trotz einer erheblichen Konkurrenz von einer gegenseitigen Entmachtung nicht die Rede sein kann. Die Zeitungen haben durch Hörfunk und Fernsehen nicht gelitten, das Fernsehen hat wiederum den Hörfunk nicht zur Bedeutungslosigkeit degradiert.

Zwar hören wir hin und wieder von der schiefen Wettbewerbsposition; diese Klage wird von den Zeitungsverlegern gegen das Monopol des Fernsehens vorgebracht, sie richtet sich aber ausschließlich auf die Werbung und ist keineswegs die Folge einer nachlassenden Auflagenzahl. Die sicher beguemere Kommunikation durch Hörfunk und Fernsehen hat die Bedeutung der Tagespresse nicht einzuengen vermocht — und das, obwohl uns die politische Aktualität durch beide viel schneller zugänglich wird. Was sich in Laos oder Kuba ereignet, können wir sehr rasch in den Nachrichtendiensten des Hörfunks erfahren, in der Tagesschau des Fernsehens werden uns noch zusätzlich erläuternde Bilder vorgeführt, und doch greifen 34 Millionen Menschen täglich zur Zeitung, um sich 12 Stunden später noch einmal informieren zu lassen. Das mag damit Zusammenhängen, daß vom geschriebenen Wort eine unbewußte Zuverlässigkeit auszu4 gehen scheint und daß man auch Standpunkte, kritische Äußerung vernehmen möchte, die in einer nahezu aseptischen Information ausgeschlossen sind. Hinzu kommt noch ein gut Teil Gewöhnung, daß man eben eine Zeitung halten muß und daß die regionalen Ereignisse in Rundfunk und Fernsehen meist unberücksichtigt bleiben müssen. Die Tagespresse hat im letzten Jahr ihren Interessentenkreis sogar noch vergrößern können, nämlich um 2, 3 °/o, das heißt um etwa 830 000 Leser. In einer Erhebung wird zur Begründung dieses Zuwachses ausgeführt: „Das Publikum schätzt die Dauerhaftigkeit des gedruckten Wortes neben der rasch verwehenden Nachricht, die Fernsehen oder Rundfunk ausstrahlen, überregionale Zeitungen wie Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung werden Tag für Tag von jedem Zwölften gelesen." Diese Zahlen sind fraglos imponierend und sprechen für gewisse Qualitätsansprüche. Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es weithin an einem aufnahmebereiten Publikum fehlt, das auch bereit ist, differenzierte Themen in einer Tageszeitung zu verfolgen. Wenn man etwa die Leitartikel in der Weimarer Republik verfolgt, so mag einen eine geheime Wehmut überkommen, zumal wenn man immer wieder bestätigt findet, mit welcher leidenschaftlichen Resonanz sie ausgenommen wurden.

Einen die Gegenwart von souveränem Standort beschreibenden Publizisten wie Theodor Wolff müssen wir heute schmerzlich vermissen; gewiß haben wir Journalisten gleichen Ranges, aber sie werden nicht so emsig gelesen, wie das in den zwanziger Jahren der Fall gewesen sein muß. Und da wird eine Mißlichkeit offenbar, mit der sich besonders die Tagespresse auseinandersetzen muß. Zur überregionalen Tagespresse gehört eine anregende Hauptstadt, in der politische und literarische Gespräche Selbstverständlichkeiten sind und nicht institutionelle Veranstaltungen. Berlin ist eine in dieser Hinsicht echte Hauptstadt gewesen mit einer weltstädtischen Presse; die Vossische Zeitung und das Berliner Tageblatt stehen stellvertretend für die Fülle publizistischer Unternehmungen, in denen sich das bewegte Hauptstadtleben artikulierte. Bonn bietet sich demgegenüber in biederster Provinzialität dar; es hat zwei Zeitungen, die über eine lokale Bedeutung nicht hinausreichen. Keine der großen Zeitungen wagt, sich auch nur vorübergehend dort zu etablieren; man begnügt sich mit Korrespondenten, die auf gepackten Koffern sitzen und ihre Abberufung herbeisehnen. Das muß so sein, wenn eine Hauptstadt nur politisches Zentrum ist und nicht gleichzeitig bestrebt ist, ein geistiger Kristallisationspunkt zu sein. Die literarischen Salons, in denen ein gut Teil publizistischer Vorarbeit geleistet wurde, befinden sich heute in den großen Tageszeitungen, die in Hamburg, Frankfurt oder München residieren. Es kommt hinzu, daß sich die Struktur der Leser offenbar gewandelt hat — wir haben darauf bereits hingewiesen. Man kann demzufolge beobachten, daß ein starkes Interesse an leichter oder sensationeller Kost besteht.

Boulevard-Blätter mit einer Auflagenhöhe, die ansonsten nur in England oder Amerika erreicht wird, haben sich in einem Maße bei uns durchgesetzt, die die kühnsten Propheten nicht vorausahnen konnten. Die 20— 30-Minuten-Lektüre eines solchen Blattes befriedigt das Informationsbedürfnis von Millionen. Die Lektüre der seriösen Presse gilt bisweilen nur als Etikett für Status und Bildung. Die selbstverständliche, gleichsam obligatorische Lektüre großer und renommierter Zeitungen, wie sie uns etwa in Italien oder England begegnet, ist in Deutschland noch unbekannt. Wenn man hier in einer Straßenbahn oder in einem Bus die Frankfurter oder die Welt liegen läßt, werden sie einem gewiß nachgebracht — soviel Ehrfurcht flößen diese Blätter ein. Wie anders ist doch das Bild in den New Yorker Verkehrsmitteln. Was man an unseren überregionalen Zeitungen leider beklagen muß, so gut sie uns informieren und an ihren pointierten Stellungnahmen teilhaben lassen, ist die verstörende Selbstgefälligkeit. Jedes Blatt tut so, als gäbe es das andere nicht. Welt, Frankfurter und Süddeutsche ignorieren beharrlich einander; Streit, Kritik oder Zustimmung finden nicht statt. Wo es lehrreich und erfrischend wäre, die Klinge zu kreuzen, steckt man das Schwert lieber in die Scheide. Die Wochenzeitungen machen hier kaum eine Ausnahme. Nur in einem Fall ist diese Regel eigenbrötlerischer Vornehmheit durchbrochen worden, als nämlich der Berliner Germanist Emrich eine funkelnde Philippika gegen die moderne Literatur startete, da kamen dann Die Welt der Literatur und Die Zeit in eine erfreuliche Fehde. Aber dieser Einzelfall bedeutet keine Auflockerung der Fronten. Da wir nun Die Welt der Literatur, die 14täglich als Beilage zur Welt erscheint, erwähnt haben, wollen wir bei dieser neuen Erscheinung unseres Pressewesens kurz verweilen. Dergleichen hat es in Deutschland zuvor nicht gegeben, daß sich nämlich eine Tageszeitung bemüht, das zu sichten, was dem literarisch Interessierten nicht verborgen bleiben sollte. Hier wird an einem Ort das Wesentliche versammelt, was Monat für Monat an Publikationen auf uns zukommt. Daß dafür ein Bedürfnis vorhanden war, beweisen nicht zuletzt die hohen Auflagen dieser Beilage. In England und Amerika sind vergleichbare Publikationen schon beinahe selbstverständlich, und niemand wundert sich dort über die unbekümmert-zutreffende Kritik, die auch den anerkannten Autoritäten zuteil wird. Der geachtete Professor oder der bewährte Literat wird selbst bei durchschnittlichen Produkten in Deutschland geehrt und mit milden Wohlgereimtheiten bedacht. Die Welt der Literatur scheint hier wieder gerechte Maßstäbe zu setzen und hat den Mut, das schlecht zu nennen, was in Wahrheit schlecht ist. Als Vorzug will mir aber erscheinen, daß hier nicht die Verliebtheiten der literarischen Richtungen kultiviert werden, sondern daß rechte und linke Literatur — um diese törichten Bezeichnungen zu benutzen — gleichermaßen berücksichtigt werden. Auch wird dem Leser die Möglichkeit gegeben, sich über wesentliche Neuerscheinungen im Bereich der Wissenschaft informieren zu lassen.

Aber wir können uns nicht mit den Hinweisen auf die überregionale Presse begnügen, wir müssen auch das mit Ernst und gerechter Würdigung zur Kenntnis nehmen, was im regionalen Bereich um Publizität bemüht ist.

Die Essenz unseres kulturellen Lebens ergibt sich nicht aus den publizistischen Spitzenprodukten, auch die regionale Presse hat ihren Rang, den man nicht aus snobistischer Überheblichkeit gering veranschlagen sollte, weil auch hier vielfach vorbildliche Arbeit geleistet wird. In der Bundesrepublik gibt es derzeit etwa 600 Zeitungen mit 1400 Ausgaben, von denen 200 redaktionell selbständig gestaltet werden von denen die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und das Hamburger Abendblatt die Auflagenhöhe der überregionalen Blätter weit hinter sich lassen. Schon aus Gründen der Quantität dürfen diese Zeitungen nicht unberücksichtigt bleiben. Ihre Sprache und Aufmachung erfordern ein besonderes Geschick, sie wollen von den Gebildeten respektiert und von einer breiten Konsumschicht einfacherer Struktur verstanden werden. Außerdem müssen sie optisch die Verständigung und Verdeutlichung vertiefen. Hier hat der ausschweifende, alle Aspekte berücksichtigende Kommentar hinter den lokalen Ereignissen zurückzutreten.

Die Aufführung des Theaters am Ort, ein Solistenabend und auch die kleinen Besorgnisse besitzen in der Regionalpresse einen größeren Wert. Trotzdem wäre es töricht, auf sie das Wort anzuwenden: „Im engen Kreis verengert sich der Sinn." Auch die Regionalpresse nimmt die Kulminationspunkte in Politik, Wirtschaft und Literatur zur Kenntnis und bedient sich hierzu einer einfacheren Sprache. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Jüngst hat das Buch von Georg Picht „Die deutsche Bildungskatastrophe" die Gemüter erregt. In einer Artikelfolge in Christ und Welt war die für meine Begriffe überzogene Kritik zunächst vorgetragen worden, wobei man voraussetzte, daß die Leser dieses Blattes mit den wichtigsten Problemstellungen wie auch mit den Tatbeständen vertraut waren. In einer überregionalen Zeitung kann ein solches Buch kritisch gewürdigt werden, weil vorausgesetzt werden darf, daß die kulturpolitischen Brennpunkte keiner weiteren Erörterung bedürfen. Der ganze Themenkreis sollte aber auch in regionalen Zeitungen zur Sprache gebracht werden, wobei man davon auszugehen hat, daß zunächst die grundlegenden Informationen mitgeteilt und die Maßstäbe des Urteils gegeben werden müssen, das heißt, die Themen des Buches müssen popularisiert und der Mentalität der Leser angepaßt werden. Wer an einem derartigen Unternehmen je beteiligt war, wird wissen, welch mühevolles Geschäft das ist. Zudem müssen in diesen Blättern Verdeutlichungsmittel eingesetzt werden, auf die in den großen Zeitungen verzichtet werden kann.

Schließlich seien auch noch die Zeitungen der Heimatpresse erwähnt, deren Auflage sich um 8 000— 10 000 bewegt. Sie werden meist von einer Zentralredaktion gestaltet, nur der Heimatteil wird am Erscheinungsort selbst hergestellt. Weltpolitische Informationen besitzen oft einen geringeren Stellenwert gegenüber den lokalen Ereignissen, die naturgemäß breit dargestellt werden. Kritische Maßstäbe müssen wegen Empfindlichkeit und lokaler Rücksichtnahme oft unterdrückt werden. Der Journalist, dem eine prononcierte Stellungnahme versagt ist, ist in keiner angenehmen Lage. Ein politischer Leitartikel wird in der Regel nur zum Wochenende gebracht, an den übrigen Erscheinungstagen entfällt er; es liegt kein Bedürfnis für ihn vor. Die Veranstaltungen der Liedertafel und der Laienspielschar müssen interessanter erscheinen als deutsche Bildungspolitik oder die Rassenkrawalle in den Vereinigten Staaten — hier wird oft der Druck eitler Vereinsapostel massiv. Die Bastionen, die diese Miniaturausgaben bundesrepublikanischer Presse noch verteidigen, sind auf die Dauer nicht zu halten. Es zeigt sich an dieser Stelle aber doch die weit-und wirklichkeitserschließende Kraft des Fernsehens, die die schiefen Idylle des 19. Jahrhunderts ad absurdum führt. So sinkt die Heimatpresse vom Informations-und Kommentarorgan auf die Stufe lokaler Begrenztheit herab, sie wird mit der Selbstbeschwichtigung gelesen, daß man doch auch über die unmittelbare Umgebung unterrichtet sein müsse — aber indem man so argumentiert, beansprucht man die Heimatpresse nur noch partiell und verzichtet auf eine weitreichende Wirklichkeitsinterpretation.

Letztlich muß aus dem Bereich der Tageszeitungen noch eine Erscheinungsform anvisiert werden, die in der kulturpessimistischen Gegenwartsdenunziation mit eitler Vorliebe attackiert wird: die sogenannte Boulevardpresse. Sie ist auf Grund ihrer Auflage, ihres Sprachstils, ihres Umbruchs am ehesten der Typ der Massenmedien; die Auflage geht in die Millionen, die Sprache ist stets Appell (W. Haacke), große reißerische Überschriften, die den Inhalt unter nur einem, aber zugkräftigen Aspekt deuten; kurze, meist emotional angereicherte Artikel, in denen Meinungen, Schilderungen, Behauptungen wechseln oder ineinander übergehen. Wir alle kennen dieses Ganze, und manch einer mag mokant und verächtlich auf die Leser der Boulevard-Presse herabblicken. Aber wenn ein Blatt wie die Bild-Zeitung in über 3 Millionen Exemplaren verkauft wird, dann — bei dieser Größenordnung — gewiß nicht nur an die modernen Analphabeten. Ihm würde dann auch kaum jene parastaatliche Macht zukommen, wie ich sie an einem Beispiel aus jüngster Zeit zu erläutern versuchte. Ich sehe die mögliche Gefahr dieser Erzeugnisse nicht so sehr in ihrer offenkundigen und groben Primitivität als vielmehr in ihren politischen Appellen, Beschwörungen und Ansprüchen. Die Manipulation von vorzugsweise emotional reagierenden Lesern ist nicht nur eine Fiktion unserer Sozialpsychologen.

Zu den Zeitungen gehören natürlich auch die Wochenschriften, die zumindest in Deutschland eine meist eindeutige Position vertreten, wie Christ und Welt, der Rheinische Merkur, das Sonntagsblatt und Die Zeit. Für sie alle gibt es handliche Chiffren, auf die sie reduziert werden, freilich meist unzulänglich. Ihr Vorzug besteht darin, daß sie nicht unbedingt aktuell sind, aktuell hier in dem törichten Sinn, der nur dem jüngsten, letzten, gegenwärtigen Ereignis nachläuft. Während bei Tageszeitungen, auch bei Rundfunk und Fernsehen, vorgestern schon trübe Vergangenheit ist, können es sich die Wochenzeitschriften leisten, auch bei einem zurückliegenden Ereignis länger zu verweilen, weil sie von der jeweiligen Aktualität ausgehend den Gesamtzusammenhang in gegenwärtiger und historischer Dimension darstellen. Die Wochenzeitungen genießen bei uns eine erfreulich hohe Reputation, da sie sich durch Umsicht, Sorgfalt, pointierte Stellungnahmen und dem schabionisierten Denken abholde politische Gesinnung auszeichnen. Sie versehen auf angemessene Weise ein literarisches und politisches Richteramt, dessen Qualität nur gelegentlich bestritten wird. Beiträge wie die von Georg Picht in Christ und Welt oder literarische Äußerungen von Rudolf Walther Leonhardt in der Zeit, politische Erläuterungen von Axel Seeberg im Sonntagsblatt und leidenschaftliches Engagement von Paul Wilhelm Wenger im Rheinischen Merkur finden eine Resonanz, die über den Kreis der Abonnenten meist hinausreicht.

Die Palette des deutschen Zeitungswesens ist bunt und reichhaltig, wenn es auch noch nicht die beglückende Fülle der zwanziger Jahre wieder erreicht hat. Im Jahre 1932 „zählte man in Deutschland 4700 Zeitungstitel mit einer Gesamtauflage von 25 Millionen Exemplaren" (W. Haacke), denen heute nur 600 Zeitungen mit 1400 Ausgaben gegenüberstehen. Eine Behandlung der Presse wäre unzulänglich, wenn sie über die Familienzeitschriften und die Illustrierten hinwegsehen und sie als Produkte niederen Ranges diffamieren würde. Wir können gerade bei den Akademikern oft f 'stellen, wie sie den Blick vor den Illustrierten verschließen oder sie nur im stillen Kämmerlein zur Hand nehmen. Ich möchte hier aber eine positive Bemerkung zur illustrierten Presse einschieben, weil ich meine, daß sie sich mit den Vokabeln Sex und Sensation nicht mehr umschreiben läßt. Die großen Illustrierten Stern, Quick und Revue haben in den letzten Jahren eine Wandlung durchgemacht, die noch kaum zur Notiz genommen wurde; sie haben sich nämlich immer stärker politischen Themen in Kommentar oder Reportage zugewandt. Ich halte es für ein bedeutsames Phänomen, daß wir heute in den Illustrierten politische Kommentare nachlesen können, die nicht auf die Gunst des Lesers zugeschnitten sind, vielmehr eigenwillige, gar auch abseitige Standpunkte kundtun. Im Stern werden die Schattierungen politischer Meinungen von Gerd Bucerius, Sebastian Haffner, G. von Paczenski und Paul Sethe durchexerziert. Diese Entwicklung sollte auf jeden Fall unsere Zustimmung finden. Ich sehe darin auch die Bestätigung, daß die Beschäftigung mit politischen Fragen auch einem Publikum zugemutet werden kann, von dem immer behauptet wird, es laufe der leichten und gefälligen Lektüre nach. Vielleicht ist aus der kasuistischen Beschreibung deutlich geworden, welchen Platz die Zeitung im kulturellen Leben der Bundesrepublik einnimmt, wie sie in Konkurrenz mit anderen Medien ihren Platz behauptet und wie unentbehrlich sie zu vertiefender Information und sachgerechter Meinungsbildung ist. Dieser Sachverhalt ist bei dem New Yorker Streik der Zeitungsdrucker erkennbar geworden. Zwar haben Rundfunk und Fernsehen die Bevölkerung in verstärktem Maße mit Nachrichten versorgt, aber ein Leben ohne Zeitung scheint auf längere Dauer einfach nicht möglich zu sein.

Wir müssen aber schließlich noch auf eine Entwicklung hinweisen, die möglicherweise Gefahren oder Gefährdungen in sich trägt. Ich meine die zunehmende Konzentration im Zeitungswesen der Bundesrepublik. Nicht, daß jetzt schon Anlaß zur Besorgnis vorhanden wäre, aber immerhin kommen schon jetzt ein Viertel der täglichen Presseerzeugnisse aus einem einzigen Verlagshaus. Hier wäre durchaus ein Instrument der Stimmungsund Meinungsmache vorhanden, wenn sich diese in ihrer Richtung und in ihrem Lese-publikum sehr unterschiedlichen Zeitungen auf eine Linie bringen ließen. Dem scheint allerdings die Konkurrenz im eigenen Hause entgegenzustehen.

Rundfunk

Wir kommen nun zu dem zweiten Bereich unseres Themas, dem Rundfunk, auf den schon so manche Grabrede gehalten wurde und der doch noch lebt. In den 19 Millionen Privathaushalten in der Bundesrepublik sind 17 Millionen Ton-Rundfunkgenehmigungen erteilt — eine gewiß imponierende Zahl. Beweist sie aber auch, daß der Rundfunk noch lebt? Zu diesen 17 Millionen Ton-Rundfunkgenehmigungen kommen noch über 8 Millionen Fernseh-Rundfunkgenehmigungen hinzu. Und gerade aus der ständig zunehmenden Zahl an Fernsehgeräten wird gefolgert, daß der Rundfunk an Interesse und Einfluß verliere. In diesem Zusammenhang wird Amerika als Beispiel angeführt, wo der Rundfunk zu absoluter Bedeutungslosigkeit herabgesunken sei. Aber solch eilfertigen Vergleichen sollte man sich nicht vorbehaltlos anschließen, denn die Struktur des amerikanischen Hörfunks ist mit der des deutschen nicht vergleichbar. Der amerikanische Hörfunk hat vorzugsweise Unterhaltungs-und Musiksendungen ausgestrahlt, die der Konkurrenz mit dem Fernsehen nicht standhalten können. Der deutsche Hörfunk hat demgegenüber viel stärker jene Bereiche der Wort-und Musiksendungen gepflegt, die sich einer Umsetzung ins Bild entziehen. Eine Symphonie im Fernsehen ist allemal eine Qual, weil die Totale nichts Erkennbares zeigt, und das Detail ohne Ertrag ist. Beispiele dieser Art, die man im Fernsehen verfolgen konnte, offenbarten eine meist hilflose Kamera, die die Köpfe der Konzertierenden ableuchtete, ohne daß dadurch die Erlebnisqualität gesteigert werden konnte. Ein Gleiches würde sich ereignen, wenn man Vorträge im Fernsehen wiedergeben würde, zumal wenn sie — wie oft im Hörfunk — eine halbe oder dreiviertel Stunde dauern. Es gibt also einen ureigenen Bereich des Hörfunks, nämlich den der Musik und den des gesprochenen Wortes.

Die Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik haben ihre Programme dementsprechend eingerichtet. Selbst wenn sich aber der Hörfunk auf diese Entwicklung einrichtet, seine Wort-sendungenauflockert, sie zeitlich geschickt placiert, sich zu einem gefälligen Wechsel in der Sendeabfolge entschließt, wird er doch stets unter der Intensität des Fernsehens zu leiden haben. Angesichts exakter Höreruntersuchungen läßt sich fast die Behauptung wagen, daß der Rundfunk nicht mehr zu den Massenmedien zählt. Er entwickelt sich zusehends zu einem exklusiven Medium, was freilich nicht für alle Sendungen, etwa die Schlagersendungen, zutrifft. So hat das Institut für Demoskopie ermittelt, daß „bei einer vollständigen Ausbreitung des Fernsehens dem Hörfunk in den Abendstunden zwischen 20 und 22 Uhr im Durchschnitt etwa 5 °/o Hörer verbleiben" (Rundfunkhörer und Fernsehteilnehmer 1961/62), bei einzelnen Sendungen sinkt die Hörerzahl gar auf 1 % ab. Das Interesse am Hörfunk geht in eine doppelte Richtung: die eine Gruppe hört Rundfunk-sendungen wegen der Musik, eine andere wegen der Nachrichten-und Wortsendungen.

Hinzu kommt ein kleiner Kreis, der gegenüber dem Fernsehen genauso reagiert wie gegenüber den Illustrierten. Von ihm werden Illustrierte und Fernsehen als geistlos und oberflächlich bezeichnet, sie dünken sich überlegen, wenn sie betonen können, daß sie so altmodisch seien und „nur" Rundfunk hörten.

Ich finde diese Haltung bei einer großen Zahl von Lehrern, die doch am ehesten aufgefordert wären, sich mit den modernen Medien auseinanderzusetzen. Dieser Kreis der Rundfunkhörer neigt auch dazu, sich selbst als Elite zu setzen, wobei der feuilletonistische Kulturpessimismus sie noch in dieser Torheit bestärkt.

Nun sagt eine statistische Hörerfrequenz über die kulturelle Funktion des Hörfunks noch wenig aus; denn der geistige Wert einer Veranstaltung wird nicht notwendig durch die Zahl der Zuhörer bestimmt. Selbst wenn einer Sendung des Abendstudios nur 2000 Hörer folgen, während zur gleichen Zeit 10 Millionen vor dem Bildschirm sitzen, ist das noch kein Anlaß zu wilden Kassandrarufen. Auch in der Demokratie ist der Wert der kleinen Zahl, der zumeist auch geistige Intensität ein-B schließt, nicht außer Kurs gesetzt. Aber kann es nun nicht auch so sein, daß der Rundfunk sich zunehmend selbst auf einige Gebiete ein-engt und so die Breite und Attraktion des Programms aus den Augen verliert? Beraubt er sich selbst nicht der interessierten Zuhörer, wenn er sich auf die nur hörfunkeigenen Bereiche zurückzieht? Diese Frage ist gelegentlich aufgetaucht, als sich der NDR entschloß, sein 2. Programm ganz auf leichte Unterhaltung umzustellen, auf jede ambitionierte Anstrengung verzichtete und eine fast amerikanische Sendefolge zusammenstellte. Ich meine, daß ein Sender, der mehrere Programme zur Wahl stellt, durchaus ein Programm machen kann, mit dem er dem billigen Geschmack des leichten Amüsements nachläuft. Bei einer Durchsicht der Sendezeiten wird deutlich, daß dei Hörfunk unabhängig von einer leichtfertigen Popularität bestrebt ist, die Weite des politischen, sozialen, musikalischen und literarischen Lebens vorzuführen. Wir wollen hierzu einen Nachweis führen, dem wir die jeweiligen Hörerfrequenzen zur Seite stellen werden. Als Beispiel sollen die Sendezeiten im Mittelwellen-Programm des Süddeutschen Rundfunks dienen. Mehr als ein Drittel der Sendezeit, nämlich 35, 9 °/o, beanspruchen die Wort-Sendungen, zu denen Nachrichten, Politik, Sport, Zeitfunk, Schulfunk, Jugendfunk und die in der Publikumsgunst hochstehenden Heimatsendungen gehören. Die Hörerbeteiligung an den Nachrichtensendungen schwankt zwischen 4 0/0 und 39 °/o, die höchste Frequenz erreichen dabei die Sendungen, die nicht während der Fernsehzeit ausgestrahlt werden. Die Hörfolge „Lebendige Wissenschaft" hat dagegen nur eineHörerbeteiligung, die zwischen 2 0/0 und 6 °/o liegt. Das Musikprogramm belegt die Hälfte der zur Verfügung stehenden Sendezeit. Diese Gattung umfaßt musikalische Darbietungen von der Oper bis zum bunten Programm, wobei die Unterhaltungs-und Tanzmusik mehr als die Hälfte der Zeit belegt; die Hörerbeteiligung ist stärker als bei den Wortsendungen, so ziehen die „Schönen Stimmen" immerhin 13 °/o der Rundfunkhörer an die Lautsprecher. Wir haben hier ganz bewußt nur die zwei Sendegattungen herausgestellt, in denen sich der Rundfunk am ehesten zu behaupten vermag. Seine geistigen Ansprüche, seine literarische Intensität und Originalität und seine politische Eigenständigkeit dokumentiert er überzeugend in den Nachtstudio-Sendungen. Hier werden Themen vernehmbar, die an anderer Stelle noch kaum abgchandelt sind, hier kann der Hörer den kenntnisreichen Erläuterungen der jeweils Kompetenten folgen. Ich stelle hier einige Themen einer wahllos herausgegriffenen Woche hintereinander: ein Beitrag über Malaysia, ein Gespräch mit Gabriel Marcel, die bundesdeutsche Gesellschaft und ihre Literatur, Guttenbergs „Plädoyer für eine mutige Politik", das Buch der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher, Jazz und Lyrik, die Konzentration im deutschen Verlags-wesen, Salzburger Hochschulwochen, zur Reform der NATO, die Manipulierbarkeit der Menschen. Aus eigener Tätigkeit weiß ich, daß in diesen Sendungen durchaus die unkonventionelle, in keinerlei Übereinstimmung befindliche Meinung zu Wort kommt; hier reagieren Rundfunkredakteure ihre Besorgnisse mit den Aufsichtsratsgremien der Rundfunkanstalten ab, hier ermutigen sie Autoren zu Äußerungen, die ihnen keine Tageszeitung abnehmen würde; hier ereignet sich eine kulturelle Fermentierung, wie sie sonst nur in exklusiven Zeitschriften stattfinden kann. Aber die Sache hat einen, und zwar erheblichen Schönheitsfehler: Diese Sendungen werden zumeist im UKW-Programm ausgestrahlt, wodurch sie von vornherein regional begrenzt sind. Das 3. Programm des Westdeutschen Rundfunks, das exzellent redigiert ist, kann nur im Bereich des WDR empfangen werden, und im Norden und Süden liest man in den Programmzeitschriften, woran man teilhaben könnte, wenn man im Westen wohnte. Diese regionale Begrenzung zusammen mit der föderalistischen Struktur erzeugt eine lokale Prominenz, die zu keinem Gespräch findet. Der Haus-Autor des WDR nimmt kaum Notiz von dem des Bayerischen Rundfunks, und im Norden kennt man die gekrönten Häupter des Südens nicht. Nur zwei, drei Dutzend Autoren sind allenthalben gefragt und lassen sich provinzielle Einschränkungen nicht auferlegen.

Ich möchte den Hörfunk aus der Sicht des Autors noch an einer weiteren Stelle kennzeichnen. Das erste und zweite Mal mag es verlockend erscheinen, vor dem Mikrofon zu sitzen. In einfältigem Hochgefühl meint man, daß einem jetzt Tausende gespannt folgen, und wartet auf die Resonanz. Aber nichts erfolgt. Allenfalls einige wenige Briefe derer, die sich immer in den Spalten „Leserzuschriften" äußern — man kennt sie nach kurzer Zeit. Der Vortrag ist nur auf das eigene Spezial-interesse hin verfolgt worden, hat es der Autor nicht erwähnt, dann soll ihm harte Kritik widerfahren. Der kleinkarierte Fach-egoismus ist eine höchst ärgerliche Untugend im publizistischen Metier. Der Hörfunk setzt viele Schriftsteller in Brot und Lohn — was man anerkennend aussprechen sollte —, aber sie müssen die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes immer wieder schmerzlich empfinden, es fehlt ihnen die Kommunikation mit den Hörern, ein Dialog findet nicht statt. Da ich meine, daß zu geistiger Arbeit auch der Austausch der Meinungen und Ansichten, Tatbestände und Probleme gehört, bedaure ich diesen Sachverhalt außerordentlich. Der Autor des Hörfunks ist nur mit sich allein im Disput. Als ich auf eine Sendung einmal 200 Zuschriften erhielt, hat mich diese Korrespondenz in meinen Überlegungen weitergebracht. Man fragt sich bei jeder Arbeit erneut, für wen schreibe und spreche ich das, wer sitzt da am

Gerät und läßt sich auf meine Ansichten ein? Wer schreibt, braucht die gelegentliche Bestätigung — man mag das Eitelkeit nennen, aber wenn man keinen Widerspruch, keine Zustimmung vernimmt, dann schreibt man schließlich nur noch fürs Portemonnaie. Aus diesem Grund lesen wir heute in Zeitschriften und Zeitungen so viele Nachdrucke von Rundfunk-Beiträgen.

Ich möchte noch zwei Sendegruppen heraus-greifen, die einen kulturellen Stellenwert besitzen. Zunächst denke ich an die literarischen und kulturpolitischen Kommentare, die, soweit ich sie verfolgen konnte, ein zutreffendes Bild der uns umgebenden Wirklichkeit vermitteln. An dieser Stelle wird die Überlegenheit des Hörfunks deutlich; aber die Hörerfrequenzen bestätigen leider nicht, daß man das eingesehen hat. Die Literaturkritik etwa des WDR orientiert wirklich breitwürfig, und die kulturpolitischen Kommentare des NDR ermöglichen uns einen zutreffenden Überblick über die Bewegungen und Strömungen im Erziehungs-und Bildungswesen. Niemand kann also behaupten, daß ihm die Möglichkeit der Information und kritischen Sichtung versperrt sei, er kann — wenn er nur will — an den aktuellen Diskussionen teilnehmen. Des weiteren möchte ich auf den Schulfunk hinweisen, der in vielen Schulen als selbstverständliche Bereicherung des Unterrichts dankbar ausgenommen wird. Hier erweist sich der Wert fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Rundfunkredakteuren und verständigen Praktikern, die auch auf andere Sendegattungen ausgedehnt werden sollte. Wir hören heute in den pädagogischen Diskussionen so viel von modernen Lehr-und Lerngeräten und vergessen vielfach dabei, daß wir im Schulfunk ein solches Mittel bereits besitzen. Es wäre zu wünschen, daß wir in absehbarer Zeit vom Schulfernsehen das gleiche sagen könnten.

Fernsehen

Zum Schluß wollen wir uns dem dritten Aspekt unseres Themas nähern, nämlich dem Fernsehen.

Hier ist eine unvoreingenommene Betrachtungsweise nur selten anzutreffen. Das Fernsehgerät ist zum Kultursymbol eines flächigen Zivilisationskomforts erklärt worden.

Will man unsere Zeit auf billige Art und Weise denunzieren, dann stellt man Auto, Kühlschrank und Fernsehen nebeneinander und behauptet, diese Zivilisationsartikel bestimmten Lebensinhalt und Lebensziel des modernen Menschen. Daß das Fernsehgerät zum Statusmerkmal avanciert ist, soll nicht verschwiegen werden, aber bei über 8, 3 Millionen Fernsehgeräten bedeutet ein solches Merkmal nicht mehr sehr viel. Die Anwürfe gegen das Fernsehen gründen nicht nur in einem unreflektierten Zivilisationspessimismus, sondern auch in der dem Fernsehen inne-wohnenden Tendenz zur Popularisierung und Demokratisierung von Bildung und Kultur. Vielen Kritikern bedeutet Bildung immer noch exklusive, sich in der Einsamkeit vollziehende Bildung. Aber ich meine, daß das Wort Bildung hier fehl am Platze ist. Zunächst beabsichtigt doch das Fernsehen, Information zu vermitteln und Unterhaltung anzubieten. Was der einzelne daraus macht — und man kann, wie ich meine, eine Menge daraus machen —, ist seine Sache. Ich sehe in dem Fernsehen die große Chance, eine Begegnung mit Politik, Literatur und Musik herzustellen, die früher vielen Menschen versperrt war. Es stellt sich allgemach ein vertrauter Umgang mit der Prominenz ein, allerdings auch eine Begehrlichkeit, die jeden Abend Höhepunkte beansprucht. Werden zwei Abendprogramme nur mit durchschnittlicher Ware ausgestattet, so meldet sich eine unbegründete Zuschauer-kritik. Ein Fernsehprogramm, das dem Anspruch auf die fortgesetzte Delikatesse folgt, wird zum totalen Ausverkauf unserer Kultur führen. Das klassische Repertoire ist eben begrenzt! So hoch ich den Wert des Fernsehens als eines geistigen Instrumentariums veranschlage, so sehe ich doch auch die Gefährdungen des Mißbrauchs. Es mangelt der Mehrheit der Zuschauer an souveräner Disziplin im Gebrauch des Apparats. Es ist eine nahezu gespenstische Vision, sich vorzustellen, wie Millionen Abend für Abend das gesamte Programm an sich vorbeiziehen lassen: von der Kinderstunde bis zur Spätausgabe der Tagesschau. Da wird auf einen Satz — ich greife einen Tag heraus — der Lebensgang dei amerikanischen Filmschauspielerin Gloria Swanson, das Fernsehspiel „Die Schlinge"

von Marek Hlasko, ein Vivaldi-Telemann-Konzert der Musici di Roma und ein Podiumsgespräch über Literatur konsumiert. Mehr als ein flüchtiger Eindruck, als oberflächliche Zur-Kenntnisnahme kann sich dabei nicht einstellen. Ich bemerke gerade in der jungen Generation ein großes Informationsbedürfnis, aber Informationen, die nicht koordiniert, die nicht durchdacht und angeeignet werden, sind funktionsuntüchtig. Die Befürchtung habe ich auch bei einem unkritischen Fernsehkonsum. Die Beschwichtigung, es gäbe ja schließlich an jedem Gerät einen Abstellknopf, halte ich für eine rhetorische Floskel. Es ist eine blinde Stoffhuberei am Werk, die der potenzierten Halbbildung Vorschub leistet. Wie gesagt, das ist bei aller positiven Wertschätzung eine Gefahr, gegenüber der man nicht blind sein sollte. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß kritische Maßstäbe noch kaum entwickelt sind. Was da in unseren Zeitungen als Fernsehkritik in gespreiztem Jargon einherstolziert, ist im Grunde getarnte Film-oder Theaterkritik. Die Möglichkeiten und Grenzen der kleinen Fläche bleiben vielfach außer kritischem Betracht. Die Unzulänglichkeit unserer Fernsehkritik überträgt sich auf den normalen Zuschauer vor dem Bildschirm, der so gern vom „Heimkino" redet und der damit kundtut, daß er keine Ahnung von dem Apparat hat, den er sich da aufgestellt hat. Aber die pessimistischen Überlegungen sollen uns hier nicht vorrangig beschäftigen. Wer sich zu einem verständigen Gebrauch seines Fernsehgerätes durchringt, dem eröflnet sich die nahezu unbegrenzte Wirklichkeit. Die Nachrichtenübermittlung ist hier so unmittelbar und aktuell wie in keinem anderen Medium. Der denkende Zuschauer hat eine einigermaßen zutreffende Vorstellung von den politischen Brennpunkten, zumal wenn er auch jene Berichte verfolgt, die — über die unmittelbare Aktualität hinausgehend — das Gesamt-problem vorführen. Er geht zu Hause in ein meist exzellent ausgestattetes Theater, und er hat die Chance, an den kulturpolitischen Diskussionen teilzunehmen. Allerdings verlangt ein Medium, das sich an Millionen wendet, gewisse Vereinfachungen und Vergröberungen. Ein Beispiel: als die Fernsehkamera im September durch die Frankfurtei Buch-messe streifte, da konzentrierte sie sich schließlich auf das Buch, das nicht zuletzt aus Bequemlichkeit zum Bestseller geworden war, auf MacCarthys „Clique". Die 26 000 deutschen Neuerscheinungen blieben unberücksichtigt. Hier dominiert die grelle Pointe und die einseitige Sensation. Auch in politischen Meinungssendungen wird gelegentlich solche Holzschnitztechnik angewandt. An dieser Stelle möchte ich kurz etwas zu diesem Genre sagen. Es scheint, als könne deutsche Kritik nur gravitätisch darstellen, als fände sie nicht den leichten Ton, der nicht minder scharf zu sein braucht. Die englische Sendung " That was the week that was“, die so etwas wie ein Modell für Panorama abgab, hat diese kecke Note. Kritik wird ohnedies hierzulande schlecht goutiert, und wenn sie überzogen wird, um sich verständlich zu machen, treten die konfessionellen, politischen oder gewerkschaftlichen Verbandsegoismen auf den Plan.

Nun wird von den Feinden des Fernsehens immer wieder das Argument ins Feld geführt, daß das Fernsehen zur Passivität verführe, daß es die Unfähigkeit, den Feierabend selbst zu gestalten, überdecke und daß es allzu sehr nach der Gunst der Millionen schiele. Ich halte es für durchaus gerechtfertigt, daß ein Massen-medium bestrebt ist, auch diese Massen mit seinem Programm zu erreichen und Interesse zu wecken, und was die Passivität anbelangt, so zeigt sich in vielen Fällen, daß der Zuschauer nach ein bis zwei Jahren sich vielfach von dem Gerät emanzipiert und es wohldosiert in seinen Feierabend „einsetzt", und schließlich gehört auch eine leichte Unterhaltung zum Lebensprogramm eines jeden Menschen. Eine kultivierte Ernsthaftigkeit über zwölf Stunden können nur wenige durchhalten.

Ich darf noch auf zwei Aspekte hindeuten, in denen sich das bildungsintensive Fernsehen besonders manifestiert: in dem geplanten III. Programm und in dem in Vorbereitung befindlichen Schulfernsehen. Während sich das I. und II. Fernsehprogramm ganz bewußt als Massenmedien verstehen, beabsichtigt das III. Programm, sich nur an einen kleinen Kreis besonders Interessierter zu wenden. Ich finde diese Differenzierung sehr sinnvoll, da die gelegentlichen Versuche der bisherigen Programme, da und dort der Exklusivität Raum zu geben, nicht sonderlich überzeugend waren. Hier wird nun eine Scheidung vorgenommen, die den bisherigen Ansprüchen weiterhin nachkommt und ein höheres Geschmacks-und Bildungsniveau nicht unberücksichtigt läßt. Der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Klaus von Bismarck, hat in einem gescheiten und einsichtigen Aufsatz in der Zeitschrift „Universitas" die Absicht des III. Programms nach vier Richtungen hin definiert. Danach soll das Programm die folgenden Ziele verfolgen: a) wissenschaftliche Informationen für die Berufspraxis, b) wissenschaftliche Informationen für die Lebenspraxis, c) wissenschaftliche Informationen für die Zukunft der Gesellschaft, d) Einzelinformationen über die Funktionen eines demokratischen Staatswesens.

Wie diese Ziele im einzelnen erreicht werden sollen, wird in dem genannten Aufsatz des WDR-Intendanten detailliert ausgeführt. Der Plan ist gerade im Hinblick auf eine noch nicht immer zulängliche Erwachsenenbildung zu begrüßen. Ich könnte mir vorstellen, daß gerade von den Erläuterungen zur Berufspraxis eine große Attraktion ausgeht, weil gerade dieser Sektor in der bisherigen Praxis der Erwachsenenbildung noch zu kurz gekommen ist. Ob das Programm letztlich so bildungsintensiv sein wird, wie man sich das in den verantwortlichen Gremien vorstellt, hängt weitgehend davon ab, ob die Mitarbeiter gefunden werden, die sich auch verständlich machen können. Das wird nicht ganz einfach sein.

Zu dem Thema „Der Jugendliche und das Fernsehen“ gibt es bereits eine umfangreiche Literatur. Die wenigsten beschäftigen sich indes mit dem Schulfernsehen, sondern vielmehr mit den möglichen Gefahren, die von dem Konsum des normalen Programms ausgehen. Ich glaube, daß die hier aufgewiesenen Tatbestände so allgemein bekannt sind, daß ich mir eine Erläuterung ersparen kann. Daß der übermäßige und passive Konsum gerade für Jugendliche schädlich ist, bedarf nach der vorliegenden Literatur keiner weiteren Begründung. Beunruhigend ist auch die empirische Feststellung, daß mit abnehmendem Bildungsniveau der Fernsehkonsum zunimmt. Hier haben Eltern und Erzieher noch eine große Aufgabe. Unbestreitbar positiv veranschlage ich aber alle Unternehmungen, die dem Schulfernsehen dienen. Schulfernsehen bedeutet dabei nicht Lehrerersatz, sondern Bereicherung, Verdeutlichung und Ausweitung des Unterrichts. Wir gehen hier vermutlich andere Wege als die Vereinigten Staaten. Welche Funktion das Schulfernsehen einmal einnehmen wird, läßt sich im Augenblick noch nicht übersehen. In den Vorbereitungen sollte auch versucht werden, das vielfach unter den Lehrern noch herrschende Vorurteil gegen das Fernsehen abzubauen, nämlich das Vorurteil, Phantasie und eigene Überlegung würden durch Fernsehen unnötig gemacht. Durch den gezielten Einsatz des Schulfernsehens könnte darüber hinaus bewußt gemacht werden, wie man diszipliniert mit einem Fernsehgerät umgehen sollte.

Ich habe hier versucht, in drei Bereichen Bildungsmöglichkeiten und kulturelle Ansprüche nachzuzeichnen. Mir schien dabei ein kasuistisches Verfahren angebrachter als ein Rückgriff auf die Literatur der Psychologie der Massenmedien. Vielleicht ist auch verständlich geworden, mit welchen Begründungen ich mich der kulturpessimistischen Kritik nicht anschließen will, wobei ich freilich auch einer blinden Schönfärberei nicht folge.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. W. Haacke, Publizistik, Elemente und Probleme, Essen 1962, S. 151.

  2. Heft 7, Juli 1964.

Weitere Inhalte

Joachim H. Knoll, o. Prof, für Pädagogik an der Universität Bochum, Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Bonn, geb. 23. November 1932 in Freystadt/Schles. Veröffentlichungen u. a.: Führungsauslese in Liberalismus und Demokratie, Stuttgart 1957; Jugend, Politik und Politische Bildung, Heidelberg 1962; Pädagogische Elitebildung, Heidelberg 1964; Ansichten zur Gegenwart, Ratingen 1964.