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Die Verbreitung der Kernwaffen | APuZ 48/1965 | bpb.de

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APuZ 48/1965 Frankreich und Deutschland. Freundschaftliche Bindungen und unterschiedliche Interessen Die Verbreitung der Kernwaffen

Die Verbreitung der Kernwaffen

Curt Gasteyger

Wird die Welt von morgen mit einer Vielzahl von Nuklearmächten zu leben haben? Oder wird es unserer Generation, die die erste Atombombe explodieren ließ, gelingen, die Verseuchung der Welt mit dieser Waffe wirksam zu verhindern? Wie immer auch die Antwort auf diese Frage lauten mag, wir werden uns damit abfinden müssen, daß das Problem der nuklearen Proliferation — die Übernahme von Kernwaffen durch Länder, die bisher noch nicht Atommächte waren — in all seinen politischen, militärischen, wirtschaftlich-sozialen, ethischen und psychologischen Aspekten ungemein komplex und langwierig ist. Wir werden, in der einen oder anderen Weise, mit ihm leben müssen. Damit ist zugleich auch gesagt, daß es weder rasch noch einfach gelöst werden kann.

Überschätzung der Proliferationsgefahr?

Vielleicht werden wir in zehn oder zwanzig Jahren erkennen, daß wir uns dem falschen Problem zugewendet haben oder die nukleare Proliferation keineswegs so gefährlich war, wie es uns heute scheint. Zum mindesten haben wir heute die Einsicht gewonnen, daß das Schreckbild einer nuklearen Anarchie mit 20 Nuklearmächten in den nächsten fünf oder zehn Jahren übertrieben ist. Auch wurde die Befürchtung, daß die weitere Verbreitung der Kernwaffen die Wahrscheinlichkeit atomar geführter Kriege vergrößert, durch die bisherige Erfahrung nicht bestätigt. Seit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki sind keine Nuklearwaffen mehr für militärische Zwecke eingesetzt worden, dafür wurden unzählige Kriege und Konflikte mit konventionellen Waffen ausgetragen. Der Ausbruch der meisten dieser Kriege stand in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der bisherigen nuklearen Proliferation, sondern hatte ganz andere Gründe. Noch fehlen Beweise, ob sich dies mit der Erhöhung der Zahl nuklear bewaffneter Staaten grundlegend ändern wird. Ebenso fraglich ist, ob die Proliferation die so gerne gerühmte, im Grunde aber doch recht prekäre weltpolitische Stabilität der Gegenwart aus den Angeln heben würde.

Viel ernster ist jedoch die zweite Befürchtung: daß eine ungehinderte Verbreitung der Kernwaffen der heute noch äußerst wirksamen politischen und technischen Kontrolle entgleiten und in die Hände unverantwortlicher Regierungen oder gar privater Gruppen fallen könnten. Aber selbst dort, wo diese Waffen von politisch stabilen und militärisch rein defensiv orientierten Staaten (wie etwa die Schweiz oder Schweden) erworben würden, birgt die Proliferation erhebliche Risiken. Diese Risiken brauchen nicht mit dem betreffenden Lande selbst zusammenzuhängen; sie können sich vielmehr aus dessen geographischer Lage ergeben oder den politischen Umständen, unter denen die Waffen erworben werden. Proliferation ist ansteckend. Es ist eine Sache, wenn Kanada, das an die amerikanische Nuklear-macht grenzt, Kernwaffen produzieren sollte, und eine andere, wenn dies Israel oder Indien tun, die beide in einer Region politischer Spannungen und Rivalitäten liegen und mit diesem Schritt fast unvermeidlich eine Kettenreaktion auslösen würden.

Größe und Gefahr nuklearer Proliferation hängen somit vor allem von den Verhältnissen ab, unter denen sie erfolgt, und von den Auswirkungen, die sie auf die Umwelt haben kann. So gesehen erweist sich allerdings die Proliferation als eine Rechnung mit vielen Unbekannten, deren Gefährlichkeitsgrad wir zwar nicht kennen, wohl aber ahnen können.

Perspektiven der Proliferation

Rückblickend ist man erstaunt, festzustellen, daß in einem Vierteljahrhundert nicht mehr als fünf Staaten, die zufälliger-oder vorausschauenderweise mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates identisch sind (rechnet man das kommunistische China als Anwärter auf den fünften Sitz), für die nukleare Bewaffnung optiert haben.

Von den ersten feststellbaren Experimenten im Jahre 1940 an gerechnet dauerte es fünf Jahre, bis die Vereinigten Staaten ihren ersten Atomtest durchführen konnten (1945); bei der Sowjetunion waren es bereits neun Jahre (1949), bei Großbritannien 12 (1952), bei Frankreich 20 (1960) und bei China 24 Jahre (1964). Mit Ausnahme einer zeitweiligen Zusammenarbeit zwischen den USA und Großbritannien und, in sehr viel geringerem Maße, zwischen der Sowjetunion und China haben alle diese Staaten ihr Nuklearprogramm unabhängig voneinander, das heißt auf rein nationaler Basis durchgeführt. Das zeigt, daß bis heute die Proliferation nur im Sinne der Eigenproduktionvon Kernwaiien und nicht durch ihre Weitergabe an Drittstaaten erfolgt ist. Bis heute fehlt also jede Erfahrung, ob und in welcher Weise Nuklearmächte ihr Wissen und ihr Potential an nichtnukleare Staaten übertragen. Noch scheint es kaum glaubhaft, daß China den entscheidenden Durchbruch mit einer Hilfe an Indonesien tun sollte, wie viele Beobachter annehmen.

Es mag sein — sofern wir Glück haben —, daß das Schrittmaß der Proliferation weiterhin langsam bleibt. Trotzdem wird es kaum nochmals fünfundzwanzig Jahre dauern, bis sich — ohne ein Non-Proliferations-Abkommen — die Zahl der Nuklearstaaten verdoppelt. Entscheidende technische Informationen sind heute leicht zugänglich, natürliches Uran und selbst spaltbares Material sind in großen Mengen vorhanden, und viele Länder produzieren in ihren Reaktoren Plutonium, das sie gegebenenfalls auch für militärische Zwecke verwenden können.

Fünf Staaten haben sich bisher für eine eigene Nuklearbewaffnung entschieden, zwei Staaten (Kanada und die Bundesrepublik Deutschland) haben darauf verzichtet, und über hundert Staaten sind noch nicht an jenem Punkt angelangt, an dem sie diese schwerwiegende Entscheidung zu treffen haben. Die Vorstellungen von einer Nuklearmacht und dem, was es braucht, um diesen rüstungsund machtpolitischen Status zu erreichen, haben sich in jüngster Zeit entscheidend geändert. Seitdem Frankreich und das wirtschaftlich noch unterentwickelte China den Schritt von der konventionellen zur nuklearen Macht ohne ernste Folgen für ihre Wirtschaft, dafür aber mit einer gewaltigen Steigerung ihres Ansehens tun konnten, hat die Atombombe viel an Anziehungskraft gewonnen. Darin liegt ein nicht zu unterschätzender Anreiz für die Proliferation. Dies um so mehr, als diese Neubewertung umgekehrt zu einem Absinken des moralischen und politischen Prestiges so hochindustrialisierter, aber nichtnuklearer Staaten wie Kanada und Schweden geführt hat.

Das braucht nicht immer so zu bleiben; viel hängt davon ab, unter welchen Bedingungen der Verzicht einer potentiellen Nuklearmacht auf die nukleare Bewaffnung geschieht. Wo aber soll die Trennungslinie gezogen werden, die ein für allemal die Nuklearmächte von den nuklearen „Habenichtsen" trennen wird? Man wird sich darüber klar sein müssen, daß durch sie die Welt erstmals deutlich in zwei Kategorien von Staaten eingeteilt wird: in jene, die, einmal im Nuklearklub akzeptiert, nach Belieben atomare Waffen herstellen und damit ihren Rüstungsvorsprung ungehindert vergrößern können, und in jene andere Kategorie von Staaten, die für unabsehbare Zeit auf dieses Symbol machtpolitischen Prestiges und militärischer Sicherheit verzichten werden.

Da gegenwärtig die fünf Nuklearmächte mit den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates identisch sind, halten viele den Augenblick für gekommen, eine Weiterverbreitung der Kernwaffen über diesen Kreis hinaus zu verhindern. Vorläufig hat dieses einleuchtende Argument allerdings den Schönheitsfehler, daß das kommunistische China noch nicht Mitglied des Sicherheitsrates ist — und offenbar auch nicht die Absicht hat, es in nächster Zeit zu werden. Im übrigen wird man mit gutem Recht die Frage stellen können, weshalb ausgerechnet Indien, Japan oder Deutschland von der Nuklearbewaffnung auf immer ausgeschlossen werden sollen. Werden sie es nicht, dann werden Israel, Pakistan, Italien, Schweden und andere Länder sich ebenfalls Eintritt in den „Klub" verschaffen wollen. Es ist schwer zu sehen, wo diese Kette mit vernünftigen Argumenten jemals unterbrochen werden kann.

Eine solche Entwicklung ist durchaus denkbar, ja vielleicht sogar wahrscheinlich. In diesem Falle dürfte die Welt in den nächsten zehn Jahren etwa acht bis zehn Nuklearmächte zählen; niemand weiß, wie viele es in zwanzig Jahren sein werden. Jede Trennungslinie ist willkürlich. Es ist ein schwacher Trost, daß sie noch willkürlicher wird, je weiter die Proliferation fortschreitet.

Gründe der Proliferation

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die gegen, und noch mehr, die für eine Proliferation sprechen. Dagegen sprechen vor allem die Furcht vor der Verseuchung der Welt mit Kernwaffen, die hohen Kosten der Nuklear-bewaffnung und die Sorge, daß eine weitere Proliferation die Kontrolle der Kernwaffen erschweren, die Begrenzung kleinerer Konflikte auf konventionelle Waffen praktisch unmöglich machen und damit eine Intervention der Großmächte herbeiführen werde.

Von den mannigfachen Gründen, die einen Staat zur nuklearen Bewaffnung veranlassen können, stehen insbesondere zwei im Vordergrund: das Bedürfnis nach Prestige oder, wenn man will, machtpolitischem Status und nach Sicherheit, das heißt nach Erhöhung der Verteidigungskraft. In den meisten Fällen werden beide Erwägungen zusammenfallen. Das war, obzwar mit deutlichen Unterschieden, bei allen Nuklearmächten der Fall. Einzig bei den USA spielte das militärpolitische Ziel einer möglichst raschen Beendigung des Krieges eine vorrangige Rolle. Im Falle Frankreichs und Chinas wurde das ausgeprägte Prestigebedürfnis von der Entschlossenheit verstärkt, sich um jeden Preis von der tatsächlichen oder vermeintlichen Bevormundung durch die Führungsmacht zu befreien. Bis zu einem gewissen Grade könnte die erwähnte Verbindung zwischen nuklearem Status und permanenter Mitgliedschaft im Sicherheitsrat bei einigen Staaten zu einer ähnlichen Reaktion verletzten Nationalstolzes führen. Wenn den vom gegenwärtigen Fünferklub ausgeschlossenen Mittel-mächten (etwa Indien) kein entsprechender politischer Ausgleich geboten wird, würde eine solchermaßen begründete Begrenzung des Nuklearklubs die Proliferation eher fördern als verhindern helfen.

Zu den bereits genannten Gründen kommen drei weitere Überlegungen, die den Entschluß zur nuklearen Bewaffnung begünstigen können: die Hoffnung auf den wirtschaftlichen Nutzen eines umfassenden Atomenergie-Programms, die Erwartung, auf diese Weise ein stärkeres Gewicht in der internationalen Politik und besonders gegenüber dem nichtnuklearen Nachbarn zu gewinnen, und schließlich die resignierende Einsicht, daß eine Proliferation unvermeidlich ist. Manche Staaten, die aus Furcht vor der Proliferation auf eine nukleare Bewaffnung verzichten möchten, werden diese Zurückhaltung aufgeben, wenn sie einmal von der Unvermeidbarkeit der Proliferation überzeugt sind.

Viele dieser Motive, in unterschiedlicher Stärke, lassen sich bei den nächsten Anwärtern auf eine Nuklearbewaffnung nachweisen. Im Falle Israels überwiegt deutlich das Bedürfnis nach erhöhter Sicherheit; Prestigegründe dürften bei einem so kleinen Land ohne machtpolitischen Ehrgeiz, aber in dauernder Konfrontation mit einer feindlichen Umwelt und einem unkontrollierbaren Rüstungswettlauf, kaum eine Rolle spielen. Demgegenüber ist bei Indien der Prestigefaktor nicht minder bedeutsam. Für Indien ist es eine Frage des nationalen Selbsrespekts, sich in der machtpolitischen Auseinandersetzung und Rivalität zu behaupten und sich als führende demokratische Macht in der afroasiatischen Welt auszuweisen. Ein Verzicht auf eine eigene Atomrüstung wird Indien um so schwerer fallen, als es bereits über hochentwickelte Reaktoranlagen verfügt und ohne weiteres in der Lage wäre, in kurzer Zeit mit einem Test-versuch in den nuklearen Klub einzutreten. Wenn es das tut, dann wird Pakistan alles daransetzen, es dem vielbeneideten Rivalen nachzumachen.

Mit dem Fortschreiten des chinesischen Nuklearprogramms wird früher oder später auch Japan sich der ansteckenden Proliferation nicht entziehen können. Vorläufig stehen dem große innenpolitische Widerstände entgegen. Sie werden aber schwächer werden, wenn das japanische Selbstbewußtsein gegen die erdrükkende amerikanische und chinesische Übermacht zu rebellieren und sich das Bündnis mit den USA zunehmend zu lockern beginnt.

Die Lage der Bundesrepublik Deutschland als ebenfalls besiegtes Land ist derjenigen Japans nur entfernt ähnlich. Bis heute hat der westdeutsche Teilstaat jedem Großmachtstreben entsagt und außerdem ausdrücklich auf die eigene Herstellung von Atomwaffen verzichtet. Eine fortschreitende Proliferation rund um Deutschland dürfte aber die Frage der Atombewaffnung neu stellen. Sicherheits-und Prestigegründe stehen zweifellos im Vordergrund, VOI allem dann, wenn der Bundesrepublik ein Mitspracherecht über den Einsatz nuklearer Waffen weiterhin vorenthalten wird. Die Fortdauer des nichtnuklearen Status wird der dritt-stärksten Industriemacht der Welt, die sich außerdem in einer militärisch exponierten Lage befindet, nur noch schwer zuzumuten sein, wenn er von wirtschaftlich und politisch unvergleichlich schwächeren Ländern als untragbar verworfen wird. Bereits eine schweizerische Atomrüstung würde in der Bundesrepublik (und wahrscheinlich auch in Italien) mit recht gemischten Gefühlen ausgenommen werden.

Bei Staaten wie der Schweiz, und Schweden sind natürlich verteidigungspolitische Überlegungen ausschlaggebend. Außerhalb eines Allianzsystems stehend, genießen sie nicht den Schutz einer Nuklearmacht. Deshalb kann ihnen die Anschaffung wenigstens taktischer Atomwaffen als unerläßlich für die Aufrechterhaltung ihrer Neutralität erscheinen. Auch nichtnukleare Mitgliedstaaten einer Allianz könnten zu ähnlichen Entschlüssen kommen, wenn der ihnen zugesicherte Nuklearschutz an Glaubwürdigkeit verliert.

Technische und wirtschaftliche Aspekte der Proliferation

Jeder Staat, der seine Streitkräfte mit nuklearen Waffen ausrüsten will, sieht sich vor zwei miteinander zusammenhängende Probleme gestellt: er muß sich einmal jene nuklearen Sprengkörper verschaffen, die seinen militärischen Bedürfnissen entsprechen; und er muß zweitens Trägerwaifen erwerben, die diese Sprengkörper an das für sie bestimmte Ziel bringen Die folgenden Ausführungen befas-sen sich ausschließlich mit der ersten Frage, also der nuklearen Proliferation im eigentlichen Sinne. Das heißt keineswegs, daß die Beschaffung der geeigneten Trägerwaffen, vor allem Raketen, bis zu einem gewissen Grade auch strategische Bomber, ein Problem zweiter Ordnung ist. Atomwaffen sind nur dann militärisch sinnvoll und militärisch und politisch glaubwürdig, wenn eine gute Chance besteht, sie ins Ziel zu bringen. Die Gegenüberstellung der Fälle China und Indien illustriert dies besonders eindrücklich: -China könnte sich theoretisch durchaus mit Bomberflugzeugen als nuklearem Transportmittel zufriedengeben, um von Tibet aus wichtige Zentren Indiens empfindlich zu treffen (allerdings weder die USA oder die Sowjetunion). Demgegenüber wird eine indische Atomwaffe für China nur dann glaubwürdig, wenn sie mit Hilfe von Langstreckenraketen über die viel längeren Distanzen in chinesische Industriezentren gebracht werden kann. Das bedeutet, praktisch gesprochen, den Aufbau eines von der Nuklearrüstung völlig verschiedenen und äußerst kostspieligen Rüstungszweiges, wenigstens solange solche Trägerwaffen nicht „auf dem Markt" zu erwerben sind.

Einer Beschaffung von Nuklearwaffen, unabhängig von ihrer Größe, stehen heute noch zwei sehr große Schwierigkeiten entgegen: die Art ihres Erwerbs und die Kosten. Bis jetzt gibt es, wie gesagt, keine Anzeichen, wonach die fünf Nuklearmächte bereit wären, Atomwaffen an Drittstaaten weiterzugeben. Die USA, die Sowjetunion und Großbritannien, die auf Grund ihres vorhandenen Potentials hierzu in der Lage wären, haben sich gegen die Proliferation gewendet. Frankreich wird wegen eines noch äußerst beschränkten Potentials kaum, China, das in den ersten Anfängen nuklearer Rüstung steckt, auf lange Sicht überhaupt nicht in der Lage sein, Atomwaffen abzugeben (wohl aber entscheidende technisch-materielle Hilfe).

Möglich, wenn auch wenig wahrscheinlich, sind allerdings drei andere Wege, der Proliferation Vorschub zu leisten: die Lieferung spaltbaren Materials für Waffenzwecke, die Vermittlung technischer Informationen und die Abgabe wichtiger, für die Nuklearrüstung unentbehrlicher Komponenten. So hat Kanada bereits größere Mengen Uraniums an die USA und Großbritannien abgegeben, in voller Kenntnis der Tatsache, daß es für militärische Zwecke verwendet wird. Andererseits liefert Kanada Uranium an Indien mit der ausdrücklichen Auflage, es ausschließlich für friedliche Zwecke zu verwenden. Seit der Gründung der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA)

wurden die meisten, aber nicht alle bilateralen Abkommen dieser Art „multilateralisiert", das heißt von der IAEA übernommen und einem internationalen Kontrollsystem unterworfen, das die friedliche Verwendung des gelieferten Urans sichern soll. -Struktur und Kontrollmechanismus der IAEA reichen aber nicht aus, Umgehungen zu verhindern. Ganz im Gegenteil scheint gerade hier, auf dem Gebiet der friedlichen Verwendung der Atomenergie, die bewußt geförderte Verbreitung von Atomreaktoren ein unbeabsichtiger Helfer der nuklearen Proliferation zu werden Mit der wachsenden Zahl von Plutonium produzierenden Reaktoren in immer mehr Ländern wird sich bei diesen früher oder später die Frage stellen, was mit diesem Plutonium (also dem Grundstoff einer auf Plutonium basierenden Atombombe) geschehen soll. Auch wenn bis zu seiner Verwendung noch eine technisch sehr komplizierte und kostspielige Wegstrecke zurückzulegen ist, zeigt sich hier doch auf dem Umweg über die friedliche Atomenergie-Nutzung eine Quelle zu weiterer Proliferation. Sie dürfte in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen.

Von den drei aus Uranium gewonnenen spaltbaren Materialen (Uranium-235, Plutonium-230 und Uranium-233) wurden, soweit bekannt, nur die ersten beiden für die Herstellung nuklearer Waffen verwendet. Dabei ist die Herstellung von Nuklearbomben auf der Basis von angereichertem Uran-235 unvergleichlich komplizierter und teurer als die Plutonium-Bombe. Sie scheint aber praktisch der einzige Weg zu sein, um damit eine Wasserstoffbombe zur Explosion zu bringen. Deshalb haben alle Atommächte, wahrscheinlich China bereits eingeschlossen, beide Produktionsweisen gewählt. Für wirtschaftlich schwächere Länder wird wohl in erster Linie die billigere Plutonium-Produktion in Frage kommen. Aber auch hierfür bedarf es beträchtlicher Mengen an Uranium, einen oder mehrere große Atom-Reaktoren und einer Anlage zur chemischen Spaltung des gewonnenen Plutoniums. All dies ist ein ebenso teurer wie komplizierter Prozeß. Er erstreckt sich über mehrere Jahre und erfordert einen großen Stab hochqualifizierter Wissenschaftler und Techniker. Trotzdem wird man sagen können, daß wirtschaftliche Rücksichten heute kein stichhaltiges Argument mehr gegen eine Nuklearbewaffnung sind. Ein Land wie die Schweiz dürfte deshalb materiell durchaus in der Lage sein, innerhalb weniger Jahre mit einem grob geschätzten Kostenaufwand von mehrern hundert Mio. Franken eine Anzahl kleinerer Plutonium-Bomben herzustellen.

Viel größere Schwierigkeiten verursachen dagegen der Mangel an technischen Kadern und die Beschaffung von Uranium für militärische Zwecke. Sie ist zur Zeit praktisch noch unmöglich. Mit der fortschreitenden Entwicklung und Ausbreitung der Atomwissenschaft und einem Anwachsen der Reserven an spaltbarem Material (das heißt einem Sinken seines Preises und seiner leichteren Verfügbarkeit) wird aber auch dieses Hindernis allmählich kleiner und steigen die Chancen für die Proliferation.

Die Verhinderung der Proliferation

Kann eine Weiterverbreitung der Kernwaffen angesichts der geschilderten Lage überhaupt verhindert werden? Wir wissen es nicht. Jedenfalls gibt es keine Patentlösungen: Die Proliferation läßt sich weder einfach durch einen Vertrag zwischen nuklearen und nichtnuklearen Staaten „verbieten", noch genügt eine Ausweitung des Moskauer Teststopp-Abkommens auf unterirdische Versuche. Aussicht auf einigen, kaum vollständigen Erfolg hat bestenfalls eine Reihe aufeinander abgestimmter Maßnahmen verschiedenster Art, zu verschiedener Zeit unternommen und an verschiedene Adressaten gerichtet; kurz: eine Art Strategie der Non-Proliferation. Die denkbaren Maßnahmen lassen sich in vier Kategorien einteilen: erstens die Verminderung der Proliferationsmöglichkeiten (vor allem also Beschränkung und Kontrolle des spaltbaren Materials), zweitens die Erweiterung des internationalen Sicherheitssystems (Garantien), drittens umfassendere Abrüstungs-und Rüstungskontrollmaßnahmen und viertens eine Veränderung des internationalen Klimas.

Reduktion der Proliferationsmöglichkeiten Hier sind es vor allem zwei Maßnahmen, die zum mindesten eine Verlangsamung der Proliferation herbeiführen können: die bereits erwähnte und seit langer Zeit erörterte Ausdehnung des Moskauer Teststopp-Abkommens von 1963 auf unterirdische Versuche und die Einstellung der Produktion spaltbaren Materials. Bis jetzt war es die Kontrollfrage, an der die Ausdehnung des Moskauer Vertrages scheiterte: Die Amerikaner beharrten, nach mehrmaligem Entgegenkommen, auf einer Mindestzahl von sieben An-Ort-Inspektionen pro Jahr, die Sowjets wollten nicht mehr als drei Inspektionen zugestehen. Später zogen sie auch dieses Angebot zurück. Inzwischen glauben westliche Wissenschaftler, daß man heute mit neu entwickelten seismographischen Geräten auch ohne solche Kontrollen auskommen kann. Washington hat sich vorläufig dieser optimistischen Ansicht nicht angeschlossen. Trotzdem besteht Grund zur Annahme, daß sich die beiden Großmächte unter dem gemeinsamen Druck der Proliferation schließlich doch auf eine Kompromißformel einigen werden. Das Moskauer Abkommen hat ihnen gezeigt, daß sie fast alle Staaten der Erde hinter sich bringen können, wenn und solange sie selbst einig sind. Ein vollständiges Verbot der Nuklear-versuche dürfte es jedem Anwärter auf Nuklearwaffen erheblich schwerer machen, diese Waffen zu produzieren. Theoretisch ist dies ohne Versuche möglich; in der Praxis wird sich kaum eine Armeeführung bereitfinden, bei so wichtigen und kostspieligen Waffen auf Versuche zu verzichten. Ein Staat wird sich außerdem überlegen, ob es sich lohnt, die Weltöffentlichkeit mit einem Vertragsbruch herauszufordern. Der zweite Weg ist eine möglichst unfassende Kontrolle des vorhandenen oder noch weiter zu produzierenden spaltbaren Materials. In den Abrüstungsverhandlungen hat der Westen immer wieder die Forderung nach einer Einstellung („cut-off") der Produktion dieses Materials erhoben. Diese Maßnahme betrifft also in erster Linie die Nuklearmächte selbst und ist damit frei von dem Odium, abermals ausschließlich zu Lasten der Nicht-Nuklearen zu gehen. Bis heute haben sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien nur zu einer sehr geringfügigen Produktionsverminderung bereitfinden können (im April 1964). Sie ändert kaum etwas an dem großen Überschuß an spaltbarem Material in Ost und West.

Ein solcher „cut-off" ließe sich am leichtesten zu Beginn jenes Produktionsstadiums kontrollieren, in dem das Material für militärische Zwecke aufbereitet wird. Bei Plutonium-239 ist es die chemische Trennungsanlage, bei Uran-235 die Gasdiffusions-Anlage. Beide Anlage-Arten sind heute noch äußerst selten: Gasdiffusions-Anlagen gibt es in den USA drei, in der Sowjetunion zwei, in Großbritannien und Frankreich je eine, während sich in China eine im Aufbau befindet; somit verfügt also kein nichtnukleares Land über eine derartige ungemein kostspielige Anlage. Außer den Nuklearmächten verfügt lediglich Indien über eine noch bescheidene Trennungs-Anlage, eine zweite befindet sich unter Aufsicht der Europäischen Atomenergie-Kommission auf belgischem Boden. Es bestünde also einige Aussicht, die Proliferation sozusagen „an der Wurzel" zu verhindern. Es ist denkbar, daß die Internationale Atomenergie-Kommission oder eine ihr ähnliche Organisation die Produktion oder Konservierung spaltbaren Materials übernimmt und es unter entsprechenden Garantien an Interessenten abgibt.

Sicherheitsgarantien Eine der heikelsten Fragen ist die nach der glaubwürdigen Gegenleistung für einen Verzicht auf nukleare Bewaffnung. Welche übrigen Motive auch immer für den Entschluß zur Atombombe vorliegen, die Stärkung der Verteidigungskraft (und damit Erhöhung der nationalen Sicherheit) spielt durchweg eine hervorragende Rolle. Ein Staat wie Israel dürfte kaum von einem solchen Entschluß abzubringen sein, wenn er nicht Gewähr hat, für seinen Verzicht mit so ausreichenden Garantien versehen zu sein, daß er damit einen ungefähr gleich hohen Sicherheitsgrad erreicht. Praktisch gibt es diese Gegenleistung nicht. Sicherheit ist keine Tauschware. Jeder Staat wird letzten Endes genau das für seine eigene Sicherheit tun, was er — und er allein — für notwendig hält. Deshalb ist jede noch so umfangreiche und dauerhafte inlernationale Garantie letztlich weder ausreichend noch glaubhaft. Das beweist das Beispiel Deutschlands, eines Landes also, das über alle denkbaren Garantien innerhalb eines weltweiten Allianzsystems verfügt und dennoch nicht restlos von ihrer unbedingten Zuverlässigkeit und Dauer überzeugt ist. In der Tat läßt sich keine Form internationaler Verpflichtungen denken, die dem Sicherheitsbedürfnis eines Staates vollauf genügen können. Es gibt mit anderen Worten keine „Garantie" im strengen Sinne, die einem Land unter allen Umständen Schutz und Sicherheit bieten kann; es gibt bestenfalls Zusagen für eine Ergänzung seiner eigenen Sicherheitsvorkehrungen. Eine internationale Garantie muß zudem von jedem protektionistischen Beigeschmack frei sein. Die Über-empfindlichkeit mancher Staaten macht dies äußerst schwierig. Die bisherige Zurückhaltung Indiens gegenüber der Idee solcher Garantien durch die Großmächte findet darin ihre teilweise Erklärung. In der Sicht mancher Inder würde die Garantie lediglich den fragwürdigen Status geborgter Stärke verleihen, gleichgültig, ob sie von einer oder allen Nuklearmächten kommt. In den Augen der indischen Öffentlichkeit und mindestens ebenso der afroasiatischen Welt würde sich dann Indiens Unabhängigkeit mehr auf fremde (zudem „weiße") Hilfe als auf eigene Macht gründen. Das Gefühl machtpolitischer Deklassierung wird um so stärker sein, wenn Indien durch einen Nuklearverzicht auf unbestimmte Zeit vom Gremium der Großmächte (also bei-spielsweise von der ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat) ausgeschlossen und damit auch institutionell in die hinteren Plätze der internationalen Hierarchie verwiesen bliebe.

Die Beispiele Deutschland und Indien zeigten bereits, wie sehr der Plan solcher Garantien der Verbesserung und Verfeinerung bedarf, um überhaupt diskutierbar zu sein. Militärisch wird eine Garantie nur dann wirksam und glaubwürdig sein, wen sie möglichst durch eine örtliche Präsenz der Garantiemächte — sozusagen als „Pfand" des Hilfsversprechens — gestützt ist. Politisch darf die Garantie für den betreffenden Staat keine sichtbare Einbuße an Prestige mit sich bringen. Sie muß also unter Umständen den mit der Garantie verbundenen Nuklearverzicht politisch in irgendeiner Weise honorieren. Im Falle Indiens wäre beispielsweise an die Verleihung eines besonderen Status im Kreise der Großmächte zu denken. Eine Garantie ist schließlich nur glaubwürdig, wenn sie zeitlich nicht begrenzt wird. Dazu wird sich jedoch kein Staat verpflichten wollen. Jeder Staat, der auf Grund eines Garantieabkommens auf eine eigene Nuklearbewaffnung verzichtet hat, muß sich deshalb die Frage stellen, was geschieht, wenn dieses Abkommen ausläuft oder unversehens beendet wird. Im besten Falle wird die Garantie erneuert, im schlimmsten Fall sieht sich der bisherige Garantieempfänger plötzlich vor die Entscheidung gestellt, doch noch eigene Atomwaffen zu beschaffen. Kostbare Jahre sind dann aber verloren und nochmals Jahre prekärer Sicherheit zu überstehen, bis schließlich diese Waffen verfügbar sind.

So bestechend also der Gedanke internationaler Garantien auf den ersten Blick erscheinen mag, so schwierig wird es sein, ihn in die politische Wirklichkeit zu übertragen. Paradoxerweise wird er ausgerechnet heute für blockfreie Länder vorgebracht, nachdem ähnliche Garantien innerhalb der Allianzsysteme fragwürdig geworden sind. Es ist deshalb auch kein Zufall, daß die Proliferationsgefahr ausgerechnet in der blockfreien Welt am größten ist.

Abiüstung und Rüstungskontrolle Hierher gehört zweifellos in erster Linie der eigentliche Non-Proliferations-Vertrag. Als Rüstungskontrollmaßnahme braucht er zwar nicht zu weiteren Abrüstungsvereinbarungen zu führen. Trotzdem ist er letztlich nur dann sinnvoll, wenn er als Teil einer umfassenderen Abrüstung aufgefaßt und konzipiert wird.

Bereits die sogenannte irische Resolution der UN-Vollversammlung vom Jahre 1961 und neuerdings die britischen Vorschläge an der Genfer Abrüstungskonferenz sehen zwei Vertragsteile vor: eine Verpflichtung der Nuklear-mächte, keine Atomwaffen an Drittstaaten weiterzugeben beziehungsweise Informationen zu vermitteln, und eine Verpflichtung der nichtnuklearen Staaten, keine Atomwaffen zu erwerben beziehungsweise selbst herzustellen. Bis heute haben sich Ost und West nicht darüber einigen können, was unter „Weitergabe von Atomwaffen" zu verstehen ist. Wohl mehr aus Gründen politischer Taktik hält die Sowjetunion daran fest, daß selbst die Beteiligung am Verfügungsrecht über nukleare Waffen schon als „Weitergabe" aufzufassen und deshalb zu verbieten ist. Die Diskussion entzündete sich bekanntlich am amerikanischen Projekt einer multilateralen Streitmacht (MLF). Es sollte insbesondere der Bundesrepublik ein Mitverfügungsrecht über den Einsatz nuklearer Waffen geben, sie aber von deren Besitz ausschließen. Damit wäre nach westlicher Auffassung ein Ausweg gefunden, den politisch und militärisch wichtigen Staaten eine Art seminuklearen Status zu verleihen, der einerseits ihren Ansprüchen auf Sicherheit und Prestige weitgehend genügt, andererseits eine Proliferation verhindert. Es ist fraglich, ob sich ein Staat wie die Bundesrepublik — und möglicherweise andere Staaten — mit weniger begnügen werden. Man wird jedenfalls kaum erwarten können, daß sie sich trotz oder wegen eines Non-Proliferations-Abkommens nicht eine Option offenhalten werden, die ihnen später, falls notwendig, dennoch eine Änderung ihres nuklearen Status erlaubt. Ein solches Abkom-men wird deswegen nur dann glaubwürdig und von Dauer sein, wenn es die Staaten zu überzeugen vermag, daß seine Einhaltung in ihrem eigenen und nicht nur im Interesse anderer Staaten liegt.

Ähnliches gilt auch für die Schaifung atomwaffenfreier Zonen. Es läßt sich durchaus denken, daß bestimmte, außerhalb der direkten Ost-West-Konfrontation liegende Regionen von einer nuklearen Verseuchung freigehalten werden können. Das trifft beispielsweise auf Afrika, Lateinamerika und den Mittleren Osten zu. Die Voraussetzung hierzu ist allerdings zum mindesten zweifach: daß sich er stens alle Staaten dieses Raumes der Verzichterklärung anschließen und sich einer internationalen Kontrolle öffnen, und daß zweitens die Nuklearmächte gemeinsam für die Sicherheit dieser Zonen verantwortlich zeichnen. Beide Voraussetzungen sind gleichermaßen schwer erfüllbar. Sie dürften aber das Minimum darstellen, das für einen Staat in der Lage Israels annehmbar ist. Dabei ist die weitere Frage noch gar nicht gestellt, ob die Errichtung einer solchen Zone nicht den konventionellen Rüstungswettlauf beschleunigen hilft oder die beteiligten Staaten nicht veranlaßt, auf das Gebiet der biologischen und chemischen Waffen auszuweichen.

Eine Strategie der Non-Proliferation

Diese nur kursorische Aufzeichnung verschiedener Wege zur Verhinderung der Proliferation zeigt bereits, wie problematisch, lückenhaft und zerbrechlich jede der angeführten Maßnahmen ist. Sie alle sind, für sich genommen, ungenügend; sie alle werden dann scheitern, wenn ein Staat zur Überzeugung gelangt, daß eigene Nuklearwaffen für seine Sicherheit und sein Prestige letztlich doch unentbehrlich sind. Entscheidend ist deshalb, eine solche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen oder sie wenigstens zu einem solchen Ausnahmefall zu machen, daß ein derartiger Einbruch in die Non-Proliferation als Sonderfall qualifiziert und damit eine Kettenreaktion verhindert werden kann. (Der erste Testfall dafür könnte Indien sein.) Das wird nur dann gelingen, wenn die verschiedenen Anti-Proliferationsmaßnahmen aufeinander abgestimmt, der Non-Proliferation das Odium der Diskriminierung genommen und die Nuklearmächte selbst zu einer Herabsetzung ihres eigenen Rüstungspotentials werden können.

Eine solche Strategie der Non-Proliferation ist nur möglich, wenn das dafür geeignete internationale Klima geschaffen werden kann.

Das heißt vor allem, den Nuklearwaffen den ihnen zugehörigen Platz im modernen Rü-stungsarsenal zuzuweisen, mit anderen Worten, ihren Besitz nicht mit einem Großmacht-status gleichzusetzen und den Nuklearwaffen einen unverhältnismäßig hohen politischen Nutzeffekt zuzuschreiben. Gerade viele wohlmeinende Atomgegner erweisen dem Bemühen um eine Non-Proliferation einen schlechten Dienst, wenn sie nur militärische Zerstörungskraft der Nuklearwaffen verurteilen, ohne zugleich darauf hinzuweisen, daß sie ihren Besitzern auch erhebliche machtpolitische Beschränkungen auferlegt. Die Über-bewertung der Atombombe ist deshalb ebenso gefährlich wie ihre Unterschätzung. Das gilt vor allem für die nukleare Testexplosion. So war es technisch und militärisch ungerechtfertigt und politisch falsch (wenn auch psychologisch verständlich), China nach seinem ersten Test bereits zu den Nuklearmächten zu zählen. Es wurde ihm damit, fast unbesehen, die Mitgliedschaft bei dem exklusiven Nuklear-klub eingeräumt. Das bedeutet nichts anderes, als daß sich Peking, sozusagen als „Belohnung" für zwei Nuklearversuche, auf die Seite jener stellen kann, die von einem Verbot der Proliferation ausgenommen und deshalb ihre Atombewaffnung nach eigenem Gutdünken vorantreiben können. Es ist zugegebenermaßen recht schwierig, zu bestimmen, wann genau ein Staat den Status einer Nuklearmacht erreicht hat. Entscheidend wird wohl letztlich seine unmißverständliche Willensäußerung sein, eigene Atomwaffen zu beschaffen. Eine Testexplosion kann dies be-weisen. Dem muß nicht unbedingt so sein, wenn sich ein Staat mit ihr lediglich den Eintritt in den Nuklearklub mit möglichst geringem Aufwand „erschleichen" will. Solange also die öffentliche Meinung jeden nuklearen „Knall" bereits als Zeugnis nuklearer Macht ansieht, wird dies den Anreiz zur Proliferation nur erhöhen.

Es gehört deshalb zu einer Strategie der Non-Proliferation, die besonders gute Verhandlungsposition eines Staates hervorzuheben, der technisch ohne weiteres zu einem solchen Test in der Lage, jedoch für entsprechende Gegenleistungen darauf zu verzichten bereit ist. Umgekehrt werden die Nuklearmächte gut beraten sein, die Non-Proliferation nicht zur Stärkung ihrer Machtposition auszunutzen, sondern sie als Verpflichtung für die eigene nukleare Selbstdisziplin aufzufassen. Nur wenn beide Seiten, die nukleare und die nichtnukleare, ein Mindestmaß an Selbstbeschränkung aufbringen, kann jenes Klima einer weltweiten Interessengemeinschaft entstehen, das eine Ausbreitung der Kernwaffen begrenzen hilft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die folgenden Angaben wie eine Reihe von Anregungen verdankt der Verfasser vor allem den Veröffentlichungen des Institute for Strategie Studies, in erster Linie dem Buch von L. Beaton/J. Maddox, The Spread of Nuclear Weapons (London 1962) und der demnächst erscheinenden Studie von L. Beaton, Must Nuclear Weapons Spread?

  2. So haben die USA unter anderm in folgenden Ländern Forschungsreaktoren aufgebaut: in Formosa (1961), Kolumbien (1964), im Kongo (Leopoldville) (1959), in Indonesien (1964), Iran (1964), Südkorea (1962), Vietnam (1963) usw.

Weitere Inhalte

Curt Gasteyger, Dr. jur., Redaktionsmitglied des „Europa-Archivs" und Redakteur für Politik und Recht beim „Enzyklopädischen Wörterbuch", Freiburg i. Br.; Dozent im „UNTraining Programme for Foreign Service Officers", Genf. Veröffentlichungen u. a.: Die politische Homogenität als Faktor der Förderation, 1955; Die Sowjetunion und die Volksdemokratien, Die Sowjetunion, der Ostblock und Jugoslawien, in: Die Internationale Politik — Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bd. I (1958) bzw. Bd. II (1961); Die feindlichen Brüder. Jugoslawiens neuer Konflikt mit dem Ostblock, 1960; Perspektiven der sowjetischen Politik, 1962; Die Sowjetunion, Krieg und Abrüstung, 1963 (Hrsg.).