Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1965 | APuZ 11/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 11/1966 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1965

Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1965

I. Thematische Abgrenzung

I. Thematische Abgrenzung II. Einflüsse des aktuellen Zeitgeschehens III. Wahlkampfführung, Wahlergebnisse IV. Stärke, Organisationsstand 1. Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus 2. Statistik der rechtsradikalen Organisationen 3. Sammlungstendenzen V. Die rechtsradikalen Gruppen im einzelnen 1. Das Ende der „Deutschen Reichspartei" (DRP)

2. Entwicklungstendenzen in der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD)

a) Mitgliederzahl b) Rechtsextreme Tendenzen in der NPD 3. Nicht parteigebundene Organisationen VI. Publizistik 1. Statistik der rechtsextremen Presse-erzeugnisse 2. Die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung" (DNZSZ)

3. Rechtsextreme Literatur Argumente, Parolen 1. Versuche zur Neubelebung von NS-Thesen, Antisemitismus 2. Antidemokratische Parolen 3. Weitere Agitationsschwerpunkte Internationaler Faschismus 1. Straftaten ausländischer Faschisten im Bundesgebiet 2. Der organisatorische Hintergrund 3. Nazistische und antisemitische Hetzschriften aus dem Ausland IX. Rechtswidrige Aktionen inländischer Täter 1. Vergleichende Würdigung, Tendenzen VII. VIII. INHALT

2. Die antisemitischen Ausschreitungen in Bamberg 3. Darstellung der Vorfälle im einzelnen a) Sprengstoffanschläge und politisch motivierte Brandstiftungen b) Friedhofsschändungen cj Bedrohungen und Beleidigungen von jüdischen Mitbürgern und politischen Gegnern d) Schmieraktionen e) Flugschriften und Plakataktionen f) Sonstige Störaktionen X. Täteranalyse 1. Die Beweggründe 2. Zur Mentalität rechtsextremer Überzeugungstäter XL Maßnahmen Geistige Auseinandersetzung und politische Bildung Schlußbemerkung XII. XIII.

Rechtsradikalismus ist kein juristischer Begriff. Das Wort gehört zur politischen Umgangssprache unserer Tage. Es wird dort zur Bezeichnung verschiedenartiger Erscheinungsformen eines übersteigerten Nationalismus verwendet. Jede weitere Ausdeutung des Begriffes zwingt zur politischen Standortbestimmung. Das wird besonders deutlich, wenn man die ideologischen und politisch-taktischen Grundlagen betrachtet, von denen aus die antidemokratischen Kräfte von links und rechts zum Thema Rechtsradikalismus agitieren.

Skizze 7 . DIE STRAFVERFOLGUNG NAZISTISCHER 111 URTEILE INSGESAMT 733 FESTGESTELLTEN 1269 ANTISEMITISCHER AUSSCHREITUNGEN E-VEREINIGUNGSDELIKTE: § VERURTEILUNGEN MIT RECHTSVERSTÖSSEN § 90a, 127, 128, 129 StGB • -STRAFTATEN AUS TERRORISTISCHEN MOTIVEN: § § 114, 49a, 111, l 25, 212 StGB, SPRENGSTOFFGESETZ, WAFFENGESETZ a-FÄLLE STAATS-UND ORDNUNGSGEFÄHRDENDER E 130, 140, 189, 96, 166, 93, 95, 97, 91 StGB 306, 311, 240, 241, AGITATION:? § 96a, 1 I-SONSTIGE FÄLLE NAZISTISCHER UND ANTISEMITISCHER STÖR-UND ------SCHMIERTÄTIGKEIT:? § 185, 360, 303, 304, 305, 330a, 223, 223a 168 StGB, VERSAMMLUNGSGESETZ UND 45 URTEILE

In der kommunistischen Propaganda spielen antifaschistische Parolen eine erhebliche Rolle. Sie fußen auf der Unterstellung, rechtsradikale Tendenzen seien ein „organischer Bestandteil jeder Demokratie im System des Monopolkapitalismus"; sie würden dort geduldet, in Krisenzeiten sogar gestärkt, um „die enttäuschten Massen dann in Richtung auf die kleinbürgerliche Konterrevolution abzulenken". Gleichzeitig verfolgt diese östliche Propaganda den Zweck, jede entschlossene Abwehrhaltung gegenüber dem Kommunismus als „rechtsradikal" in Verruf zu bringen. Demgegenüber bezeichnet sie selbst militant nationalistische Kreise nicht mehr als rechtsextrem, wenn sie sich prokommunistisch oder neutral verhalten. Soweit sich die Agitation in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands mit rechtsradikalen Tendenzen in der Bundesrepublik befaßt, trägt sie seit jeher alle Kennzeichen einer systematisch betriebenen Hetze („Dokumentation der Zeit", Heft 326/65, Seite 20— 23, „Neues Deutschland" vom 29. 6. 1964).

Ebenso zwielichtig sind die Stellungnahmen des „nationalen Lagers" zum Thema Rechtsradikalismus. Sie laufen im allgemeinen auf den Versuch hinaus, den Begriff als „Erfindung des Sowjetblocks" abzutun, die Möglichkeit seiner exakten Abgrenzung zu bezweifeln oder ihn nur auf bereits verbotene Gruppen anzuwenden. Das Bestreben, dem Begriff des Rechtsradikalismus seine Bedeutung zu nehmen, ist um so stärker, je mehr der völkisch-nationale Gedanke in diesen Kreisen ideologischer Mittelpunkt und Höchstwert ist.

Dieser gezielten Begriffsverwirrung von links und rechts soll der Versuch einer klaren Abgrenzung des Themas entgegengestellt werden.

In Staaten mit freiheitlicher demokratischer Verfassung wird der politische Radikalismus an seinen Bestrebungen erkannt, die tragenden Prinzipien und Institutionen der Rechts-und Staatsordnung anzugreifen, sie zu beseitigen oder sie zumindest in Frage zu stellen. Dieser Bewertungsmaßstab lag den seit 1961 jährlich erstatteten Berichten der Verfassungsschutzbehörden über rechtsradikale Tendenzen im Bundesgebiet zugrunde. Er garantiert die in der Demokratie erforderliche Begrenzung der staatlichen Tätigkeit auf den Bereich ihrer gesetzlichen Zuständigkeit. Dementsprechend faßt auch dieser Bericht Erkenntnisse der Staatsschutzorgane über solche nationalistischen Gruppen zusammen, die ein glaubwürdiges Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermissen lassen und bei denen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ihre Zielsetzung oder Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist oder daß sie solche Bestrebungen fördern. Der Bericht gibt wieder, was jenseits der Grenzlinie zwischen rechtsradikaler Demagogie und legitimer demokratischer Fragestel-lung feststellbar ist. Dabei wird nicht außer acht gelassen, daß sich am Rande des demokratischen Lebens zusätzliche Gefahrenherde und Nährböden nationalistischer und antisemitischer Geisteshaltung finden, die der staat-lichen Aufsicht aus Rechtsgründen entzogen sind. Diese Quellgebiete eines potentiellen Rechtsextremismus müssen auch weiterhin der Wachsamkeit der demokratischen Kräfte anempfohlen bleiben.

II. Einflüsse des aktuellen Zeitgeschehens

REGIONALE TEILERFOLGE DER RECHTSEXTREMEN PARTEIEN BUNDESTAGSWAHL 1965 NPD-STIMMANTEILE AB 47. DER GÜLTIGEN ZWEITSTIMMEN Oldes Frankenthal : Schwgrzenhoz‘«Ed. 1> \ (Kaisersiduterr Kehl * Glücksburg \Schlesyig "

* 0 V Husum Plön etzidr • Celle > '

, ! 0Aschatfenkurg " Worms \ .. , Landkreis,. Ansbdch-Günzbyr) eBurg auf M Fehmarn

0. Neustadt o* Ratzeburg Kulmbach Kaufbeuren . 5 Hof« yreuth ESchwabach . Eichstätt Landkreis.

Schwabmünchen " ^Landsberg BUNDESTAGSWAHLEN 1953-61 BEZIRKE DIE DEN DURCHSCHNITTLICHEN STIMM ANTEIL RECHTSEXTREMER PARTEIEN UM DAS DOPPELTE ÜBERTRAFEN Pas; Skizze 1

Die Not der deutschen Teilung und das Ausbleiben einer gerechten Friedensregelung sind schon seit langem bevorzugte Ansatzpunkte der rechtsradikalen Propaganda. Im Jahre 1965 ging die extreme Rechte jedoch noch einen Schritt weiter. Angesichts der immer spürbarer werdenden Ungeduld des deutschen Volkes in den nationalen Schicksalsfragen haben die rechtsextremen Gruppen versucht, eine Atmosphäre blinder Leidenschaften hervorzurufen. Verstärkte Wirkungsmöglichkeiten versprachen sie sich auch von einer Reihe aktueller Ereignisse, die das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland zeitweilig beherrschten. Hierzu gehören:

die Krise der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europapolitik, die Erörterungen über die Reformbedürftigkeit des atlantischen Verteidigungsbündnisses, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel und der Abbruch dieser Beziehungen durch eine Reihe von arabischen Staaten, die Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen Parteien über die Frage der Notstandsgesetze, die Maßnahmen der Bundesregierung zur Stabilisierung der Deutschen Mark, die Auseinandersetzungen über die Verlängerung der Verjährung von NS-Verbrechen und das Gesetz vom 13. April 1965, die Urtejle in den KZ-Prozessen, insbesondere dem Auschwitz-Prozeß, sowie die Prozeßberichte in weiteren Strafverfahren dieser Art, die Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen aus Anlaß der Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag.

Vor diesem politischen Hintergrund erscheint das Ergebnis der Bundestagswahlen 1965, bei denen mehr als 96 % der abgegebenen Stimmen auf die staatstragenden demokratischen Parteien entfielen, in einem besonderen Licht. Es bedeutet eine entschiedene Absage der Bevölkerung gegenüber dem politischen Extremismus.

III. Wahlkampfführung, Wahlergebnisse

Organisationsart Parteien............... . Jugendgruppen ........ . ... sonstige Gruppen . . . . . . .freie Verlage und Buchdienste . . insgesamt ca............... . . . . Ende 1964 Mitglieder Org. -Zal. l ca. 9 700 700 11 900 200 22 500 14 17 50 38 119 seither gegründet 1 1 6 9 17 erloschen 4 8 7 4 23 Ende 1965 Org. -Zahl Mitglieder ca. 11 10 49 43 113 16 300 500 11 600 200 28 600

Anläßlich der Bundestagswahlen 1965 riefen einzelne Presseorgane des „nationalen Lagers" zur Abgabe ungültiger Stimmscheine auf. Sie empfahlen ihren Lesern den „aktiven Wähler-streik" als angemessenen Ausdruck „nationalen Widerstandes". Zwei rechtsextreme Blätter propagierten die Stimmenthaltung. Empfehlungen dieser Art haben jedoch keinen meßbaren Niederschlag in den Wahlergebnissen gefunden. Die Wahlbeteiligung lag bei 86, 8 %, blieb also unverändert hoch. Der Anteil ungültiger Stimmen verminderte sich im Vergleich zu den Bundestagswahlen 1961 erheblich. Er sank von 4, 00/0 im Jahre 1961 auf 2, 4 °/o.

Keine der rechtsextremen Splitterparteien des Jahres 1961 stellte sich erneut zur Wahl. An ihrer Stelle kandidierten die „Nationaldemo4 kratische Partei Deutschlands" (NPD) und eine national-neutralistische Wahlpartei, die sich im Mai 1965 als „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) konstituiert hatte. Im Wahlgang vom 19. September 1965 scheiterten beide an der 5°/-Hürde. Auf die NPD entfielen 664 193 der insgesamt 32 620 442 gültigen Zweitstimmen. Das entspricht einem Stimmanteil von 2, 0 % des Gesamtergebnisses. Die AUD konnte nur 52 637 Stimmen (0, 2 °/o des Gesamtergebnisses) auf sich vereinigen. Gemessen an dem Wahlerfolg der staatstragenden Parteien bedeuten die genannten Ziffern eine klare Absage der Bevölkerung an die „nationale Opposition", auch in ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen. Das hat sich bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg am 7. November 1965 bestätigt. Den rechtsextremen Splitterparteien blieb der Einzug in den Deuschen Bundestag versagt. In den Länderparlamenten sind sie ohnehin seit Jahren nicht vertreten.

Ein Vergleich mit den Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag rechtfertigt die folgenden Feststellungen:

Im Jahre 1961 entfielen auf die rechtsradikale „Deutsche Reichspartei" (DRP) noch 0, 8 °/o und auf die „Gesamtdeutsche Partei" (GDP), eine Gruppierung der gemäßigten Rechten, weitere 2, 8 % der Stimmen. Dieses Reservoir potentieller Wähler hat die „Nationaldemokratische Partei" anläßlich der Wahl zum 5. Deutschen Bundestag nicht mehr voll ausschöpfen können. Die GDP-Wähler von einst wählten jetzt in ihrer Mehrzahl eine der großen Parteien. • Nur in einigen Wahlkreisen und Orten lagen die Wahlergebnisse der NDP erheblich über dem Bundesdurchschnitt (vgl. Skizze 1). Relativ viele NPD-Stimmen wurden in Gebieten mit breiter nationalkonservativer Bevölkerungsschicht oder einem hohen Anteil von Heimat-vertriebenen und Flüchtlingen gezählt. Offenbar folgten hier viele NPD-Wähler den Wahl-empfehlungen regionaler landsmannschaftlicher Vertretungen und örtlicher Gliederungen solcher Parteien, die selbst nicht kandidier-ten. In einzelnen Landstrichen mit relativ starker nationalistischer Tradition mögen auch die Polemik der NPD gegen die Fortführung der NS-Verbrecherprozesse und ihre Agitation in der Kriegsschuldfrage das Wahlergebnis geringfügig beeinflußt haben, überdurchschnittliche Stimmgewinne in anderen Städten und Gemeinden werden als persönliche Achtungserfolge solcher Kandidaten und Wahlhelfer gewertet, die sich bisher nicht im rechtsextremen Sinne betätigt hatten und über gesellschaftliches Ansehen verfügten. Mehr sachlich politische Ursachen liegen der relativen Häufung von NPD-Stimmen in den ländlich-klein-bäuerlichen Gebieten der Pfalz und den der Zonengrenze nahegelegenen Landstrichen Niedersachsens und Bayerns zugrunde. Es handelt sich dort zum Teil um Landkreise mit reform-bedürftiger Wirtschaftsstruktur oder um alte DRP-Reservate, die sich erst langsam aufzulösen beginnen.

In der Zeit des Wahlkampfes setzte die extreme Rechte alle verfügbaren Mittel und Energien ein. Ihre wahlwerbenden Gruppen waren an kein Abkommen über die Begrenzung des Wahlkampfes gebunden. So eröffnete die NPD ihre Wahlwerbung lange vor den großen Parteien. Sie organisierte unter anderem rund 1500 Wahlversammlungen und verbreitete mehrere Millionen Flugschriften und Plakate. Da die erhoffte Kapitalhilfe aus Kreisen der deutschen Industrie trotz intensiver Bemühungen ausblieb, sammelte sie unter Gesinnungsfreunden und innerhalb der Leser nationalistischer Presseorgane. Der Schwerpunkt dieser Aktivität lag bei den Kreisverbänden, die annähernd zwei Drittel des Geldbedarfs deckten. Insgesamt wurden 1, 5 Millionen DM aufgebracht.

IV. Stärke, Organisationsstand

1959 IM MITGLIEDERENTWICKLUNG ORGANISIERTEN VON 1959 RECHTSRADIKALISMUS BIS 1965 Skizze 2

Die Staatsschutzorgane sind sich bewußt, daß ihre Arbeitsergebnisse nur Auskunft über den politisch organisierten, aktiven Teil der Träger rechtsextremer und antisemitischer Über-zeugungen geben. Die Frage, in welchem Umfange in der Bevölkerung daneben latent rechtsextreme Tendenzen vorhanden sind, können staatliche Behörden aus eigenem Wissen nur schwer beantworten. Eine gewisse Größenvorstellung liefern die Ergebnisse der Institute für Meinungsforschung, die Wählerstimmen nationalistischer Parteien und die Verkaufsauflagen rechtsextremer Blätter. Doch muß man sich hier vor Verallgemeinerungen und summarischen Schlüssen hüten.

Zwar haben Meinungsforscher bei jungen Deutschen eine Zunahme nationalbetonter Anschauungen festgestellt, die jedoch bis auf vereinzelte Ausnahmen frei von antidemokratischen Tendenzen sind. Dies gilt auch dort, wo nationalistische Emotionen als Folge einer wachsenden Ungeduld in der Deutschen Frage oder antideutscher Ressentiments im Ausland spürbar wurden. Es spricht bisher nichts dafür, daß sich nennenswerte Teile der Heranwachsenden, deren politisches Bewußtsein von dem Erlebnis der inneren und äußeren demokratischen Festigung der Bundesrepublik Deutschland bestimmt worden ist, für den Ungeist von gestern erwärmen könnten.

Zu ähnlich unsicheren Ergebnissen würde audi die rein statistische Betrachtung rechtsextremer Wählerstimmen und Presseauflagen führen. Ist doch die Verschleierungstaktik rechtsextremer Parteien und Presseorgane in zunehmendem Maße darauf abgestellt, gemäßigt nationale Bevölkerungskreise anzusprechen, denen man nicht gerecht werden würde, wollte man sie allein auf Grund ihrer Stimmabgabe für eine rechtsradikale Splitterpartei oder als Leser einschlägiger Presseerzeugnisse zu den Rechtsextremisten zählen.

In rechtsradikalen Parteikreisen wird die Meinung vertreten, unverhüllt rechtsradikale Agitation ziehe in der Bundesrepublik Deutschland kaum mehr als 1 % der Wählerschaft an. Diese Auffassung deckt sich mit den Erfahrungen der Staatsschutzbehörden. 1. Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil derjenigen Extremisten, die frei von Bindungen an rechtsradikale Organisationen sind, bekennt sich offen zu einer antidemokratischen oder antisemitischen Gesinnung. Diese Personen treten als Urheber politischer Störaktionen, als Verfasser nationalistischer Schriften und Pamphlete, als Aktivisten aufgelöster Organisationen und als Repräsentanten von „Einmann-Organisationen" in Erscheinung. Vereinzelt haben auch Lehrkräfte und Rechtsanwälte nazistische Tendenzen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit zu erkennen gegeben. Gerade im Wahljahr 1965 sind diese Einzelgänger ungleich häufiger als in den Vorjahren hervorgetreten, wobei die Schmierer, Pamphletisten und Flugblattverteiler überwogen.

Neben den bisweilen kriminellen Ausschreitungen organisatorisch nicht gebundener Personen machen sich extreme Kräfte auch im Bereich von Vereinigungen bemerkbar, die als solche nicht zu den Gruppen des organisierten Rechtsradikalismus gehören. In diesem Zusammenhang ist auf eine Reihe bedenklicher Vorfälle in den Landsmannschaften und soldatischen Traditionsverbänden hinzuweisen. Die beginnende Erörterung der Möglichkeiten und Voraussetzungen eines Ausgleichs mit den östlichen Nachbarstaaten und der damit zusammenhängenden Frage der Ostgrenzen eines wiedervereinigten Deutschland hat insbesondere in den Kreisen der Heimatvertriebenen aus dem Sudeten] and und den unter polnischer und russischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten vereinzelt Stimmen laut werden lassen, die in ihrer ressentiment-geladenen Argumentation rechtsradikale Tendenzen zeigen. Die aufgestauten Affekte haben sich gegen Ende des Jahres auch in anonymen Droh-und Schmähbriefen entladen, die mehreren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zugingen. Die berufenen Sprecher der Vertriebenen-und Traditionsverbände haben sich von derartigen Äußerungen extremer Tendenzen wiederholt distanziert.

Einige ungebundene rechtsradikale Blätter, darunter die in München erscheinende „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung“ (DNZSZ), versuchen die nichtorganisierten Anhänger rechtsradikaler Vorstellungen mit Hilfe ihrer Leserkreise auf längere Sicht zu sammeln. Diese Bestrebungen beruhen auf der Überzeugung der Herausgeber, daß der organisierte Rechtsradikalismus in seiner heutigen Erscheinungsform dem politischen Bankrott verfallen sei. Sie lassen die Absicht der genannten Personen erkennen, sich mit Hilfe des Abonnentenstammes ihrer Blätter zu gegebener Zeit eine Plattform für die eigene politische Betätigung zu schaffen. 2. Statistik der rechtsradikalen Organisationen Im Gegensatz zu den Schwierigkeiten, die einer zahlenmäßig exakten Erfassung des nichtorganisierten Rechtsradikalismus entgegenstehen, verfügen die Verfassungsschutzbehörden auf dem Gebiet der rechtsextremen Vereinigungen über verläßliches Zahlen-und Vergleichsmaterial. Es ist in der folgenden Statistik zusammengefaßt: Der Personalbestand des organisierten Rechtsradikalismus erhöhte sich im Jahre 1965 um 6100 Mitglieder. Er erreichte damit etwa die gleiche Stärke wie im Jahre 1962 (vergl. Skizze 2).

Diese Entwicklung durchbricht die jahrelange Tendenz eines fortschreitenden Mitglieder-schwundes und der weiter um sich greifenden Zersplitterung im Gesamtbereich der extremen Rechten. Sie ist im wesentlichen auf die wahlwerbende Aktivität einer rechtsextremen Partei zurückzuführen, deren personelle Basis sich verbreitert hat. Lediglich eine weitere Gruppe mit kulturell-weltanschaulicher ZielSetzung verzeichnete noch nennenswerte Zugänge. Die anderen 111 Organisationen hielten entweder ihren alten Bestand oder unterlagen weiter dem seit Jahren andauernden Mitgliederschwund. Viele dieser Gruppen zeigen unverkennbare Auflösungserscheinungen. Wie sich diese personelle Schwächung und Zersplitterung im Verlauf von 6 Jahren ausgewirkt hat, läßt die folgende Gegenüberstellung erkennen:

Bezeichnend für den Gärungs-und Umwandlungsprozeß im „nationalen Lager" ist, daß innerhalb von sechs Jahren 126 Organisationen neu gegründet wurden und 98 erloschen sind. Von den im Jahre 1959 vorhandenen 85 Organisationen bestehen heute nur noch 43. Die anderen sind dem fortdauernden Szenen-wechsel zum Opfer gefallen. In der Zeitspanne von 1959 bis 1965 sind im Jahresdurchschnitt 17 rechtsextreme Vereinigungen wieder von der Bildfläche verschwunden. Mit 23 Auflösungen wurde im Jahre 1965 eine bislang noch nicht verzeichnete Höhe erreicht. Diese Erscheinung ist vor allem auf die Mitglieder-wanderung im organisierten Rechtsradikalismus zurückzuführen, die die Auflösung einiger Verbände unumgänglich gemacht hat. 3. Sammlungstendenzen Der Ruf nach einer Zusammenfassung aller Kräfte ist innerhalb des organisierten Rechtsradikalismus nie verstummt. In den zurückliegenden Jahren wurden mehrere Versuche einer solchen Sammlung unternommen. Sie scheiterten letztlich an den unüberbrückbaren persönlichen und sachlichen Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen und an der Überzeugung der rechtsextremen Funktionäre, daß gerade ihre Organisation das allein geeignete Sammelbecken verwandter Gruppen sei. Gewisse Erfolge derartiger Sammlungsbemühungen durch neu gegründete Parteien zeichneten sich erstmals im Jahre 1965 ab.

Am 28. November 1964 waren die maßgebenden Funktionäre der DRP dem Zerlall ihrer eigenen Parteiorganisation zuvorgekommen, indem sie sich mit Restbeständen anderer Rechtsgruppen zusammenschlossen. Es gelang der neugegründeten „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) allerdings nicht, auch nur eine weitere aktive Organisation des Rechtsradikalismus geschlossen für ihre Ziele zu gewinnen. Als Reaktion auf dieses wahltaktische Manöver wurde in den DRP10 feindlichen Kreisen des „nationalen Lagers" alsbald eine Gegengründung erwogen. Langwierige Verhandlungen führten am 15. Mai 1965 zur Gründung der „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD), in der sich die „Deutsche Gemeinschaft" (DG), die „Deutsche Freiheits-Partei" (DFP) und national-neutralistische Kreise um Hermann Schwann und Wolf Schenke zusammenfanden. Welche Wirkungsmöglichkeiten diesen rivalisierenden Gruppen nach der Wahlniederlage vom September 1965 verblieben sind, bleibt abzuwarten.

Parallel zu den Sammlungsbemühungen der Parteien läuft das Bestreben, auch die nationalistischen Jugendorganisationen zusammenzuführen. Ein erster Schritt auf diesem Wege ist kürzlich unternommen worden. Die meisten mitgliedsschwachen Vereinigungen des „nationalen Lagers" begegnen diesen Einigungsversuchen mit unveränderter Skepsis und starken Vorbehalten. Im Blick auf die Wahlparteien der extremen Rechten wird die Ansicht vertreten, Kompromißgründungen dieser Art müßten über kurz oder lang an inneren Meinungskämpfen scheitern. Deshalb sei es besser, die eigenen Überzeugungen auch künftig im Alleingang zu vertreten. In diesem Zusammenhang ist das folgende Zitat aus einem Informationsdienst bezeichnend („Der freie Sozialist", Juni 1965): „Wer scheitert, fusioniert und wer fusioniert, scheitert. Ein Dutzend Bankrotteure eröffnen ein Unternehmen, um nun große Geschäfte zu machen. Das Ergebnis: Wo sich bisher zehn Splittergruppen zankten, raufen jetzt zehn Sammlungen miteinander."

V. Die rechtsradikalen Gruppen im einzelnen

Organisationsart Parteien ........................... . . Jugendgruppen ............ sonstige Gruppen ........ . .freie Verlage und Buchdienste ... . insgesamt ca................... . . Ende 1959 Mitglieder Org. -Zahl ca. 17 200 2 300 36 500 200 56 200 8 18 34 25 85 seither gegründet erloschen 21 22 54 29 126 18 30 39 11 98 Ende 1965 Org. -Zahl Mitglieder ca. 11 10 49 43 113 16 300 500 11 600 200 28 600

1. Das Ende der „Deutschen Reichspartei"

(DRP)

Mit der fortschreitenden Überführung ihres Parteiapparates in die NPD hat die „Deutsche Reichspartei" im Verlaufe des Jahres 1965 allmählich die Bedeutung einer eigenständigen Gruppierung verloren. Der Auflösungsbeschluß vom 4. Dezember 1965 hatte nur noch formale Bedeutung.

Im Zuge ihres fast 16jährigen Wirkens vertrat die DRP wiederholt politisch extreme Auffassungen, die sie in den Verdacht verfassungsfeindlicher Betätigung brachten. Sie ist deshalb Beobachtungsobjekt der Staatsschutzorgane gewesen. Im Mittelpunkt ihrer politischen Argumentation standen der .. Reichsgedanke" und der als Bluts-und Schicksalsgemeinschaft aufgefaßte Volksbegriff. Aus dieser Sicht hat sie in ihrer Polemik die freiheitliche demokratische Grundordnung abgewertet und ihre Institutionen verächtlich gemacht.

Insgesamt gab sie 26 568 Parteiausweise aus. Trotzdem lag die Zahl der tatsächlichen Mitglieder selbst zur Zeit des Höhepunkts der politischen Wirksamkeit der DRP niemals wesentlich über 10 000, da ein erheblicher Teil der neu gewonnenen Mitglieder die Partei schon nach kurzer Zeit enttäuscht verließ. Nach den Bundestagswahlen des Jahres 1961 wurde der Verfall offensichtlich. Seither überstieg die Zahl der Austritte zunehmend die der ohnehin immer selteneren Neuzugänge.

Ende 1964 war die DRP soweit zusammengeschrumpft, ihr Ruf so kompromittiert, daß die verantwortlichen Funktionäre andere politische Wirkungsmöglichkeiten suchen mußten. Inzwischen hat auch eine politisch bedeutungslose Absplitterung der DRP — die Deutsche Freiheitspartei — ihre eigenständige Tätigkeit aus ähnlichen Gründen praktisch einstellen müssen. 2. Entwicklungstendenzen in der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) a) Mitgliederzahl Nach den Erkenntnissen der Staatsschutzorgane vollzog sich die bisherige Entwicklung der NPD in drei Phasen. Während der Gründung und des organisatorischen Aufbaues der Parteigliederungen (November 1964 bis Mai 1965) wurden insbesondere die Restbestände der DRP übernommen. Der Anteil von Angehörigen dieser Partei und von anderen rechtsradikalen Vereinigungen betrug bis Ende Mai 1965 mehr als die Hälfte des damals erreichten Standes von annähernd 7500 Parteianmeldungen. In der Phase des Wahlkampfes der NPD (Juni bis September 1965) entschlossen sich weitere 5000 Personen zum Parteibeitritt. Gemessen an der Intensität, mit der zu dieser Zeit um neue Mitglieder gerungen wurde, ist dieser Zugang bemerkenswert gering. Die neuen Parteiaspiranten gehörten verhältnismäßig häufig Bevölkerungskreisen mit gemäßigt nationaler Einstellung an. Viele von ihnen waren zuvor in Parteien organisiert, die wegen ihres geschrumpften Mitgliederbestandes nicht mehr zum Deutschen Bundestag kandidierten. Einige haben sich inzwischen wieder von der NPD getrennt. Bereits kurz nach den Bundestagswahlen wurden die ersten Austrittserklärungen bekannt. Diese Entwicklung dauert an. Im letzten Quartal des Jahres 1965 ging die Zahl der Neuanmeldungen stark zurück. Zum Beitritt entschlossen sich noch rund 1500 Personen, die zum großen Teil früher in anderen rechtsradikalen Verbänden und Splitterparteien tätig waren. Insoweit kann von einer gewissen nachvollzogenen Sammlung im „nationalen Lager" gesprochen werden.

Bis zum Jahresende hatte die NPD fast 14 000 Mitgliedsausweise ausgegeben. Ihr tatsächlicher Mitgliederbestand dürfte auf Grund personeller Einbußen um mehrere Hundert niedriger liegen. Hierauf lassen gewisse Äußerungen führender Parteifunktionäre schließen. Die Stärke der Partei entspricht damit etwa dem Personenbestand aller übrigen rechts, extremen Vereinigungen zusammen. Aus Werbegründen hebt die NPD immer wieder ihr angeblich stetiges Wachstum hervor. Diese übertreibende Propaganda ist jedoch irreführend. b) Rechtsextreme Tendenzen in der NPD Die Wahlpropaganda der NPD mußte darauf bedacht sein, der öffentlichen Kritik möglichst geringe Angriffsflächen zu bieten. Bekenntnisse zur verfassungsmäßigen Ordnung sollten helfen, die Partei aus der „braunen Ecke der politischen Isolierung" herauszuführen. Diesem Ziel dienten Warnungen der Parteileitung vor offen nazistischen Entgleisungen in der NPD-Arbeit. Man gab Musterreden heraus, an welche die Parteiredner gebunden waren. Gewisse Themen, wie die Beurteilung der NS-Zeit, sollten ausgespart bleiben. Gründe der politischen Optik dürften auch dem Entschluß der NPD zugrunde liegen, die Farben schwarz-weiß-rot nicht mehr zu verwenden. Im letzten Quartal des Jahres hielt es das offizielle Parteiblatt für geboten, die rechtsextremen Thesen über die NS-Ära nicht mehr so stark wie früher herauszustellen. Dieses Agitationsgebiet soll künftig der der NPD nahestehenden „Deutschen Wochen-Zeitung“ (DWZ) überlassen bleiben, deren Schriftleitung sich überwiegend aus „alten Kämpfern" zusammensetzt.

Trotz dieser taktischen Züge ist die Partei noch weit davon entfernt, dem Ungeist zu entsagen, dem ihre Vorgängerin stark verhaftet war. Das Parteileben spiegelt in starkem Maße rechtsradikale Tendenzen wider:

Der Funktionärskörper der DRP ist Initiator und Geburtshelfer der NPD gewesen. Er bildete von Anfang an das organisatorische Gerippe der neuen Partei. DRP-Funktionäre besetzten maßgebende NPD-Ämter. Sie sorgten für ein bestimmendes Mitspracherecht in den wichtigsten Beschlußgremien. Wie planmäßig dabei vorgegangen wurde, läßt die folgende Entschließung der DRP-Bundesleitung vom 7. Dezember 1964 erkennen: „An die Lahdesvorsitzenden der DRP Der Verfassungsschutz geht dazu über, unsere Rundschreiben der Presse zuzustellen. Dieser Umstand macht Rundschreiben an unsere Kreisverbände unmöglich.

Alle angekündigten Rundbriefe können nur noch über NPD-Rundschreiben herausgehen, in denen die DRP natürlich nicht benannt werden darL Es wird daher Aufgabe der Landes-verbände sein, die Kreisverbände-mündlich zu unterrichten, was in Ergänzung zu den Rundschreiben der NPD zu geschehen wäre.

Dankbar Wäre ich, wenn insbesondere die Landesverbände Schleswig-Holstein und Bayern Landesbeauftragte Vorschlägen könnten, die für uns nicht übermäßig in Erscheinung getretreten sind. . 's. ,

Grundsätzlich sollte es jedoch ünser Bestreben sein, die Funktion der vorläufigen • Schatzmeister mit unseren Freunden zu besetzen, und,wenn die derzeitigen Landesschatzmeister hier'nicht benannt werden sollen, dann sollten die Geschäftsführer Unserer Landesverbände diese Aufgabe übernehmen. . ."

Der Gesellschafterkreis der „Deutschen Nachrichten-Vetlags-GmbH"'ist praktisch identisch mit der Parteileitung der ehemaligen DRP. Damit hat sich die DRP-Spitze eines der wichtigsten Mittel zur Profilbestimmung der NPD vorbehalten. Sie verteidigt diese SchlüsselStellung äußerst hartnäckig. Ihf Einfluß in der NPD wird dadurch verdeutlicht; daß bis kurz vor Ende des Jahres alle Versuche DRP-fremder Kräfte gescheitert sind, in den Verlag der „Deutschen Nachrichten" einzutreten: Es liegt auf der Hand, daß unter diesen Umständen der Agitationsstil und die rechtsextreme Terminologie des alten „Reichsrufs" das Parteiorgan der NPD völlig beherrschen (siehe Bildtafel).

Schon die ehemalige DRP-Führung war stark mit alten Nationalsozialisten durchsetzt. Dasselbe gilt für die NPD. Allein 10 von 18 Angehörigen des Präsidiums und Parteivörstandes gehörten der NSDAP öder ihren Gliederungen vor 1933 an. Ähnlich verhält es sich mit der Zusammensetzung der Führungsgremien zahlreicher regionaler Parteiorgane.

Wahlveranstaltungen der NPD wurden demgemäß wiederholt zum Schauplatz eindeutig nazistischer Selbstenthüllungen, die von den Veranstaltern geduldet wurden und Beifall im ublik•um! bekamen. Dadurch wurde ein bePA Licht auf die rechtsextreme Mentalität weiter Kreise der NPD-Gefolgsdiaft geworfen. Mehrmals verunglimpften hohe Funktionsträger der Partei deutsche Mitbürger, die ihre Heimat in der NS-Zeit aus politischen Gründen verlassen mußten, und die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 öffentlich als Landesverräter. In diesen Fällen wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Weitere Verfahren schweben u. a. gegen NPD-Mitglieder wegen Verdachts der Verwendung nationalsozialistischer Embleme, Singens nazistischer Lieder und Verteilens von staatsgefährdenden Flugschriften. Derselbe Geist dürfte zur Kranzniederlegung der Parteiprominenz auf dem Friedhof in Landsberg, zur Diffamierung der Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen als „Schandfleck der Nation" und zu ähnlichen Entgleisungen geführt haben.

Gewiß verfügt die NPD auch über Kräfte, die sich mit diesen Tendenzen nicht identifizieren und den Stil der Parteiarbeit zu versachlichen suchen. Es wird mit Sorgfalt zu beobachten sein, welche Tendenzen sich in Zukunft durchsetzen werden und welchen Verlauf die spürbaren inneren Auseinandersetzungen nehmen. Dabei wird man sehr genau unterscheiden müssen zwischen neuen Formen der Verschleierungstaktik oder bloßen Anpassungsversuchen, die den Kern der jetzigen Über-zeugung nicht berühren, und echten Ansätzen für eine Entfernung von der rechtsextremen Vorsteliungswelt. Bisher hat die Mitglieder-entwicklung nach den Bundestagswahlen der politisch extremen Mehrheit innerhalb der NPD ein noch stärkeres Übergewicht verliehen. Gleichzeitig hat die NPD ihren Agitationsstil verschärft. Sie wird daher in breiten Kreisen der Öffentlichkeit als die zur Zeit un-B erfreulichste Gruppierung des organisierten Rechtsradikalismus im Bundesgebiet empfunden. 3. Nicht parteigebundene Organisationen Im nicht parteigebundenen Rechtsextremismus Verdient das „Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) als einzige Vereinigung mit leicht steigenden Anhängerzahlen verstärkte Beachtung. Seine fast 2000 Einzelmitglieder verteilen sich auf mehr als 50 „Pflegstätten", die zu einem erheblichen Teil von alten Nationalsozialisten betreut werden. Der Leiter des DKEG war selbst Mitarbeiter der obersten SA-Führung und Lektor im Zentralverlag der NSDAP. Er legt noch heute Begriffe wie Rasse, Volk, Nation, Reich und „Blut und Boden" in unverkennbarer Anlehnung an die Ideologie des Nationalsozialismus aus. Das kommt mehr oder weniger offen in seinen Reden und in dem Verbandsorgan „Klüter-Blätter" zum Ausdruck. Auch in Veranstaltungen der einzelnen Pflegstätten tritt dieses Gedankengut immer wieder hervor.

Der Verband verfolgt neben kulturellen Anliegen eindeutig politische Ziele, über den „Arbeitskreis Volkstreuer Verbände" (AW) besitzt der Leiter des DKEG Verbindungen zu zahlreichen nationalistischen und völkischen Vereinigungen. Seine Bemühungen zielen dahin, auf das kulturpolitische Programm der NPD bestimmend einzuwirken und im Bereich der nationalistischen Jugendgruppen die Rolle eines „Chefideologen" zu übernehmen, um diese Kreise auch weiterhin mit seinen völkisch nationalistischen Vorstellungen zu durchdringen. In letzter Zeit haben sich zahlreiche Anhänger des Kulturwerks zum Eintritt in die NPD entschlossen.

Die Neigung zum Anschluß an eine der rechtsextremen Parteien ist auch in den rechtsradikalen Interessenverbänden verbreitet, die noch vor sieben Jahren über 42 000 Anhänger verfügten, inzwischen aber insgesamt auf etwa 5500 Mitglieder zurückgesunken sind. Übertritte zu rechtsextremen Parteien und Doppelmitgliedschaften sind bei Angehörigen des „Bundesverbandes der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS" (HIAG) relativ häufig. Ähnliche Tendenzen zeigen sich unter den ehemaligen Angehörigen des verbotenen „Bundesverbandes der Internierten und Entnazifizierungsgeschädigten" sowie in den in völliger Auflösung begriffenen Landesgruppen dieser Organisation. Diese Interessenverbände selbst verfolgen heute in erster Linie ihre speziellen Entschädigungs-und Versorgungsanliegen. Sie scheuen politisch-extreme Verlautbarungen. Ihre rechtsradikale Aktivität wird von in-und ausländischen Beobachtern häufig überschätzt. Wo sie offen zutage tritt, begegnet sie dem entschlossenen Widerstand und der wachen Kritik aller demokratischen Kräfte.

Starke Schrumpfungserscheinungen bei anhaltender Neigung zu nazistischen Entgleisungen bestimmen das Bild der rechtsextremen Jugendorganisationen. Ihre Zahl ging von 18 im Jahre 1959 auf 10 im abgelaufenen Jahre zurück. Im gleichen Zeitraum verminderte sich ihre Gesamtstärke von 2300 auf 500 Mitglieder. Zu dieser Entwicklung haben die folgenden Maßnahmen wesentlich beigetragen:

In den Jahren 1960 bis 1962 wurden der „Bund nationaler Studenten" (BNS), die „Nationaljugend Deutschlands" und der „Bund Vaterländischer Jugend" (BVJ) als verfassungsfeindlich aufgelöst. Während der gleichen Zeit führten Strafverfahren gegen die Führungskräfte des „Freikorps Großdeutschland", der „Schiller-Jugend", der „Nationalen Jugend Deutschlands" und einer neonazistischen Jugendgruppe in Karlsruhe zur Selbst-auslösung dieser Gruppen.

Seit einigen Jahren bestehen Uniformverbote des Bundesministers des Innern gegen den „Jugendbund Adler", den „Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ) und die „Wiking-Jugend" (WJ).

Die Mehrzahl der übrigen Gruppen des organisierten Rechtsradikalismus scheint dem Nullpunkt ihrer politischen Ausstrahlung entgegenzugleiten. Was sie selbst bei einstelligen Mitgliederzahlen noch am Leben hält oder neue organisatorische Formen finden läßt, ist vielfach die sektiererische oder temperament-bedingte Betriebsamkeit ihrer Sprecher. Oft ist es auch nur das Bedürfnis Gleichgesinnter, sich in einer Umwelt, die sie nicht begreifen, der notwendigen Auseinandersetzung mit den Problemen der modernen Gesellschaft durch gemeinsame Flucht in Dogmen und Gefühle zu entziehen. Einige der größeren Organisationen beklagen, daß ihre „Gesellschaftsfähigkeit zu schwinden beginne" und ihre politische Terminologie „in der neuen Generation einfach nicht mehr wirksam" sei.

VI. Publizistik

pemmzur Auz-•sesdmm Reichsruf ns DEUTSCHE NACHRICMTEN wird der T.

tel unserer Zeitung ob 1965 loulen und domi den uns selbst und ouch unseren lesern vertrout gewordenen Titel REICHS-

RUF oblbsen Ein Titel, der kein Zeitungs tlel im üblichen Sinne vor, dofür abar In $** 38 $*s wrpmemgsasang Aus Reichsruf Nr. 51 vom 18. Dezember 1964 DEUTSCHE NACHRICHTEN Ein never Zeitungskopf I seiner I druck brachie — c ser Knderung erhahten eneL ereits im 13. Jahr Bezieher un jnq sind, >n textlicher bzw. typo-REICHSRUF —ü*äre* TMluTunae grophischer Hinsichi den 5 Zeitungskopi Mit den bisherigen Wondiungen woren ouch cieichzeitia Stufen einer. uvtenEot. kloinen Kompischr DAS ZEL wurde di hevte im in-und Auslond, bei politischen Freunden wia politischen Gegnern so ge i ochtete Wochenzeitung & EICH 3BUF mi ; einer bedeuungsvollen Awussoge Diese Totsache wor schlieblich ouch für die Har-. ausgeber entscheidend bestimmend, die ; Titeländerung vorzunehmen und einen Ti : tel zu whlen, der mehe den Zeitungaj charokter erkennen läüt sowie di» Ent1 wicklung unserer Zeitung erfolgverspre-3 chender unterstutzt Wenn wie thnen cuf Seite 7 den j neuen Titel vorstellen, der nichi nur mi ; seinem Wortiout, sondern ouch in seiner i grophischen Gestoltung grundsizlich neu i ot, so bitten wir Sie, hierin nicht eine Ab-3 kehr vom Alten, sondern den Mut zum Nau; en, eines neuen Weges zum Ertolo zu sehen. Dia 1 Ausgobe im Jche 1985 mit dam neuen Titel NACHRICMTEN soll mit unserem Wilen ued den WOn. 3 Auhtokt TO wein. Wir holfen doö onsere bisherigen traugen REICHSRUF-Leser wbenso treue DM-Leser werden und uns bei der Focteni wicklung umserer Arbet im Einsch für un sera Notion behilflich sind. Aussoyeen Rech --demwir. a H unter unserem. nem 71. 64

1. Statistik der rechtsextremen Presseerzeugnisse Im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin erscheinen zur Zeit 655 Tageszeitungen. Sie haben eine Gesamtauflage von über 22 380 000 Exemplaren. Nach den Erkenntnissen der Staatsschutzorgane dient keines dieser Blätter der rechtsradikalen Propaganda. Das nationale Lager verfügt dagegen lediglich über 5 Wochenzeitungen, die zusammen ca. 174 800 Stück je Ausgabe drucken. Hinzu kommen 5 Monats-oder Halbmonatsschriften mit insgesamt 23 400 weiteren Druckexemplaren, 2 Blätter mit mehrmonatigen Ausgabeintervallen und einer Gesamtauflage von 19 500 Stück sowie 28 zumeist hektographierte Informationsdienste, die zusammen in 9300 Exemplaren je Ausgabe erscheinen. Insgesamt sind dies vierzig rechtsradikale Periodika. Sie repräsentieren eine Druckauflage von 227 000 Stück. Die Verkaufsziffern sind erheblich niedriger. Zur Zeit liegen sie bei etwa 170 000 Stück. Die Restbestände dienen Werbe-zwecken oder gelangen als unverkaufte Exemplare an die Verlage zurück. Bereits diese summarische Würdigung zeigt, daß die Wochenzeitungen das Rückgrat der rechtsextremen Publizistik bilden.

Das Parteiblatt „Deutsche Nachrichten“ und die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung" (DNZSZ) haben ihre Auflagen-und Vertriebsziffern im Vergleich zu 1964 erhöht. Das ist in erster Linie auf die breite Streuung von Werbeexemplaren während des Wahlkampfes zurüdezuführen. Die geringen Veränderungen in der Auflagenstärke der übrigen Wochenblätter fallen demgegenüber statistisch kaum ins Gewicht. Entsprechendes gilt für die in längeren Zeitabschnitten erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften der extremen Rechten. Klar rückläufig war die Verbreitung der rechtsextremen Informationsdienste. So hat allein der fortschreitende Verfall der rechtsradikalen Jugendgruppen zum Erlöschen von 9 Mitteilungsblättern geführt. Nähere Einzelheiten dieser Entwicklung ergibt die folgende Übersicht (vgl. auch Skizze 3): 2. Die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung"

(DNZSZ)

Wegen ihrer relativ großen Verbreitung nimmt die DNZSZ innerhalb der rechtsradikalen Publizistik eine Sonderstellung ein. Sie entwickelte sich seit 1960 mehr und mehr zu einem politisch und kommerziell genutzten Instrument ihres Herausgebers, der es bisher vermieden hat, sich eindeutig zugunsten einer bestimmten rechtsextremen Gruppe festzulegen. Wirksamkeit und politische Bedeutung des Blattes können deshalb nicht wie bei anderen Presseerzeugnissen an der Entwicklung der Organisation abgelesen werden, an die sie gebunden sind. Die Zeitung wird von Angehörigen rechtsextremer Vereinigungen verhältnismäßig häufig neben dem eigentlichen Verbandsorgan gehalten. Ihr Leserkreis reicht aber weit über den Bereich des organisierten Rechtsradikalismus hinaus. Er ist wesentlich größer als derjenige anderer rechtsextremer Publikationsorgane. Ende 1965 betrug die Druckauflage des Blattes ca. 103 000 Stück, von denen rund 70 000 Exemplare an Abonnenten oder im Kioskhandel verkauft wurden.

Das Blatt trägt sich finanziell selbst, obwohl nennenswerte Einkünfte aus Firmeninseraten fehlen und im Kioskhandel nicht unerhebliche Rabattspannen eingeräumt werden. Reißerische Schlagzeilenwerbung soll den freien Verkauf fördern. Im übrigen wird das sogenannnte „nationale Lager" planmäßig nach Abonnenten abgegrast. Innerbetrieblich wird mit starker Hand regiert. Das Betriebspersonal und die freien Mitarbeiter des Blattes wechseln häufig. Der Herausgeber bestimmt die Gestaltung jeder Ausgabe im wesentlichen selbst. Einzelnen Mitarbeitern wurde zugemutet, vor publizistischen Angriffen gegen politische Gegner des Blattes zu recherchieren, ob die Betroffenen Juden seien.

Im Zentrum des politischen Wertsystems der DNZSZ steht das „nationale Interesse", dem absoluter Vorrang vor anderen Werten ohne Rücksicht darauf beigemessen wird, ob ihm legitime Interessen anderer Art oder politische, moralische und rechtliche Bedenken entgegenstehen. Was diesen Vorstellungen widerspricht, wird ignoriert, verächtlich gemacht oder abgelehnt.

Dem Blatt ist nicht an sachlicher Unterrichtung der Öffentlichkeit gelegen. Die von ihm behandelten Themen werden nicht nach ihrem Informationsgehalt ausgesucht. Tatsachen und Ereignisse, die sich nicht zur Darstellung der eigenen Wert-und Vorurteile eignen, werden nicht angesprochen. Völlig belanglose Meldungen dagegen bieten immer wieder den Vorwand zu demagogischen Parolen.

Eine gewisse Doppelzüngigkeit im Tenor der einzelnen Beiträge wie auch in der Gesamt-konzeption des Blattes ist unübersehbar; sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeitung bewußt legitime nationale Anliegen mit eindeutig rechtsradikalen Tendenzen, oberflächliche Ablehnung des Nationalsozialismus und Totalitarismus mit nationalistischen Ressentiments vermischt. Der militaristisch verstandene Begriff des Soldatentums prägt zahlreiche Leitartikel und Kommentare. In außen-politischen Fragen bilden die „alldeutschen“ Ideen des Herausgebers das beherrschende Leitmotiv (DNZSZ Nr. 15/64, S. 4). Erstrebt wird die Wiederherstellung des großdeutschen Reiches unter Einschluß aller vom „Dritten Reich" erworbenen „volksdeutschen" Gebiete. Dabei werden entgegen dem von der Bundesregierung vertretenen Standpunkt deutsche Gebietserwerbungen aus der Zeit nach 1937 als rechtsgültig bezeichnet (DNZSZ Nr. -1/61, S. 1). Die DNZSZ ist im Bundesgebiet das einzige Presseorgan, das eine nationale deutsche Atomstreitmacht fordert (DNZSZ Nr. 47/65; 23/60; 13/62; 1/65, S. 1; 41/65, S. 6). Oft sind die Schlagzeilen und Kommentare des Blattes geeignet, antisemitische Vorstellungen wachzurufen (vgl. Bildtafel). Dies hat zu verschiedenen Strafanzeigen gegen den Herausgeber wegen Verdachts der Rassen-hetze geführt. Mögen auch solche Strafanzeigen bisher nicht zur Bestrafung geführt haben, so bleibt doch für den unbefangenen Leser der Eindruck bestehen, daß hier plan-18 mäßig antisemitische Vorurteile geschürt, ausgenützt und auch geweckt werden.

Die Rechtsvorstellungen des Herausgebers sind vom Zweckdenken beherrscht. Als Verfechter der Todesstrafe ist er bedenkenlos bereit, selbst Fehlurteile gegen Unschuldige in Kauf zu nehmen, zumal ja die berechtigte Hoffnung „auf eine jenseitige Wiedergutmachung" bestehe (DNZSZ Nr. 41/64, S. 3). Andererseits sieht er nationale Terroristen, wie etwa die kroatischen Sprengstoffattentäter, als „Freiheitskämpfer" und „wackere Patrioten" an (DNZSZ Nr. 20/64, S. 6; Nr. 12/64, S. 3). In einem programmatischen Artikel zur „Deutschen Politik 1965" (DNZSZ Nr. 5'1/52/1964) vertritt er die Überzeugung, „das nationale Interesse gehe in aller Regel dem Rechte vor".

PrimitiveFreund-Feindvorstellungen führen ihn zu kollektiven Abwertungen fremder Staaten. So spricht, er der „Feindmacht" Polen, die man seines Erachtens nicht wirtschaftlich unterstützen sollte, jedes europäische Bewußtsein mit der Begründung ab, da die Polen „so viel Diebesgut hätten, wollten sie lieber weiter Diebe bleiben" (DNZSZ Nr. 14/62, S. 7). Ziel-objekt besonders schwerwiegender Diskriminierungen ist der Staat Israel (DNZSZ Nr. 9/65, S. 1; Nr. 7/65, S. 1: Nr. 5/65, S. 1 und 3; Nr. 6/65, S. 1 und 4). Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

In zahlreichen Berichten von privater Seite aber auch von offiziellen Vertretungen wird immer wieder betont, wie sehr die DNZSZ dem deutschen Ansehen vor allem im Ausland schadet. Hinzu kommt, daß sie der östlichen Propaganda laufend neue Nahrung gibt. 3. Rechtsextreme Literatur Eindeutig nazistische, antidemokratische oder antisemitische Schriften unterliegen nach geltendem Recht der Einziehung durch die zuständigen Gerichte. Von dieser Möglichkeit wurde bisher in 23 Fällen Gebrauch gemacht. In zahlreichen anderen Fällen bot sich keine Handhabe zu gerichtlichen Maßnahmen, obwohl die Gesamttendenz der einzelnen Schriften oft kaum weniger bedenklich erscheint als die Terminologie und Diktion rechtskräftig eingezogener Bücher. Es sei hier nur an die Memoiren-Literatur ehemaliger NS-Größen und an die literarischen Anstrengungen zur Verfälschung der jüngsten deutschen Geschichte im Sinne einer Rechtfertigung des Nationalsozialismus erinnert. Die Nachfrage nach solchem Schrifttum ist erfreulicherweise gering.

) Anläßlich der „Internationalen Frankfurter Buchmesse 1965" fanden die Stände mit rechtsextremen Schriften nur sehr geringe Beachtung. Die Besucher bevorzugten Verlage, von denen sie eine zuverlässigere Unterrichtung erwarten konnten. Mehrere rechtsextreme Verlagsunternehmungen befinden sich infolge des geringen Umsatzes ihrer Produkte in finanzieller Bedrängnis. Andere verlagerten das Schwergewicht ihrer Tätigkeit auf die Herausgabe ünpolitischer Werke. Die Sortimentsbuchhändler lehnen es zumeist ab, rechtsextreme Literatur zu führen. Deshalb liegt der Vertrieb dieser Erzeugnisse im wesentlichen in den Händen von Versandbuchhändlern. 22 rechtsradikale Buchdienste haben sich auf den Verkauf der entsprechenden. Literatur spezialisiert. Fast ebenso groß ist zur Zeit die Zahl der rechtsextremen Buchverlage. Sie brachten im Jahre 1965 insgesamt 10 rechtsradikale Neuerscheinungen und 6 Neuauflagen derartiger Veröffentlichungen aus den Vorjahren heraus.

Einzelerkenntnisse der Staatsschutzorgane deuten darauf hin, daß rechtsextreme Literatur auch unter der Hand verbreitet wird. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Veröffentlichungen aus der NS-Zeit, Bücher und Broschüren des internationalen Faschismus sowie um den Schwarzhandel mit nicht erfaßten Restbeständen gerichtlich eingezogener Schriften. Der tatsächliche Umfang dieses Vertriebes ist unbekannt. Mehrere Aktivisten der extremen Rechten betätigen sich als leidenschaftliche Sammler nazistischer und antisemitischer Schriften.

VII. Argumente, Parolen

Organisationsart Parteien ....................... Jugendgruppen .......... sonstige Gruppen .... . . .freie Verlage.............. .. . insgesamt ca................. ... Ende 1964 Gesamt-Zahl der Periodika 22 700 3 800 26 000 130 700 183 200 13 10 12 10 45 seither neu erloschen aufgetreten 3 4 2 — 9 5 9 — — 14 Ende 1965 Zahl der Gesamt-auflage auflage 11 5 14 10 40 42 300 1 700 26 400 156 600 227 000

1. Versuche zur Neubelebung von NS-Thesen, Antisemitismus Von einigen inzwischen verbotenen Untergruppen abgesehen gab und gibt es im Bundesgebiet keine rechtsradikale Organisation, die sich nicht gegen den Vorwurf, nazistische Ziele zu verfolgen oder antisemitisch eingestellt zu sein, entschieden verwahrt hätte. Mit Rücksicht auf das geltende Staatsschutzrecht, das Bestrebungen dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland verbietet, ist solches Verhalten verständlich. Um so notwendiger erscheint die Prüfung, wie die Einstellung der extremen Rechten 20 Jahre nach Kriegsende zu dem genannten Themenkreis tatsächlich ist.

Aufs Ganze gesehen bietet sich dem kritischen Beobachter kein erfreuliches Bild. Gewiß findet man in den Flugschriften des internationalen Faschismus und in Pamphleten nazistischer und antisemitischer Einzelgänger oft vorbehaltlosere Bekenntnisse zur Ideologie Hitlers als in den Verlautbarungen der rechtsradikalen Iniandsgruppen. Unter dem Gesichtspunkt eines wirksamen Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegen jedoch gerade in jenen doppelzüngigen Parolen aus Kreisen des organisierten Rechtsradikalismus, die sich mit der NS-Zeit und ihrem Ungeist befassen, relativ größere Gefahren. Zu dieser Beurteilung zwingt bereits das zähe Festhalten einzelner Vereinigungen und Publikationsorgane an Versuchen, Hitler und seine Politik zu rechtfertigen, die Daten seiner Machtübernahme der rechtsradikalen Jugend als „Gedenktage" in Erinnerung zu bringen, den jungen Deutschen „den Kampfgeist echter Hitler-Jugend" als Vorbild hinzustellen, zum Thema „Freiheit im NS-Staat" positiv Stellung zu nehmen oder der „Ausmerzung und Entmachtung der politischen Führungsschicht nach 1945" nachzutrauern.

Auf der gleichen Linie liegen die im „nationalen Lager" weitverbreiteten Diskriminierun-Bll gen der Widerstandskämpfer gegen Hitler und der politischen Emigranten aus jener Zeit sowie bestimmte Argumente der extremen Rechten gegen die NS-und Kriegsverbrecher-prozesse. Die in diesem Zusammenhang gebrauchten Parolen gegen die Eidbrecher, volks-und landesverräterischen Emigranten, Umerzieher und Fünfundvierziger" sind entlarvende Schlüsselworte.

In zahlreichen Gruppen werden Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie mehr oder weniger offen vertreten. Der als Mythos verstandene Begriff vom „Reich" gehört nach wie vor zu den zentralen Wertvorstellungen der extremen Rechten. Er wird nach innen als die autoritär geführte und rassisch verstandene „Volksgemeinschaft", nach außen als „arteigener Rahmen der Gesamtnation" in dem sie „nährenden Raum" verstanden („Klüter-Blätter" 1/65, 5/65; „Deutsche Politik" 9/65; „Junges Forum" 2/64, 1/65, 3/65). Die Erfüllung dieses „großdeutschen Vermächtnisses" gilt als erste Pflicht des deutschen Volkes. In Kreisen der verbotenen „Ludendorff-Bewegung" etwa wurde erneut zur „Volksschöpiung durch Neugewinn der Einheit von Erbgut und Weltanschauung“ aufgerufen. Kennzeichnend ist, daß die Anhänger dieser Vorstellungswelt das Christentum als eine „volksauflösende Lehre, die aus dem Geist des Judentums" geboren sei, bezeichnen („Mensch und Maß", Folge 5/65, S. 199, Folge 7/65, S. 311, S. 334, Folge 13/65, S. 612 ff.).

Wie in den Vorjahren, so fanden auch 1965 rassistische Parolen durch Vorfälle im Ausland neue Nahrung. In mehreren Blättern wurden die Rassenunruhen in den USA und Rhodesien zum Anlaß genommen, die Träger schwarzer Hautfarbe als „Gesindel" hinzustellen. Den Anhängern der amerikanischen Bürgerrechtsgesetze wurde „Gleichheitshetze" vorgeworfen („Nation Europa", Heft 10/65).

Die in rechtsradikalen Kreisen weitverbreitete Ablehnung des deutschen Beitrages zur Entwicklungshilfe und der Beschäftigung ausländischer Gastarbeiter im Bundesgebiet ist auf rassische und nationalistische Vorurteile zurückzuführen. Antisemitische Tendenzen treten vor allem in den völkisch weltanschaulichen Vereinigungen, bei den Resten der rechtsextremen Jugendgruppen und in einigen Blättern der extremen Rechten in Erscheinung. Angeknüpft wurde dabei an zeitgeschichtliche Ereignisse wie den Botschafteraustausch mit Israel, die Krise in der deutschen Nahost-Politik und die Verabschiedung des Entschädigungsschlußgesetzes für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.

Im Jahre des Urteilsspruchs im Auschwitz-Prozeß verdienen die folgenden Beispiele der Geisteshaltung rechtsextremer Publizisten zum Thema Antisemitismus festgehalten zu werden:

Die Monatsschrift des „Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes" rechtfertigte den deutschen Antisemitismus nach dem 1. Weltkriege mit der Behauptung, man habe damals nur versucht, das fremde jüdische Element abzuschütteln, das „die Ordnung bedrohte, in der man leben wollte", und das „sich anmaßte, im deutschen Recht mitzusprechen oder es gar zu verteidigen". Das Blatt forderte, Recht, Kultur und Informationswesen müßten immer im unmittelbaren Besitz des „durch Rasse und Raum geprägten Volkes" bleiben („Klüter-Blätter", Heft 7/65).

Im Juli 1965 bezeichnete das Blatt der Ludendorff-Anhänger im Bundesgebiet „eine Internierung aller deutschen Juden“ während des 2. Weltkrieges wegen der „Kriegserklärung" des jüdischen Volkes an Deutschland als kriegs-und völkerrechtlich gerechtfertigt" („Mensch und Maß", Heft 13/65, S. 610). Ähnliche Gedankengänge finden sich in den Publikationen mehrerer Buchautoren.

Die kürzlich im „Blick und Bild-Verlag" Kettwig erschienene Broschüre Erwin Dederstedts, „Der Bruder aus dem Ghetto", enthält schwere Verunglimpfungen des jüdischen Volkes. Sie erklärt „die Einschmelzung der volljüdischen Befallsgruppen zu einem Hauptproblem der anderen Völker". Gleichzeitig spricht sie sich für „eine strenge Beschränkung des jüdischen Befallsprozentes zur Hauptbevölkerung" aus. Gegen den Verfasser und den Herausgeber dieser Schrift ist zur Zeit ein Ermittlungsverfahren anhängig. 2. Antidemokratische Parolen Die Wochenschriften der extremen Rechten haben betont antidemokratische Parolen im allgemeinen vermieden, doch läßt sich nicht leugnen, daß ihre einseitig kritischen Kommentare über das „System von Bonn" zu Erschütterungen des demokratischen Bewußtseins derjenigen Mitbürger führen können, die sich dieser Agitation für längere Zeit aussetzen. Wesentlich handfester ist die antidemokratische Polemik innerhalb der kleineren Vereinigungen. Sie findet ihren stärksten Niederschlag in Versammlungsreden und in den auflageschwachen rechtsextremen Informationsdiensten. Schmähungen der staatlichen Ordnung als „widerliche Pseudodemokratie“, „entartete Ochlokratie" oder „unkontrollierbare Zwangsherrschaft" sind dort keine Ausnahme. In den genannten Kreisen wurde die Bundesregierung als „Volksverderber", „Lizenzritter der Zwingburg am Rhein" und „Ausführungsorgan raum-und wesensfremder Mächte" verunglimpft. Bevorzugte Angriffs-objekte waren auch die Parteien, die zu „Parasiten", „charmanten Volksbetrügern“ oder „Totengräbern der Demokratie" mit dem Hinweis herabgewürdigt wurden, sie würden „dem gesellschaftlichen Umbruch unserer Zeit ohnehin bald zum Opfer fallen". Ein Informationsdienst forderte das Ende des deutschen Föderalismus. Er setzte sich für die Wiederherstellung der Einheit aller deutschen Länder ein. Ein anderes Blatt stellte die demokratische Freiheit als „individualistische Versklavung" hin.

Die eigenen staatspolitischen Vorstellungen dieser Sektierergruppen sind verworren. Vielfach begnügt man sich mit schlagwortartigen Forderungen nach der Errichtung einer „aristokratisch-ständischen Republik", eines „par22 teilosen Volksstaates der Berufe und Stände" oder einer „Demokratie des organischen Sozialismus".

Vereinzelt wurden auch Stimmen laut, die zum Widerstand gegen die bestehende Ordnung, zur Sammlung aller Gegner des „Systems" sowie zu außerparlamentarischen Aktionen einschließlich „gezielter Gewaltmaßnahmen" aufriefen. Funktionäre einer rechtsextremen Jugendorganisation propagierten das Leitbild des Einzelkämpfers für die nationale Freiheit, von der „die Parlamentarier" angeblich doch nur „wie schlachtreife Gänse im Käfig schnatterten". In diesen Kreisen herrscht die Ansicht vor, es gelte zunächst, ein schlagkräftiges Instrument für politische Krisenzeiten zu schaffen und sich mit den Formen der „notwendigen Neuordnung" eingehend geistig auseinanderzusetzen. 3. Weitere Agitationsschweipunkte Viele Argumente zu aktuellen politischen Themen ergeben sich zwangsläufig aus dem sektiererischen Nationalismus der Rechtsradikalen. In diesem Zusammenhang sind die Agitationsparolen gegen die Stationierung verbündeter Truppen im Bundesgebiet, den angeblichen „Ausverkauf der nationalen Wirtschaft an ausländische Interessentengruppen", gegen jede Form einer europäischen Integrationspolitik sowie gegen die UN zu nennen. Ein rechtsextremes Blatt bezeichnete die Vereinten Nationen als „Weltkriegsorganisation, die nur den Frieden störe und sich fortgesetzt durch Drohung und nackte Gewalt in die inneren Angelegenheiten der Völker mische". Ein anderes Presseorgan legte der UN Angriffskriege und Massenmorde zur Last. Nationalistischen Vorurteilen entspringt auch der seit Jahren beobachtete Antiamerikanismus der extremen Rechten.

Zu den bevorzugten Ansatzpunkten der rechtsextremen Polemik gehört die gesamtdeutsche Frage. Hier weichen die Vorstellungen stark voneinander ab. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Parolen der deutschen Kommunisten'bewegt sich der neutralistische Flügel des „nationalen Lagers". Er forderte zur Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten auf. Zugleich propagierte er im „gesamtdeutschen Interesse" den Verzicht auf Notstandsgesetze, den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und direkte Verhandlungen mit den Machthabern der sowjetischen Besatzungszone. Demgegenüber deckt sich die Agitation des „europäischen" Flügels innerhalb des organisierten Rechtsradikalismus teilweise nahtlos mit den Ansichten gewisser Gruppen des internationalen Faschismus. Beide Richtungen werfen sich wechselseitig Verrat an der nationalen Sache vor. Den gleichen Vorwurf erheben sie in der Frage der Wiedervereinigungspolitik gegen die Bundesregierung und die demokratischen Parteien. Fast alle rechtsextremen Gruppen halten hartnäckig an der Behauptung fest, die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands sei bei den staatstragenden Kräften der Bundesrepublik nichts als ein Lippenbekenntnis .

Die Agitation zum Themenkreis der jüngsten deutschen Vergangenheit ist im „nationalen Lager" unverändert stark. Dabei wird die Kriegsschuldfrage nach wie vor rein polemisch erörtert.

VIII. Internationaler Faschismus

1960 1961 DIE AUFLAGENENTWICKLUNG DER RECHTSRADIKALEN PRESSEORGANE 1962 1963 1964 1965 Skizze 3

L Straftaten ausländischer Faschisten im Bundesgebiet Am 8. März 1965 wurde mehreren Bundestagsabgeordneten und Presseverlagen ein mit einem Hakenkreuz versehenes Flugblatt zu-gesandt, in welchem den Politikern, die im Bundestag „gegen die Verjährung der soge-nannten NS-Verbrechen" stimmen würden, die Todesstrafe angedroht wurde (vgl. Bildtafel). Das Flugblatt stammte aus Belgien. Es wurde von dem belgischen Faschisten Rüdiger van Sande in die Bundesrepublik eingeschleust. Zwei Kontaktpersonen van Sandes in Aachen hatten den Postversand der Pamphlete innerhalb des Bundesgebietes übernommen. Die an der Aktion beteiligten deutschen Staatsangehörigen konnten auf Grund von Hinweisen des Bundesamts für Verfassungsschutz bereits am 9. /10. März 1965 festgenommen werden. Sie sind inzwischen zu Gefängnisstrafen von 1 Jahr und 3 Monaten bzw. 6 Monaten verurteilt worden.

Am 28. März 1965 wurde der britische Staatsangehörige Mike Passmore auf Grund von Hinweisen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz wegen des Verdachts der Verbreitung nazistischen Propagandamaterials verhaftet. Er war kurz zuvor nach Nürnberg gereist, um u. a. 260 Klebezettel mit dem Bild Adolf Hitlers Angehörigen des rechtsradikalen „Bundes Heimattreuer Jugend" (BHJ) zu übergeben. Passmore gehört zu den Funktionären der „Greater Britain Movement" (GBM), einer nationalsozialistischen Gruppe in Großbritannien, die für ihre Ziele auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wirbt.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe verurteilte Passmore wegen Verwendung nazistischer Embleme und Verbreitens verfassungsfeindlicher Schriften zu einem Jahr Gefängnis. Nach Rechtskraft des Urteils wurde Passmore aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.

Beide Fälle sind kennzeichnend für die Aktivität des internationalen Faschismus auf deutschem Boden. Sie zeigen, wie notwendig es ist, den organisatorischen Hintergrund des ausländischen Faschismus sowie die Formen und Auswirkungen seiner Aktivität zu beobachten. 2. Der organisatorische Hintergrund Von den internationalen faschistischen Gruppen entfalteten die „World Union of National Socialists" (WUNS) des amerikanischen Faschisten Rockwell einschließlich ihrer Ländersektionen in Belgien und Großbritannien, die „Europafront" des Belgiers Rossaert, die Organisation „Jeune Europe" (JE) seines Landsmannes Jean Thiriart sowie die „Europäische Neuordnung" (ENO) des schweizerischen Staatsangehörigen Amaudruz die relativ stärkste Aktivität in der Bundesrepublik. Diese Gruppen vertreten extrem antidemokratische Auffassungen. Die WUNS gibt sich in den von ihr eingeschleusten Schriften den Anschein einer mitgliederstarken, in vielen Ländern der Welt aktiven Organisation. Sie stellte die Verfolgung ihrer Anhänger in Deutschland als großes Unrecht hin. Ihre Mitglieder wurden aufgefordert, in verschiedenen Ländern Protestaktionen vorzubereiten, bei denen die „volle politische Freiheit für die Nationalsozialisten in Deutschland" gefordert werden soll. Dieser Aufruf blieb jedoch — nicht zuletzt wegen der geringen Mitgliederzahl der WUNS — ohne Widerhall. Die Aktivität dieser Kreise konzentrierte sich auf die Einschleusung verhältnismäßig zahlreicher antisemitischer und nazistischer Hetzschriften an rechtsradikal eingestellte Personen und Gruppen. Vereinzelt haben die genannten Kreise auch Schmäh-und Drohbriefe an Personen, die sich mit der Bekämpfung rechtsradikaler Tendenzen im Bundesgebiet befassen, versandt. So erhielt die Staatsanwaltschaft in Köln am 3. Dezember 1965 eine „Resolution", die mit der Drohung schloß, es werde der Tag kommen, „an dem sich die Verantwortlichen für das heutige Unrecht“ der Verfolgung von Nationalsozialisten in Deutschland „zu verantworten" hätten.

Die Aktivität der „Europäischen Neuordnung" (ENO) im Bundesgebiet verlief in ähnlichen Bahnen. Das von ihr neu herausgebrachte „Sozialrassistische Manifest" propagiert eine Politik europäischer Einigung auf rassischer Grundlage.

Neben diesen extremen Gruppen des internationalen Faschismus wirken einige weitere faschistische Organisationen vom Ausland her vorwiegend mit publizistischen Mitteln und durch Entsendung von Rednern auf die Bundesrepublik ein. Die schwedische „Europäische Soziale Bewegung" (ESB) ist nach wie vor die einzige Organisation, die auf deutschem Boden über eine eigene Sektion verfügt. Alle übrigen Gruppen des internationalen Faschismus haben mit ihren Versuchen, im Bundesgebiet eigene Zweigniederlassungen zu gründen, bisher keinen Erfolg gehabt. 3. Nazistische und antisemitische Hetzschriften aus dem Ausland Der Zustrom ausländischer Propagandaschriften hält unvermindert an. Im Jahre 1965 gelangten 61 periodisch erscheinende Zeitschriften sowie mindestens 70 verschiedene Flugschriften und Broschüren in unbekannten Auflagen in die Bundesrepublik (vgl. Bildtafel). Dieses Agitationsmaterial stammt aus 18 Ländern, darunter aus den USA, Großbritannien, Schweden, Belgien und der Vereinigten Arabischen Republik. Besonders radikale politische Auffassungen vertritt die in Brüssel erscheinende Monatsschrift „L'Europe Communautaire". Die Zeitung setzt sich für ein hierarchisch gegliedertes Europa ein, das sie durch zielbewußt handelnde militante Gruppen zu schaffen hofft. Ihr Fernziel ist die Gründung einer europäischen Einheitspartei, die „Eliminierung" der politischen Gegner und die „europäische Revolution".

Die primitive Wiederholung nationalsozialistischer Schlagworte in den Hetzschriften des internationalen Faschismus wirkt auf die Empfänger fast ausnahmslos abstoßend. Bei einigen rechtsextremen Fanatikern jedoch trägt allein die Existenz noch so unbedeutender nazistischer Auslandsgruppen zu einer Bestätigung der eigenen Auffassungen bei. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß Vertreter des internationalen Faschismus durch breit angelegte Propagandaaktionen versuchen, in Gastarbeiterkreisen einzudringen, haben sich bisher nicht ergeben. Dennoch bleiben die Staatsschutzorgane bemüht, den vereinzelt erkannten Ansätzen zu einer solchen Propaganda rechtzeitig entgegenzutreten.

IX. Rechtswidrige Aktionen inländischer Täter

gböSEs uSERBNess «UDOI 'XtttMtnut SfM-tMlium will tos the frsadatom Jewea raow »Be 3 Flugblätter des internationalen Faschismus NAMES O JEWS RUNNING UNITED NATIONS die Tel Aviv und und am & Mai 1965 der sogenannten « stimmen Bind mit rechtskxräftig zum New York hörig sind gegen die Verjährung MX -

VERBRECHEN » Abgabe ihrer Stimme WHITE PEOPLE NATIONAL AWAKEL——m 4 o‘ the Wort« Typ-InISH RED v " hu se® Cotsw° 1 Agreements The newd w* Jews? Heght! Jewish

1. Vergleichende Würdigung, Tendenzen Die Zahl der nazistischen und antisemitischen Vorkommnisse im Bundesgebiet ist in der Berichtszeit sprunghaft angestiegen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im abgelaufenen Jahre auf Grund von Mitteilungen der Landesämter für Verfassungsschutz und der Strafverfolgungsbehörden insgesamt 521 Fälle dieser Art erfaßt. Im Vergleich zu 1964 mit 171 Fällen hat sich die Zahl der Vorfälle, die nach dem äußeren Tatgeschehen auf nazistische oder antisemitische Motive der Täter schließen ließen, mithin verdreifacht (vgl. Skizze 4).

Diese Entwicklung wurde in den Sommermonoten durch die Ausschreitungen eines Einzel-täters in Bamberg ausgelöst. Der Täter von Bamberg leitete eine Kettenreaktion ähnlicher Vorkommnisse an mehreren Orten der Bundesrepublik ein. Im Juli erreichte die Schmierwelle mit 88 Vorfällen ihren Höhepunkt. In den folgenden beiden Monaten erhielt sie durch die Ausschreitungen rechtsextremer Einzelgänger während des Wahlkampfes neue Nahrung. Erst gegen Ende des Jahres begann sie abzuklingen.

Zeitgeschichtliche Ereignisse, wie die Diskussion um die Verlängerung der Verjährungsfrist für nationalsozialistische Gewaltverbrechen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel und die Krise der deutschen Nahost-Politik, haben die Entwicklung nur in geringem Maße beeinflußt, wenn sich auch mehrere Täter in ihren Hetzparolen auf diese Themen bezogen haben. Während der öffentlichen Erörterung dieser Fragen von Januar bis Mai 1965 lag die Zahl der Ausschreitungen jedenfalls hur unwesentlich höher als in den entsprechenden Monaten des Jahres 1964.

Die Untersuchung der räumlichen Streuung der Ausschreitungen zeigt, daß Nordrhein-Westfalen und Berlin mit zusammen der Hälfte aller Vorfälle am stärksten betroffen sind. Es folgen Bayern und Niedersachsen. Auf die übrigen Bundesländer entfallen nur etwa 20 °/o der Fälle. 2. Die antisemitischen Ausschreitungen in Bamberg In der Nacht zum 13. Juni 1965 entdeckten Passanten an dem Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Bamberg sowie an einer dicht dabei befindlichen Hauswand Haken-kreuze und antisemitische Parolen. Zwei Tage später wurde der israelische Friedhof der Stadt durch eine Schmieraktion großen Ausmaßes geschändet. 23 Grabdenkmäler waren mit Hakenkreuzen, antisemitischen Schmähungen und nazistischen Parolen beschmiert und in einem Falle mit dem Hitlerbild beklebt worden. Die Serie nächtlicher Straftaten setzte sich dann wie folgt fort: 18. Juni: Antisemitische Pamphlete am Denkmal des in Bamberg geborenen Arztes Dr. Johann Lukas Schönlein; 19. Juni: Besudelung des Hauswandschildes der israelischen Kultusgemeinde in Bamberg; 30. Juni: Nazistische und antisemitische Parolen am Ehrenmal der bayerischen Turnerschaft für die Toten des 1. Weltkrieges; 3. Juli: Erneute Besudelung des Gedenksteines für die ehemalige Synagoge in Bamberg; 4. Juli: Beschmutzung der Firmenschilder einer jüdischen Textilgroßhandlung, antisemitische und antiamerikanische Parolen an der Mauer einer US-Kaserne in Bamberg.

Diese Vorfälle haben ein weltweites Echo gefunden. Der Rat der Stadt Bamberg und die einzelnen Verbände riefen die Bevölkerung zu einer Protestkundgebung auf dem Marktplatz auf. Mehrere Tausend Bürger folgten diesem Aufruf. Behördengebäude und Privat-häuser der Stadt zeigten dabei Trauerbeflaggung. Die geschändeten Gräber wurden von Jugendlichen instandgesetzt. Bedienstete der Stadtverwaltung, Mitglieder der demokratischen Parteien und Angehörige von Studentenverbindüngen verstärkten den behördlichen Streifendienst zum Schutz bedrohter Objekte. Wegen des Ausmaßes und der Bedeutung der Fälle wurde das Bayerische Landeskriminalamt in die Ermittlungen eingeschaltet. Es bildete eine Sonderkommission von Kriminalisten und Spezialisten des Erkennungsdienstes, die nach umfangreichen Ermittlungen am 29. Juli 1965 den 20jährigen Einzelgänger Reinhard Woitzik als Täter festnahm. Die Vorgeschichte der Tat und die Motive des Täters wurden in den Presseberichten über die Hauptverhandlung ausführlich dargestellt. Bezeichnend ist, daß der kontaktarme, gehemmte Täter erst durch den starken öffentlichen Widerhall seiner ersten Tat zu weiteren Anschlägen verleitet wurde. Woitzik ist inzwischen von der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bamberg wegen der von ihm begangenen antisemitischen Ausschreitungen zu einer Jugendstrafe von unbestimmter Dauer verurteilt worden. Das Gericht hat die von ihm zu verbüßende Mindestjugendstrafe auf 1 Jahr und 6 Monate festgesetzt. 3. Darstellung der Vorfälle im einzelnen Die festgestellten Straftaten lassen sich nach ihrer äußeren Begehungsform in folgende Gruppen aufteilen (siehe Skizze 5): a) Sprengstoiianschläge und politisch motivierte Brandstiltungen Die in den Vorjahren relativ häufigen Ausschreitungen kroatischer Emigranten im Bundesgebiet sind 1965 unter dem Einfluß der nunmehr abgeschlossenen Strafverfahren bis auf einen noch nicht gerichtlich geklärten Fall unterblieben. Entsprechendes gilt für die Beteiligung deutscher Staatsangehöriger an Sprengstoffanschlägen in Südtirol. Ein 23jähriger ehemaliger Angehöriger des „Bundes Heimattreuer Jugend" (BHJ) wurde im Mai in Österreich festgenommen und zu sechs Monaten schweren Kerkers verurteilt. Er war im Besitz von Waffen, Zünd-und Sprengmitteln und hatte die Absicht, in Südtirol Dynamitanschläge auszuführen. Damit hat sich die Zahl der seit 1962 ermittelten Mitglieder rechtsradikaler Jugendorganisationen, die in Sprengstoffverbrechen verwickelt waren, auf insgesamt 11 erhöht. Vier von ihnen wurden vor der Ausführung geplanter Terroranschläge festgenommen, ihre Sprengstoffe beschlagnahmt. In zwei weiteren Fällen haben die Täter während ihrer Wehrdienstzeit Sprengstoffe aus Bundeswehrbeständen gestohlen. In den übrigen Fällen wurden unerlaubter-weise Sprengmittel aufbewahrt. Diese Fälle machen den verhängnisvollen Einfluß deutlich, den rechtsextreme Jugendorganisationen auf die Gesinnungsbildung politisch unreifer junger Menschen ausüben.

In Berlin kam es zu fünf in der Ausführung gleichartigen Brandstiftungen, mit denen ein noch nicht ermittelter Täter Persönlichkeiten wegen ihrer Äußerungen zur Frage der Ostgrenze eines wiedervereinigten Deutschlands einzuschüchtern versuchte. Die Betroffenen wurden außerdem in anonymen Briefen und Telefonanrufen als „Volksverräter" beschimpft. Durch Brandstiftungen, telefonische Drohungen und Hakenkreuzschmierereien trat im September in Kassel ein 20jähriger Lehrling hervor, dem als politisches Ziel eine Diktatur nach dem Muster des NS-Staates vorschwebt. b) Friedhotsschändungen Auf 19 jüdischen Friedhöfen wurden Zerstörungen und Beschädigungen an Grab-anlagensowie antisemitische Schmierereien festgestellt. Außer dem Fall in Bamberg gehen drei weitere Friedhofsschändungen möglicherweise auf politische Beweggründe zurück. So wurden im Juli in Ingelheim neun Grabstätten mit Hakenkreuzen oder der Aufschrift „Heil Hitler" besudelt. Im April hat ein unbekannter Täter auf einem jüdischen Friedhof in Wiesbaden 63 Grabsteine umgestürzt und Hakenkreuze an das Eingangstor gemalt. Im Oktober warf ein 15jähriger ehemaliger Internatsschüler aus Verärgerung über eine jüdische Lehrerin 55 Grabsteine auf einem anderen jüdischen Friedhof in Wiesbaden um.

In fünf Fällen haben spielende Kinder, in zwei weiteren ein Geisteskranker bzw. drei betrunkene Jugendliche jüdische Grabanlagen beschädigt. In den übrigen Fällen sind keine Anhaltspunkte für das Tatmotiv zu erkennen. Ähnliche Vorfälle ereignen sich auch häufig auf christlichen Friedhöfen. Da derartige Schändungen christlicher Friedhöfe von den Staatsschutzbehörden nicht registriert werden, fehlen vergleichbare Zahlen. c) Bedrohungen und Beleidigungen von jüdischen Mitbürgern und politischen Gegnern Diese Vergehen haben mit 107 Anzeigen gegenüber 30 im Vorjahr erheblich zugenommen. In 23 Fällen wurden Angehörige jüdischer Glaubensgemeinschaften und die Israelische Botschaft in Köln mit anonymen Briefen oder Telefonanrufen belästigt. Dabei haben die Täter zum Teil mit Mordanschlägen und Brandstiftungen gedroht. Einer jüdischen Einwohnerin von Köln wurde im September mehrfach telefonisch die „Verschickung nach Auschwitz" angekündigt. Eine Frau aus Moers, deren jüdischer Ehemann mit zwei Kindern im Konzentrationslager ermordet worden war, fand im Sommer 1965 mit Hakenkreuzen versehene Handzettel in ihrem Briefkasten. Auch politische Parteien und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erhielten anonyme Briefe mit nazistischen Losungen oder antisemitischen Beleidigungen. Ein wegen krimineller Vergehen wiederholt vorbestrafter Randalierer aus Gelsenkirchen äußerte den ihn festnehmenden Polizeibeamten gegenüber, „nach der Machtübernahme durch die Nationaldemokratische Partei würden die Gaskammern wieder rauchen". In mehreren Fällen wurden Anzeigen wegen antisemitischer Beschimpfungen unter Alkoholeinfluß oder im Verlaufe von privaten Streitigkeiten erstattet. d) Schmieraktionen Die Zahl der nazistischen und antisemitischen Schmieraktionen ist mit 293 Fällen (1964 waren es 64 Vorfälle) am stärksten angestiegen. Allein im Landkreis Kaufbeuren haben im September motorisierte Täter in einer Nacht mit Hilfe von Schablonen an zahlreichen Stellen mehr als hundert Hakenkreuze geschmiert. Ähnlich wie in Bamberg wurde auch die Bevölkerung in Dortmund, Schleswig und Berlin durch Hakenkreuzschmierereien aufgeschreckt. Bevorzugte Objekte waren neben öffentlichen und privaten Gebäuden vor allem Wahlplakate, Kraftfahrzeuge sowie mehrere Kirchen und Schulen. Außerdem wurden Gedenkstätten im Bamberg, Neuß und Dachau, Kriegerehrenmale in Morsbach, Selb/Oberfranken und Irlich/Rheinland-Pfalz, die Einfriedungsmauer der Synagoge in Mannheim und das Grab des Politikers Scheide-mann in Kassel mit Hakenkreuzen besudelt.

In Salzgitter-Lebenstedt hat im Oktober ein bereits wegen antisemitischer Ausschreitungen vorbestrafter 38jähriger Arbeiter Haken-kreuze geschmiert. Ein ebenfalls vorbestrafter 23jähriger Anhänger rechtsextremer Gruppen aus Mönchengladbach führte im Mai aus Verärgerung über eine politische Fernsehsendung zahlreiche Schmierereien durch. e) Flugschriften und Plakataktionen In 27 Fällen wurden antisemitische Pamphlete an Ministerien und sonstige Behörden, Religionsgemeinschaften, Verbände und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gerichtet. Mehrere Absender versuchten mit Angaben wie „Die Verschworenen", „Die Spinne", „Das Femegericht" und „Weltzentralrat der Weißen Rasse" den Eindruck einer geheimen Organisation zu erwecken. Neben Beschimpfungen des Judentums enthielten einige der Schmähschriften auch Hetzparolen gegen das Christentum und die Kirchen. In einer Kölner katholischen Kirche wurde ein anonymes Schreiben gefunden, welches nazistische und antichristliche Parolen enthält. In einem anderen Pamphlet werden die Juden beschuldigt, antisemitische Schmierereien selbst auszuführen, um weitere Wiedergutmachungszahlungen „zu erpressen". f) Sonstige Störaktionen Die 41 Vorfälle dieser Art betreffen Sachbeschädigungen, z. B. an einem Denkmal für NS-Verfolgte in Berlin, das Zeigen von nationalsozialistischen Emblemen in der Öffentlichkeit, das Singen von NS-Liedern und antisemitische und nazistische Äußerungen unter Alkoholeinwirkung in Gaststätten.

X. Täteranalyse

FÄLLE MONATL. 500 • 450-* 00 350 300 250 200 150 100 50 30 DAT. -ACHSE . KÖLNER INITIAL-FALL 25 12 59 — 348 1959 FÄLLE — 4-1206 ANTISEMITISCHE u. NAZISTISCHE VORKOMMNISSE BEGINN EICHMANN-PROZESSES (11. 4. 61) 1960 FÄLLE DES BUNDESTAGS- WAHLEN 17. 9. 61 1 —— 389 1961 FÄLLE TATZEITEN -STATISTIK ZEICHENERKLÄRUNG: OBERE LINIE: VORKOMMNISSE EINSCHLIESSLICH KINDERTATEN UNTERE LINIE VORFÄLLE OHNE KINDERTATEN 1962 INITIALFALL BAMBERG 13 6. 65 AUFNAHME DIPL. BEZIEHUNGEN ZU ISRAEL 12. 5. 65 DEBATTE ZUR VERLÄNGERUNG d. VERJÄHRUNGSFRISTEN t. NS-MORDE 10. 3. 65 1963 1959 -1965 FESTNAHME DES BAMBERGER-TÄTERS 29. 7. 65 1964 AUSCHWITZ URTEIL 19. 8. 65 BUNDESTAGS-

WAHLEN 19. 9. 65 1965 521 FÄLLE ------1 Skizze —— ——

Durch die Ermittlungen der Strafvollzugs-behörden konnten bis zum Jahresende 216 der 521 Vorfälle aufgeklärt und 291 Täter ermittelt werden. Etwa die Hälfte von ihnen sind jünger als 30 Jahre. Zwei Täter üben akademische Berufe aus. Die übrigen sind Lehrlinge, Hilfs-oder Facharbeiter, Angestellte und Rentner. 1. Die Beweggründe Ähnlich wie bei der Schmierwelle vom Januar 1960 handelt es sich bei den Ausschreitungen des abgelaufenen Jahres zum überwiegenden Teil nicht um politische Überzeugungstaten, sondern um massenpsychologisch bedingte Unfughandlungen mit zum Teil sozial-oppositionellem Einschlag. Für die Richtigkeit dieser Beurteilung spricht unter anderem, daß im Gegensatz zu den Jahren 1961 bis 1964 wieder in nennenswertem Umfange Kindertaten zu verzeichnen waren. Zahlreiche Ausschreitungen zeugen jedoch von Resten einer nazistischen Gesinnung. Sie haben im Berichtszeitraum aber trotz der Vorkommnisse in Bamberg, die die Öffentlichkeit über mehrere Wochen beunruhigten, nicht annähernd das Ausmaß der Schmierereien im Anschluß an die Kölner Synagogenschändung im Dezember 1959 erreicht.

Für die zentrale Steuerung nazistischer und antisemitischer Ausschreitungen durch Hintermänner oder Organisationen liegen bisher keine Anhaltspunkte vor. Lediglich einige Fälschungen deuten auf kommunistischen Ursprung hin. So kann als sicher gelten, daß eine Flugschrift, die namens der „Aktion Oder-Neiße" Ansprüche auf Elsaß-Lothringen und Südtirol für Deutschland erhob, eine östliche Fälschung ist. Gleichfalls kommunisti32 sehen Ursprungs ist die stark antiamerikanisch tendierende „Deutschnationale Korrespondenz". Sie erscheint angeblich monatlich und trägt das fingierte Impressum „Deutsche Gesellschaft zur Förderung einer nationalen Außenpolitik, München".

In den bisher aufgeklärten Fällen ließen sich die Täter von folgenden Beweggründen leiten (vgl. Skizze 6): 43 Personen handelten aus nationalistischer Überzeugung. Unter ihnen befinden sich neben mehreren Antisemiten und unbelehrbaren Nationalsozialisten einige fehlgeleitete Jugendliche. Sechs Überzeugungstäter sind wegen krimineller Vergehen vorbestraft. 99 Täter haben sich im Affekt oder Rausch zu antisemitischen Beleidigungen hinreißen lassen. Dabei dürften ebenfalls tiefverwurzelte politische Ressentiments als Beweggründe mitgewirkt haben. Auch in dieser Gruppe befinden sich mehrere Fälle mit asozialem Einschlag. 78 Personen begingen aus Geltungs-oder Nachahmungsdrang unpolitische Unfug-handlungen.

12 Täter sind infolge Schwachsinns oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit unzurechnungsfähig. 59 Täter waren strafunmündige Kinder. Sie begingen ihre Ausschreitungen zumeist gemeinschaftlich mit annähernd gleichaltrigen Spielgefährten. Allein fünf Friedhofsschändungen und elf Hakenkreuz-schmierereien wurden als Fälle dieser Art aufgeklärt. 2. Zur Mentalität rechtsextremer Überzeugungstäter Die Persönlichkeitsbilder nationalistischer Überzeugungstäter und fanatischer Antisemiten sind sehr verschieden. Nach den Erkenntnissen der Sozialpsychologie und den Erfahrungen der Staatsschutzorgane ist eine Vielzahl psychologischer Gegebenheiten für die Entstehung rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Tendenzen ursächlich, übersteigert geltungsbedürftige, sendungsbewußte, autoritätssüchtige, aber auch gehemmte, von persönlichen Unzulänglichkeitserlebnissen gezeichnete Menschen und kontaktarme Eigenbrötler übertragen vielfach ihre persönlichen Sehnsüchte und Wünsche in die Sphäre nationalen oder rassischen Geltungsbewußtseins. Daneben gibt es einfältige, aber stark vitale Naturen, die ihren Antriebsüberschuß in militanten Antisemitismus und Nationalismus ableiten. Bei einem erheblichen Teil 20-bis 25jähriger Hakenkreuzschmierer stellten die gerichtlichen Sachverständigen eine stark retardierte Persönlichkeitsentwicklung fest. Unter den anonymen Briefschreibern und Pamphletisten sind vielfach hochbetagte Menschen, bei denen im Verlaufe des alters-bedingten Abbaues ihrer Persönlichkeit überwertige Ideen wirksam wurden. Allen gemeinsam ist, daß sie ihren Nationalismus und Antisemitismus stark gefühlsbetont erleben und ihre fehlgeleiteten Überzeugungen notfalls mit intellektfeindlichen Mitteln verteidigen.

Bei Angehörigen rechtsextremer Jugendgruppen hat sich häufig die sozialpsychologische Erkenntnis bestätigt, daß Mitglieder von Jungmännerbünden zu Rückfällen in eine puerile Gefühlswelt neigen, völlig dem Grup34 pengeist verfallen und damit eine gefährliche Anfälligkeit für gruppeninterne Suggestionen, Schlagwörter und Symbole zeigen. Frühere Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend oder zu staatsfeindlichen Jugendgruppen der Nachkriegszeit ist bei vielen rechtsextremen Aktivisten von persönlichkeitsprägender Wirkung.

Die Lektüre nazistischer und antisemitischer Literatur aus im Elternhaus befindlichen Buch-beständen hat bei zahlreichen Jugendlichen zu ähnlich schweren Fehlentwicklungen beigetragen. Ganz allgemein gehören die nationalistisehen Überzeugungstäter zu den eifrigsten Lesern der rechtsextremen Presse und Publizistik. Straftäter dieser Art sagten aus, daß ihnen die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung“ (DNZSZ) als ständige Informationsquelle gedient habe. Einer von ihnen legte besonderen Wert darauf, das Blatt auch im Gefängnis weiterbeziehen zu dürfen.

Bei jungen Menschen, die nazistisch oder antisemitisch motivierte Ausschreitungen begangen haben, obwohl sie weder die Hitler-zeit bewußt erlebten noch jüdische Mitbürger persönlich kennen, spielen Umweltseinflüsse wie die Verhältnisse im Elternhaus, in der Schule und am Arbeitsplatz sowie Ansätze zur staats-und sozialoppositionellen Haltung eine bestimmende Rolle. Etwa 20 fanatischen Rechtsextremisten, die in den letzten Jahren durch einschlägige Straftaten oder als Aktivisten rechtsradikaler Gruppen in Erscheinung traten, wurde die NS-Ideologie im'Elternhaus nahegebracht. Eines der jüngsten Beispiele solcher Beeinflussung im Elternhaus bildet der Friedhöfsschänder von Bamberg. In der Hauptverhandlung erklärte er auf Befragen, seinen „Haß gegen die Juden vom Vater und aus Büchern“ zu haben. Andere Überzeugungstäter stammen aus Familien, die nach 1945 im Zusammenhang durch Entnazifizierüngs-und Internierungsmaßnahmen, durch Wohnungs-oder Arbeitsplatzverlust, Verweigerung von Versorgungsbezügen aus politischen Gründen oder infolge von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Väter, wegen des Verdachts von Straftaten während der 7-0/-NS-Zeit in Schwierigkeiten gerieten. Häufig handelt es sich auch um bindungslose Personen mit sozialoppositionellen Neigungen als Folge von Erziehungs-und Charakter-mängeln sowie von zerrütteten häuslichen Verhältnissen.

XI. Maßnahmen

Me 5k 10" % 6*/F__ __ H Bhe— (1964: 64 FÄLLE) ERSCHEINUNGSFORMEN DER NAZISTISCHEN UND ANTISEMITISCHEN VORKOMMNISSE IM JAHRE 1965 TERROR, BRANDSTIFTUNGEN:

7FÄLLE (1964: 8 FÄLLE) SONSTIGE STÖRAKTIONEN : 41 FÄLLE (1964: 29FÄLLE) SCHMIERAKTIONEN: 293 FÄLLE INSGESAMT: 521 FÄLLE IM JAHR 1964: 171 FÄLLE IM JAHR 1963: 177 FÄLLE IM JAHR 1962: 205 FALLE IM JAHR 1961. 389FÄLLE IM JAHR 1960. 1206FÄLLE 48" /j___\ _ 1 /______ X ZERSTÖRUNGEN, BESCHÄDIGUNGEN AUF JÜD. FRIEDHÖFEN: i 47E f-— A. BEDROHUNG, BELEIDIGUNG VON ZUMEIST /------------JÜDISCHEN MITBÜRGERN: 107 FÄLLE 1 E 217. 19 FÄLLE (1964: 12 FÄLLE) \ J (1964: 30 FÄLLE) ILLEGALE FLUGSCHRIFTEN UND A PLAKATAKTIONEN: 54 FÄLLE 7 (1964: 28 FÄLLE) VERGLEICHSSKIZZE FÜR 1964 5 7. 7 •/. 17-. Ve /V Ey 18’/3 7 h. •i. Skizze 5 1 I 1 \ -----------1---------------

Urteilsstatistiken in Staatsschutzsachen vermitteln erfahrungsgemäß nur einen unvollständigen Eindruck von der aktuellen Lage auf diesem Gebiet, da die Ermittlungen der Täter und die Durchführung der Verfahren naturgemäß längere Zeit in Anspruch nehmen. Aus der Zahl der in einem Jahr abgeschlossenen Strafverfahren lassen sich deshalb keine verläßlichen Schlüsse auf den Umfang der im gleichen Zeitraum begangenen Straftaten ziehen. Dies trifft besonders für das Jahr 1965 zu, das gerade in seiner zweiten Hälfte eine relativ starke Zunahme von nationalistisch und antisemitisch motivierten Vergehen brachte.

Die Zahl der durchgeführten Verfahren wurde auch dadurch beeinflußt, daß eine Anzahl von Fällen wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde und daß beleidigte Juden vielfach keine Strafanträge stellten oder diese zurück-nahmen.

Auf Grund der Mitteilungen der Strafverfolgungsbehörden hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im abgelaufenen Jahre 65 einschlägige Verurteilungen erfaßt, von denen 45 bereits rechtskräftig geworden sind. Die Gesamtzahl der einschlägigen Urteile seit 1960 hat sich damit auf 733 erhöht (vgl. Skizze 7). Insgesamt wurden verhängt: 15 Zuchthausstrafen, davon 14 gegen Ausländer;

27 Gefängnis-und Jugendstrafen von 1 bis zu 5 Jahren, davon 11 gegen Ausländer;

56 Gefängnis-und Jugendstrafen zwischen 6 Monaten und 1 Jahr, davon 5 gegen Ausländer;

269 Gefängnisstrafen unter 6 Monaten, davon 6 gegen Ausländer;

255 Geld-oder Haftstrafen; 111 Maßregelungen und Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz;

2 Unterbringungen in einer Heil-oder Pflegeanstalt; 3 weitere Täter wurden als Nebenfolge des gegen sie erlassenen Urteils in eine Trinkerheilanstalt eingewiesen. Am 6. August 1965 wurde die Restauflage einer von sieben französischen Autoren verfaßten Schrift über „Das Geheimnis um die Ursachen des 2. Weltkrieges" wegen antisemitischer Tendenzen einzogen. Gleichfalls eingezogen wurde die Gesamtauflage des Buches von Werner Nixdorf: „Standartenoberjunker Normann". Die Schrift verherrlicht das NS-Regime und seine Ideologie. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In drei weiteren von den zuständigen Verfassungsschutzbehörden angeregten Strafverfahren sind Entscheidungen über die Einziehung mehrerer Bücher rechtsextremen 'Inhalts zu erwarten. Das Schöffengericht Düsseldorf ordnete am 6. Oktober 1965 die Unbrauchbarmachung der gesamten Auflage einer Schallplatte mit Liedern und Märschen aus der NS-Zeit an. Eine Kopie des antisemitischen Hetzfilmes „Jud Süß" wurde im November 1965 vom Landgericht Flensburg eingezogen.

Im Zuge der gerichtlichen Nachprüfung von Verbotsmaßnahmen gegen verfassungsfeindliche Vereinigungen ergingen in zwei Bundesländern letztinstanzliche Urteile der obersten Verwaltungsgerichte. Am 28. Januar 1965 wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Verlages „Hohe Warte" der Ludendorff-Bewegung gegen das Urteil der ersten Instanz abgewiesen, über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht in Berlin noch nicht entschieden. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg wies durch Urteil vom 25. August 1965 die Klage des rechtsextremen „Bundes Vaterländischer Jugend" (BVJ) ab, mit der dieser die Auflösungsverfügung vom 16. Juli 1962 angegriffen hatte. Auch in diesem Falle ist die Revision nicht zugelassen worden.

Die Grenzüberwachungslisten der Bundesrepublik Deutschland enthalten 38 Namen von ausländischen Faschisten, gegen die Ein-reiseverbot verfügt oder sonstige Überwachungsmaßnahmen angeordnet worden sind. Das Land Bayern hat darüber hinaus für eine Reihe weiterer Rechtsextremisten aus dem benachbarten Ausland „Grenz-und Aufenthaltssperren" erlassen.

XII. Geistige Auseinandersetzung und politische Bildung

Die folgende Übersicht zeigt die Altersschichtung der seit 1960 ermittelten Täter: Alter Kinder bis zu 14 Jahren ............ 15— 20jährige .................................. 21— 30jährige .................................. 31— 40jährige ................................. 41— 50jährige ................................. . 51— 60jährige ................................. über 60jährige ............................. insgesamt 1960 79 217 304 178 153 96 56 1 083 1961 17 59 76 61 43 30 17 303 Täter im Jahre 1962 1963 5 16 31 21 19 20 7 119 16 15 35 18 14 11 6 115 1964 — 8 18 19 7 16 6 74 1965 59 23 56 62 29 43 19 291 insgesamt 176 338 520 359 265 216 111 1 985

Das Jahr 1965 gab mehr denn je Anlässe zu geistiger und pädagogischer Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Ein solcher Anlaß zur Besinnung ergab sich schon daraus, daß sich die Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum zwanzigsten Mal jährten. Dem trug auch der Aufruf des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum 8. Mai Rechnung. Hinzu kamen aktuelle politische Ereignisse, wie etwa der Auschwitz-Prozeß in Frankfurt, die Verlängerung der Verjährungsfrist für nationalsozialistische Gewaltverbrechen und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedete Deklaration über die nichtchristlichen Religionen ist für die Auseinandersetzung der katholischen Christen mit dem Antisemitismus richtungweisend.

Die mit der Beobachtung und Bekämpfung rechtsradikaler und antisemitischer Bestrebungen betrauten Behörden sind sich der Tatsache bewußt, daß sich mit exekutiven Mitteln rassistische Vorurteile und nationalsozialistisches Gedankengut zwar in der Ausbreitung behindern, letztlich aber nicht ausrotten lassen. Hierin liegt die vordringliche Aufgabe der geistigen Auseinandersetzung mit diesen Ideen und der politischen Erziehung der Bürger, insbesondere der Jugend. Bund und Länder dürfen deshalb auch in Zukunft nicht nachlassen, die politische Bildung gerade auf diesem Gebiet zu fördern. Die Bundesregierung hat im Jahre 1965 wieder vielfältige Bemühungen in dieser Richtung unternommen. Es sei hier nur an den Bundesjugendplan und an die Tätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung erinnert, die durch Bücher, Schriften, Kurse und Vorträge wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet haben. Gleiches gilt für alle anderen öffentlichen und privaten Träger politischer Bildungsarbeit, Presse, politische Parteien und Gewerkschaften. Ihre Bemühungen werden auf die Dauer eine nachhaltigere Immunisierung gegen jede Form des Totalitarismus, der Volksverhetzung und des Rassen-wahns bewirken, als strafrechtlicher und polizeilicher Verfassungschutz es je vermögen.

XIII. Schlußbemerkung

1960 1083 TÄTER Skizze 6

1. Der organisierte Rechtsradikalismus hat 1965 zum erstenmal seit Jahren einen, wenn auch vergleichsweise geringfügigen Aufschwung genommen. Fast die Hälfte aller in rechtsextremen Vereinigungen organisierten Personen gehören einer Sammlungspartei an, die sich bemüht, ihren Argumentationsstil den gewandelten politischen Anschauungen der Nachkriegsgeneration anzupassen und das in ihren Reihen noch stark verbreitete nationalsozialistische Gedankengut nicht mehr offen zur Schau zu stellen. In der nächsten Zeit wird sich zeigen, ob in dieser Partei die einflußreiche, dem nationalistischen und rechtsextremen Gedankengut verpflichtete Funktionärsgruppe die Oberhand behält oder ob es neuen, demokratischen Kräften gelingen wird, die Partei in eine zwar nationalkonservative, aber doch der freiheitlichen Grundordnung unserer Verfassung verpflichtete Richtung zu führen. Die mit dem Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung betrauten Behörden des Bundes und der Länder werden der weiteren Entwicklung dieser Partei erhöhte Aufmerksamkeit widmen müssen. 2. Die Wachsamkeit der Öffentlichkeit wird sich auch gewissen rechtsextremen Kulturbünden zuzuwenden haben, die, ohne unmittelbar am politischen Leben der Nation teilzunehmen, völkisches und nationales „Kulturgut" zu pflegen vorgeben und damit hoffen, in solchen Bevölkerungskreisen Einfluß zu gewinnen, die dem zeitgenössischen kulturellen Schaffen ablehnend oder ratlos gegenüberstehen. Wenn auch das geistige und kulturelle Leben in einem freiheitlich verfaßten Gemeinwesen staatlicher Aufsicht weitgehend entzogen ist, so werden doch die staatlichen Organe nicht tatenlos zusehen können, wenn derartige kulturelle Gruppen sich als Keimzelle totalitärer oder rassistischer Ideologien herausstellen sollten. 3. Durch das erneute Aufflackern nazistischer und antisemitischer Ausschreitungen wurden im vergangenen Jahr Öffentlichkeit und staatliche Organe erheblich beunruhigt. Die Auswertung der Ermittlungen über Täter und Motive hat zwar die Vermutung bestätigt, daß ein großer Teil dieser Vorfälle Ausfluß sozialpsychischer Reaktionen war, die nicht auf nationalsozialistischer oder antisemitischer Gesinnung der Täter beruhen. Häufig waren Geltungsbedürfnis, Nachahmungstrieb, Protesthaltung, Reiz vermeintlicher Tabus, Trunkenheit oder Geistesschwäche die auslösenden Faktoren.

Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß eine — wenn auch verschwindend kleine — Minderheit von Unbelehrbaren und Fanatikern immer noch versucht, durch nazistische Schmierereien und auch durch Bedrohung und Belästigung von Mitbürgern die demokratische Entwicklung des Volkes zu stören und das Ansehen Deutschlands unter den Völkern empfindlich zu schädigen. Die Staatsschutzorgane und Strafverfolgungsbehörden sind gehalten, alles zu tun, um derartige politische Rowdies der verdienten Strafe zuzuführen. Sie bedürfen dazu auch in Zukunft der Unterstützung der Bevölkerung und der Publikationsorgane. 4. Das Ansteigen der Auflageziffern rechtsextremer Wochenzeitungen birgt zwar noch keine akute Gefahr, wie ein Vergleich mit den Millionenauflagen der demokratischen Presse zeigt. Trotzdem verdient es als Herd potentieller Gefahren für die demokratische Verfassung erhöhte Wachsamkeit. Die Herausgeber derartiger Blätter haben es bisher verstanden, offen verfassungsfeindliche Töne zu vermeiden oder so geschickt zu tarnen, daß sie mit strafrechtlichen Mitteln schwer faßbar sind. Sie nähren und schüren aber planmäßig antidemokratische und rassistische Vorurteile. Deshalb bleibt es Aufgabe der demokratischen Kräfte des Volkes, insbesondere der Träger der politischen Bildung und der öffentlichen Meinung, hier aufklärend und warnend entgegenzuwirken. Auch bei den bevorstehenden Erörterungen über die Reform des politischen Strafrechts wird man darauf achten müssen, daß die Demokratie sich nicht wirksamer Waffen gegen solche Feinde beraubt. 5. Die in diesem Bericht zusammengefaßten Tatsachen und Würdigungen der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder lassen den Schluß zu, daß auch zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft der wiedererrichteten demokratischen Verfassung noch keine Gefahr rechtsextremer Unterwanderung droht. Es gibt jedoch immer noch kleine rechtsradikale Restbestände im deutschen Volk, denen es im vergangenen Jahr offensichtlich gelang, ihren bisher raschen Zerfall aufzuhalten und ihrer weiteren Zersplitterung Einhalt zu gebieten. Es wird daher auch in Zukunft Wachsamkeit vonnöten sein, damit diese Minderheit nicht eines Tages zu einer Gefahr für das deutsche Volk und die von ihm gewählte Verfassung werden kann.

Fussnoten

Weitere Inhalte