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Agrarpolitik im Wandel der Zeiten | APuZ 23/1966 | bpb.de

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APuZ 23/1966 Agrarpolitik im Wandel der Zeiten Agrarproduktion und Agrargüterverbrauch in derWelt

Agrarpolitik im Wandel der Zeiten

Rudolf Hüttebräuker

Agrarpolitik — Ärgernis und Problem zu allen Zeiten

Dieser Beitrag, thematisch bewußt sehr weit gehalten, wird in seinem entscheidenden Teil der gegenwärtigen und zukünftigen deutschen Agrarpolitik gewidmet sein. Für die an der Agrarpolitik Verzweifelnden — mögen ihre Motive nun Abneigung gegen oder Sorge um die Landwirtschaft sein — wird ein kurzer agrargeschichtlicher Rückblick sicherlich von Interesse sein.

Aus diesem Rückblick wird man zwar nicht in jeder Beziehung Lehren für unsere heutige Situation ziehen können, weil die derzeitigen Schwierigkeiten und die Ansätze zu ihrer Lösung von anderer, noch nie dagewesener Art sind. Aber wir werden sehen, daß die bewußt geführte oder aus politischen Handlungen sich ergebende Agrarpolitik nicht selten das Schicksal der Völker entschieden hat, weil die Landwirtschaft, je weiter wir in der Geschichte zurückschauen, der wohl wichtigste Zweig der jeweiligen Volkswirtschaften war. Wir werden sehen, daß Agrarpolitik nicht ein Ärgernis unserer Zeit, sondern ein Problem zu allen Zeiten war. Diese Erkenntnis wird uns leichter überzeugen, daß das, was wir heute Agrarstrukturverbesserung nennen, mehr ist als eine interne landwirtschaftliche Aufgabe, die lästige Subventionen kostet. Es handelt sich dabei nicht um eine temporäre Agrarkrise, sondern um eine verschleppte Krankheit, die in einer von der Technik und vom Wunsch nach hohen Einkommen beherrschten Welt besonders akut wird. Agrarstrukturverbesserung ist eine ökonomische Aufgabe mit größtem gesellschaftspolitischem Effekt und von allgemeinem nationalen Interesse.

Bei den Überlegungen für die Agrarstruktur-verbesserung erhitzen sich nun landauf, landab die Gemüter, ob den gesellschaftspolitischen oder den ökonomischen Erfordernissen Vorrang in der Agrarpolitik einzuräumen ist. Die-

Die Beiträge dieser Ausgabe sind zuerst auf einer Tagung der Friedrich-Naumann-Stiftung über „Die Zukunft der Landwirtschaft in Europa" in Baden-Baden vorgetragen worden. Sie wurden für den Druck überarbeitet. jenigen, für die die agrarpolitischen Probleme nicht zu den Tagesfragen gehören — und das ist bei dem heute geringen Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung praktisch die deutsche Öffentlichkeit —, werden beunruhigt, weil sich neue agrarische Schwierigkeiten durch landwirtschaftliche Überproduktion ankündigen. Müde des ewigen Ärgers mit der immer unzufriedenen Landwirtschaft bleibt man bewußt desinteressiert und schlägt die nächste Seite der Zeitung auf, um sich anderen Nachrichten und Kommentaren zuzuwenden. Es sei dahingestellt, ob in der Landwirtschaft gegenüber der gewerblichen Wirtschaft vieles Kurt Häfner Agrarproduktion und Agrargüterverbrauch in der Welt................................................... S. 13 anders ist und anders sein muß. Die Abhängigkeit von Klima und Boden, von den biologischen Lebens-und Wachstumsbedingungen, von dem nicht zu ändernden, sondern nun einmal gegebenen Standort, von der Tatsache, daß der Boden nicht vermehrbar ist, und viele andere Gründe sind immer wieder aufgeführt worden als ausschlaggebend für die besondere Lage der Landwirtschaft. Der Bergbau, die Forstwirtschaft und die Fischwirtschaft — die drei anderen Urproduktionen — haben mit ähnlichen und anderen naturbedingten Schwierigkeiten zu kämpfen. Dagegen wird oftmals nur eingewandt, daß die Landwirtschaft seit eh und je geklagt hat, daß sie dennoch — wie man an einzelnen Beispielen von Verwandten, Freunden oder Bekannten weiß — offensichtlich recht gut überlebte. Es wird in der Öffentlichkeit aber häufig übersehen, daß viele Menschen in der Landwirtschaft nur schlecht dahinleben und Hunderttausende im Laufe der Zeit aus ihr ausscheiden mußten. Diesen Problemen, auf die weiter unten ein. gegangen werden soll, möchte ich nun einige historische Betrachtungen vorausschicken.

Die Geschichte als Geschichte des Wandels von Agrarverfassungen

Karl Marx hat seine historischen Untersuchungen mit der überspitzten Feststellung zusammengefaßt, die Geschichte sei eine Geschichte der Klassenkämpfe. Man kann den Geschichtsverlauf vielleicht anders simplifizieren: Man könnte die Geschichte auch als eine Geschichte des Wandels der Agrarverfassungen sehen. Staaten, in denen die Entfaltung des Bauerntums gestört oder gar unterdrückt wurde, waren in ihrem Bestand immer gefährdet und konnten oft nur durch diktatorische Gewalt stabilisiert werden.

In den orientalischen Großreichen gehörte das Land dem Despoten. Den Boden bewirtschafteten vorwiegend Sklaven. Die Schlachten bei Marathon und Salamis wurden aber gewonnen, weil freie Bauern und Bürger gegen die Sklavenheere der Despoten kämpften. Hundert Jahre Bauernrepublik unter dem Einfluß des Demeter-Kults zeugen für die Stabilität bäuerlicher Gesellschaftsordnungen, solange sie allgemein als gottgewollt hingenommen und als zweckmäßig empfunden werden. Und für das Römische Reich stellte Plinius fest, daß die Latifundienwirtschaft den Staat zerstöre. Vorübergehend wurde zwar diese Agrarpolitik auch geändert, das heißt ihre Ziele anders formuliert. Schließlich scheiterten die Versuche des Tiberius Gracchus und seines jüngeren Bruders Gajus, eine bäuerliche Agrarstruktur wieder herzustellen aber an den unzureichenden agrarpolitischen Mitteln, die gesteckten Ziele durchzusetzen, und an dem fehlenden ökonomischen Zwang, dies zu tun. Die Latifundienwirtschaft konnte sich endgültig durchsetzen. Es erschien billiger, Getreide aus den afrikanischen Provinzen zu beziehen, als eine bäuerliche Agrarstruktur zu erhalten.

Die im Laufe der Zeit auch auf die überseeischen Besitzungen übergreifende Latifundien-wirtschaft schürte die Unzufriedenheit des dortigen ländlichen Proletariats, das Aufbegehren gegen die damalige Agrarverfassung und trug damit zur Vernichtung des Weizenlandes und der Kultur vor allem in Nordafrika bei. Die vom Römischen Reich preisgegebenen Landschaften wurden im Zeitalter der Völkerwanderung umgestaltet durch die Wanderung und Ansiedlung Land suchender freier Bauern der germanischen Stämme.

Im Mittelalter entwickelten sich die Fürstenhöfe nördlich der Alpen zu Inseln des Über-flusses in einem Meer von Armut. In den im Laufe der Zeit denaturierten, ehemals gesunden Agrarverfassungen der Feudalstaaten vernachlässigten die Grundherren immer mehr ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Bauern. Man ließ oftmals den Bauern nicht mehr, als zum Leben notwendig war und verhinderte durch den Besitzanspruch auf das unbesiedelte Land die Gründung neuer Höfe. Außerdem schädigte man die Bauern durch die rigorose Ausnutzung des Jagdrechts. Der Bauernstand wurde immer mehr verachtet.

Im 14. Jahrhundert flammten dann die ersten Aufstände der unterdrückten Bauern in Frankreich auf. Es folgten ebensolche in England und in den Niederlanden. Die deutschen Bauernkriege begannen im 15. Jahrhundert. Wenn auch die Bauernkriege für das Bauerntum ein schreckliches Ende nahmen und kein gesundes soziales Gleichgewicht erreicht wurde, so wurden die weltlichen und geistlichen Feudalherren doch einsichtsvoller.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann die Bauernbefreiung in den west-und süddeutschen Gebieten, während sie insbesondere östlich der Elbe 1807 als Folge der Französischen Revolution durchgeführt wurde. Aber durch Fehler in der preußischen Gesetzgebung wurde aus den aus der Gutsuntertänigkeit Befreiten, jedoch oft nicht mit ausreichend Land ausgestatteten ehemaligen Hörigen ein Landproletariat, und es begann auch infolge der Bevölkerungszunahme eine massenweise Abwanderung ländlicher Menschen in die Ballungsräume des Westens und nach Übersee. Auch hier wurde versucht, als richtig anerkannte agrarpolitische Ziele mit nur unzureichenden Mitteln durchzusetzen. Das unerwünschte Resultat lehrt uns, wie sorgfältig agrarpolitische Ziele und Mittel aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Tätigkeit der späteren königlich-preußischen Ansiedlungskommission wäre nicht nötig gewesen, wenn dieses in gesetzlichen Fehlern begründete Bauernlegen größten Umfangs nicht eingetreten wäre. Dieser agrarhistorische Streifzug mag noch abgerundet werden durch eine Darstellung der russischen Verhältnisse, um damit besonders darauf hinzuweisen, welche Gefahren der freien Welt durch Räume mit ungesunder Agrarstruktur — beispielsweise in Südamerika, im Vorderen Orient, in Asien, in Afrika — bevorstehen können.

Die russische Agrarverfassung kannte seit eh und je das Gemeineigentum. Nach dem soge-nannten Mir-System gehörte der Boden der Dorfgemeinde und wurde im Abstand von einigen Jahren je nach der Zahl der Seelen auf die Familien neu aufgeteilt. Diese Agrarverfassung auf dem Lande war unter damaligen produktionstechnischen Verhältnissen durchaus gesund. Die Bauern gerieten aber im Laufe der Jahrhunderte in völlige Abhängigkeit von den Fürsten und Grundherren. Mit einem Federstrich befreite Zar Alexander II. 1861 zwar seine Bauern durch die Aufhebung der aber die nachteiligen Folgen und das Elend der russischen Agrarverfassung wurden nicht behoben. Erst die Revolution von 1905 ließ die russische Regierung aufhorchen und zeigte ihr, daß sie sich auf den Bauernstand stützen und ihn deshalb wirtschaftlich gesunden müßte. Ministerpräsident Stolypin verstand es, den Zaren von seinen Reformplänen zu überzeugen, mit denen zügig begonnen wurde; aber die Ermordung Stolypins im Jahre 1911 in Kiew setzte seiner Arbeit ein Ende. Gestützt auf die unzufriedenen Bauern siegte die revolutionäre Arbeiterschaft 1917, um anschließend die befreiten Bauern, die gerade Eigentümer der aufgeteilten Güter geworden waren, nunmehr zu Arbeitssklaven in Kolchosen zu machen. Die Agrarreform kam zu spät. Wie würde die Welt Wohl heute aussehen, wenn Stolypin fünfzig Jahre früher gelebt hätte?

Ob sich der Boden im Gemein-oder Individualeigentum befindet, ist nicht unbedingt eine Frage des Kommunismus oder Kapitalismus. Das Gemeineigentum in Rußland in Form der Mir-Verfassung und die zu späte Bauernbefreiung haben jedoch die kommunistischen Vorstellungen vorbereitet. Wir sehen beim Aufbau des Staates Israel, daß Gemeineigentum nicht unbedingt zum Kommunismus marxistischer Prägung zu führen braucht. Das Kibbuz

System ist hinreichend bekannt. Auch die Entstehung neuer Staaten in Schwarz-Afrika hat für die Eigentumsverfassung neue Fragen aufgeworfen. So kennt man dort fast überall nur Stammeseigentum, das unter regelmäßiger Neuverteilung den einzelnen Familien zur Nutzung zugewiesen wird. Manchmal gilt dabei der Stamm nur als Lehnsträger der Götter. Diese Eigentumsverhältnisse in SchwarzAfrika, die von außen nicht geändert werden können und dürfen, erfordern für die Entwicklungshilfe ein besonderes Einfühlungsvermögen. Die Modernisierung der Agrarpolitik hat auch in den meisten Entwicklungsländern alter Kultur, die ein persönliches Eigentum kennen, neue Fragen aufgeworfen. Die Ablösung des Feudalsystems hat, worauf die FAO (Food and Agricultural Organizisation of the United Nations — Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) mehrfach hinwies, mit Ausnahme von Japan und Formosa bisher überall eine Phase gesteigerter Armut der Bauern zur Folge gehabt. In Deutschland war die Wirkung der Agrarreform, wie bereits dargelegt, zunächst ebenso negativ.

Wenn die Agrarpolitik nicht den Erfordernissen ihrer Zeit und der jeweils nahen Zukunft entspricht, besteht also stets die Gefahr, daß sie genau das Gegenteil dessen erreicht, was man als anzustrebendes Ziel erkannt hat.

Dieser kurze Streifzug durch die Geschichte zeigt, in welchem Maße die jeweilige Agrarverfassung das Schicksal der Völker bestimmt hat und ihr Wandel alle — auch die nicht unmittelbar Betroffenen — angeht. Die Agrarpolitik ist einem dauernden Wechsel unterworfen, weil die Gesellschaftsstruktur sich unter dem Einfluß neuer Ideen ändert, weil die ökonomischen Voraussetzungen keineswegs gleichbleiben und weil die jeweils vorhandene Agrarstruktur im umfassenden Sinne von der Agrarbevölkerung nicht länger hingenommen wird. Die Agrarpolitik droht zu scheitern, wenn die gewünschten Ziele und die angewandten Mittel nicht sorgfältig aufeinander abgestimmt oder wenn die Ziele den ökonomischen Bedingungen nicht gerecht wurden.

Agrarpolitische Probleme des modernen Industriestaates

Die Agrarpolitik ist auch im modernen Industriestaat ein entscheidender Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Das zeigt sich gerade jetzt bei den Verhandlungen zur Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sehr deutlich.

Ziel unserer Gesellschaftspolitik war seit Jahrzehnten die Erhaltung und Bildung möglichst vieler selbständiger Existenzen. In den letzten Jahrzehnten war der Grund für diese Zielsetzung in erster Linie der Wunsch nach wirtschaftlicher Sicherung der Arbeiterbauern in Krisenzeiten. Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise hat sich die Richtigkeit dieser Zielsetzung ergeben. Heute erhält die Agrarstruktur-Politik aber ganz neue Impulse. Das unbändige Streben, mit Hilfe der Technik durch Arbeitsteilung und gesteigerte Produktivität hohe Einkommen zu erzielen, hat auch die in der Landwirtschaft Tätigen erfaßt und Zweifel an der überkommenen Agrarverfassung geweckt. Man kann hier fast von einer Revolution in der Denkweise und in den Lebensauffassungen sprechen. Das gegenwärtige Ziel unserer Agrarpolitik muß daher sein, einer existenz-und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft bäuerlicher Struktur ein Einkommen zu ermöglichen, das sie heute und morgen auf die gleiche Stufe mit anderen Bevölkerungsteilen stellt. Daher sind im Zeitalter des Übergangs von der arbeitsintensiven zur kapitalintensiven Wirtschaftsweise der Erhaltung des Kleinbauefntums leider Grenzen gesetzt, wenn sich die Agrarpolitik nicht gegen die Umstrukturierung unserer Gesellchaft und gegen die heutigen ökonomischen Voraussetzungen stemmen will.

Die Landwirte der Bundesrepublik haben 1955 im Parlament durchgesetzt, alljährlich die Einkommenslage der Landwirtschaft im Vergleich mit anderen Berufszweigen amtlich feststellen zu lassen. Die Einkommensdifferenz, die sich dabei immer wieder zuungunsten der Landwirtschaft ergeben hat, wird als Disparität bezeichnet. Diese Disparität ist aber je nach Betriebsgröße sehr unterschiedlich. So entfielen im Wirtschaftsjahr 1964/65 in der Bundesrepublik 43 °/o der Disparität, die sich für die gesamte Landwirtschaft errechnet, auf die Betriebe mit weniger als 10 ha, die jedoch nur 20 °/o der landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften. Dabei ist — darauf soll ausdrücklich hingewiesen werden — diese Grenze von 10 ha willkürlich gezogen. Das Fazit der Grünen Berichte ist letzten Endes, daß die Disparität innerhalb der Landwirtschaft größer ist als zwischen dem Durchschnitt der Landwirtschaft und dem Durchschnitt der gewerblichen Wirtschaft und daß der Einkommensabstand zwischen kleinen und größeren Betrieben von Jahr zu Jahr kräftig wächst. Dieser Teil der ökonomischen Betrachtungen kann vielleicht mit einer ganz unakademischen, aber dafür um so einleuchtenderen Feststellung abgeschlossen werden: Der Mann mit der Sense leistet eben weniger als der Mann mit dem Mähdrescher. Letzterer braucht allerdings auch sehr viel mehr Kapital und Fachwissen.

Zunehmende Agrarproduktion—stagnierender Nahrungsmitte 1verbrauch

Nun besteht aber noch eine zweite ökonomische Schwierigkeit. Das vorher geschilderte Problem wäre relativ leicht zu lösen, wenn die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse so angehoben werden könnten, daß die Disparität verschwindet. Aber das gerade geht nicht; denn mit den modernen Methoden der Agrartechnik — dieses Wort im umfassenden Sinne angewendet — steigt die Produktion schneller als die kaufkräftige Nachfrage und drückt daher die Preise. Die Bevölkerungszunahme ist in den Industrieländern gering, und der Mensch kann sich nicht mehr als satt essen.

Eine Chance für die Landwirtschaft besteht nur in einer Zunahme des Verzehrs von Veredelungsprodukten, weil bei der Umsetzung von pflanzlichen in tierische Erzeugnisse Primärkalorien — das sind Kalorien aus pflanzlichen Nahrungsmitteln zur direkten menschlichen Ernährung — verlorengehen. Bei der Ernährung mit tierischen Erzeugnissen wird also mehr Fläche gebraucht als bei der Ernährung mit pflanzlichen.

Es ist also ein Zeichen oder besser gesagt eine Voraussetzung der Wohlstandsentwicklung, daß der Mensch trotz steigender Agrarproduk-tion einen immer geringer werdenden Anteil seines Einkommens für die Ernährung ausgibt. Anders wäre nämlich eine Wohlstandsentwicklung gar nicht möglich. Auch der Bauer selbst gibt heute Geld für Bedürfnisse aus, die sein Vater oder gar sein Großvater nicht kannten. Wie sind die Schwierigkeiten, denen die Landwirtschaft gegenübersteht, zu beheben? Ein Blick über unsere Grenzen hinaus zeigt, daß sie nur universell und nicht einfach zu lösen sind, über viele Jahre hat Schweden versucht, mit Hilfe einer jährlichen Kosten-und Ertrags-rechnung kostendeckende Preise für die Landwirtschaft festzusetzen. Dabei blieben die Verhältnisse nicht existenzfähiger Kleinbetriebe außer Betracht. Man versuchte diese mit staatlicher Förderung auf-oder abzustocken, das heißt, das Produktionsvolumen je Betrieb zu vergrößern bzw. zu verkleinern. Diese Agrarpolitik förderte aber wegen ihrer Kostspieligkeit die permanente Inflation und wurde deswegen 1956 wieder aufgegeben. Andererseits haben die Vereinigten Staaten seit der Weltwirtschaftskrise mindestens 260 Mrd. DM — wahrscheinlich sogar noch viel mehr — an Subventionen in die Landwirtschaft hinein-gepumpt. Diese Mittel dienten zunächst der Rationalisierung der Produktion, und sie dienen heute ihrer Drosselung durch Bradilandprämien und anderen Manipulationen.

Es ist betrüblich, daß wir angesichts des Hungers in vielen Teilen der Welt mit dem Problem des Überflusses nicht fertig werden. Aber erst, wenn in diesen Ländern die Erschließung der Verkehrswege, die Organisation der Warenverteilung und die Mobilisierung der Arbeitskräfte sowie beträchtliche Einkommenssteigerungen erfolgt sein werden, wird die freie Welt verstärkt dazu beitragen können, den Hunger zu stillen. Denn ungeahnte Reserven stecken noch in der Steigerung der Agrarproduktion.

Kostet eine gute Agrarstrukturpolitik Wählerstimmen?

Was soll aber nun — um unter den geänderten agrarpolitischen Zielsetzungen zu den Agrarstrukturfragen zurückzukommen — mit unseren nicht existenzfähigen landwirtschaftlichen Betrieben werden? Wo muß das gesellschaftspolitische Wunschbild ökonomischer Einsicht weichen? über das, was getan werden müßte, sind sich hierzulande alle Fachleute einig. Bund und Länder haben Mittel für die Agrarstrukturverbesserung und insbesondere für die Vergrößerung zu kleiner Betriebe vorgesehen. Mittel für die Aufstockung können aber nur eingesetzt werden, wenn es Betriebe gibt, die freiwillig Land verkaufen oder verpachten wollen. Die gewünschte Aufstockung nicht existenzfähiger Betriebe bedeutet nicht, daß Großbetriebe angestrebt werden. Leitbild unserer Agrarpolitik bleibt der gesunde bäuerliche Familienbetrieb.

Die Bundesregierung nahm in diesem Sinne zu diesen Fragen in der Regierungserklärung 1962 Stellung. Aber auch der Deutsche Bauernverband hat mit seiner Entschließung vom 6. 11. 1963 in Freiburg und der Bayerische Bauernverband mit seiner Eingabe an die bayerische Regierung vom . 6. 3. 1965 ein klares Bekenntnis zur Agrarstrukturverbesserung abgelegt. Aber der Schritt zur entscheidenden Tat ist erst dann möglich, wenn alle Geister für das Neue gewonnen sind, das seinen Einzug in die Welt der Tatsachen zu halten gedenkt. Doch die Geister wollen sich in den Bauernversammlungen noch nicht bekennen. Der junge CDU-Bundestagsabgeordnete Rollmann schreibt in der „Zeit” unter dem Titel: „Ist die CDU noch modern?" in einem anderen Zusammenhang zum Ausgang der Wahlen in der Bundesrepublik: „Schon bei den Bundestagswahlen, noch stärker aber bei den Kommunalwahlen gilt die Regel, je kleiner und abgelegener eine Gemeinde ist, um so stärker ist die CDU. Je größer aber die Gemeinden sind, um so mehr steigt der Stimmenanteil der Sozialdemokraten. “

Man glaubt, die Kleinbauern vor den Kopf zu stoßen, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Dagegen möchte ich behaupten, daß das Herausstellen der Wahrheit und eine klare Formulierung der Wege, die aus dem Dilemma führen können, von den Wählern auf dem Lande honoriert wird. Obwohl also Klarheit darüber besteht, wie ein gesundes Bauerntum in der modernen Industriegesellschaft erhalten werden kann, scheut man sich in Bauern-versammlungen, die Wege, die dahin führen, den Betroffenen zu erläutern. Die tatsächliche Entwicklung zeigt aber, daß diese längst wissen, was die Stunde geschlagen hat. Von 1949 bis 1965 haben in erstaunlicher Kontinuität — also nicht etwa nur in den ersten Jahren nach — dem Kriege die Betriebe von 0, 5— 5 ha um 38 °/0 und die Betriebe von 5— 10 ha um 28 °/o abgenommen. Es braucht also nichts anderes zu geschehen als diese Entwicklung zu fördern, anstatt sie durch Unterschlagung der Wahrheit oder durch falsche Maßnahmen zu bremsen.

Was bedeutet bremsen? Wenn nicht existenz-fähige Betriebe, die weder aufstocken noch intensivieren können oder wollen, trotzdem öffentliche Beihilfen für Investititonen erhalten, müssen sie an ihre Zukunft in der Landwirtschaft glauben. Die Inhaber dieser Betriebe lassen den Hoferben nichts lernen und werden nicht bereit sein, auf die Größe einer ländlichen Heimstätte abzustocken und Land abzugeben.

Aufstockung zu kleiner Betriebe und Schutz der bäuerlichen Veredelungswirtschaft

Ziel der Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe oder, soweit das nicht möglich ist, der innerbetrieblichen Aufstockung —-das heißt der Intensivierung — ist ein Vollerwerbsbetrieb, der mindestens zwei Arbeitskräften produktive Arbeit bietet. Dafür ist zur Zeit ein Betriebseinkommen von mindestens 10 000 bis 15 000 DM je nach den Umweltbedingungen erforderlich.

Innerbetriebliche Aufstockung bedeutet die Erwirtschaftung eines größeren Produktionsvolumens je Betrieb durch Intensivkulturen und vor allen Dingen durch Ausbau der Veredelungsproduktion auf der Grundlage von Futtermittelzukäufen. Um den kleinbäuerlichen Betrieben die Chancen hierfür zu erhalten, ist von den Regierungsparteien ein Gesetzentwurf zum Schutz der bäuerlichen Veredelungswirtschaft eingebracht worden. Nach diesem Entwurf soll die Veredelungsproduktion je Betrieb begrenzt werden, und zwar in einer Höhe, die die wirtschaftlichste Erzeugung gewährleistet. Die Begrenzung ist so vorgesehen, daß eine weitere Vergrößerung der

Bestände zu keiner zusätzlichen Kostendegression führen würde.

Gegen diesen Gesetzentwurf wird in der Öffentlichkeit polemisiert. Wir müssen uns fragen, mit welchem Recht hat man dann zur Durchsetzung unserer Mittelstands-und Lohn-politik Maßnahmen zum Schutze des Handwerks gegen Schwarzarbeit bzw. zur Verhinderung der Unterbietung der Arbeitslöhne durch Gastarbeiter ergriffen? Bei dem Gesetz-entwurf zum Schutz der bäuerlichen Veredelungswirtchaft stellt sich nur die Frage: Will man marktpolitische Maßnahmen ergreifen, um den Zielen unserer Mittelstandspolitik gerecht zu werden? Diese Frage wird eindeutig bejaht werden, weil die Grundsätze freier Marktwirtschaft für die unter besonderen Umständen arbeitende Landwirtschaft nicht voll gültig sind. Dieses Gesetz hat allerdings nur Sinn, wenn eine entsprechende Regelung für die gesamte EWG erreicht wird. Es ist zu hoffen, daß der deutsche Entwurf die EWG-Kommission veranlassen wird, entsprechende Vorschläge zu machen.

Problematik der Nebenerwerbslandwirtschaft

Der Gedanke, das vorher genannte Einkommen von 10— 15 000 DM durch außer-landwirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen, wenn der Betrieb zu klein ist, erscheint zunächst bestechend. Aber aus dieser Gruppe der Zuerwerbsbetriebe stammen die Hof-erben, deren Ausbildung mit dem mißmutigen Besuch der landwirtschaftlichen Berufs-schule abschließt. Sie haben nichts weiter gelernt und können daher später weder tüchtiger Bauer noch tüchtiger Handwerker oder Facharbeiter werden. Gegen die Vorstellungen von Pendler-Bauern und Bauern-Pendlern sind gleichfalls Bedenken anzumelden. Der in der gewerblichen Wirtschaft arbeitende Bauer ist nicht bereit, demjenigen Bauern, der nach diesen Vorstellungen die Höfe der Pendler-Bauern bewirtschaften soll, den Vergleichslohn zu zahlen, weil für ihn dann kein Gewinn mehr übrigbliebe. Der Grüne Bericht bestätigt diese Auffassung.

Die nächstkleinere Gruppe, aus der noch Land für Aufstockungszwecke gewonnen werden kann, sind die Nebenerwerbsbetriebe. Bundesminister Höcherl hat mit dem Vorschlag der extensiven Nebenerwerbslandwirtschaft interessante Gedenken geäußert, um die Milchproduktion und Zukaufsveredelungskapazität hier für jene Betriebe frei zu machen, die wir durch Intensivierung zu Vollexistenzen aufbauen wollen. Man kann diesen Vorschlag gar nicht ernst genug nehmen, weil — wie schon angedeutet — Überproduktion für die Landwirtschaft gefährlich ist. Die Marktordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sichern die Preise für die einzelnen Produkte nämlich nur so lange, wie die Versorgung defizitär ist. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesernährungsministeriums hat inzwischen die vom Verfasser seit Jahren in diesem Zusammenhang vertretene These bestätigt und in einer klaren Formulierung zum Gegenstand seines Gutachtens über die landwirtschaftliche Struktur-und Investitionspolitik gemacht. Der Beirat sagte wörtlich: „Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen der Ausweitung des Produktionsvolumens in den aufstockenden übergangsbetrieben und dem Rückgang der Erzeugung in den ausscheidenden Übergangsund Nebenerwerbsbetrieben ist daher eine wichtige Voraussetzung für die einkommens-fördernde Wirkung des Strukturwandels."

Man nannte die Nebenerwerbsbauern kürzlich „Arbeiteraristokraten" und meinte damit diejenigen, die ein gutes Einkommen in der Industrie haben und gleichzeitig einen kleinen Hof bewirtschaften. Die Aristokraten waren einmal ein durch kriegerische oder politische Leistung, später durch Erbfolge bevorrechtigter Stand. Sie hatten meistens ihre eigenen, der Förderung des Bauerntums zuwiderlaufenden Interessen. Die heutigen Arbeiteraristokraten behindern — nach dem Gutachten der Professoren — die Ausweitung des Produktionsvolumens in den aufstockenden Ubergangsbetrieben. Mit ihren Namensvettern haben sie also gemeinsam, daß sie den Interessen der hauptberuflichen Bauern entgegenstehen — um es einmal überspitzt zu formulieren.

Unter extensiver Bewirtschaftung eines Nebenerwerbsbetriebes ist zu verstehen — um auf die Gedanken von Bundesminister Höcherl zurückzukommen —, daß sich die Familie mit der Bewirtschaftung auf eine landwirtschaftliche Heimstätte beschränkt, gewissermaßen auf eine Selbstversorgung, wie man es im Kriege nannte, und daß sie das darüber hinausgehende Land verpachtet. Die Kuh wird abgeschafft, damit man von der ständigen Bindung an den Stall befreit wird. Die Betriebe, welche von der Milchproduktion leben müssen, können dann ihre Kuhbestände aufstokken und dadurch diesen Produktionszweig rentabler gestalten.

Mit dieser extensiven Bewirtschaftung der Nebenerwerbsbetriebe durch eine teilweise Verpachtung ist ein weiteres Problem angeschnitten.

Förderung der Landabgabe

Die Erfahrung zweier Inflationen und der beiden Perioden mit Lebensmittelmarken begrenzen außerordentlich die Bodenmobilität in Deutschland. Jeder möchte sein Land als wertbeständigen und auf alle Fälle die Ernährung sichernden Besitz behalten. Diese Einstellung sollten wir achten. Wir wollen dieser Tatsache Rechnung tragen und die langfristige Verpachtung fördern; sofern der Verpächter ein Vorpacht-und Vorkaufsrecht einräumt, sollte er eine Prämie bekommen. Es sollte weiter die Möglichkeit geschaffen werden, ihm die Pacht langfristig vorauszuzahlen, damit er seine landwirtschaftliche Heimstätte verbes-sern oder einen anderen Erwerb einrichten kann. Der Aufstockung über die Landpacht sollten wir unsere größte Aufmerksamkeit schenken.

Wer ist eigentlich gegen diese Agrarstruktur-politik? Die Geister, die im Grunde ihres Herzens einer vergangenen Welt angehören, sind erfüllt von Pessimismus und ohne Glauben an die neue Zeit und ihre Erfordernisse. Die junge, nach dem Zweiten Weltkrieg geborene Generation ist es dagegen nicht. Sie ist auf dem Traktor groß geworden und sehnt sich nicht nach der arbeitsintensiven Wirtschafts-weise zurück. Sie vergleicht aber auch — und das mit Recht — den eigenen Lebensstandard mit dem der in der gewerblichen Wirtschaft tätigen Dorfbewohner. Während die Großväter noch von der Erhaltung der veralteten Agrarstruktur sprechen, laufen die Enkel längst von den Höfen, wenn diese nicht existenzfähig gemacht werden. Auf längere Sicht wird die Schrumpfung der Landwirtschaft auch ohne Abwanderung in andere Berufszweige anhalten, weil der landwirtschaftliche Nachwuchs sich pur in beschränktem Umfang für den Beruf der Landwirte entscheidet. Durch die Staatliche Förderung der Betriebsaufgabe der älteren Landwirte jenseits der Altersgrenze von 65 Jahren, wird dieser Prozeß im Einklang mit der Politik zur Verbesserung der Agrarstruktur beschleunigt.

Unsere agrarpolitische und unsere gesellschaftspolitische Vergangenheit stehen leider hoch immer dem Versuch im Wege, eine den Forderungen des Tages und vor allen Dingen eine der Zukunft Rechnung tragende grundsätzliche Neuorientierung zu finden. Diese Schwierigkeiten sind agrargeschichtlich bedingt. Wir können sie nicht so schnell überwinden; aber wir müssen feststellen, daß wir keine Zeit mehr haben angesichts der Entwicklung in der EWG einerseits und unseres Arbeitsmarktes andererseits.

Industrialisierung ländlicher Räume — Aufgabe der Raumordnungspolitik

Letzteres spielt auch im Rahmen der Agrarstrukturverbesserung eine große Rolle. Die starke Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik in den zurückliegenden Jahren wird in Zukunft durch eine Stagnation oder gar durch einen Rückgang der Zahl der deutschen Erwerbstätigen abgelöst werden. Diese Entwicklung wird im EWG-Raum nur für die Bundesrepublik erwartet, während in den anderen Partnerländern die Zahl der Erwerbstätigen zum Teil stärker als bisher ansteigen wird. Wir haben allen Anlaß, die Aufgabe der Landwirtschaft bei denjenigen zu fördern, die dazu freiwillig bereit sind: Aber wir müssen sie auf einer landwirtschaftlichen Heimstätte der ländlichen Gesellschaft erhalten und ihre Abwanderung in die Ballungsräume verhindern.

Das ist jedoch leichter gesagt als getan. In den rein landwirtschaftlichen Räumen fehlen Verkehrswege, Schulen, Krankenhäuser, Energie und Brauchwasser, Abwasserbeseitigung, und was alles erforderlich ist, bevor sich Industrie ansiedelt. Die Kreise und Gemeinden sind zu arm, um diese Voraussetzungen zu schaffen, weil sie keine Gewerbesteuer einnehmen. Vielleicht fehlt es in ländlichen Räumen auch oft an Unternehmergeist, wie er z. B. durch die von Kommunen gebildeten Gesellschaften für Industrieansiedlung im Vorfeld des Ruhrgebietes offenbar wird. Agrarstrukturverbesserung ist ein Teil der Raumordnung und ohne diese nicht sinnvoll. Ein Musterbeispiel für eine Raumordnung aus einem Guß ist zum Beispiel das Wirken der Emsland GmbH, zu der sich der Bund, das Land Niedersachsen und die betroffenen Landkreise zusammengetan haben, um das Emsland wirtschaftlich zu erschließen. Die öffentliche Hand sollte Landkreisen und Gemeinden durch Kredite und Ausfallbürgschaften helfen, die Voraussetzungen für die Ansiedlung der gewerblichen Wirtschaft zu schaffen. Das ist das wirkungsvollste Hilfsprogramm für nicht existenzfähige Kleinbauern. Rund die Hälfte der Bevölkerung in der Bundesrepublik lebt in den Ballungsräumen, die nur ein Sechstel der Bodenfläche der Bundesrepublik bedecken. Diese Konzentration der Bevölkerung bereitet große Sorgen. In manchen Großstädten steigen die Kosten, die durch die neu hinzuziehenden Bewohner für Versorgungs-und Sozialeinrichtungen entstehen, sprunghaft an, weil das Optimum der Bevölkerungsdichte schon längst überschritten ist. Man kann in Größenordnungen von 30 000 bis 50 000 DM je neu zuziehender Person rechnen. Hinzu kommt noch, daß in den Abwanderungsgebieten sich manche Investitionen infolge der Bevölkerungsabnahme in eine Fehlinvestition verwandeln würden. Außerdem wird die Zahl der Schultern, die die sozialen Kosten in den Abwanderungsgebieten tragen müssen, immer geringer. Die Verkehrsschwierigkeiten in den sogenannten Ballungsgebieten machen nach dem Gutachten über die Finanzreförm im nächn sten Jahrzehnt Investitionsaufwendungen der Gemeinden und Gemeindeverbände erforderlich, die sich auch bei Berücksichtigung der hohen Zuschüsse der Länder mit den bisher verfügbaren Mitteln nicht bewältigen lassen. Man sucht daher nach anderen Finanzquellen für die Gemeinden. Aber sollte man nicht vor allem nach Mitteln suchen, die den Zuzug in die Ballungsräume uninteressant machen? Die Fragen der Raumordnung und die der Agrarstrukturverbesserung stehen also in enger Wechselbeziehung.

Moderne Agrarstrukturpolitik tut not

Hier ist der Versuch gemacht worden, die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Aspekte sachlich und nüchtern darzulegen. Dabei wurde bewußt auf Thesen verzichtet, die als Phrasen anzusehen sind, wie — um hier nur ein Beispiel zu sagen — „Erhaltung der Kulturlandschaft". Für ihre Erhaltung brauchen wir keine Kleinbetriebe. War Ostpreußen mit seinen größeren Landwirtschaftsbetrieben nicht eine reizvolle Landschaft? Im übrigen ist die Kulturlandschaft viel stärker durch die Sozialbrache gefährdet. Immer mehr Parzellen von Kleinlandwirten in Stadtnähe, die einem außerlandwirtschaftlichen Beruf nachgehen, bleiben wüst liegen als Brutstätte für Ungeziffer, Schädlinge und Unkraut.

Der ökonomische Zwang ist langfristig gesehen auch der gesellschaftspolitische Zwang. Wenn wir gesellschaftspolitisch richtig handeln wollen, müssen wir ökonomisch denken. An die Stelle der vielen kleinen nicht existenz-fähigen landwirtschaftlichen Betriebe muß in Zukunft neben die landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe das breitgestreute Eigentum der landwirtschaftlichen Heimstätten treten. Ziel der Bundesregierung ist es seit Verabschiedung des ersten Grünen Planes, die Anpassung der Landwirtschaft an die veränderten ökonomischen Bedingungen zu erleichtern, Härten zu vermeiden und die Mobilität der Produktionsfaktoren zu erhöhen. Ein wesentlicher Teil der Maßnahmen galt und gilt der Verbesserung der Agrarstruktur. Diejenigen Betriebe, die sich auf Grund ihres geringen Produktionsvolumens einen rentablen Einsatz der technischen Hilfsmittel nicht leisten können, sind nicht in der Lage, die Kostenvorteile einer arbeitsteiligen Wirtschaft auszunutzen. Ihr Ausscheiden aus dem landwirtschaftlichen Produktionsprozeß durch Subventionen künstlich hinauszögern zu wollen, wäre volkswirtschaftlich und soziologisch verkehrt. Außerdem wären wir finanziell dazu gar nicht in der Lage. Die Diktatur der leeren Haushaltskassen zwingt auch hier zur Besinnung auf das Wesentliche und Vernünftige.

Das einzige, was dieser Politik sachlich entgegengehalten werden könnte, ist die Frage, ob unsere Vorstellungen über die untere Grenze des existenzfähigen Betriebes in 20 oder 30 Jahren noch Bestand Aber wegen dieser Frage dürfen wir eine vernünftige Gegenwartspolitik nicht unterlassen.

Dafür kann nochmals ein geschichtliches Beispiel angeführt werden. Im 16. und 17. Jahrhundert begann in der Fürstabtei Kempten die Vereinödung, die dann schließlich im Jahre 1791 durch die fürstlich-kemptische Vereinödungsverordnung geregelt wurde. Das Allgäu verdankt dieser weitsichtigen damaligen Strukturpolitik seine heute blühende Landwirtschaft. Genauso wie die vor 150 Jahren in den skandinavischen Ländern durchgeführte Verkoppelung — Vereinödung und Verkoppelung entsprechen unserer heutigen Aussiedlung und Flurbereinigung — die gegenüber unserer Landwirtschaft ungleich besseren Verhältnisse geschaffen hat.

Es ist der letzte Augenblick, um das intern längst herumgeworfene Steuer der Agrarpolitik nun auch öffentlich zu vertreten, weil, wie gesagt, der Schritt zur entscheidenden Tat stets dann möglich ist, wenn die Geister für das Neue gewonnen sind. Das ist bei der Landjugend heute der Fall. Die Agrargeschichte lehrt, daß die Ziele der Agrarpolitik sich infolge des Wandels der Verhältnisse gesellschaftlicher und ökonomischer Art ändern müssen. Die Anpassung der Landwirtschaft wird nur dann evolutionär, das heißt ohne zu große Härte und Spannungen, erfolgen, wenn die entsprechenden agrarpolitischen Maßnahmen in geeigneter Form und rechtzeitig ergriffen werden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Rudolf Hüttebräuker, Diplomlandwirt, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, geb. 22. Februar 1904 in Berlin.