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Balance in Vietnam | APuZ 48/1966 | bpb.de

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APuZ 48/1966 Balance in Vietnam

Balance in Vietnam

Bernard B. Fall

Aus einleuchtenden Gründen werden der Krieg in Vietnam und das amerikanische Engagement in diesem Konflikt nirgendwo so heftig diskutiert wie in den Vereinigten Staaten. In dieser Diskussion ist „Wahrheit" — und man könnte hinzufügen: auch die Schlußfolgerungen aus der jeweils erkannten Wahrheit —, wie George A. Carver in einem an dieser Stelle abgedruckten Beitrag aus dem April-Heft der New Yorker Vierteljahreszeitschrift FOREIGN AFFAIRS (Vietnam und die Vietcong, B 18/66) mit Recht hervorhebt, oft nur eine Funktion des Standpunktes des Betrachters. Während Carver die Verbindungen zwischen der Vietcong und dem kommunistischen Regime in Nord-Vietnam herausarbeitete und unausgesprochen für eine fortdauernde amerikanische Präsenz in Süd-Vietnam eintrat, sieht der Autor des folgenden Beitrags, der französischer Staatsbürger ist und an der bedeutendsten Negeruniversität der USA lehrt, in dem Konflikt mehr einen Bürgerkrieg und kommt somit zu ganz anderen Schlußfolgerungen. Auch dieser Beitrag ist zuerst in FOREIGN AFFAIRS (Oktober 1966) erschienen. Die Diskussion in der New Yorker Zeitschrift ist mit dieser zur amerikanischen Politik eher in Opposition stehenden Stellungnahme sicherlich nicht beendet. Wir werden auch die Abdruckerlaubnis für alle künftigen Beiträge zu diesem Thema zu erhalten versuchen.

Marneschlacht des Vietnam-Krieges?

Die kleinen, aber heftigen Kampfhandlungen, zu denen es Ende 1965 zwischen frisch eingetroffenen amerikanischen Truppen und den Chu-Luc-Einheiten (regulären Streitkräften) der Vietcong und der Nordvietnamesen kam, werden künftigen Historikern vielleicht als die erste Marneschlacht des Vietnam-Krieges erscheinen. Die Marneschlacht im September 1914 brachte den unaufhaltsam scheinenden Vormarsch der Deutschen zum Stehen und schloß damit die Möglichkeit eines französischen Zusammenbruchs, der den Krieg sofort beendet hätte, aus; aber der große Krieg mit seinen ungeheuren Verlusten an Menschen und Material zog sich noch vier Jahre hin, und noch oft waren die Deutschen dem Sieg nahe. Das gleiche geschah im Zweiten Weltkrieg im Winter 1941 vor Moskau und einige Monate später bei Guadalcanal: es trat noch keine Wende ein, aber der herannahenden Katastrophe wurde Einhalt geboten.

Dadurch, daß die kommunistischen regulären Streitkräfte in Südvietnam bei Chu-Lai, Plei-

Me und am Ia-Drang aufgehalten wurden, verloren sie vorerst an Stoßkraft und waren außerstande, am Jahresende 1965 den militärischen und politischen Zusammenbruch des Regimes in Saigon herbeizuführen, der die amerikanische „Option" in dem Konflikt gegenstandslos gemacht hätte. Aber ebensowenig wie an der Marne vor zweiundfünfzig Jahren oder bei Moskau vor einem Vierteljahrhundert war damit schon die Entscheidung gefallen. Die noch bevorstehenden harten Kämpfe können Jahre, vielleicht ein Jahrzehnt dauern, und der politische Zusammenbruch des Saigoner Regimes liegt durchaus noch im Bereich des Möglichen. Es ist jedoch wichtig, im einzelnen zu untersuchen, auf welchen militärischen und politischen Elementen dieses labile Gleichgewicht beruht und welche realen Manövriermöglichkeiten (im Gegensatz zum Wunschdenken der einen und zur Parteirhetorik der anderen Seite) die gegenwärtige Situation in Vietnam bietet.

Amerikaner tragen Hauptlast des Krieges

Auf amerikanisch-südvietnamesischer Seite beherrschten in der Zeit zwischen dem ersten größeren Einsatz amerikanischer Kampftruppen (September 1965) und dem Versuch des Saigoner Regimes, sich Ansätze einer parlamentarischen Basis zu schaffen (September 1966), zwei Vorgänge die Szene: Die Tatsache, daß die Regierung des Vizeluftmarschalls Nguyen Cao Ky seit über einem Jahr Bestand hatte, bot Planern in Saigon und Washington einen politischen „Aufhänger" für einige der Reformprogramme, die als unabdingbarer Bestandteil einer Aktion gegen die Rebellen, die diesen Namen verdient, betrachtet werden; und die Vereinigten Staaten waren in zunehmendem Maße bemüht, das Schwergewicht des Krieges möglichst weit nach Norden zu verlagern. Zu diesem Zweck setzten sie die Haupt-masse ihrer Streitkräfte in den mittelvietnamesischen Gebirgs-und Küstengebieten ein, die dem südvietnamesischen II. Korps unterstehen, und „erhöhten", wie Präsident Johnson es ausdrückte, „den Preis der Aggression", den Nordvietnam für seine Teilnahme am Krieg zu entrichten hat. Was das bedeutete, wurde am 29. Juni 1966 klar, als amerikanische Bomber öllager im Stadtgebiet von Hanoi und Haiphong angriffen und damit eine Luft-offensive einleiteten, die an Intensität die meisten Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges übertrifft

Die Entscheidungen, die zu diesem Zustand führten, wurden in Washington auf Grund der klaren Erkenntnis gefällt, daß ungeachtet früherer optimistischer Prognosen die Südvietnamesen im Begriff waren, eine Niederlage zu erleiden, die nicht die Niederlage der Franzosen von 1954, sondern die der Nationalchinesen auf dem Festland von 1948/49 kopierte. Und genau wie im Falle Chinas stand auch diesmal das amerikanische Prestige auf dem Spiel. Doch waren entgegengesetzte Auffassungen selbst in amerikanischen Militär-kreisen weit verbreitet; man war dort der Ansicht, daß die beratende Unterstützung der Bodentruppen des befreundeten Landes dem Einsatz starker amerikanischer Bodentruppen vorzuziehen sei. In einer vom Außen-und Verteidigungsministerium der USA gemeinsam herausgegebenen Broschüre, die das Vietnam-Problem in Frage-und-Antwort-Form darlegte, wurde diese Auffassung noch im August 1964 als offizieller Standpunkt vertreten. Die Antwort auf die damals hypothetische Frage', warum in Vietnam keine amerikanischen Kampfverbände eingesetzt würden, lautete folgendermaßen:

„Das militärische Problem, dem die Streitkräfte Südvietnams zur Zeit gegenüberstehen, ist primär kein Problem der Menschenreserven. Es handelt sich für sie in erster Linie darum, die Ausbildung und Ausrüstung, die Fertigkeiten und die Organisation zu erwerben, die zur Bekämpfung des Typs der Aggression, die ihr Land bedroht, geeignet sind. Die Hilfe der Vereinigten Staaten soll diese Erfordernisse befriedigen.

Die Vietcong bedienen sich des Terrors und des bewaffneten Angriffs ebenso wie der Propaganda. Die Regierungstruppen müssen auf allen geeignet erscheinenden Ebenen schlagkräftig reagieren; diese Aufgabe kann am besten von Vietnamesen erfüllt werden. Kampfverbände der Vereinigten Staaten wären in einer derartigen Guerillakriegs-Situation, in der es vor allem auf Kenntnis des Terrains, der Sprache und der örtlichen Sitten und Gebäude ankommt, in mehrerlei Hinsicht offenkundig im Nachteil. Außerdem würde ihr Einsatz Munition für die kommunistische Propaganda liefern, die fälschlich behauptet, die Vereinigten Staaten führten einen , Krieg des weißen Mannes'gegen Asiaten."

Diese scharfsichtige Darlegung der fundamentalen Nachteile eines massiven Einsatzes weißer Truppen ist ohne jeden Zweifel heute noch ebenso richtig wie 1964. Wenn die amerikanische Regierung dennoch 1965 eben das tat, was sie erst sechs Monate zuvor für unklug erklärt hatte, so kann man nur vermuten, daß sie dazu veranlaßt wurde durch eine plötzliche Verschlechterung der Lage in Südvietnam — oder durch die Plötzlichkeit, mit der man in Washington die Verschlechterung der Lage wahrnahm. Es wurde entschieden, daß der Einsatz starker amerikanischer Verbände im Erdkampf das kleinere Übel sei. Im September 1966 waren 300 000 Mann in Vietnam, und bis Ende dieses Jahres können noch weitere 100 000 hinzukommen.

Die unmittelbare Folge dieses amerikanischen Eingreifens war, daß die Hauptlast der Kämpfe jetzt von den Amerikanern statt von den Südvietnamesen getragen werden mußte; ebenso übernahmen jetzt auf der Gegenseite infiltrierte reguläre Verbände der nordvietnamesischen Volksarmee die Hauptrolle in Kämpfen im Gebiet des II. Korps und im nördlichen Teil des Gebiets des III. Korps. Zwar kann man argumentieren, daß die südvietnamesischen Truppen auch jetzt noch schwere Verluste erlitten — 11 000 Tote und 21600 Verwundete im Jahre 1965 —; aber dazu ist festzustellen, daß die Verluste der südvietnamesischen Armee größtenteils passiven Charakter hatten; sie betrafen meist nicht Truppen, die an Angriffsoperationen teilnahmen, sondern Besatzungen befestigter Plätze oder Einheiten, die auf dem Marsch überfallen wur-den Die Tatsache, daß 1965 von etwa 600 000 Soldaten rund 93 000 desertierten — eine Quote, die nach allen Berichten im ersten Halbjahr 1966 noch gestiegen ist —, deutet gleichfalls darauf hin, daß die südvietnamesische Armee noch keine gefestigte Streitmacht ist, geschweige denn ein diplomatisch stabilisierender Faktor wie die südkoreanische Armee während der Verhandlungen der Jahre 1952/53. In welchem Maße der Krieg ein „amerikanischer" Krieg geworden ist, zeigen auch die relativ hohen Verluste der amerikanischen Kampftruppen. Im Frühjahr 1966 waren von insgesamt 240 000 amerikanischen Solda-ten in Vietnam höchstens 50 000 wirkliche Kampftruppen. Auf sie entfiel jedoch, nach noch nicht einjährigem Einsatz, der größte Teil der amerikanischen Verluste von 4000 Toten und 21 000 Verwundeten. Noch schwerer waren die Verluste des Offizierskorps der Kampftruppen. Nach einer Statistik, die nur das Jahr 1965 umfaßt, betrug die Gefallenen-quote bei den Offizieren 23 Prozent. Demgegenüber verloren die amerikanischen Streitkräfte im Koreakrieg und im Zweiten Weltkrieg fünf Prozent und die Franzosen während des Indochina-Krieges etwa drei Prozent ihrer Offiziere.

Reformen blieben stecken

Was die zivile Seite betrifft, so ergibt eine gründliche Prüfung der Aussagen hoher Regierungsbeamter vor verschiedenen Kongreßausschüssen, daß die Saigoner Regierung — wie Abbe Sieys während der Französischen Revolution — am Leben geblieben ist, darüber hinaus aber wenig getan hat. Einige besonders optimistische Beobachter meinten zwar schon vor einem Jahr, kaum drei Monate nach Kys Machtantritt, daß „das von den zivilen Beratern der Regierung ausgearbeitete einfallsreiche Programm echte Begeisterung erweckt“ und daß „eine soziale, ökonomische und politische Revolution" endlich in Gang gekommen sei Die Statistik und die festgestellten harten Tatsachen zeigen ein etwas anderes Bild. In einem knappen Jahr erlebte das Land eine Inflation in der Größenordnung von 130 Prozent. Um ein weiteres unkontrolliertes Ansteigen der Preise zu verhindern, mußte die südvietnamesische Währung stark abgewertet werden. Zwar bestehen heute wie früher Hoffnungen auf eine künftige Besserung der Verhältnisse, aber erfüllt haben sie sich bisher nur für solche Vietnamesen, die an den Kreislauf der Kriegswirtschaft angeschlossen sind — als Arbeiter bei den großen Bauunternehmern, die Rollbahnen und militärische Anlagen bauen, oder auch, beispielsweise, als Kellnerinnen. Die Bodenreform ist nie recht in Gang gekommen; im letzten Jahrzehnt hat es mindestens vier verschiedene Reformen gegeben, die alle steckengeblieben sind. Das Diem-Regime enteignete insgesamt 457 000 Hektar Land, und die französische Regierung überließ bereits 1958 dem südvietnamesischen Staat 246 000 Hektar aus ehemaligem französischem Privatbesitz; aber nach einem neueren amtlichen Bericht sind bisher nur etwa 248 000 Hektar verteilt worden, das heißt soviel, wie allein aus französischem Besitz überlassen wurde. Nach einem amerikanischen Bobachter, der in Vietnam als Berater tätig war, bleibt das nicht verteilte Land zum großen Teil in der Verfügungsgewalt der Regierung und wird „gewöhnlich an den Meistbietenden verpachtet"

Natürlich ist ein Krieg nicht der günstige Zeitpunkt, um solche Reformen in Angriff zu nehmen; aber es muß Klarheit darüber bestehen, daß Südvietnam keine Wahl mehr hat, denn die Reformen sind für den Erfolg ebenso wichtig wie Granaten, oder vielmehr, sie sind noch wichtiger, weil das Ausbleiben der Bodenreform einen fast hoffnungslosen Teufelskreis schafft. Zur Zeit hat die Regierung nur 25 Prozent der nichtstädtischen Bevölkerung tatsächlich unter Kontrolle. Zahlreiche landlose Bauern müssen damit rechnen, viel zu verlieren, 6 wenn Saigon eines Tages die ländlichen Gebiete wieder unter seine Herrschaft bringt und dabei das alte Verhältnis zwischen Grundbesitzer und Pächter wiederherstellt — was in der Vergangenheit unweigerlich überall da geschehen ist, wo Regierungstruppen ein Gebiet zurückeroberten. (In manchen dieser Gebiete kehrten die Grundbesitzer auf den Nachschubfahrzeugen der einrückenden Truppen zurück, und einige Grundbesitzer konnten Truppenkommandeure durch das Versprechen, den Gewinn mit ihnen zu teilen, zur Durchführung von Säuberungsoperationen in ihrem Gebiet überreden.) Die Gewißheit, daß eine wirklich „Bauern-orientierte" Bodenreform stattfinden wird — und daß das bereits von den Vietcong verteilte Land nicht zurückgegeben werden muß —, wäre daher wahrscheinlich mehr als jede andere Anti-Rebellen-Maßnahme geeignet, die Stimmung der Bauernschaft zugunsten der Regierung zu verändern. Damit erhebt sich aber das viel ernstere Problem, ob die Grundbesitzer-orientierte Führungsgruppe in Saigon — gleichgültig, ob sie aus Generalen oder Ärzten besteht, was abwechselnd der Fall zu sein scheint — geistig imstande ist, eine solche Revolution durchzuführen.

Zentralismus gegen Regionalismus

Schließlich hat Südvietnam politische Probleme zu bewältigen, mit denen es sich auch ohne Vietcong-Aufstand etwa in der gleichen prekären Lage befände wie die Dominikanische Republik vor einem Jahr. Bei allen, die über dieses Thema schreiben, ist es eine Art Ritual geworden, das Erbe der französischen Kolonialherrschaft für die gegenwärtigen Übel-stände verantwortlich zu machen. Doch leider kann man damit nicht erklären, wieso in Nordvietnam, das die gleiche Kolonialherrschaft hinter sich hat, kein Zerfall des Verwaltungsgefüges festzustellen ist; und ebenso-wenig liefert dieses Argument eine Erklärung dafür, daß zwölf Jahre intensiver Ausbildung von Verwaltungspersonal in Südvietnam mit amerikanischen Geldern und Lehrkräften das Problem anscheinend einer Lösung nicht nähergebracht haben. Der Grund ist: Die Wurzeln der Übelstände Südvietnams liegen tiefer.

Der Regionalismus ist in Vietnam eine Lebens-tatsache, die durch keine Zentralisierung übertüncht werden kann. Aus unerforschlichen Gründen wurde 1954 beschlossen, ein im großen und ganzen vernünftig dezentralisiertes Verwaltungssystem durch eine hochzentralisierte Verwaltungsstruktur nach französischem Muster zu ersetzen Mehr und mehr Macht wurde auf die schwachen Schultern der zentralen Bürokratie in Saigon gehäuft, während so „natürliche" Verwaltungseinheiten wie die Region oder der Distrikt entweder abgeschafft oder aller wirklichen Machtbefugnisse entkleidet wurden. Das Dorf, das die Wiege eines repräsentativen Regierungssystems von Jeffersonschem Typ hätte sein können (die Franzosen fanden ein gut funktionierendes örtliches Wahlsystem vor und überließen, wie alle Kolonialmächte, das Dorfleben sich selbst), wurde auf Befehl Ngo Dinh Diems im Juni 1956 seiner gewählten Amtspersonen beraubt und bekam zum ersten Male alle Mißstände zentraler bürokratischer Willkür zu spüren, ohne dafür durch einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung entschädigt zu werden. Um zu größeren Maßstäben überzugehen: die Sekten Hoa-Hao und Cao-Dai, die etwa 3 Millionen Mitglieder in einem ausgedehnten Gebiet nördlich und westlich von Saigon zählen, befanden sich bis zur Ermordung Diems im November 1963 im Zustand mehr oder weniger offener Gegnerschaft zur Saigoner Regierung. Die Gebirgsstämme des Hochlandes, das fast 65 Prozent des südvietnamesischen Territoriums ausmacht, waren einer politischen und wirtschaftlichen Unterdrückung ausgesetzt, die amerikanische Experten schon 1957 für gleichbedeutend mit Genozid erklärten. Diese Stämme bildeten eine Organisation namens FULRO (Front Unifie de la Lutte des Races Opprimees), die in ihrer religiös gefärbten Kampfstimmung eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „schwarzen Nationalismus" in den Vereinigten Staaten aufweist. Es kam zu zwei größeren Erhebungen, die gerade noch rechtzeitig von wohlgelittenen amerikanischen Beratern beschwichtigt werden konnten. Die Amerikaner befanden sich dabei in der seltsamen Position eines ehrlichen Maklers zwischen zwei „vietnamesischen" Volksgruppen.

Buddhismus und Katholizismus

Das bei weitem ernsteste regionale Problem ist der Buddhismus und der Katholizismus. Der Ausdruck „regional" wird hier mit Bedacht gebraucht, denn im heutigen Südvietnam wird der Katholizismus im wesentlichen von den aus dem Norden kommenden zivilen Flüchtlingen dieses Glaubensbekenntnisses repräsentiert (fast 600 000 von insgesamt 850 000), während der Buddhismus zwar in ganz Vietnam lau praktiziert wird, seine entschiedensten und traditionsbewußtesten Anhänger aber im zentralen Küstengebiet rund um die alte Kaiserstadt Hue hat. In religiösen Dingen sind die Menschen selten tolerant, und die Vietnamesen sind vielleicht noch weniger tolerant als die meisten anderen. Rechnet man noch hinzu, daß die Katholiken, obwohl sie nur etwa elf Prozent der Bevölkerung ausmachen, unter Diem fast ein Jahrzehnt lang an der Macht waren und daß das Offizierskorps der südvietnamesischen Armee bis heute zu fünfzig Prozent aus Katholiken besteht, so ist klar, daß unter diesen Umständen überall eine explosive Situation entstanden wäre. Mangels einer allgemein anerkannten Staatsautorität müssen die Menschen in Vietnam Zuflucht bei der einzigen gesellschaftlichen Struktur suchen, der sie vertrauen können — ihrer Religion. Es war daher keineswegs verwunderlich, daß die Buddhisten versuchten, Macht zu erobern — ebenso wie es weit kleinere Gruppen vor ihnen mit großem Erfolg getan hatten.

Das Argument, die Buddhisten seien eventuell nicht „bereit", die Zügel der Regierung zu übernehmen, geht am Sachverhalt vorbei. Buddhisten als Einzelpersonen befinden sich ja schon längst in Machtpositionen, unter ihnen Ministerpräsident Ky, ein Buddhist aus Nordvietnam. Richtig ist jedoch, daß der buddhistischen politischen Organisation in Saigon, die sich um das Vien Hoa Dao (Institut zur Volendung des Dharma) gruppiert, noch ein politisches Programm fehlt, das sie offen proklamieren kann. Dies ist buchstäblich zu verstehen; denn es ist bekannt, daß viele Buddhisten für eine Beendigung des Krieges durch Verhandlungen eintreten, aber nach den derzeit geltenden Gesetzen würde eine Äußerung in diesem Sinne dem, der sie täte, eine Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren eintragen. Da die Buddhisten nicht offen ein Programm der Mäßigung oder des Neutralismus vertreten können, sind sie gezwungen, mit vagen Begriffen wie „soziale Revolution", „wahre Demokratie" und anderen unverbindlichen Parolen zu operieren. Das ist freilich kein Programm, das geeignet wäre, die kriegsmüden Vietnamesen zu höchstem Einsatz gegen die Vietcong — oder aber gegen Saigon — mitzureißen. Wohl die schärfste Zuspitzung erfuhr das Dilemma im letzten Frühjahr, als die Buddhisten in Zentralvietnam von Truppen der südvietnamesischen Armee zu demütigender Kapitulation gezwungen wurden. Damals standen mehr als fünf reguläre nordvietnamesische Regimenter im Gebiet des I. Korps. Wären die Buddhisten und die meuternde 1. Division der südvietnamesischen Armee zu ihnen übergegangen, so hätten sie nahezu die Hälfte Südvietnams in die schlimmste Katastrophe stürzen können, und die Folgen in Washington und Saigon wären unberechenbar gewesen, ganz zu schweigen von der übrigen Welt. Aber die Buddhisten ließen lieber ihre politischen und militärischen Führer durch Ministerpräsident Ky festnehmen und setzten sich der Gefahr politischer Vernichtung aus, als daß sie von den äußerst ungewissen Möglichkeiten eines Bündnisses mit der Nationalen Befreiungsfront — dem politischen Arm der allgemein als Vietcong bekannten Bewegung — Gebrauch gemacht hätten.

Ende Juli 1966 griff Ministerpräsident Ky plötzlich eine Lösung auf, die einer seiner Vorgänger, General Nguyen Khanh, 1964 gern im Munde führte: „Bac Tien!“ („Laßt uns nach Norden marschieren!"). Gerade dieser Extremismus könnte nicht nur bei den buddhistischen Führern, sondern auch bei den gemäßigten Katholiken des Paters Hoang Quynh einen Reifevorgang auslösen und zu einem Bündnis zwischen den beiden religiösen Gruppen führen. Dieses wiederum könnte zu einer politischen Machtbasis werden, die weder von einer fremden Ideologie noch von der Anwesenheit starker ausländischer Truppen abhängig wäre.

Militärisches Patt?

Vor diesem Hintergrund von Frustration und Aufruhr muß man die militärischen Leistungen des letzten Jahres sehen. Man darf nicht einfach die abstrakten militärischen Maßstäbe anlegen: Vermehrung der Truppenstärke, verbrauchte Munition, getötete Feinde, zerstörte Gebäude, beschlagnahmte Reisvorräte, erbeutete Waffen, verlorene Waffen, verwüstete Reisfelder. Nicht, daß solche Maßstäbe an sich falsch wären, sie sind nur für das, was wirklich vorgeht, bedeutungslos.

Vor allem muß der Krieg danach beurteilt werden, ob er die ihm gesteckten Ziele erreicht hat. Legt man das 1961 aufgestellte Ziel zugrunde, Südvietnam mit Hilfe eines 18-Monate-Plans der Rebellenbekämpfung zu „befriedigen", dann ist das Unternehmen schon gescheitert. Das gleiche gilt für die Zielsetzung, die Verteidigungsminister McNamara am 2. Oktober 1963 verkündete: „Der größere Teil der militärischen Aufgabe der Vereinigten Staaten in Vietnam kann bis Ende 1965 abgeschlossen sein." Wenn das nächste Ziel darin bestand, die wachsende Rebellion in Südvietnam lediglich mit verstärkter amerikanischer Beratertätigkeit und vielleicht noch mit der „antiseptischen" Hilfe von Flugzeugen und Kriegsschiffen mit amerikanischer Besatzung niederzuschlagen, so erlebte diese Politik ihr Fiasko im Jahre 1964. Ebenso ist eine taktische Maßnahme wie die Bombardierung Nord-vietnams zu beurteilen. Sie wurde zuerst als Vergeltungsmaßnahme gegen einen Partisanenüberfall auf den amerikanischen Stützpunkt Pleiku erklärt, dann als Maßnahme zu dem Zweck, den Zustrom von Menschen und Material aus Nordvietnam zu den Insurgenten zu unterbinden, schließlich einfach als politische Maßnahme mit dem Ziel, die Nordvietnamesen an den Verhandlungstisch zu bringen Da offen zugegeben wurde, daß der Vergeltungsaspekt nur für eine begrenzte Zeit als Begründung brauchbar war, brauchen hier nur beiden anderen Aspekte betrachtet zu werden. Als Verteidigungsminister die McNamara Bombenangriffe auf Vorratslager in der Nähe der bis dahin als „tabu" geltenden Städte Hanoi und Haiphong erläuterte, teilte er mit, in dem Jahr seit Beginn der Bombardierung seien die kommunistischen Nachschublieferungen um 150 Prozent und die Infiltration von Truppen um 120 Prozent gestiegen. Zwei Tage später sagte Präsident Johnson in Omaha, die früheren Dschungelpfade seien an vielen Stellen zu voll ausgebauten „Boulevards" für Kraftfahrzeuge geworden.

Trotz einer Bombenmenge, die mit 250 000 Tonnen im Jahre 1965 alles weit übertraf, was je auf ein so kleines Zielgebiet abgeworfen worden ist, haben also die Luftoperationen — ähnlich wie die Unternehmen „Strangle“ und „Choke" in Korea vor fünfzehn Jahren — offensichtlich keine entscheidenden Ergebnisse erbracht. Was die politische Wirksamkeit der Luftoperationen betrifft, so liegt das Resultat klar zutage: Die Unnachgiebigkeit Hanois ist noch gewachsen, und die russische Hilfe-leistung an Hanoi hat allmählich zugenommen, zumindest auf dem Gebiet der Luftabwehr. Mit all dem könnte sich eine Patt-Situation abzeichnen, wäre nicht die Tatsache, daß — im Gegensatz zum Korea-Krieg — vorläufig keine Grenze der amerikanischen Kraftentfaltung in Vietnam abzusehen ist. Wie es scheint, ist weder im Hinblick auf Haushaltsmittel noch auf Truppenstärke das verfügbare Maximum erreicht, und wenn dem militärischen Einsatz Grenzen gesetzt sind, so liegt das offenbar mehr an der Schwierigkeit, geeignete Stationierungsgebiete und Nachschubeinrichtungen zu finden, als an mangelndem Willen Washingtons, massive Verstärkungen zu entsenden. Immerhin dürfte der Bedarf an Menschen diesen Herbst erheblich werden: etwa 165 000 jetzt in Vietnam stehende Soldaten beenden ihre einjährige Dienstzeit; rechnet man hinzu, daß es für wünschenswert erachtet wird, die Gesamtstärke der amerikanischen Truppen in Vietnam bis Ende 1966 auf 400 000 zu bringen, so bedeutet dies, daß mindestens eine Viertelmillion neue Soldaten kurzfristig nach Südostasien in Marsch gesetzt werden muß. Zu all dem sind die Vereinigten Staaten selbstverständlich in der Lage, ebenso zu

den vielen „ Aufspürungs-und Vernichtungs-Operationen", die angeblich die Vietcong daran gehindert haben, eine „Monsun-Offensive" zu starten. Ironischerweise behaupten die Nordvietnamesen, die amerikanische „Trokkenzeit-, Gegenoffensive'" sei gleichfalls fehlgeschlagen Die Verluste des Feindes sind hoch, sie erreichen dieses Jahr vielleicht 60 000 Tote; aber die gegenwärtige Infiltrationsquote wiegt wahrscheinlich diese Verluste auf, und die örtliche Rekrutierung in Südvietnam beläuft sich noch immer auf 3500 Mann monatlich. Die Gesamtstärke der Vietcong-und Volksarmeestreitkräfte ist im vergangenen Jahr von 110 000 auf 270 000 Mann gestiegen. Die derzeitigen amerikanischen Zangenoperationen, deren Ergebnis bei zehntägigem Einsatz von oft mehr als 10 000 Mann einige hundert tote Feinde zu sein pflegen, sind alles in allem nicht wirkungsvoller als seinerzeit französische Operationen ähnlichen Ausmaßes (die Franzosen setzten Fallschirmjäger-Battaillone ein, während die Vereinigten Staaten Hubschrauber-Einheiten verwenden).

Es ist unwahrscheinlich, daß auf diese Weise strategisch bedeutsame Fortschritte zu erzielen sind, ehe nicht ein Truppen-Sättigungsgrad erreicht ist, der die ständige Besetzung gesäuberter Gebiete in einer den Angreifer abschreckenden Stärke gestattet. Experten, die eine solche Taktik befürworten, namentlich Hanson W. Baldwin, halten sie für die logische Fortsetzung des jetzigen Vorgehens und schätzen, daß bei einer Million amerikanischer Soldaten der Sättigungsgrad ausreichend wäre. Interessanterweise wird diese Ansicht von der Gegenseite geteilt. In einem Interview im Januar 1965 vertrat der Vorsitzende der Befreiungsfront, Nguyen Huu Tho, die überzeugende These: „Kriege gewinnt man nicht mit Bomben und Artillerie, sondern mit Infanterie, die Gebiet besetzen kann"

Wenig Neigung Hanois zu Verhandlungen

Rekonstruieren wir die militärisch-politische Landschaft, wie sie sich den kommunistischen Planern in Hanoi oder im Dschungelhauptquartier der Befreiungsfront darbietet: Ihre Truppen und ihre unterirdischen Verwaltungsorgane haben den Besitzstand des vorigen Jahres trotz schwerer Verluste großenteils gehalten, und sie sind mit kleinen taktischen Anpassungen noch fähig anzugreifen. Die Bombenangriffe im Norden wie im Süden haben ihr Nachschub-und Ersatzsystem angeschlagen, aber noch nicht entscheidend getroffen (Verteidigungsminister McNamara hat es ihnen bestätigt). Der amerikanische Einsatz im Erdkampf hat ihnen die Aussicht auf einen stürmischen Siegeslauf genommen, aber noch nicht das Ausmaß erreicht, das eine kommunistische Niederlage zur Gewißheit machen würde. Saigon hat zwar schöne Pläne auf dem Papier, muß aber erst noch zeigen, ob es wirksame Reformen durchführen kann. Und außen-politisch zeichnen sich die Umrisse einer umfangreicheren sowjetischen Hilfe ab, die eine

Verschlechterung des russisch-amerikanischen Verhältnisse nach sich ziehen muß.

Wenn die Kommunisten die Lage etwa in dieser Weise einschätzen — sehr wahrscheinlich tun sie es —, dann ist leicht einzusehen, weshalb Hanoi und die Befreiungsfront so wenig Neigung zeigen, sich auf Verhandlungen einzulassen, in denen sie sich zum vollständigen und dauernden Abbau des gesamten kommunistischen Apparats in Südvietnam verpflichten sollen, während ihnen als Gegenleistung ein kleiner Anteil an einem Wirtschaftsentwicklungsplan geboten wird, für den im ganzen ebensoviele Mittel vorgesehen sind, wie die Vereinigten Staaten für fünfzehn Tage Kriegsführung in Südvietnam ausgeben. Viel hängt deshalb davon ab, ob Hanoi und die Guerillas im Süden die Entwicklung des Krieges in genau dem gleichen Lichte sehen. Denn die Opfer, die von ihnen am Konferenz-tisch und — bis auf weiteres —an der Kampffront erwartet werden, sind ganz verschiedener Natur.

Bürgerkrieg oder nordvietnamesische Aggression?

Die Debatte um Vietnam dreht sich zum großen Teil um den eigentlichen Charakter des Feindes. Entweder ist Nordvietnam der „Aggressor“, dann ist das militärische Vorgehen gegen es gerechtfertigt, oder der Konflikt ist im wesentlichen ein Bürgerkrieg, und die Vereinigten Staaten sind ausländische „Interventen".

Die Zeitschrift Foreign Altairs brachte vor einiger Zeit ein ungewöhnlich durchdachtes und wohlbegründetes Plädoyer für die erste Auffassung Aber eben weil es so wohl-begründet war, lieferte es, seinem Verfasser unbewußt, auch einige Argumente für den entgegengesetzten Standpunkt. Und da es fast ausgeschlossen ist, die mögliche Entwicklung in Vietnam rational zu diskutieren, solange Unklarheit über den wahren Charakter des Gegners besteht — meiner Überzeugung nach liegt er irgendwo zwischen den beiden oben skizzierten Extremen —, muß man erst noch näher untersuchen, wer die Vietcong sind, ehe man sie endgültig als „gesichtslos" abtun kann.

Von vornherein kann man einräumen, daß jedes kommunistische Mitglied der Nationalen Befreiungsfront in Südvietnam zugleich Mitglied der Lao Dong, der Kommunistischen Partei Vietnams, ist und daß Nordvietnam, das 1954 den Krieg gegen Frankreich ganz eindeutig gewonnen hatte, der Überzeugung war, es werde auch Südvietnam unter seine Herrschaft bringen, entweder durch die für Juli 1956 vorgesehenen Wahlen oder zu einem späteren Zeitpunkt. Ich möchte jedoch bezweifeln, daß Hanois Entschluß, sich in die südvietnamesischen Angelegenheiten einzumischen, durch eine „zunehmende Auseinanderentwicklung des politischen Lebens in Nord und Süd" veranlaßt worden ist. Denn selbst dem blindesten Optimisten mußte klar werden, daß sich die politischen Zustände in beiden Teilen Vietnams keineswegs „auseinanderentwickelten", sondern einander zu gleichen begannen, wie sich nur Extreme gleichen können: von der allmählichen Verfälschung parlamentarischer Formen bis zu den Konzentrationslagern und zur Verfolgung religiöser Gruppen. Die Existenz eines „Zentralamts für Wiedervereinigung" in Hanoi, von der so viel hergemacht wird, ist sicher aufschlußreich — bis man sich überlegt, daß die Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen besitzt, dem natürlich Ostdeutschland und die Sowjets ähnlich finstere Absichten unterstellen, obwohl man zweifellos annehmen kann, daß das Bonner Ministerium harmloser ist als ein Hanoier Komitee mit dem gleichen Aufgabenbereich.

Sehr fraglich ist auch, ob, wie behauptet wird, der erste Beweis für die Intervention Hanois eine Terrorkampagne gegen kleine südvietnamesische Beamte war. Tatsächlich begann Diem schon im Januar 1956 mit Unterdrükkungsmaßnahmen. Eine Verordnung über Konzentrationslager (Nr. 6 vom 11. Januar 1956) gab dem Regime fast unbeschränkte Vollmacht, gegen die Opposition vorzugehen — und die nichtkommunistische Opposition, mit illegaler Tätigkeit am wenigsten vertraut, wurde am härtesten betroffen. Im Mai 1966 sprach erstmalig eine amerikanische Dienststelle, das Public Affairs Office in Saigon, offen aus, was längst eine wohlbekannte Tatsache war — daß nämlich einige der sogenannten „politisch-religiösen" Sekten den Kern der frühen Opposition bildeten: „Zehn der elf Untersekten [der Cao-Dai] hatten sich gegen Diem gewandt, und ihre Führung floh nach Kambodscha oder tauchte unter. ... Die Mitglieder der anderen zehn Sekten bildeten die Hauptstütze der frühen Nationalen Befreiungsfront, doch handelte es sich nur um ein loses Bündnis. . . . . . . Die Sekte [Hoa-Hao] gründete 1952 die Sozialdemokratische Partei als ihren politischen Arm. Auch sie wandte sich gegen Diem, und 1956 wurden ihre Armeen von der südvietnamesischen Armee zerschlagen. Wie die Cao Dai war sie frühzeitig und stark an der Nationalen Befreiungsfront beteiligt. . .. ... Die dritte esoterische Sekte Vietnams, die Binh Xuyen, die auch von Diem zerschlagen wurde, arbeitete gleichfalls in ihrer Frühzeit mit der Nationalen Befreiungsfront zusammen."

Das Maß wurde voll, als Diem im Juni 1956 (also gleichfalls vor dem Wahltermin Juli 1956, zu einer Zeit, da die Kommunisten besonders um Wohlverhalten bemüht waren) seinen wohl folgenschwersten Entschluß faßte, nämlich die gewählte Selbstverwaltung der Dörfer aufzuheben. Die verhaßten ernannten Beamten wurden zur Zielscheibe der Volks-wut, und bis März 1958 waren über 400 von ihnen durch Partisanen ermordet worden, die, wie Carver erwähnt, „örtliche Fragen in den Vordergrund stellten und es vermieden, die marxistische Doktrin zu predigen". Bedenkt man, daß hinreichend „örtliche Fragen" vorhanden waren, um selbst die südvietnamesische Armee zu mindestens drei Anschlägen auf das Leben Diems zu veranlassen, so wird verständlich, daß Hanoi Südvietnam für eine reife Frucht hielt, die es nur zu pflücken brauchte. Mit anderen Worten: Ohne Zweifel machten sich Hanoi und auch die in Südvietnam zurückgebliebenen kommunistischen Elemente nach 1959 die offenkundigen Schwächen Saigons zunutze. Aber die Kommunisten sind wohl kaum verantwortlich für die unglaubliche Dummheit des Diem-Regimes und für die einigermaßen erstaunliche Blindheit seiner amerikanischen Ratgeber gegenüber seinen Fehlern. Und ebensowenig ist zu leugnen, daß es innerhalb Südvietnams, auf der Linken wie auf der Rechten, viele Gründe für eine revolutionäre Explosion gab.

Parallelen zur französischen Widerstandsbewegung

Der nächste Punkt, der geklärt werden muß, ist nicht, ob der Aufstand in Südvietnam von Nordvietnam aus geschürt, geleitet und unterstützt wird (er wird es in großem Umfang), sondern ob eine solche Lenkung von außen die Existenz wirklicher Ziele ausschiießt, die spezifische Ziele der Aufständischen und nicht so sehr ihrer außenstehenden Förderer sind. Was hier gemeint ist, illustrieren die jüngsten britischen Enthüllungen über die Special Ope-rations Executive (SOE) — so hieß 1940 bis 1946 das britische Gegenstück zur amerikanischen Central Intelligence Agency — und den enormen Einfluß, den dieser Geheimdienst auf die Widerstandsbewegung in Frankreich ausübte. Nach der jetzt veröffentlichten offiziellen Geschichte der SOE-Tätigkeit in Frankreich hatten „die Briten bis 1944 praktisch ein Monopol über alle Verbindungen de Gaulles nach Frankreich"; die Franzosen konnten ohne Erlaubnis und Hilfe der Verbündeten „keinen einzigen Agenten und keinerlei Material [nach Frankreich] bringen", und „gegen jeden ihrer Pläne, sofern er nennenswerte politische Bedeutung hatte, konnte jeder der drei westlichen Hauptverbündeten sein Veto einlegen". Doch nachdem die offizielle Geschichte genau das bekräftigt hat, was die Vichy-Franzosen und die Nazis schon seinerzeit stets behaupteten, nämlich, daß die französische Widerstandsbewegung eine „angelsächsische Verschwörung" und die Widerstandskämpfer (darunter der Verfasser dieses Artikels) ausländische Agenten seien, trifft sie eine entscheidende Feststellung: „Alle diese Siege der Widerstandskräfte in Frankreich hatten eine gemeinsame Grundlage: Unterstützung durch die überwältigende Mehrheit des Volkes."

Die Geschichte der französischen Widerstandsbewegung zeigt zwei harte Tatsachen, die auch für die Vietcong zu gelten scheinen: a) Trotz übermächtiger technischer Kontrolle durch die Alliierten gelang es de Gaulle, sich die politische und militärische Loyalität der verschiedenen Guerilla-Streitkräfte in Frankreich zu sichern; b) de Gaulle mußte seine Vorstellungen und Wünsche den Vorstellungen und Wünschen der Widerstandsbewegung im Lande anpassen, die die Hauptlast des vierjährigen Kampfes trug und den größten Teil der Opfer brachte. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Vietcong-Führern, die jetzt seit sechs Jahren im Kampfe stehen (manche seit zwanzig Jahren!), und den Theoretikern und Militärs in Hanoi gehen in vielen Fällen weit über den normalen innerparteilichen Kampf oder über bloße taktische Differenzen hinaus. Einige Tatsachen verdienen Beachtung: Auf-dem Posten des Generalsekretärs der Nationalen Befreiungsfront gab es dreimal Umbesetzungen, ohne daß gleichzeitig in Hanoi eine Säuberung stattgefunden hätte. Das Fünf-Punkte-Manifest der Befreiungsfront vom 22. März 1965 wurde zuerst in der,, Dschungel-fassung“ veröffentlicht; die Version, die Hanoi später durch den Rundfunk verbreitete, enthielt 39 umfangreiche Zusätze und Text-veränderungen, in denen manche Formulierungen abgemildert waren. Befreiungsfront-Führer, die mit geachteten westlichen Beobachtern auf neutralem Boden zusammentrafen, erklärten spontan und offen, warum sie mit den „engstirnigen Kommissaren in Hanoi" nicht übereinstimmten. Und schließlich haben sich die Vereinigten Staaten und Hanoi jetzt offiziell auf die Rückkehr zu einer Konferenz vom Genfer Typ festgelegt (wobei die Klausel über Wahlen binnen zwei Jahren vermutlich inbegriffen ist), während die Befreiungsfront bisher Genf nicht in ihr Programm ausgenommen hat, sondern eine flexible Formel vorzieht, die von späterer Wiedervereinigung in ausgehandelten Etappen spricht.

Die Beziehungen zwischen der Vietcong und Hanoi

Es ist leicht, diese Unterschiede als bloße Tarnmanöver abzutun (manche Leute glauben ja auch, der chinesisch-sowjetische Konflikt sei nur ein großer Bluff zur Irreführung des leichtgläubigen Westens) und zu glauben, die Befreiungsfront sei nichts weiter als „ein künstlich geschaffener politischer Mechanismus ohne bodenständige Wurzeln", wie Carver versichert. Wenn dem so ist, dann muß man sagen, daß die 220 000 Vietcong (die neben 50 000 regulären Volksarmisten im Einsatz sind und deren Verluste sich in den letzten drei Jahren auf 100 000 Tote und 182 000 Verwundete belaufen sollen) für zwangsweise ausgehobene und ferngelenkte Soldaten recht gut kämpfen. Desertieren könnten sie ebenso leicht wie die Soldaten der südvietnamesischen Armee, aber bisher scheint die Desertionsquote bei den Vietcong mit der Zunahme der Truppenstärke auf kommunistischer Seite parallel zu laufen.

Bleibt noch das Argument der „Gesichtslosigkeit": Die Führer der Befreiungsfront sind in ihrem eigenen Lande kaum bekannt. Aber vor vier Jahren kannten nur ein paar vietnamesische Militärs den General Ky, und noch vor zwei Jahren dachte kein Mensch daran, daß er einmal Regierungschef werden könnte. Illegalität ist für führende politische Persönlichkeiten nicht attraktiv; man muß schon Fachmann sein, um sich an Führer europäischer Widerstandsbewegungen — außer Marschall Tito — zu erinnern. Immerhin trägt die Propaganda der Befreiungsfront dafür Sorge, daß ihre Führer nicht anonym bleiben: von mindestens vierzig höheren Führern sind Biographien mit Fotos veröffentlicht worden

sozialen Herkunft nach unterscheiden sie Ihrer sich nicht von der vietnamesischen Führungsschicht im allgemeinen; es sind unter ihnen Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und sogar Offiziere (sowie einige Frauen und Angehörige von Bergstämmen, die mehr in das klassische Bild der „Einheitsfront" passen). Und sie haben ein wichtiges gemeinsames Merkmal, das bisher keine Saigoner Regierung aufwies: sie sind alle südlich des 17. Breitengrades zu Hause.

Nichts von dem hier Gesagten rechtfertigt Hanois Behauptung, die Befreiungsfront sei „die einzige legitime Stimme des südvietnamesischen Volkes". Aber nichts rechtfertigt auch die entgegengesetzte Behauptung, daß die Befreiungsfront ohne Hanois volle Unterstützung sich wie eine Fata Morgana in nichts auflösen würde. Carver sagt völlig richtig: „Die Vietcong-Organisation ist fraglos ein Hauptfaktor auf der politischen Bühne Südvietnams." Dann muß man sie aber auch behandeln als das, was sie ist — als eine politische Kraft in Südvietnam, die man nicht einfach mit B-52-Bombenteppichen vom Erdboden vertilgen kann und der man auch nicht sagen kann, sie möge ihre Sachen packen und nach Nordvietnam ins Exil gehen.

Noch etwas spricht gegen die Annahme, Hanoi könnte (wenn es wollte, es scheint aber nicht zu wollen) die Partisanenbewegung im Süden abdrehen wie einen Wasserhahn: die Tatsache nämlich, daß Hanoi seit März 1946 viermal mit dem Westen Übereinkünfte auf Kosten der Südvietnamesen getroffen hat. Die französischvietnamesische Vereinbarung vom 6. März 1946 sah einen vietnamesischen „freien Staat mit eigener Regierung, eigenen bewaffneten Kräften und eigenen auswärtigen Beziehungen" vor, überließ aber das eigentliche Süd-vietnam (das heißt Cochinchina) der französischen Herrschaft, unter der, wie sich herausstellte, die Vietminh schweren Verfolgungen ausgesetzt waren. Der französisch-vietnamesische modus vivendi, den Ho Chi Minh am 14. September 1946 in Paris unterzeichnete, bekräftigte diese scheinbare „Preisgabe" des Südens. Im Genfer Abkommen vom Juli 1954 wurde Südvietnam auf mindestens zwei Jahre den harten Händen des Diem-Regimes ausgeliefert; Nguyen Huu Tho selbst bestätigte in einem Interview mit Wilfred Burchett, daß „dieser zweijährige Aufschub der Wiedervereinigung mit gemischten Gefühlen ausgenommen wurde". Als 1956 weder Hanoi noch Peking (noch Moskau) energische Einwände gegen die Nichtabhaltung der Wahlen erhoben, muß es selbst den begriffsstutzigsten Anhängern Hanois südlich des 17. Breitengrades klar geworden sein, daß die nordvietnamesischen Kommunisten etwas unzuverlässige Verbündete sind.

„Politisierung" des Vietnam-Problems

Das sind simple historische Tatsachen, nicht Interpretationen dunkler Stellen in dreistündigen Reden kommunistischer Führer. Sie machen es schwer, mit Hilfe der reinen „Aggressions" -Theorie zu erklären, warum die gleichen kommunistischen Führer (in Hanoi und zumindest in Peking) sich 1958 für einen höchst gefahrvollen Partisanenkrieg entschieden, statt 1956 den Versuch zu machen, Südvietnam in scharfem politischem Kampf zu gewinnen: durch einen Appell an die Vereinten Nationen für Wiedereinberufung der Genfer Konferenz von 1954, durch Anrufung des Internationalen Gerichtshofes zwecks Interpretation der Abkommen, oder einfach durch eine großangelegte Propaganda-Offensive Die Tatsache der wiederholten Preisgabe erklärt weitgehend, warum Nordvietnam so wenig Neigung zeigt, sich an den Konferenztisch zu setzen. Washington hat anscheinend manchmal das Gefühl, daß die plötzliche Einberufung einer Konferenz den Widerstandsgeist der südvietnamesischen Regierung lähmen könnte; denn die Südvietnamesen als Volk wissen nur zu gut, wie es ohne umfassende amerikanische Hilfe um ihre militärische Lage stünde. Aber auf der Gegenseite gibt es gleichfalls Probleme: Eine Friedenskonferenz, auf der Hanoi abermals für die Insurgenten im Süden spräche und diese selbst nicht vollwertig vertreten wären, würde angesichts seines Verhaltens in der Vergangenheit bei den Vietcong den Verdacht erwecken, es sei ein fünfter „Ausverkauf" geplant. Auch andere Länder haben „Glaubwürdigkeitslücken".

Doch eben diese symmetrische Schwäche eröffnet meiner Ansicht nach neue Perspektiven für die Behandlung des Vietnam-Problems als Ganzes. Lapidare Formeln haben zwar in der Vergangenheit mehr Verwirrung als Nutzen gestiftet, aber vielleicht kann man doch sagen, daß ernsthaft versucht werden muß, den Vietnam-Konflikt nicht weiter zu „militarisieren", sondern vielmehr zu „politisieren" und als das zu behandeln, was er wirklich ist: ein lokaler Konflikt mit Unterstützung von außen, der außer Kontrolle geraten ist, nicht aber das Stalingrad oder El Alamein einer weltweiten Konfrontation im Kalten Krieg.

Die Annahme, ein „Sieg" der freien Welt in Vietnam könnte jemanden von der Anzettelung revolutionärer Partisanenkriege in anderen Teilen der Welt abschrecken, ist ebenso unbegründet wie 1938 die Hoffnung, die Nazis würden Lehren aus der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg ziehen, oder wie die Erwartung, daß Guerillakämpfer in Kuba, Venezuela, Laos, Burma, Thailand oder Südvietnam aus den Niederlagen kommunistischer Partisanen in Griechenland, Aserbeidschan, den Philippinen, Malaya oder dem Kongo etwas „lernen" würden. Falls sie überhaupt etwas daraus „lernen", dann vielleicht dies: Sofern nicht das örtliche Regime in gewissem Umfang echte Reformen durchführt, kann selbst die stärkste Militärmacht der Welt von leichtbewaffneten Bauernpartisanen und der Infanterie eines kleinen unterentwickelten Landes für lange Zeit erfolgreich patt gesetzt werden. Es mag sein, daß dieser Satz nicht immer so klar erwiesen scheinen wird wie in letzter Zeit.

Lösung durch Verhandlungen

In diesem Fall kann der augenblickliche Gleichgewichtszustand in Südvietnam (unter Einschluß der amerikanischen und nordvietnamesischen Streitkräfte) als politischer Ausgangspunkt benutzt werden, von dem aus das ganze Problem neu angegangen werden kann, und zwar etwa auf folgender Linie: 1. Hauptträger aller künftigen Verhandlungen müssen die Saigoner Regierung und die Führer der Befreiungsfront sein, während die Vereinigten Staaten und Nordvietnam ihnen Rückendeckung gewähren — so wie das Verhältnis zwischen den laotischen Fraktionen und dritten Mächten auf der Genfer Konferenz von 1961/62 war. (Die Genfer Indochina-Konfernz von 1954 war, wie man sich erinnern wird, eine mililärische Waffenstillstandskonferenz wie die von Panmunjon in Korea.) 2. Die Vereinigten Staaten müssen die Versprechungen, die in der 14-Punkte-Erklärung ihres Außenministeriums vom Januar 1966 enthalten sind, in weniger weitschweifiger Sprache wiederholen, namentlich soweit sie den nichtständigen Charakter der amerikanischen Stützpunkte in Südvietnam und das Disengagement beider Teile Vietnams betreffen; und sie müssen diese Erklärung zum Zeichen ihrer Glaubwürdigkeit vor den Vereinten Nationen abgeben. 3. Die Saigoner Regierung muß nachdrücklich und öffentlich darauf hingewiesen werden — ebenso wie Ministerpräsident Ky die Vereinigten Staaten von seinem Wunsch unterrichtete, den Erdkampf nach Nordvietnam zu tragen -—, daß ihr die politische Auseinandersetzung mit einer gutorganisierten bodenständigen linken Minderheit bevorsteht, die weder aus dem Lande vertrieben noch ausgerottet werden kann. (Zum Vergleich: Frankreich und Italien mußten in den Jahren 1945— 47 mit der Tatsache fertig werden, daß schwerbewaffnete kommunistische Gruppen ehemaliger Partisanen im Lande waren, die übrigens bis zum heutigen Tag — 1966 — noch nicht alle ihre Waffen abgeliefert haben.) 4. Die Führer der Befreiungsfront müssen ermuntert werden, als Gegenleistung für legale Teilnahme am politischen Leben des Landes sich bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nach den Wünschen Nord-vietnams zu richten, sondern einen spezifisch südvietnamesischen Standpunkt einzunehmen. (Auch hier liegt der Vergleich mit den westeuropäischen Kommunisten und ihrem Verhältnis zu Moskau anfangs der fünfziger Jahre nahe.) 5. Die Schaffung eines „Gemeinsamen Piaster-Marktes", der vor zwei Jahren von dem kambodschanischen Staatschef Prinz Norodom Sihanouk angeregt wurde, ist zu unterstützen. Dieser Gemeinsame Markt würde Nordvietnams legitime Wünsche nach Kontakten zur nichtkommunistischen Welt befriedigen; neben den 19 Millionen Nordvietnamesen würden ihm 26 Millionen Bewohner nichtkommunistischer Staaten angehören. Die Erfahrungen der Nachkriegszeit mit internationalen Organisationen — einschließlich des Warschauer Pakts — haben gezeigt, daß sich kleine, Willensstärke Länder in solchen Organisationen, auch wenn ihnen ein großes, räuberisches Land angehört, weit besser behaupten können, als wenn sie auf sich allein gestellt wären. 6. Der Gedanke eines Wiederaufbauprogramms für das ganze Gebiet sollte auf der Grundlage der Baltimorer Rede Präsident Johnsons erweitert und neu formuliert werden; dabei wäre zu berücksichtigen, daß im Laufe des letzten Jahres ungeheure Zerstörungen hinzugekommen sind. Es müßten auch Vorschläge für eine politische Normalisierung gemacht werden, wie sie die Vereinigten Staaten in Deutschland und Japan, Großbritannien in Israel und Frankreich in Algerien herbeiführten. Vietnam könnte so das Modell einer Entspannung bieten, das auch für andere geteilte Länder anwendbar wäre.

Eine Wunderkur für die Übelstände Südvietnams wäre von all dem schwerlich zu erwarten. Wenn Saigon weiterhin fest entschlossen ist, seine Bodenreform zu verpfuschen und seine Wahlen zu verfälschen, dann kann auch eine Million amerikanischer Soldaten es nicht davon abhalten. Natürlich könnten diese Truppen wenigstens die Opposition zerschlagen, doch um den Preis, den Tacitus nannte, als er über die Römer in Britannien sagte: „Ihr habt eine Wüstenei geschaffen und nennt es Frieden."

Es wäre in der Tat ein Jammer, wenn so viel Scharfsinn, diplomatisches Geschick, Blut und Geld darauf verwendet worden wäre, Hanoi zur Preisgabe der Insurgenten in Südvietnam zu überreden, ohne daß man jemals ernsthaft versucht hätte, die Insurgenten dahin zu bringen, daß sie ihr Verhältnis zu Hanoi zugunsten einer spezifisch südvietnamesischen Lösung modifizieren, die für alle Teile ebenso ehrenhaft sein könnte, wie sie realistisch wäre. Die einzige Alternative zu einem solchen Vorgehen wäre eine weitere Eskalation des Krieges, im Hinblick auf die Kampfgebiete wie auf die beteiligten Länder. München ist gewiß kein gutes Vorbild für die Lösung des Vietnam-Konflikts, aber Guernica oder Sarajewo sind es auch nicht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Laut Verteidigungsminister McNamara sieht der „Bombardierungsplan" für Vietnam im Jahre 1966 einen Verbrauch von 638 000 Tonnen Luftwaffenmunition vor. Zum Vergleich: Während des ganzen Zweiten Weltkrieges wurden auf dem pazifischen Kriegsschauplatz insgesamt 600 000 Tonnen verbraucht.

  2. Department of State Publication 7724 (Department of Defense, Gen. -8), Viet Nam: The Struggle for Freedom, Government Printing Office, Washington 1964, S. 21.

  3. Nach den wöchentlichen Übersichten (Weekly Summaries) des Verteidigungsministeriums hat die Durchschnittszahl der Operationen in Batailionsstärke, die auf Initiative der südvietnamesischen Armee durchgeführt wurden, im letzten Jahr leicht abgenommen, während die Zahl der unter Waffen stehenden Vietnamesen von 493 000 auf 640 000 gestiegen ist. Die Zahl der auf amerikanische Initiative durchgeführten Operationen in Bataillonsstärke hat sich im gleichen Zeitraum verdreifacht.

  4. The New York Times, 19. Januar 1966.

  5. P. J. Honey. „Viet Nam Argument", in: Encounter, November 1965, S. 69.

  6. Congressional Record, 10. März 1966, S. 5328.

  7. Stanley Andrews, „Red Tape and Broken Promises", in: The Reporter, 5. Mai 1966.

  8. Siehe hierzu die wenig bekannte, aber hervorragende Studie von Vu Quoc Thong, La dcentralisation administrative au Viet-Nam, in: Presses Universitaires, Hanoi 1952.

  9. Pressekonferenz von Verteidigungsminister McNamara am 29. Juni 1966.

  10. Viet Nam Courier (Hanoi), Nr. 60 und 61, 26. Mai und 2. Juni 1966.

  11. Wilfred Burchett, Viet Nam: Inside Story of the Guerrilla War, in: International Publishers, New York 1965, S. 240.

  12. George A. Carver, Jr., „The Faceless Viet Cong", in: Foreign Affairs, April 1966; deutsch: Vietnam und die Vietcong, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 18/66 V. 4. Mai 1966.

  13. U. S. Mission in Viet Nam, JUSPAO Planning Office, A Note on the Vietnamese Sects, Mai 1966, S. 2— 3.

  14. M. R. D. Foot, SOE in France, Her Majesty's Stationery Office, London 1966, S. XIX, 33 und ^ 42— 443, passim.

  15. Commission for Foreign Relations of the NLF, Personalities of the South Viet Nam Liberation Movement, o. J. (1963), 44 S.

  16. Die Anhänger der Theorie von der „einseitigen Aggression" haben völlig vergessen, daß Nordvietnam am 7. März und am 22. Dezember 1958 zwei lange Noten an Präsident Diem richtete, in denen es sich mit der zeitweiligen Teilung des Landes abfand und ein Vier-Punkte-Programm unterbreitete, das Abmachungen über Interzonen-handel, Reiseverkehr und Nichtangriffserklärungen vorsah. Saigon lehnte es ab, die Noten zu beantworten.

Weitere Inhalte

Bernard B. Fall, Professor of International Relations an der Howard University, Washington D. C., geb. 19. November 1926 in Wien, Mitglied der französischen Untergrundbewegung während des Zweiten Weltkriegs, seither französischer Staatsbürger; Autor mehrerer Bücher über Indochina bzw. Vietnam, darunter: The Viet Minh Regime, 1954; The Viet Minh, 1960; Street Without Joy: Indochina at'War, 1961; Indochina 1946— 1962, 1962; The Two Viet Nams, 1963; Viet Nam Witness 1953-1966, 1966.