Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das KPD-Verbot aufheben? | APuZ 9/1967 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1967 Artikel 1 Das KPD-Verbot aufheben? Der Dialog zwischen SPD und SED in der kommunistischen Deutschland-Politik

Das KPD-Verbot aufheben?

Günther Nollau

Breite Schichten für Aufhebung des Verbots?

Vor zehn Jahren ist die KPD durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten worden. Dieses Urteil war nicht das erste gegen eine politische Partei in der Bundesrepublik, und es enthielt nicht das erste Verbot der KPD. Schon 1952 war die Sozialistische Reichspartei verboten worden, eine rechtsradikale Organisation. Die KPD hatte schon zwei Verbote überlebt: 1923/24 war sie einige Monate verboten gewesen. Das zweite Verbot hatte von 1933 bis 1945 gedauert. Die Antwort der KPD auf das dritte Verbot: „Trotz Verbot nicht tot“, war also historisch fundiert. Und dennoch unterschied sich dieses Verbot von den vorhergehenden: Es war als Abschluß eines rechtsstaatlichen Verfahrens erlassen worden.

Im November 1951 war der Antrag der Bundesregierung gestellt worden. Der Prozeß hatte nahezu fünf Jahre gedauert, und in ihm war der KPD jede Möglichkeit gewährt worden, sich zu verteidigen. Von ihren Einwendungen seien nur zwei angeführt, die heute wiederkehren. Man dürfe die KPD nicht verbieten, so lautete der erste Einwand der beklagten Partei, weil sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Und das zweite Argument war: Ein Verbot der KPD dürfe nicht ausgesprochen werden, weil es die Wiedervereinigung hindere und daher verfassungswidrig sei.

Von Anfang an hat sich die KPD bemüht, die Aufhebung des Verbots zu erreichen. Zunächst fand sie kaum Resonanz. In den letzten Jahren haben aber führende Kommunisten es verstanden, gewisse Kreise zu bewegen, sich öffentlich gegen das Verbot zu wenden. Gestützt auf Äußerungen von Kirchenmännern wie Martin Niemöller, Professoren wie Helmut Ridder, Schriftstellern wie Erich Kuby versucht die KPD, den Eindruck zu erwecken, daß breite Schichten die Aufhebung des Verbots forderten. Das ist jedoch nicht so. Woran läßt sich die Resonanz einer Partei besser ablesen als an Wahlergebnissen? Wir haben diesen Maßstab, obwohl die KPD selbst seit dem Verbot an Wahlen nicht teilgenommen hat. Schon vorher, als in der Bundestagswahl von 1953 noch Stimmen für Kandidaten der KPD abgegeben werden konnten, hatte die Partei mehr als 50% der Wähler verloren, die 1949 für sie gestimmt hatten. An den Bundestagswahlen von 1961 und 1965 hat eine Partei teilgenommen, bei deren Gründung Kommunisten mitgewirkt haben, eine Partei, die von der KPD mit allen Mitteln unterstützt worden ist und zu deren Wahl SED und KPD aufgerufen hatten: die Deutsche Friedens-Union (DFU). In beiden Jahren, 1961 und 1965, enttäuschte das Wahlergebnis nicht nur die DFU, sondern auch die führenden Kommunisten. 1961 erhielt die DFU nur 1, 9% der Stimmen. 1965 sank ihr Anteil auf 1, 3%. Bei dieser Wahl gaben Gerhard Wettig:

Der Dialog zwischen SPD und SED in der kommunistischen Deutschlandpolitik . . S. 13 der Friedens-Union nur 434 000 Wähler ihre Stimme, weniger als 1953, als noch 607 000 für die KPD gestimmt hatten. Angesichts der Zunahme der Stimmberechtigten durch junge Wähler war das Ergebnis niederschmetternd für die KPD, die einsehen mußte, daß ihren Parolen nur wenige Neuwähler gefolgt waren. Die amtliche Statistik bestätigte das. 60 % der DFU-Wähler waren älter als 45 Jahre. Nur 13 % ihrer Wähler gehörten zu den 21— 30-jährigen.

Die Rechtslage

Weit mehr öffentliche Resonanz als die Forderung der KPD, das Verbot aufzuheben, fanden entsprechende Äußerungen demokratischer Politiker. Ein Ministerpräsident eines Bundes-landes hat erklärt, durch das Verbot habe man die KPD „nur" in den Untergrund getrieben. Ihm sei es lieber, mit offenem Visier zu kämp-fen. Daher sei er gegen das Verbot. Ferner hat sich kürzlich, wenn man Presseberichten trauen darf, ein Bundesminister für die Aufhebung des Verbots mit den Worten ausgesprochen: „Es ist besser, den ganzen Eisberg zu sehen, als nur das kleine Stück, das über dem Wasser schwimmt." Ein anderes Argument, das man oft hört, ist folgendes: 1951, als die Bundesregierung den Antrag stellte, sei der Koreakrieg im Gange gewesen, ein Krieg, den der kommunistische Norden Koreas begonnen habe. Damals habe man in der Tat eine Aggression aus der sowjetischen Besatzungszone befürchten können. Zu jener Zeit sei das Bestreben, die KPD auszuschalten, verständlich gewesen. Heute aber habe sich herausgestellt, daß der Kommunismus in der Bundesrepublik die Massen nicht anzieht, also keine Gefahr bedeute. Auch habe sich nach Stalins Tod der Kommunismus geändert. Sein Ziel, den Sozialismus, strebe er auf friedlichem Wege an. Die KPD sei daher nicht mehr verfassungswidrig.

Weiter wird argumentiert, daß es undemokratisch sei, eine Partei zu verbieten. Nur Diktaturen wie Spanien und Portugal hätten ähnliche Verbote. In England, Frankreich und Italien komme man mit den kommunistischen Parteien doch ganz gut aus.

Ehe auf diese Argumente einzugehen ist, sei einiges zur Rechtslage gesagt, zu den Möglichkeiten, das Verbot aufzuheben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist rechtskräftig. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht nicht vorgesehen. Selbst wenn materiell die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens vorlägen, könnte sie bei diesem Gericht nicht durchgeführt werden. Nach überwiegender Ansicht könnte das Verbotsurteil nur durch ein verfassungsänderndes Gesetz des Bundestages aufgehoben werden. Die praktischen Aussichten eines solchen Gesetzes sind zweifellos gleich null. Bundeskanzler und Innenminister haben sich gegen die Aufhebung des Verbots ausgesprochen. Die SPD hat zwar früher erklärt, der Verbotsantrag sei unzweckmäßig gewesen. Sie hat aber von jeher die Ansicht vertreten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei begründet, und es müsse respektiert werden.

Eine andere Möglichkeit wäre die, das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht zu ändern, um ein Wiederaufnahmeverfahren gegen die Urteile dieses Gerichts einzuführen. Ob danach die KPD eine Aufhebung des Verbots erreichen könnte, wird später zu erörtern sein.

KPD führt heute ein Schattendasein

Noch ein Wort zu der Frage: Haben sich die Erwartungen erfüllt, die man an das Verbot geknüpft hat? Hat sich das Verbot als Mittel der Bekämpfung des Kommunismus in der Bundesrepublik bewährt? Diese Frage könnte verneinen, wer für bare Münze nimmt, was Max Reimann, der Vorsitzende der KPD, kürzlich in Wien geäußert hat. Er behauptete, seit dem Verbot im Jahre 1956 sei die KPD stärker geworden. Er, Reimann, bestreite seinen Lebensunterhalt aus Parteispenden. Allein im August seien in der Bundesrepublik für den KPD-Kampffonds 15 000, — DM gesammelt worden. Daran ist nur eins richtig: Reimann bestreitet seinen Lebensunterhalt in der Tat aus Parteispenden, er lebt von den Gaben der SED. Im übrigen zeigen schon die oben angeführten Wahlresultate, daß der Anhang der KPD in der Bundesrepublik nicht gewachsen ist.

Heute hat die kommunistische Partei in der Bundesrepublik etwa 7000 Mitglieder, 1956, zur Zeit des Verbots, waren es 65 000. Vor dem Verbot hatte die KPD etwa 1400 Betriebs-gruppen, Bei 96 000 Betrieben, die in der Bundesrepublik bestehen, macht diese Zahl deutlich, wie schwach die Position der Kommunisten in den Fabriken schon damals — wie übrigens auch 1933 — war. Heute ist dort die Lage für sie noch wesentlich schlechter. Sie hatte im Jahre 1966 nur etwa 100 Betriebs-gruppen. Vor dem Verbot erschienen etwa 500 kommunistische Betriebszeitungen, heute sind es etwa 70.

Die Spitze der KPD, heute Zentralkomitee genannt, funktioniert nur, weil die hohen Funktionäre nach Ostberlin geflohen sind, wohin sie schon vor dem Verbot die wichtigsten Parteiakten verlagert hatten. Die zentrale Partei-zeitung „Freies Volk" wird nicht in der Bundesrepublik gedruckt, weil ihre Herstellung in den Jahren nach dem Verbot wiederholt durch Exekutivmaßnahmen unterbunden worden ist. Heute läßt die KPD ihre Zeitung in drei gleichlautenden Ausgaben in Frankreich, Österreich und in der Sowjetzone drucken und von dort aus durch die Post in die Bundesrepublik versenden. Städte in Frankreich, Österreich und anderen Nachbarstaaten der Bundesrepublik werden von den KP-Funktionären aus Ost-Berlin als Trefforte mit ihren westdeutschen Genossen benutzt.

Wahlresultate und Mitgliederschwund sind nur ein Spiegelbild der bescheidenen Resonanz, den der Kommunismus heute in der deutschen Arbeiterschaft hat. Dieser Verlust an Anziehungskraft hat seine Ursache nicht nur in dem Verbot. Er beruht auch nicht allein auf der günstigen wirtschaftlichen Lage. Die wichtigste Ursache scheint zu sein, daß Millionen Deutsche als Soldaten, als Gefangene, als Vertriebene oder als Einwohner der Sowjetzone die Wirklichkeit des Kommunismus selbst erlebt oder aber von Brüdern, Schwestern oder Freunden darüber gehört haben. Diese Erfahrungen wurden bestätigt durch die Blockade von Berlin, den Koreakrieg, den Aufstand vom Juni 1953, den ungarischen Volksaufstand, die Herabsetzung Stalins und schließlich durch die Art, wie Chruschtschow sang-und klanglos in der Versenkung verschwand. Dazu kommen noch andere Ursachen für das geringe Ansehen des Kommunismus. Der Vergleich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit der eines gemäßigten kapitalistischen Systems ist in Deutschland sehr zum Nachteil des Kommunismus ausgefallen. Ulbricht hat einige Male angekündigt, die Bundesrepublik wirtschaftlich überholen zu zu wollen; aber bei der Ankündigung ist es geblieben. Viele Deutsche in Ost und West wissen das.

Die sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik sind befriedigend. Die Arbeiter sind mit ihren Lebensbedingungen im allgemeinen zufrieden. Nichts zeigt das deutlicher als die geringen Verluste an Arbeitsstunden durch Streiks, mit denen die Bundesrepublik weit unter den Zahlen für die USA, England und Frankreich liegt.

Unter diesen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen traf das Verbot die KPD schwer. Bis heute hat es sich bewährt.

Ein Verbot ist kein Allheilmittel gegen eine gefährliche politische Bewegung, besonders nicht gegen eine Partei, die Massen hinter sich hat. Aber eine solche Partei war die KPD schon zur Zeit des Verbots nicht, und sie hat kaum Aussicht, es zu werden. Zu dieser Einsicht sind in den letzten Jahren auch die Kommunisten gelangt, die sich ursprünglich Illusionen über ihre Anhängerschaft gemacht hatten. Jetzt hoffen sie auf eine große Wirtschaftskrise, die nach marxistischer Ansicht die kapitalistische Wirtschaft unweigerlich befallen muß. Führende Kommunisten rechnen damit, eine solche Krise werde die Massen in ihre Arme treiben. Wie die Lage sich entwickeln würde, wenn eine solche Krise zum Beispiel Massenarbeitslosigkeit hervorriefe, ist nicht vorauszusehen. Mit Sicherheit kann man aber sagen, daß die deutschen Kommunisten in Ost und West über Mittel verfügen werden, radikale Neigungen der Arbeiterschaft in der Bundesrepublik anzufachen und auszunutzen. Wohlgemerkt, die Kommunisten in Ost und West verfügen über solche Mittel.

Steuerung durch die SED

Als die SED 1946 gegründet wurde, hat sie sich von vornherein als Vorhut der Arbeiterklasse in ganz Deutschland bezeichnet. Das war keine Redensart. Die SED hat vielmehr von Anfang an die Führung aller deutschen Kommunisten beansprucht und sie bis heute ausgeübt. Damit hat die KPD nicht nur die Politik machen müssen, die ihr von der SED vorgeschrieben wurde. Ihr sind auch vor und nach dem Verbot alle finanziellen Mittel vom sowjetzonalen Regime gestellt worden. Auf diese Weise konnte die KPD, eine kleine Partei von wenigen Tausend Mitgliedern, nicht nur eine erhebliche Anzahl hauptamtlicher Funktionäre, ein Hauptquartier in Ost-Berlin, eine illegale Organisation und einen Propagandaapparat in der Bundesrepublik unterhalten; sie wurde vielmehr auch auf jede sonstige Weise vom SBZ-Regime unterstützt. Sie erhielt einen Sender in der Sowjetzone, den Freiheitssender 904. Ihre Funktionäre können außerdem über den Deutschlandsender sprechen. Der sowjetzonale Fernsehfunk überläßt der KPD Sende-Zeiten. Die sowjetzonale Staatspartei hat der KPD ferner geheime Quartiere und Besprechungsräume in Ost-Berlin und Schulungsstätten jeder Art in der Zone überlassen. Und schließlich rollt jeden Monat eine Druckschriftenwoge von mehreren Millionen Exemplaren aus der Sowjetzone über die Demarkationslinie. Sie kommt zwar nicht von der KPD, aber sie dient der kommunistischen Politik, deren Werkzeug auch die KPD ist.

Im Falle einer Krise würden die KPD und das SBZ-Regime mit ihren großen materiellen Mitteln jede kritische Situation in der Bundesrepublik weit wirksamer ausbeuten können als eine kleine Partei, die ihre Hilfsmittel selbst aufzubringen hätte. Darin liegt eine potentielle Gefahr, die die KPD trotz ihrer heutigen Schwäche darstellt.

Das ist der Hintergrund, vor dem sich die Diskussion über das Verbot abspielt. Was ist zu den Argumenten zu sagen, die vorgebracht wurden?

Auch legale KPD würde Untergrundarbeit fortsetzen

1. Da sind zunächst demokratische Politiker, die meinen, durch das Verbot sei die KPD „nur" in den Untergrund getrieben worden. Ein Gegner, der mit offenem Visier kämpfe, sagen sie, sei vorzuziehen. Wer so argumentiert, verrät seine Unkenntnis der Praktiken des Kommunismus. Die KPD war schon im Untergrund, bevor die Bundesregierung ihren Verbotsantrag stellte. Sie bemühte sich, ihre Abhängigkeit vom ZK der SED zu verbergen. Teile ihrer Organisation waren damals schon dazu bestimmt und ausgebildet, die Weisungen der SED, deren Geld, Funktionäre und Propagandamaterial heimlich über die Grüne Grenze zu bringen und innerhalb der Bundesrepublik zu verteilen. An dieser Lage hat sich bis heute nichts geändert. Auch bei Aufhebung des Verbots würde die KPD einen Teil ihrer Organisation im Untergrund arbeiten lassen. Wer offen kämpfen will, muß sich andere Gegner suchen als Kommunisten.

Das Argument, es sei besser, den ganzen Eisberg zu sehen als nur ein kleines Stück über dem Wasser, aus Zweckmäßigkeitsgründen solle also das Verbot aufgehoben werden, ist gleichfalls nicht durchschlagend. Es basiert auf der irrigen Annahme, den Eisberg unter Wasser könne man nicht sehen. Die Leute des Verfassungsschutzes sehen ihn jeden Tag und einige von ihnen — um im Bilde zu bleiben — wohnen sogar auf ihm, auch unter Wasser.

überdies ist die Frage der Aufhebung des Verbots — heute, da ein rechtskräftiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegt — keine Zweckmäßigkeitsfrage mehr, sondern ein staatspolitisches Problem von erheblicher Tragweite. Davon wird am Schluß noch die Rede sein.

2. Ein anderes Argument lautete: 1951, in der Zeit des Koreakrieges, sei die Furcht verständlich gewesen, die KPD werde eine Aggression aus der SBZ unterstützen. Heute dagegen habe sich herausgestellt, daß die KPD keinen Masseneinfluß habe, also keine Gefahr darstelle. Also sei das Verbot nicht erforderlich. Dazu folgendes: Die grundlegende Rechtsvorschrift für das Verbot ist Artikel 21 des Grundgesetzes. Danach ist eine Partei verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Die Gefährlichkeit einer solchen Partei ist kein Tatbestandsmerkmal. Sie kann auch dann schon verboten werden, wenn sie noch nicht akut gefährlich ist. Mit dem Argument, die KP sei nicht gefährlich, ist also an dem Verbotsurteil nicht zu rütteln.

Die KPD hat sich nicht geändert

3. Andere Gegner des Verbots erklären, der Kommunismus habe sich seit Stalins Tod geändert. Sein Ziel, den Sozialismus, strebe er auf friedlichem Wege an. Die KPD sei daher nicht mehr verfassungswidrig.

Gewiß hat sich der Kommunismus seit Stalins Tod verändert. Vor allem ist die monolithische Einheit des Weltkommunismus zerbrochen. Der Kommunismus hat sich aber in der Welt nicht einheitlich verändert, da Moskau nicht mehr allein tonangebend ist. Für unsere Zwecke ist es irrelevant, wo die Ursache der Differenzen zwischen Moskau und Peking liegen oder — um europäischen Boden zu sondieren — ob die Kommunistische Partei Italiens „liberaler", moderner ist, oder wie immer man will, als ihre französische Bruderpartei. Hier geht es um den deutschen Kommunismus und speziell um die KPD.

Was hatte das Bundesverfassungsgericht über die Ziele der KPD gesagt?

„Die KPD lehnt die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes ab, da sie sich leidenschaft-liehzum Marxismus-Leninismus und seinem Endziel, der sozialistisch-kommunistichen Gesellschaftsordnung bekennt. Sie versteht diese Lehre nicht nur als wissenschaftliche Theorie, sondern als Anleitung zum revolutionären Handeln."

„Sie will ihr Endziel über die . sozialistische Revolution'und die Diktatur des Proletariats erreichen. Insbesondere ihr Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar." Soweit das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil von 1956. Was aber sagt heute die KPD? Sie bekennt sich nach wie vor zum Marxismus-Leninismus. In der Präambel des neuen Statuts, das 1963 — sieben Jahre nach dem Verbot — angenommen wurde, heißt es, die KPD sei die einzige Partei in der Bundesrepublik, die sich von der Theorie des Marxismus-Leninismus leiten lasse. Die Partei führe „einen unversöhnlichen Kampf ... gegen Abweichungen von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus ". Aus dem Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus folgt, daß die KPD auch heute für die proletarische Revolution und für die Diktatur des Proletariats eintritt. Diese Begriffe enthalten den Kern der Marxschen Lehre, wie Lenin sie interpretiert hat.

Ein ausdrückliches Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats vermeidet die KPD heute, offenbar aus Rücksicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie hat aber im November 1960, vier Jahre nach dem Verbot, die Erklärung der 81 kommunistischen Parteien unterzeichnet, in der es heißt:

„Die marxistisch-leninistischen Parteien stehen an der Spitze des Kampfes für die sozialistische Revolution und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in dieser oder jener Form."

Die KPD hat ihr Bekenntnis zu dieser Erklärung von 1960 im März 1965 als Teilnehmerin des sogenannten Konsultativtreffens von 19 kommunistischen Parteien bestätigt, in dessen Kommunique es heißt, die Einheit der kommunistischen Parteien müsse auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und der Linie der Erklärungen von 1957 und 1960 gefestigt werden. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß einige europäische kommunistische Parteien, insbesondere die italienischen, französischen und schwedischen Kommunisten, über die Frage diskutiert haben, ob es nötig sei, den Begriff der Diktatur des Proletariats beizubehalten. Das ist interessant, für uns aber scheint wichtiger, daß sich weder die SED noch die KPD an dieser Diskussion beteiligt haben. Und mit keiner Silbe haben sie sich von der Diktatur des Proletariats als Ziel distanziert.

Der gewaltsame Umsturz steht immer noch auf dem Programm

4. Noch ein paar Worte zur Behauptung der KPD, sie strebe ihr Ziel, die „sozialistische Umwälzung in der Bundesrepublik", auf „friedlichem" Wege an: Unter den kommunistischen Parteien hat es heftige Diskussionen gegeben, ob der friedliche Weg zum Sozialismus überhaupt zulässig sei. Das ist verständlich, denn nach der orthodoxen Lehre führt nur der gewaltsame Aufstand zur Revolution. In der schon erwähnten Erklärung der 81 kommunistischen Parteien von 1960 wurde der friedliche Weg neben dem gewaltsamen anerkannt. Demgemäß hat sich auch die KPD 1963 dafür ausgesprochen, den friedlichen Weg zuzulassen. Ein Verzicht auf die Revolution durch Gewalt ist damit nicht ausgesprochen. In der schon erwähnten Erklärung der 81 kommunistischen Parteien von 1960 heißt es darüber: „Der Grad der Erbitterung und die Formen des Klassenkampfes werden unter diesen Bedingungen nicht so sehr vom Proletariat abhängen als vielmehr von der Stärke des Widerstandes, den die reaktionären Kreise dem Willen der überwältigenden Mehrheit des Volkes entgegensetzen, davon, ob diese Kreise in dieser oder jener Phase des Kampfes für den Sozialismus Gewalt anwenden werden."

Mit anderen Worten: Wenn wir uns in der Bundesrepublik gegen die kommunistische Machtübernahme zur Wehr setzen, werden die Kommunisten doch Gewalt anwenden, sobald sie nur können. Die SED erklärte in ihrem Programm von 1963:

„In der DDR war die Voraussetzung geschaffen für den triedlichen Übergang zur sozialistischen Revolution. Die antifaschistisch-demokratische Ordnung wurde zur Arbeiter-und Bauern-Macht, zur Diktatur des Proletariats . . . In Westdeutschland wurde die antifaschistisch-demokratische Umwälzung verhindert und die gesetzmäßige Entwicklung zum Sozialismus durch die Allianz der Besatzungsmächte und der monopolkapitalistischen reaktionären Staatsmacht für eine gewisse Zeit aufgehalten.“ Aus diesem Bekenntnis geht eindeutig hervor, daß die SED durch „friedlichen Übergang zum Sozialismus“ auch zur „Diktatur des Proletariats" gelangen will, und sie fordert diese Entwicklung auch für die Bundesrepublik. Dementsprechend hat die KPD in ihr Programm folgenden Passus ausgenommen:

„Die neue Zeit des Sozialismus ist mit dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse der DDR auch in Deutschland angebrochen. Die DDR verkörpert den Frieden und die sozialistische Zukunft der ganzen deutschen Nation."

Die KPD hält also heute noch an der Notwendigkeit der „sozialistischen Revolution" fest. Als Wege zu dieser Revolution erkennt sie den „friedlichen" neben dem „gewaltsamen" an. Das erste Ziel, das es durch diese Revolution zu erreichen gilt, ist das gleiche geblieben: die Diktatur des Proletariats.

Wer daher behauptet, heute strebe die KPD ihr Ziel auf friedlichem Wege an, sagt nicht die ganze Wahrheit. Die KPD würde diese halbe Wahrheit sicher als Grundlage eines Wiederaufnahmeverfahrens benutzen, sobald es eingeführt wäre. Weniger die Aussicht auf Erfolg würde die Kommunisten dazu veranlassen, als die Gewißheit, den Gerichtssaal zum Podium ihrer Agitation machen zu können. In einem solchen Wiederaufnahmeverfahren würde die KPD zweifellos erklären lassen, der gewaltsame Umsturz gehöre einer vergangenen Periode ihrer Strategie an. Diesen Umsturz hatte die Partei, daran darf erinnert werden, noch in ihrem 1952, also während des Prozesses, verkündeten „Programm der nationalen Wiedervereinigung" gefordert. Wie oben dargelegt, hält die KPD aber an der sozialistischen Revolution im Sinne des Marxismus-Leninismus und an der Diktatur des Proletariats fest. Mögen diese Postulate auch zu Fernzielen geworden sein — im Prozeß gegen die KPD hat das Bundesverfassungsgericht schon entschieden, daß verfassungswidrige Ziele als Grundlage eines Verbots ausreichen ohne Rücksicht darauf, ob die Partei ihre Vorstellungen in absehbarer Zeit verwirklichen kann, und auch ohne Rücksicht darauf, ob sie diese Ziele zur Zeit aus taktischen Gründen verwirklichen will. Das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen Nah-und Fern-zielen. Daher wären diese Argumente der KPD auch in einem Wiederaufnahmeverfahren unerheblich.

Verbot ist nicht undemokratisch

5. Ein weiteres Argument hatte gelautet: Das Verbot sei undemokratisch, nur Diktatur-staaten hätten ähnliche Verbote. In Demokratien wie Frankreich und Italien werde man mit den kommunistischen Parteien auch ohne Verbot fertig. Der Vergleich mit Frankreich und Italien wird unserer Lage in einem geteilten Land nicht gerecht. Man sollte fragen: Gibt es ein geteiltes Land in der Welt, dessen einer Teil von Kommunisten beherrscht wird, in dessen anderem Teil die KP nicht verboten ist? Die Antwort lautet: Es gibt zwar geteilte Länder: Vietnam und Korea. Aber in dem freien Teil beider Länder ist die KP verboten, in beiden sind auch Eroberungskriege des kommunistischen Teils gegen den anderen zu bestehen gewesen oder im Gange. Diese Erfahrung sollte zur Vorsicht mahnen, zumal Milowan Djilas im Gefängnis gesessen hat, weil er der westlichen Welt in seinem Buch „Gespräche mit Stalin" mitgeteilt hat, was 1945 Stalin im vertrauten Kreise ausgesprochen hat, nämlich, daß ganz Deutschland kommunistisch werden müsse. Stalins erster Schritt zur Eroberung ganz Deutschlands war die Blockade von Berlin. Und die deutschen Kommunisten haben ihr Ziel, ganz Deutschland kommunistisch zu machen, nicht etwa aufgegehen. Noch im Dezember 1965 erklärte Max Reimann auf einer Tagung des ZK der KDP: „. . . die DDR ist nicht nur ein Drittel Deutschlands, sie gehört zu dem Drittel der Welt, das den Sozialismus aufbaut und das den weiteren Gang der Weltgeschichte bestimmt. Von dieser festen Grundlage aus vollzieht sich auch das Einwirken der DDR auf die Bundesrepublik in Richtung der Veränderung des Kräfteverhältnisses . . ."

Auch der Hinweis, das Verbot der KPD sei undemokratisch, vermag nicht zu überzeugen.

Wenn England geteilt wäre, und der nördliche kommunistische Teil hätte sein Ziel verkündet, ganz England kommunistisch zu machen, wäre keineswegs sicher, ob die Engländer ihre Abstinenz gegenüber Parteiverboten beibehalten würden. In bezug auf Frankreich kann man dagegen ganz sicher sein. Die KP Frankreichs war bereits einmal verboten. Das Verbot wurde im September 1939 ausgesprochen, als die französische KP auf sowjetischen Befehi in der Anfangsphase des Krieges gegen die französischen Kriegsanstrengungen agitierte. Deutschland war damals nach dem Stalin-Hitler-Pakt der Verbündete der Sowjetunion. Dieses Verbot einer kommunistischen Partei vom Jahre 1939 ist nicht das einzige, das in Frankreich ausgesprochen worden ist. Im Jahre 1950 wurde in unserem Nachbarlande noch eine andere KP verboten, die Spaniens. Die spanischen Kommunisten hatten nach dem Bürgerkrieg aus dem Lande fliehen müssen und waren meist nach Frankreich gegangen. Im Jahre 1950 wurde ihre Tätigkeit der französischen Regierung so lästig, daß sie sich zum Verbot entschloß. So besteht eine merkwürdige Lage: in Frankreich ist die französische KP legal, die Spaniens ist verboten. In der Bundesrepublik ist dagegen die KPD verboten, die KP Spaniens ist dagegen legal, denn wir haben 180 000 Spanier als Arbeiter hier, unter denen die KP Spaniens eine rege Werbung entfaltet.

Zu der Behauptung, das KP-Verbot sei undemokratisch, ist noch folgendes zu sagen: Auf diesen Standpunkt kann man sich stellen, aber dann soll man auch konsequent sein und sagen, das Grundgesetz sei undemokratisch, weil es Parteiverbote vorsieht. Hier darf wiederholt werden: Das Verbot der KPD ist nicht das einzige Verbot einer politischen Partei, das ausgesprochen worden ist. Noch vor der KPD war die Sozialistische Reichspartei, eine rechtsradikale Partei, verboten worden. Das Argument, Verbote seien undemokratisch, ist von den Verfechtern der Aufhebung des KP-Verbots gegenüber dem SRP-Urteil noch nicht vorgebracht worden.

Legalitätsprinzip für Parteiverbote?

Einige Verteidiger des seinerzeitigen Ent-schlusses der Bundesregierung, den Antrag auf Verbot der KPD zu stellen, haben erklärt, die Bundesregierung sei verpflichtet gewesen, den Antrag gegen die KPD zu stellen, weil auch das Verbot der rechtsradikalen SRP beantragt gewesen sei. Damit wird der Bundesregierung im Bereich des Artikels 21 GG eine Art Legalitätsprinzip auferlegt, das für Staatsanwälte gilt, wenn eine strafbare Handlung begangen worden ist. Der Staatsanwalt hat dann nach § 152 StPO die Rechtspflicht, einzuschreiten. Unterliegt die Bundesregierung dem gleichen Prinzip? Diese Forderung ist aus politischen und rechtlichen Gründen unhaltbar. Man stelle sich vor, eine Partei, gegründet von einigen Wirrköpfen, ohne Erfolge in Wahlen, ohne Resonanz in der Öffentlichkeit, nähme in ihr Programm verfassungswidrige Forderungen auf, das Einparteiensystem, das Führerprinzip u. ä. Die Bundesregierung hätte darüber zuverlässige Informationen und Beweis-mittel. Wäre sie rechtlich verpflichtet, die Maschinerie des Verbotsverfahrens beim Verfassungsgeridit in Bewegung zu setzen, um durch diesen Aufwand nur eines zu erreichen, der kleinen Partei eine Publizität zu verschaffen, die sie vorher nicht hatte? Das wäre höchst unzweckmäßig, den Interessen des Staats-schutzes sogar schädlich und würde damit dem wahren Zweck des Art. 21 Abs. 2 GG widerstreiten. In Einklang mit dieser Ansicht hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts bei der Begründung des Urteils gegen die KPD folgendes erklärt:

»Die Irrtümer und Mißverständnisse, die in der Öffentlichkeit über dieses Verfahren entstanden sind, veranlassen mich, vor Bekanntgabe der wesentlichen Entscheidungsgründe einige Klarstellungen zu treffen:

Das Verfassungsgericht kann ein Verfahren nicht von sich aus einleiten. Es bedarf dazu immer des Begehrens eines Antragstellers. Den Antrag, eine Partei zu verbieten, kann die Bundesregierung stellen. Es steht in ihrem politischen Ermessen und unter ihrer ausschließlichen politischen Verantwortung, ob sie den Antrag stellen will und soll. Ist der Antrag gestellt, dann ist das Gericht verpflichtet, darüber zu entscheiden. Das Gericht hat seine Entscheidung nach rein rechtlichen Gesichtspunkten zu treffen; daher sind ihm politische Zweckmäßigkeitserwägungen versagt.

Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen und nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig, über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht hatte also in diesem Verfahren lediglich über die Rechtsfrage zu befinden, ob nach den Zielen und dem Verhalten der KPD der gesetzliche Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG vorliegt. Es hatte zu prüfen, ob diese Ziele mit den Grundvorstellungen unserer Demokratie vereinbar sind. Als Wissenschaftslehre ist die Doktrin des Marxismux-Leninismus nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens."

Den Entschluß, ob der Antrag auf Verbot einer Partei zu stellen ist, hat die Bundesregierung nach pflichtmäßigem Ermessen zu fassen, ein Grundsatz, der auch alle anderen Regierungsentscheidungen beherrscht. In den Bereich dieses Ermessens fallen nicht nur rechtliche Erwägungen, sondern auch solche der politischen Zweckmäßigkeit; nota bene: das Beispiel der unbedeutenden, aber klar verfassungswidrigen Partei ist erdacht. In der politischen Wirklichkeit studieren mögliche „Aspiranten" die Urteile des Bundesverfassungsgerichts gründlich. Sie hüten sich, verfassungswidrige Ziele aufzustellen, auch weisen sie ihre Anhänger an, jede verfassungswidrige Handlung oder Äußerung zu unterlassen. Sie verteilen an ihre Funktionäre sogar „Musterreden", deren Texte sorgfältig geprüft sind und keinen Anlaß zum behördlichen Einschreiten bieten. Eine Ausnahme macht die KPD, die lautstark fordert, das Verbot aufzuheben, obwohl sie die Richtschnur ihres Handelns nicht aufgibt: die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats.

Warum keine neue Partei der „Linken"?

über den Zweck des Artikels ist hinzuzufügen: Die Väter des Grundgesetzes haben den Artikel 21 und einige andere Vorschriften geschaffen, weil sie — belehrt durch den Untergang der Weimarer Republik — wirksame Abwehrinstrumente gegen extremistische Bestrebungen schaffen wollten. Sie gedachten der zynischen Ausnützung der Demokratie entgegenzutreten, die Goebbels und Hitler praktiziert und die Lenin in seinem Meisterwerk der Taktik, „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus", empfohlen hatte. Dabei folgt das Grundgesetz nicht dem Satz: „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit." Das Mitglied einer Partei, die verboten wird, behält die Grundrechte der Meinungsund Koalitionsfreiheit. Deswegen könnten Kommunisten ohne weiteres eine neue Partei gründen, wenn sie dabei nicht die verfassungswidrigen Ziele der alten KPD verfolgten und ihre Organisation fortsetzten. Professor Havemann aus Ost-Berlin folgerte daraus, die Kommunisten sollten eine gewandelte KP gründen. Auf seine Frage, ob in der Bundesrepublik genügend Demokratie sei, um über dieses Problem zu diskutieren, erhielt er die Antwort nicht aus Bonn, sondern aus Pankow. Er verlor seinen Lehrstuhl und wurde aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen. Woraus erklärt sich diese harte Reaktion? In Kreisen der KPD und der SED war das Problem, ob in der Bundesrepublik nach dem Verbot der KPD eine neue „linke" Partei gegründet werden solle, längst diskutiert worden. Das Politbüro der SED hatte sich gegen die Gründung einer neuen Partei entschieden, um das Schicksal der traditionsreichen KPD nicht zu besiegeln.

Diese Entscheidung ist nach Eintritt der SPD in die Bundesregierung bestätigt worden. Das Politbüro der KPD entschied, daß etwaige Tendenzen, eine neue Linkspartei zu gründen, nicht zu unterstützen seien. Die KPD erlaubt auch ihren Mitgliedern nicht, von ihren verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch zu machen und eine neue Partei zu gründen, deren Ziele sich im Rahmen des Grundgesetzes halten. Sie will durch großen propagandistischen Aufwand und mit Hilfe ganz heterogener Kräfte im In-und Ausland die Aufhebung des Verbots politisch erzwingen. Einen Erfolg würde die kommunistische Propaganda als Bestätigung ihrer These ausgeben, das Verbot sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Ferner würde sie die Aufhebung nach allen Erfahrungen als das Ergebnis eines Drucks der „Volksmassen" auf die verfassungsmäßigen Organe der Bundesrepublik hinstellen. Damit wäre nicht nur dem Ansehen der Bundesrepublik ein schwerer politischer Schlag versetzt, sondern auch das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttert.

Daher sollte man die Frage, ob das Verbot und seine Aufrechterhaltung demokratisch seien, konkret stellen: Soll einem Staat wie der Bundesrepublik, der am Eisernen Vorhang liegt und auf lange Sicht von einer politischen Bewegung bedroht wird, hinter der mächtige äußere Kräfte stehen, berechtigt sein, sich dieser politischen Bewegung, der KPD, auch durch ein Verbot zu erwehren? Wer könnte diese Frage verneinen?

Hindert das KP-Verbot die Wiedervereinigung? •

Nun noch einige Worte zum letzten Argument, das Verbot der KPD hindere die Wiedervereinigung. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil diese Frage behandelt und dabei ausgesprochen: „Die Wiedervereinigung Deutschlands ist nicht nur ein innerstaatlicher, nationaler Akt, der durch Aufrichtung einer gesamtdeutschen Ordnung zu vollziehen wäre, sondern zugleich eine internationale Frage. Nach dem derzeitigen Stand der politischen Entwicklung ist nicht damit zu rechnen, daß die Wiedervereinigung ohne eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen den bisherigen Besatzungsmächten erreicht werden kann. Diese Verantwortung obliegt diesen drei Mächten gemeinsam mit der Sowjetunion auf Grund der Viermächteerklärung vom 5. Juni 1945. Da die Besatzungsmächte in diesen Fragen kraft ihrer — insoweit weiterbestehenden — übergeordneten Besatzungsgewalt handeln würden, könnte keine Maßnahme, die sie zur Wiedervereinigung Deutschlands für geboten halten und demgemäß unter sich vereinbaren, von einem Urteil, das die Verfassungswidrigkeit der KPD feststellt, behindert werden — auch dann nicht, wenn diese Maßnahme von den Staats-organen der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden müßte.

Näherer Prüfung bedarf jedoch die Frage, ob das Verbot der KPD dann als rechtliches Hindernis der Wiedervereinigung anzusehen väre, wenn Maßnahmen zur Vorbereitung der Vicdervereinigung, insbesondere etwa der erlaß und die Durchführung eines Wahlgesetzes ür gesamtdeutsche Wahlen, von den deutschen Verfassungsorganen selbständig zu treffen wären, ohne daß bindende Auflagen der ‘esatungsmächte bestünden. Die Auffassung der KPD, daß in einem solchen Fall ein ihre er assungswidrigkeit feststellendes Urteil can Bnndesverfassungsgerichts eine unüber-

nobare Schranke für die Zulassung der KPD ii solchen Wahlen sei und damit die Abhal. ng ocher Wahlen, also auch die Wieder-

vereinigung selbst, unmöglich mache, ist nicht richtig. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts würde vielmehr nur für den vom Grundgesetz zeitlich und sachlich beherrschten Raum wirken. Wird festgestellt, daß die KPD verfassungswidrig ist, so kann sie sich im so bestimmten Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht mehr betätigen.

Die gesamtdeutschen Wahlen dienen aber der Vorbereitung eines Aktes des pouvoir consti-tuant des ganzen deutschen Volkes, der die Beschlußfassung über eine gesamtdeutsche Verfassung zum Gegenstand hat, also gerade darüber entscheiden soll, ob die Ordnung des Grundgesetzes auch für Gesamtdeutschland fortbestehen oder durch eine andere Verfassungsordnung abgelöst werden soll. Die Legitimität der gesamtdeutschen Verfassung kann nicht daran gemessen werden, ob sie in einem Verfahren zustande gekommen ist, das seine Legalität aus der Ordnung des Grundgesetzes herleitet. Vielmehr ist nach der in die Zukunft gerichteten Uberleitungsnorm des Art. 146 GG die künftige gesamtdeutsche Verfassung schon dann ordnungsgemäß zustande gekommen, wenn sie , von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist’. Dies bedeutet, daß die Entscheidung des deutschen Volkes über eine gesamtdeutsche Verfassung frei von äußerem und innerem Zwang gefällt werden muß, und das heißt allerdings, daß ein gewisser Mindeststandard freiheitlich-demokratischer Garantien auch beim Zustandekommen der neuen gesamtdeutschen Verfassung zu wahren ist. Das in Art. 21 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Prinzip, daß verfassungswidrige Parteien aus dem politischen Leben ausgeschlossen werden können, sowie der Grundsatz der Bindung aller staatlichen Organe an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind jedoch diesem Mindeststandard nicht zuzurechnen. Es sind freiheitlich-demokratische, für die Dauer geschaffene Verfassungen denkbar und Wirksamkeit, die eine Verfassungsgerichtsbarkeit und die rechtliche Möglichkeit eines Parteiverbots nicht kennen. Ist dies aber so, so wäre es nicht gerechtfertigt, in den von Art. 146 GG gemeinten Mindeststandard freiheitlicher Garantien beim Zustandekommen der neuen gesamtdeutschen Verfassung die zwar dem Grundgesetz eigentümlichen, aber nicht vom Wesen einer freiheitlichen Ordnung her schlechthin geforderten Grundsätze der Bindung an verfassungsgerichtliche Entscheidungen über den Ausschluß verfassungswidriger Parteien aus dem politsichen Leben einzubeziehen."

Schicksal der KPD ist für die Sowjetunion irrelevant

Das Verbot der KPD steht also der Wiedervereinigung nicht entgegen. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist eine Frage der Weltpolitik, die ohne Zustimmung der Sowjetunion nicht gelöst werden kann. Bisher hat diese Macht jede Lösung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts starr abgelehnt, jedoch nicht aus Rücksicht auf die KPD. Die KPD ist der Sojwetunion nicht mehr als eine quantite negligable. Das ist historisch nachweisbar an der Politik, die 1933 die Komintern, von Stalin geleitet, mit dem Ergebnis betrieben hat, daß Hitlers Machtübernahme begünstigt wurde. Das war 1939 zu sehen, als Stalin den Pakt mit Hitler abschloß, obwohl in dessen Konzentrationslagern Tausende deutscher Kommunisten gepeinigt wurden. Auf dem Höhepunkt dieser „Freundschaft" hat die sowjetische Geheimpolizei sogar deutsche Kommunisten der Gestapo übergeben. Diese politische

Linie wurde 1952 fortgesetzt, als die KPD während des Prozesses das sogenannte „Programm der Nationalen Wiedervereinigung“ anzunehmen hatte. Das Programm lieferte zwar Material zum Beweis der These der Verfassungs-Widrigkeit der KPD, schadete ihr also, aber die deutschen Kommunisten mußten diesen Schritt tun. Er entsprach der damaligen sowjetischen Politik, die sich in einer aggressiven Phase (Koreakrieg) befand. Wer sich mit Überläufern aus den Reihen des sowjetischen Geheimdienstes unterhalten hat, der weiß, daß sie von der KPD herablassend und wegwerfend sprechen; für sowjetische Politiker zählen — allen Deklamationen vom „Proletarischen Internationalismus" zum Trotz — nur die Interessen ihres Staates. Eine schwache kommunistische Partei — und die KPD ist heute schwach — wiegt soviel wie nichts im politischen Kalkül der Sowjetunion. Einige deutsche Kommunisten geben sich zwar der Illusion hin, das Geschick ihrer Partei zähle in der sowjetischen Deutschlandpolitik, und einige Irrealisten teilen diesen Wahn. An der Wirklichkeit ändert sich dadurch nichts. Möglicherweise wird die Sowjetunion durch eine Änderung der Weltlage bewogen werden, in der deutschen Frage Entgegenkommen zu zeigen. Darüber zu spekulieren, was sich ändern müßte, ob etwa der Ausbruch eines kriegerischen Konfliktes der Sowjetunion mit China jene Wirkung haben könnte, führt in ein weites Feld, das hier nicht abzuschreiten ist.

Am Schluß sei ein Argument hinzugefügt, das Gegnern des Kommunismus entgegenzuhalten ist, die meinen, das Verbot solle aus Zweckmäßigkeitserwägungen aufgehoben werden:

Das Verbot ist vom höchsten Gericht ausgesprochen worden, das die Bundesrepublik Deutschland hat, dem Bundesverfassungsgericht. Das Verbot ist rechtskräftig. Würde der Bundestag es aufheben, so wären wir ein Staat, in dem höchstrichterliche rechtskräftige Urteile von einem Souverän aus Zweckmäßigkeitsgründen abgeändert werden können. Gegen ein solches Verfahren müssen Einwände erhoben werden, auch wenn dieser Souverän die Volksvertretung ist. Wir haben keinen Parlamentsabsolutismus, wie er — pro forma — in der Sowjetzone besteht, sondern eine Gewaltenteilung, die durch Art. 79 III des Grundgesetzes sogar der Verfassungsänderung entzogen ist.

Ein Beschluß des Bundestages über Aufhebung des KP Verbots wäre als Einbruch der gesetzgebenden Gewalt in das Kerngebiet der Recht-sprechung anzusehen und daher unvereinbar mit Artikel 79 GG.

Außerdem würde die Aufhebung des Verbots den Teil unserer Landsleute in der Sowjetzone deprimieren, der unter dem Kommunismus leidet — und das ist noch immer die Mehrheit.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Günther Nollau, Dr. jur., geb. 4. Juni 1911 in Leipzig, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Veröffentlichungen u. a.: „Die Internationale -— Wesen und Erscheinungsformen des proletarischen Internationalismus, Köln 1959 (englisch-amerikanische Ausgabe 1961, spanische 1964, koreanische 1965); Rote Spuren im Orient (zus. mit H. J. Wiehe), Köln 1963 (englischamerikanische Ausgabe 1963); Zerfall des Weltkommunismus, Köln 1963.